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Inge Klottka (71) lebt auf dem Dykenhof ihren Traum einer Frauenwohngemeinschaft. Als der benachbarte queere Facettenhof sein zehnjähriges Jubiläum mit einem großen Fest feiern will, zieht Inge nach – mit ihrer eigenen Feier zum Dreißigsten, am selben Tag! Wiesenbüttel steht Kopf. Bald findet die 17-jährige Kati im Ruhrgebiet eine rätselhafte Einladung. Kati ahnt: In Wiesenbüttel könnte sie das Geheimnis um die Trennung ihrer Mütter lüften. Ihre Reise führt sie mitten hinein in ein turbulentes Doppel-Jubiläum – zwischen lila Luftballons, bunten Festtagsfähnchen und Begegnungen, die ihr Leben für immer verändern …
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Seitenzahl: 465
Veröffentlichungsjahr: 2025
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Mirjam Müntefering
MITTENDRIN
IM LILABUNT
Roman
HELMER
Triggerwarnung und »Glimmerversprechen« am Ende des E-Books
ISBN (E-Book) 978-3-89741-902-5
ISBN (Print) 978-3-8974-495-2
© 2025 E-Book nach der Originalausgabe
Ulrike Helmer Verlag, Sulzbach a. Taunus
Alle Rechte vorbehalten
Covergestaltung unter Verwendung einer Illustration von © Nataly / AdobeStock
Ulrike Helmer Verlag
Klosterhofstr. 3, 65843 Sulzbach a. Taunus
E-Mail: [email protected]
www.ulrike-helmer-verlag.de
FürmeineVerbündetenindenaltenZeitenderDemos,
ProtesteundhartenKämpfeanallenFronten.
UndfürmeineneuenVerbündetenindenheutigen
ZeitendesWeitermachens, Sichtbarseins,
desSeiteanSeiteundderFreundschaft.
Wirgehörenallezusammen.
1. Kapitel
27. Juli – Wunderschöner, stinknormaler Samstag
Inge
Wiegut, dassnichtsaufderWeltmirdieseskleineParadiesnehmenkann.
Mein schönstes Ritual des Tages ist der frühe Spaziergang hindurch, über die verschlungenen Gartenpfade bis zu dieser alten Bank. Das orgiastische Vogelkonzert der Morgendämmerung, das mich geweckt hat, gleitet in harmonisches Tirilieren über. Die aufsteigende Sonne malt rote und orange Muster auf das sich leicht kräuselnde Wasser vor mir. Im Schilf raschelt es und auf meinem Lieblingsplatz am Ufer sitzend kann ich das leise Piepen der Entenküken hören. Diese Szenerie, denke ich jedes Mal, kommt dem Paradies sehr nahe. Natürlich so, wie ich es mir vorstelle, ganz ohne Kirche und Pfarrer und Weihrauchgedöns, sondern mit Natur und Frieden und Harmonie.
MeinGarten, derandenaltenLöschteichWiesenbüttelsmitteninderLüneburgerHeideangrenzt, liegtjetztimHochsommererwartungsvollunterdemTau. DieGemüsebeetebersten, diemeistenObstbäumesindmitNetzenabgedeckt. Nureinpaarlasseichohne, damitStareundAmselnsichgütlichtunkönnen. IndenStaudenrabattenwartendienochgeschlossenenBlütenmeinerSchätzchenaufdenSonnenscheindesTages, umdanninallenFarbendesRegenbogenszuexplodierenundindieWelthinauszuschreien: DasLebenistschön! Genießes! Jetzt!
IchschnappemirdasHandtuch, dasichwiejedenMorgenschonmithinausgenommenhabeundschluppeinmeinenGartenlatschenzurRückseitedesDykenhofeshinüber.
ZwischendemgroßenWohngebäudeausFachwerksamtReetdachunddemgemauertenHühnerstall, worinGockelElvisumdieseUhrzeitbereitsdiebaldigeÜbernahmederWeltherrschaftankündigt, steuereichdieAußenduschean.
MeinenBademantelhängeichandenHakenunddrehedasWasserauf. DerersteMomentistimmereineÜberwindung, denndieLeitungbrauchtklackerndundgurgelndeinbisschen, umwarmesWasserzumkaltenzumischen. AberbaldsteheichbehaglichseufzendunterderBrause, schäumemichmitselbst gemachterSeifeeinundwinkeBauerHenrichszu, deraufseinemTraktorüberdenAngerholpert. Erwinktzurück. DochdannerstarrtseineHandinderBewegung, ruckartigwendeterdenKopfabundderTreckermachteinenSchlenker, eheermiterhöhterGeschwindigkeitüberdieDorfstraßedavondröhnt. IchkichereundhaltemeinenKopfindenWasserstrahl, umauchdasShampooauszuspülen. Daswirdjedochnichts, dennmiteinemMallässtderDuschregennach. DasRohrgibtnocheinenbemühtenSprotzervonsich, eheauchdieletztenTropfenversiegen.
Nichtschonwieder! Ichseufze, schlüpfeinBademantelundSchluppenundeilezumHintereingangdesHofes.
InderKücheistMechthildbereitsdabei, denKleiebreifürHanniundNannianzurühren, diebeidenEseldamen, diesiealsFohlenvordemSchlachthofgerettetundmitzumDykenhofgebrachthat, alssievorsiebenundzwanzigJahrenTeilderWohngemeinschaftwurde. WirkönnenwohlmitFugundRechtbehaupten, überdieJahrzehntezueinerArtaltemEhepaargewordenzusein – ohneexklusiveAnsprüchenatürlich, romantischeAnwandlungenhateszwischenunsniegegeben. VielleichtistMechthilddeswegendieEinzige, dieessolangemitmirausgehaltenhat?
»DieAußenduschehatjetztwohlendgültigdenGeistaufgegeben«, sageichundstöhne.
MechthildrührtimEimer, ausdemeswürzigduftet. »DieistdreißigJahrealt. FürunszweieinjungerHüpfer. AberfüreineDusche …« KurzwirftsiemireinenprüfendenBlickzuundgrinst. »DuhastnochFlockenaufdemKopf.«
»IstdasBadfrei?«
»Wasdenkstdudenn? DassdieKleinenumdieseUhrzeitschonaufsind?«
EinvernehmlichnickenwirzweiFrühaufsteherinnenunszu. DannbiegeichumdieEcke, ummeineMorgentoiletteimGemeinschaftsbadezimmernebenderKüchezuvollenden.
VonmeinenderzeitlediglichdreiMitbewohnerinnenaufdemDykenhofnutztnurMechthilddieAußendusche. VielleichteineFragedesAlters? Mechthildistsportlichefünfundsechzig, nursechsJahrejüngeralsich. UnserPärchenNadineundLenaaber, beideumdieVierzig, würdeniemalsaufdieIdeekommen, sichaußerhalbdesHausesnacktzuzeigen. ObendreinhabeichsieinVerdacht, dasssiereineWarmduscherinnensind, denndieKostenfürWarmwasserstiegenmitihremEinzugvorsechsJahrenerheblichan. DiebeidenKleinen, wieMechthildundichsieheimlichnennen, schlafenaußerdemgernaus. VorhalbachtseheichsienieinderKüche.
NachdemichmeineHaareunterderBrausederWanneausgespülthabe, dreheichdieHähnezuundbetrachtesiedabeinachdenklich. AuchsiesinddeutlichindieJahregekommen. Ichglaube, wirhabensiedamalsschongebrauchtgekauft, alsichdenDykenhofvonmeinemGroßvatererbteundzumerstenResthof-Lesben-WohnprojektderRegionumbaute – vonDutzendenentzückendstarkerFrauenarmeunterstützt. WaresnichtdietüchtigeLeslie, diedamalsdiesesBadezimmerhierinLila-Weißgefliesthat? Leslie, dieeszudemschaffte, überMonategeheimzuhalten, dasssiemitgleichdreiderdamalselfBewohnerinneneineAffärehatte? Ichschmunzle. DaswarennochZeiten. WährendichmitdemdafürbereitliegendenLappendieArmaturentrockne, rechneichnach. DreißigJahreistdasgenauher, stelleichmiteinerMischungausVerwunderungundWehmutfest. DreiJahrzehnte, indenenichmeinengroßenTraumverwirklicht, mitunterschiedlichstenFrauenbasisdemokratischzusammengelebtundauchsoeinigeLiebschaftengenossenhabe. PromptversinkeichinprickelndenErinnerungen, gemischtmitBildernvonDemosinHamburg, HannoverunddemlegendärenLesbensommercamphierimDorf. WiesenbüttelwardamalsmitdieserGroßveranstaltungaufdenFeldernundinderHeiderundumdieGemeindewomöglichnocheinwenigüberfordert. SeltensovieleratloseundverstörteGesichterinderNachbarschaftgesehen. AndererseitshabenHundertewunderbarerDykes, ButchesundFemmesinTrägershirtsmitFrauenzeichen, diedenKrämerladen, dieBäckereiunddenDorfkrugenterten, bestimmtdazubeigetragen, dassderanfänglicheSchockderOrtsansässigenschonbaldeinergewissenResignationunddanndererwünschtenAkzeptanzPlatzmachte. AlsdiebunteLesbenscharwiederabgereistwar, undsogarichdarüberheimlichdreiKreuzzeichenschlug, waresplötzlichkeinProblemmehr, dassmeinedamaligeFlammeGitteundichunsmittenaufdemDorfangerküssten.
Ha! Ichbereuenichtsdavon. Undichbeschließe, dieseEinsichtmiteinemfulminantenFrühstückzufeiern.
WeilderTagwarmzuwerdenverspricht, verzichteichaufdenFön, eilebeschwingt – soschnelldieArthroseimlinkenKnieeszulässt – dieknarzendeEichentreppehinaufinmeinZimmer.
MomentanbinichdieEinzige, dieeinesdersechsSchlafzimmerhierobenbewohnt. MechthildwollteinsErdgeschoss, umnäherbeiHanniundNannizusein, fürdiesieinihremZimmereineKlönschnacktürhinausaufdieWieseeingebauthat, mitzuöffnendemoberenTeil. Sokannesschonmalvorkommen, dassichmorgensaufmeinemWegzurDuscheamWestteildesDykenhofsvorbeikommeundzweiEselinnenpoposnebeneinanderstehensehe, währenddieKöpfeinMechthildsZimmerhängenunddiedreivonBettzuTürdieersteUnterhaltungdesTagesführen.
NadineundLenaentschiedensichbeimEinzugfürdiebeideneinzigenmiteinanderverbundenenRäumeunten – dieKleinensindauchnachzehnJahrenBeziehungundvierJahrenDykenhofimmernochimKuschelmodus. Ichgönneesihnen. KannmichselbstsehrgutansolchePhasenerinnern. Nurschade, dassdiefünfanderenRäumehierobenleerstehen. DieNachfragenacheinerbasisdemokratischgeführtenLesbenwohngemeinschaftistindenletztenJahrengesunken. Aberwassoll’s? Wirkommenauchzuviertgutzurecht. ZwarsindwirjeweilsbeimAufräum- undPutzdienstderGemeinschaftsräumesehrvielschnellerwiederdran – dochdafürmachenviernichtsovielDreckundSchmutzgeschirrwiedreizehn, alsdiewirdamalsstarteten.
KurzerGriffindenSchrank. DieabgeschnittenenJeansundeinesmeinerkurzärmligenKarohemdensindheutegenaurichtig.
WiederuntenschlüpfeichindiebequemenTurnschuhe, dakommtMechthildvonderEselinnenfütterungzurHintertürherein.
»Brötchen?«, schlageichgutgelauntvor.
Siestrahlt. »ZweimitKürbiskernen. UndeinFranziskabrötchen, bitte.«
Ich schnappe mir den Einkaufsbeutel und bin schon zur Haustür hinaus.
AnderWanddanebenlehntmeinFahrradimwildenWein. FastschonübermütigtreteichindiePedalenundholpereüberdasKopfsteinpflasterdesHofes. AufgeschrecktflattertunserGrüppchenLaufentenmitihrenFlügeln, dannwatschelnsieempörtschnatterndihrerWege.
»AbindieBeete, Mädels! DieSchneckenwarten!«, rufeichihnenzu, eheichaufdieDorfstraßeeinbiege.
NebenansteigtgeradeVaterTorfmanninsAuto.
»KeineSchuleheute?«, frageichimVorbeifahren. ÜblicherweisehaterdiebeidenZwillingsjungsundderenjüngereSchwesterimSchlepptau.
»Ferien«, erwiderterundklingtdeutlicherleichtert.
»Achja.«
WirwinkenunszuundbeziehenMutterTorfmannhinterderKüchengardinemitein. Diebeidenlächelnbreit. AuchdiegutsituiertenFamilienderNachbarschafthabensichlängstmitunsLesbenangefreundetundempfindenkeinerleiBerührungsängstemehr. EbensowenigwieBäckerUllbein, derseinensechzehnjährigenGesellenDominikzumAufschließenlosschickt, alsermichvonderBackstubeausdasRadabstellensieht.
ImLadengebeichmeineBestellungfürsFrühstückauf: Brötchen, CroissantsundeinpaarfrischeTeilchen.
»Gibt’s was zu feiern, Inge?«, dröhnt Bäcker Ullbein durch die offen stehende Tür von nebenan, während er, nur mit einem Unterhemd bekleidet, Teig walkt.
»EinenschönenTag, andemwirjedeMengeprickelnderSachenerlebenkönnen, oderetwanicht?«, gebeichzurück. Ullbeinundichlachenwissend. Dominikgucktverunsichert. IchschenkeihmdasWechselgeldundlassedieLadenglockebeimHinausgehenordentlichbimmeln.
AlsichgeradedasschwereEinkaufsnetzimFahrradkorbverstauenwill, fällteinlangerMorgenschattenaufmeineRegenbogenschuhe.
Ichschaueauf.
Verflixt. WarumkanneinsoschönerMorgennichteinfachohneHakenauskommen? InsbesondereohnediesenHaken.
»Konstanze«, grüßeichundnickederFraumitdemsilbergrauenPferdeschwanzzu, diegeradeebenfallsihrRadabstellt. ZumeinergroßenBefriedigungregistriereichdenAkkuamRahmen. SiefährtalsoE-Bike. Unddas, obwohlsiedochsicherfünfJahrejüngeristalsich.
»GutenMorgen, Inge«, sagtsieundklingtdabeisofreundlichwieehundje. Immerklingtsiesofreundlich, alsseienwirkurzdavor, unswirklichzumögen. Tz.
»WasfürtollesWetter, oder?« SielegtdieHändeandieunterihremSommerkleidanmutiggeschwungenenHüftenundblicktindenblauenMorgenhimmelüberuns, denichbisebenauchnochzumJubelnschönfand.
»Hm? Ohja. Toll«, brummeleichundstopfedenEinkaufsbeutelsoenergischindenKorb, dassMechthildsFranziskabrötchenwahrscheinlichzuStaubzerbröselt.
»HoffentlichhältessichnochdreiWochen. Wäredochsuper«, sinniertKonstanzemitdiesemLächeln, dasmichimmereinwenigausderBahnwirft. Weilessoechtwirkt. Alsmeinesieesso. Undweilichdannnichtweiß, wieichreagierensoll. Zurücklächelnkommtschließlichnichtinfrage. Nichtnachdem, wassiehierinWiesenbüttelabgezogenhat. Undimmernochtut.
WährendichmichnochanderfürunserVerhältnispassendenMieneversuche, setztsiehinzu: »DukommstdochauchamSiebzehnten, Inge?« UndinihrerStimmeliegtwiederdiesetypischeKonstanze-Betonung, diesieinersterLiniefürmichreserviert: einwenigunsicherundeinwenigcharmant. AberaufLetzteresfalleichnatürlichnichtrein.
Stattdessenfrageichblitzschnellzurück: »Wohin?«
Ihr Blick wandert über mein Gesicht, als wolle sie prüfen, ob ich mich lustig machen will. So wie ich es schon oft getan habe. Würde ich ja jetzt auch gern tun, aber ich weiß wirklich nicht, wovon sie spricht. Offenbar kommt auch Konstanze zu dem Schluss, denn sie löst die Hände vom geblümten Stoff und erklärt: »Der Facettenhof feiert Zehnjähriges! Wir veranstalten ein riesiges Fest. Das ganze Dorf kommt. Die Tische werden unter leckerem Essen nur so bersten. Tonis Band spielt an der Tanzfläche. Es wird das Jahreshighlight!«
FüreinpaarSekundenfühleichmichganzgenausowiedamals, alsichbeimUmbaudesDykenhofesversehentlichandasvonHobbyelektrikerinHildenochnichtrichtigisolierteStromkabelgefassthabe. IchstarreKonstanzean.
DerFacettenhoffeiertzehnjährigesBestehen? DasganzeDorfkommt? MitTanzundGesang? SolcheinAufwandfürzehnJahre?
»Inge?«, sagtKonstanzeleise, dochmiteinemdeutlichen, nein, einemgigantischenFragezeichenhintermeinemNamen.
IchreißemeinRadausdemStänder, schwingemichindenSattelundradeledieDorfstraßeentlang, alsseieinHetero-Umerziehungskommandohintermirher.
UndplötzlichspringenmichvonallenSeitenhübschbuntePlakatean, dieichbishernichtbeachtethabe. DieLandjugendveranstaltetallenaselangKonzerte, EventsundTanzabende. DamitmussichmeinHirnnichtbelasten. DeswegenachteichnieaufdieseAnkündigungen. Aberjetztfälltmirauf, wasichbisherübersehenhabe: DiefettenBuchstabensindinRegenbogenfarbengedruckt! Undsieplärrenlaut: ZehnJahreFacettenhof! DerBegegnungsortfürallequeerenMenschenlädteinzumJubiläum! EinFestfürJungundAlt! Allesindwillkommen! 17. August! Startum9UhrmitgemeinsamerFrühstückstafel!
EineeiskalteHandumfängtmeineKehle. MitjedemPlakat, dasichaufmeinemrasendschnellzurückgelegtenWegentdecke, drückendieseklammenFingerfesterzu. BilderdervergangenenzehnJahrezieheninRekordgeschwindigkeitvormeineminnerenAugevorbei.
AlsKonstanzeWohlvorzehnJahrendenResthofamanderenEndeWiesenbüttelskaufteundihnzumsogenanntenFacettenhofumbauenließ, dachteichjazuerstnoch: Wiewunderbar! DieDykesvonWiesenbüttelfindenalsoNacheiferinnen.
Dochschonbaldwurdemirklar, dassdortvoneinerlila überhauchten, vegetarischlebenden, demokratischbestimmendenLesbengemeinschaftwiedieaufdemDykenhofnichtdieRedeseinkonnte. VielmehrentpupptesichdiesesneueWohnprojektbaldalseineArtDiktatur. AlleinKonstanzestelltenämlichdieHausregelnaufundwalteteüberdenEinsatzdermonatlichenMieteinnahmen. Ausschließlichsiebehieltsichvor, überdenEinzugneuerMitbewohnendenzuentscheiden. Vonalldemerfuhrich, daderDorfklatschlängstauchaufdemDykenhofEinzuggehaltenhatte. UndsobekamichjedeMengeSkandalösesüberden wildzusammengewürfeltenHaufenmit, derschonbalddenFacettenhofsein Zuhausenennensollte. NebenechtenLesbenwieKonstanzeselbstwarenauchschwuleMännerdarunter, zumBeispielderhippe, nationalbekannteToniTonsenmitseinerdreiköpfigenBand. Aberesgabauchetlicheanderedort, diesichindenunübersichtlichvielenSchubladendiesesLGBTQAIdingenskirchenstummeln. SiemachtensichhierimDorfbreitundprofitiertenvonderfreundlichenAufgeschlossenheit, zuderwirBewohnerinnendesDykenhofsdieLeuteinWiesenbüttelindermühsamenKleinarbeitvonzwanzigJahrenerzogenhatten.
Undwastatich?
Habe ich jemals gegen Konstanze und ihre widersinnige Art der Interpretation vom wahren Lesbendasein das Wort erhoben? Nein! Habe ich etwa versucht, sie wieder aus Wiesenbüttel zu vertreiben oder offen Stimmung gegen den Facettenhof gemacht? Nein!
UndalsDankfürmeineToleranzveranstaltetdieseschlechteNachahmerinnuneinJubiläumsfestgenauvormeinerNase? WegenläppischerzehnJahre? Dassichnichtlache!
Obwohl … zumLachenistmirgeradekaumzumute. EherimGegenteil. SpüreichdaindenAugenwinkelneinZwickenundnasseSpurenanmeinenSchläfen?
FestrichteichdenBlickaufdenHofmittigderDorfstraße. DenDykenhof. DasGolddesReetdachsleuchtetimMorgenlichtmitdemfröhlichenGelbdermächtigenRamblerroseanderOstseitedesGebäudesumdieWette. DieweißenHolzsprossenfensterstrahlensogaraufdieseDistanzjeneBehaglichkeitaus, dienureinwahresZuhausebesitzenkann. DieNebengebäude, Enten-, Hühner- undEselinnenstall, FahrradschuppenundSchreinerinnenwerkstatt, allesfügtsichzueinemharmonischenMiteinander, buntbetupftmitGeranien, MargeritenundHortensieninaltenFuttersteintrögenundKübeln.
EinwenigzuschwungvollbiegeichdurchdiekniehoheSteinmaueraufdasKopfsteinpflasterdesHofes, schlitterekurz, fangemichundlegedieletztenMeterzurTüreinweniggemäßigterzurück. NachdemichdasRadanderHauswandindenWeingelehnthabe, nehmeichdieBrilleabundwischemirdieAugen. VerflixterFahrtwind.
IchschindeeinwenigZeit, indemichdieBrillengläseranhaucheundmiteinemZipfelmeinesKarohemdessorgsamsauberwische. Dannatmeichtiefdurch, schnappemirdenEinkaufsbeutelundgehehinein.
DieKücheistleer, dochderTischschonfürviergedeckt. AufMechthildistVerlass. IchlassemeineBeuteindenBrotkorbmitdemblau kariertenTuchdarinfallen, undnunsteheichdaundschaueaufKürbiskern- undRoggenbrötchen.
MechthildhatdaslilaServicegenommen, dasmireinmaleineExgeschenkthatunddasheuteunterunsalsdasGutegilt. Das, mitdemetwaszufeiernist. Betretenstarreichdarauf.
ImBadnebenanplätschertdieDusche.
Obdieandereneswussten? Sicherwusstensiees. Habenesnurvermieden, vormirdarüberzusprechen.
Moment! EinSchreckgleicheinereiskaltenWelleschwapptübermich. HabenMechthild, LenaundNadineetwavor, selbstzudieserJubiläumsfeierzugehen?
DasJahreshighlightwollensiesichbestimmtnichtentgehenlassen, wenndasganzeDorfdortaufläuft.
IchnehmeeinederTassenundstreichemitdemFingerüberdielilaMarmorierung.
Haben wir einen Grund zu feiern, der dieses Geschirr rechtfertigt? Natürlich ist jeder Tag, den wir gesund und ohne größere Sorgen erleben, ein Grund zur Freude. Aber hätten wir, die Frauen vom Dykenhof, nicht auch einen guten Anlass für eine größere Feier? Einen, der es wert ist, ordentlich auf die Kacke zu hauen? Und zwar genau dreimal mehr als das Jubiläum vom Facettenhof?
RuckartighebeichdenKopf, setzedieTassesofestaufderUntertasseab, dasssieprotestierendklirrt, fahreherumundeiledurchdieDielezurTreppe.
GeradealsichdieersteStufenehme, öffnetsichdirektnebenmirdieZimmertür.
»Morgen, Inge«, nuscheltNadineverschlafen.
»KeineZeit!«, gebeichzurück, einwenigzuharsch. SchließlichkannmeineMitbewohnerinnichtsfürdenUmstand, dassKonstanzebeschlossenhat, sichderartigaufzuspielen. »EsgibtBrötchen. KochtdochschonmalKaffee. Ichbingleichwiederda!«, rufeichdeswegenüberdieSchulter, währendichdieknarzendenStufenhinaufstürme. MeinKniebeschwertsich. Klappe!, raunzeichesstillfürmichan.
IchschließemeineZimmertürhintermirundeilezudemaltenSekretär, denichvorUrzeitenvoneinemBerlinerFlohmarktgerettethabe. Damals, eheichhierherzurückkam, woichalsKindmeineFerienverbrachthatte. EheichmeinenLebenstraumwahrwerdenließ, mitTatkraft, ScharfsinnundjederMengeSchweiß. ZusammenmitunerschrockenenFrauen, dieallegemeinsamdieÄrmelhochkrempeltenundbeiderEntstehungeinesbesonderenParadiesesanpackten.
AusderSchubladezieheichPapierundSchreiber. HastignotiereicheinpaarDinge:
Band (mindestenssogroßwiedievonToni, bessergrößer)
VeganesCateringvonRicardaordern – Kosten? Egal! – EsgibtFrühstücks-, Mittags- undAbendtafel!
DekoinLila: Schleifen, Lichterketten, Fahnenetc.
Kinderschminken
Eselinnenreiten (Mechthild)
Büttenpapierherstellen (Nadine)
KartoffelfeuermitGitarrenmusik (Lena)
Yoga-Schnupperstunde (ich)
Tombola (Gewinneeintreiben! – alle)
Ichschreibealles, wirklichallesauf, wasjemalsaufeinemDorffestveranstaltetwordenistundwasallergrößteFreudeverspricht.
DieListesprengtfastdieSeite.
GanzuntenhinquetscheichnochzweiWörter, aberinGroßbuchstaben: Einladungenverschicken! Ehemalige, Unterstützerinnen … Ichzögere, kritzeledannentschlossen: Exen. Wennschon, dennschon.
KurzleseichmeineNotizendurch, abschließendunterstreicheichdiebeidengroßgeschriebenenWörtermehrmals.
MitdemBlattinderHandeileichwiederhinunterindieKüche. DortsindinzwischenNadineundLenaangekommen, zusammenmitderfrischgeduschtenMechthild.
WieessichfüreinegleichberechtigteHofgemeinschaftgehört,habensiezwarbereitsdampfendeKaffeetassenvorsichstehen, dieLeckereienimBrotkorbjedochnochnichtangerührt.
»Wunderbar, dass ihr alle versammelt seid!« Ich strahle in die Runde. »Ich habe einen Beschluss zu verkünden und hätte gern eure Zustimmung.« Meine drei Mitbewohnerinnen sehen mich verdattert an. Lena, deren Blick gerade noch verschleiert an einem Schokocroissant hing, wird mit einem Ruck wach. Sie lässt die zum Mund erhobene Tasse wieder sinken. Ihre Miene spricht von der Erwartung einer kleinen Sensation. Und ich werde sie nicht enttäuschen.
»Wasdennnun?«, erkundigtsichMechthildrechtunbeeindrucktvonmeinerAnsprache. »HastdueinenBeschlusszuverkündenodermöchtestduunsetwasvortragen, fürdasduunsereZustimmungbrauchst?«
Ichzwinkereihnenzu. »Beidesineinem«, erkläreichmiteinemgewinnendenLächeln. »DerDykenhofwirdeinFestgeben! ZumdreißigjährigenJubiläum.«
DiedreiFrauenschauenmichan.
Dannsichgegenseitig.
»EineJubiläumsfeier?«, wiederholtMechthild. Klingtsieetwaeinwenigbeklommen?
»UndwannsolldiesesFeststattfinden?«, fragtLena.
IchbreitedieArmeaus, ganzso,wieichesimmergetanhabe, alsichdamalsdasDutzendhierlebenderLesbenvoneinerweiterentollenIdeeüberzeugthabe.
»AmSiebzehntennatürlich!«
2. Kapitel
27. Juli – Abschiedssamstag
Kati
»Dashabeichjetztdavon, dassichihmimmererzählthabe, wiewichtigausformuliertesSchreibenist«, sageichzuJasna. »UnddassichechteBrieferomantischfinde, habichwahrscheinlichauchmalerwähnt.« IchziehedenUmschlagausderJeanstasche, aufdeminungelenkerJungshandschriftmeineAdressesteht.
MeinebesteFreundingreiftnachdemKuvert. DasBlattmussAdamauseinemCollegeblockgerissenhaben. Jasnaliest. Undichkannihranmerken, dasssieoriginaldasselbedenktwieich, alsichdasDingvorhinausdemBriefkastenholte. Erstsiehtsienämlichverwundertaus, dannerschrocken, dannamüsiertundschließlichpeinlichberührt.
»Krass«, sagtsiemitdiesemUnterton, dennurJasnakann. Irgendwaszwischenlebenserfahren, weilsiemitihrenWeltenbummler-ElternschoninunterschiedlichenLändernwar, undtrotzdembeeindruckt, weilesimmernochDingegibt, diesieebennochnichtkennt. »Ichglaub, ihrseidjetztnichtmehrzusammen, oder?« Wirmüssenbeidekichern.
SchulteranSchultersitzenwiraufunsererBankanderKoFabrik. Naja, natürlichistesnichtwirklichunsereBank. AberseitEwigkeiten, alsoseitmindestenszweiJahren, sitzenJasnaundichhiersooft, dassessogutwieunsereist. BeimerstenMalwaresirgendwieZufall, dasswirunsausgerechnethiergetroffenhaben. WeilsiemitihrenElterninderKlosterstraßewohntundichmitMamaamWestringunddashierquasidieMitteist. Aberdannhabenwirfestgestellt, wieschöneshierist, ganzandersalssonstsoinderInnenstadtvonBochum. Ichmeine, warummüssenalleCitysdieserWeltsoseelenlosundgrausein? FrüherfandichdieKinosundLädenimBermudadreieckauchgut. Abermittlerweilesehichdasanders. Esistechtkomisch. DalaufenlauterMenschenrum, dieeinfachnuraneinandervorbeiwetzenunddabeisotun, alsseiensieniceralsalleanderen. Undwenneinesichwomöglichnichtüberdurchschnittlichtollfühlt, wennsievielleichtsogarGänsehautundStresspickelkriegtbeisoMenschenmassen, dannistdasehernichtderrichtigeOrtfürdiejenige. Jasna, diemeinStruggelnmitallem, dasgroß, schnell, vielundunbekanntist, kennt, nenntdasverständnisvollKatihatGroßstadtplaque.DasklingtaufeineabgefahreneArtcool. Ichglaubeabereher, dassicheinfacheineSchisserinbin.
Hier, rundumdenImbuschplatz, fühlichmichwohl. Esistirgendwiebesonders. EinGeheimtippquasi. Echtnice, dasswirdengenauvorunserenHaustürenhaben. RundumdenPlatzlebenvorallemKunstfans, diemalen, oderLeute, dieTheaterstückeaufführen, stattnachFashionzujagen. UndnebendenWorkshophallen, demYogazentrumunddemCafémitderweltbestenheißenSchokoladegibt’saucheineurgemütlicheBuchhandlung, indiewirunsbeiRegensetzenunddenDackelderBesitzerinstreichelndürfen.
HeuteistaberschönsterSonnenschein, wiesichdasfüreinenFerientagimJuligehört.
»Ehrlichgesagt, undseijetztbittenichtsaueroderso, aberAdamundichsindeigentlichnurzusammengekommen, weilerdeinCousinist.«
»Logisch«, antwortetJasnalässig. »Daswirderleiderauchbleiben.« Wiederprustenwirlos. »Aberjetztmalernsthaft«, sagtsiedann. »Waresechtsomies?«
»Schlimmer«, stöhneich.
»Undwasmachstdujetztdamit?« SiewedeltmitdembeschriebenenBlatt.
IchlegefragenddenKopfschief.
»SchriftaufPapierundso. Wasist, wenndeineMaihnfindet?«
Shit, ja klar. Daran hab ich noch gar nicht gedacht. Eine Nachricht aufs Smartphone hätte ich einfach löschen können, aber einen Brief?
»Naja, soreintheoretischweißsieja, dassichSexgehabthabenkönnte. WeilsieselbstmichgenaudeswegendochmitsechzehnzurGyngeschleppthat.« WasichmiralssoziemlichdasPeinlichsteimLebenüberhauptvorgestellthatte, abervollokaywar. DieÄrztinmeinte, einerichtigeUntersuchungseinochnichtnötig. AberdasGesprächüberVerhütungsmittelvonFrauzuFrau, daswarmegainOrdnung. IchhabsogareinePackungKondomevonihrbekommen, zumAusprobierenanObstoderGemüse, damitichauchweiß, wiedasgeht.
»MeineMawürdausrasten«, sagtJasnadumpf.
Ichnicke. »Hastrecht. Meinemussjanichtwissen, dassdiezweiMal, dieAdamundichesversuchthaben, dieVollkatastrophenwaren. BeimerstenMalwarergeradenochdabei, sichdasKondomüberzuziehen, dawaresschonvorbei. Erhatdannnocheinbisschenanmirrumgefingert, wasechtnichtsogeilwar. WeiloffenbarweißernullBescheid.«
JasnatipptsichmitdemZeigefingergegendieUnterlippe. »Klingtaberso, alshätteersichaufjedenFallMühegegeben. ImRahmenseinerMöglichkeiten, safe, aberimmerhin. DukönntestihmeineChancegeben? LeihihmdocheinsvondenfeministischenSexbüchernaus, diedeineMaimRegalhat.«
Einpaardavonhattenwirfrüherselbstgelesen – imSchutzumschlagvonFünfFreundewitterneinGeheimnis. TatsächlichkamenmirdanocheinpaarIdeenmehr, wasSpaßmachenkönnte.
GanzbewusstschaueichJasnanichtan. »Ach, daswürdewohlnichtsändern.« IchspüreihrenprüfendenBlickwieeinfeinesBrennenaufmeinemGesicht, erwidereihnabernicht.
»Sicher jetzt?«, fragt sie. »Du warst doch ziemlich scharf auf ihn am Anfang. Er ist hot, oder?« Als ich noch nach Worten suche, fügt sie hinzu: »Denk bloß nicht, ich will dich drängen oder so. Will nur sichergehen, dass es nicht eine von deinen Kati-duckt-sich-weg-sobald-es-schwierig-wird-Aktionen ist. Schlussmachen ist einfacher, als es wirklich richtig zu versuchen, oder?«
Ichmussschlucken. WeilsiedamiteinenwundenPunkttrifft. Diesmalistesaberechtnichtso. AlsoschütteleichlangsamdenKopf.
»Nee. AdamundmirfehltirgendwiedieseVerbindung. IchkannjanichtmalüberseineWitzelachen, dieerselbstsolustigfindet. UndwenndiesergeistigeVibenichtdaist, kanneskörperlichauchnichtklappen, oder?«
JetztdeutetJasnamitdemFingeraufmich, wassovielheißtwie: Genauso, Sis! Dafürliebeichsie.
»UndderzweiteVersuch?«
IchverdrehedieAugen. »Krasspeinlich! ErsorunteranmirundZungezwischendieBeine. Undichkonnteeinfachnichtanders, ichmusstelachen, weilessogekitzelthat. Erwarnatürlichmegabeleidigt – angezogenundweg. AberistdaseinGrund, umdasdanninallerAusführlichkeitaufzuschreiben? IneinemBrief? Dashabichdefinitivnichtdamitgemeint, alsichdavongesprochenhab, wieromantischichhandgeschriebenePostfinde. Puh.«
»Verbrennen?«, schlägtJasnamiteinemNickenzumPapiervor.
DochichschüttledenKopf. »Nee, offenesFeuerundso, dasbringichbessernichtmehrnachdieserNummermitdenWunderkerzenanSilvester. Ichmeine, durchdasLochimCouchtischkannmandenTeppichsehen.«
»Hm. Hastrecht.« Sieseufzt. »MeineMeinungkennstdu. Ichfinde, dusolltestesendlichmiteinerFrauversuchen. Also, wennichbiwäre, sowiedu, dannwürdeichsafenurmitFrauenwasanfangen. Leuchtetdochein, dassdaseasywäre. Diewüsste, wasinSachenBurningSexzutunist. UndihrkönnteteureKlamottentauschen.«
Jasnaistechtschlau, Klassenbesteundso. AberinLiebesdingenhatsienullErfahrung, obwohlvielevonunsihrErstesMalschonlängsthintersichhaben, zusammenmitzigDramen. Sieverliebtsicheinfachnicht. ZwarfindetsiehinundwiedereinenTypenhot, aberesreichtnicht, ummehrzuwollen. AlsichletztesJahrdenmegaLiebeskummerwegenLeonieausderParallelklassehatte – nächtelanginsKissengeheult, gefühltdrölfneunzigBriefeundzehnmalsovieleNachrichtengeschrieben, natürlichallenichtabgeschickt, weilLeonienunmalseitderSiebtenmitErikzusammenist – warJasnaimmerfürmichda. Aberichglaube, sorichtignachempfindenkonntesiediesenfiesenSchmerznicht, derinmeinerBrustundimMagen, einfachüberallsaß.
»Na, dirwirdschonwaseinfallen, wiedudasDingloswerdenkannst«, sagtsienunundreichtmirdenUmschlagmitAdamsfragwürdigemAuswurfinSachengescheitertemSexlebenzurück. »SchließlichhastduvielZeitimRestderFerien.«
IhreAugenbekommendiesengewissenAusdruck. UndalsbesteFreundinweißich: InihremKopfmachtsichgeradeihrThemabreit. DaswichtigsteundbedeutendsteEreignisinJasnasbisherigemLeben. SiewirdnämlichmitihrenElternnachBerlinfahrenunddortihreleiblicheMutterkennenlernen. Vollkrass, findeich. Alsonicht, dassJasnaundihrältererBruderPetrvonihrenElternadoptiertwurden, denndaswissenwirschonseitderGrundschule. SolangesindJasnaundichschonbefreundet. Sondern, dassdieFrau, diesiezurWeltgebrachthat, sienunauchtreffenwill. BeiJasnasGeburtwarihreleiblicheMutterfünfzehn. HolladieWaldfee, fünfzehn!DaswäreichvorzweiJahrenmiteinemfrischgeschlüpftenBaby! Aufeinmalbinichheilfroh, dassderSexmitAdamsoindieHosegegangenist.
EinTypingefleckterSkinnyjeansmitzweiDobermännernanderLeineläuftvorbei. IchcheckedieHundeab. Manweißjanie. Aberdiesindgarnichtanunsinteressiert, sondernschnuffelnbeideaufdemBodenrum.
»Wasgeht?«, fragtihrHerrchenundhebtzweiFinger.
»Passt«, sageich, währendJasnaweitervorsichhinguckt.
»Weitermachen!« DerTypgrinstundlässtsichvondenbeidenHundenzumnächstenBaumziehen.
SosinddieLeutehierindiesemQuartier. SagenHalloundfragen, wie’sgeht. Einfachnurso. Warumkanndaseigentlichnichtüberallsosein? Denndasmachtesdochaus, dassdudichzuHausefühlst. Sorundumgeborgenundsafe.
Unddaisterwieder, derGedanke, dermichoftbeschäftigt, wennJasnamalwiedermitihrerFamilieirgendwo hinfliegt. FremdeLänder, fremdeSitten, fremdeSprachen. Ichfragmichimmer, wiesiedasaushält.
»FreustdudicheigentlichnuraufdasTreffen? OderhastduaucheinbisschenAngstdavor?« KeineAhnung, warumichdasjetztausspreche. Bisherhabenwirnämlichsogetan, alswäreeseinfachnurmega, dassJasnadieFraukennenlernt, diesieneunMonateimBauchmitsichrumgetragenhat. DassesdaauchkomischeMomentegebenkönnte, habenwirnichtbesprochen. UndwahrscheinlichistdassowiesowiedermalnurmeinDing – allesimVorfeldzuzerdenkenundmirWorstCasesvorzustellen.
WiesomussichJasnaalsodaraufschubsen? Fühltsichseltsaman. Einbisschenwiedamals, alsichdiesenfiesenSchnittamDaumenhatte, vomMöhrenschneidenbeimKochenmitMama. Wochenlangheiltedernichtzu, weilichimmerwiederdenNagelvomZeigefingerdareingebohrthabe. Umzugucken, obesnochwehtut. Undnatürlichhateswiederwehgetan. WenndueineWundenichtinRuhelässt, tutsiesafeimmerweiterweh, undentzündetsichsogar. Aberichkonnteirgendwienichtanders. AlsMamamirdanndiesenÜberstülpergekaufthat, waresschlagartigvorbei. JetztsiehtmeinDaumenwiederauswievorherundtutschonlangenichtmehrweh.
BeiJasnascheintmeineFrageeinbisschensoangekommenzuseinwiederNagelvomZeigefingerinderWunde. Sieblinzelteinpaarmal, ehesiedenBlickhebtundmichansieht. Daskennich. Ichweiß, dasssiemirjetztdefinitivdieWahrheitsagenwird, esihrabernichtleichtfällt.
»EinbisschenhabichschonAngst.« Unddasistechtungewöhnlich. DennwährendmichschondiekleinstenDingezumFürchtenbringen, istJasnamegaabgebrüht. Diehautnichtssoschnellum. »Wasist, wennsiemichdooffindet? Oderhässlich?«, sagtsieeinwenigkleinlaut.
Ichfassesnicht! MeineJasna?
»Quatsch!«, haue ich sofort raus. »Du bist super klug und mega hübsch!«
Jasnagrinst. »Wennduessagst, Bestie!« Dochsiewirdsofortwiederernstundsetztsoleisehinzu, dassichesnurgradsohörenkann: »Undwasist, wennichsieunsympathischoderdooffinde? DavorhabichechtSchiss.«
Oha. DahoppeltdasKarnickel. TypischJasna, oder? WahrscheinlichwürdeichaufsoeineIdeegarnichtkommen. Weilichimmerdenke, alleaußermirsindvollokayso, wiesiesind. Nurichebennicht. Trotzdemnickeich. »Verstehich.«
»Echt?«
»Klar. Ichmein, deineElternsindmeganice, volllieb, totaloffenundalles. FürdichundPetrwürdensieallestun, genauwiemeineMafürmich. DahabenwirbeideechtGlückgehabt, oder? DamussdiesefremdeFrauschonechtwasbieten, ummithaltenzukönnen. AberwennsieeineEnttäuschungist, danngehtvielleichtallesnachhintenlos.« IchwedelemitdenHändenrum. »Vielleichtbereustdu, dassdusiekennengelernthast? UndfragstdudichschonnacheinpaarMinuten, warumduunbedingtdiesesTreffenwolltest. WiesodudeinganzesLebenirgendwieaufdenKopfgestellthast, anstattallessozulassen, wieesbisherimmerwar. Sicherwirstdusievondaannichtmehrlos. Dukönntestständigdrübernachdenken, warumdudieseeineFragenichtinRuhelassenkonntestundnichteinfachnurdieFeriengenießt?« Amliebstenwürdeichaufspringenundhinundherlaufen, währendichweiterrede. DeswegenkralleichmichanderBankfest. »Kanndochsein, dassdirplötzlichaufgeht, dassdubishergarnichtwusstest, werduwirklichbist. Nicht, solangedusienichtkanntest. Klar, dubistnichtdeineGene, weißich, aberdasandereistjaauchvielwichtiger. DieFrage, obdudieselbeseinwürdest, wenndubeideinerleiblichenMutteraufgewachsenwärestoderwenndusiezumindestdeinLebenlangschongutgekannthättest. Würdestduandersreden, andersgehen, andereSachennicefinden? Was, wenndirdurchdiesesKennenlernenklarwird, dassdieganzeZeiteinStückvondirgefehlthat? Undwas, wenndudaraufnichtklarkommst?«
Ichwilleigentlichnochmehrdazusagen, aberJasnasBlicklässtmichabbrechen.
»Wasist?«, frageichvorsichtig, dennmirdämmert, dassichvielleichtübersZielhinausgeschossenbin. SchließlichwollteichihrdieAngstnehmenundnichtnochschlimmermachen.
Jasnasiehtabernichtbeunruhigtaus, sondernlegtdenKopfschiefundbetrachtetmichmitihremForscherinnenblick, densieunfassbargutdraufhat.
»Ichfragmich, obdunochmitmirsprichstoderehermitdirselbst, Kati.«
MeinMundwirdganztrocken. Und trotzdemmussichschlucken.
»Wiemeinstdudas?«, frageich, ehersoausReflex. Weilichgenauweiß, wassiemeint. Undsieweißauch, dassichesweiß.
»Ichmeine, dasseseinenGrundgibt, warumduunbedingtMedienstudierenundindenEntlarvungsjournalismusgehenwillst. NachdemdudiegesamteGrundschulzeitmitdiesenDetektivspielengenervthast.« SieziehteineBrauehoch. Ichwette, auchsiekönntenocheineganzeMengemehrsagen. AberauchsieliestinmeinerMieneundverstummt. JasnaistnichtsoderTyp, derinaufgeschlitztenFingernrumstochert. Undschongarnichtinmeinem. StattdessenstrecktsiedieArmeausundziehtmichineinefeste, weiche, duftigeJasna-Kati-Umarmung. Füreine, zweioderzehnSekundenvergrabenwirdieGesichteramHalsundimHaarderanderen.
»Vielleichtsolltestduesauchwagen, Katchen«, höreichsiemurmeln. Sonenntsiemichnur, wennsiemirsagenwill, dasssiemichexorbitantliebhat. Bedingungslosundvondamalsbisimmer. »Manchmalmusseseinfachsein, dieeigeneAngstzurSeitezuschiebenundzugucken, wasdahintersteht.«
Ichatmezitterndein. SiestreichtmirzärtlichüberdenKopf, küsstmeineWangeundstehtauf.
»BisinetwaswenigeralssechsWochen, süßeBestie«, sagtsiedann.
»Hey, eswirdbestimmtnice!«, antworteichindenschwächlichenVersuch, meinGestammelvongeradewiedergutzumachen.
»Klar.« SiezwinkertmirzuundhüpftaufeinemBeindieStufennebenderBankhoch. Dasmachtsiesolange, bisichlachenmuss. Einmalwinktsiemirnochzuundrenntdavon. ZurückbleibteineglitzerndeSpurunserergemeinsamenKindheit.
Ichstarreihrnochnach, alssielängstobenanderStraßeverschwundenist. IhreWortekullerninmirherumwieBillardkugeln, diegegendieBandestoßen, immerundimmerwieder. IrgendwannsenkeichdenBlickundbinfüreinenkurzenMomentverwirrt, weildanochdieserUmschlagaufmeinemSchoßliegt. IchstopfeihnindieJeanstascheundschlendereinRichtungZuhauselos.
AberdieGedankenbleibennichtaufunsererBankzurück. Siehabenmichfestgepackt, dasspüreich. EbensodieBeklemmung, diemichjedesMalbeschleicht, wennichirgendetwasMutigesauchnurinBetrachtziehe.
IchatmetiefdurchdieNaseeinunddurchdenMundwiederaus. MamasYogaatmung. Hilfttatsächlich. SodassichdieGedankennichtsofortzurSeiteschiebenmuss, sondernsienocheinbisschenbetrachtenkann. DieseFrage, dieinmirherumwabert.
VielleichthatJasnajarecht? VielleichtistesauchfürmichanderZeit, etwaszuwagen?
3. Kapitel
27. Juli – Noch drei Wochen bis zum Fest
Inge
Allesläuftbestens.
Nadine, vonunsvierDykenkünstlerischambegabtesten, istbereitsdenganzenMorgenmitdemEntwurfvonFlyerundPlakatbeschäftigt.
IhreAnfragebeiderfünfköpfigenLesbenbandAmazonenontheRoad, mitderenMusiksieundLenaunsgernhinundwiedermalbeglücken, wennsiedieBoxeninihrenZimmernlautaufdrehen, wurdewundersamerweiseschonnachwenigenMinutenpositivbeantwortet. SchweinmussdieFrauhaben! DasseinesogefragteBandkurzfristigZeitfüreinenAuftritthat, sprichtdafür, dassdieGöttinnenunsgnädiggestimmtsind.
LenaeiltdurchsDorfundspitztallean, dieirgendwelcheansprechendenDingefürdieTombolazubietenhabenkönnten. AlssienochvorMittagkurzinderKüchereinschaut, diesichgeradezueinerArtKommandozentraleentwickelt, berichtetsie, dassderFacettenhofaufdieIdeemitderTombolaoffenbarnichtgekommenist. Warjaklar. SogutwieichnachdreißigJahrenkenntKonstanzesichhierselbstverständlichnichtaus. Sieweißnicht, wasdenDorfleutenwirklichwichtigist. UndsosinddasKreativklübchen, HannahmitihrerCombovomNähtreffundGünthermitderSchreinerwerkstattKunststattKlotzanBord, sagtLena. SieallewollenhandgearbeiteteObjektespenden, dieamJubiläumstagaufunsererTombola-Gewinn-BühneimFestzeltpräsentiertwerden. SchließlichsollesnichtnurumdieFrauenaufdemDykenhofgehen. Wirwollenjaauchzeigen, dasswirindendreißigJahrenmitdemDorfundallenMenscheninWiesenbüttelengverwachsensind. NachLenasRundeistdaraufVerlass, dasssichdiefroheKundedesDykenfestesrasendschnellweiterverbreitet.
GeradekamschonAnneRüttenbachvomanderenDorfendevorbei, einenKartonmitKristallgläsernunterdemArm. NochvonihrenEltern, wiesiesagt, niebenutzt. IrgendeinGlückspilzbeiderTombolawirdsichriesigdarüberfreuen.
FürdenNachmittaghatsichSterneköchinRicardaausHamburgangekündigt, diemindestensbiszumSchwarzwaldrunterdiebestenvegetarisch-veganenBüffetszaubert. WaswardasfüreinegenialeZeitdamals, alssienachihrerKochausbildungfüreinknappesJahrStationaufdemDykenhofmachte – umsichzufindenundzupositionieren. Tja, ichwürdemalsagen, dasssieinunsererFrauenpower-OasefürihreanschließendeKarrierediePolepositionergatterthat. UnsereBegeisterungüberihreKüchenkreationenhatsiewohlderartbeflügelt, dasssienachihremAuszughiermitihremeigenenUnternehmeninHamburgerfolgreichdurchgestartetist.
EsbrauchtenureinenAnrufvonmir. Undvielleichthabeichaucherwähnt, dassGeldbeidieserJubiläumsfeierwirklichkeineRollespielt. JedenfallsentdeckteRicardainihremübervollenTerminkalendereineLücke. DerGedankeanalldiebegeistertenGästinnenundGästelässtmichzumSmartphonegreifenundJochenvonderPensionGoldammeranrufen, dereinzigenhierimOrt. ZweiderzehnZimmersindamentsprechendenZeitpunktbereitsbelegt, teiltermirmit. AberdieanderenbietetermirgernalsKontingentfürdieFeierndendesDykenhofsan. DievielenLeutekönnenschließlichnichtallehierwohnen.
DasanschließendeTelefonatmiteinerFestausstatterininUelzengestaltetsichanfangseinwenigholprig.
Sie: »SiewollendieganzeDekoinLila?«
Ich: »Ja!«
Sie: »AberesgibtsovieleandereschöneFarben. ErstgesternhabeicheinerKundineinganzesSetzumJubiläumihrerPrivatdetekteizusammengestellt. GrünfürdieHoffnung, RotfürdieLiebe, Blaufür …«
Ich: »Verzeihung? Wasinteressiertmich, inwelchenFarbeneinePrivatdetektivinihrJubiläumfeiert?«
Sie: »Ichdachtenur. Richtigbuntkannauchschönsein.«
Ich: »Haben Sie keine lila Lichterketten und Fähnchen?«
Sie: »Doch.«
Ich: »Diehätteichgern.«
Sie: »Aberdaswirddannsehr … lila.«
EswirdeinlängeresGespräch, andessenEndeichhoffentlichihrinneres, rechtblankesFeminismus-WhiteboardmitüberzeugendenStatementsgefüllthabe. Sieverspricht, diebestelltenArtikel, alleinLila, gleichmorgenperPostaufdenWegzubringen,undwirverabschiedenunsherzlich.
Alsich, vondiesemEtappensiegeinwenigerhitzt, wiederindieKüchekomme, istMechthilddabei, dieletztenNamenderEhemaligenvonmeinemLaptopbildschirmaufBriefumschlägeabzuschreiben.
»Hastdualle?«, erkundigeichmich, dennmirfälltauf, dasszweiKuvertsnochunbeschriftetsind.
Mechthild schielt aus dem Augenwinkel zu mir. »Fast. Bist du sicher, dass du wirklich alle einladen willst, die mal hier gewohnt haben?« Zur weiteren Erläuterung dieser Frage bewegt sie den Cursor zu einem Namen, der recht weit unten steht. Vera Schütter.
Ichzögere. BeugemichimStehenvor. SpieleaufZeit, indemichsotue, alsmüsseichmirdieDaten, inwelchenelfMonatenVeraunterdiesemDachresidierthat, genaueransehen. DabeihätteichdasauchohnedenBildschirmsofortsagenkönnen.
Mechthildräuspertsich. »Ichmeine, vielleichtwürdeesbeidereinenoderandereneinbisschenvielStaubaufwirbelnund –«
»Achwas!«, höreichmichselbstsagenundfuchtelemitdemZeigefingerinRichtungVerasAuszugsdaten. »DasistdochschonelfJahreher. InderZwischenzeitistmächtigvielpassiert, oder?«
MeineliebsteMitbewohnerinseitsiebenundzwanzigJahrensiehtebenfallsaufdenBildschirm. »Hmm«, machtsiediplomatisch.
»Schreibsieruhigan«, entscheideichmutigundsetzeleiserhinzu: »Vielleichtkommtsiejaauchgarnicht.«
UnddannwandertmeinBlickweiterzudenbeidenanderenNamenobeninderListe, nebendenennunderCurserblinkt.
Ichbleibestill. AuchMechthildsagtnichts.
»DastehtkeineAdresse«, stelleichfest, obwohlsiedassicherauchschonbemerkthat.
»AuchEcosiakannsienichtfinden.« Mechthildklingtsehrsachlich. Odermeineichdasnur? Warumsolltesiesichbemühen, bloßkeineEmotioneninihreStimmezulegen, nurweilwirdiesebeidenNamenanstarren? AnnikaSenfter + MoSpill. MiteinemPluszeichenmiteinanderverbunden. Weilsiegemeinsamkamen. Undweilsiegemeinsamgingen.
»AberzudiesemJubiläumgehörensieunbedingtdazu«, brummeich, einwenigärgerlichüberdieVerunsicherung, diesichinmirbreitmacht. »MitstreiterinnendererstenStunde. SiewarenvonAnfangandabei, habenüberallmitangepackt. AnnikahatdenGartenangelegt. UndModenSchuppenfürdieHühnerausgebaut.«
»SiehatmirauchmitdemStallfürHanniundNannigeholfen, alswirdreihierankamen«, erinnertsichMechthildundsieht, amKüchentischsitzend, vorsichtigzumirauf. »UndAnnikakanntedasRezeptfürdiesengenialenBronchialteeunddieWickel. Weißtdunoch?«
KurzentfährtmireinLachen. »Klar. DieGrippewelledamals. Boah, gingesunsallenschlecht, oder?« EingutesDutzendhustende, krächzendeLesbenschlepptensichdamalsdurchdenDykenhof. DasganzeDorfhatteeserwischt. NichtwenigeLeutemusstenmitLungenentzündungnachLüneburginsKrankenhausgebrachtwerden. Aberkeinevonuns. DennAnnikabewahrteunsmitdenvonihrerGroßmuttergeerbtenRezeptenvordemSchlimmsten.
»Heiße, stinkendeBrustauflagen. Undfraukonntewiederatmen«, schwärmtMechthildnostalgischundlegteineHandzwischenihreSchlüsselbeine.
WirhängenwohlbeideeinpaarErinnerungennach. ÜberMechthildsGesichtziehenLächelnundAnsätzezuverschmitztemGrinsen, bissiedenKopfschütteltundplötzlichwiederernstwird. Soernstwieich.
RatlosigkeitschwapptdurchdieKüche.
Ichhassedas. Weißschon, warumichsoseltenandamalsdenke. Ichkannnichtändern, wasgeschehenist. UnddamachteskeinenSinn, darüberzugrübeln. Aberjetzt, woaufmeinemLaptopbildschirmimmernochderStrichhinterdenbeidenNamenblinkt, kommeichkaumdrumherum.
HiersaßenwirzudreizehnFrauenumdengroßenTisch.
Eheichdarübernachdenke, rutschtesmirschonheraus: »DuwarstdamalsdieEinzige, diedagegengestimmthat.«
Unbehaglich gleitet Mechthild auf dem Stuhl hin und her. »Du hast auch nicht mitgemacht. Du hast dich enthalten.«
EinTonentkommtmeinerKehle, dermichandasrostigeKnurrenvonBauerHenrichs’ altemHofhunderinnert. »Ja, daswarunglaublichrevolutionär«, erwidereichbitter.
IchstarreausdemKüchenfensterrausaufdieDorfstraße, wodierotgestromteNachbarskatzeIntimpflegebetreibt. MechthildreibtmitdemDaumenaneinemFleckaufdemTischherum, dersichdaschonseitJahrengegenallePutzmittelbehauptet.
»Würdestduesheuteandersentscheiden?«, fragtmeineliebsteMitbewohnerinirgendwannleise.
»Dumeinst, obichbeiderAbstimmungmeineHandanandererStellehebenwürde?«
Sieschluckt, ehesienickt.
»Daswürdenichtsändern, oder?«, gebeichbrummendzurück. »Duundich, daswärenzweigegenalleanderengewesen.«
Mechthildantwortetnicht, obwohlichesinihremklugenKöpfchenratternsehe. MitSchreckenkommtmirplötzlichderVerdacht, dasssiewomöglichebensooftüberdieseSachenachgedachthatwieich. Dasssieinzwischen, nachalldenJahren, einengewissenStandpunktdazueingenommenhat. Unddasssiemirdengleichpräsentierenwird.
»Soistdasnunmal, wenneineGruppeFrauenbasisdemokratischzusammenlebt!«, fahreichdaherlauteralsnötigfortundbeginne, vorderZeilevonOfen, KühlschrankundKeramikspüleauf-undabzugehen. BeijedemWorteinSchritt. »JedeStimmezähltgleich. DaswardieGesinnung, diemirdamalsvorschwebte, alsichGroßvatersErbefürunsallezurVerfügungstellte: GleichberechtigungaufallenEbenen. DieLesben, diehierzuHausesind, sollenmitentscheidendürfen, washiergeschieht. NursokönnenwirunsaufAugenhöhebegegnen. JedeMeinunghatGewicht. UndwennichselbstbeieinemoffiziellenVotumüberstimmtwerde, mussichmichdemfügen, damalswieheute. UnddaspieltesüberhauptkeineRolle, dassichvielleicht … also, reinhypothetisch … imNachhinein … dassichmeineMeinunggeänderthabenkönnte.« DasenergischeHinundHerbeanspruchtmichmehralsgedacht. IchschnappenachLuft.
Was, wennMechthildjetztdiePausenutztund …?
Dochsiemurmeltbloß »Ichmussmalkurz«, schlüpftanmirvorbeizurKüchehinausundverschwindetnebenanimBad.
IchsteheimmernochamselbenFleck, seheaufdenLaptopbildschirm. DerschimmertinzwischeningnädigemSchwarz, wasmeinerapidegesunkeneStimmungtrifft.
In meinem Magen spüre ich ein leises Flattern. Seit heute Morgen habe ich in der ganzen Aufregung wohl das Essen vernachlässigt und zu viel Kaffee getrunken. Daher kommt das bestimmt.
Also schnappe ich mir aus dem Brötchenkorb ein Croissant und beiße herzhaft hinein. Einmal, zweimal, dreimal. Bis ich fast alles im Mund habe und endgültig nichts mehr sagen könnte. Selbst wenn ich wollte. Selbst wenn noch eine zum Zuhören hier wäre.
EinenergischesLäutenanderTürlässtmichzusammenfahren.
DerDykenhofhatkeinenelektrischenKlingelknopfwiedieHäuserinderStadt, Fingerdraufundschrillschrillschrill. AnunsererHaustürhängteinehübschekleineGlocke, derenSchlägeldiejenigen, dieEinlassbegehren, mithilfedesStricksgegendieHaubeschlagenmüssen. DiePersondraußenbegehrtganzeindeutigetwas.
VielleichtjemandmiteinerweiterenSpendefürdieTombola?
IcheiledurchdieDieleundreißedieTürauf.
VormirstehtKonstanzeWohl.
SieträgtimmernochdasselbehübscheSommerkleidvonvorhin, aberimGesichtnichtmehrdasselbefreundlicheLächeln.
»Kmmmpf«, sage ich und kaue krampfhaft. Verflixtes Croissant. Konstanzenutztnatürlichgleichaus, dassichsowehrlosvorihrsteheundamverfluchtenBlätterteigvorbeikeingeradesWortherausbringe.
»Wassolldas, Inge?« InihrerStimmeklingtgenauderÄrger, denichbeiihremAnblickauchimmerempfinde. Aha. EndlichlässtsieihreMaskeeinmalfallen.
»Hm?«, macheichundhebezurVeranschaulichungmeinerAhnungslosigkeitdieHändegenHimmel.
»Duweißtgenau, wovonichspreche!« IhreAugenfunkelnineinerArtundWeise, wieichesnochniegesehenhabe. Siesiehttatsächlichrichtigwütendaus. »KaumerzähleichdirvonunseremFacetten-Fest, undschonsetztdualleHebelinBewegung, umeszusabotieren. Hastdugeglaubt, ichwürdenichtsdavonerfahren? JubiläumsfestzumDreißigjährigendesDykenhofs? AmselbenTag, Inge? DeinErnst?«
»Iffhfffnuww …«
»Undkommmirjetztnichtdamit, dassdasDatumeinreinerZufallist!« KonstanzemachtnocheinenSchrittaufmichzuundichmussmichzusammenreißen, umnichtunwillkürlichzurückzuweichen. Sonahstehtsievormir, dasssieihrenArmanwinkelnmuss, ummirgegendieSchulterzutippen. Wassienuntut. Überraschendkräftigfüreine,dieE-Bikefährt, denkeichzuerstunddirektimAnschluss: SiehatjahimmelblaueAugen!UnddannbeißeichmirvoninnenaufdieWange.
»Aaatsch!« MitderHandfahrichmiransGesicht.
»Ja!«, fauchtKonstanze. »Genaudasdachteichauch, alsAnneRüttenbachvorhinvorbeikam, ummirdasnochoriginalverpackteMeissenerKaffeeserviceihrerElternzubringen. FürunsereTombola, meintesie.