Eine himmlische Freundschaft - Mirjam Müntefering - E-Book
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Eine himmlische Freundschaft E-Book

Mirjam Müntefering

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Beschreibung

"Zum ersten Weihnachtsfest als Rentner bekommen wir einen Hund", hatte Karl gesagt, doch seit er nicht mehr da ist, hat seine Witwe Helene andere Sorgen: Haben es die Flüchtlinge, die neuerdings im Haus wohnen, etwa auf ihren Garten abgesehen?

Als Helene Trost an Karls Grab sucht, hört sie ein Fiepen aus dem Müllcontainer. Ein Welpe blinzelt ihr entgegen. Und damit nimmt das Schicksal seinen Lauf. Der kleine Hund stellt Helenes Leben auf den Kopf und verändert sogar den Blick auf ihre syrischen Nachbarn. Ist er Welpe vielleicht ein Geschenk des Himmels? Den Zauber der Weihnacht bringt er jedenfalls nicht nur in Helenes Leben ...


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Inhalt

CoverÜber dieses BuchÜber die AutorinTitelImpressumKein dritter AdventSchönes Nicht-WeihnachtenSpuren im SchneeBesuch von FremdenEin kleiner, guter FreundSchon Abschied nehmen?Aufs Gefühl vertrauenDas schönste GeräuschWas ist Seele?Schnee für AzmiAnders gekommenBasima heißt LächelnEin Nicht-WeihnachtsbaumAuf den Hund gekommenEin himmlischer FreundDas erste Fest von vielen

Über dieses Buch

»Zum ersten Weihnachtsfest als Rentner bekommen wir einen Hund«, hatte Karl gesagt, doch seit er nicht mehr da ist, hat seine Witwe Helene andere Sorgen: Haben es die Flüchtlinge, die neuerdings im Haus wohnen, etwa auf ihren Garten abgesehen? Als Helene Trost an Karls Grab sucht, hört sie ein Fiepen aus dem Müllcontainer. Ein Welpe blinzelt ihr entgegen. Und damit nimmt das Schicksal seinen Lauf. Der kleine Hund stellt Helenes Leben auf den Kopf und verändert sogar den Blick auf ihre syrischen Nachbarn. Ist er Welpe vielleicht ein Geschenk des Himmels? Den Zauber der Weihnacht bringt er jedenfalls nicht nur in Helenes Leben ...

Über die Autorin

Mirjam Müntefering, geboren 1969 im Sauerland, studierte Theater- und Filmwissenschaften sowie Germanistik und arbeitete als Fernsehredakteurin. Seit dem Jahr 2000 schreibt sie Jugendbücher und Romane für Erwachsene. Nachdem sie mehrere Jahre lang eine eigene Hundeschule betrieb, konzentriert sie sich inzwischen ganz aufs Schreiben. Sie lebt mit ihrer Partnerin und ihren Hunden im Ruhrgebiet.

Mirjam Müntefering

Eine

himmlische

Freundschaft

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige eBook-Ausgabe

des in der Bastei Lübbe AG erschienenen Werkes

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

Originalausgabe

Copyright © 2017 by Bastei Lübbe AG, Köln

Lektorat: Daniela Jarzynka

Textredaktion: Ulrike Strerath-Bolz, Friedberg

Umschlaggestaltung: Ann-Kathrin Busse, Pfinztal

Einband-/Umschlagmotiv: Ann-Kathrin Busse, Pfinztal

Innenillustrationen: Ann-Kathrin Busse, Pfinztal

eBook-Produktion: Dörlemann Satz, Lemförde

ISBN 978-3-7325-4929-0

www.bastei-entertainment.de

www.lesejury.de

Kein dritter Advent

Es ist Mitte Dezember. Morgen ist Sonntag, schon der dritte Advent. Aber nur für die anderen. Für mich nicht.

Ein saftig grüner, mit roten Kugeln geschmückter Tannenzweigkranz mit einer unberührten und drei brennenden Kerzen darauf würde mir vorkommen wie ein schlechter Witz. Womöglich noch Weihnachtslieder aus dem Radio dazu. Das fehlte mir noch. Nein, statt solchen Schnickschnack zu veranstalten, werde ich auch morgen hierherkommen, unter die große Eibe – so wie heute, so wie jeden Tag in den letzten Monaten.

In diesem Jahr wird es kein Weihnachtsfest für mich geben. Das wusste ich schon im Frühling. Als mein lieber Karl, mit dem zusammen ich das Fest sechsundvierzig Jahre lang gefeiert habe, beim Setzen der Kohlrabipflänzchen im Gemüsebeet einfach umfiel und liegen blieb.

»Im Dezember geh ich in Rente!«, hatte er ein paar Tage zuvor noch gesagt. »Das wird das wunderschönste Weihnachten, das wir je hatten, mein Lenchen. Wart’s nur ab! Denn zu Weihnachten bekommen wir endlich einen Hund!«

Als ich jetzt daran denke, muss ich den dicken Schal um meinen Hals ein wenig lockern. Irgendwie ist da plötzlich so ein Kloß in meiner Kehle, der den Mantelkragen enger scheinen lässt.

Denn seit dem Frühjahr ist in meinem Leben eigentlich nichts mehr wunderschön gewesen. Nicht der Duft des Flieders neben unserer Terrassentür oder die wogenden Blüten vom Jasmin am Jägerzaun zum Nachbargrundstück. Nicht der warme Sonnenschein auf meiner immer faltiger werdenden Haut oder der strahlende Regenbogen, der sich einmal über den ganzen Stadtteil zog.

Der Hund, von dem Karl immer geträumt hat, wird niemals in unsere hübsche Erdgeschosswohnung inmitten der Genossenschaftssiedlung einziehen. Allein die Vorstellung, dort könnte etwas so Lebendiges über unsere Löwenzahn-, Wiesenschaumkraut- und Gänseblümchenwiese toben, ist absurd. Noch absurder als das, was unser Garten das ganze Jahr über direkt vor meinen Augen veranstaltet hat. Wie konnten all die hübschen Stauden, die Karl und ich vierzig Jahre lang gemeinsam gehegt und gepflegt haben, einfach so tun, als wäre nichts geschehen? Sie schoben sich aus der Erde, und an ihrer Spitze explodierten alle Farben des beginnenden Sommers. Ich konnte nicht anders: Ich fühlte mich von ihnen verspottet. Und doch kümmerte ich mich weiter sorgfältig um den ganzen Garten. Um die Blumen in den Beeten, das Gemüse auf dem Küchenacker. Ich harkte Unkraut, goss und tat ganz allein alles, was sonst Karl und ich gemeinsam getan hätten. Obwohl nichts mehr so war wie vorher.

Aber ich musste es ja schließlich tun. Denn mir ist durchaus bewusst, dass es neuerdings Neider gibt. Die Wohnung im zweiten Stock hatte lange leer gestanden. Und dann hieß es im August plötzlich, es würden Flüchtlinge einziehen. Flüchtlinge!

Ich hatte sie schon vor mir gesehen: große, schwarzhäutige Männer mit fremder, rasselnder Sprache und lautem Lachen, die wilde Musik hörten und nachts heimlich auf dem Balkon Schafe schächteten, sodass das Blut der armen Tiere geradewegs zu mir herunter auf die Terrasse tropfen würde.

Ehrlich gesagt hatte mein Schlaf unter dieser Vorstellung ein wenig gelitten. Schließlich bin ich tagsüber meist allein im Haus. Ehepaar Hechmeier aus dem ersten Stock arbeitet den ganzen Tag und ist zudem viel verreist. Und die Studenten in der Wohnung unterm Dach kommen, glaube ich, nur zum Schlafen hierher. Deswegen hatte ich dem Einzug der Flüchtlinge mit sehr mulmigen Gefühlen entgegengesehen.

Und dann war ich doch etwas überrascht, als ich sie sah. Es war nämlich eine kleine, zarte Frau mit großen dunklen Augen und schwarzem Haar. Und ohne Kopftuch. An ihrer Hand ein schmächtiger Junge von vielleicht zehn Jahren. Zuerst war ich erleichtert, denn die beiden sahen nicht besonders bedrohlich aus.

Doch dann fiel es mir auf: Sie beobachteten mich. Sie beobachteten unseren Garten. Manchmal standen sie gemeinsam dort oben auf ihrem schmalen Balkon und sahen herunter. Meistens war es allerdings nur der Junge, der sich hinter der Balkonbrüstung verbarg und durch die Lücken herunterspähte.

Mir ist natürlich klar, was sie vorhaben: Sobald ich hier unten auch nur ein bisschen Schwäche zeige, werden sie zur Hausverwaltung gehen und verlangen, dass ich den Garten mit ihnen teile und sie ihr eigenes Gemüse hier anpflanzen dürfen. Den Garten, in dem mich alles an meinen Karl erinnert. Deswegen habe ich mich den ganzen Sommer und Herbst lang vorbildlich um alles gekümmert. Jetzt, im Dezember, ist natürlich nichts mehr zu tun da draußen. Die Beete sind sorgfältig mit Reisig abgedeckt, der Küchengarten ist umgegraben, die Rosen sind in wärmendes Vlies gehüllt. Und ich muss nicht mehr jeden Tag hinaus.

Stattdessen kann ich ein wenig länger hierbleiben, an diesem stillen Ort unter dem großen Baum. Ich lehne mich gern an den breiten, duftenden Stamm der Eibe. Karl hat so große, alte Bäume auch immer geliebt. »Die haben so vieles gesehen und wissen mehr, als wir denken, glaub mir, Lene«, hat er immer gesagt. Deswegen habe ich genau diesen Platz ausgesucht. Ich bin sicher, er gefällt ihm.

Es ist kalt geworden in den letzten Tagen, und aus den Schneewolken am grauen Himmel lösen sich gerade die ersten Flocken. Doch ich stehe unter den ausladenden immergrünen Zweigen geschützt und kann unter ihnen hinausschauen auf die Landschaft, die vor mir liegt wie das Innere einer Schneekugel.

»Ach Karl, wenn du doch noch hier wärst«, sage ich leise. »Du mochtest doch den ersten Schnee immer so gern.«

Natürlich antwortet er nicht. Er wird mir nie wieder antworten.

Schönes Nicht-Weihnachten

Auf dem Rückweg will ich noch beim Krämer gegenüber reingehen. Ja, ja, ich weiß, das heißt eigentlich nicht mehr so. Karl hat auch immer drüber gelacht. Aber ich bin mit dem Begriff aufgewachsen und finde, er passt herrlich zu dem kleinen Laden. Nur beim Krämer bimmelt noch eine helle Glocke über der Tür, die man aufklinken muss. Nur hier gibt es Bedienung an der kleinen Obst- und Gemüsetheke, steht Waschmittel neben Konserven mit Fertigsuppe und Zweierpacks Toilettenpapier im Regal. Nur hier kennt man einander beim Namen und trifft Bekannte und Nachbarn.

Leider auch manchmal solche, denen man nicht so gern begegnen möchte. Als ich heute nach der Türklinke greife, wird die von innen gerade heruntergedrückt. Und vor mir steht der kleine Flüchtlingsjunge aus dem zweiten Stock.

Seine Augen wirken im düsteren Nachmittagslicht wie zwei schwarze Käferchen, die mich anglimmen. Ich schrecke kurz ein wenig zurück. Von so nah hab ich das Kind noch nie gesehen. Ist kleiner und dünner, als ich dachte, wenn ich im Sommer vom Balkon herunter seine bohrenden Blicke im Rücken spürte.

Jetzt schaut der Junge mich schon wieder so neugierig an und steht dabei im Weg herum. Da erscheint hinter ihm seine Mutter. Kein Wunder, dass das Kind so schmächtig ist. An der Frau ist ja gar nichts dran! Sie verschwindet geradezu in ihrem Wintermantel, der nebenbei bemerkt ziemlich abgetragen aussieht. Sie zischt ihrem Sohn etwas zu. Der tut einen großen Schritt zurück und hält mir die Tür auf.

Na so was! Wollen die mich etwa durch gutes Benehmen einwickeln? Damit ich ihnen irgendwann traue und sie ihr Ziel – ihr eigenes Gemüse in meinem Garten – auf diesem Wege erreichen?

Die Frau sieht mich ernst an, ganz kurz nur. Mein »Dankeschön« fällt so leise aus, dass ich gar nicht sicher bin, ob sie es gehört haben. Dann sind sie an mir vorbei.

Aus den kleinen Lautsprechern oben an der Decke erklingt Weihnachtsmusik. Der kann man derzeit nicht entkommen. Hier beim Krämer sind es wenigstens die Klassiker. Stille Nacht oder O du fröhliche mochten Karl und ich eigentlich nie. Uns waren moderne Weihnachtslieder lieber, weil die so viel beschwingter sind. Dazu kann man sogar tanzen. Und Karl und ich haben so gerne miteinander …

Als die Tür mit einem leisen Bimmeln hinter den Flüchtlingen zufällt, schaut Wilhelm auf, der mit einem Karton voller Nudelpäckchen vor einem Regal kniet.

»Hallo, gnäd’ge Frau, wie geht’s, die Dame?«, sagt er.

Wilhelm ist der jüngere Bruder des Inhabers Herrn Streuble. Die Familie stammt aus Österreich. Kam in den späten 1970er-Jahren hierher ins Ruhrgebiet. Das war genau zu der Zeit, als Karl und ich in unsere Wohnung gegenüber einzogen. Die Streubles haben sich wunderbar integriert seitdem. Führen den kleinen Krämerladen sauber und ordentlich und beteiligen sich jeden Sommer mit einem Waffelstand am Straßenfest. Inzwischen könnte man glauben, sie stammen hier aus der Gegend. Nur dem Nachzügler Wilhelm hört man seine Herkunft immer noch an. Mit seinen fünfundfünfzig Jahren ist er, nun ja, ein wenig zurückgeblieben, würde ich sagen. Aber stets sehr höflich und freundlich. Der kann wahrscheinlich keiner Fliege was zuleide tun.

Und deswegen nickt er jetzt auch zur Tür hinüber und strahlt: »Netter Bub, was? Seine Mutter kauft ihm jede Woche Sammelkarten fürs neue Fußballalbum.«

»So? Na, das ist ja fein«, erwidere ich und wende mich zu dem kleinen Gemüseregal. »Von unserem Geld«, setze ich noch leise hinzu.

»Aber nein, gnäd’ge Frau«, widerspricht Wilhelm und erhebt sich in seinem grauen Kittel, ohne den man ihn nur selten sieht. »Sie bezahlt alles ganz ordentlich. Mit Euro aus ihrem Portemonnaie.« Er räuspert sich. »Die einen sammeln Fußballbildchen fürs Album. Die anderen, so wie ich, sammeln Briefmarken. Ihr seliger Mann hatte eine tolle Briefmarken-Sammlung, stimmt doch, gnäd’ge Frau?«

Da kann ich nur nicken. Auf seine Markensammlung war Karl furchtbar stolz. Und wenn er mal wieder auf eine seiner heißgeliebten Briefmarken-Messen fuhr, hat er Wilhelm immer den einen oder anderen Satz mitgebracht. Ich habe immer gedacht, das sei so eine liebenswerte Spinnerei unter Männern. Aber nun fällt mir plötzlich auf, dass ich seit dem Frühjahr nicht mehr mit Wilhelm über seine Sammlung gesprochen habe. Doch als ich gerade den Mund öffnen und ihn danach fragen will – irgendetwas, denn so genau kenne ich mich damit ja gar nicht aus –, meldet sich Herr Streuble aus dem hinteren Ladenbereich, wo Büroartikel und Haushaltswaren zu finden sind.

»Lass gut sein, Wilhelm!«, sagt er etwas unwirsch. Und dann sehr viel freundlicher zu mir: »Kann ich behilflich sein, Frau Wischermann?«

»Ja, ich hätte gern drei von den roten Äpfeln.«

Herr Streuble kommt herbei. »Drei diesmal nur, Frau …? Ehm … ja, sicher, sicher. Drei«, murmelt er mit Blick auf meinen schwarzen Schal, den schwarzen Mantel und die schwarze Hose, die darunter hervorschaut.

Seit dem Frühjahr habe ich keine andere Farbe mehr getragen.

Herr Streuble pickt sorgfältig drei hübsche Äpfel aus der Auslage. Früher habe ich immer zehn Stück gekauft. Karl liebte diese Äpfel.

»Für Weihnachten schon alles vorbereitet, Frau Wischermann?«, fragt Herr Streuble aufgeräumt.

Ich räuspere mich und tue so, als schaute ich mir das Haltbarkeitsdatum der Aufbackbrötchen an.

»Dieses Jahr wird es kein Weihnachten für mich geben«, antworte ich mit möglichst fester Stimme.

»Ah … ja«, macht Herr Streuble und reicht mir die Äpfel. Da klingelt das Telefon im kleinen angrenzenden Büro-Lagerraum. »Oh … ähm … Wilhelm, kümmerst du dich um Frau Wischermann? Das wird der neue Lieferant sein.« Er eilt davon, offenbar froh, dass er der unangenehmen Situation entkommen kann.