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Als unehelicher Sohn eines Marquess kennt Ewan Scatterloud sowohl die feine Gesellschaft als auch die Elendsviertel Londons. Genau deswegen beauftragt der Commander ihn, im Fall des verschwundenen Colliers zu ermitteln. So verkehrt er nicht nur in zwielichtigen Boxclubs, sondern trifft auf einem Ball Lady Julie, eine einfältige Debütantin, die in ihm nur einen Bastard sieht. Lady Julie Wight hat alle Hände voll zu tun. Sie kümmert sich um ihre beiden jüngeren Schwestern und ihren Vater und setzt alles daran, die finanziellen Schwierigkeiten der Familie vor der Öffentlichkeit zu verstecken. Ein reicher Ehemann wäre die Lösung ihrer Probleme. Als sie in eine missliche Lage gerät, eilt ihr ausgerechnet Ewan zu Hilfe. Obwohl er alles andere als standesgemäß ist, fühlt sie sich zu ihm hingezogen. Während sich für Ewan die Lage gefährlich zuspitzt, muss auch Julie eine Entscheidung treffen, die nicht nur ihr Leben maßgeblich beeinflusst. Der zweite Teil der unterhaltsamen Regency-Romance-Reihe im schillernden London des frühen 19. Jahrhunderts.
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Als unehelicher Sohn eines Marquess kennt Ewan Scatterloud sowohl die feine Gesellschaft als auch die Elendsviertel Londons. Genau deswegen beauftragt der Commander ihn, im Fall des verschwundenen Colliers zu ermitteln. So verkehrt er nicht nur in zwielichtigen Boxclubs, sondern trifft auf einem Ball Lady Julie, eine einfältige Debütantin, die in ihm nur einen Bastard sieht.
Lady Julie Wight hat alle Hände voll zu tun. Sie kümmert sich um ihre beiden jüngeren Schwestern und ihren Vater und setzt alles daran, die finanziellen Schwierigkeiten der Familie vor der Öffentlichkeit zu verstecken. Ein reicher Ehemann wäre die Lösung ihrer Probleme.
Als sie in eine missliche Lage gerät, eilt ihr ausgerechnet Ewan zu Hilfe. Obwohl er alles andere als standesgemäß ist, fühlt sie sich zu ihm hingezogen.
Während sich für Ewan die Lage gefährlich zuspitzt, muss auch Julie eine Entscheidung treffen, die nicht nur ihr Leben maßgeblich beeinflusst.
Der zweite Teil der unterhaltsamen Regency-Romance-Reihe im schillernden London des frühen 19. Jahrhunderts.
E-Book
1. Auflage September 2022
600-665-02
Melissa David
Mühlweg 48 A
90518 Altdorf
Blog: www.mel-david.de
E-Mail: [email protected]
Umschlaggestaltung: Michael Sopolidis
www.michaelsopolidis.com
www.facebook.com/michaelsopolidisofficial
www.instagram.com/michaelsopolidis
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Lektorat: Jeanette Lagall
www.lektorat-lagall.de
Korrektorat: Jana Oltersdorff
Alle Rechte, einschließlich dem des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form bedürfen der Einwilligung der Autorin.
Personen und Handlungen sind frei erfunden, etwaige Ähnlichkeiten mit real existierenden Menschen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.
Eine resolute Lady
Band 2
von
Melissa David
Liebe Leserinnen, liebe Leser,
ich bedanke mich herzlich für das Interesse an meiner Regency-Romance Reihe „Das Smaragd-Collier“.
Dies ist der zweite Teil der Smaragd-Collier-Reihe und ich empfehle dringend mit Band 1 „Eine hoffnungslose Lady (Das Smaragd-Collier 1)“ zu beginnen. Auch dieser Band ist eine locker, leichte Lektüre fürs Herz mit Charakteren zum Mitfiebern. Beim Schreiben der Smaragd-Collier-Reihe ging es mir in erster Linie darum, das schillernde, teilweise überromantisierte Bild einer Londoner High Society abzubilden, die es niemals gegeben hat.
Natürlich gibt es auch für dieses Buch wieder einen Leseplan, den es in gedruckter und digitaler Form gibt. Mit diesem Leseplan erhältst du einen exklusiven Blick hinter die Kulissen: selbstgedrehte Videos (und bitte erwartet hier keine Filmqualität), Recherchearbeiten, Verlinkungen zu Blogartikeln, welche die Regency-Zeit aufgreifen, und Lebensgeschichten von Personen über das Buch hinaus. Mehr über den Leseplan erfährst du hier.
Selbstverständlich kann man das Buch auch ohne Leseplan lesen.
Alle im Roman genannten Personen sind frei erfunden und haben keine Ähnlichkeit mit verstorbenen oder lebenden Personen. Lediglich Lord Liverpool hat einst gelebt. Politische Gegebenheiten und Entdeckungen sind so ausgewählt, dass sie sich in das Gesamtkonzept gut einfügen, haben aber nicht den Anspruch in dieser zeitlichen Abfolge passiert zu sein.
Alle, die sich nun auf die Geschichte einlassen, wünsche ich zauberhafte Lesemomente.
Es gibt auch einige Blogartikel zum Thema Regency, wenn du tiefer in die Welt und die Zeitepoche eintauchen möchtest. Eine Übersicht über die Themen findest du hier.
Nun wünsche ich dir viel Spaß mit Julie und Ewan (gesprochen Ju-en).
Melissa David
Kapitel 1
Ewan war nur Mitglied im Letling’s, um all die hochwohlgeborenen Gentlemen zu ärgern, die ihn aufgrund seiner Geburt als ein Nichts ansahen. Doch er hatte allen getrotzt und war seinen Weg gegangen. Egal, welche Knüppel man ihm zwischen die Beine geworfen hatte, er hatte sich nicht beirren lassen, und dieser unbeugsame Kampfeswille hatte ihn dahin gebracht, wo er heute war.
In diesem Moment war das die Eingangshalle des Letling’s, wo er unter den neugierigen Blicken etlicher Lords und vereinzelter Neureicher dem Butler seinen Mantel und den Zylinder reichte. Ohne von seinem Umfeld weiter Notiz zu nehmen, schritt er die Treppe hinauf in den ersten Stock. Dort visierte er das Privatzimmer des Marquess von Ashwood, einem alten Freund, mit dem er im Krieg gedient hatte. Den richtigen Raum fand er mittels einer Tafel an der Tür, auf der in kunstvollen Lettern die Namen der Mieter geschrieben standen.
Ewan klopfte und da er erwartet wurde, drückte er die Türklinke hinunter, ohne auf Antwort zu warten, und trat ein. Der Raum war düster. Nur wenige Kerzen brannten, dafür war der Kamin entzündet und warf tanzende Schatten auf den Fußboden und die Wände. Vor dem Kamin staben zwei Sessel, die hohen Lehnen ihm zugewandt.
„Ashwood“, grüßte Ewan und freute sich, den Kameraden, den er seit Jahren nicht mehr gesehen hatte, wiederzutreffen. Der Krieg gegen Napoleon hatte sie zusammengeschweißt. Monatelang hatten sie nebeneinander im Dreck gelegen und gebangt, den nächsten Morgen zu erleben.
Zu seiner Überraschung erhob sich jedoch nicht Ashwood, sondern ein hochgewachsener Mann, der den Marquess um einiges überragt hätte, würde er neben ihm stehen.
„Commander!“, rief Ewan überrascht aus, der nicht mit dieser Begegnung gerechnet hatte.
Nachdem der Marquess ihn extra in seine Räume beordert hatte, war er davon ausgegangen, dass Ashwood zumindest anwesend sein würde. Doch der Commander war ihm nicht weniger vertraut. Ewan hatte unter ihm gedient, und gemeinsam hatten sie mehr als nur eine Schlacht geschlagen.
„Scatterloud.“ Der Hüne nickte ihm zu, wies auf den freien Sessel und setzte sich wieder.
Ewan kam der Aufforderung nach und nahm Platz.
„Warst du es, der mich herbestellt hat?“, erkundigte Ewan sich neugierig. Die Mitteilung hatte dringlich geklungen, jedoch keine Unterschrift enthalten.
Der Commander verzog die Mundwinkel zu dem Anflug eines Lächelns. „Ein Auftrag von großer Wichtigkeit.“
Damit hatte Ewan bereits gerechnet, sonst hätte er zu Hause nicht alles stehen und liegen gelassen. London liebte und hasste er gleichermaßen. Hier hatte er die glücklichsten, aber auch seine schlimmsten Jahre verbracht, bevor er in den Krieg gezogen war. Danach war er nicht mehr zurückgekehrt, sondern bewirtschaftete seitdem das Stück Land, das er von seiner Mutter geerbt hatte. Durchaus erfolgreich, denn mit Baumwolle und Schafzucht hatte er so viel Geld verdient, dass er mit seinem Vermögen in gewissen Kreisen des tons gern gesehen wäre. Bevorzugt bei jenen verarmten Familien, die dringend auf einen vermögenden Ehemann für ihre Töchter angewiesen waren.
„Du brauchst eine Rasur“, stellte der Commander unverblümt fest.
Grinsend strich sich Ewan über den Vollbart. „Ich dachte, ich lasse es darauf ankommen, wie lange ich in London bleibe.“
Von seinem Bart würde er sich trennen, nicht jedoch von dem dunkelblonden, leicht gelockten Haar, das sich in seinem Nacken kräuselte und damit viel zu lang war, um als angemessen durchzugehen. Doch was kümmerten ihn die Vorgaben der Gesellschaft? Er ging ohnehin nicht als klassischer Gentleman durch, dafür war er von der täglichen körperlichen Arbeit zu muskulös, die Haut von der Sonne zu gebräunt, und obendrein hatte er die Hände voller Schwielen.
„Du wirst länger bleiben“, teilte ihm sein Gegenüber mit.
Ewan runzelte die Stirn. Dann würde er um eine gründliche Rasur nicht herumkommen. „Welchen Auftrag hast du für mich?“, fragte er ruhig, doch innerlich verspürte er das Kribbeln, die Aufregung, die er immer vor einer Herausforderung verspürte. „Hat Ashwood etwas damit zu tun?“
Der Commander schüttelte den Kopf. „Du weißt, wie es läuft. Was du wissen musst, bekommst du gesagt. Was alles andere betrifft, ist es besser, wenn du nicht eingeweiht bist.“
Ewan nickte. Er war zwar von Natur aus neugierig, doch dem Commander und seinem Urteil vertraute er vorbehaltlos. „Ist Ashwood auch in London?“
Falls ja, wollte er seinem Freund einen Besuch abstatten. Vielleicht ein wenig plaudern und in den wenigen guten Erinnerungen schwelgen.
„Er hat kürzlich geheiratet.“
Verblüfft zog Ewan eine Augenbraue nach oben. Die Vorstellung, dass Ashwood sesshaft geworden war, überraschte ihn.
„Triff dich mit ihm, solange er noch in London ist“, riet der Commander ihm.
„Du meinst, er wird wieder aufs Land ziehen?“
„Das oder ausgedehnte Flitterwochen.“
Ewan fragte nicht, woher der Commander so viel wusste.
„Zurück zu deinem Auftrag“, fuhr dieser fort. „Ich brauche jemanden, der an Reynolds herankommt.“
Ewan erstarrte. Das konnte sein Gegenüber unmöglich ernst meinen. Er musste sich verhört haben. „Percy Reynolds?“, hakte er nach, nur um sicher zu gehen.
„Exakt. Der Lord von East End“, bestätigte der Commander.
Ewan schüttelte den Kopf. „Unmöglich!“ Schnaubend lehnte er sich im Sessel zurück und rief sich die Zeit in Erinnerung, die er in East End verbracht hatte. Er war lange genug dort gewesen, um zu wissen, dass man gewissen Personen besser aus dem Weg ging, und Reynolds gehörte ganz sicher dazu.
„Jedem anderen würde ich zustimmen, aber du kennst dich dort aus. Du kannst es schaffen.“
Das Vertrauen, das der Commander in ihn setzte, ehrte ihn. Dennoch war der Gedanke absurd. Zwar war er Reynolds nie persönlich begegnet, aber dessen Ruf war ihm schon damals vorausgeeilt. Speedy, Ewans Trainer und Inhaber des Speedy Fight Clubs, hatte mit Reynolds zu tun gehabt - und was Ewan über den Lord von East End gehört hatte, hatte ihm gereicht. Hätte Ewan seine Boxkarriere damals wie geplant weiterverfolgt, hätte kein Weg an Reynolds vorbeigeführt, denn nur bei ihm fanden die wirklich lukrativen Boxkämpfe statt. Aber dann war der Scout gekommen und hatte ihn überredet, der Armee beizutreten. Die Versprechungen von einem geregelten Einkommen und Verpflegung hatten ihn gelockt. Wie dumm er damals doch gewesen war, denn was ihn auf dem Schlachtfeld erwartet hatte, darauf war er nicht vorbereitet gewesen. Niemand von ihnen war das. Und dann war er dem Commander begegnet. Der Rest war Geschichte. Er sah den Mann an, dem er so viel zu verdanken hatte, denn letztendlich hatte dieser nicht nur dafür gesorgt, dass Ewan den Krieg überlebte, sondern auch, dass aus dem jungen unbedarften Burschen von damals ein Mann geworden war.
Ewan schüttelte den Kopf und wollte damit die Schatten der Erinnerungen vertreiben.
„Ich bedaure, aber ich fürchte, dafür stehe ich nicht zur Verfügung.“
„Aber du weißt, wie man an Reynolds herankommen könnte?“
Wieder tauchten Bilder des Fight Clubs vor Ewans innerem Auge auf. Es war lange her, seit er das letzte Mal gekämpft hatte, noch länger war er nicht in den Ring gestiegen.
„Ich bin zu alt dazu.“ Nachdenklich starrte Ewan ins Feuer.
Der Commander stieß einen entrüsteten Laut aus. „Vielleicht etwas eingerostet, aber nichts, was man mit etwas Training hinbekäme.“
Ewans rechte Hand ballte sich zur Faust.
„Ich fürchte nicht, dass ich so lange in London bleiben werde, um das herauszufinden.“ So viel, wie er dem Commander auch schuldete, war er nicht bereit, diesen irrsinnigen Auftrag zu übernehmen.
„Dann werde ich doch Ashwood darauf ansetzen“, entschied der Commander.
„Nein!“, brach es aus Ewan heraus, noch ehe er richtig darüber nachdenken konnte.
„Nein?“
Aufgebracht richtete Ewan sich in seinem Sessel auf. „Du kannst Ashwood nicht darauf ansetzen. Er ist verheiratet.“
Der Commander zuckte mit den Schultern. „Das ist nicht deine Entscheidung. Die Sache ist zu wichtig.“
Ewan stöhnte innerlich. Weder der Commander noch Ashwood hatten eine Ahnung, was es hieß, in East End zu leben. Die Menschen dort waren anders als die versnobten Adeligen in West End. Von Reynolds ganz zu schweigen. Auf keinen Fall konnte er zulassen, dass sein Freund sich in eine derartige Gefahr begab. „Also gut“, lenkte er ein. „Um was geht es, und was hat Reynolds damit zu tun?“
Auf dem Gesicht des Commanders erschien ein triumphierendes Lächeln. „Reynolds ist in den Besitz eines sehr kostbaren Schatzes gekommen. Ein Smaragd-Collier, das einst den Stuarts gehörte.“
Ewan stieß einen anerkennenden Pfiff aus. Er konnte sich lebhaft vorstellen, dass Reynolds Interesse an solch erlesenem Schmuck hegte. Schon allein die Smaragde und das Gold besaßen einen unschätzbaren Wert.
„Dann wird es das hübsche Schmuckstück nicht mehr lange geben“, schlussfolgerte Ewan.
„Das darf nicht passieren!“ Der Commander schlug mit der Faust auf die gepolsterte Sessellehne und reagierte damit ungewohnt heftig. Nur selten hatte Ewan ihn so aufgebracht erlebt.
„Das musst du unter allen Umständen verhindern. Das Smaragd-Collier muss ...“ Er brach ab, stockte kurz und fuhr dann fort: „Sein Besitzer braucht es im Ganzen zurück.“ Er kramte aus seiner Tasche ein zusammengefaltetes Stück Papier.
Ewan nahm es entgegen, faltete auseinander und pfiff anerkennend durch die Zähne, als er eine Zeichnung des gesuchten Smaragd-Colliers betrachtete.
„Hübsches Ding. Siehst du das als realistisch an, dass Reynolds es unversehrt lässt?“
Der Commander räusperte sich. „Steine kann man wieder einsetzen. Aber das Gold darf nicht eingeschmolzen werden.“ Er presste die Lippen fest aufeinander.
„Ich kann es versuchen, aber bei Reynolds übernehme ich keine Garantie.“ Reynolds war ein egozentrischer Mistkerl, dem nichts heilig war, und selbst wenn er von der Herkunft des Colliers wusste, war ihm zuzutrauen, dass er die Smaragde verkaufte und die Kette einschmelzen ließ.
Der Commander atmete geräuschvoll durch die Nase ein, schloss für einen Augenblick die Augen, und als er sie dann wieder öffnete, hatte er seine Selbstbeherrschung zurück und schaute ihn erwartungsvoll an.
Ewan seufzte. „Ich werde dafür aber mehrere Wochen brauchen.“ Langsam schloss er seine rechte Hand zur Faust. Er, Ewan Scatterloud, hatte gedacht, dass seine Zeit als Boxer endgültig vorbei war, und hätte niemals damit gerechnet, dass Ewan Gairyll eines Tages zurückkehren würde. Er hatte damals unter dem Mädchennamen seiner Mutter geboxt, da er nach allem, was der Tod seines Vaters nach sich gezogen hatte, dessen Name nicht mehr ertragen konnte. Erst in der Armee hatte er seinen richtigen Namen wieder angenommen. Offenbar war es nun an der Zeit, dass er ein paar alte Kontakte wiederbelebte.
„Aber das ist noch nicht alles.“
Ewan zog fragend eine Augenbraue nach oben und wartete, dass der Commander fortfuhr.
„Ich möchte, dass du dich mit ein paar Herren der diesjährigen Saison anfreundest.“
Freudlos lachte Ewan. „Ich fürchte, da musst du dir einen anderen suchen. Die feinen Gentlemen des tons schneiden mich. Schließlich bin ich der Sohn einer Schottin.“ Bis heute hatte er die Ablehnung nicht überwunden. Solange sein Vater gelebt hatte, hatte er in den höchsten adeligen Kreisen verkehrt und als zweiter Sohn eines Marquess wurde er als äußerst interessante Partie gehandelt. Mit den dunkelblonden Haaren und den strahlend blauen Augen kam er auch bei der Damenwelt gut an. Den Debütantinnen war er allerdings aus dem Weg gegangen, denn für eine Ehe fühlte er sich noch nicht bereit. Dennoch hatte er wenig anbrennen lassen, schließlich war die Auswahl an Witwen und leichten Mädchen groß genug.
Erst nach dem Tod seines Vaters waren ihm die schottische Herkunft seiner Mutter und die protestantische Eheschließung seiner Eltern plötzlich zum Verhängnis geworden.
„Jene Männer, auf die es ankommt, werden dich nicht ablehnen. Außerdem ist längst Gras über die Sache gewachsen. Du bringst jede Menge Geld mit, das macht dich für viele wieder interessant.“
Wenig begeistert verzog Ewan das Gesicht.
„Warum sonst hast du dich am Berkeley Square einquartiert, wenn du nicht planst, am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen?“
„Meine Anwesenheit in London heißt nicht, dass ich plane, Bälle und dergleichen zu besuchen.“ Er atmete tief durch. „Aber wenn es nötig ist, werde ich natürlich diverse Abendveranstaltungen mit meiner Anwesenheit beehren.“
Triumphierend lächelte der Commander ihn an. „Da wären zum einen der neue Earl of Lastborough, zum anderen Thomas Cartmar. Ich will wissen, was die beiden mit dem Smaragd-Collier zu schaffen haben.“
Ohne seinen Blick von den züngelnden Flammen zu nehmen, fragte Ewan: „Sollte ich die beiden kennen?“
„Noch nicht, aber das wird sich in Kürze ändern“, prophezeite der Commander. „Cartmar hat erst kürzlich Zugang zur Londoner Gesellschaft erhalten. Seine Familie ist durch Eisen unfassbar reich geworden. Cartmar kam aus Bath und von dort brachte er auch das Smaragd-Collier mit, das er dann am Spieltisch an Lastborough verlor. Dieser starb kurz darauf unter mysteriösen Umständen. Reynolds hat sich nicht sehr viel später das Collier vom neuen Earl of Lastborough geholt, dem Bruder des ermordeten Earls. Ashwood hat mit ihm gesprochen, aber selbst wenn Lastborough etwas weiß, hätte er es einem Marquess mit Sicherheit nicht erzählt.“
Gespannt hörte Ewan zu.
„Cartmar ist häufig am Spieltisch oder auf der Pferderennbahn anzutreffen – so wie es die Neureichen gerne tun, um mit ihrem Geld um sich zu werfen.“
Spöttisch verzog Ewan den Mund. „Na, dann passen wir wirklich hervorragend zusammen“, kommentierte er zynisch. Tatsächlich war er ein recht passabler Kartenspieler und hatte früher gern die eine oder andere Runde am Spieltisch verbracht. Allerdings war die Apanage seines Vaters nie so üppig gewesen, dass er große Summen verspielen konnte. Jetzt konnte er sich das problemlos leisten.
„Ich denke, speziell Cartmar wird dir unvoreingenommen gegenübertreten, bei Lastborough müssen wir es abwarten.“
Nachdenklich nickte Ewan.
„Gibt es sonst noch etwas?“, erkundigte er sich. In Gedanken war er bereits dabei, die nächsten Schritte zu planen. Er musste seinen Auftritt in der Gesellschaft vorbereiten. Das beinhaltete eine gründliche Rasur und einen Besuch beim Schneider. Und er brauchte einen Trainingsraum, sonst würde er es nie zu Reynolds Boxfights schaffen.
„Das ist erst einmal alles, was du wissen musst.“
„Wunderbar.“ Ewan erhob sich. „Dann werde ich jetzt nach Hause zurückkehren.“
„Kein Besuch in den Clubräumen?“ Herausfordernd grinste der Commander ihn an.
Müde schüttelte Ewan den Kopf. „Heute nicht mehr.“
Amüsiert betrachtete der Commander ihn. „Ich glaube, die diesjährige Saison wird doch noch sehr unterhaltsam.“
Ewan bedachte sein Gegenüber mit finsterem Blick und erhob sich.
„Wie du mich erreichen kannst, weißt du“, erinnerte ihn der Commander.
Ewan nickte und verließ nach einer knappen Verabschiedung Ashwoods Zimmer.
Er ging den langen Flur entlang und hielt einige Türen weiter. Crowbridge stand an der Tafel. Einige Zeit lang starrte er darauf, dann schüttelte er den Kopf und ging weiter. Nie hätte er sich träumen lassen, dass er jemals nach London zurückkehren würde.
Ewan erreichte die Treppe. Zügig schritt er sie hinab, als ihm drei Gentlemen entgegenkamen. Als sie ihn erkannten, verstummte das Gespräch, und er registrierte die ungläubigen Blicke der Lords auf sich.
Ewan ließ dies unkommentiert. Er verkniff sich ein Grinsen, nickte den Gentlemen zu und ging an ihnen vorbei.
Kaum hatte er die Treppe hinter sich gelassen, hörte er das Getuschel. Sie zerrissen sich bereits jetzt den Mund über seine Rückkehr. Sollten sie das doch tun.
Ein Lakai eilte herbei, um ihm seinen Hut und den Umhang zu geben. Ewan nahm ihn dankend entgegen und verließ das Letling’s.
Kapitel 2
„Ich hoffe, ihr wisst, was zu tun ist!“ Eindringlich blickte Lady Julie Wight, die erstgeborene Tochter des Earls of Brownshire, in der kleinen Eingangshalle des angemieteten Stadthauses erst ihre Schwestern, dann das Personal an. Die elfjährige Rebecca nickte eifrig, wobei ihre eingedrehten Locken auf und ab hüpften. Die neunjährige Deborah, der Wirbelwind der Familie, hatte ebenfalls ihr bestes Sonntagskleid angezogen und auch wenn die blonden Haare noch ein wenig unordentlich waren, war ihr Gesicht doch sauber gewaschen. Julie war stolz auf ihre Schwestern, die alles taten, um ihr Unterfangen zu unterstützen. Die grummelige Köchin Harriet blickte wie immer finster, hatte aber ohne Murren mitgeholfen, das Haus auf Hochglanz zu polieren. Toby, der eigentlich als Diener angestellt war, sah in der zusammengeschusterten Kleidung eines Butlers ein wenig lächerlich aus. Obendrein war die Hose etwas zu kurz, aber das kaschierten hoffentlich die schwarzen Strümpfe, die Julie ihrem Vater entwendet hatte. Auch die Ärmel des Gehrocks reichten nicht bis zu den Handgelenken, was der Countess mit etwas Glück nicht auffiel.
„Wie muss ich Lady Gilberty noch einmal begrüßen?“ Toby war dermaßen nervös, dass Julie nur beten konnte, dass er nicht alles ruinierte. Sie seufzte, holte tief Luft und erklärte ihm noch einmal in allen Einzelheiten, wie er die Countess empfangen und in den Salon führen sollte.
Ein Rumpeln im ersten Stock unterbrach ihre Ausführungen, und Julie blickte besorgt die Treppe hinauf.
„Ich werde nach Vater sehen“, verkündete Rebecca und schickte sich an hinaufzugehen.
Das war die größte Schwachstelle des Plans. Unter normalen Umständen wäre es die Aufgabe ihres Vaters gewesen, Julie in die Londoner Gesellschaft einzuführen, doch seit sie in der Hauptstadt angekommen waren, hatte sich sein Gesundheitszustand auf besorgniserregende Weise verschlechtert. Gestern war es ihm vergleichsweise gut gegangen, doch heute war Lord Brownshire nicht in der Verfassung, Besuch zu empfangen. Leider nicht zum ersten Mal. Wenn er sich in diesem Zustand befand, war er eine Zumutung für seine Mitmenschen. Eine normale Unterhaltung war kaum möglich, da er Begebenheiten und Namen vollkommen durcheinanderbrachte. Jeder, der sich mit ihm unterhielt, musste zu dem Entschluss kommen, dass er schwachsinnig war, und das durfte schlichtweg nicht passieren. Denn dann wäre die Familie gesellschaftlich ruiniert. Es hing so viel von Julies erfolgreicher Einführung in die Gesellschaft ab. Dabei ging es um nichts Geringeres als um die Zukunft der gesamten Familie, und Julie konnte nicht riskieren, dass ihr Vater, dem es gesundheitlich nicht gut ging und die Familie dadurch in finanzielle Bedrängnis gestürzt hatte, alles verdarb. Julie würde nur eine einzige Chance bekommen und war entschlossen, diese zu nutzen. Nein, sie freute sich wahrlich nicht, in die Gesellschaft eingeführt zu werden. Die ganzen Zwänge und Vorgaben, wie eine junge Dame sich zu verhalten hatte, waren ihr zutiefst zuwider. Aber für ihre Familie würde sie tun, was nötig war, und wenn die Männer eine perfekte Debütantin wollten, dann würde Julie genau das sein. Es musste ihr unbedingt gelingen, einen reichen Ehemann zu finden.
Langsam ergriff die Nervosität nun auch von ihr Besitz. Sie atmete tief durch und strich sich das neue Tageskleid glatt, das extra für ihren Aufenthalt in London angefertigt worden war. Drei neue Kleider hatte sie sich geleistet, mehr hatte die schmale Haushaltskasse nicht hergegeben. Daher hoffte sie inständig, dass ihre Bemühungen von Erfolg gekrönt sein würden. Gerade deshalb war auch Lady Gilbertys Besuch so überaus wichtig. Die Countess war eine Cousine von Julies verstorbener Mutter, und mit dem Besuch verband sie die Hoffnung, dass die einflussreiche Lady sich erbarmen und sie in die Gesellschaft einführen würde.
Julies Blick fiel auf die große Standuhr am anderen Ende der Halle. In genau zwei Minuten würde die Countess vorfahren und da sie die Pünktlichkeit in Person war, würde sie sich höchstwahrscheinlich auch nicht verspäten.
„Alle auf Position“, befahl Julie, nahm ihre kleine Schwester Deborah an die Hand und führte sie in den Salon. Ein letztes Mal ließ sie ihren kritischen Blick durch den Raum gleiten. Der Kamin war ordentlich gekehrt, ein prasselndes Feuer brannte nun darin. Die Gardinen hatte Deborah ausgeklopft, während Rebecca und Julie auf Knien die alten Holzdielen geschrubbt hatten. Harriet hatte die Fenster geputzt und Toby die Holzmöbel eingeölt. Jetzt stand auf dem großen Tisch eine Vase mit sorgfältig arrangierten Begonien aus dem Garten. Das Kissen auf dem Sofa war auf die bessere Seite gedreht und wenn Julie sich direkt daneben setzte, käme Lady Gilberty sicher nicht auf die Idee, es umzudrehen und die gestopften Löcher zu bemerken.
Wie abgesprochen setzte sich Deborah an den Tisch, auf dem ihre Malsachen ausgebreitet lagen. Das Bild war schon angefangen, als würde sie bereits einige Zeit daran arbeiten. Julie wusste nicht, ob dies der Countess auffallen würde, aber sie wollte nichts dem Zufall überlassen.
Auf die Minute genau klingelte es an der Eingangstür. Für eine Sekunde schloss Julie die Augen, um sich zu sammeln. Dann hastete sie auf ihren Platz auf dem Sofa vor dem Kamin und zupfte noch einmal das Kissen neben sich zurecht. Die Countess würde sich so höchstwahrscheinlich ihr gegenüber auf dem zweiten Sofa niederlassen. Von der Eingangshalle drangen Stimmen an ihr Ohr. Mit zunehmendem Unwohlsein sah Julie auf das Chaiselongue, das vor dem Fenster stand, da es zum Lesen die besten Lichtverhältnisse bot. Dort hätte eigentlich Rebecca sitzen und lesen sollen, doch sie war oben bei Vater. Allerdings war es zu spät, um aufzuspringen und das Buch fortzuräumen, denn in diesem Augenblick wurde die Tür geöffnet.
Toby trat ein und kündigte mit etwas zittriger Stimme die Countess of Gilberty an.
„Vielen Dank, James“, erklärte die forsche Lady und schob sich an Toby vorbei. Julie wunderte sich kurz darüber, warum sie Toby James nannte, aber dann richtete sich ihre ganze Aufmerksamkeit auf die Person, die soeben den Raum betreten hatte und ihn bereits dominierte. Die Countess war ziemlich klein, reichte Julie höchstens bis zur Nasenspitze, aber was ihr an Körpergröße fehlte, machte sie anderweitig wett. Ihr fülliges Erscheinungsbild war in ein opulentes Kleid geschnürt, dessen Orange beinahe unangenehm in den Augen stach. Die einstmals blonden und inzwischen mit grauen Strähnen durchzogenen Haare waren kunstvoll zu einem Knoten aufgesteckt.
„Das sind also die Ladys Wight“, stellte die Besucherin fest und kniff die Augen zusammen, um sie nacheinander zu mustern.
Julie erhob sich hastig und warf Deborah mahnende Blicke zu, die daraufhin schnell aufsprang. Sie knicksten beide, und Julie betete, dass sie unter den strengen Blicken der Countess Gnade finden würden.
Lächelnd kam Lady Gilberty auf sie zu. „Hübsch bist du geworden“, urteilte sie. Dann ging sie an Julie vorbei und setzte sich auf das Sofa, als wäre sie die Hausherrin. Mit Entsetzen stellte Julie fest, dass es das Sofa war, auf dem sie sitzen wollte. Unwillkürlich wanderte ihr Blick zu dem Kissen, von dem die Countess Gott sei Dank noch keine Notiz genommen hatte.
„Komm her, Kindchen und drehe dich einmal“, wies sie Julie an. Diese folgte der Aufforderung zögerlich und drehte sich langsam unter dem wachsamen Blick der Countess, wohl wissend, wie viel für sie davon abhing.
„Schon etwas alt“, urteilte diese schließlich, und Julies Mut fiel in sich zusammen.
„Warum hat Brownshire dich nicht schon früher nach London geschickt?“, fragte sie spitz.
Sie setzte sich Lady Gilberty wieder gegenüber. „Ich musste mich um meine Geschwister kümmern.“ Das entsprach der Wahrheit. Der Earl hätte aber auch jetzt keine Notwendigkeit gesehen, Julie nach London zu schicken. Ein übler Vorfall hatte sie nun dazu veranlasst, gemeinsam in die Hauptstadt zu kommen.
„Nun, du bist annehmbar.“
Julie wusste nicht, was sie damit anfangen sollte. Sie war für eine Frau sehr groß und ziemlich dünn. Ihre Lippen waren zu schmal, die Nase zu spitz. Außerdem hatte sie weizenblondes Haar. Aber sie war kräftig und gesund.
„Einen Viscount oder Baron könntest du schon bekommen. Schließlich bist du die Tochter eines Earls.“
„Das hoffe ich.“ Wie es von einer jungen Frau erwartet wurde, schlug sie die Augen nieder. Alles, was sie wollte, war einer dieser edlen Gentlemen, der sie und ihre Familie finanziell absicherte. Der Rest war ihr egal.
„Wie geht es deinem Vater? Wo ist er überhaupt?“ Suchend sah Lady Gilberty sich um.
Fieberhaft dachte Julie nach, was sie der Countess sagen konnte, damit sie keinen Verdacht schöpfte, die Erklärung aber gleichzeitig plausibel war. Wie auf einen unsichtbaren Wink trat in diesem Moment Rebecca ein. Sie knickste und lächelte die Countess gewinnend an.
„Welche Freude, Sie kennenzulernen, Lady Gilberty. Der Earl lässt sich entschuldigen und bedauert sehr, Sie nicht persönlich empfangen zu können. Er hat soeben das Haus in einer dringlichen Angelegenheit verlassen müssen.“
Für einen Moment überrascht, dann wohlwollend lächelnd winkte die Countess Rebecca zu sich. Sie war noch zu jung, für ihr Debüt. Aber schon jetzt besaß sie so viel Liebreiz, dass Julie nicht zum ersten Mal ein klein wenig eifersüchtig auf ihre jüngere Schwester war.
„Das ist aber sehr schade“, seufzte Lady Gilberty und klopfte auf den freien Sitzplatz neben sich.
Grazil ließ Rebecca sich dort nieder. Jetzt, da der wohlwollende Blick der Countess auf ihre Schwester gerichtet war, kam sich Julie noch ungenügender vor. Wenn Rebecca doch nur ein wenig älter wäre! Sie war eine Schönheit, und ihr würde es mühelos gelingen, einen reichen Gentleman für sich zu erwärmen, um die Familie zu retten.
„Wir haben gehofft“, begann Julie vorsichtig, „dass Sie mich in die Gesellschaft einführen könnten. Vater eignet sich dafür nur bedingt.“ Sie konnte der Countess unmöglich verraten, dass der Zustand ihres Vaters sehr instabil war und seine Verfassung von jetzt auf gleich umschlagen konnte.
„Bedauerlich, dass deine arme Mutter so früh verstorben ist“, murmelte Lady Gilberty und ließ ihren Blick abschätzend über Julie gleiten. „Viel Erfolg wird dir nicht vergönnt sein. Für die diesjährige Saison bist du ein wenig zu spät.“
Seit die Countess dieses Haus betreten hatte, hatte sie kein gutes Haar an Julie gelassen. Am liebsten wäre sie aufgesprungen, hätte Lady Gilberty die Meinung gesagt und sie aus dem Haus geworfen. Doch das konnte sie sich nicht leisten, und so blieb sie besonnen, wie man es von einer Lady erwartete, und schluckte ihren Ärger hinunter.
„Ich werde dich dennoch in die Gesellschaft einführen“, versprach Lady Gilberty und lächelte gönnerhaft.
„Vielen Dank.“ Julie war unendlich erleichtert. Ihre Bemühungen hatten sich gelohnt.
Die Countess schüttelte den Kopf und wurde dann wieder ernst. „Morgen Abend findet ein Ball statt. Dieser ist kein spezieller Debütantinnenball und daher ein ausgezeichneter Zeitpunkt, dich in die Gesellschaft einzuführen.“
Gehorsam nickte Julie.
„Lord und Lady Ashwood geben sich die Ehre und werden anschließend vermutlich London verlassen.“
Julie fragte nicht nach, wer das Paar war und warum sie London noch vor Ende der Saison verlassen würden. Sie hatte schlichtweg kein Interesse an Menschen, die ihr vollkommen fremd waren und denen sie gewiss nie wieder in ihrem Leben begegnen würde.
„Nun ja, wir werden sehen, wie du den jungen Gentlemen gefallen wirst. Ein reicher Lebemann kommt natürlich nicht in Frage.“
„Natürlich nicht“, stimmte Julie der Countess eifrig zu. „Ich verlasse mich da ganz auf Ihr Gespür, Lady Gilberty.“
Das Lächeln der Lady wurde breiter. „Ich lasse dich morgen Abend abholen. Sieh zu, dass du dich ordentlich zurechtmachst. Für einen ersten Eindruck gibt es keine zweite Chance.“ Der Blick der Countess blieb an Rebecca hängen. „Du dagegen, mein Kind, wirst in ein paar Jahren vielen Männern den Kopf verdrehen.“
Julie senkte hastig den Kopf. Das würde Rebecca in der Tat tun, doch so lange konnten sie nicht mehr warten. Die Zeit drängte, und daher lag es an Julie, einen geeigneten Ehemann zu finden. Dabei durfte sie sich keine Fehler leisten.
Lady Gilberty blieb noch eine halbe Stunde. Das Gespräch verlief zäh und drehte sich hauptsächlich um Rebecca. Julie ertrug es mit Fassung. Als die Countess jedoch unvermittelt erklärte, dass sie gehen müsse, war Julie grenzenlos erleichtert.
„Ich danke Ihnen für Ihren überaus erfreulichen Besuch, Lady Gilberty.“ So elegant, wie es ihr möglich war, erhob Julie sich und versank in einen anmutigen Knicks. Es kostete sie einiges an Selbstbeherrschung, ihre lächelnde und zurückhaltende Fassade aufrecht zu erhalten.
Überschwänglich verabschiedete sich die Countess von ihr, Rebecca und Deborah. Doch kaum hatte sich die Tür hinter dem überaus anstrengenden Gast geschlossen, sanken die Schwestern erleichtert aufs Sofa.
„Du hast es geschafft.“ Rebecca strahlte sie an.
Da Julies Wangen bereits vom Dauergrinsen schmerzten, wollte ihr nicht einmal mehr das kleinste Lächeln gelingen. „Ich hoffe es“, murmelte sie erledigt und betete, dass ihre jüngere Schwester recht behielt. Noch fühlte es sich nicht wie ein Triumph an. Eher wie eine Etappe, die sie erfolgreich gemeistert hatte. Die eigentliche Herausforderung stand ihr noch bevor.
Das Haus am Berkeley Square bot jeden erdenklichen Luxus. Da Ewan dort allein wohnte, besaß er jede Menge Platz. Lediglich ein Butler, eine Haushälterin, ein Stallbursche und zwei Zimmermädchen hatten das bisher unbewohnte Haus in Schuss gehalten. Am vergangenen Tag hatte der Butler eifrig neues Personal eingestellt und obwohl er noch vollauf damit beschäftigt war, die Neuen einzuarbeiten, verzog er keine Miene, als Ewan ihn mit der Einrichtung eines Boxraums betraute. Damit die Nachbarn nicht noch mehr zu tratschen hatten, sollten die Ertüchtigungsgeräte über den Bediensteten-Eingang hineingebracht werden.
Allerdings machte sich Ewan keine Illusionen darüber, dass sie auch das mitbekamen, da er vermutlich schon längst im Zentrum der allgemeinen Aufmerksamkeit stand.
Das Haus am Berkeley Square befand sich in erlesener Gesellschaft. Direkt gegenüber lag Crowbridge House, das Stadthaus seines Halbbruders. Arthurs Mutter war Engländerin gewesen. Standesgemäß und in den Augen der anglikanischen Kirche rechtmäßig mit seinem Vater verheiratet. Als dieser nach dem Tod seiner Gemahlin ein weiteres Mal geheiratet hatte – Ewans Mutter, eine protestantische Schottin –, war diese Ehe nicht anerkannt worden. Solange sein Vater lebte, war Ewan als legitimer zweiter Sohn eines Marquess aufgewachsen und hatte dieselbe Ausbildung genossen wie die reichen Söhne der Gesellschaft. Er hatte Freunde und ein ganz normales Leben gehabt, bis sein Vater starb. Arthur hatte den Titel und das Vermögen geerbt und nichts Besseres zu tun gehabt, als Ewan und seine Mutter aus dem Haus zu jagen. Von da an galt Ewan plötzlich nur noch als der Bastard des verstorbenen Marquess of Crowbridge, und seine sogenannten Freunde hatten ihn fallen lassen. Voll Bitterkeit dachte er einen Moment an die Zeit zurück, an das, worum Arthur ihn gebracht hatte. Er atmete tief durch und vertrieb die dunklen Gedanken. Es gab nichts, wofür er sich in seinem Leben schämen musste. Schließlich hatte er es aus eigener Kraft geschafft, sich ein Leben aufzubauen. Jetzt war er nicht mehr nur der Bastard eines Marquess, sondern ein Neureicher, der sich mit Baumwollfeldern und Schafzucht ein Vermögen erarbeitet hatte. Sein Reichtum übertraf das Einkommen sämtlicher damaliger Freunde um ein Vielfaches. Der hohe Adel mochte ihn weiterhin ignorieren, doch sein Geld würde reichen, um genügend Kontakte zu knüpfen, um an Cartmar und Lastborough heranzukommen. Wenn er dann schließlich das Collier für den Commander gefunden hatte, konnte er in seine Heimat, wie er Schottland inzwischen betrachtete, zurückkehren und London ein für alle Mal hinter sicher lassen.
Nicht nur Crowbridge House befand sich in direkter Nachbarschaft, auch Ewans Freund Ashwood wohnte zufälligerweise nur ein paar Häuser entfernt.
Nachdem sein Vollbart einer gründlichen Rasur zum Opfer gefallen war, hatte er seinen alten Freund aufgesucht und dabei auch dessen überaus reizende Gattin kennengelernt. Jetzt verstand er ein wenig besser, warum Ashwood sich hatte einfangen lassen. Allerdings bestärkte ihn das nur noch mehr in seiner Meinung, ihn nicht in die Nähe von Reynolds zu lassen.
Da Ashwood ihn am Abend zum Ball eingeladen hatte, hatte er die Einladung dankend angenommen. Immerhin war es eine hervorragende Bühne, um sich wieder in der Öffentlichkeit zu zeigen. Dummerweise hatte er vergessen, den Marquess zu fragen, ob auch Lastborough und Cartmar erscheinen würden.
Den Nachmittag hatte er damit verbracht, alte Freunde in East End aufzusuchen. Sein einstiger Trainer Doyle Wittyspeed, ein ehemaliger Boxer, der von allen nur Speedy genannt wurde, war zwar selbst nicht mehr aktiv, betrieb aber weiterhin den Fight Club in den Docks. Leider hatte er ihn nicht persönlich angetroffen, aber ein breit gebauter Kerl namens Lake hatte ihm erklärt, dass er heute Nacht anwesend sein würde.
Um an Reynolds heranzukommen, plante Ewan, zunächst wieder bei Speedy als Boxkämpfer einzusteigen. Wenn er in ein paar Wochen gut genug war und einige Kämpfe gewonnen hatte, würde er wie alle guten Boxer zu Reynolds wechseln, der die lukrativeren Fights in den Docks organisierte.
Als Ewan Scatterloud an diesem Abend den Ballsaal der Ashwoods betrat, sorgte er für großes Aufsehen. Sämtliche Blicke richteten sich auf ihn, und er hörte, wie hinter seinem Rücken über ihn getuschelt wurde. Mit der langen Hose, die für seinen Geschmack etwas zu eng geschnitten war, war er passend und nach der neuesten Mode gekleidet, wie ihm der renommierte Schneider in der Piccadilly Street versichert hatte. Das Hemd trug sich angenehm, der Stoff war jedoch so dünn, dass es keinen Arbeitstag auf der Schaffarm überlebt hätte. Zusätzlich hatte ihm der Schneider noch eine piekfeine, bestickte Weste nahegelegt, und so hatte Ewan auf die bequemeren, aber einfacheren Modelle verzichtet. Gut, wenn das seinem Auftritt mehr Wirkung verlieh, dann war es eben so, damit konnte er leben. Was Ewan jedoch wirklich hasste, waren der hochgeschlossene Kragen und die Krawatte. Er hatte das Gefühl, keine Luft mehr zu bekommen. Der tiefschwarze Frackrock vervollständigte seine Abendgarderobe. In der Tat war er angemessen gekleidet. Auch wenn er nie verstehen würde, wieso die feine Gesellschaft sich immer in derart unbequeme Kleidung zwängte.
Ashwood und seine reizende Gattin standen am Eingang des großen Saals und begrüßten ihre Gäste.
„Scatterloud“, rief der Marquess erfreut und schlug ihm auf die Schulter. „Ich war mir nicht sicher, ob du wirklich kommen würdest. Umso mehr freue ich mich, dass du hier bist.“
Er lächelte seinen Freund an. „Muss ich mich jetzt beleidigt fühlen, dass du an meiner Zusage gezweifelt hast?“, scherzte er.
Ashwood klopfte ihm kameradschaftlich auf den Rücken und fragte: „Soll ich dich ein paar Gästen vorstellen?“
Ewan ließ seinen Blick über die Anwesenden gleiten. Ehemalige Weggefährten und einstige Freunde gafften ihn ebenso an wie die Damen. Manche von ihnen interessiert, andere pikiert.
„Danke für das Angebot, aber ich denke, ich komme zurecht. Mit den meisten der hier Anwesenden bin ich bekannt“, lehnte Ewan ab. Er wollte nicht, dass die Leute nur mit ihm sprachen, weil neben ihm ein Marquess stand.
„Das wäre überaus unhöflich von uns“, entschied Lady Ashwood und blickte sich suchend um. „Wenigstens Bankers und Patricia ... Miss Patricia“, korrigierte sie sich schnell, „müssen wir Ihnen vorstellen, Mr. Scatterloud.“
Überrascht von der Herzlichkeit, die ihm die Marchioness wie selbstverständlich entgegenbrachte, beneidete er seinen alten Freund fast ein wenig um diese Frau. Diese winkten unterdessen einem jungen Paar zu, das sich daraufhin von einem älteren Ehepaar verabschiedete und auf sie zukam.
Beim Näherkommen erkannte Ewan Milton, einen Kameraden aus früheren Zeiten. Er wollte gerade den Mund aufmachen, als Ashwood ihm zuvorkam.
„Aus Milton ist inzwischen Lord Blankers geworden, und das ist seine Verlobte Miss Victoria Regenton-Miller.“ Der Marquess wandte sich dem Paar zu. „Ein alter Freund hat den Weg in unsere schöne Hauptstadt gefunden. Darf ich euch Ewan Scatterloud vorstellen.“
„Wie wunderbar, dich bei bester Gesundheit zu sehen.“ Blankers streckte ihm die Hand entgegen, und Ewan schlug ein. Es war schön, zumindest einen weiteren Freund zu haben.
„Sehr erfreut.“ Er verbeugte sich, während die blonde Schönheit an seiner Seite knickste.
„Die Freude ist ganz auf meiner Seite, Mr. Scatterloud“, sagte die überaus reizende Verlobte von Blankers.
Während Lord und Lady Ashwood sich den nächsten Gästen zuwandten, begleitete Ewan Blankers und seine Verlobte ein Stück durch den Raum.
„Es ist wirklich schön, dich zu sehen. Wie geht es dir?“, erkundigte sich Blankers.
Das Interesse des Freundes war ernst gemeint, und so gab Ewan bereitwillig Auskunft.
„Ich kann mich nicht beklagen. Es geht mir wirklich gut.“
„Ich habe schon gehört, du bist zu ordentlich Reichtum gekommen.“ Dabei lachte Blankers, und es schwang kein Fünkchen Missgunst in seiner Stimme.
Dennoch fiel es Ewan schwer, sich selbst einem alten Freund gegenüber unbeschwert zu öffnen, und so blieb er reserviert, lächelte jedoch. „Die Geschäfte laufen in der Tat gut.“
„Das freut mich für dich. Willst ...“
„Blankers“, rief ein Mann, nicht weit von ihnen entfernt, und hob sein Glas. Er stand bei einer Gruppe von drei Gentlemen, alle im selben Alter und waren wohl mit Blankers und seiner Verlobten gut bekannt.
„Wie ich sehe, wird eure Anwesenheit verlangt“, entließ er den alten Freund gutmütig.
„Ich fürchte auch.“ Er hakte seine Verlobte unter. „Ich hoffe, wir sehen uns demnächst im Club. Ich will noch mehr über dich wissen“, rief ihm Blankers zu, dann wandte er sich ab und wurde in ein lebhaftes Gespräch verwickelt.
Noch waren nicht alle Gäste angekommen, doch der Ballsaal füllte sich zügig. Ewan beschloss, sich etwas zu trinken zu holen. Auf Alkohol würde er zwar verzichten, denn er wollte in dieser Nacht noch Speedy aufsuchen. Wenn der alte Boxer eine Regel befolgte, dann die, dass kein Betrunkener in den Ring steigen durfte.
Lange wollte Ewan ohnehin nicht im Ballsaal verweilen. Auf Brautschau war er nicht, und die Männer, wegen denen er hergekommen war, verkehrten eher in den Nebenräumen. Allerdings kam er nicht bis zum Kartenzimmer, denn eine Frau sprach ihn an.
„Ewan, mein Lieber.“ Es gab nicht viele Personen, die ihn mit Vornamen ansprachen. Doch auch so hätte er die tiefe schnurrende Stimme überall erkannt.
Er drehte sich um und stand seiner Schwägerin, Lady Emma Crowbridge, gegenüber.
„Emma.“ Seine Miene verfinsterte sich.
Seit sie sich das letzte Mal gesehen hatten, waren etliche Jahre vergangen. Aus der zierlichen jungen Dame, die nach einigen Fehlversuchen, sich einen reichen Adeligen zu angeln, schließlich seine Schwägerin geworden war, war eine reife, aber nicht weniger attraktive Frau geworden. Die zusätzlichen Pfunde standen ihr ausgezeichnet, die tiefer werdenden Falten im Gesicht und am Hals dagegen nicht. Das rabenschwarze Haar war so voll und dunkel, wie er es in Erinnerung hatte. Bereits vor und auch nach der Hochzeit hatte sie ihm immer wieder Avancen gemacht, dort Ewan hatte stets ablehnend reagiert.
„Du bist es wirklich.“ Ihr kirschroter Mund verzog sich zu einem Lächeln. „Welch angenehme Überraschung.“
Nun, diese Ansicht würde sein Bruder wohl kaum teilen.
„Ist Arthur auch hier?“, erkundigte er sich möglichst beiläufig und sah sich nach seinem Bruder um.
„Am Kartentisch“, erklärte seine Schwägerin, zwinkerte ihm zweideutig zu und hielt ihm ihre Tanzkarte hin.
Für einen Moment überlegte er, wie sehr es Arthur ärgern würde, wenn er mit dessen Frau tanzte. Emma war eine Schlange und setzte ihrem Gemahl regelmäßig Hörner auf. Ob sein Bruder dies inzwischen wusste oder nicht, war Ewan einerlei. Emma war ihm immer wieder näher gekommen, als es schicklich war und obwohl er nie zugelassen hatte, dass sie in sein Bett stieg, hatte Arthur genau das angenommen. Aber dieser hatte ihm ohnehin alle Schandtaten zugetraut. Daher würde ein Tanz mit ihr seinen Bruder nur in dessen Verdacht bestärken. Zusätzlichen Ärger mit Arthur konnte Ewan eigentlich nicht gebrauchen.
„Ich bin nicht hier, um zu tanzen“, lehnte er daher die Einladung ab.
Emma zog einen formvollendeten Schmollmund und fiel ihm damit gehörig auf die Nerven.
„Deine Nummer zieht bei mir nicht“, informierte er sie knapp.
Seine Schwägerin schnappte theatralisch nach Luft. „Du tust mir unrecht, Ewan.“
„Such dir einen anderen Dummen und lass mich in Frieden.“ Entschlossen schob er sich an ihr vorbei und ließ sie einfach stehen. Sein Ziel war das Kartenzimmer und davon hatte sie ihn schon viel zu lange abgehalten. Allerdings war die Neugier, was Emma nun tun würde, zu groß, und so drehte er sich im Weitergehen noch einmal zu ihr um. Dabei rannte er gegen eine andere Person. Die junge Frau schwankte bedrohlich, und Ewan hielt sie an den Oberarmen fest, bis sie ihr Gleichgewicht wiederfand.
„Tut mir leid“, brummte er entschuldigend.
Als sie ihren Blick hob, versank er in moosgrünen Augen, in denen bernsteinfarbene Sprenkel tanzten. Ihr blondes Haar entsprach zwar nicht der gängigen Mode, doch das kümmerte ihn nicht, denn es passte ganz hervorragend zu ihr. Nur einige Bänder und Blüten schmückten ihre Frisur, ansonsten fiel es in weichen Wellen um das schmale Gesicht, was er als überaus reizend empfand.
„Es ist ja nichts passiert.“ Sie lächelte ihn an, und Ewan glaubte für einen Moment, die Welt würde stehen bleiben.
„Julie“, quiekte es entsetzt, die nervtötende Tonlage schmerzte geradezu in seinen Ohren.
Eine behäbige kleine Dame schob sich schützend zwischen ihn und den Blondschopf.