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Das Römische Reich endlich aus weiblicher Sicht.
Lasst uns das Drehbuch des Römischen Reiches zerreißen: Genug von Brüdermördern, Frauenräubern und Kriegsspektakel! Die Geschichte Roms ist so viel mehr: Mit Emma Southon entdecken wir, wie die Sexarbeiterin Hispala Faecenia eine Verschwörung aufdeckt, wir lernen die klügste Geschäftsfrau von Pompeji kennen, während wir die wunderbare Aussicht auf den Vesuv genießen (was kann da schon schiefgehen?), und wir begleiten Septimia Zenobia, die – nachdem sie mit ansehen musste, wie inkompetente, psychopathische und inkompetent-psychopathische Kaiser das Imperium fast zerstörten – das einzig Logische tut: Sie erklärt sich selbst zur Kaiserin ... Southon folgt 21 Frauen in Krieg, verbotener Liebe und Naturkatastrophen (sowie der einen oder anderen bacchantischen Orgie) und zeigt uns ein neues Gesicht des Reiches, das wir so gut zu kennen glaubten.
»Southon zeigt, wie Frauen unglaublich häufig aus der römischen Geschichte getilgt wurden ... Römische Frauen waren immer da – jetzt müssen wir dafür sorgen, dass ihre Geschichten erzählt werden.« BBC History.
»Wo war Emma Southon, als ich römische Geschichte studierte?« Laura Shepperson.
»Klug, frech und erfrischend feministisch. Dieses Buch verdient einen Platz in den Regalen der Bibliotheken, um die patriarchalischen Sachbuchsammlungen auszugleichen. Wir brauchen mehr Geschichtsschreibungen wie diese.« Booklist.
»Emma Southon hat die erstaunliche Fähigkeit, alles, was man über die römische Geschichte zu wissen glaubte, auf den Kopf zu stellen, neu auszurichten und neu zu zeigen, während sie einen gleichzeitig zum Lachen bringt, weil sie, offen gesagt, urkomisch ist. ›Eine Geschichte des Römischen Reiches in 21 Frauen‹ ist das Geschichtsbuch, von dem ich nicht wusste, dass ich es brauche – ein sofortiger Klassiker.« Jane Draycott,
»Dies ist nicht nur ein Buch über das Leben historischer Frauen, sondern eines über die Geschichte des Frauseins.« The Times Literary Supplement.
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Seitenzahl: 631
Üblicherweise beginnen wir mit Romulus, der seinen Bruder ermordet, gehen weiter zu Brutus, der Tarquin stürzt, arbeiten eine entsetzlich langweilige Liste von Schlachten, Generälen und Konsuln ab, bevor wir in die politische Messerstecherei der späten Republik eintauchen. Nach „Et tu, Brute?“ geht es durch alle Kaiser, wobei gelegentlich eine Ehefrau oder Mutter erwähnt wird, um zu zeigen, wie schlimm es ist, wenn Frauen nicht tun, was man ihnen sagt, bis Konstantin das Christentum erfindet und Attila der Hunne kommt, um alles zu ruinieren.
Wen die Geschichtsschreibung dabei vergisst? Die Hälfte der Menschheit! Das Römische Reich bestand beileibe nicht nur aus „wichtigen“ Männern – und Frauen sind nicht nur liebliches (oder auf irgendeine Weise zerstörerisches) Beiwerk, nein, auch sie machten und schrieben Geschichte. Wie gut, dass Emma Southon zumindest 21 von ihnen endlich aus dem Schatten der Geschichtsschreibung erlöst und uns zeigt, wie das Leben im Römischen Reich wirklich war!
»Southon zeigt, wie unglaublich häufig Frauen aus der römischen Geschichte getilgt wurden ... Römische Frauen waren immer da – jetzt müssen wir dafür sorgen, dass ihre Geschichten erzählt werden.« BBC History
»Emma Southon hat die erstaunliche Fähigkeit, alles, was man über die römische Geschichte zu wissen glaubte, auf den Kopf zu stellen, neu auszurichten und neu zu zeigen, während sie einen gleichzeitig zum Lachen bringt, weil sie, offen gesagt, urkomisch ist. ›Eine Geschichte des Römischen Reiches in 21 Frauen‹ ist das Geschichtsbuch, von dem ich nicht wusste, dass ich es brauche – ein sofortiger Klassiker.« Jane Draycott
»Dies ist nicht nur ein Buch über das Leben historischer Frauen, sondern eines über die Geschichte des Frauseins.« The Times Literary Supplement
Emma Southon promovierte in Alter Geschichte, gab dann aber nach einigen Jahren als Dozentin für antike und mittelalterliche Geschichte die akademische Welt auf und begann, zu ihrem eigenen Vergnügen zu schreiben. Nach ihren ersten beiden hochgelobten Büchern erscheint nun ihr drittes Buch erstmals auch auf Deutsch.
Rita Gravert, Jahrgang 1989, studierte Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaften, Spanische Philologie und Interdisziplinäre Lateinamerikastudien in Berlin. Sie übersetzt Bücher aus dem Englischen und Spanischen, u. a. von Florence de Changy, George Monbiot, Marisa Reichardt und K. L. Walther.
Caroline Weißbach, Jahrgang 1990, studierte Germanistik und Internationale Literaturen in Tübingen und Nebraska. Sie übersetzt Bücher aus dem Englischen. Zu den von ihr übersetzten Autor:innen gehören Florence de Changy, Kate Summerscale und Robin Waterfield.
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Emma Southon
Eine Geschichte des Römischen Reiches in 21 Frauen
Aus dem Englischen von Rita Gravert und Caroline Weißbach
Cover
Titel
Inhaltsverzeichnis
Impressum
Titelinformationen
Informationen zum Buch
Newsletter
Zitat
Widmung
Einleitung
Das Königreich
Tarpeia und Hersilea 750 v. Chr.: — Die Verräterin und die Patriotin
Tanaquil 616 v. Chr.: — Die Königin
Lucretia und Tullia 510 v. Chr.: — Die Jungfrau und die Hure
Die Republik
Oppia 483 v. Chr.: — Die Vestalin
Hispala Faecenia 186 v. Chr.: — Die Informantin
Clodia 60 v. Chr.: — Die Medea des Palatins
Turia 46 v. Chr.: — Die Überlebende
Das Imperium
Iulia Caesar 27 v. Chr.: — Die Prinzessin
Cartimandua und Boudicca 60 n. Chr.: — Die Klientelkönigin und die Rebellin
Iulia Felix 79 n. Chr.: — Die Geschäftsfrau aus Pompeji
Sulpicia Lepidina 100 n. Chr.: — die First Lady des Stützpunkts
Iulia Balbilla 130 n. Chr.: — Die Dichterin
Perpetua 203 n. Chr.: — Die christliche Märtyrerin
Iulia Maesa und Iulia Mamaea 222 n. Chr.: — Mütter der gesamten Menschheit
Spätantike
Zenobia 268 n. Chr.: — Die usurpatorische Augusta
Melania die Ältere 373 n. Chr.: — Die Heilige
Galla Placidia 414 n. Chr.: — Die letzte Römerin
Epilog
Dank
Anhang
Anmerkungen
Einleitung
Tarpeia und Hersilea
Tanaquil
Lucretia und Tullia
Oppia
Hispala Faecenia
Clodia
Turia
Julia Caesar
Cartimandua und Boudicca
Julia Felix
Sulpicia Lepidina
Julia Balbilla
Perpetua
Julia Masea und Julia Mamaea
Zenobia
Melania
Galla Placidia
Epilog
Bibliographie
Primärliteratur
Sekundärliteratur
Sach- und Personenregister
Erläuterungen
Impressum
»Ich lese [Geschichtsbücher] manchmal ein bisschen aus Pflichtgefühl, aber ich finde darin nichts, was mich nicht ärgert oder ermüdet. Auseinandersetzungen zwischen Päpsten und Königen, Kriege und Seuchen auf jeder Seite. Die Männer taugen alle nichts, und Frauen kommen meist gar nicht vor. Es ist richtig öde, und doch wundere ich mich manchmal, dass es so langweilig ist, denn ein großer Teil davon ist doch bestimmt reine Erfindung.«
Jane Austen, Northanger Abbey
»Du. Du weißt, dass Frauen in all den langen Jahrhunderten lediglich als Spiegel gedient haben, die die Figur des Mannes auf magische und vorzügliche Weise doppelt so groß erscheinen lassen.«
Barbara Kruger
»Nimm ein Nein nicht einfach als Antwort hin. Argumentiere mit Schweigen.«
Amy Richlin
Für Professorin Mary Harlow und meine Mum: die Frauen, die mich formten.
Historiker:innen der römischen Antike, die sich mit dem Thema Gender befassen, erzählen gern eine Geschichte, die sich in den 1970er Jahren abgespielt hat. Sie geht so: Eines Tages traten Studentinnen eines amerikanischen Colleges an ihren Professor, einen hoch geachteten Historiker römischer Geschichte, heran und baten, er möge doch ein Seminar zu Frauen in der römischen Geschichte anbieten. Da sie unter den ersten Frauen waren, die je an dieser Universität Alte Geschichte studiert hatten, wollten sie sich selbst auf dem Lehrplan wiederfinden. Doch der Professor weigerte sich. Zu ihrer Bestürzung antwortete er, dass er genauso gut ein Seminar über römische Hunde geben könne.1 Seine Botschaft war eindeutig: Frauen haben in der Geschichte keinen Platz. In der Geschichte geht es nicht um Frauen, Kinder, nicht-binäre Menschen oder, in der Tat, Hunde. Geschichtemachen ist für ihn und furchtbar viele andere Leute das Tun Wichtiger Dinge. Es geht darum, Schlachten zu gewinnen und Wichtige Öffentliche Meinungen Zu Haben. Geschichte ist Politik und öffentliche Verlautbarungen. Frauen schreiben keine Geschichte.
Und in genau dieser Form wird die Geschichte des Römischen Reiches für gewöhnlich erzählt. Sie beginnt mit Romulus, fährt mit Brutus fort, der Tarquinius vom Thron stürzt, hüpft durch eine ausgesprochen öde Reihe an Schlachten zur Vergrößerung des Reiches sowie diversen Generälen und Konsuln und taucht dann bei der politischen Messerstecherei der späten Republik wieder auf. Von hier aus rattert sie alle Kaiser herunter, erwähnt hier und da eine Ehefrau oder Mutter, um zu zeigen, wie kolossal alles schieflaufen kann, wenn eine Frau ihre Hand im Spiel hat, und endet dann schließlich bei Konstantin, der das Christentum erfindet und schließlich von Attila dem Hunnen überrannt wird, der alles ruiniert. Doch die Geschichte Roms ist so viel mehr als bloß eine trockene Abhandlung über Kaiser, Politiker und Generäle. Geschichte ist so viel mehr als die ach so Wichtigen Dinge. In diesem Moment erleben wir Geschichte. In einer fernen Zukunft wird man Geschichtsbücher über die Zeit schreiben, in der wir leben. Doch über uns wird nichts drinstehen, weil die meisten von uns keine ach so Wichtigen Dinge tun. Und trotzdem sind wir Teil der Geschichte. Frauen, die nicht Premierministerinnen, Königinnen oder Wichtig mit großem »W« sind, sind dennoch Teil von Geschichte. Geschichte entspinnt sich um Frauen (und Männer) ebenso, wie sie selbst Geschichte schreiben.
Daher hat sich dieses Buch zur Aufgabe gemacht, eine revisionistische Geschichte des Römischen Reiches zu erzählen, in der die ach so Wichtigen Dinge in den Hintergrund geschoben werden. Es handelt sich um eine Geschichte all der Dinge, über die die männlichen Historiker und Biographen nicht schreiben wollten und die sie ganz sicher auch nicht von uns niedergeschrieben sehen wollen. Eine Geschichte der Dinge, die Schreiber römischer Geschichte als häuslich, weiblich, langweilig und nebensächlich abtaten. Es ist eine Geschichte, die von Individuen handelt, denn, um Swetlana Alexijewitsch etwas fehlerhaft zu zitieren, »dieser Maßstab – der Mensch … der einzelne Mensch – hat mich schon immer fasziniert. Denn im Grunde passiert alles dort.«2
Das Buch erzählt die Geschichte Roms von seiner Gründung im Jahr 753 v. Chr. bis zum Sturz des letzten weströmischen Kaisers im Jahr 476 n. Chr. anhand des Lebens von Frauen, von denen ihr wahrscheinlich noch nie gehört habt.
Diese Frauen sind Vestalinnen und Sexarbeiterinnen, Geschäftsfrauen und Dichterinnen, Märtyrerinnen und Heilige. Lediglich vier von ihnen sind Regentinnen oder waren in irgendeiner anderen Form an ach so Wichtigen Dingen beteiligt. Jede von ihnen erzählt eine andere Geschichte des Römischen Reiches, während es sich von einem kampflustigen Stadtstaat in ein riesiges Reich verwandelte und dann in zerstrittene Staaten zerfiel: von der polytheistischen Republik zur dem Kaiser huldigenden Monarchie bis hin zur christlichen Großmacht.
Indem wir unseren Blick auf die Frauen lenken, eröffnet sich uns eine vollkommen neue Geschichte des Römischen Reiches, in der Ehe ebenso wichtig ist wie Krieg und in der das, was Rom ausmacht, stets neu bewertet wird. Viele der in diesem Buch vorkommenden Frauen haben nie einen Fuß auf italienischen Boden gesetzt, geschweige denn auf römischen. Viele betrachten sich als Feindinnen Roms, andere wiederum halten sich für durch und durch römisch, werden jedoch wie Feindinnen behandelt. Frauen in die Geschichte miteinzubeziehen zwingt uns als Historiker:innen, neu zu bewerten, wer überhaupt Römer:in war, was Römischsein hieß – und uns der ungeheuren Ausdehnung und Vielfalt des Römischen Reiches bewusst zu werden. Frauen mitzudenken vertieft unser Verständnis von römischer Geschichte und römischem Leben. Als Romulus Rom gegründet hat, wusste er, dass diese Stadt erst vollständig sein würde, wenn Frauen in ihr leben. Und genauso ist auch die Geschichte Roms ohne sie unvollständig.
Die Verräterin und die Patriotin
Im Anfang war eine Mauer. Gebaut von Romulus auf dem Kapitolhügel, verspottet von Remus, verteidigt von Romulus und getauft mit Remus’ Blut am 7. April 753 v. Chr. Die Legende diente als Mahnung: Romulus’ Mauern waren heilig, und jedwede Entweihung würde sofort und gnadenlos geahndet werden. Innerhalb dieser Mauern wurde ein Stadtstaat mit dem Namen Rom gegründet und Romulus zum König erkoren. Romulus behauptete, ein Sohn des Mars zu sein. Er erzählte, der Gott hätte seine Mutter Rhea Silvia vergewaltigt, um sicherzustellen, dass die königliche Linie nicht durch ihre lebenslange Jungfräulichkeit ausstarb. Aus dieser Geschichte lernen wir, dass die Abstammungslinie für die Römer wichtiger war als eine einzelne Frau.
Um seine Stadt zu bevölkern, öffnete Romulus die Tore für Geflüchtete aus anderen italienischen Städten, für Menschen, die der Versklavung entkommen waren, für Glückssucher, Risikobereite und jeden, der neugierig genug war, um sie aufzusuchen.
Denen, die kamen, bot er die Staatsbürgerschaft, Schutz vor den strafrechtlichen Folgen der Verbrechen, die sie anderswo begangen hatten, und Freiheit für versklavte Männer. Und die Männer kamen in Scharen. Als er genug beisammenhatte, richtete Romulus eine Hierarchie ein (denn Himmel, die Römer liebten Hierarchien!) und schuf einen Senat, bestehend aus seinen hundert treuesten Männern. Den Senat nannte er Patres (Väter), und seine Aufgabe bestand darin, Romulus zu beraten, zu den rechten Entscheidungen zu verhelfen, und ihm die Verwaltung der Stadt abzunehmen. Die Nachkommen dieser ersten hundert Männer wurden Patrizier genannt, und ihre Familien bildeten die am meisten geachtete und respektierte Klasse Roms.1 Romulus legte seiner brandneuen Gesellschaft also von Beginn an diese Hierarchie zugrunde.
Das sollten wir im Hinterkopf behalten, denn in ein paar Kapiteln werden wir darauf zurückkommen.
Um aber überhaupt Nachkommen zu haben, brauchten diese Patrizier und alle anderen frischgebackenen Römer jedoch Ehefrauen. Und dafür brauchten sie Frauen. Wie alles Neuland, das jenen, die wenig zu verlieren haben, als Raum der unendlichen Möglichkeiten erscheint (der Wilde Westen, Kryptowährungen), zog das frühe Rom vor allem Männer mit, sagen wir, eher schwierigem Temperament an. Im Fall von Rom ist dieser Umstand darauf zurückzuführen, dass Romulus lediglich Männern Staatsbürgerschaft, Freiheit und Schutz anbot, Frauen jedoch explizit von diesem Willkommenspaket ausschloss. All diese männlichen Kriminellen, Abenteurer und der Sklaverei Entflohenen waren gut geeignet, um einen aufregenden und nie zuvor gesehenen Ort zu schaffen, doch sie waren weniger gut geeignet, um einen stabilen und langwährenden Stadtstaat aufzubauen. Während Romulus die lange Reihe an jungen Männern mit ihren vor Hoffnung strahlenden Augen betrachtete, die tagtäglich in seiner Stadt eintrafen, wurde ihm bewusst, dass all seine neuen Bürger irgendwann abwandern würden, wenn Rom ihnen keine Ehefrauen und keine Zukunft bieten konnte. Dann würde seine große, neue Stadt leer, tot und verfallen sein, noch bevor sie ihren ersten Geburtstag feierte.
Bevor es mit unserer Geschichte weitergeht, müssen wir uns über die verfügbaren Quellen für die mythischen Anfänge der Ewigen Stadt unterhalten. Zwei bis heute erhaltene Autoren liefern das Hauptnarrativ für die ersten Jahrhunderte römischer Geschichte: Titus Livius und Dionysios von Halikarnassos. Ersterer, uns besser bekannt als einfach nur Livius, war ein italienischer Historiker, der zwischen 56 v. Chr. und 17 n. Chr. lebte und seine Geschichte Roms von der Gründung bis zu seinem Lebtag unter dem wachsamen Auge des ersten Kaisers Augustus niederschrieb. Seine Geschichtsschreibung war ein Freundschaftsdienst gegenüber Augustus, um ihm dabei zu helfen, die römische Identität in jener Zeit großer sozialer und kultureller Unruhen neu zu konstituieren und zu definieren.2 Doch er schrieb auch zu einer Zeit, als Rom seinen glanzvollen Höhepunkt erreicht zu haben schien. Das Rom, das Livius erlebte, war unvorstellbar reich und kontrollierte ein Gebiet von vielen Millionen Quadratmetern. Das Rom, das Livius kannte, bezeichnete das gesamte Mittelmeer als mare nostrum – unser Meer. Er gibt an, seine Geschichte Roms zu schreiben, weil ihm der unaufhaltsame Aufstieg der römischen Macht als das leuchtendste Beispiel dafür erschien, dass guten Menschen gute Dinge widerfahren. Rom hatte Erfolg, weil die Römer es verdienten. Doch er sorgte sich gleichzeitig, dass Luxus und Gier eine Gefahr für sein Rom darstellten und er Zeuge eines »Absturzes« der römischen Moral wurde. Also schrieb er seine Version der Geschichte auf, um seinen Leser:innen Beispiele für gutes und schlechtes Verhalten zu liefern: »Wähle für dich und deinen eigenen Staat aus, was du nachahmen willst, und meide, was schändlich in der Vorstellung und schändlich im Ergebnis ist.«3 Dieser ethische Anspruch prägte seine Auswahl und Darstellungen der Geschichten, die er über die älteste römische Vergangenheit erzählte.
Die zweite Quelle ist Dionysios von Halikarnassos’ Römische Frühgeschichte. Dionysios kam im Jahr 29 v. Chr. aus Halikarnassos in der heutigen Türkei nach Rom, um so viel wie möglich über die für ihn fremden Römer:innen zu lernen, damit er für die Griechisch sprechenden Leser:innen im östlichen Mittelmeerraum eine Abhandlung über das Volk, das über sie herrschte, schreiben konnte.4 Laut eigenen Angaben verbrachte er zwei Jahrzehnte als Proto-Anthropologe in Rom und veröffentlichte sein Buch schließlich im Jahr 7 v. Chr., ebenfalls unter der Herrschaft von Kaiser Augustus. Seine Geschichte Roms umfasst den Zeitraum von der Stadtgründung bis zur Belagerung von Karthago, da er glaubte, dies sei durch verschiedene Beispiele guten Verhaltens »ein nobles und erhabenes Thema, das vielen von Nutzen ist«. Zudem wollte er seinen griechischen Leser:innen erklären, wie genau »die Überlegenheit der Römer all jene aus früheren Zeiten weit übersteigt«5. Genau wie Livius wollte er der Macht Roms Sinn verleihen.
Das meiste, was wir über die ersten rund fünfhundert Jahre römischer Geschichte wissen, stammt aus der Feder dieser beiden Typen, die beide zur genau gleichen Zeit schrieben, am genau gleichen Hof verkehrten, sich im genau gleichen kulturellen Milieu bewegten und mit ihren Geschichtsschreibungen größtenteils genau die gleichen Ziele verfolgten. Auch wenn Dionysios die römische Überlegenheit jenen erklären wollte, die die kolonialen Untertan:innen Roms geworden waren, während Livius sie seinen ausschweifenden Kumpels nahebringen wollte, so war das Vorhaben beider, ein lineares Narrativ römischer Geschichte zu verfassen, das ungebrochene Erfolge im Krieg und das Anhäufen von Reichtümern als Belohnung für gutes Verhalten erklärte. Beide wollten dieses gute Verhalten definieren und es als moralisches Vorbild ihren Leser:innen ans Herz legen. Aus diesem Grund haben die Römer gewonnen … deshalb lieben die Götter sie … das musst du tun, um zu gewinnen. In jeder einzelnen Geschichte, die wir in den nächsten fünf Kapiteln lesen werden, findet sich ein deutlicher Selbsthilfe-Unterton, den man nicht ignorieren kann.
Neben diesen beiden Geschichtsschreibern gibt es noch einige wenige andere Quellen, darunter Ovids Gedichtsepos Fasti und die Metamorphosen, in denen er den Mythos Roms zugleich kreiert und niederschreibt, und außerdem Plutarchs Biographien großartiger römischer Männer. Die Metamorphosen und Fasti wurden ebenfalls in den Jahrzehnten unter Augustus’ Herrschaft verfasst, während Plutarch um 100 n. Chr. lebte und sein gesamtes Erwachsenenleben zwischen Athen und Böotien in Griechenland verbrachte. Alle bis heute bekannten Autoren schrieben, um die Welt, in der sie lebten, zu erklären und Bedeutung und Bedeutsamkeit für ihre gegenwärtigen Erfahrungen in der römischen Vergangenheit zu finden. Auch wenn sie ältere Quellen heranzogen (und teilweise sogar nannten), unterwarfen sie die Auswahl und Darstellung ihrer Geschichten der gewünschten Wirkung auf ihre zeitgenössischen Leser:innen. Wie alle Geschichtsschreiber:innen wollten sie der Vergangenheit eine Bedeutung im Hier und Jetzt verleihen. Wie ich übrigens auch, als ich die Geschichten ausgewählt habe, die ich in diesem Buch erzähle.
Was für dieses Buch besonders wichtig ist: Wenn antike Geschichtsschreiber beschlossen, Frauen in ihre Abhandlungen aufzunehmen, dann handelte es sich um eine bewusste Auswahl mit einer eindeutigen Aussage.
Es ist problemlos möglich, die gesamte Frühgeschichte Roms bis zur späten Republik mit der Nennung nur einer einzigen Frau zu erzählen. Die einzige, die man nicht wirklich außer Acht lassen kann, ist Lucretia, aber alle anderen sind ziemlich optional, und die meisten modernen Geschichtsbücher lassen die Frauen, über die ich jetzt reden möchte, rigoros weg, um sich ganz auf ihre Ehemänner und Väter zu konzentrieren. Wenn Römer also dennoch Frauen in ihren Geschichtsbüchern erwähnten, dann geschah das nicht aus Versehen, sondern hatte stets eine übergeordnete Bedeutung. In diesem Buch möchte ich herausfinden, worin genau diese Bedeutung bestand. Die ersten Frauen Roms, die Sabinerinnen, dienten beispielsweise dazu, die Ursprünge und den Sinn der römischen Ehe zu erläutern und zu beschreiben.6
Was uns zurück zu Romulus in seiner Stadt voller rauer Männer und seinem verzweifelten Bedarf an Frauen führt. Seine erste Strategie, um Frauen zu »sammeln«, war kühn – wie übrigens all seine Pläne. Er schickte Gesandte in alle italienischen Stadtstaaten der Umgebung wie Crustumium, Caenina und Antemna und fragte einfach nach Ehefrauen. Während die Römer ihre italienischen Nachbarn gern als eindimensionale Gegner darstellten, handelte es sich in Wahrheit um hoch entwickelte antike Stadtstaaten. Die vorrömischen Menschen Italiens, wie die Sabiner, die mindestens sechs Städte in Latium und Umbrien bewohnten, und die Etrusker, die Italien ab dem 8. Jahrhundert v. Chr. beherrschten, lebten in komplexen Gesellschaften mit Städten, Literatur, einer reichen Geschichte und einem ausgeprägten Sinn für ihren Platz in der Welt. Als also diese römischen Emporkömmlinge auftauchten und um die Hände ihrer Töchter baten, waren sie erwartungsgemäß außerordentlich überrascht. Im Gegenzug bot Romulus diesen ehrwürdigen Völkern ein Bündnis mit seinem neuen Stadtstaat an und das Vergnügen, Ehen mit seinen Römern zu schließen.7 Also im Grunde ging es nur um die Heirat. Die Könige der Sabiner und Etrusker sowie ihre führenden Männer antworteten genauso, wie ihr es wahrscheinlich auch tun würdet, wenn jemand sich in die Hand niest und dann versucht, mit seinen rotzverschmierten Fingern eure zu schütteln: Sie wichen voller Abscheu zurück. Die alten, voll entwickelten Staaten Mittelitaliens betrachteten Rom als grotesken, überwiegend unzivilisierten Witz voller Krimineller und ehemals versklavter Männer (die ein ernstes Problem darstellten) unter der Führung eines Brudermörders. Auf keinen Fall würden sie auch nur eine einzige ihrer reizenden Töchter losschicken, um sich mit den Römern abzugeben! Von Beginn an stimmte das Bild, das die Römer von sich selbst zeichneten (von göttlicher Abstammung, die Spitze der Zivilisation und im Grunde genommen perfekt in jeglicher Hinsicht), nur selten mit dem überein, das sich Außenstehende von ihnen bildeten (schrecklich, mit einem Hang zum Völkermord, absolut unzumutbar und ganz schön verblendet). Stattdessen stellten diese Herrscher den Gesandten wieder und wieder dieselbe Frage: Warum hatte Romulus nicht einfach auch Frauen seinen Schutz angeboten und ihnen Rom so schmackhaft gemacht? Warum ließ er die italienischen Frauen nicht selbst entscheiden, nach Rom zu kommen und einen römischen Mann zu heiraten? Gib Frauen doch einfach ebenfalls die Chance, der Versklavung, Verfolgung oder ganz einfach der Langeweile zu entkommen und ein neues Leben zu beginnen! Wenn du Frauen brauchst, Kumpel, dann lass doch einfach Frauen in deine Stadt.
Seltsamerweise empfand Romulus diesen Vorschlag als grobe Beleidigung. Zuvor versklavte Männer, Betrüger oder Mörder waren eine Sache. Ein Mann konnte einen Fehlstart ins Leben verwinden. Eine kriminelle oder zuvor versklavte Frau hingegen war für immer gebrandmarkt, und Romulus wollte lieber gar keine Frauen als solche, die eine schwierige Situation in Collatia hinter sich lassen wollten. Wie wir sehen, war Romulus ziemlich offensichtlich furchtbar. Aber andererseits waren sie das alle.
Romulus’ Antwort auf den Vorschlag der altitalienischen Stadtherren, dass er Frauen doch erlauben solle, allein und aus freien Stücken nach Rom zu kommen, führt uns vor Augen, welch andere Verhaltensregeln für Frauen im antiken Mittelmeerraum galten und wie tief sie in der römischen Kultur verwurzelt waren. Die Vorstellung, dass es einer Frau erlaubt sein sollte, als freies Individuum nach Rom zu kommen, erschien Livius als vollkommen grotesk, schließlich wurden sie in den Narrativen und der politischen Kultur des alten Roms schlicht nicht als Individuen behandelt, und ihnen konnte demzufolge auch gar nicht die gleiche Handlungsfähigkeit wie Männern zugestanden werden. Frauen waren Töchter, Ehefrauen und Mütter, sie existierten nur im Bezug zum Mann und konnten dementsprechend auch nur dann nach Rom kommen, wenn ein Mann sie wie Schachfiguren bewegte. Aus diesem Grund kamen Romulus und seine kleine Gruppe Römer zu dem Schluss, dass es viel besser sei, Frauen (statt sie nach Rom zu locken und es ihnen zu überlassen, sie zu heiraten und mit ihnen ein Leben aufzubauen) zu entführen und sie in die Ehe zu zwingen.
Und so kommen wir endlich zu unserer ersten römischen Frau. Na ja, fast. Bis jetzt haben die Römer in ihrer eigenen Darstellung ihrer mythischen Geschichte lediglich ein paar Frauen erwähnt. Die Ehefrauen und Geliebten des Aeneas, die er immer wieder ohne einen Blick zurück verließ, waren eine Troianerin (Kreusa), eine Karthagerin (Dido) und eine Latinerin (Lavinia). Romulus’ und Remus’ biologische Mutter Rhea Silvia und ihre Adoptivmutter Acca Larentia stammten beide aus der latinischen Stadt Alba Longa. Die Römer erkannten diese Frauen als ihre Vorfahrinnen an, nicht aber als Römerinnen. Die erste namentlich überlieferte Frau, die in der Stadt Rom lebte, war Hersilia. Geboren und aufgewachsen in den Apenninen, war sie in ihrem ersten Lebensabschnitt Sabinerin.8 Es gibt keine übereinstimmende Version von Hersilia oder ihrer Geschichte, und in modernen Nacherzählungen der Anfänge Roms wird sie nur selten genannt. Doch sie spielt eine wichtige Rolle bei der Gründung Roms und wird in jeder Erzählung der Gründungsgeschichte genannt, da sie auch eine Gründungsgeschichte der römischen Gesellschaft und römischer Ehe ist. Hersilia war Roms erste Ehefrau. In manchen Versionen ihrer Geschichte ist sie bereits älter und Mutter einer Tochter im Teenageralter. In anderen hingegen ist sie selbst eine junge Frau, jungfräulich und unverheiratet. Doch in allen Versionen wohnt sie der berüchtigten Party in der römischen Geschichte bei.
Die Geschichte geht so: Nachdem er von jeder einzelnen umliegenden Stadt, die man zu Pferd erreichen konnte, eine Abfuhr erhalten hatte, entschied Romulus, dass er sich die Frauen, die ihm gefielen, einfach nehmen würde. Mit seinem brandneuen Heer hoch zu Ross einfach so mir nichts, dir nichts in hoch entwickelte und gut gerüstete Städte einzufallen, um Mädchen mit Gewalt an sich zu reißen, war aus offenkundigen Gründen kein guter Plan. Also heckte er einen besseren aus, mit dem er die Damen zunächst zu sich locken wollte. Dionysios zufolge verkündete Romulus zunächst, er hätte unter den römischen Hügeln einen alten Altar entdeckt, der dem Gott Consus geweiht war (auch Neptun Equestri genannt). Zu Ehren dieses neuen alten Gottes rief er Festspiele aus: Die Consualien, die am 21. August entweder im ersten oder im vierten Jahr nach der Stadtgründung abgehalten wurden.9 Er lud die wichtigsten Familien der umliegenden Städte ein, die ihn zuvor noch voller Verachtung abgelehnt hatten, und versprach ihnen rauschende Festspiele. Und tatsächlich: Es kamen einige, aus Höflichkeit, Neugier oder widerwilliger Achtung vor dem neuen Gott. Auch wenn diverse latinische Städte Delegationen schickten, waren die Sabiner ganz klar die enthusiastischsten unter ihnen: Zu Hunderten trafen sie mit ihren gesamten Familien ein.10 Diese Sabinerfamilien sahen sich die seltsame neue Stadt an, latschten die römischen Hügel rauf und runter, nahmen die Speisen und die Gastfreundschaft von Romulus’ Anhängern an und saßen im Circus Maximus, um zahllosen Wagenrennen, Spektakeln und Opfergaben beizuwohnen. Und als Romulus sein geheimes Zeichen gab, mussten sie voller Schrecken mitansehen, wie die Römer ihre Schwerter zogen, ihre Schwestern, Töchter, Enkelinnen und Nichten bei den Haaren packten und die schreienden Frauen aus dem Circus zerrten. Die Anzahl der Frauen, die an diesem Tag entführt wurden, variiert je nach Erzählung extrem und reicht von sehr exakten Zahlen wie 30, 527 und 683 bis hin zu sehr vagen Schätzungen wie »mehr als dreißig« und »fast achthundert«.11 Unter all diesen Sabinerinnen erhielt lediglich eine von den römischen Geschichtsschreibern einen Namen und eine Stimme: Hersilia.
Im darauffolgenden Durcheinander jagten die Römer die sabinischen Männer aus der Stadt und teilten die Frauen unter sich auf. Einer der Hauptbeweggründe, diese Geschichte in der Ära des Augustus zu erzählen, bestand darin zu erklären, warum auf römischen Hochzeiten traditionellerweise der feierliche Schrei »Talasius!« ausgestoßen wurde. Obwohl das Wort durch Umstehende und Feiergäste ständig in Richtung Braut und Bräutigam gerufen wurde, wusste niemand so recht, was es damit eigentlich auf sich hatte. Daher enthält jede Erzählversion des Raubs der Sabinerinnen eine »So‑und-nicht-anders-Geschichte« über die Bedeutung dieses Wortes. Livius’ Darstellung zufolge rührt der Ausruf von einem Mann namens Talasius her, der sich während der Consualien ein besonders schönes Mädchen auserkoren hatte. Gleich zu Beginn des Angriffs beauftragte er seine Männer damit sicherzustellen, dass niemand anders sie sich zuerst schnappte. Als man das namenlose Mädchen zu ihm schleppte, wurden Rufe ausgestoßen, dass sie für andere Römer unantastbar war, da man sie zu Talasius brachte. Damit war dieser berühmte Hochzeitsruf geboren.12 Kranker Scheiß. Plutarch bietet sogar mehrere vollkommen unterschiedliche Erklärungen aus diversen Schriften an. Eine davon ist Livius’ Erklärung sehr ähnlich, doch bei Plutarch wird der Ausruf von Umstehenden ausgestoßen, die Talasius damit mitteilen wollen, was er doch für ein glücklicher Mann sei. Zwinker, zwinker. Seiner eigenen Theorie nach hat der Ruf überhaupt nichts mit den Sabinerinnen zu tun, sondern ist von dem griechischen Wort talasia abgeleitet, was bedeutet, gib alles, du kannst das – und der in gewisser Weise ebenso krank ist.13 Der springende Punkt an der ganzen Sache ist jedenfalls, dass die Römer:innen sich gegenseitig erzählten, Form, Sinn und Festlichkeiten ihrer Eheschließungen rührten von diesem Massenübergriff auf junge Frauen in einem kriegerischen Akt her. Aber auch, dass die Beschreibung von Form, Sinn und Festlichkeiten der Ehe für römische Geschichtsschreiber offenbar sehr wichtig war. Die Eheschließung war ein wichtiger Punkt im Leben eines Mannes und für die Stadt als Ganzes.
Die entführten Sabinerinnen wurden nun den besten und intelligentesten der unverheirateten Römer übergeben und mussten dann Romulus ertragen, der von Tür zu Tür ging und in einer langen Litanei seine Taten verteidigte. Er beschuldigte ihre Eltern und die Oberhäupter ihrer Städte, schuld an dem ganzen Desaster zu sein, da sie sich geweigert hätten, mit den Römern zu verhandeln. Er forderte die Frauen auf, wütend auf ihre Väter, und nicht etwa auf ihn, Romulus, zu sein, der doch, das mussten sie verstehen, dringend, wirklich dringend Frauen brauchte. Des Weiteren erzählte er ihnen, dass sie aus ehrlichen Heiratsabsichten geraubt worden waren und die Partnerinnen ihrer Ehemänner werden würden, nicht ihre Sexsklavinnen oder Opfer. Er versprach ihnen die römische Staatsbürgerschaft und gestand ihnen, um es mit Livius’ Worten zu sagen, »das größte Privileg der Menschheit« zu: Ihre Kinder würden ebenfalls römische Bürger:innen sein.14 Die Staatsbürgerschaft einer vier Jahre alten Stadt voller Kidnapper, angeboten durch einen Mann, der seinen Bruder erstochen hatte, war vielleicht nicht die Art von Geschenk, das sich die Frauen erträumt hatten. Doch da Livius’ Worte an die Leser:innen zu Zeiten des Augustus gerichtet waren, als Rom als die Perle des Mittelmeerraums und das Bürgerrecht als Ehre galt, die nur wenigen zuteilwurde, heiterte dieses wunderbare Versprechen die Frauen in seiner Erzählung reichlich auf.
An dieser Stelle ist anzumerken, dass es sich bei dem Ereignis, das als Raub der Sabinerinnen in die Geschichte eingegangen ist, wahrscheinlich nicht um einen groß angelegten sexuellen Übergriff handelt, wie beispielsweise das englische »Rape of the Sabinian Women« vermuten lässt. Das lateinische Wort raptio wird in alten Quellen verwendet, um einen Akt zu beschreiben, bei dem Frauen gewaltsam gepackt und mitgeschleppt wurden. Das wiederum wurde, ob nun bewusst oder nicht, durch die Künstler der italienischen Renaissance in ein Konzept des sexuellen Übergriffs umgewandelt. In den uns überlieferten alten Texten ist von erzwungenem Sex jedoch keine Rede (was allerdings nicht bedeutet, dass das nicht trotzdem vorgekommen ist). Vielmehr tendieren sie dazu, die Bereitwilligkeit der Sabinerinnen, Römerinnen zu werden, ausgiebig zu betonen. Die Bereitwilligste unter ihnen war Hersilia. Dionysios beschreibt Hersilia als eine Frau, die unter den Sabinerinnen hohes Ansehen genoss, bereits verheiratet gewesen war und deren Tochter ebenfalls den Römern zum Opfer fiel. Während alle anderen Sabiner:innen vor den römischen Schwertern flohen und ihre Töchter und Schwestern ihrem Schicksal überließen, blieb Hersilia »freiwillig« und war demzufolge die einzige Frau in der römischen Frühgeschichte, die nicht gezwungenermaßen Römerin wurde.15 Vielleicht war dies der Grund, warum Romulus sie aus allen Sabinerinnen als seine Ehefrau erwählte, sie zur ersten weiblichen Stimme in der römischen Geschichte wurde und die erste Ehefrau, die sanft Druck auf ihren Ehemann ausübte, damit er unter ihrem Einfluss das Richtige tat.
Bevor wir uns ganz auf Hersilias Beitrag zur Definition der Rolle der römischen Ehefrau konzentrieren, müssen wir diese Sendung kurz für eine wichtige Meldung unterbrechen: Es geht um die widerspenstige Tochter Roms, Tarpeia. Schließlich kann Hersilia Rom erst retten, nachdem Tarpeia es beinahe zerstört hätte.
An diesem Punkt der römischen Frühgeschichte ist Tarpeia die Figur, die einer römischen Frau am nächsten kommt. Sie ist die Tochter eines römischen Mannes, gar eines römischen Generals. Auch wenn sie nicht in Rom geboren sein kann, ist Tarpeia die einzige uns aus jener Zeit bekannte Frau, die nicht schreiend in ihre neue Heimat gezerrt wurde. Tarpeia faszinierte und schockierte die römischen Geschichtsschreiber gleichermaßen. Wieder und wieder wurde ihre Geschichte niedergeschrieben und aus jedem möglichen Winkel erforscht – ähnlich wie die Geschichten von Schneewittchen und König Artus unermüdlich neu erzählt werden und dabei immer wieder die Themen der jeweiligen Zeit reflektieren. Doch jede Geschichte braucht einen zugrunde liegenden Beat für den Wiedererkennungswert, und Tarpeias hat drei. Der erste ist die Belagerung Roms durch die Sabiner, nachdem ihre Frauen verschleppt wurden.
Nach der Massenentführung der Sabinerinnen versuchten die Sabiner, ihre Töchter zu befreien. In der Vermutung, dass man die Babystadt mit Leichtigkeit einnehmen könne, stellte jede sabinische Stadt ein eigenes Heer zusammen, um ihre Frauen zurückzuholen. Aber wie so oft trügen auch in diesem Fall vorschnelle Annahmen. Zunächst schienen die Kämpfe zugunsten der Römer auszugehen, die vielen der althergebrachten Städte mit Wonne blamable Niederlagen bescherten.16 Irgendwann wurde den Sabinern klar, dass die Einnahme Roms eine kollektive Anstrengung erforderte, und sie schlossen ein Bündnis mit Titus Tatius als ihrem gewählten Anführer. Schnell drängte er die Römer hinter ihre Mauern zurück und belagerte sie auf unbestimmte Zeit. Die römischen Quellen sind in dieser Hinsicht auf beinahe amüsante Weise ungenau und tendieren dazu, von Tatius’ Annahme seines Führungspostens zur Belagerung Roms zu springen und den Teil, wie sie dorthin gekommen sind und wie viele Opfer sie auf dem Weg zu beklagen hatten, mit einem lapidaren »und so weiter und so fort« dahingestellt zu lassen.
Der zweite Beat in Tarpeias Geschichte ist ihre entscheidende Rolle bei der Beendigung der Belagerung. Genauer gesagt, dass sie den Sabinern freiwillig die Stadttore öffnete, während die Römer schliefen. Hinsichtlich ihrer Beweggründe und wie genau sie das bewerkstelligte, gehen die verschiedenen Versionen der Geschichte auseinander. Doch die Frage nach den möglichen Hintergründen ihrer Tat trieb die Römer:innen noch lange um. War sie eine Verräterin, die ihre eigene Stadt verkaufte? War sie eine Heldin, die die Sabiner überlistet hatte? War sie doch eine entführte sabinische Tochter, die versucht hatte, zu ihrem Vater zurückzugelangen, eine römische Jungfrau, die man so lange bedroht hatte, bis sie ihre eigene Stadt verriet, oder eine junge Frau, die sich in einen gut aussehenden, fremden König verliebt hatte?17 Zu verschiedenen Zeiten der römischen Geschichtsschreibung verkörperte sie jede einzelne dieser Frauen. Ihre Geschichte ist aus sechs Quellen überliefert, die insgesamt zweieinhalb Jahrhunderte umspannen und jeweils von einer anderen Tarpeia handeln. Einige Quellen enthalten schon allein vier oder fünf verschiedene Tarpeias. Livius, Dionysios von Halikarnassos und Plutarch listen jede einzelne Version des Mythos auf, die sie je in all den für uns heute verlorenen Schriften gelesen haben. Nur wenige davon überlappen.18 Tarpeia verwirrte die römischen Geschichtsschreiber zutiefst. Denn obwohl sie in den bekanntesten Versionen als gieriges kleines Mädchen dargestellt wird, das ihre Stadt gegen Gold verkaufte, wurde ihr jedes Jahr aufs Neue von ganz Rom gehuldigt und an ihrem Grab in der Mitte des Kapitols brachte man ihr Opfer dar. Dieser Widerspruch quälte die römischen Schreiber. Sie konnten die vorherrschende Version der Vergangenheit (Tarpeia, die Verräterin) einfach nicht mit der Gegenwart, in der sie lebten, in Einklang bringen (Tarpeia, der jedes Jahr Opfergaben dargebracht wurden). Dionysios von Halikarnassos verkündete irgendwann in einem Moment tiefster Resignation »Möge jeder die Angelegenheit nach eigenem Ermessen beurteilen« und ging einfach zum nächsten Punkt über.19
Von allen Interpretationen, die es von diesem Beat der Geschichte gibt, wird am häufigsten diejenige angeführt, in der Tarpeia ein junges Mädchen und die Tochter von Tarpeius ist, einem Mann, den Romulus mit der Bewachung des Kapitols betraut hat.20 Eines Tages verließ Tarpeia den Schutz der Stadtmauern, um Wasser zu holen (in einigen Versionen ist sie eine vestalische Jungfrau), und erhaschte dabei einen Blick auf die sabinischen Soldaten, die vor den Toren der Stadt herumlungerten. Als Teil ihrer traditionellen Tracht trugen die Sabiner breite goldene Armreifen und klobige Goldringe. Uns mag das Bilder einer Horde von Sopranos-Komparsen mit goldenen Siegelringen vor Augen rufen, aber ich bin mir sicher, sie haben einen würdevolleren Anblick abgegeben. Tarpeia war wie hypnotisiert von dem Gold, denn, wie wir alle wissen, finden Frauen wie die Elstern alles unwiderstehlich, was glänzt. Zu dieser natürlichen Veranlagung kam noch hinzu, dass sie in einem Rom lebte, in dem Luxus, Dekadenz und Schmuck zumindest in der Vorstellungswelt der männlichen Geschichtsschreiber der späten Republik noch nicht erfunden worden waren, weil es da ja noch keine Frauen gab. Fasziniert näherte Tarpeia sich also Tatius und schlug ihm einen Deal vor: Sie würde ihm die Tore der Stadt öffnen, und im Gegenzug würden er und seine Männer ihr geben, »was sie an ihren linken Armen trugen«. Dabei ist die mangelnde Präzision ihrer Worte entscheidend.
In jener Nacht schlich sich Tarpeia raus, öffnete das Tor und gewährte so dem gesamten sabinischen Heer Einlass ins Kapitol, das heiligste Zentrum Roms. Dann forderte sie, den köstlichen Schmuck der Männer vor ihren geweiteten Augen, ihren Lohn ein und stellte sich dabei vor, wie sie hundert identische Armreifen trug. Die weibliche Gier, von der die römischen Geschichtsschreiber überzeugt waren, dass sie die Wurzel allen Übels sei, hatte sie übermannt. Tatius’ Antwort kam schnell und enttäuschend. Während sein hübscher Armreif blieb, wo er war, kam der andere Gegenstand, den er am linken Arm trug – sein riesiger hölzerner Schild – durch die Luft geflogen. Hergestellt, um der Wucht eines Schwerthiebes standzuhalten, warf der schwere Schild das junge Mädchen zu Boden. Tatius befahl seinen Männern, seinem Beispiel zu folgen und Tarpeia ihren Lohn zu geben. Von allen Seiten kamen nun die Schilde geflogen. Einer nach dem anderen schleuderten die Soldaten sie Tarpeia entgegen, die von den Schilden zu Tode gequetscht wurde. Eine Verräterin, umgebracht von jenen, an die sie ihre eigene Stadt verkaufte und die am Ende in die Grube fiel, die sie sich selbst gegraben hatte. Dass sie von den Schilden der Sabiner, die ihr als Lohn zufliegen, erschlagen wird, ist das dritte Element in Tarpeias Geschichte, das in allen Versionen unumstößlich bleibt.
Über die römischen Jahrhunderte hinweg dachten römische Schriftsteller sehr viel und in vielen verschiedenen Genres über Tarpeia nach. Sie überlebte in Geschichten, Biographien, Dichtung und Moralhandbüchern – und das ist sicher nur ein Bruchteil ihres tatsächlichen Einflusses in der römischen Welt. Dabei taucht sie deshalb so oft auf, weil sie insgeheim die Heldin in Roms erstem Krieg ist. Wir müssen uns nur vorstellen, wie die Geschichte ohne Tarpeia aussehen würde. Dann klingt das Ganze weitaus weniger glanzvoll: Die Römer ärgerten die Sabiner, indem sie ein furchtbares Verbrechen begingen, und die Sabiner rächten sich, indem sie, beinahe ohne auf Widerstand zu stoßen, in die Stadt einfielen und ihre heiligsten, am stärksten befestigten Stadtteile besetzten. Ohne Tarpeia stellt es sich so dar, als hätten die Römer einen Streit angefangen und verloren, und die Römer hassten es zu verlieren. Tarpeia entlastet die römischen Männer. Es war nicht ihre Schuld, dass die Stadt fiel, dass das Kapitol entweiht wurde und der Feind sich in der heiligen Stadt breitmachte. O nein, es war die Schuld eines Mädchens, eines gierigen kleinen Mädchens, geblendet vom Glanz des Goldes. Was für eine Moral von der Geschichte.
Demzufolge war auch das Mädchen schuld, dass die Römer inmitten ihrer eigenen Stadt eine heftige Schlacht schlagen mussten und Rom so kurz nach seiner Gründung beinahe wieder dem Erdboden gleichgemacht worden wäre. Doch zum Glück gab es ein anderes Mädchen, das Rom rettete. In den Tälern zwischen den Hügeln Roms kämpften die Sabiner und die römischen Männer tagelang in tiefstem Matsch und Regen. An irgendeinem Punkt geriet ein Mann namens Curtius so tief in den aufgewühlten, stinkenden Schlamm, dass er sich gezwungen sah, sein verzweifeltes Pferd sich selbst zu überlassen, um das eigene Leben zu retten – wie Atréju und Artax in den Sümpfen der Traurigkeit in der Unendlichen Geschichte. In Erinnerung an diesen römischen Helden erhielt der Ort den Namen Lacus Curtius – See Curtius –, auch dann noch, als er längst zugepflastert worden war.21 Nach langen, harten Kriegstagen in der Stadt standen sich Römer und Sabiner schließlich ein letztes Mal gegenüber. Die finale Schlacht des dritten Aktes.
Die Sabiner, Väter, Brüder und Onkel der geraubten Frauen, zogen ihre Frontlinie am Fuße des Palatins, genau dort, wo heute die Kirche Santa Maria in Campitelli steht. Die Römer hingegen, inzwischen die Ehemänner und Liebhaber der Sabinerinnen, nahmen ihre Schlachtpositionen am Fuße des Kapitols ein, wo später der ursprüngliche Tempel der Vesta gebaut wurde. Sie überprüften ihre Pferde, polierten ihre Schwerter, brachten Ordnung in ihre Bataillone und bereiteten sich darauf vor, zu töten und zu sterben. Als sie tief Luft holten, um den Kampf zu beginnen, wurden sie von etwas unterbrochen, das Plutarch etwas phantasielos ein »unbeschreibliches Spektakel« nennt.22 In Scharen kamen weinende Sabinerinnen mit in Trauer geöffnetem Haar aus allen Richtungen von den Hügeln hinunter auf das Schlachtfeld geströmt. Viele waren schwanger, und einige trugen Säuglinge in ihren Armen, das Ergebnis ihrer römischen Ehen. Sie trugen ihre Kinder zu ihren sabinischen Verwandten oder ihren römischen Ehemännern, ließen sich flehend zu Boden fallen – und in der Mitte des Schlachtfelds stand Hersilia, Romulus’ Ehefrau.
An beide Heere gewandt sprach Hersilia die ersten Worte, die einer römischen Frau in der Geschichtsschreibung zugestanden werden. Sie hob die Stimme und fragte die Männer: »Welch schreckliches Unrecht haben wir begangen, dass wir so leiden mussten und weiterhin unter so viel Grausamkeit leiden müssen?«23 Zuerst, so donnerte sie, hätten die Römer sie und ihre Mitgefangenen gewaltsam entführt und zur Ehe gezwungen. Und dann waren ihre Väter, Brüder und Onkel auch noch einfach weggelaufen, kaum dass sie die römischen Schwerter erblickt hatten, und hatten sie so lange in ihrer Gefangenschaft allein gelassen, dass viele der Hunderte in Rom zurückgebliebenen Frauen schwanger geworden waren und römische Kinder geboren hatten. Die Sabinerinnen waren von Titus Tatius und dem Großteil seines Heeres fast ein ganzes Jahr lang ihrem Schicksal überlassen worden. Und nun, gerade als sie sich in Rom eingelebt und Frieden mit ihrem neuen Leben und ihrer neuen Identität als römische Frauen und Mütter römischer Kinder geschlossen hatten, tauchten plötzlich doch noch ihre Familien auf und begannen, ihre Ehemänner und die Väter ihrer Kinder umzubringen. Mit lauter Stimme, die über das ganze Tal getragen wurde, verlangte Hersilia von den Soldaten auf beiden Seiten, lieber sie und ihre Begleiterinnen statt sich gegenseitig zu töten, da »es besser für uns [ist] zu sterben, statt in Ermangelung eines jeden von euch zu leben, sei es als Witwe oder Waise«24.
Hersilias Worte trafen beide Seiten wie der Schlag. Die Tatsache, dass die Männer ihre Frauen so oder so verletzen würden, unabhängig davon, wer den Krieg gewann, schien ihnen bis zu dem Moment noch nicht in den Sinn gekommen zu sein. Plötzlich erkannten die Sabiner, dass die Römer ihnen, indem sie die Sabinerinnen heirateten und schwängerten, die Verwandtschaft aufgezwungen hatten. Das machte den Krieg zu einer Familienfehde. Die Römer hatten die Großväter ihrer Söhne und ihre eigenen Schwager mit Pfeilen abgeschossen, während die Sabiner die Kehlen ihrer Schwiegersöhne aufgeschlitzt hatten. Sie alle hatten furchtbare, schmutzige Familienmorde begangen. Durch die Eheschließungen und ihre Kinder hatten die Sabinerinnen zwei getrennte Völker zu einem gemacht. Genau wie Romulus es von Anfang an gewollt hatte. Hersilia zwang die Männer, dieser Tatsache ins Auge zu sehen und ihre Schwerter und – zumindest auf Seiten der Römer – Schilde niederzulegen, indem sie ihnen aufzeigte, dass die Ehe aus ihnen eine Familie gemacht hatte.
Der Waffenstillstand ist, wie er in römischen Quellen beschrieben wird, zugegebenermaßen ziemlich lachhaft. In römischen Interpretationen entschied Titus Tatius nicht nur, dass er den Krieg beenden und Frieden schließen wolle, sondern er wollte zudem die Sabiner:innen mit den Römer:innen vereinen, indem er Hunderte seiner eigenen Leute in der Stadt Rom ansiedelte, die ihren Namen beibehalten und sich auch sonst in keiner Weise verändern sollte. Tatius willigte zudem ein, gemeinsam mit Romulus König zu sein. Ich muss zugeben, dass ich nur zu gerne eine sabinische Version der ganzen Geschichte hören würde. In der römischen Version kam den Sabinern keinerlei Verhandlungsspielraum zu, da die Römer die Frauen besaßen. Wer die Ladys hat, der hat die Macht, so der Grundsatz, den ich soeben erfunden habe. Um diesen wundervollen Vertrag zu feiern, in dem Tatius einfach umgeknickt war und all seine Souveränität sowie einen Großteil seiner Macht aufgegeben hatte, um in eine Stadt zu ziehen, die er noch eine Woche zuvor als Hort des gemeinen Abschaums betrachtet hatte, beschloss Romulus, die dreißig curiae (Wahlbezirke) nach dreißig Sabinerinnen zu benennen. Leider ist in keiner der Aufzeichnungen festgehalten, wie diese dreißig Glücklichen auserwählt wurden. Vielleicht in einer Talentshow. Da heute nur noch sieben der ursprünglichen curiae-Namen erhalten sind, wissen wir nicht, ob Hersilia eine dieser gewürdigten Frauen war, doch an Tarpeia wurde im Namen des Tarpejischen Fels erinnert, einem einsamen Gesteinsbrocken an der südlichen Spitze des Kapitolhügels, von dem man gerne besonders unerhörte Betrüger:innen stieß.25 Wie bereits erwähnt, wurde sie außerdem innerhalb der Stadtmauern begraben, und für viele Jahrhunderte hielten Priester:innen Riten an ihrem Grab am Kapitol ab.26 Tarpeia gelang es, in gewisser Weise unsterblich zu werden, und Hersilia gesellte sich zu ihr. Unter der Herrschaft des Augustus (wann auch sonst) machte der Dichter Ovid, zuvor überwiegend bekannt durch seine Sexgedichte, eine Pause davon, Poesie darüber zu schreiben, wie man Mädchen auf Partys aufreißt, und widmete sich stattdessen römischer Mythologie, um mit seinem Kaiser auf einen grünen Zweig zu kommen. Bei den Metamorphosen handelt es sich um eine Art Geschichtsepos über die Welt und Rom bis in Ovids Gegenwart (wie ihr seht, ein sehr beliebtes Thema in der Literatur der Augustus-Ära), und er schrieb natürlich auch über Romulus und Hersilia. In Ovids Version endet Romulus’ weltliches Leben nicht etwa mit dem Tod, sondern ihm wird die Unsterblichkeit geschenkt, indem er in den Gott Quirinus verwandelt wird.27 Die Assoziation von Romulus mit Quirinus taucht in vielen Quellen auf, doch Ovid hat das Ganze noch etwas ausgeschmückt. Zwanzig Verse seines Gedichts sind der Verzweiflung Hersilias über Romulus’ Einberufung in den Himmel gewidmet. Ihr steht nun ein langes restliches Leben in Einsamkeit und mit gebrochenem Herzen bevor. Doch zum Glück zeigte sich die mächtige Göttin Iuno, Frau des Iupiter, von ihrer Trauer bewegt und so beeindruckt von ihren Qualitäten als gute Ehefrau, dass sie beschloss, Hersilia zu erlauben, Romulus zu folgen. Die Botengöttin Iris bringt sie zum Kapitolhügel, ein Stern fällt vom Himmel, trifft auf Hersilia und trägt sie in den Himmel, wo sie sich in die Göttin Hora Quirini verwandelt.28 Ovid wollte damit einen Bezug zwischen Hersilia und Augustus’ Ehefrau Livia herstellen, da er angestrengt versuchte, mit Augustus auf gutem Fuße zu stehen (und scheiterte). Doch als Ergebnis machte er Hersilia zur vorbildlichen, Göttin gewordenen Ehefrau.
In diesen Geschichten, die man sich über die ersten römischen Frauen erzählte, erkannten die Römer, dass Frauen für sie doch irgendwie grundlegend waren. Dass es ohne Tarpeia und Hersilia keine Stadt Rom und kein Römisches Reich gegeben hätte. In römischen Gründungsmythen werden Tarpeia und Hersilia benötigt, um eine Situation herzustellen, in der die Sabinerinnen, die Römer und die Sabiner allesamt auf engstem häuslichem Raum beisammen sind und der Krieg beendet werden kann. Beide Frauen werden gebraucht, damit die Stadt fortbesteht und erblüht. Die klassische Version des Gründungsmythos Roms, wie sie oft in modernen Medien erzählt wird, klammert Hersilia aus und streicht oft auch Tarpeia. Es handelt sich dann nur um eine Geschichte von Mord, Krieg und Königen, in der Frauen lediglich den unsichtbar im Hintergrund verorteten, homogenen und oft unnötigerweise nackten Fleck »der Sabinerinnen« bilden.
Römer:innen hingegen erzählten die Geschichte anders. Bei ihnen waren die Frauen ein Schlüsselelement: Jede Version macht die Frauen zu den Gründerinnen der Stadt und dem Klebstoff, der sie zusammenhält. Wieder und wieder wird Tarpeia als Heldin und Verräterin diskutiert, gedeutet und neu interpretiert. Die Römer:innen waren sich bewusst, dass es ohne sie keinen Waffenstillstand und keine Intervention vonseiten Hersilias gegeben hätte. Ohne sie wäre Rom in Italien eine geächtete Stadt geblieben. Hersilia hingegen wird als Romulus’ Frau verstanden, da sie tut, was römische Ehefrauen am besten können: Sie überzeugt ihren Ehemann, etwas Einfühlsames und Gnädiges zu tun.29 Verheiratete Frauen – Ehefrauen – sind im Gründungsmythos Roms ganz besondere Heldinnen, da sie als Vertreterinnen der Interessen der Allgemeinheit und Verbindungsglied zwischen verschiedenen Männern fungieren. Ehefrauen machen aus Fremden Brüder und Söhne. Wenn Ehefrauen Mütter werden, knüpfen sie das Band sogar noch enger und verwandeln zwei getrennte Sippen in eine große, widerwillige Familie, die gemeinsam angespannte Saturnalien feiert. Ohne Ehefrauen kämpfen, töten und sterben Männer ohne jeglichen Sinn und Zweck. Ehefrauen geben ihnen eine Zukunft, ein Vermächtnis und eine Familie.
Die Königin
Hersilia mochte die Frau des ersten Königs gewesen sein, doch Rom hatte keine echte Königin, bis Tanaquil kam. In den 99 Jahren und vier Königen zwischen Romulus’ Tod und dem Aufstieg von Tanaquils Ehemann gab es keine namentlich bekannte Frau im Palast (abgesehen von Romulus’ Nachfolger Numas angeblichen »nächtlichen Konsultationen« mit einer Nymphe).1 Mit Tanaquil änderte sich das. Sie leitete eine kühne neue Epoche der römischen Monarchie ein: die des chaotischen Inzests und der Morde.
Genau wie Hersilia war auch Tanaquil nicht von Geburt an Römerin. Sie war Etruskerin, geboren und aufgewachsen in der Stadt Tarquinii in Latium. Obwohl sie einer angesehenen aristokratischen Familie entstammte, heiratete sie einen neureichen Ausländer namens Lucomo. Lucomos Vater kam aus Korinth in Griechenland nach Tarquinii, wo er sich niederließ, nachdem er durch politische Gewalt und den Aufstieg eines Tyrannen aus seiner Heimatstadt gejagt worden war. In Tarquinii heiratete er ein Mädchen aus der Gegend und hatte mit ihr zwei Söhne. Da er seinen Bruder überlebte, erbte Lucomo nach dem Tod seines Vaters den gesamten Besitz. Durch sein riesiges Erbe war Lucomo reich genug, um eine aristokratische Frau zu heiraten, doch die Tatsache, dass sein Vater Grieche gewesen war, konnte er auch mit all seinem Reichtum nie wettmachen.2 In der alten und geachteten Stadt Tarquinii würde man ihn nie ganz akzeptieren und wegen des Erbes seines Vaters immer auf ihn herabsehen. In Tarquinii galten lediglich Leute, die seit Generationen in der Stadt geboren und aufgewachsen waren, als echte Aristokrat:innen.
Hätten Tanaquil und Lucomo einfach nur ein komfortables Leben in familiärer Umgebung angestrebt, dann wäre ihr sozialer Status kein Hindernis gewesen. Das Paar hätte ein angenehmes Luxusleben in einer großen etruskischen Stadt führen können. Doch beide, insbesondere Tanaquil, strebten nach mehr. Livius beschreibt Tanaquil als »eine Frau von erhabener Geburt und nicht von einem Charakter, der einen niedrigeren Rang leicht erträgt«, was in meinen Augen auf eine Frau hindeutet, die vielleicht nicht vollkommen hin und weg war von dem Ehemann, den sie bekommen hatte.3 Zu ihrem Glück lockte Rom mit einem alternativen Schicksal. Mit den nur 115 Jahren, die seit dem Bau von Romulus’ erster, niedriger Stadtmauer vergangen waren, handelte es sich nach italienischem Verständnis um eine nach wie vor junge Stadt, und sie hatte den Ruf einer brodelnden Meritokratie, in der jede:r auftauchen und sich einen Namen machen konnte. Die römische Staatsbürgerschaft war noch immer allen Menschen aus dem Mittelmeerraum zugänglich, und diejenigen, die nach einem sozialen Status strebten, der ihnen in ihren gestandenen Heimatstädten verwehrt blieb, kamen vorbei, um Römer:innen zu werden.
Eingeengt von der strikten sozialen Hierarchie in Tarquinii, wo das Blut ihres Mannes sie stets entwerten würde, wo ihre Kinder nie in die höchsten Ränge aufsteigen würden und sie selbst stets gedemütigt wäre, versprach die wilde Jugend Roms unendliche Möglichkeiten. Dort gab es Raum für Männer und Frauen, die mehr wollten. Daher überzeugte Tanaquil ihren Mann in Livius’ Darstellung, dass sie ihre Heimatstadt, ihre Freund:innen und ihre Familie verlassen und versuchen sollten, im hellen Lichte Roms etwas aus sich zu machen. Und so begaben sie sich auf einen 100 Kilometer langen Trip nach Süden.4 Mir gefällt diese Geschichte sehr, da sie so zeitlos daherkommt. Die Kleinstadt-/Alte-Welt-Kinder ziehen aus, um sich ein Leben in der großen Stadt/Neuen Welt aufzubauen, ein leuchtendes, frisches Land der unendlichen Möglichkeiten gleich hinter dem Horizont, ein junges Paar, verbunden durch ihr Streben nach mehr. Man spürt praktisch die Broadway-Klänge aufbrausen, als sie in ihre kleine Kutsche steigen und sich auf den Weg ins Neuland begeben. Und wäre dies ein Musical, dann würde direkt auf die Nachricht, die Tanaquil und Lucomo von den Gött:innen erhielten und in der ihnen ihr Schicksal mitgeteilt wurde, eine Pause folgen. Auf ihrer Reise entlang der einsamen Straße nach Rom, gerade als sie Ianiculum erreichten (heute ein Teil der Stadt), stürzte ein Adler auf sie herab und stibitzte zielgenau das pilleum von Lucomos Kopf. Bei einem pilleum handelt es sich um einen leicht spitzen Filzhut, der mit Freiheit in Verbindung gebracht wurde und im Auge des modernen Betrachters etwas lächerlich wirkt, ein bisschen wie eine Schlumpfmütze. Dieses Bild sollte man definitiv in unser imaginäres Musical miteinbeziehen. Der Adler flog einen kleinen Kreis über der Kutsche und ließ den Hut dann sanft wieder auf Lucomos Kopf fallen, bevor er mit lautem Schreien davonjagte. Was diese Geschichte besonders beeindruckend macht, ist die Tatsache, dass Lucomo und Tanaquil in einer überdachten Kutsche reisten.
Für uns, und vielleicht sogar Lucomo, handelt es sich um eine amüsante Anekdote, die man sich beim Abendessen erzählt. »Damals, als ein Adler meinen Hut geklaut und wieder zurückgebracht hat« ist im Grunde die viel bessere Version von meiner Geschichte über damals, als eine Möwe in Brighton mir absichtlich vor die Füße geflogen ist, damit ich stolperte und sie sich mein Stück Pizza schnappen konnte. Wenn ihr eine sprühendere Fassung dieser faszinierenden Geschichte hören wollt, dann ladet mich gern zu einem gemeinsamen Abendessen ein!
Tanaquil sah in dem Adler jedoch ein ganz klares Omen, ein Wunder mit einer Nachricht vom Himmel. Schließlich war Tanaquil Etruskerin, und Etruskerinnen galten als besonders begabt darin, göttliche Nachrichten zu lesen. Aufgeregt legte sie Lucomo dar, was tatsächlich gerade geschehen war: Der Adler war aus einem ganz bestimmten Teil des Himmels herabgekommen und hatte dementsprechend eine Nachricht von einem ganz bestimmten (namenlosen) Gott überbracht. Er hatte den höchsten Teil von Lucomos Haupt berührt und seine Kopfbedeckung entfernt – ein unmissverständliches Zeichen für Herrschaft. Dann hatte er den Hut wieder zurückgebracht. Im Grunde, so Tanaquil, war Lucomo vom Himmel gekrönt worden. Sie las den Zwischenfall als Prophezeiung des unweigerlichen Erfolgs ihrer Mission. Sie würden Rom regieren.
Und so passierten sie beschwingt die Stadttore. Ihr seht schon, warum jetzt der perfekte Moment für eine Pause wäre.
Da wir jedoch hier nicht im Theater sitzen, bekommt ihr lediglich einen neuen Absatz. Tut mir leid. Das Paar traf während des ersten Herrschaftsjahres des vierten Königs der Stadt ein: Ancus Marcius, Enkel des zweiten Königs Numa, und der erste König, der einen erblichen Anspruch auf den Thron erhob. Die Römer wählten ihre Könige in einem etwas komplizierten Prozess, bei dem zunächst der Senat ein paar Kandidaten vorschlug, dann das Volk für (oder gegen) besagte Kandidaten stimmte und am Ende der Senat die Wahl ratifizierte, um eine endgültige Entscheidung zu fällen. In dieser Zeit übernahm ein Senator die zeitlich begrenzte Rolle eines interrex, der Abläufe überblickte und den neuen König krönte. Damit sollte sichergestellt werden, dass nur die besten und qualifiziertesten Männer die Herrschaft übernahmen, die ihre Fähigkeiten bereits unter Beweis gestellt hatten, und nicht irgendein privilegierter, begriffsstutziger Prinz ohne jegliche Begabungen. Mit seinem königlichen Blut ließ Ancus die erste, leise Glocke läuten, dass dieses Prozedere womöglich nicht unfehlbar war.
Nicht, dass das Lucomo und Tanaquil gestört hätte, als sie sich daranmachten, sich bei der römischen High Society einzuschleimen. Um bloß nicht anzuecken, änderte Lucomo seinen Namen umgehend in Lucius Tarquinius Priscus.[1] Ciao, Lucomo der Ausländer, hallo römischer Aristokrat Tarquinius. Das Paar gewann mit einer Kombination aus Großzügigkeit, Gastfreundschaft, Freundlichkeit und guten Ratschlägen die Zuneigung von so gut wie allen in der Stadt, einschließlich des Königs.5 Binnen weniger Jahre hatte sich Tarquinius bis in den innersten Kreis um den König hochgearbeitet und wurde schon acht Jahre nach seiner Ankunft in Rom auserkoren, die Kavallerie in einem Krieg gegen die Latiner im Jahr 631 v. Chr. in die Schlacht zu führen. Als Ancus schließlich im Jahr 616 v. Chr. friedlich im Schlaf verstarb, war Tarquinius zum Vormund seiner minderjährigen Söhne aufgestiegen. So gut war er darin, sich beliebt zu machen, und so offen zeigte sich Rom gegenüber Fremden.
Jeder ältere (wohlhabende) Mann jeglicher Vergangenheit konnte einfach so aufkreuzen, gut situierte Leute zum Abendessen einladen, ein paar wohl durchdachte Geschenke verteilen und sich mit einem Mal im Zentrum des königlichen Hofes wiederfinden, genau wie jeder andere Römer auch. Man konnte so vertrauenswürdig, so römisch werden, dass man bei einer plötzlichen Lücke auf dem römischen Thron mit einem Mal eine Nominierung durch den Senat für die Herrschaft über Rom erhalten konnte. Und genau das widerfuhr Tarquinius.
Nach seiner Nominierung beschlossen Tarquinius und Tanaquil, ein klein wenig nachzuhelfen, um ihren Erfolg bei der Wahl sicherzustellen. Obwohl Romulus und Numa ihr Bestes getan hatten, um einem Erbschaftssystem vorzubeugen, tendierte der römische Hang zu Vetternwirtschaft und Familienbanden dazu, alles andere zu überrollen. Ancus’ zwei Söhne waren ebenfalls für den Thron nominiert worden und ihre königliche Abstammung gab ihnen trotz ihres jungen Alters einen leichten Vorteil gegenüber den Newcomern. Wenn sie jedoch nicht zur Wahl erschienen, dann konnten sie auch nicht gewählt werden. Daher lotsten Tarquinius und Tanaquil sie zu einem Jagdausflug in der ländlichen Umgebung, statt dem langweiligen Treffen der Erwachsenen beizuwohnen. Unbekümmert ritten die Jungs auf und davon und gaben Tarquinius damit die Möglichkeit, eine rauschende Rede zu halten und sich zum König wählen zu lassen, bevor die Menschen wussten, wie ihnen geschah. Auf diese Weise führten die beiden Etrusker:innen Wahlkampagnen einerseits und Tricksereien andererseits in das einst so lupenreine römische System ein. Sie fügten ihm winzige Risse zu. Als Nächstes verdoppelte Tarquinius die Größe des Senats, indem er hundert neue Senatoren ernannte, die ihm gegenüber – und da ging er auf Nummer sicher – bedingungslos loyal waren und über dem Staat standen. Zum ersten Mal überhaupt kam es im Senat zur Entstehung von Parteien.
Trotz der zweifelhaften Begleitumstände ihres Aufstiegs herrschten Tarquinius und Tanaquil glücklich für mehrere Jahre. Tarquinius tat, was Rom am besten konnte, und führte unentwegt Kriege gegen seine Nachbarn, unter anderem auch gegen eine Stadt namens Corniculum. Bei der Plünderung der Stadt versklavten die Römer viele Menschen und verschleppten sie nach Rom, darunter auch eine Frau namens Ocrisia, die möglicherweise die Frau des Königs von Corniculum gewesen war (oder auch nicht) und zu dem Zeitpunkt möglicherweise schwanger war (oder auch nicht). In Livius’ Version der Dinge war Ocrisia jedenfalls bereits bei ihrer Gefangennahme schwanger, wurde als adlige Frau anerkannt und führte, in Anerkennung ihres sozialen Standes, fortan ein Leben als Begleiterin von Tanaquil.6 Dieser Version zufolge brachte Ocrisia als freie Frau und königliche Geisel im römischen Palast einen Sohn namens Servius Tullius zur Welt.
Es gibt jedoch noch eine viel lustigere Version der Geschichte, wie sie von jeder anderen Quelle, von Dionysios über Plinius dem Älteren bis hin zu Ovid berichtet wird. Dieser Version zufolge entstammte Ocrisia weder einer königlichen Familie, noch war sie schwanger. Sie wurde von Tarquinius versklavt und Tanaquil als ancilla, als Dienstmädchen, geschenkt. Nach Jahren in ihrem Dienst hantierte Ocrisia eines Tages vor den Augen Tanaquils mit dem semi-heiligen Feuer des königlichen Haushalts herum, als plötzlich zur allgemeinen Überraschung ein riesiger Pimmel der Asche entstieg. An dieser Stelle drucksen alle römischen Autoren plötzlich herrlich herum, obwohl doch ihre Häuser über und über mit Schwänzen dekoriert sind. Ovid spricht voller Scham von »einer obszönen maskulinen Form«, was bei einem Mann, der ein Gedicht darüber geschrieben hat, dass Mädchen im Bett Pornostar-mäßig laut sein sollten, ziemlich lustig ist. Plinius hat sich unterdessen vage für »ein männliches, genitales Organ« entschieden, für den Fall, dass jemand in Ohnmacht fällt, sollte er oder sie das Wort »Penis« lesen.7 Der Pimmel aus Aschewolken schwängerte jedenfalls die arme Ocrisia, weil Tanaquil, die wiederum in der Lage war, dies als ein deutliches »Komm schon« der Gött:innen zu erkennen, ihr befahl, sich auf das Feuer zu setzen und es zu vögeln, und Ocrisia gehorchte.
Wieder handelte Tanaquil als Interpretin der Gött:innen, die erkannte, dass sie den Römer:innen einen Helden geben wollten, »einen die menschliche Natur übertreffenden Spross«, und dass Ocrisia das auserwählte Mittel war.8 Wie die Jungfrau Maria, nur etwas derber. Wessen Schwanz da am Ende in der Asche herumwirbelte, bleibt Gegenstand vieler Debatten. Ovid behauptete ziemlich eindeutig, dass er zu Vulcanus gehörte (die römische Version des Hephaistos, nicht die Leute mit den spitzen Ohren aus Star Trek), während Plinius der Meinung war, dass der Lar der Familie, eine Art Schutzgottheit des Hauses, der göttliche Vater war. Außerdem stellte ein englischer Übersetzer von Plinius aus dem 19. Jahrhundert die niedliche (und viiiiel zu weit hergeholte) Theorie auf, dass Tarquinius Ocrisia geschwängert und es dann verschleiert hatte, um »dem Zorn von Königin Tanaquil zu entfliehen«. An dieser Stelle ist schön zu beobachten, wie ein (mehr oder weniger) moderner Kommentator Tanaquil von einer weisen Mediatorin zwischen göttlichen und sterblichen Sphären in eine gehörnte Hexe verwandelt, die ihrem betrügerischen Ehemann, der sie übrigens auch hasst, eine Heidenangst einjagt.9 Das ist Frauenfeindlichkeit in ihrer reinsten Form, Leute.