Eine Kreuzfahrt schlägt Wellen - Ella Atzenhof - E-Book

Eine Kreuzfahrt schlägt Wellen E-Book

Ella Atzenhof

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Beschreibung

Ella Atzenhof vermag mit ihren ironisch-humorvollen Erzählungen - diesmal über eine turbulente Kreuzfahrt durch das westliche Mittelmeer bis nach Tanger - unerwartete und überraschende Einblicke in das fremdartige, skurrile multinationale Leben auf hoher See zu vermitteln und beobachtet scharfsinnig das Verhalten ihrer Mitreisenden. Und was beobachtet wird, wird kommentiert, mit Witz und einem Augenzwinkern schwungvoll geschildert sowie unterhaltsam und locker flockig mit viel Charme erzählt.

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Inhaltsverzeichnis

AHA. EIN GEOGRAPH

TANGER/MAROKKO. – UNHEIMLICHE UNBEKANNTE?

12:00 BIS 13:15 UHR: BUFFET AM LIDODECK

ESSEN AN BORD

TÜR ZU!

AUSSCHIFFUNG

AHA. EIN GEOGRAPH.

Erster Abend an Bord. Tatort: Restaurant. Ein eifriger Kellner kommt mit wehenden Fahnen, pardon - mit wehender Serviette über dem Arm - auf uns zu: "Für zwei?" Ich drehe mich um, und da ich niemandem außer uns noch erspähen kann, sage ich: "Ja".

Der Kellner (heißt der auch unter Deck "Steward" oder war das nur Sascha Hehn auf dem Sonnendeck des Traumschiffs? Hmm… Egal!) drehte auf seinen Absätzen (oder darauf, was einmal in besseren Zeiten Absätze waren) um, machte eine unmissverständliche Handbewegung, dass wir ihm folgen sollten und steuerte auf einen runden Tisch zu, an dem bereits vier Personen Platz genommen hatten. Wohlerzogen nickten wir ein „Gu´n Abend!" in die Runde. Weniger wohlerzogen grummelte uns ein "Mahlzeit!" entgegen. Die Herrschaften saßen schon über der Suppe und wir waren wohl doch etwas spät, daher schlug uns nicht gerade eine Welle der Freundlichkeit entgegen. Da wir aber von sportlicher Natur waren, machten Toni und ich den zeitlichen Rückstand in der Menüfolge bis zum Hauptgericht wieder wett: Wir ließen einfach das 1. Zwischengericht aus.

Und siehe da: Mit dem Servieren des Desserts eine Stunde später kam dann auch schon eine zaghafte Konversation am Tisch auf. Offenbar war den Damen und Herren am Tisch das ewige Schweigen doch etwas zu "still". Und wir beide, Toni und ich, hatten einfach keine Zeit gehabt, ein Gespräch zu eröffnen. Wie gesagt, wir mussten im Menü etwas Zeit "gutmachen".

Das sich entwickelnde Gespräch war - etwas holprig, schließlich kannte man sich erst seit fünf Gängen und zwei Getränken und schließlich war man müde von der weiten Anreise zur Kreuzfahrt und schließlich, nun ja, schließlich waren unsere Tischpartner deutsche Landsleute. Zwei Ostdeutsche, und zwei Norddeutsche – Hamburger, um genau zu sein - und damit von uns zwei umgänglichen Österreichern gemütsmäßig so weit entfernt wie der Halleysche Komet derzeit von der Erde. Andere Länder, andere Sitten, anderer Humor, alles anders.

Im Sinne der "Aktion Mitmensch" spendeten auch wir. Und zwar nette Worte an unsere Tischgegner, äh... -partner. Und - um es kurz zu machen, schon bald - gewissermaßen mit dem letzten Löffel Mousse au Chocolat - entwickelte sich etwas, das Außenstehende durchaus als gepflegte Konversation bezeichnen würden.

Es gab einige Verständigungsschwierigkeiten, da die zwei, ich nenne sie liebe voll „Fischköppe“, offenbar einen selten gesprochenen Dialekt des Suaheli zu sprechen geruhten. Nun ja. Möglicherweise haben sie aber auch nur Plattdeutsch „geschnakt“...?

Im Gegenzug haben wir immer wieder unsere gepflegte österreichische Dialektik anklingen lassen, wodurch ein gegenseitiges Nichtverstehen eingetreten ist, das jeder versuchte, durch wissendes Nicken zu überspielen. Solange man nicht an den falschen Stellen nickt, ein probates Mittel in den meisten Small-Talks.

Und dann, ja, dann! Ganz plötzlich kam sie, die unvermeidliche Frage aller Fragen, die unweigerlich im Laufe einer jeden Reise (ob zu Lande oder am Schiff) einmal von den Reisekumpanen gestellt wird. "Was machen Sie beruflich?"

- Ich stutzte kurz und überlegte, ob ich diesmal "orthodoxe Nonne" oder "Nasenringherstellerin in Papua-Neuguinea" sagen sollte, als mich der Blick meines Geliebten... – nein, nicht was Sie jetzt denken! - meines geliebten Kollegen (immer schön ausreden lassen, gell?) traf, der wohl meine Gedanken erriet und mir so kräftig gegen das Schienbein trat (- der blaue Fleck wird - da kurzes Kleid („das kleine Schwarze“) - noch im Mittelpunkt des festlichen Kapitänsempfangs stehen: Na warte!), dass ich laut aufschrie: "AU!stralische Weitenmessung von Kängurusprüngen". Noch ein Tritt folgte (- ich werde wohl in Hosen beim Kapitän erscheinen) und ich ergänzte: "... Weitenmessung bei Kängurus hätte mich interessiert, aber ich habe dann doch studiert. UND SIE?" Thema abgewürgt und den Spieß umgedreht.

Hätte ich denn sagen sollen, dass ich Geographin bin??

Stellen Sie sich vor, bei einem Cocktailempfang gibt sich einer der Gäste als Quantenphysiker zu erkennen: Wer würde da nicht vor Ehrfurcht erstarren und sofort das Thema wechseln, um sich keine Blöße zu geben? -- Was aber, wenn die Partybekanntschaft kein Quantenphysiker ist, sondern Geograph/in? Das wäre in den Augen des Gegenüber weniger problematisch, schließlich hatte der ja mal so etwas wie Erdkunde in der Schule, musste alle Nebenflüsse der Donau aufsagen und die höchsten Berggipfel der Westalpen und hatte zu lernen, wo die Zitronen wachsen und wo Schafe gezüchtet werden. Das Einzige, was ihm jetzt noch schleierhaft sein könnte, wäre, wie jemand mit solchem Wissen Geld verdient. Oder ob überhaupt.

Wollte der Wissenschaftler das erklären, müsste er Geographie beschreiben, müsste von Klimapflege, Erosionsforschung, Lawinenkunde und Bodenverdichtung berichten, müsste von Satellitenbildern erzählen, von Humusschichten, Vegetationsgrenzen und von Umweltgutachten, von Raumplanung und Dorferneuerung, von Siedlungsstrukturen und hydrologischen Netzen. Da er das schon so oft hat herunterbeten müssen, könnte er unwirsch behaupten, Geographen seien so etwas Ähnliches wie Geologen. Stimmt zwar nicht, stellt den Gegenüber aber ruhig. Zwar wissen längst nicht alle Menschen, dass Geologen Spezialisten für den Aufbau der Erde sind, für die Bildung von Gesteinen und die Lage von Bodenschätzen. Gerade deswegen aber stößt ihr Beruf in der Gesellschaft auf ähnlichen Respekt wie der des Quantenphysikers. Indem er sich als Geologe ausgibt, würde der Bekannte zudem eine Menge Zeit sparen, weil man ihn am Tag nach dem Sektempfang ohnedies dafür halten würde - ganz so, wie sein Frisör das tut oder seine alte Tante, auch wenn sie den Unterschied schon fünfmal erklärt bekam...

Das Ansehen von Geographen leidet darunter, dass so viele Menschen früher Erdkundeunterricht genossen oder erlitten haben und meinen, die moderne Geographie sei dasselbe. Dummerweise gingen auch Personalchefs früher einmal zur Schule. Wer ihnen als Stellenbewerber den Job etwas erleichtern müsste, gibt sich statt als Geograph am besten gleich als Geologe aus: als solcher wird er zwar auch abgelehnt, der Headhunter hätte aber wenigstens das gute Gefühl, zu wissen, WEN er da wieder nach Hause geschickt hat.

Schuld am verschwommenen Berufsbild ist, dass Geographen sich für alles zuständig fühlen, womit sie aber SO falsch nicht liegen. Denn ihre Ausbildung streift außer Mikroelektronik und indo-iranischer Linguistik so ziemlich alles, was Universitäten an Fächern zu bieten haben. Böse Zungen behaupten, Geographie studiere nur, wer seit einer misslungenen Integralrechnung im Mathematikunterricht ein gestörtes Verhältnis zu Naturwissenschaften habe. Oder für die Rechtswissenschaften nicht in Frage kommt, weil vom Vater keine Kanzlei zu übernehmen ist.

Wenn Geographen unter sich sind, bezeichnen sie sich als Universaldilettanten und sind auch noch stolz darauf.

Wie hat der österreichische Dichter Nestroy schon im 19. Jahrhundert gesagt: "Von allem etwas, aber nichts gründlich zu wissen - darin liegt die wahre Genialität!" - Geographen scheinen also sehr genial zu sein.

Das hält sie aber nicht davon ab, über andere Disziplinen zu spotten, wo man über unendliche Dimensionen promovieren kann, ohne zu wissen, wie man ein rechtwinkeliges Dreieck berechnet. - Zu Fachidioten können - ganz selten, aber doch - auch Geographen werden, die letzten "Spezialisten für´s Ganze": Einer schrieb bestimmt eine Diplom-, wenn nicht gar einen Doktorarbeit über die Verteilung von FastFood-Filialen in einer mitteleuropäischen Großstadt. Man erwähnt das natürlich nicht häufig, aber auch das ist Geographie.

Und das erklären Sie einmal an einem lauschigen Abend im Mittelmeer einem 90-jährigen hanseatischen Ehepaar, das Ihnen seit einer Stunde gegenübersitzt und hie und da mit dem Kopf nickt, obwohl es kein Wort ihres Dialektes versteht...

Ein Lotse weist dem Käpt´n den Weg. Hätte man nicht besser einen Geographen nach den richtigen Koordinaten fragen sollen? – Ja, weiß ein Geograph denn das?

TANGER/MAROKKO. – UNHEIMLICHE UNBEKANNTE?