Eine neue Dynastie - Sina Blackwood - E-Book

Eine neue Dynastie E-Book

Sina Blackwood

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Beschreibung

Als offenbar wird, dass in Lady Tessa die Ahnfrau der Drachen, Lady Lilian, wiedergeboren ist, steht für alle außer Zweifel, dass dem Clan eine große Wende bevorsteht. König Vincent ist schon lange nicht mehr er selbst und beginnt schließlich sogar, gegen den Clan zu arbeiten. Für Lady Shona ist sicher, wenn er nicht bald zur Vernunft kommt, wird man einer Königin folgen. Doch Lady Tessas Pläne sehen etwas anders aus.

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Inhaltsverzeichnis

Man muss die Feste feiern, wie sie fallen

Geheime Vorbereitungen

Die Magie des Nebelwaldes

Hochverrat

Kleine und große Überraschungen

Geschichte und Geschichten

Start mit Schwierigkeiten

Die Rache der Lady Tessa

Die letzten Hürden

Eine neue Dynastie

Friedliche Zeiten

Neue Sterne gehen auf

Gut gepanzert

Licht ins Dunkel

Das Ziel vieler Wünsche

Man muss die Feste feiern, wie sie fallen

Es sind erst wenige Tage vergangen, seit Sir Jim die Geburt seiner Tochter Tessa mit einem großen Turnier gewürdigt hat.

Ganz bewusst hatte er den neugeborenen Winzling Cedric, seinem ergebenen und gelehrigen Knappen, in die Arme gelegt, dem die intensiv leuchtenden Augen sofort verrieten, einen jungen Drachen beschützen zu dürfen. Zudem machten weder sein Herr noch Lady Fran, die Mutter der Kleinen, einen Hehl daraus, ihn als Schwiegersohn zu favorisieren. Eine unglaubliche Ehre für einen Menschenknaben, von einem der mächtigsten Drachenpaare als Clanmitglied ausersehen zu werden. Dass dies Cedric noch mehr beflügelte, sah man auf ebenjenem Turnier, wo der junge Mann alle Konkurrenten aus dem Feld stach. Von der Hilfe, die ihm seine zukünftige Gattin dabei gewährte, hatte nur Lady Fran etwas mitbekommen. Lady Tessa, das vermeintlich hilflose Baby, war ganz einfach dazu übergegangen, wenn sie fühlte, dass Cedric in Bedrängnis war, sein Bewusstsein so zu erweitern, dass er die Gespräche der anderen Drachen auf der Königstribüne mithören konnte, obwohl er deren geheime Sprache sonst gar nicht beherrschte. Die Fachsimpeleien, wie man den Gegner schlagen könne, setzte er natürlich sofort in die Tat um.

Nur zu gern hob er mit der Lanzenspitze den Siegerkranz aus blutroten Blüten vom Körbchen des Babys, welcher alle anderen Kränze in den Schatten sstellte, und widmete Tessa öffentlich, als zukünftiger Gattin, seinen Sieg. Zum größten Erstaunen aller anderen Drachen, die nicht geahnt hatten, dass Fran mit der Geburt der Kleinen auch Vorkehrungen getroffen hatte, ihre Familie und damit den Clan zu festigen.

Sir Vincent, ein starker Drache, aber ein schwacher König, schlug Cedric wegen des völlig unglaublichen Sieges sofort zum Ritter, denn er war auf die Macht guter und loyaler Männer angewiesen, um regieren zu können, und jeder ausgebildete Kämpfer zählte, selbst wenn dieser ein Mensch war.

So gab es an einem Tag gleich mehrere Gründe zu feiern: die Geburt der kleinen Drachen-Lady, Cedrics Sieg über gestandene Ritter und der nachfolgende Ritterschlag sowie die öffentliche Bekanntgabe der zukünftigen Verbindung zwischen dem neuen Ritter und der Tochter seines Dienstherrn.

Sir Benjamin drückte seinen Sohn Cedric stumm und fest an seine Brust. Der Stolz auf ihn leuchtete wie Flammen in seinen Augen. Keiner der missgünstigen Verwandten würde es jemals wieder wagen, Cedric die Schuld am Tod seiner Mutter zu geben, die während dessen Geburt verstorben war. Dann setzte es sicher mehr, als nur heiße Ohren.

„Viel Feind‘, viel Ehr‘!“, schmunzelte Lady Fran, als sie den neuen Ritter an ihre Seite bat.

Cedric folgte ihrer Blickrichtung. Drei der niedergerungenen Drachenritter beobachteten ihn wohl schon die ganze Zeit mit finsteren Gesichtern. Vor allem missgönnten sie ihm, der Schwiegersohn des gelben Drachens werden zu dürfen. Alle drei waren Emporkömmlinge jener Wolkenfelser Linie, die den König am liebsten stürzen wollte.

„Wenn ich mich nicht irre, gibt es mindestens eine Burg zu erobern“, gab Cedric breit grinsend zurück.

Fran lachte auf. „Genau die richtige Einstellung, Herr Ritter.“

Manchmal wünsche ich mir nichts sehnlicher, als die Drachensprache zu verstehen, dachte Cedric.

Es war ganz sicher auch kein Zufall, dass Tessa just in diesem Moment erwachte, ihre magischen blauen Augen auf ihn richtete, lächelte und ihm die Ärmchen entgegenstreckte.

„Waltet Eures Amtes als Gesellschafter“, blinzelte Fran, ihm Tessa übergebend.

„Nun, kleine Lady, was wollen wir machen? Das siegreiche Pferd besuchen?“, fragte Cedric.

Tessa jauchzte, was der junge Mann als Zustimmung wertete und sie zur Wiese trug, wo sein Ross angebunden war. Der König, seine Ritter und die Damen beobachteten es mit zufriedenem Lächeln. Lady Fran, die gefährlichste Kriegerin des Clans, musste wirklich vollstes Vertrauen in ihn haben.

„Ich bin sicher, er wird schnell merken, wann er nein sagen muss“, winkte Sir Jim ab, als Lady Maya Bedenken anmelden wollte.

„Ihr vertraut ihm also auch, wie einem von uns!“, staunte sie.

„Natürlich. Er hat nie einen Hehl daraus gemacht, dass er sich von uns wie ein leiblicher Sohn behandelt fühlt. Vergesst auch nicht, dass er ein Vertrauter von Lady Mo ist. Und sie lässt wirklich kaum jemanden in ihre Nähe“, erklärte Sir Jim.

„Stimmt“, gab Lady Maya zu. „Als er ihr Vertrauen gewann, war er ja sogar ganz neu bei Euch in Ausbildung.“

Sir Jim rieb sich die Hände. „Wenn ich daran denke, dass das alles erst wenige Monate her ist, könnte ich mich gleich dreifach freuen.“

Lady Maya verkniff es sich, zu sagen, dass Cedric vielleicht sogar der ideale Partner für Mo sein könnte, wenn er die magischen drei Drachenbisse überstände. Nur hätte der König fast die Hälfte des Clans gegen sich, würde er es befehlen, was tödlich für ihn wäre. Auch konnte noch keiner sagen, über welche Fähigkeiten Tessa einmal verfügen werde. Sie werde sich Cedric nicht wegnehmen lassen und auch keine Nebenbuhlerin dulden. Kam sie nach ihrer Mutter, würde sie bei solch einem Befehl verbrannte Erde und keinen Stein mehr auf dem anderen in der Hauptstadt zurücklassen.

Im Augenblick streichelten die kleinen Fingerchen der Drachen-Lady das Fell von Cedrics Braunem. Er tupfte ihr das weiche Maul ins Gesicht und Tessa lachte fröhlich, wobei ihre Augen erneut hell wie Laternen strahlten. Cedric wischte mit dem Zipfel seines Umhangs den feuchten Teil des Pferdekusses trocken, klopfte liebevoll den Hals des Tieres und schlenderte mit Tessa zur Tribüne zurück.

„Da war wohl jetzt jemand schneller, Eure zukünftige Gattin zu küssen“, witzelte Sir Timothy.

Cedric lächelte. „Ein Irrtum, mein Herr. Meinen innigen Kuss hat sie bereits am Tag ihrer Geburt bekommen.“

„Ihr lasst aber auch nichts anbrennen!“, staunte Sir Ian.

„Gute Schule macht den Meister“, lachte Cedric mit einer Verbeugung zu Lady Fran und Sir Jim.

Sir Jim blinzelte vergnügt. „Da kommt mir doch glatt eine Idee!“ Er ließ Mutter Anne und Sir Benjamin rufen. „Habt Ihr heute noch etwas Besonderes vor?“

„Uns mit Sir Cedric freuen“, antworteten beide völlig synchron.

„Dann schlage ich vor, der Feierlaune noch mehr Zündstoff zu geben, indem Euch König Vincent offiziell als Mann und Frau verbindet, um den Neidern richtig das Wasser abzugraben. Ihr habt doch sicher auch in den nächsten Minuten nichts anderes vor“, wandte er sich an Sir Vincent.

Der lachte herzlich. „Würde ich auch nur versuchen, mich ernsthaft zu wehren, machte mir Eure Gattin ein ordentliches Drachenfeuer unterm Hintern. Tretet also her, Frau Anne und Sir Benjamin! Kraft meines Amtes erkläre ich Euch zu Eheleuten.“

Lady Fran und Sir Jim zogen rasch je einen ihrer Prunkringe ab, die sie dem frischgebackenen Ehepaar als Glücksbringer und Trauringe verehrten.

Cedric gehörte zu den ersten Gratulanten, die mit strahlendem Gesicht Glück und Wohlstand wünschten. „Damit ist einer meiner ganz großen Wünsche in Erfüllung gegangen“, seufzte er in tiefer Zufriedenheit.

„Nicht übel, Stiefbrüderchen!“, grinste Sir Jim, während der Clan große Augen bekam. Die Tatsache hatten alle völlig ausgeblendet.

Lady Shona fand zuerst die Stimme wieder. „Ich lasse alle Tiere und alle Habe von Lady Anne nach Burg Greifenstein bringen.“

Mutter Anne wurde puterrot, als sie sich herzlich bedankte. „Lady Anne“, flüsterte sie dann kopfschüttelnd.

„Keine Menschenfrau hat den Titel mehr verdient“, führte ihr König Vincent vor Augen. „Euer Sohn Jim ist ein Ritter und Drache geworden, gleichermaßen verehrt, wie gefürchtet. Und Euer Stiefsohn Cedric ist ebenfalls einer meiner Ritter. Noch dazu ein besonders Guter, wie er heute bewiesen hat.“ Er winkte den Musikern, zum Tanz aufzuspielen, und das frisch vermählte Paar wirbelte über die Wiese.

„Ein wundervoller Tag!“ Lady Shona zog Sir Timothy an der Hand auf die Wiese, um genau so sorglos wie Lady Anne zu tanzen.

Sir Ian und Sir Patrick schauten dem bunten Treiben amüsiert zu, bis sie den Aufforderungen der jungen Menschenfrauen nicht mehr entgehen konnten und sich selbst bei den Tanzenden mit einreihten.

Sogar Sir Cedric und Lady Tessa wiegten sich am Rande der Rasenfläche im Takt, denn die magischen Augen der Drachen-Lady hatten ihn so gebettelt, dass er weich geworden war und sie auf den Arm genommen hatte.

Am nächsten Tag endete das Fest mit dem gemeinsamen Frühstück des Drachenclans und bald kündete nur noch das zerdrückte Gras von der Anwesenheit so vieler Gäste. Die Ernte des reifen Getreides konnte weitergehen. Sir Patrick half noch dabei, die Scheunentüren wieder einzuhängen, die Sir Jim kurzerhand als Tischplatten umfunktioniert hatte.

„Euch drückt doch irgendwo der Schuh“, sagte Lady Fran schließlich. „Ihr wartet eindeutig auf den Moment, wo alle anderen weg sind, um Euer Herz auszuschütten.“

„Stimmt“, gab Sir Patrick sofort zu. „So, wie sich die Ereignisse im Augenblick überstürzen, wachsen meine Befürchtungen, dass die Zukunft für den Clan düster sein könnte. Ja, ich weiß, dass Ihr Euch wundert, warum ich darüber nicht mit Sir Timothy spreche, aber der Kernpunkt liegt nun mal in Eurer Familie.“

„Ich muss erst die junge Dame außer Hörweite bringen“, erklärte Fran, während sie nach Sir Cedric rufen ließ. „Ich gebe Bescheid, wenn ich mich wieder um Lady Tessa kümmern kann“, gebot sie, ihm die Kleine zur Aufsicht übergebend.

Cedric zog sich mit dem Babykörbchen in den Schatten eines alten knorrigen Baumes zurück, wo er Tessa in den Schlaf wiegen wollte. Nur kam er nicht dazu: Kaum saß er an den Stamm gelehnt, den Korb auf dem Schoß, starrte ihn Tessa so intensiv an, dass sich im Bruchteil eines Wimpernschlags ein blauer Strudel vor ihm auftat, der ihn regelrecht fortriss.

Er hörte mehrmals wie durch eine Watteschicht seinen Namen, dann die ganze Unterhaltung der drei Drachen, obwohl mehrere dicke Mauern und viel Raum zwischen ihm und ihnen lagen.

„... wird Sir Cedric von hier fortschicken, auf eine Mission, von der er vielleicht nicht zurückkehrt. So, wie ich Sir Cedric kenne, wird er sich sogar freiwillig melden. Das wiederum wäre sogar gut, um die beiden Drachen kontrollieren zu können, die weder königs- noch clantreu sind“, sagte Sir Patrick.

„Das kann er doch gar nicht allein bewältigen!“, warf Lady Fran ein.

„Eben!“, erwiderte Sir Patrick. „Ich weiß, dass er sich zwei Drachen-Ritter wählen muss, um lebend aus der Sache herauszukommen.“

„Einer wird ganz sicher Sir Ian sein“, bemerkte Sir Jim. „Wenn wir nicht dürfen, wer sind dann die ledigen Königstreuen? Mir fällt auf die Schnelle keiner ein.“ Er schloss die Augen, um besser nachdenken zu können. „Wir werden belauscht“, hauchte er im selben Moment kaum hörbar und riss die Tür auf, vor der sich der leere Gang präsentierte.

Lady Fran begann zu lachen. „Der unfreiwillige Spion sitzt vor der Burg unter einem Baum und zappelt im Netz einer Baby-Spinne. Verdammt schlau, das kleine Hexlein! Durch sie kann er unsere Sprache verstehen und über weite Entfernungen hören, wie ich gestern zufällig herausgefunden habe.“

„Das will ich genau wissen“, rief Sir Jim und ließ Sir Cedric rufen.

Der nahte sofort mit dem Körbchen. „Sie schläft.“

„Das glaube ich gern, nach dem Kraftakt“, schmunzelte Lady Fran. „Wie lange hat sie Euch lauschen lassen?“

Cedric wurde blass. „Von da an, wo es darum ging, mich fortzuschicken“, kam sofort die Antwort.

Die Drachen wechselten einen schnellen Blick, dann fragte Sir Jim: „Wer wäre Euer zweiter Drache?“

„Lady Tessa.“

Alle drei sprangen auf, um den jungen Ritter ungläubig zu mustern.

„Lady Tessa“, wiederholte er ganz ruhig und fügte hinzu: „Ihre Rache, wenn es anders käme, würde keiner überstehen.“

„Das glaube ich sogar aufs Wort“, murmelte Lady Fran. „Nun wird es schwierig.“

Cedric zog die Augenbrauen zusammen: „Sie hat mir gesagt, dass sie Sir Ian als Erzieher akzeptiert, solange ich nicht in Lebensgefahr schwebe.“

„Sie scheint etwas zu wissen, von dem nicht mal ich eine Ahnung habe“, entsetzte sich Sir Patrick.

Sir Cedric trat an das Körbchen, strich Tessa sanft übers Haar und murmelte: „In einem früheren Leben nannte man sie Lady Lilian Greyham of Dragonforest.“

Lady Fran kippte mit einem matten Seufzer ohnmächtig in ihren Sessel. Diese Information haute buchstäblich die stärksten Drachen um, denn auch Sir Patrick ließ sich mit zitternden Händen nieder.

Sir Jim betrachtete liebevoll das unschuldig wirkende Gesicht seiner ungewöhnlichen Tochter. „Dann weiß sie doch bestens, wie man einen Drachenclan vorm endgültigen Untergang bewahrt. Ob unseren oder den von Mo oder beide, dürfte dabei völlig egal sein. Egal ist aber nicht, ob wir sie als Baby oder Trägerin einer alten wissenden Seele behandeln.“

„Es dürfte auch kein Zufall sein, dass soeben ihre Augen magisch zu leuchten beginnen“, fügte Fran hinzu, die sich mühsam aufrappelte. Sie nahm Tessa aus dem Korb, drückte sie an sich und bat: „Ich bin unendlich stolz auf Euch, und darauf, Eure Mutter sein zu dürfen. Ihr müsst auch nicht den Säugling spielen, wenn Euch nach großen Taten ist.“

Lady Tessa begann herzlich zu lachen, während eine fremde Stimme laut und deutlich sagte: „Ein paar Tage werde ich den Kinderkörper noch ertragen müssen, auch Magie braucht ihre Zeit, um sich voll entfalten zu können. Ich werde aber rechtzeitig über alle Kräfte verfügen, wenn Sir Cedric ans andere Ende der Welt aufbrechen muss. Sir Patrick ahnt, was ich meine.“

„Wäre es nicht wichtiger, Eurem zukünftigen Gatten ein bisschen Hintergrundwissen zu geben?“, versuchte Sir Patrick abzulenken.

„Ganz bestimmt nicht“, lachte Lady Fran. „Der hat all meine Bücher verschlungen und kann den Weg des Clans praktisch im Schlaf herbeten. Kein Wunder, dass er das Interesse einer uralten Seele geweckt hat.“

„Richtig“, pflichtete Lady Lilians Stimme bei. „So, nun muss ich brav schlafen, weil ich sonst nicht schnell genug wachsen kann.“ Tessa schloss die Augen und schlummerte auf der Stelle ein.

„Ihr beide fliegt am besten einmal rüber zur Smaragdburg“, riet Sir Jim, den beiden anderen Herren, die sich sofort still verabschiedeten und auf Zehenspitzen hinaus schlichen, um die kleine Lady nicht zu wecken.

Geheime Vorbereitungen

Lady Shona stand am Fenster, als der olivgrüne Drache im Burghof landete und seinen Reiter absteigen ließ, ehe er sich verwandelte. Sie meldete sie Ankunft gleich persönlich Mann und Sohn, die hinaus eilten, um die Gäste zu empfangen.

„Ihr bringt eine ungewöhnliche und starke fremde Aura mit, meine Herren“, stellte Sir Timothy fest, als er nahe an sie herantrat. Während nur seine Augen fragten, ob bei ihnen und auf Kuckuckstein alles in Ordnung sei.

„Alles bestens“, erklärte Sir Patrick. „Wir müssen trotzdem irgendwo miteinander reden, wo man uns niemand belauschen kann.“

Sie zogen sich zu fünft ins Arbeitszimmer des Burgherrn zurück, wobei die drei Gastgeber die beiden Gäste sofort fragend anschauten, als sich die Tür geschlossen hatte.

Sir Patrick nickte Sir Cedric zu, der mit dem ersten Satz alle elektrisierte: „Lady Lilian Greyham of Dragonforest ist in Lady Tessa wiedergeboren.“

Totenstille. Dann sagte Sir Timothy: „Ich habe also wieder mal recht, dass wir vor einer entscheidenden Wende stehen.“

Beide Gäste nickten. Sir Cedric wandte sich an Sir Ian: „Ich möchte Euch bitten, mir in Bälde beizustehen, wenn mich der König auf eine fast unmögliche Mission schicken wird.“

„Ihr könnt auf mich zählen!“, schwor Ian und bekam mit seinen Eltern zu erfahren, was sich in den letzten Stunden auf Kuckuckstein zugetragen hatte.

Über die Reaktion seines Freundes, bezüglich des Wissens der geheimnisvollen Drachen-Lady zum Erhalt eines Clans, grinste Sir Ian breit. „Wie sollte einer, der die Energien von vier Drachen in sich trägt, auch anders darüber befinden? Ich freue mich darauf, mit Euch und ihr in den Kampf zu ziehen!“

„Mir machen nur die eigenen Leute Sorgen“, seufzte Sir Cedric. „Die Furcht, im Schlaf erdolcht zu werden, ist um Längen größer, als ihnen vielleicht im Drachenpanzer gegenüber zu stehen.“

„Ich denke, da werden wir eine passende Lösung finden“, tröstete ihn der erfahrene Ritter. „Zumal Ihr nicht die geheimen Kräfte außer Acht lassen dürft, über die Lady Tessa verfügt.“

„Mich wundert gar nichts mehr“, schmunzelte Ian, als er später dem davonfliegenden Drachen mit seinem Reiter hinterherschaute.

„Mich auch nicht“, murmelte Sir Timothy. „Wie oft habe ich König Vincent gebeten, die Drachengrotte aufzusuchen? Und? Hat er es gemacht?“

„Mal sehen, was passiert, wenn sich ihm die junge Dame offenbart“, ließ sich Lady Shona vernehmen. „Der Schock sollte heilsam sein. Sonst kann es ganz schnell passieren, dass wir die Befehle einer Königin befolgen werden.“ Sie ließ die verblüfften Männer stehen und wandte sich wieder ihrem Tagwerk zu.

„Ich fürchte, sie hat recht.“ Sir Ian bekam hierfür die volle Zustimmung seines Vaters.

Die junge Lady zog es vor, alle paar Tage um mehrere Zentimeter zu wachsen, Sir Cedric und ihre Eltern auf Trab zu halten. Recht schnell wechselte sie von der Kleinkindtrotzphase zur Pubertätstrotzphase über und testete die mentale Stärke ihres zukünftigen Gatten auf eine Weise, für die sie jeder andere vielleicht im Zorn erwürgt hätte. Sir Cedric gelang es hingegen immer öfter, sich ihren magischen Attacken zu widersetzen. Als er es ihr auf den Kopf zu sagte, dass er das Spiel durchschaut habe, warf sich die widerborstige junge Dame auf den Boden und kreischte aus Leibeskräften. Im Nu waren Lady Fran und Sir Jim zur Stelle.

„Ich schwöre, ich habe ihr kein Haar gekrümmt!“, beteuerte Cedric immer wieder, weil ihm die besorgten Eltern anklagende Blicke zukommen ließen. „Ich habe es nur gewagt, ihre magischen Spielchen zu ignorieren.“

„So läuft also der Hase!“ Lady Fran runzelte die Augenbrauen und zog ihren Gatten an der Hand aus dem Zimmer.

Sir Cedric atmete einmal tief durch. „Nun ist Schluss mit dem Unfug! Noch sind wir nicht verheiratet. Vielleicht überlege ich es mir noch einmal, mein Leben mit einer Kratzbürste, wie Euch, zu verbringen.“ Er drehte sich um und ließ Tessa liegen, die ihm aus großen entsetzten Augen hinterherschaute, als er die Tür von außen schloss.

Er wandte sich der Schmiede zu, um seine Waffen zu schleifen, wie immer, wenn er Zeit zumNachdenken brauchte. Seine zusammengezogenen Augenbrauen sprachen Bände. Lady Fran hätte Tessa am liebsten geohrfeigt. Alte Seele hin oder her.

Sir Jim zog sie an seine Schulter. „So, wie es aussieht, hat er ihr ein paar passende Worte geflüstert. Vielleicht fallen sie ja auf fruchtbaren Boden.“

In den nächsten Tagen verhielt sich Tessa auffallend still, um ihn nicht zu reizen, während Cedric noch intensiver trainierte. Als Schnee und Eis das Land erstarren ließen, bat er Sir Jim, ihm als Drache nützliche Lektionen zu erteilen. Das ging nicht ohne Brandwunden und sonstige Blessuren ab, selbst wenn Drache Jim nie mit voller Kraft agierte.

Auch heute wanderte Sir Cedric ein Paarhundert Meter von der Burg weg, um frei mit dem riesigen gelben Drachen trainieren zu können. Er hatte den Kampfplatz noch nicht erreicht, als das typische Rauschen von Drachenschwingen erklang.

Cedric drehte sich um und stand unversehens einem fremden pechschwarzen Drachen gegenüber, der mit rauchenden Nüstern zu taxieren schien, ob er den Happen mit einem Mal verschlingen könne. Cedric hob geistesgegenwärtig den Schild, ging in die Knie und tauchte unter der plötzlich auf ihn zu schießenden Flamme weg. Auch dem zuschnappenden Maul entkam er immer wieder, ehe sich die nächste Flamme anschickte, ihn zu verbrennen.

Sir Jim war unverwandelt stehen geblieben und beobachtete den ungleichen Kampf, denn Cedrics einzige wirksame Waffe war seine Schnelligkeit. Das Schwert war von einer Flammengarbe getroffen worden und der junge Ritter hatte es losgelassen, um nicht seine Hand durch das glühende Metall einzubüßen. Jim konnte sich nicht erinnern, den fremden, ziemlich kleinen Drachen jemals gesehen zu haben.

Da gelang es Cedric, seinen Dolch zu ziehen, und zwischen die Schuppen des nach ihm greifenden Vorderbeins des Gegners zu treiben. Mit einem spitzen Aufschrei ließ der fremde Drache von ihm ab, um hoch in den Wolken zu verschwinden.

Nun erst näherte sich Sir Jim. „Wer war das?“

„Ich habe gehofft, Ihr könntet mir das verraten!“, rief Sir Cedric, sein abgekühltes Schwert vom Boden aufnehmend.

„Diesen Drachen habe ich nie gesehen!“ Sir Jim schaute in den Himmel, als könne er den Fremden entdecken. „Wundersam zudem, dass solch ein kleiner Drache die Flammen beherrscht. Wir sollten heute Nachmittag nach Emerald Castle fliegen und Sir Timothy befragen. Warum hat er Euch überhaupt angegriffen?“

„Keine Ahnung.“ Sir Cedric wirkte ratlos. „Er kam und ging gleich mit Feuer auf mich los.“

„Eine merkwürdige Art, unter Rittern“, schnaufte Sir Jim.

„Falls es ein Ritter war“, warf Cedric ein. „Ihr habt ja auch festgestellt, dass er für einen Drachen erstaunlich klein war.“

„Wie dem auch sei, Euer Training habt Ihr für heute hinter Euch. Gehen wir heim und verarzten eure Wunden!“ Sir Jim stützte Cedric, der doch etwas mehr abbekommen hatte, als es auf den ersten Blick ausgesehen hatte.

Lady Fran, die nichts von dem Kampf mit dem fremden Drachen ahnte, schlug die Hände über dem Kopf zusammen, als Cedric in die Burg hinkte. „Musstest Ihr es so übertreiben?!“, herrschte sie Sir Jim an.

Beide Männer schauten sich an und begannen zu lachen.

„Was ist daran so lustig?“, schnaufte Fran, die Salbentiegel auf den Tisch stellend.

„Dass das ein uns völlig unbekannter Drache angerichtet hat“, schmunzelte Jim. „Oder könnt Ihr uns den Namen von einem tiefschwarzen, kleinen Drachen nennen, der bissig wie Straßenköter und im Besitz der Flamme ist?“

„Und der dann ganz einfach so verschwunden ist?“, fügte Lady Fran sarkastisch fragend hinzu.

„Nicht ganz. Ich habe ihn am rechten Vorderbein verwundet, gleich oberhalb des Fußgelenkes“, verriet Cedric. „Damit dürfte er, als Mensch, einige Tage aus dem Rennen sein.“

„Wie Ihr, mein Lieber. Stauchungen, Quetschungen, Brand- und Risswunden – das wird dauern, ehe es abgeheilt ist!“ Fran trug eifrig Salbe auf. „Eigentlich sollte man Lady Tessa damit beauftragen, damit sie weiß, was auf sie zukommt!“

„Wo steckt sie überhaupt?“, fragte Sir Jim. „Sie ist doch sonst sofort zur Stelle, wenn Sir Cedric vom Training kommt.“

Als eine Magd die Waschschüssel wegbrachte, bat Fran, Tessa zu holen.

Die junge Dame war aschfahl im Gesicht, als sie schließlich die schwere Eichentür ins Schloss drückte und schwankend stehen blieb. „Ihr habt nach mir gerufen.“

Cedric war mit einem Satz auf den lädierten Beinen. „Oh nein, was ist denn mit Euch passiert? Kommt! Setzt Euch!“ Er führte sie zu einem Sessel und nahm sich selber einen Schemel.

„Ich ... ich ... ich habe mir den Magen verdorben“, flüsterte Lady Tessa matt.

Da hatten Cedrics scharfe Augen auch schon erspäht, was ihr wirklich Schmerzen bereitete und rasch zählte er eins und eins zusammen. „Ich bin als Drachenfutter ungeeignet, wie Ihr jetzt sicher wisst.“

Tessa zuckte so deutlich zusammen, dass Sir Jim zu ahnen begann, was Cedric meinte und kurzerhand den Umhang von ihrem rechten Arm streifte. Ein großer Verband kam zum Vorschein, der wenig fachmännisch, weil wohl mit einer Hand, angelegt worden war.

„Ach herrje!“, stöhnte Lady Fran, die plötzlich auch im Bilde war. „Ihr habt doch nicht etwa ohne jedes Kampftraining versucht, Ritter Cedric zu ärgern?! Dafür sieht er aber doch erstaunlich gut aus, im Gegensatz zu Euch.“

„Ich werde es nicht wieder tun. Versprochen“, jammerte Tessa, ihren schmerzenden Arm haltend. „Ich werde Sir Cedric niemals wieder Kummer bereiten. Niemals! Ich schwöre!“

„Na gut, dann flicken wir Euch erst mal wieder zusammen“, schmunzelte Cedrik, ihr geschickt mit Salbe und Leinentüchern einen ordentlichen Verband anlegend. „So, ab ins Bett! Ich bringe Euch dann noch einen lindernden Kräutertrunk.“

Sie nahm mit der Linken seine Hand, legte sie an ihre Wange und schlich sich still davon.

„Sie muss sich heute zum ersten Mal verwandelt haben“, überlegte Fran laut, „Was im Normalfall ein Grund zu feiern wäre. Nur ist bei Lady Tessa nichts ein normaler Fall.“

„Sie wird hoffentlich nun etwas zahmer werden“, freute sich Cedric. „Zumindest mir gegenüber. Na, immerhin etwas und mein zweiter Erfolg für heute.“

„Den er sich verdammt hart verdient hat“, fügte Jim hinzu, als Cedric hinaus hinkte, um den versprochenen Tee zu besorgen. Dann erzählte er Fran, wie er den ungleichen Kampf, ohne einzugreifen, beobachtet und wie der nach Cedrics Worten überhaupt begonnen hatte.

„Ich werde froh sein, wenn Tessa endlich ein Stadium erreicht, in welchem man mit ihr vernünftig reden kann“, stöhnte Fran.

„Wenn das die Mutter von Zwillingen sagt, muss die Lage wirklich ungewöhnlich sein“, witzelte Jim.

„Ist sie, mein Lieber. Ist sie.“ Lady Fran schüttelte unwillig den Kopf. „Ich bewundere Sir Cedrics Gleichmut.“ Dann ging ein lauschender Zug über ihr Gesicht. „Für den Nachmittag kündigen sich die Drachen der Smaragdburg an.“

„Sie sind mir herzlich willkommen!“ Sir Jim eilte davon, um den Koch zu informieren. Auf dem Rückweg traf er auf Cedric und überbrachte ihm die Nachricht. „Ihr solltet bis dahin etwas ruhen!“, forderte er mit Nachdruck und Cedric gehorchte.

So wirkte die Burg wie ausgestorben, als die Gäste ankamen, und Sir Timothy erkundigte sich besorgt, ob alles in Ordnung sei.

„Sagen wir, fast alles“, seufzte Lady Fran, die Gäste hereinbittend.

„Ach herrje!“, rief Sir Ian, als sich vom Ende des Ganges humpelnd Ritter Cedric näherte. „Mit wem habt Ihr Euch geschlagen?!“

„Mit meiner zukünftigen Gattin“, gab der junge Ritter Auskunft und wurde angeschaut, als habe er erzählt, er sei auf dem Mond gewesen.

„Glaubt es ruhig, ich war Zeuge“, bestätigte Sir Jim und ließ nach Tessa schicken.

„Muss ja eine mächtige Prügelei gewesen sein“, wisperte Sir Ian seiner Mutter zu, als die junge Dame mit bleichem Gesicht und dickem Verband erschien.

Lady Fran hob beinahe hilflos die Schultern, während Lady Shona einen überraschten Laut von sich gab. Die beiden Männern hatten gar nicht bemerkt, dass statt eines Kleinkindes ein halbwüchsiges Mädchen erschienen war, das ganz offensichtlich Probleme hatte, das alte Blut zu kontrollieren.

„Wann habt Ihr euch das erste Mal verwandelt, Schwesterchen?“, fragte sie teilnahmsvoll, was die Herren Timothy und Ian erst aufhorchen ließ.

„Heute Morgen“, erwiderte Tessa leise und fügte hinzu. „Dann habe ich gleich die größte Dummheit begangen, die ein Drache überhaupt begehen kann. Bin froh, dass ich nicht mehr Schaden angerichtet habe, und hoffe, dass mir Sir Cedric und meine Eltern eines Tages verzeihen können.“

„So schlimm?“

Tessa nickte traurig.

„Habt Ihr mit Mutter darüber gesprochen?“

Diesmal schüttelte Tessa den Kopf.

„Das solltet Ihr aber. Sie ist die gefürchtetste Kämpferin des Clans, hat schier unendliche Geduld und schon verdammt viel Schlimmes erlebt. Wenn Euch einer helfen kann, dann sie.“ Shona drückte den Kopf ihrer Halbschwester tröstend an ihre Schulter.

Tessa nickte erneut und zog mit der gesunden Hand ihre Mutter zu sich heran. Fran umfing ihre Töchter mit den Armen und beide spürten den wohltuenden warmen Energiestrom, der von ihr ausging. Bei Tessa sammelte sich die Wärme an der verletzten Stelle und wenig später spürte sie keine Schmerzen mehr.

„Ihr könnt den Verband nun abnehmen“, ermunterte sie Shona und Tessa gehorchte.

Die Wunde hatte sich vollständig geschlossen. Tessa kuschelte sich dankbar in Frans Arme. „Ritter Cedric?“, flüsterte sie fragend.

„Würde meine Hilfe nicht annehmen“, erklärte Fran mit fester Stimme.

Tessa biss sich auf die Lippen. „Es ist alles meine Schuld!“ Nach Cedrics Hand fassend, schluchzte sie: „Ich würde es sofort rückgängig machen, wenn ich könnte. Wenn ich Euch doch wenigstens irgendwie helfen könnte! Irgendwie! Ich will, dass Ihr keine Schmerzen mehr habt!“ Ihre blauen Augen nahmen einen stählernen Glanz an.

„Euer Wunsch hat funktioniert! Herzlichen Dank, schöne Dame!“ Sir Cedric stand auf und machte zehn Kniebeugen.

„Wirklich?“, stotterte Lady Tessa ungläubig.

„Ihr solltet beide in den Nebelwald schicken“, schlug Sir Timothy vor. „Dann findet Lady Tessa heraus, wer sie wirklich ist, und Sir Cedric dürfte es ähnlich ergehen. Vor allem, wenn ich ihm eine meiner Schuppen mitgebe.“

„Wäre es hilfreich, bekäme er von mir eine Zweite?“, fragte Sir Jim sofort, der ahnte, was der Gefleckte Drache versuchen wollte.

„Schaden kann es nicht“, schmunzelte der, „erst recht nicht, wenn beide Herzschuppen sind.“

Sir Cedric wurde blass. „Nur, wenn beide Herren schwören, bis zum vollständigen Nachwachsen einen Brustharnisch oder ein Kettenhemd zu tragen!“

„Verdächtig, wie sich die Worte ähneln“, kicherte Sir Timothy. „Warum sollten es nicht auch die Schicksale tun?“ Er nickte Cedric zu: „Mitkommen!“

Auch die anderen erhoben sich, um dem Ritual beizuwohnen. Sir Cedric schaute sich suchend um.

„Was habt Ihr?“, fragte Sir Ian.

„Ich suche einen Dolch, der würdig ist, solches tun zu dürfen.“

„Nehmt den von heute Morgen“, flüsterte Lady Tessa. „Der geht durch Drachenpanzer, wie durch Butter.“

„Ein guter Tipp. Damit wird das Anheben der Schuppen kurz und vielleicht auch etwas schmerzärmer.“

Sir Timothy verwandelte sich, Cedric setzte die Spitze seiner Waffe an und riss im nächsten Moment mit einem Ruck die riesige schwarze Schuppe aus dem Panzer.

„Ihr seid geschickt, mein Lieber! Es blutet nicht einmal. Auch das erinnert mich an einen kleinen Jungen, der eine Königsschuppe ziehen durfte.“ Sir Timothy streifte sofort ein Kettenhemd über, um die wunde Stelle zu schützen.

Auch bei Sir Jim konnte er die Schuppe lösen, ohne die Unterhaut ernsthaft zu verletzen. Und auch Sir Jim legte auf der Stelle ein Kettenhemd an. „Dass Ihr die Schuppen auf der Haut tragen solltet, müssen wir sicher nicht betonen, das habt Ihr in den alten Chroniken gelesen“, blinzelte der gelbe Drache.

„Darf man ein oder mehrere Löcher hinein piken?“, fragte Lady Tessa aufgeregt.

„Kommt darauf an, was man vorhat“, antwortete der Gefleckte Drache vorsichtig.

„Wenn sie nebeneinander verbunden sind, kann Ritter Cedric sie wie ein Schutzschild an einer Kette unter dem Hemd tragen, denn beide werden seine Brust bedecken“, beschrieb Tessa ihre Idee.

„Dann darf es man es natürlich!“, gab Sir Timothy erleichtert bekannt.

Cedric nickte erfreut Lady Tessa zu. „Ich werde noch heute den Vorschlag in die Tat umsetzen.“ Für den Augenblick steckte er beide einfach so unters Hemd, um die unglaublichen Kräfte spüren zu können.

„Endlich lächelt sie wieder!“, seufzte Fran erleichtert.

Sir Timothy kniff die Augen zusammen. „Ich werde trotzdem von meiner Befehlsgewalt als Heerführer Gebrauch machen müssen, weil die junge Dame ein Kampfdrache zu sein scheint, wie Mutter, Vater und die wundervolle alte Seele, die in ihr wiedergeboren ist. Ich erwarte, dass Ritter Cedric ihr die Turnier- und Ehrenregeln beibringt, damit sie sich und andere Clanmitglieder nicht gefährdet.“ Dass die Erwartung ein eindeutiger Befehl war, musste niemand betonen.

„Verstanden!“, erwiderte Ritter Cedrik.

Tessa nickte kaum merklich.„Ich gehorche.“

„Nachdem wir das geklärt hätten, werden wir gebührend die erste Verwandlung feiern!“, rief Sir Jim und ließ auftafeln.

Shona legte Tessa den Arm um die Schulter. „Keine Sorge, alles wird gut. Ich war auch ein Wildfang, ganz im Gegensatz zu unserer Schwester Caitlin.“

Tessa genoss die Fürsorge ihrer großen Halbschwester. „Das sind Dinge, die ich erst noch lernen muss. Ich habe bis heute nicht wirklich gewusst, dass ich zwei Schwestern habe.“

„Das ist mir völlig klar. Ihr seid doch erst vor ein paar Monaten geboren und hattet bisher andere Sorgen, als die Verwandtschaftsverhältnisse zu studieren.“ Shona küsste sie auf die Stirn. „Caitlin ist meine Zwillingsschwester.“

„Und ich bin vermutlich das schwarze Schaf der Familie“, seufzte Tessa.

Lady Fran schmunzelte. „Der schwarze Drache, meine Liebe! Für ein Schaf seid Ihr nicht zahm genug.“

Die Männer lachten, Shona hob lustig die Schultern und Tessa begriff, dass Mutter sie nur ein bisschen necken wollte. Und so, wie ihr Ritter Cedric zublinzelte, war er ganz bestimmt nicht mehr böse auf sie. Genau genommen war es ja auch gar nicht gewesen. Er hatte sich mehr Sorgen wegen ihrer Hand gemacht, als um seine vielen Blessuren. Ein schlechtes Gewissen ist schlimm!

Gehört aber hin und wieder zum Erwachsenwerden, gab Lady Shona mit unbewegter Miene zurück.

In diesem Moment bat Sir Timothy, Tessa in der Drachengestalt sehen zu dürfen. Sie sprang sofort auf und eilte auf den Hof, der wegen der Kälte völlig verwaist war. Sie breitete die Arme aus, die Luft flimmerte kurz, dann hockte auch schon der schwarze Drache vor dem Fenster. Als er sich leicht bewegte, gab Sir Ian einen Laut des Staunens von sich.

„Die Schuppen glänzen wie flüssiges Pech!“, rief er und eilte hinaus, das Phänomen von Nahem zu betrachten. Wieder im warmen Palas am Kamin stellte er fest: „Ihr werdet zu Pferd in den Nebelwald reisen müssen, denn Lady Tessa kann nicht Pferd und Reiter tragen.“

Lady Shona lächelte vergnügt. „Ich kenne aber einen, der das kann. Der wäre genau der richtige Geleitschutz für einen Jungdrachen und einen Ritter. Der eine bekommt eine schöne Aussicht und die andere ein paar gute Tipps zum kraftsparenden Fliegen.“

„Tja, mein Lieber, Mutter hat gesprochen“, grinste Sir Timothy.

„Als braver Sohn werde ich gehorchen“, stöhnte Ian gespielt theatralisch. „Spaß beiseite. Mir liegt ja selber auch alles daran, dass beide heil ihr Ziel erreichen.“

Während die Männer gemütlich über die neuesten Turniere sprachen, zogen sich die Frauen in die Kemenate zurück, wo Tessa endlich erfuhr, was es mit dem Nebelwald auf sich hatte.

„Das ist der beste Ort auf der ganzen weiten Welt, wo Ihr den plötzlichen Sprung vom Kind zur Frau schaffen könnt, ohne innerlich zu zerbrechen“, betonten Mutter und Schwester. „Sir Cedric wird Euch helfen, das alte Blut zu kontrollieren, bis Ihr endlich herausfindet, wer Ihr wirklich seid – Tessa oder doch Lilian. Wie auch immer Euch die Magie leitet, Ihr seid, und bleibt, meine geliebte jüngste Tochter. Wenn Ihr wirklich Hilfe braucht, dann ruft nach mir. Ich werde es hören, egal wo Ihr gerade seid.“

Tessa flog Fran in die Arme und überschüttete sie mit ganzen Sturzbächen von Freudentränen.

Shona nahm das zum Anlass, über ihren Vater, König William, zu erzählen, wodurch Tessa auch erst erfuhr, dass ihre Mutter eine ehemalige Königin und ihre Schwestern Prinzessinnen waren. „Lasst Euch die Geschichte der Drachen von Sir Cedric erklären. Der hat alle Chroniken studiert, kennt sämtliche Familienlinien auswendig und weiß mehr über den Clan, als manche Drachen selber. Wenn es einer verdient hätte, einer zu werden, dann er. Das sieht der Große Drache, der meinen Gatten beseelt, ganz genau so. Deshalb auch das Ritual mit den Herzschuppen, dessen Sinn Euch Sir Cedric ebenfalls verraten kann.“

„Wenn die Drachen der Smaragdburg nach Hause fliegen, werden wir beide sie begleiten. Ihr müsst die Burg gesehen haben, bevor Ihr den Worten Sir Cedrics lauscht, damit Ihr ein Bild bekommt, weshalb manche Drachen im Clan ganz besonders verehrt werden“, erklärte Lady Fran.

Als Millionen von Sternen am klaren schwarzen Himmel prangten, stiegen fünf Drachen aus dem Burghof auf, um majestätisch ihre Bahn zu ziehen. Sir Timothy flog an der Spitze, dahinter Tessa, die von Shona und Fran flankiert wurde. Die Nachhut bildete Sir Ian, um Tessa beobachten zu können.

Ganz ruhig atmen, flüsterte Fran, weil Tessa zu Beginn sehr hektisch die Flügel bewegte, um mitzuhalten.

Nach wenigen Augenblicken passte sie die Schlagfrequenz Mutter und Schwester an. Gemeinsam auf, gemeinsam ab ...

Hervorragend, lobte Fran. Da vorn ist schon die Burg.

Die ist ja riesig, staunte Tessa, die nur das kleine Kuckucksnest kannte.

Einer der Ritter begrüßte die Drachen und bekam große Augen, weil ein völlig Unbekannter mit dabei war. Noch mehr staunte er, als sich der Jungdrache in ein hübsches Mädchen verwandelte.

Genau so schaute Tessa, als sie den Rittersaal betrat. Die prächtigen Smaragde funkelten im Licht der Öllämpchen. Fran ließ ihr viel Zeit, sich umzuschauen.

„Ich möchte mit ihr gern die Gruft besuchen“, bat sie Sir Timothy.

Der nickte wissend. „Ein Schuft, wer es Euch verwehren wollte.“

„Begleitet Ihr mich an einen besonderen Ort?“, wandte sich Fran an Tessa, ihr die Hand reichend.

Tessa nickte, fasste zu und folgte ihrer Mutter zum Tor im Berg. Zuerst erhellten die Sterne und der Schnee ihren Weg, dann die strahlenden Augen von Lady Fran. Vor dem prunkvollen smaragdgeschmückten Sarkophag blieben sie stehen. Tessa war zwischen Furcht und Faszination hin und her gerissen, wobei die Faszination immer mehr die Oberhand gewann. Still beobachtete sie, wie ihre Mutter die Hände über die Kristalle gleiten ließ, als wolle sie diese streicheln. Auch fühlte sie, dass Mutter eine stumme Zwiesprache mit dem Toten zu halten schien. Ein Geräusch wie leichter Hagelschlag ertönte, und ein Körnchen rollte ihr bis vor die Füße. Fran verwehrte ihr nicht, es aufzuheben. Sie drückte sogar Tessas Hand fest zu, damit sie es nicht auf dem Rückweg verlöre. Frans Augen leuchteten sogar noch, als sie die Burg wieder betraten, um sich zu verabschieden.

„Alles in Ordnung?“, fragte Sir Timothy besorgt.

Fran lächelte. „Es war nie besser.“

Im Licht der kleinen Flämmchen versuchte Lady Tessa, das Kügelchen auf ihrer Handfläche zu betrachten.

Shona wurde aufmerksam. „Was ist das?“

„Ich weiß es nicht. Es ist mir in der Gruft vor die Füße gerollt“, erklärte Tessa. „Mutter hat mir nicht verboten, es mitzunehmen.“

Sir Timothy genügte ein einziger Blick. „Eine Drachenträne“, flüsterte er erstaunt. „Sie ist überaus wertvoll. Passt gut darauf auf!“

Den Rückweg legten Mutter und Tochter stumm zurück. Jede hing ihren Gedanken nach. Tessa sogar noch fast bis zum Morgengrauen, weil ihr Mutter einen innigen Gutenachtkuss auf die Stirn gegeben hatte, wie seit Tagen nicht mehr. Ich war so kratzbürstig, dass ich Mutter sicher sehr wehgetan habe, kam ihr plötzlich die Erleuchtung. Es tut mir so leid.

Ich habe es überlebt, kam prompt die Antwort, denn Lady Fran war schon wieder auf den Beinen. Schlaft ein bisschen. Ihr habt einen langen Flug vor Euch.

Während Tessa dem guten Rat folgte, packte Fran zusammen, was am ersten Tag im Wald vonnöten war, ehe man sich selber versorgen konnte. Ein Dolch, ein Schwert ...

„Einen Harnisch muss sie sich in der Rüstkammer aussuchen“, hörte sie Sir Jim hinter sich sagen.

Fran wirbelte erschreckt herum. Sie war so auf den nahen Abschied fixiert, dass sämtliche Drachensinne versagten.

Jim nahm sie in den Arm. „Ihr wart in der Gruft, vermute ich.“

Lady Fran nickte.

„Und Ihr habt Botschaften empfangen“, merkte Jim an.

Fran fasste nach seinem Arm. „Woher wisst Ihr das?“

„Von Euren Augen. Die leuchten noch immer, jede Dunkelheit durchdringend.“

Das Paket verschnürend, versprach Fran: „Wenn Sir Ian aus dem Nebelwald zurück ist, sprechen wir mit den Smaragddrachen und Sir Patrick darüber. Hoffen wir, dass der König in den nächsten Wochen, nicht nach uns rufen lässt, damit der Zauber des Waldes wirken kann.“

Lautes Poltern auf dem Hof ließ Fran verstummen und mit Jim aus dem Fenster schauen. Draußen trat Sir Cedric allein gegen die Schneemassen an, die über Nacht gefallen waren.

„Er nennt es Kampftraining“, erklärte Sir Jim. „Ab morgen werden die Knechte lange Gesichter machen, wenn sie seinen selbst gewählten Job wieder übernehmen müssen. Aber was ist das?!“

Ein dunkler Schatten bewegte sich über den Hof und entpuppte sich als Drache Tessa. Mit ihrem schieren Gewicht presste sie den Schnee zu Blöcken, riss mit den Krallen riesige Teile heraus und schleppte sie über die Burgmauer davon. Nach einer halben Stunde war der ganze Hof beräumt und Cedric hieß den Stallburschen, ein wenig Asche verstreuen, damit niemand auf dem holprigen vereisten Pflaster stürzte. Dass das Gesinde vor Staunen Mund und Augen aufsperrte, schien Tessa nicht zu bemerken.

„Und dann wollt Ihr noch hundert Meilen fliegen?“, fragte Sir Jim erstaunt.

„Ich habe nur probiert, wie viel ich tragen kann, wie ich es fassen und wann ich es absetzen muss, ehe es mir aus den Klauen fällt“, erwiderte Tessa lächelnd.

„Ein Punkt für die Lady“, stellte Fran blinzelnd fest.

Sie saßen noch beim Frühstück, als Drache Ian in den Hof schwebte. Er fand den Weg ins Haus als guter Freund der Familie auch allein, sowie einen Platz mit einem Teller. Fröhlich „Guten Morgen“ wünschend, setzte er sich und dankte herzlich, als ihm Fran heißen Kräutertrank einschenkte. „Eure Methode, den Hof zu räumen, werde ich morgen auch in Angriff nehmen. Der Schnee türmt sich schon zwei Meter hoch neben den Wegen.“