Eine kurze Geschichte queerer Frauen - Kirsty Loehr - E-Book + Hörbuch

Eine kurze Geschichte queerer Frauen Hörbuch

Kirsty Loehr

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Beschreibung

Eine wilde Achterbahnfahrt durch die Geschichte queerer Frauen.

Ob bekannte Namen wie Virginia Woolf, Marlene Dietrich und Hildegard von Bingen oder bisher (zu Unrecht) unbekanntere wie die der andalusischen Prinzessin Wallāda bint al-Mustakfī, der:des Womanizer:in Catterina Vizzani, der chinesischen Intellektuellen Wu Zao oder der trans* Aktivistin Marsha P. Johnson, die am Stonewall-Aufstand beteiligt war: Kirsty Loehr versammelt sie und noch viele weitere queere Frauen in ihrem außergewöhnlichen Buch feministischer Geschichtsschreibung. Nach der Lektüre sehen wir die Welt in ihrem über Jahrhunderte stramm gezogenen heteronormativen Korsett mit neuen Augen. Witzig und frech im Ton spannt Kirsty Loehr einen kritischen Bogen von der Steinzeit bis heute – und eröffnet uns ein unglaubliches Panorama an queeren Frauen, die es unbedingt zu entdecken gilt.

»Rasant, unterhaltsam und herrlich anzüglich.« Kate Lister, Autorin von »Sex – Die ganze Geschichte«.

»Herzergreifend und urkomisch und voller Liebe. Ein wahrhaft geistreicher Volltreffer queerer Geschichte – es zu lesen ist, als würde man ein Geheimnis lüften. Es ist schockierend, romantisch, wütend, und all das schreit aus den Seiten mit dem Bedürfnis, endlich gehört zu werden.« Connie Glyn.

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Zeit:4 Std. 43 min

Sprecher:Pan Selle
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Über das Buch

Queere Frauen gibt es schon immer, aber sie wurden seit, nun ja, schon immer aus der Geschichte herausgeschrieben. Historiker:innen gibt es ebenfalls seit einer Weile, und die längste Zeit waren sie, nun ja, Männer. Daraus folgt: Männer schrieben die Geschichte auf, die sie für wichtig hielten – also meist ihre eigene. Wie Frauen die Geschichte prägten, wurde als unwichtig abgetan. Und dass queere Frauen überhaupt existierten, wollte auch niemand zugeben. Gut, dass Kirsty Loehr es besser weiß: Sie hat die Geschichte durchforstet nach Frauen, die Frauen liebten – und dabei nicht »nur Freundinnen« waren. Ihr Buch lässt uns queere Frauen entdecken, die in ihrer jeweiligen Zeit das Patriarchat herausforderten. Mit ihm werfen wir die vertraute Geschichtsschreibung über Bord und entdecken eine neue, vielfältigere, spannendere Geschichte. 

»Herzergreifend und urkomisch und voller Liebe. Ein wahrhaft geistreicher Volltreffer queerer Geschichte – es zu lesen ist, als würde man ein Geheimnis lüften. Es ist schockierend, romantisch, wütend, und all das schreit aus den Seiten mit dem Bedürfnis, endlich gehört zu werden.« Connie Glyn

Über Kirsty Loehr

Kirsty Loehr ist Schriftstellerin und Englischlehrerin. Sie hat einen Master-Abschluss in transnationalem kreativem Schreiben und liebt Fußball, Geschichte und Humor – allerdings nicht unbedingt in dieser Reihenfolge. Sie lebt in Brighton. 

Janine Malz studierte Übersetzen in Germersheim, Triest und München. Nach Stationen in Übersetzungsagenturen sowie in einem großen Publikumsverlag ist sie heute als freiberufliche Übersetzerin aus dem Englischen, Italienischen und Niederländischen tätig. Daneben unterrichtet sie im Studiengang M.A. Literarisches Übersetzen an der LMU.

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Kirsty Loehr

Eine kurze Geschichte queerer Frauen

Aus dem Englischen von Janine Malz

Übersicht

Cover

Titel

Inhaltsverzeichnis

Impressum

Inhaltsverzeichnis

Titelinformationen

Informationen zum Buch

Newsletter

Widmung

Editorische Notiz zur deutschen Ausgabe

Jemand wird sich an uns erinnern

Sappho und die Entstehung der Lesbe

Vergib mir, denn ich habe gesündigt

Macht Religion die Welt besser?

Wenn du nicht gewinnen kannst, dann schlag sie

Lotario und Lederdildos

Umschnallen oder nicht umschnallen? Das ist hier die Frage.

Vom anderen Ufer über den großen Teich

Jungs hier entlang, Mädchen da entlang

Lesben in höheren Positionen

Die queere Weiberheldin tritt auf den Plan

Hier und dort und überall

Der Handarbeitskreis

Lesben im Weißen Haus

Lesbische Jazzsängerinnen?

Wofür ist Krieg gut? Lesben!

Berlin: queere Oase

Fuck Fascism

Forsche Sexualforscher

Wer definiert Sexualität überhaupt?

Was wäre eine Lesbe ohne ein klein wenig Feminismus?

Feminismus und Fussball

Girls just wanna have fun … damental rights

Natalie Barneys ungeheure lesbische Energie

Lesbenagenda

Bloomsbury und die Harlem-Renaissance

Vita Sackville-West: eine queere Berühmtheit

Harlems berühmteste Gender-Bender-Ikone

Angelina wer? Eben.

Ich bin heilfroh, dass es Euch gibt

Die lesbische Gedankenpolizei

Jung, talentiert, Schwarz

Was für ein Aufstand

Vorsicht vor der lila Bedrohung!

Eine politische Entscheidung?

Kommen eine Butch und eine trans* Aktivistin in eine Bar …

Hollywood hasst Lesben

Gefährlicher weisser Feminismus

Nomen est omen

Die lesbischen Blutsschwestern

Aber inzwischen ist doch alles OK, oder?

Regenbogenkapitalismus

Ja! Nein! Ich kann nicht!

Der finale Akt der Heteronormativität …

#LESBE

DANKSAGUNG

Hinweis zu den Quellen

Erläuterungen

Impressum

Gewidmet all den Queers, die in diesem Buch erwähnt werden, und all den Queers, die immer noch in der Geschichte verborgen sind. Ohne euch besäße ich nicht die Freiheit, die ich heute besitze, dieses Buch wäre nie geschrieben, und vermutlich mein Sohn nie geboren worden.

Oh, und gewidmet meinen Katzen Max, Marmaduke und Mitchell (und meinem geliebten Eric). Denn was wäre eine Lesbe ohne ihre Katzen?

Editorische Notiz zur deutschen Ausgabe

Dieses Buch bietet einen Überblick über die vielfältigen Lebensgeschichten und ‑realitäten queerer Frauen in der Geschichte und ist ein humorvoller und unterhaltsamer Einstieg in die Thematik, bei dem sich Fakt und Fiktion vermischen. Wo es Quellen gab, liegen sie den Darstellungen immer zugrunde, werden jedoch, um dem Stil des Textes gerecht zu werden, nicht explizit aufgeführt. Am Ende des Buches finden sich Empfehlungen der Autorin zu weiterführender Literatur.

Jemand wird sich an uns erinnern

Es heißt, die Dichterin Sappho erfand die Lesbe irgendwann zwischen 620 und 570 v. u. Z. Da trieben es die Männer schon eine ganze Weile miteinander. Wir wissen das, weil diese Praktik schriftlich festgehalten wurde (von Männern), besungen wurde (von Männern) und begrüßt wurde (von Frauen, die angewidert waren von Männern).

Seither hat die Geschichtsschreibung so getan, als hätte Sappho einfach nur eine große Zuneigung zu ihren Studentinnen empfunden, auf eine ganz unsexuelle Weise. Klar, sie hat zwar nur mehr als zehntausend höchst aufgeladene Verse über gleichgeschlechtliche erotische Anziehung geschrieben, aber das beweist noch lange nichts, stimmt’s?

Und so verschwand die Lesbe so schnell, wie sie gekommen war und tauchte erst wieder auf, als Ellen DeGeneres 1997 auf dem Cover des TIME Magazine verkündete: »Yep, I’m gay.« In dem zugehörigen Artikel erklärte Ellen, dass es mehr von ihrer Sorte gäbe und sie genauso aussähen wie Du und Ich, aber weil sie Comedian ist, dachte die gesamte westliche Welt, sie mache nur Witze. Als immer ersichtlicher wurde, dass es sich dabei nicht um einen Witz handelte, killten sie … ihre Karriere.

Das war die Geschichte des Lesbentums. Ende.

()

Natürlich war’s das nicht! Das sind nur ein paar Beispiele, die ich aus der üppigen Fischsuppe der Geschichte rausgefischt habe. Und will man uns wirklich weismachen, Frauen hätten nie miteinander rumgemacht, bevor Sappho daherkam und in die Hände, pardon, auf die Finger spuckte?

Sexuelle Anziehung unter Frauen wurde rigoros aus den Geschichtsbüchern rausradiert, seit, nun ja … schon immer. Wenn queere Frauen doch mal auftauchten, dann weil:

A) Männer sie attraktiv fanden, so dass das Patriarchat in gewisser Weise auch was davon hatte.

B) …

Meine Theorie lautet wie folgt: Vor Sappho, vor den ersten schriftlichen Zeugnissen, war das Leben relativ simpel. Damals, vor langer, langer Zeit, so vor vierzigtausend bis vierzehntausend Jahren, bumste jede:r jede:n, alle Löcher waren Amors Köcher, und man brachte seine Zeit damit zu, die Höhle zu bemalen. Das Konzept von Treue, Identität, Sexualität und Gender gab es schlicht und ergreifend nicht, und – das Beste – niemand scherte sich darum.

Irgendwann später, sagen wir, so gegen 9000 v. u. Z. änderte sich das. Man brachte nun die Tage damit zu, Häuser zu bauen, Ackerbau zu betreiben und feste Beziehungen einzugehen.

Es gab Männer, es gab Frauen, es gab Penisse und Vaginen. Aber immer noch kümmerte es niemanden, wer mit wem und was mit was. Man hatte einfach Spaß miteinander. Männer und Frauen waren gleichberechtigt, es herrschten von Juni bis September durchgängig 26 °C[1]  und niemand musste die Geschirrspülmaschine ausräumen.

Eines Tages, so um das Jahr 3200 v. u. Z., erfand irgendjemand, vermutlich eine Frau, ein Schriftsystem, das im Laufe der Zeit Eingang in die verschiedensten Kulturen und Sprachen auf der ganzen Welt fand. Nicht lang danach nutzte ein Mann seine Schriftkundigkeit, um einem Freund einen Brief zu schreiben. In diesem Brief witzelte er darüber, Frauen seien schlechte Schreiberinnen, vor allem verglichen mit Männern. Wahrscheinlich verlief die Konversation ungefähr so:

Klopf Klopf.

Wer da?

Eine Schriftstellerin.

Ja, klar.

[Beide Männer lachen sich tot]

Das war der erste Witz aller Zeiten auf Kosten von Frauen, und alle fanden ihn unglaublich komisch. Dieser Witz wurde so oft weitererzählt, dass die Leute ihn irgendwann irrtümlicherweise für ein Faktum hielten.

Als er erkannte, welche Macht das geschriebene Wort besaß, fing dieser Mann an, immer mehr Witze über Frauen zu machen, von wegen, sie seien blöd und körperlich unfähig, die wirklich wichtigen Aufgaben zu übernehmen, wie Jagen, Häuser bauen, die Familie ernähren, Marmeladengläser öffnen, Fußballspielen, Bierkrüge leeren und Autofahren. Manches davon kam vielleicht ein wenig später, aber ihr versteht schon.

Ein paar Jahre danach erwischte derselbe Mann eine seiner Liebhaberinnen dabei, wie sie Sex mit einer anderen Frau hatte. Und weil eh jede:r mit jede:m rummachte, machte es ihm eigentlich nichts aus. Aber als er gerade wieder gehen wollte, stutzte er. Er hatte bei einer Frau noch nie zuvor einen solchen Gesichtsausdruck gesehen – oder solche Geräusche gehört.

Der Mann verfasste daraufhin rasch einen weiteren Brief an seinen Freund, um ihm mitzuteilen, dass Sex unter Frauen gefährlich war und unterbunden werden sollte. Er fügte hinzu, dass vielleicht auch Männer aufhören sollten, miteinander zu schlafen, aber darüber könne man sich später noch Gedanken machen, das war nicht so wichtig. Der Brief sah vermutlich so oder so ähnlich aus:

Iden des Mai, 3150 v. u. Z.

Lieber Rylan,

wie geht es dir? Nur so ein Gedanke, findest du nicht auch, Frauen sollten aufhören, Sex miteinander zu haben? Immerhin sind wir nicht dabei, und ich befürchte, sie haben ohne uns mehr Spaß. Vielleicht sollten wir auch aufhören, miteinander Sex zu haben. Aber nur, wenn du das möchtest.

Grüß deine Mum von mir!

Kev x

Dieser Brief ging viral und sofort änderte sich die Haltung gegenüber Frauen, die miteinander schliefen, weil das ein neubegründetes gesellschaftliches Gefüge gefährdete: DAS PATRIARCHAT.

Im Alten China beispielsweise durften sich Frauen nur dann am tui-shih (Oralsex) oder mojingzi (Spiegel-Rubbeln) beteiligen, wenn sie ihrem Ehemann dieselbe Zuneigung schenkten, denn sie waren inzwischen sein Eigentum. That escalated quickly.

Ein bisschen später gab es da noch Jinglanhui (die Goldene Orchideengemeinschaft, 1644–1949 u. Z.), einen Ort, an dem Frauen leben konnten, um keinen Mann heiraten zu müssen. Da die Frauen überwiegend (und offensichtlich) queer waren, unterhielten sie sexuelle Beziehungen untereinander, und wenn eine Frau eine andere heiraten wollte, dann hielt sie ihr eine Nuss hin und sagte: »Hey, ich hätte da eine Frage an dich und hoffe, du bist leichter zu knacken als diese Nuss hier. Okay, es ist eine Erdnuss, aber egal.« Aber im Ernst: Wollte eine Frau sich mit einer anderen verbinden, schenkte sie ihr Erdnussbällchen und andere Süßigkeiten, und wenn ihre Angebetete annahm, war sie ehrenhaft an die andere gebunden.

Nach der Hochzeit gab es dann eine Riesenparty nur unter Frauen. Das frisch vermählte Ehepaar konnte sogar eine Tochter adoptieren, wenn es das wollte. Eine Weile lief alles wie geschmiert, aber dann bekam das Patriarchat Wind von dieser traumhaften Utopie und verbot sie kurzerhand.

In Bagdad hatte einige Jahrhunderte zuvor der Kalif der Abbasiden al‑Hādī (764–786 u. Z.) Gerüchte vernommen, wonach sich zwei Frauen in seinem Harem ohne ihn vergnügten. Außer sich vor Wut entsandte er zwei Spione, um sie auf frischer Tat zu ertappen, was auch gelang. Um ein Exempel zu statuieren, ließ al‑Hādī sie köpfen. Um ein noch größeres Exempel zu statuieren, ließ er die Köpfe schmücken und präsentierte sie zur Abschreckung seinem Hof.

Auch im Zentralafrika der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts machten sich die Männer der Azande Sorgen. Offenbar dürstete es ihre Frauen derart nach Sex, dass sie damit anfingen, einander zu vögeln, während ihre Ehemänner in wichtigen Angelegenheiten unterwegs waren. Wie ein Mann berichtete: »Die Frauen schnitten eine Süßkartoffel oder eine Maniokwurzel in Form des männlichen Geschlechtsorgans zurecht oder benutzten eine Banane. Zwei Frauen schlossen sich in einer Hütte ein, wobei sich eine aufs Bett legte und den weiblichen Part spielte, während sich die andere das künstliche Glied umband und den männlichen Part spielte. Anschließend tauschten sie die Rollen.«

Da kommt das also her.

Die Azande-Männer mussten zugeben, dass, sobald eine Frau einmal mit einer anderen das Bett geteilt hatte, es schwierig war, sie davon abzuhalten, vor allem, weil ihre Ehemänner ihnen nicht halb so viel Lust bereiteten. Klingt einleuchtend.

Gleichgeschlechtlicher Sex unter Frauen wurde in der Folge all dieser Beispiele als abnormal, unmoralisch, verwirrend und – das ist das Schlimmste – als widerwärtig angesehen. Schon bald war es leichter, abzustreiten, so etwas hätte je existiert, und Geschichtsklitterung wurde zu einem Lieblingshobby des Patriarchats.

Aber ich greife vor. Gehen wir noch mal zurück ins Jahr 630 v. u. Z.: Die Männer hatten das Sagen, und Frauen waren schwache, zarte Wesen, die nur geringe Leistungen erbrachten – wie am zweiten Tag ihrer Periode niemandem an die Gurgel zu gehen oder einen kleinen Menschen durch ihre Vagina zu pressen.

Drüben im Alten Griechenland galten Frauen als irrationale Dummchen, die nur darauf warteten, flachgelegt zu werden. Hatten sie darauf gerade keine Lust, waren sie schlichtweg hysterisch und ihr Uterus war an allem schuld, was ja wohl wissenschaftlicher Konsens ist. Frauen durften zudem das Haus nicht verlassen und waren üblicherweise in Räumlichkeiten nahe der Quartiere der Versklavten untergebracht.

Glücklicherweise ging es auf Lesbos, einer kleinen griechischen Insel in der Ägäis, etwas entspannter zu. Wenngleich Frauen auch dort wie absoluter Dreck behandelt wurden, durften sie zumindest ihre Häuser verlassen und, wenn sie so richtig Glück hatten, konnten sie schreiben.

Sappho und die Entstehung der Lesbe

Zu diesen Glückspilzen zählte Sappho, eine Singer-Songwriterin, die im Laufe ihres Lebens ungefähr zehntausend Verse verfasste. Das musst du erst mal toppen, Allen Ginsberg. Sappho schrieb am liebsten über erotische Anziehung, eine erotische Anziehung, die sie für das eigene Geschlecht empfand. Diese Gedichte rezitierte sie, während sie die Lyra spielte, ein harfenähnliches Instrument, für das man lange Fingernägel brauchte. Da lange Fingernägel allerdings für ihre privaten Vergnügungen eher hinderlich waren, erfand sie, zumindest der Legende nach, das Plektrum und stutzte ihre Nägel. Lesbischer Erfindergeist vom Feinsten!

Zuerst dachten alle, wow, diese Poesie ist so erfrischend anders und aufregend, aber dann erinnerte sich das Patriarchat daran, dass diese Art der Liebe gefährlich für sie werden konnte, also wurde Sappho ins Exil geschickt. Und da heißt es immer, Frauen würden überreagieren!

Die Leute auf Lesbos alle so: »Hey, wo ist Sappho hin?«

Und das Patriarchat so: »Ähm … sie musste aus politischen Gründen gehen.«

Und die Leute auf Lesbos: »Echt? Was für politische Gründe?«

Und das Patriarchat: »Ach so, sorry, wir meinten natürlich, sie hat sich in einen Bootsführer verliebt und ist mit ihm fortgegangen.«

Die Leute auf Lesbos daraufhin: »Hm, klingt so gar nicht nach Sappho?! Vor allem, wenn man bedenkt, dass sie die Hälfte aller Frauen auf der Insel gevögelt hat.«

Das Patriarchat: »Ja, verrückt, nicht wahr? Daran sieht man wohl, dass sie im Grunde immer nur auf den Richtigen gewartet hat.«

Und die Leute auf Lesbos so: »Okay, könnten wir wenigstens ihre Adresse haben, damit wir ihr erzählen können, wie gut ihre Lyrik ankommt?«

Und das Patriarchat: »Ähm … hmmmm. Leider nicht. Sie ist vom leukadischen Felsen gestürzt und tot. Sorry!«

Und als ob das nicht schon schlimm genug wäre, gibt es Hinweise darauf, dass Jahre später die ersten christlichen Kirchen Sapphos Werke vernichten ließen. Glücklicherweise konnte einiges gerettet werden, dennoch gilt das bis heute als einer der größten Verluste des literarischen Kanons.

()

Die Alten Griechen liebten es, Geschichten zu erzählen und aufzuschreiben, und auch wenn viele dieser Geschichten mythologischer Natur waren, enthielten sie immer ein Körnchen Wahrheit. Für Historiker:innen ist es deshalb nachvollziehbarerweise schwierig herauszufinden, was davon real und was totaler Unfug ist. Ein Beispiel dafür sind die Amazonen.

Laut der griechischen Mythologie waren die Amazonen die Töchter von Ares, dem Kriegsgott. Es heißt, die Amazonen seien eine reine Frauengesellschaft gewesen. Um ihre Blutlinie fortzuführen, besuchten sie angeblich einen benachbarten Stamm, benutzten die Männer, um sich fortzupflanzen und machten sich am Morgen schnell davon. Und wen poppten die Amazonen aus purer Lust? Einander natürlich!

Niemand weiß so genau, wieso sie Amazonen hießen, aber einige antike griechische Autoren führten es auf den Ausdruck a-mazos (ohne Brust) zurück. Dieser Theorie zufolge sollen sie sich eine Brust abgeschnitten oder »abgebrannt« haben, damit sie nicht beim Bogenschießen hinderlich war. Hätten die Ärmsten bloß gewusst, dass man als Frau auch Pfeil und Bogen bedienen kann, ohne sich dafür eine Brust abschneiden zu müssen – was für eine Verschwendung!

Insofern ja, die Amazonen oder zumindest ähnliche Völker existierten vermutlich tatsächlich, und sie waren im Vollbesitz beider Brüste. Und ja, es mag für Historiker:innen nicht immer leicht sein, sich ein vollständiges Bild davon zu machen, was in der Vergangenheit vor sich ging, insbesondere, wenn man wie die Alten Griechen die eigene Wirklichkeit in Echtzeit neu erfand. Aber wenn es, wie in Sapphos Fall, konkrete Belege gibt, die darauf hindeuten, dass eine Frau sich zu einer anderen erotisch hingezogen fühlte, ist es frustrierend, wenn das andauernd durch Straightwashing diskreditiert und ignoriert wird. Und wenn ich sage, es ist frustrierend, meine ich, es regt mich verdammt nochmal auf.

Apropos, viele Historiker:innen behaupten auch gerne, Sappho könne gar keine Lesbe gewesen sein, weil es das Konzept »lesbisch« zu ihrer Zeit gar nicht gab. Aber genauso wenig existierte »hetero«, insofern gilt wie bei allen historischen Figuren, die wir nicht mehr fragen können: Entscheidet selbst, was Sappho für euch ist.

Klar, ihr fehlte das Vokabular, um sich als lesbisch, bisexuell oder gar als queer »zu identifizieren«, aber sie lebte nun mal vor der Einführung moderner Terminologie und es ist bestenfalls ein Zirkelschluss, ihr deshalb ihre sexuelle Orientierung und ihre Erfahrungen abzusprechen. Es ist absurd, die Gender-Theorie, wie sie heute existiert, einer Gesellschaft überstülpen zu wollen, die ganz anders funktionierte. Außerdem geht mir die genaue Definition am Allerwertesten vorbei.

Einigen jedoch nicht. Tatsächlich scheinen sich konservative Historiker:innen derart daran zu stören, dass sie weiterhin heterosexuelle Versionen von Sappho verbreiten, um sie tunlichst von jedem Verdacht des Lesbentums freizusprechen. In meiner Vorstellung hatten diese Interpretationen unbeabsichtigte Auswirkungen, nämlich, dass Sappho in den Augen queerer Frauen nur noch hotter wurde!

Wer war Sappho?

Konservative Historiker:innen: Sappho war der heterosexuellste Mensch auf Erden.

Queere Frauen: Wir lieben Herausforderungen!

Konservative Historiker:innen: Sappho war ihrem Mann eine liebende Ehefrau und ihren Kindern eine gute Mutter.

Queere Frauen: Wie gesagt, Challenge accepted!

Konservative Historiker:innen: Sappho war die Anführerin einer homoerotischen Frauengruppe.

Queere Frauen: Wo kann ich mich anmelden?

Konservative Historiker:innen: Sappho war die Rektorin einer Mädchenschule.

Queere Frauen: Eine Frau in einer Machtposition UND Geschäftsführerin – sexy!

Konservative Historiker:innen: Sapphos Gedichte über Frauen, die miteinander schlafen, handeln in Wirklichkeit davon, ein Nickerchen zu halten.

Queere Frauen: Nickerchen sind genauso wichtig wie queere Sichtbarkeit.

Konservative Historiker:innen: Sappho war ein Flittchen.

Queere Frauen: Wir hätten also eine Chance gehabt!

Sapphos Erscheinungsbild wird ebenfalls heiß diskutiert. Es gibt keine verlässlichen Quellen, aber da Männer das Aussehen von Frauen seit Jahrhunderten beurteilen, haben wir einige, wenngleich zugegebenermaßen wenig hilfreiche, Informationen. Ein Typ beschrieb sie als bildschön und zierlich, ein anderer behauptete, sie sei hässlich und klein gewesen, und noch mal ein anderer Typ meinte, sie hätte ein zauberhaftes Lächeln gehabt. Das war genau der Typ, der auf Lesbos rumlief und allen Frauen sagte, sie sollten doch mehr lächeln.

Was wir jedenfalls sicher wissen, ist, dass aus dem Namen Sappho der Begriff Sapphismus hervorging, der anfänglich (und in manchen Zusammenhängen bis heute) Frauen bezeichnete, die auf andere Frauen standen. Wir wissen auch, dass das Wort »Lesbe« sich von Sapphos Geburtsstätte, der Insel Lesbos, ableitet, insofern ist Sappho so was wie die Lesbe®. Allerdings bezeichnete »lesbisch« auch einst die Herkunft eines Weines … tja, guter Geschmack verbindet eben.

Vergib mir, denn ich habe gesündigt

Als das Römische Reich aufkam, war das Patriarchat groß im Kommen, ziemlich genau wie das, was zwischen den Beinen der Römer baumelte. Denn um das Imperium zu stärken, galt es, sich um jeden Preis zu vermehren. Aber egal, wie sehr sich zwei Frauen auch aneinander rieben, es kam einfach kein Baby dabei raus. Und so wurde das Fortpflanzungsdefizit auf die ohnehin schon ellenlange Liste der Gründe gesetzt, weshalb Liebe zwischen Frauen etwas Schlechtes war. Römische Männer hingegen durften einander weiterhin vögeln.

Im Jahr 79 u. Z. waren zwei Frauen, nennen wir sie Antonia und Fabia, in ihren Cunnilingus vertieft. Plötzlich bebte die Erde, aber Antonia hielt das Zittern für ein Resultat von Fabias Zungenfertigkeit und nicht der Erdstöße, die die Region regelmäßig erschütterten. Das Beben war eher schwach, so dass sie weiter Sex hatten und anschließend eng umschlungen einschliefen.

Ein paar Tage später, als sie zum mächtigen Vulkan Vesuv hochschaute, beschloss Antonia, ihre Liebe zu Fabia unter Beweis zu stellen, indem sie ein Graffito in eine Wand kratzte. Am nächsten Tag brach der Vulkan aus und Antonia und Fabia waren tot, genau wie alle anderen Bewohner:innen der Gegend. Die Stadt Pompeji wurde erst Jahrhunderte später unter dicken Ascheschichten entdeckt, samt den Worten: »Oh, wäre es mir nur erlaubt, deine zarten Arme um meinen Hals zu schlingen und Küsse auf deine weichen Lippen zu drücken. Wohlan, Puppe, vertraue deine Freuden dem Wind an; glaub mir, der Männer Natur ist leicht.«

Nur eine Frau, die in eine andere Frau verliebt ist, kann etwas derart Schnulziges schreiben.

Ein paar Jahrzehnte später hing ein junger römischer Dichter namens Catull in seiner örtlichen Bibliothek herum. Catull war von Geschichte fasziniert, vor allem liebte er die Alten Griechen, also schnappte er sich ein Buch und begann zu lesen. Als er so durchblätterte, stach ihm etwas ins Auge: ein altes, fragmentarisches Gedicht, das aussah, als hätte man es irgendwo anders entnommen und zwischen den Buchseiten platziert. Da er Kleptomane war, ließ er das Gedicht kurzerhand in seiner Tunika verschwinden und nahm es mit nach Hause zu seiner Freundin Clodia.

»Wo hast du das her?«, fragte Clodia schockiert.

»Aus der Bibliothek. Wieso, was steht da?«, antwortete Catull.

Das Gedicht war auf Äolisch verfasst, einem altgriechischen Dialekt, der unter anderem auf der Insel Lesbos gesprochen wurde und den Clodia zufälligerweise verstand. Sprachlos starrte sie Catull an und nahm dann das Gedicht mit ins Bad, wo sie laaaange Zeit blieb.

Von da an trug Clodia jedes Mal, wenn sie es miteinander trieben, das Gedicht laut vor, was Catull ziemlich nervte, der noch immer keine Ahnung hatte, was sie da rezitierte.

Nachdem sie es ein weiteres Mal laut vernehmlich vorgetragen hatte, riss Catull Clodia das Gedicht aus der Hand und nahm es mit zu seinem Freund Marcus, der ebenfalls Äolisch verstand.

»Sappho!«, verkündete Marcus geschockt und ließ das Gedicht zu Boden fallen.

»Was ist ein Sappho?«, wollte Catull verdattert wissen.

»So heißen die Frauen auf Lesbos, die aussehen wie Männer und sich nicht für einen Mann aufgeben wollen. Stattdessen verkehren sie mit anderen Frauen.«

»Das kann nicht sein, das glaube ich nicht!«, rief Catull aus.

»Es ist wahr«, entgegnete Marcus. »Ich habe es mit eigenen Augen gesehen …«

Römische Männer wie Catull und Marcus konnten nicht verstehen, weshalb oder auch nur wie zwei Frauen Sex ohne einen Penis haben konnten. Um sich einen Reim darauf zu machen, versuchten die Römer schließlich zu definieren, was diese Frauen genau im Schlafzimmer anstellten, etwa, dass sie sich aggressiv aneinander rieben, Dildos benutzten und gefährlichen, gewaltsamen Sex hatten. All diese Erklärungsversuche klingen phantastisch, aber letztlich einigten sich die Römer auf das griechische Wort tribein, was »reiben« bedeutet, und bezeichneten das Phänomen der Frau, die aus sexueller Lust ihre Vulva an einer anderen Frau reibt, als