Kruento - Der Diplomat - Melissa David - E-Book

Kruento - Der Diplomat E-Book

Melissa David

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Beschreibung

Ein Nachtclub, ein Undercoverjob und Geheimnisse, die Arnikas Leben für immer verändern

Der Journalistin Arnika ist es gelungen, einen Job als Kellnerin im Club Fiftyfive zu ergattern. Ihr Ziel ist es eine Story über den Inhaber des Nachtclubs zu schreiben, denn Jendrael Collister ist nicht nur ein erfolgreicher Geschäftsmann, sondern auch einer der begehrtesten Junggesellen Bostons.
Verzweifelt setzt Arnika alles daran, in den VIP-Bereich des Clubs zu gelangen. Als es ihr endlich gelingt, betritt sie damit die Welt der Kruento.
Der Journalistin Arnika ist es gelungen, einen Job als Kellnerin im Club Fiftyfive zu ergattern. Ihr Ziel ist es eine Story über den Inhaber des Nachtclubs zu schreiben, denn Jendrael Collister ist nicht nur ein erfolgreicher Geschäftsmann, sondern auch einer der begehrtesten Junggesellen Bostons.

Jedes Buch ist in sich abgeschlossen.

Die Reihe im Überblick
Kruento - Heimatlos (Novelle)
Kruento - Der Anführer (Band 1)
Kruento - Der Diplomat (Band 2)
Kruento - Der Aufräumer (Band 3)
Kruento - Der Krieger (Band 4)
Kruento - Der Schleuser (Band 5)
Kruento - Der Informant (Band 6)

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Inhalt

Klappentext

Impressum

Kruento

Vorwort

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Über die Autorin

Weitere Bücher

Kruento

Kruento

Die Chroniken von Usha

Cheetah Manor

Glossar

Spanische Wörter und Sätze

Klappentext

Der Journalistin Arnika ist es gelungen, einen Job als Kellnerin im Club Fiftyfive zu ergattern. Ihr Ziel ist es eine Story über den Inhaber des Nachtclubs zu schreiben, denn Jendrael Collister ist nicht nur ein erfolgreicher Geschäftsmann, sondern auch einer der begehrtesten Junggesellen Bostons.

Verzweifelt setzt Arnika alles daran, in den VIP-Bereich des Clubs zu gelangen. Als es ihr endlich gelingt, betritt sie damit die Welt der Kruento.

Je näher sie Jendrael kommt, desto schwerer fällt es ihr, eine Titelstory über ihn zu schreiben. Schließlich muss Arnika sich entscheiden - nicht nur ob sie Jendrael verrät, sondern auch, wie ihr zukünftiges Leben aussehen wird.

Impressum

E-Book

1. Auflage Dezember 2015

202-346-01

Melissa David

Mühlweg 48a

90518 Altdorf

Blog: www.mel-david.de 

E-Mail: [email protected] 

Umschlaggestaltung: Juliane Schneeweiss

www.juliane-schneeweiss.de

Bildmaterial: © Depositphotos.com

Lektorat, Korrektorat:

Jana Oltersdorff

Alle Rechte, einschließlich dem des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form bedürfen der Einwilligung der Autorin.

Personen und Handlungen sind frei erfunden, etwaige Ähnlichkeiten mit real existierenden Menschen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

Kruento

Der Diplomat

Band 2

von

Melissa David

Vorwort

Lieber Leser,

dieses Buch enthält ein Glossar, das sich im Anschluss der Geschichte befindet. In diesem Glossar werden unbekannte Begriffe erklärt. Wenn du das Glossar vorab lesen möchtest, bitte hier klicken.

Im diesem Buch habe ich es so gehandhabt, dass ich Begriffe beim ersten Auftauchen ins Glossar verlinkt habe. In der Regel ist dieser unterstrichen. Beim Daraufklicken kommst du direkt zur Erklärung. Mit „zurück“ gelangst du dann wieder zur aktuellen Textstelle.

Ich hoffe, dir ist das Glossar eine Hilfe, um die Welt der Kruento besser zu verstehen. Solltest du technische Probleme haben, kannst du dich gerne unter [email protected] an mich wenden.

Du möchtest noch tiefer in die Welt von Kruento eintauchen? Auf meinem Blog findest du spannende Artikel mit Hintergrundinformationen über die Kruento.

Nun wünsche ich dir viel Spaß beim Lesen. Mache dich bereit und tauche ein in die Welt der Kruento.

Deine Melissa David

Kapitel 1

Arnika verfluchte den Tag, an dem sie dem Plan ihres Bosses zugestimmt hatte. Ihre Füße schmerzten in den schwindelerregend hohen High Heels. Die Arme konnte sie kaum noch bewegen. Sie biss die Zähne zusammen und stellte das Tablett auf dem Tresen ab.

„Alles klar?“, fragte Yoola über den Lärm des Nachtclubs hinweg und stellte ihr drei Tequila Sunrise auf das Tablett. Die Discobeleuchtung tauchte die Getränke für einen Moment in ein seltsam grünes Licht.

Arnika nickte dem Barkeeper zu.

Drei Gläser auf dem Tablett zu balancieren, während der Laden brechend voll war, erforderte bereits ihre ganze Konzentration. Es war so warm, dass ihre Bluse unangenehm am Rücken klebte. Kein Wunder, dass die anderen Kellnerinnen nur ein weinrotes Top trugen, auf dem an der Brust das Logo des Clubs und darunter ihr Name prangte. Arnika hoffte, dass sie nach ihrem ersten Tag auch in diese luftige Arbeitsuniform schlüpfen konnte.

In diesem Moment tauchte Inka neben Arnika auf. „Maximal drei Gläser“, wies sie Yoola an und deutete auf Arnikas Tablett.

Dieser nickte der Blondine kurz zu, ehe er ihre Serviertasse mit zwei Daiquiris, einem Manhattan, zwei Fiftyfive und einem Caipirinha belud.

„Du schlägst dich für den ersten Abend ganz gut.“ Inka lächelte ihr zu, drehte sich um und verschwand mit ihrem voll beladenen Tablett in der Menge.

Arnika blickte der Chefservicekraft hinterher, die mit Leichtigkeit die Gläser durch die feiernde Meute manövrierte.

Um keinen Preis der Welt würde sie zugeben, dass dieser Abend sie vollkommen überforderte. Abermals biss sie die Zähne fest zusammen, um den Schmerz in den Armen ertragen zu können, griff nach dem Tablett und machte sich auf den Weg durch die feiernden Clubbesucher, die zu einem schnellen Beat tanzten.

Der Kunde, der die Getränke bestellt hatte, saß natürlich am anderen Ende des Raumes. Arnika seufzte innerlich und zwängte sich an einigen tuschelnden Mädchen vorbei, deren Röcke nur knapp den Po bedeckten.

Wie konnte man hier nur freiwillig arbeiten? Der Job war anstrengend, die Arbeitszeiten unverschämt lang, und ihre Beine brachten sie um. Würde nicht so viel davon abhängen, hätte sie schon längst hingeschmissen. Und je länger sie hier war, umso weniger verstand sie die lange Schlange an Bewerberinnen, die unbedingt in dem angesagten Club arbeiten wollten. Zugegeben, sie hätte nie damit gerechnet, den heiß begehrten Job zu ergattern, nicht bei der Konkurrenz und dem, was andere an Erfahrung mitbrachten. Der unbeugsame Wunsch, es ihrer Familie zu zeigen und allein in Boston zu bestehen, hielt sie davon ab, das Handtuch zu werfen. Sie würde es schaffen – irgendwie.

Ein Typ griff nach ihrem Arm und schrie ihr „Zwei Fiftyfive, Tisch siebenund…“ ins Ohr. Bevor sie sich zu ihm umdrehen konnte, war der Kerl schon wieder zwischen den Gästen untergetaucht. Nervös blickte Arnika sich um und sah zu ihrer Erleichterung, wie der Typ sich an Tisch siebenundzwanzig niederließ. Im Geiste machte sie sich eine Notiz.

Der Cocktail Fiftyfive war das Markenzeichen des Clubs, und Arnika wusste nicht, wie oft sie diesen heute Abend schon serviert hatte.

Mühsam setzte sie ihren Weg fort und war kurz darauf an ihrem Ziel. Den Kerl am Nebentisch, der ihr einen Zettel mit seiner Handynummer zugesteckt hatte und ihr immer wieder zuzwinkerte, ignorierte sie. Stattdessen servierte sie die bestellten Cocktails und nickte dem einzigen Mann am Tisch zu, der ihr scherzhaft eine Kusshand zuwarf. Dieser Clubbesucher hatte, wie alle anderen Kunden auch, seinen Tisch vor Monaten gebucht. Sie lächelte zurück und hielt ihm ihr Bestellgerät hin. Er drückte seinen Daumen auf das Display. Arnika war froh, dass die Getränke am Ende des Abends direkt an der Kasse abgerechnet wurden und sie somit nichts mit der Rechnung zu tun haben würde.

Sie drehte sich um und ließ ihren Blick über die Gäste schweifen. Kaum dass der Club geöffnet hatte, war es hier brechend voll geworden.

Arnika ging ein paar Schritte weiter und nahm die Bestellung für Tisch siebenundzwanzig im System auf. Noch einmal sah sie sich um, ob jemand in ihrem Bereich einen Getränkewunsch hatte. Dank Inka umfasste ihr Zuständigkeitsbereich lediglich acht Tische. Die eingearbeiteten Mädchen hatten bis zu zwanzig Tische zu betreuen und am heutigen Abend, dank ihr, sogar ein paar mehr.

Ihr Rückweg führte am Rand der Tanzfläche vorbei. Inzwischen war die Bühne, auf der gerade zwei der Tänzerinnen ihre Show abzogen, nach oben ausgefahren. Die eine war eine rassige Latinaschönheit. Die Rothaarige besaß etwas weniger Kurven, hatte jedoch unglaublich lange Beine, die sie in diesem Moment um die Tanzstange schlang.

Arnika kam an der Treppe vorbei, die von zwei bulligen Kerlen in Schwarz bewacht wurde. Pide und Cev sorgten dafür, dass niemand Unbefugtes die dritte Ebene betrat.

Sie spähte hinauf und erblickte auf dem oberen Drittel der Treppe einen Mann und eine Frau, die dort stehen geblieben waren. Die Glücklichen, dachte sie, denn dort oben hatten nur ausgesuchte Personen Zutritt. Am Ende der Treppe befand sich eine Plattform, mehr konnte sie nicht erkennen, da die komplette Ebene mit verspiegelten Glasscheiben abgeschirmt war. Immer wieder tauchte das Discolicht die Scheiben in buntes Licht. Einen Blick hindurchzuwerfen, war jedoch unmöglich.

Pide lächelte ihr freundlich zu, und sie blickte schnell fort, da sie nicht wollte, dass er ihr allzu offenkundiges Interesse an der oberen Ebene bemerkte. Arnika ging zwei Schritte weiter und schielte noch einmal hinauf.

Der Mann auf der Treppe drehte sich in diesem Moment herum, und Arnika stockte der Atem. Er war es. Die eine Hand steckte lässig in der Hosentasche seines hellgrauen Anzugs. Die andere war um die Mitte einer brünetten Frau geschlungen. Die Welt schien einen Augenblick stehenzubleiben, während Arnika das Prachtexemplar von Mann anstarrte. Die Bilder, die sie bisher in den Klatschspalten von ihm zu sehen bekommen hatte, vermochten ihm nicht annähernd gerecht zu werden. Was wäre ein Foto und eine halbe Seite Text über ihn wert? Ihr Herz schlug schneller. Gerade strich er sich durch das dunkelblonde kurze Haar. Das unwiderstehliche Lächeln, das er seiner Begleiterin schenkte, machte ihn nur noch attraktiver. Selbst auf die Entfernung strahlte er etwas aus, das Arnika unwillkürlich in seinen Bann zog. Noch nie hatte sie einen Mann gesehen, den eine so anziehende Präsenz umgab.

Sie musste sich zusammenreißen. Ihre Hände umklammerten das Tablett, das sie an ihre Brust drückte, so fest, dass die Fingerknöchel weiß hervortraten. Dann wandte sie sich ab. Sie durfte ihr Ziel nicht aus den Augen verlieren. Bei all dem hier ging es lediglich um einen Artikel. Das Letzte, was sie brauchen konnte, war, den Kopf zu verlieren.

Jendrael Collister, der sagenumwobene Playboy, der ein Geheimnis aus seinem Leben und seinem Umfeld machte, sämtlichen Fotografen gekonnt aus dem Weg ging und immer dort in Boston auftauchte, wo Macht und Geld zu finden waren. Obwohl sie gründlich recherchiert hatte und einiges über ihn wusste, waren ihre Informationen sehr dürftig. Er war Inhaber des Clubs Fiftyfive und diverser anderer Geschäfte. Es gab keine Interviews, Fotos oder pikante Details aus seinem Privatleben. Wenn er in der Öffentlichkeit auftauchte, war immer eine andere Schönheit an seiner Seite: Models, Filmstars und hin und wieder auch unbekannte Mädchen. Mit Durchschnittsfrauen schien er sich jedoch nicht abzugeben.

Arnikas Neugier siegte, und sie blickte erneut nach oben. Gerade beugte der Discobesitzer sich zu seiner Begleitung hinab, die gut zehn Zentimeter kleiner war als er, und flüsterte ihr etwas ins Ohr, woraufhin die Frau in schallendes Gelächter ausbrach.

Dann schob er die Frau weiter nach oben, drehte sich am Ende der Treppe noch einmal um, ließ seinen Blick über die Menge gleiten und sah direkt in ihre Richtung. Plötzlich hielt er inne.

Arnika bekam kaum noch Luft. Das war doch nicht möglich. Ihre Knie wurden weich. Sie wollte und konnte ihren Blick nicht abwenden. Seine Augen schienen sie festzuhalten und sich tief in ihr Innerstes zu bohren.

Ihr schwindelte. Der Club verschwamm vor ihr, sie taumelte. Sofort war Cev an ihrer Seite, um sie zu stützen.

„Die Luft hier drinnen kann manchmal etwas stickig sein“, meinte er mit tiefer Stimme.

Arnika machte sich schnell von ihm los. Sie wollte nicht schwach wirken. Schnell sah sie sich um und atmete erleichtert auf, dass niemand ihr Missgeschick mitbekommen hatte.

„Mir geht es gut. Alles okay“, erklärte sie hastig und drückte das leere Tablett schützend an ihre Brust.

„Vielleicht ist es besser, du setzt dich einen Moment hin“, schlug Pide vor und deutete auf die Tür, auf der in weißen Lettern ‚Privat‘ stand.

Arnika schüttelte den Kopf.

„Danke! Alles bestens. Ich muss weitermachen.“

Sie eilte davon und hoffte, dass keiner der beiden Inka von ihrem kleinen Zusammenbruch erzählen würde. Schließlich war sie hier auf Probe angestellt, und sie wollte, nein, sie musste diesen Job unbedingt behalten. Sie wollte sich durch die paar Sekunden Schwäche nicht ihre ganze Arbeit zunichtemachen.

Auf dem Weg zur Bar, wo Yoola mit den Cocktails auf sie wartete, kreisten ihre Gedanken um ihren neuen Chef. Hatte er wirklich sie angesehen? Im Prinzip war es egal, es war nur eine Frage der Zeit, bis sie hinter sein Geheimnis kam. Etwas anderes blieb ihr nicht übrig. Alle erfolgreichen Männer hatten ein kleines, schmutziges Geheimnis. Man musste nur tief genug graben.

„Gab es Probleme, weil du so lange bei der Security warst?“, erkundigte Yoola sich.

Arnika verneinte, griff schnell nach der nächsten Serviertasse und balancierte die drei Gläser abermals durch die Menschenmenge.

* * *

Gelangweilt blickte Jendrael auf die Frau zu seiner Linken, die ihren vollen Busen aufreizend an seinem Arm rieb. Er war durstig, das war der einzige Grund, warum er im Fiftyfive aufgetaucht war. Seine Angestellten hatten alles unter Kontrolle und brauchten seine Hilfe nicht.

Sein Schädel pochte unaufhörlich, ein Zeichen, dass er viel zu lange kein Blut mehr zu sich genommen hatte. Die schrille Stimme seiner Begleiterin drang zu ihm durch. Sie plapperte irgendetwas Unsinniges, Belangloses. Abwesend lächelte er sie an, damit er wenigstens den Eindruck erweckte, bei der Sache zu sein. Zielstrebig schob er sie auf die Metalltreppe zu, vorbei an Cev und Pide.

Der beißende Gestank nach Schweiß und Alkohol verflüchtigte sich, ebenso wie der hämmernde Beat, der den Herzschlag der Menschen und das Rauschen ihres Blutes übertönte. Seine Begleiterin blieb mitten auf der Treppe stehen, zog an seinem Arm und deutete auf die Bühne, die sich ein ganzes Stück unter ihnen befand. Dort rekelten sich gerade zwei seiner Tänzerinnen an einer Stange. Sie waren umringt von dutzenden, grölenden Männern. Etwas Ungewöhnliches konnte er an dem Bild, das sich ihm bot, nicht finden. Um die Tanzfläche herum standen weiße Ledercouches, welche durch die einseitig offene Form einem angebissenen Donut ähnelten. In der Mitte befand sich jeweils ein kleiner Holztisch, auf dem ein Eiskübel und die Getränkekarte zu finden waren. Doch auch hier fand er nichts Auffälliges. Während in der ersten Ebene, im öffentlichen Teil seines Clubs, Selbstbedienung herrschte und nur zwei Bottle-Catcher die Gläser und Flaschen wieder einsammelten, waren in der zweiten Ebene, wo die gehobene Gesellschaft feierte, eine Handvoll Kellnerinnen damit beschäftigt, Snacks und vor allem Getränke an die Tische zu bringen. Kein freier Sitzplatz war mehr zu finden – wie an jedem Abend. Eigentlich sollte ihm das eine gewisse Befriedigung verschaffen, doch nichts als Leere breitete sich in seinem Inneren aus.

Die Frau an seiner Seite drehte sich gerade zu ihm um. „Ich war noch nie hier oben“, erklärte sie ihm strahlend.

Jendrael reagierte nicht darauf. Er wusste nicht einmal ihren Namen. Cathleen, Cathrin, Catharina, … Es interessierte ihn nicht. Er hatte sie ausgewählt, weil ihm ihre braunen Haare gefielen und er nach der Nahrungsaufnahme noch etwas Gesellschaft gebrauchen konnte. Die unechten und viel zu langen Wimpern entsprachen absolut nicht seinem Geschmack. Davon abgesehen war sie aber recht hübsch. Und sie war einfach gestrickt. Er war kurz in ihrem Kopf gewesen und hatte festgestellt, dass sie ein williges Opfer abgab. Es würde ihn kaum Anstrengung kosten, ihre Erinnerungen an den Abend zu manipulieren.

Jendrael beugte sich zu der Frau hinunter. „Es wird mir eine Ehre sein, dir die dritte Ebene zu zeigen. Allerdings würde ich mit dir gerne in mein Büro gehen. Da sind wir ungestört.“ Er wusste, dass er für die Frau lockend und einladend klang, als ob er das nötig gehabt hätte.

Die Brünette warf die langen Haare in den Nacken und lachte laut und schrill.

Bestimmt schob er sie die Treppe hinauf. Ein letztes Mal ließ er seinen Blick über die Tanzenden schweifen und hielt inne, als er katzengrünen Augen begegnete. Eine junge Frau, Ende zwanzig, stand am Fuß der Treppe und blickte zu ihm hinauf. Sie trug eine Bluse des Clubs und musste die neue Kellnerin sein, von der Abeline ihm berichtet hatte. Ihre langen, schlanken Beine steckten in engen Jeans. Sie strich sich gedankenverloren eine Strähne des blonden Haares hinter das Ohr. Jendrael konnte seine Augen nicht von ihr abwenden. Er sah, wie ihr die Beine wegknickten und Cev sie stützte. Mit aller Anstrengung biss er die Zähne zusammen, kämpfte gegen das Ausfahren seiner Eckzähne an, die sich aus seinem Kiefer schieben wollten. Er verkrampfte sich. Der Drang, sie zu berühren, überkam ihn aus so heiterem Himmel, dass er um ein Haar über die Brüstung gesprungen wäre und Cev beiseite gestoßen hätte.

Er musste sie besitzen. Diese Gefühle waren so falsch wie die Wimpern seiner Begleitung. Mit aller Kraft drängte er die ungebetenen Regungen fort. Sie war eines seiner Mädchen und damit für ihn tabu, wie alle seine Bediensteten. Seine eigenen Regeln galten auch für ihn, und bisher hatte er nie Schwierigkeiten gehabt, sich daran zu halten. Was war an diesem Mädchen anders?

Die neue Servicekraft drückte das Tablett eng an die Brust und redete mit Cev und Pide. Er versuchte zu lauschen, der Geräuschpegel überstieg aber die Möglichkeiten seines ausgezeichneten Gehörs.

Dann drehte sie sich um und ging davon.

Jendrael verlor sie in der Menge aus den Augen. Er atmete tief ein und erhaschte ihren Geruch. Rose und Jasmin und ihr ganz eigener Duft, der ihn an Mandeln erinnerte. Das Gefühl, etwas verloren zu haben, machte sich in seiner Brust breit. Es wurde immer größer und fraß sich tief in sein Herz.

„Und wo ist nun dein Büro?“, fragte die Frau, die sich suchend in seinem Arm umdrehte.

Jendrael strich sich mit der Zunge über die Unterlippe. Er war durstig. Vermutlich vernebelte der Hunger sein Gehirn. Genau, das war es.

„Komm mit. Wir müssen auf die andere Seite.“

Sie hakte sich bei ihm unter und stolzierte neben ihm her, vorbei an der leeren Bar, hinter der ein Vampir namens Colan Dienst hatte.

Jendrael schüttelte den Kopf, als dieser ihn fragend ansah und wissen wollte, ob er der Frau einen Drink bringen sollte.

Auf der gegenüberliegenden Seite befanden sich die offenen Sitzgruppen vor der Glasfront, durch die man einen wunderbaren Blick über die erste Ebene hatte. Weiter vorne lagen diverse kleinere Separees, deren Fenster in Richtung zweiter Ebene ausgerichtet waren. Jendrael wollte mit der Frau weder den öffentlichen Bereich noch die kleinen abgetrennten Räume aufsuchen und schob sie deshalb an allem vorbei. Die Tür zum letzten Separee stand offen. Gregorio und Rosario Garcia Martinez saßen darin.

„Buenas noches“, grüßte der Soya. Zumindest Gregorio beherrschte seine Muttersprache, schließlich war er im heutigen Spanien zur Welt gekommen. Seine Brüder Manila und Rosario jedoch waren bereits hier in Boston geboren.

„Hola, Soya.“ Rosarios Spanisch klang ebenso Amerikanisch wie sein eigenes.

Jendrael blieb stehen. Gerne wollte er so schnell wie möglich mit seiner Beute in seinem Büro verschwinden, aber ein paar Minuten Zeit war er den Brüdern schuldig.

„Alles zu eurer Zufriedenheit?“, wollte Jendrael wissen.

„Bestens, gracias.“

„Ihr wisst, dass ihr euch jederzeit in den unteren Ebenen bedienen dürft.“

„Das hat Rosario schon getan, mir ist gerade nicht danach“, erklärte Gregorio.

„Ihr habt ja überhaupt nichts zu trinken“, rief Jendraels Begleiterin in diesem Moment entsetzt.

Nein, wegen ihrer Intelligenz hatte er sie bestimmt nicht mit nach oben genommen. Aber wer wollte schon mit ihr reden?

„Aber, tía buena, wir bekommen unsere Getränke gleich“, erklärte Gregorio liebenswürdig und schenkte der Brünetten ein Lächeln.

„Ach so. Na dann …“

Die junge Frau ließ sich problemlos mit der Ausrede abspeisen.

„Vielleicht sehen wir uns später wieder, ansonsten bis bald.“ Jendrael nickte den Brüdern zu und schob das Mädchen weiter. Sie drehte sich noch einmal um und winkte den Männern kokett zu.

„Waren das Freunde von dir?“, wollte sie wissen und schmiegte sich in seinen Arm.

„So etwas Ähnliches.“

„Ich fand sie sehr nett.“

„Hmm …“

„Vor allem gefällt mir die italienische Sprache.“

Jendrael verzichtete, sie darauf hinzuweisen, dass es sich um Spanisch handelte. Sie erreichten den Flur, von dem zur linken Seite drei Türen abgingen. Hinter der ersten Tür befand sich ein kleiner Raum, der als Abstellkammer genutzt wurde. Daneben lag das Büro von Abeline, die als Geschäftsführerin fungierte. Seit sie die Aufgabe übernommen hatte, war der Club noch bekannter und beliebter geworden. Sie war eine gute Wahl gewesen, und sein Freund Whot war immer noch froh, dass seine Schwester eine sinnvolle Aufgabe gefunden hatte, bei der sie sich austoben konnte und nicht ihre ganze Zeit und Energie in Shopping und diverse andere Nichtigkeiten investierte.

Hinter der letzten Tür verbarg sich sein Büro, sein Rückzugsort. Wann immer ihm der Trubel im Club zu viel wurde, zog er sich hierher zurück. Und manchmal benutzte er die Abgeschiedenheit auch, um – so wie jetzt – mit einer Frau ungestört zu sein. Seine Räume waren besonders schallgeschützt, so dass auch vampirische Ohren vergebens lauschten. Die Kleine konnte also schreien, wie sie wollte. Niemand würde sie hören.

Jendrael öffnete die Bürotür und ließ seiner Begleitung den Vortritt.

Zögernd trat sie über die Schwelle und blieb überwältigt stehen. „Wow, wie abgefahren ist das denn?“ Beeindruckt starrte die junge Frau die Fensterfront an, die mit ihren verglasten Rundbögen einen zauberhaften Ausblick über das nächtliche Boston bot. Die Krönung war die gläserne Kuppel über ihnen, durch die man das sternenübersäte Firmament bewundern konnte.

Die Tür fiel ins Schloss. Jendrael trat näher an die Frau heran. Er packte sie am Arm, während er mit der anderen Hand das lange Haar beiseiteschob und ihren Nacken entblößte. Seine Fänge schossen beim Anblick ihres verletzlichen Halses hervor, das Wasser lief ihm im Mund zusammen.

„Du musst sehr reich sein, wenn du dir so ein Büro leisten kannst.“

Er stöhnte innerlich auf, wünschte sich, sie möge einfach ihren Mund halten. Mit der Zunge strich er über seine Lippen, um sie anzufeuchten. Dann beugte er sich über sie und hauchte ihr einen Kuss in die Halsbeuge.

„Wollen wir uns nicht setzen?“ Ihr Geplapper ging ihm auf die Nerven.

„Halt einfach den Mund“, stieß er undeutlich hervor. Sie wollte sich umdrehen, doch er hielt sie fest. „Genieß den Ausblick“, flüsterte er in ihr Ohr und küsste sie auf die empfindliche Stelle dahinter.

„Wirklich wunder…“, weiter kam sie nicht.

Blitzschnell gruben sich seine Zähne in ihren Hals. Er bemerkte, wie sie sich für eine Sekunde versteifte, dann jedoch nachgab und in seinen Armen dahinschmolz.

Er trank gierig von ihr, spürte, wie sie ihn stärkte und dabei immer mehr an eigener Kraft verlor. Ihr Lebenssaft schmeckte süß auf seiner Zunge. Langsam wanderte seine rechte Hand an ihrem Körper hinab, schob sich zwischen ihre Beine. Sie stöhnte willig in seinem Arm. Oh ja, sie war bereit. Ihr Slip war bereits nass. Er merkte, wie das frische Blut, das nun in seinem Körper pulsierte, direkt in seine Lenden schoss. Während er seine Zähne aus ihrem Fleisch zog und mit der Zunge über die Wunden strich, die sich sofort zu schließen begannen, überlegte er, wo er sie am besten nehmen sollte. Er konnte ihr das Höschen ausziehen, den Rock hochschieben und sie direkt auf dem geräumigen Teakholzschreibtisch vögeln. Oder er stellte sie davor und drang von hinten in sie ein. Egal, er wollte sie nur schreien hören.

„Mein Gott“, murmelte die junge Frau in seinen Armen benommen und lehnte sich Halt suchend mit dem Rücken an ihn.

Er glitt mit seiner Hand in ihr Höschen, fand dort noch mehr Nässe und drang mit einem Finger in sie ein.

Sein Schwanz war steinhart. Er wollte endlich in ihr sein. Ohne Rücksicht auf sie zu nehmen, hob er sie einfach hoch und stand in der nächsten Sekunde vor seinem Tisch. Die Frau saß breitbeinig vor ihm auf der Tischkante und stöhnte willig. Sie hatte nicht einmal ihren Ortswechsel bemerkt. Er hatte keine Lust, ihr das Höschen auszuziehen, sondern riss einfach daran. Der feine Stoff gab sofort nach.

„Deine Augen“, murmelte sie fassungslos und wollte ihn ein wenig von sich fort drücken.

Erbarmungslos nahm er von ihrem Mund Besitz. Er wusste, dass seine Augen glühten. Er war erregt.

Die Frau hatte ihren Einwand längst vergessen und gab sich ganz seinen Berührungen hin. Ihre Schreie hallten wie Musik in seinen Ohren. Seine Gespielin sah ihn aus ihren langweiligen blauen Augen an. Die Farbe stimmte nicht. In seinem Geist tauchten die katzengrünen Augen der blonden Kellnerin auf, und er bildete sich ein, einen Hauch von Rose, Jasmin und Mandeln wahrzunehmen. Augenblicklich war die Begierde verschwunden. Seine Hand noch immer am Reißverschluss seiner Anzughose, ging er einen Schritt zurück.

Die braunhaarige Schönheit lag entblößt auf seinem Schreibtisch, klimperte mit ihren falschen Wimpern und starrte ihn an. Zumindest hielt sie den Mund und verschonte ihn mit ihrem sinnlosen Geplapper.

Er besann sich, verdrängte die Gedanken an die Frau, die für ihn tabu war und überlegte, ob er sein Intermezzo beenden oder da weitermachen sollte, wo er gerade aufgehört hatte. Es gelüstete ihn nicht mehr danach, sich zwischen ihre Beine zu drängen und wild in sie zu stoßen.

Jendrael hatte seine Entscheidung getroffen.

Mit Leichtigkeit drang er stattdessen in ihren Geist ein, pflanzte ihr einige Bilder an den Tanz mit einem aufregenden Mann in der zweiten Ebene ein und schickte sie anschließend wieder auf die Tanzfläche zurück. Anstandslos zupfte sie ihr Kleid zurecht und ging, ohne sich von ihm zu verabschieden. Schließlich konnte sie sich nicht mehr an ihn erinnern und würde auch nie wissen, dass sie hier oben gewesen war.

Kapitel 2

Ganze drei Tage arbeitete Arnika nun schon hier im Club, und noch immer war sie Jendrael Collister keinen Schritt näher gekommen als an ihrem ersten Abend. Seitdem hatte er sich nicht mehr blicken lassen. Arnika war allein im Aufenthaltsraum. Sie hängte ihre Jacke in den Spind. Die anderen Mädchen vom Service befanden sich bereits im Gästebereich, während die Tänzerinnen für gewöhnlich noch nicht so früh am Nachmittag erscheinen mussten.

Inka stand in der Tür. Arnikas Vorgesetzte trug ihre blonden Haare auf einer Seite abrasiert und auf der anderen Seite zu einem frechen Bob geschnitten. Ein Piercing zierte ihre Unterlippe. Trotz ihrer manchmal verrückten Art war Inka immer freundlich und irgendwie bodenständig.

Gerade verschränkte sie die Arme vor der Brust: „Da bist du ja. Ich habe dich schon gesucht. Nachdem schon alle da sind, werden wir gleich anfangen.“

„Klar, ich komme sofort.“ Arnika schloss die Tür zu ihrem Spind.

„Nicht in Turnschuhen“, meinte Inka kopfschüttelnd.

Arnika blickte an sich hinab. Sie trug ein weißes, langärmeliges Shirt, eine bequeme Jeans und Turnschuhe. Die letzten Tage war ihre Kleidung bei der nachmittäglichen Besprechung kein Problem gewesen.

„Wir werden heute eine Trainingseinheit machen. Alle Mädchen. Abeline ist da und möchte eure Fortschritte sehen.“

Arnika seufzte. Sie hatte sich darauf eingestellt, erst in einer Stunde mit dem Training zu beginnen und ihre bequemen Schuhe gegen Pumps zu tauschen, um Orangen durch die Gegend zu tragen. Dass sie heute gleich damit anfangen sollten …

„Keine Sorge, du hast dich ordentlich entwickelt“, meinte Inka augenzwinkernd.

Genau das war ein Grund, warum Arnika sie so mochte. Sie verstand es, die Mädchen immer wieder neu zu motivieren und noch mehr aus sich herauszuholen, ohne sie dabei zu überfordern.

„Ich komme gleich.“ Arnika öffnete ihren Spind erneut und holte ihre High Heels heraus.

Während Inka wieder verschwand, tauschte Arnika die Turnschuhe gegen ihre hohen Absatzschuhe aus. Gerade als sie fertig war, läutete ihr Handy. Eilig kramte sie in ihrer Handtasche und zog das Mobiltelefon hervor. Auf dem Display stand ein ihr wohlbekannter Name. Frank Schuster, ihr Boss. Sie konnte ihn unmöglich ignorieren.

„Hallo“, meldete sie sich und versuchte, leise zu sprechen.

„Na endlich“, schimpfte er ins Telefon. „Du hältst es wohl auch nicht für nötig, dich bei mir zu melden.“

„Tut mir leid“, entschuldigte sie sich kleinlaut.

„Also, wie sieht es bei dir aus?“

„Ich bin noch immer im Club. Collister habe ich noch nicht kennengelernt, aber das kann sich nur noch um ein paar Tage handeln.“

Er schnaubte. „Schon irgendwelche Fotos gemacht?“

„Ich kann im Moment nicht reden. Befinde mich gerade im Club. Wir haben jetzt Lauftraining, und die Chefin wird zuschauen.“

„Dann stell dich verdammt noch mal gut an!“, wies er sie an.

„Das werde ich.“ Arnika verdrehte die Augen. Natürlich würde sie ihr Bestes geben. Sie war doch nicht auf den Kopf gefallen.

„Und melde dich die Tage.“

„Ja.“ Noch ehe sie eine Verabschiedung murmeln konnte, war die Leitung unterbrochen.

Auch gut. Eilig stellte sie ihr Telefon auf lautlos und verstaute es wieder. Dann machte sie sich auf den Weg in den Gästebereich der zweiten Ebene.

Die anderen Mädchen waren bereits damit beschäftigt, ihre Runden zu drehen. Über ihnen waren – ungewöhnlich für den Nachmittag – sämtliche Scheinwerfer an. Doch dann erblickte Arnika zwei Techniker. Einer von ihnen stand auf einer Leiter und schraubte die kaputten Birnen heraus, während der andere ihm diese abnahm und die neuen reichte. Das erklärte natürlich die auffällige Beleuchtung. An der Bar verglich Yoola gerade die Lieferpapiere mit seiner Bestellung. Auf dem Tresen stand ein einzelnes Tablett, das mit Orangen bestückt war.

Eilig griff sich Arnika das Serviertablett und eilte zum ersten Tisch. In den leeren Kübel, der am Abend mit Eis gefüllt wurde, legte sie die erste Frucht und ging dann zum nächsten weiter. Von Tisch zu Tisch wurde es schwieriger, das Tablett auszubalancieren, weil die Orangen hin und her rollten. Trotz allem schlug sich Arnika ihrer Ansicht nach wirklich gut. Die anderen Mädchen waren deutlich schneller als sie, aber sie merkte, dass ihr die Übung leichter fiel als am ersten Tag.

Inka saß zusammen mit der Chefin des Fiftyfive, Abeline, auf Barhockern am Tresen. Während die beiden Frauen sich leise unterhielten, sahen sie den Servicekräften zu. Hin und wieder machte sich Inka eine Notiz.

Arnika schielte immer wieder zu den beiden hinüber. Heimlich musterte sie ihre Chefin. Hochgewachsen, schlank und mit wunderbaren Kurven an den richtigen Stellen, konnte sie jedem Model Konkurrenz machen. Die rötlichen Haare hatte sie zu einem losen Dutt zusammen gesteckt, so dass ihre asiatischen Gesichtszüge noch besser zur Geltung kamen. Etwas umgab die Frau, das sie einfach ungemein anziehend machte.

Arnika riss ihren Blick los und richtete ihre Aufmerksamkeit auf den nächsten Kübel, um von dort eine der Orangen abzuholen.

„Lilly, nicht so verkrampft. Lächle ein wenig“, rief Inka einem der Mädchen zu. „Ja, genau so.“

Arnika warf einen Blick auf Lilly, mit der sie am vergangenen Abend das erste Mal zusammengearbeitet hatte. Sie sah aus wie immer. Die knallroten, schulterlangen Haare trug sie offen, die unglaublich blauen Augen strahlten aus einem freundlich lächelnden Gesicht.

„Okay, Mädels. Macht diese Runde noch zu Ende, dann habt ihr euch eine kleine Pause verdient, bevor es an die Abendvorbereitungen geht.“

Arnika stöhnte innerlich auf. Soeben hatte sie eine neue Runde angefangen. Das hieß, noch einmal alle Orangen verteilen und wieder einsammeln.

Etwas veränderte sich. Es war nicht wirklich greifbar, aber die Stimmung im Club hatte umgeschlagen. Arnika drehte ihren Kopf.

Er.

Sie erstarrte eine Sekunde und musste sich zusammenreißen, um wie gewohnt weiter zu machen. Er stand auf der obersten Treppenstufe zur dritten Ebene und blickte zu ihnen herab. Dabei sah er noch besser aus als vor drei Tagen. Ihr Herzschlag beschleunigte sich unwillkürlich, fast wäre sie gestolpert. Gerade noch rechtzeitig konnte sie sich mit einer Hand an einem Tisch abstützen und ihr Gleichgewicht wiederfinden. Verdammt.

„Pass doch auf!“, rief ein anderes Mädchen, in das Arnika fast hineingelaufen wäre.

„Tut mir leid“, entschuldigte sie sich schnell und blickte erneut zur Treppe hinauf. Diese war leer. Enttäuscht, aber irgendwie auch erleichtert, atmete Arnika aus. Das Lauftraining ging reibungslos weiter.

„Das war wirklich gut, Mädchen!“, erklärte Abeline schließlich, als die meisten Mädchen bereits ihr Training beendet hatten. „Ich bin sehr zufrieden mit euch.“ Abeline wandte sich an Inka, die neben ihr stand, und wechselte noch ein paar Worte mit ihr, ehe sie Richtung Treppe hinauf in ihr Büro ging.

„Die Qualitätskontrolle ist beendet. Wer fertig ist, darf sich flache Schuhe holen. Zehn Minuten Pause, dann will ich euch wiedersehen.“

Inkas Worte wurden mit großer Freude aufgenommen. Alle außer Arnika waren schon fertig und gingen in die Aufenthaltsräume, um dort ihre Schuhe zu wechseln.

Arnika hatte noch drei Orangen vor sich. Bis auf Inka und Yoola, die sich unterhielten und gerade herzhaft lachten, war niemand mehr da. Arnika war gerade dabei, die letzten zwei Orangen einzusammeln, als sie mit ihrem Absatz irgendwo hängen blieb. Sie schwankte, hatte Mühe, das Tablett zu halten und als sie schon glaubte, es wieder unter Kontrolle zu haben, knickte sie mit dem anderen Fuß um und verlor endgültig das Gleichgewicht. Die Orangen purzelten auf den Boden und rollten in alle Himmelsrichtungen davon, das Tablett schepperte auf den Fliesen, als Arnika stürzte. Gerade noch rechtzeitig riss sie die Hände hoch, um sich abzufangen, ehe sie auf der Nase landete und ihr Gesicht Bekanntschaft mit dem Boden machte.

„So ein Mist“, schimpfte sie und rappelte sich wieder auf, griff das Tablett neben sich und sammelte die verstreuten Orangen ein.

Eilig stapelte sie eine nach der anderen auf das runde Plastik. Eine Frucht war unter einen der kleinen Tische gerollt, also bückte sie sich und holte sie hervor. Am Boden, auf allen Vieren, blickte sie sich um und sah noch eine Orange. Sie lag keinen Meter von ihr entfernt, direkt vor zwei schicken, schwarzen Schuhen. Erschrocken hielt sie inne und blickte den Träger des Schuhpaares von unten an. Die Schuhe gehörten keinem Geringeren als ihrem neuen Chef Jendrael Collister höchstpersönlich. Die Röte schoss ihr in die Wangen, und sie senkte schnell den Kopf, damit er es nicht sah.

„Tut mir leid!“, murmelte sie, inzwischen hochrot und griff nach der Orange. Gleichzeitig bückte er sich und wollte nach der Frucht greifen.

Arnika ließ das Stück Obst los, als hätte sie glühende Kohle in der Hand. Schnell zog sie sich zurück und rappelte sich hoch. Ihr Chef richtete sich ebenfalls auf.

„Das ist Arnika, unsere Neue“, erklärte Abeline in diesem Moment spitz und trat an die Seite des Clubinhabers.

Wo kam Abeline so plötzlich her? Hatte sie ihr Missgeschick ebenfalls gesehen? Das konnte doch nicht wahr sein. Arnika hoffte inständig, dass sie dieser Patzer nicht den Job kostete. Wenn sie das vermasselte, konnte sie Frank Schuster nicht mehr unter die Augen treten. Nein, das durfte nicht geschehen. Sie musste alles daran setzen, um mehr über den Mann vor sich zu erfahren. Reiß dich zusammen, Arnika!, ermahnte sie sich selbst.

„Freut mich. Ich bin Jendrael“, stellte er sich vor und hielt ihr die aufgesammelte Orange hin.

Kurz stutzte sie, doch dann fiel ihr wieder ein, was ihr Inka am ersten Abend erklärt hatte: „Wir sind alle wie eine große Familie.“ Dass diese Regelung sogar den Chef mit einschloss, überraschte sie sehr.

„D… Danke“, stotterte sie etwas hilflos und nahm die Frucht entgegen, darauf bedacht, ihn nicht zu berühren.

Seine eisblauen Augen musterten sie kühl. Es fühlte sich an, als blicke er ihr tief in die Seele, als könne er alle Geheimnisse, allein mit diesem einen Blick ergründen. Die Atmosphäre war seltsam schwer, erdrückend.

„Ein ungewöhnlicher Name. Woher kommt er?“, fragte Jendrael und wandte seine Augen keine Sekunde von ihr ab.

„Ich … Arnika … ist …“ Sie holte noch einmal tief Luft und erklärte: „Arnica chamissonisist eine Blume. Meine Mutter hat mich nach einer Blume benannt.“

Es sollte nicht wie ein Vorwurf klingen, und doch war es einer. Spätestens als sie in die Schule gekommen war, hatte sie den Namen gehasst. Hätte sich ihre Mutter nicht Rose, Margerite, Jasmin oder Iris aussuchen können? Nein, es musste ausgerechnet Arnika sein. Eine hässliche gelbe Blume, die in Vorgärten oder auf Wiesen wuchs und in der Medizin bekannter war als im Namenslexikon.

„Arnika. Ein besonderer Name.“

Ein seltsames Kribbeln durchlief ihren Körper, als Jendrael Collister ihren Namen das erste Mal aussprach. Aus seinem Mund hörte es sich fast wie eine Liebkosung an. Ihre Kehle war plötzlich trocken, und sie starrte atemlos auf seine schwarzen Schuhe. Sie war sicher, wenn sie ihm jetzt in die Augen blicken würde, wäre es aus mit ihrer Selbstbeherrschung. Dann würde sie vergessen, was ihr Ziel war, würde sich nicht mehr erinnern können, warum sie hergekommen war.

„Danke“, hauchte sie atemlos und biss sich auf die Lippe, bis es schmerzte. Zumindest verhinderte sie so, dass ein weiteres Wort ihren Mund verließ und sie sich noch tiefer in die Misere ritt. Sie schmeckte Blut und fuhr mit der Zunge darüber, um den Blutstropfen aufzulecken.

Jendrael Collister murmelte eine unverständliche Entschuldigung, packte Abeline am Arm und zog sie überstürzt mit sich fort.

Arnika blieb zurück. Verdammt! Hatte sie nun alles verbockt? Sie hatte sich angestellt wie ein unbeholfener Teenager. Sie unterdrückte die aufsteigenden Tränen, sammelte die letzte Orange ein und stellte das Tablett zu den anderen auf den Tresen.

„Na, den Chef kennengelernt?“, fragte Yoola unbekümmert.

Arnika warf ihm einen verzweifelten Blick zu. „Ich hoffe, er bleibt mein Chef.“

Yoola lachte auf.

„Frag mal Inka, wie ihre erste Woche hier verlaufen ist.“ Er warf der jungen Frau, die soeben aus dem Lager gekommen war und seine letzten Worte gehört haben musste, ein schalkhaftes Grinsen zu.

„Du musst nicht alte Geschichten wieder aufwärmen“, schimpfte sie und kniff Yoola in die Wange. „Wenn du Arnika auch nur ein weiteres Wort verrätst, erzähle ich ihr all deine schmutzigen Geheimnisse.“ Ihre Warnung war nicht wirklich ernstzunehmen, doch Yoola verstummte und zuckte mit den Schultern.

„Ab mit dir. Die Pause ist gleich vorbei“, schickte Inka sie nun in den Aufenthaltsraum, um dort in bequeme Schuhe zu schlüpfen.

Das ließ sich Arnika nicht ein weiteres Mal sagen.

Der Raum war voller als gewöhnlich. Inzwischen waren die zwei Tänzerinnen für die erste Schicht eingetroffen. Arnika nickte Chloe und Oliv grüßend zu, ehe die zwei an ihr vorbei aus dem Raum huschten. Einige Mädchen saßen an einem Tisch zusammen und unterhielten sich. Als Arnika zu ihrem Spind ging, verstummten sie. Etwas verunsichert ging Arnika an ihnen vorbei.

„Ich habe gesehen, wie du ihn angeschmachtet hast.“ Emma funkelte sie an.

Arnika blieb stehen und drehte sich zu der Kollegin um, die mit ihrem runden Gesicht und den grünen Augen stets die Männerwelt verzauberte.

„Und?“, fragte Arnika und vermutete, dass das nur der Anfang war.

Emma verschränkte demonstrativ die Arme vor der Brust. „Du hast keine Chancen bei ihm.“ Eine Welle von Missgunst und Verachtung schwappte zu ihr herüber. Zwei weitere Mädchen hatten sich hinter Emma gestellt.

Arnika griff nach dem Anhänger ihrer Kette, dem Bostoner Wappen, und betrachtete Emma nachdenklich. Sie wusste nicht, wie sie darauf reagieren sollte. Einerseits war ihr Jendrael als Person egal, andererseits würde sie alles daran setzen, um näher an ihn heranzukommen. Aber das konnte sie ihren Kolleginnen natürlich schlecht sagen.

„Emma will damit nur sagen, dass Jendrael keines von uns Mädchen jemals eines zweiten Blickes gewürdigt hat“, versuchte Lilly die Situation zu entschärfen.

„Okay“, meinte Arnika gelassener, als sie sich fühlte und ließ ihren Blick von Emma zu Lilly und wieder zurückwandern.

„Wir werden dich beobachten.“ Emma zog wartend eine perfekt nachgezogene Augenbraue nach oben.

„Tut das.“ Damit schob Arnika sich endgültig an ihnen vorbei zu ihrem Spind und holte ihre Schuhe heraus. Es tat gut, aus den engen High Heels zu schlüpfen. Sie bewegte die Zehen ein wenig, ehe sie die Turnschuhe anzog.

Hoffentlich merkte keiner, wie aufgewühlt sie war. Verstohlen sah sie sich um. Die Mädchen hatten sich wieder an den Tisch zurückgezogen. Jendrael Collister sah verdammt gut aus, daran bestand überhaupt kein Zweifel. Doch sie wollte mit Sicherheit nichts von ihrem Chef, zumindest nichts Sexuelles. Ihr Interesse an ihm bestand lediglich darin, einen Artikel über den geheimnisvollen Geschäftsmann zu schreiben. Aber das Problem an sich ließ sich nicht wegdiskutieren. Wenn Emma wirklich recht hatte und Jendrael tatsächlich einen großen Bogen um seine Angestellten machte, würde es mächtig schwer werden, an ihn heranzukommen. Hatte sie sich mit diesem Job alle Möglichkeiten verbaut? Auf einer der zahlreichen öffentlichen Veranstaltungen als Journalistin aufzutauchen, wäre allerdings auch keinen Deut besser, und zurück konnte sie nun auch nicht mehr. Deshalb musste sie sich zusammenreißen und das Beste daraus machen. Irgendetwas würde sie doch über Jendrael Collister herausfinden, das einen Artikel wert war. Sie brauchte eine gute Story. Irgendwie musste ihr das gelingen.

Arnika machte die Metalltür zu und schloss für einen Moment die Augen. Erst einmal musste sie sehen, wie sie den Abend und die Nacht überlebte.

* * *

Nach einem freien Tag begann Arnikas Schicht heute erst um Mitternacht. Es war Freitagabend, und der Club war zum Bersten gefüllt. Sie kam kaum hinterher, die Bestellungen aufzunehmen und die Getränke an die Tische zu bringen. Inka lief an ihr vorbei und warf ihr ein aufmunterndes Lächeln zu.

„Du schlägst dich gut“, rief sie ihr im Vorbeigehen zu.

Arnika lächelte dankbar zurück. Inkas Worte bauten sie auf.

Nach drei Stunden taten ihr die Füße weh, die Arme schmerzten. Sie konnte nur inständig hoffen, dass sie sich bald an diese körperliche Anstrengung gewöhnte. Das Kellnern an sich machte ihr Spaß – natürlich nicht so sehr wie das Schreiben, aber als Abwechslung war es ganz nett.

Wie bereits tausendmal zuvor an diesem Abend fiel ihr Blick zur Treppe, die hinauf in die dritte Ebene führte. Am Aufgang waren wieder zwei Sicherheitsleute postiert. Arnika sah die hell erleuchteten Stufen hinauf. Ihr Herz setzte einen Schlag aus, ehe es in doppelter Geschwindigkeit weiter schlug. Dort oben stand er und sah auf die feiernden Massen hinab. Diesmal war er allein. Arnika beeilte sich, neue Cocktails und eine Flasche teuren Champagner auf ihr Tablett zu laden. Wieder glitt ihr Blick hinauf, ehe sie ihm den Rücken zukehren musste. Er stand noch immer dort. In dem Gewühle konnte er sie unmöglich erkennen, und doch fühlte sie sich beobachtet.

„Auf, auf, die Gäste warten!“, schrie ihr Eric, der Barkeeper, zu.

Eilig griff Arnika ihr Tablett und steuerte die Tische an, um die Bestellungen abzuliefern. Zuletzt kam sie an einen Tisch mit vier Männern. Sie mochten um die fünfzig sein und gehörten zu den älteren Gästen dieses Abends. Der Mann mit der Glatze hielt ihr die leere Champagnerflasche hin, und Arnika legte die neue in den Kühler. Die Gläser waren alle noch gefüllt, sodass sie nicht nachschenken musste. Sie hielt ihm ihr Bestellgerät hin, und er drückte seinen Finger darauf.

„Möchtest du dich nicht etwas zu uns setzen?“, fragte einer der Kerle. Auf seiner anderen Seite saß eine knapp bekleidete Blondine, die schon ziemlich viel getrunken haben musste, so dümmlich, wie sie grinste.

„Danke, aber ich muss arbeiten“, erklärte sie freundlich und trat eilig den Rückzug an.

„Schade!“, hörte sie den Kerl hinter ihrem Rücken zu seinen Freunden sagen. „Die Kleine ist echt niedlich. Wenn sie sich nicht so zieren würde, könnte man eine ganze Menge Spaß mit ihr haben.“

Arnika lächelte scheu und überlegte, wie sie auf die Anmache reagieren sollte. Inka hatte ihr zwar geraten, auf solche Unverschämtheiten nicht einzugehen, aber wenn das ihrem Trinkgeld zugutekam, wäre sie gerne dazu bereit. Sie hatte ohnehin schon ein schlechtes Gewissen, weil das Trinkgeld des Abends immer zu gleichen Teilen an die Mädchen ging, die für den Tisch verantwortlich waren. Und da sie noch nicht so gut in ihrem Job war, fiel auch das Trinkgeld ihrer Kolleginnen dementsprechend aus.

„Ich bekomme Ärger, wenn ich mich zu euch Hübschen setze“, erklärte sie und klimperte mit den Augen. „Auch wenn ich nichts lieber täte als genau das.“ Sie warf dem Kerl eine Kusshand zu, ehe sie sich schnell abwandte. Ganz konnte sie ihre Angst vor einem Übergriff nicht abschütteln. Bisher hatte sie es immer vermieden, die Männer zu ermutigen. Sie blickte sich um und war etwas erleichtert, als sie einen der Security-Männer erblickte. Pide stand am Fuße der Treppe und sah mit unbewegter Miene über die Köpfe der meisten Feiernden hinweg.

Arnika runzelte leicht die Stirn, als sie Jendrael Collister erblickte. Er stand noch immer ans Geländer gelehnt und sah herab. Augenblicklich beschleunigte sich ihr Puls. Warum verunsicherte er sie so? Sie hatte noch nie Angst vor Männern gehabt. Aber Angst war es auch nicht. Er hatte etwas an sich, das sie magisch anzog. Sie musste auf sich aufpassen, sonst könnte er ihr und ihrem Plan gefährlich werden. So lange sie keine Gefühle zuließ, konnte sie ihre Vorteile ausspielen. Sie musste ihn näher kennenlernen, sich mit ihm unterhalten. Aber er hielt sie bestimmt für ein Dummchen, nachdem sie gestolpert war und ihm ihre Orangen vor die Füße geschmissen hatte. Wirklich ärgerlich. Hoffentlich bekam sie noch einmal die Chance, sich ihm in einem besseren Licht zu präsentieren.

Bis es soweit war, konzentrierte sie sich darauf, in die dritte Ebene zu kommen. Sie hatte es bereits erfolglos über Inka versucht, die als eine der Wenigen hin und wieder dort arbeitete. Die sonst so offene und freundliche Inka schwieg sich aus, als ob sich dort oben ein Staatsgeheimnis verbergen würde. Yoola war ebenso unkooperativ gewesen.

Zumindest hatte sie etwas über das Gebäude erfahren. Es gab fünf Eingänge. Jeweils einen für die unteren beiden Ebenen, einen für das Personal, einen Liefereingang und einen, der direkt in die obere Etage führte. So konnten Gäste von oben kommen und gehen, ohne gesehen zu werden.

Schon einige Male hatte Arnika beobachtet, wie Männer und Frauen die Treppe in die zweite Ebene herunter kamen und in Begleitung wieder hinaufgingen. Manchmal kam die Begleitung zurück, manchmal auch nicht. Irgendwie ergab das alles keinen Sinn.

Ihr Instinkt sagte ihr, dass sie dran bleiben musste. Irgendwann würde sich ihre Hartnäckigkeit auszahlen. Sie würde ihre Story über Jendrael Collister bekommen und das Geheimnis des erfolgreichen Geschäftsmannes aufdecken. Dann musste ihr Boss, Frank Schuster, sein Versprechen einlösen und sie fest einstellen, und zwar nicht für die Klatschspalte, für die sie im Moment als freie Journalistin arbeitete, sondern mit einem festen Gehalt und guten Aufträgen. Aber das sollte nur der Anfang sein. Sie träumte davon, eines Tages für eine richtig große Zeitung zu schreiben. Doch bis dahin war es noch ein sehr weiter Weg.

Arnika schob sich eine Locke hinter das Ohr und blickte wieder nach oben. Er war verschwunden.

Etwas enttäuscht kehrte sie zur Bar zurück, nahm die nächsten Getränke in Empfang und verteilte diese. Es lagen noch einige Stunden harte Arbeit vor ihr, ehe der Club allmählich beginnen würde, sich zu leeren.

Kapitel 3

Fünf Tage war es nun her, dass er ihr das erste Mal gegenüber gestanden hatte. Sie hatte unglaublich sexy ausgesehen in dem einfarbigen Shirt und der engen Jeans, dazu die High Heels. Ihr Po hatte verführerisch hin und her gewackelt, als sie mit ihrem wiegenden Schritt von Tisch zu Tisch gelaufen war, die Orangen austeilte und wieder einsammelte. Dann war sie gestürzt, hatte sich aber zum Glück nicht wehgetan. Er erinnerte sich nur zu gut an den erstaunten Blick, den sie ihm aus diesen unglaublich grünen Augen zugeworfen hatte. Eine Strähne hatte sich aus ihrer Hochsteckfrisur gelöst und war ihr frech ins Gesicht gefallen. Er hatte das Bedürfnis unterdrücken müssen, sich die Strähne um den Finger zu wickeln. Er wollte seine Nase in ihrem Haar vergraben und ihren Duft inhalieren.

Sie schien irgendwie anders zu sein, hatte etwas an sich, das ihn gnadenlos anzog. Arnika. Allein ihr Name war schon etwas Besonderes. Als sie sich berührt hatten, war es wie ein elektrischer Schlag gewesen. Das Prickeln hatte sich durch seinen ganzen Körper gezogen, und er war augenblicklich hart geworden. Das war ihm noch nie passiert. Sie mochte hübsch sein, aber er hatte schon viele attraktive Frauen in seinem Bett gehabt, und bei keiner hatte er bisher so auf eine harmlose Berührung reagiert.

Nun saß er mit den anderen acht Soyas im größten separaten Abteil, das die dritte Ebene zu bieten hatte, und blickte durch die getönte Fensterscheibe hinunter. Während der Ekklesia-Rat tagte, beobachtete er Arnika, wie sie sich mit ihrem Tablett durch die Menge kämpfte. Inka war total begeistert gewesen, wie schnell sich die junge Frau entwickelte, und selbst Abeline musste eingestehen, dass sie ein guter Griff war.

„Was meinst du dazu, Jendrael?“ Widerwillig kehrte er in die Realität zurück und blickte die Männer an, die mit ihm zusammen auf dem Rundsofa saßen.

Er selbst hatte darauf bestanden, den Rat einzuberufen, und so waren alle Soyas Darius’ Einladung gefolgt und bei ihm im Club erschienen.

„Tut mir leid, was sagtest du gerade?“, fragte er nach.

Der irritierte Blick, den Darius mit seiner Frau Sam austauschte, entging ihm nicht. „Ich fragte dich gerade, ob du neue Informationen aus New York hast“, wiederholte Darius.

Langsam schüttelte Jendrael den Kopf. Über seine Kontakte hatte er rein gar nichts herausgefunden.

Im vergangenen Herbst hatte die große Schlacht stattgefunden, die sie fast verloren hätten. Nur durch Robs Eingreifen war es ihnen gelungen, die New Yorker in die Flucht zu schlagen. Seitdem war es sehr still um Radim, den Dominus des New Yorker Clans, geworden. Sicher, er hatte seine besten Krieger verloren und war dadurch empfindlich angeschlagen. Aber keiner rechnete damit, dass er so einfach aufgab. Hinter den Kulissen schmiedete er vermutlich schon seinen nächsten Rachefeldzug gegen die Bostoner.

„Das heißt, er ist vorerst tatsächlich von der Bildfläche verschwunden“, schlussfolgerte Darius.

„Vermutlich, aber wir sollten nicht unvorsichtig sein. Irgendwann wird er sich erholen und zu einem erneuten Schlag ausholen“, gab Sam zu bedenken.

Jendrael mochte Darius’ Samera Sam sehr. Obwohl sie kein Mitglied des Rats war, war sie inzwischen bei jeder Besprechung dabei. Einst war sie Polizistin gewesen, hatte ihren Job jedoch aufgegeben, als bekannt wurde, dass sie ein Blutkind war. Er erinnerte sich noch gut an ihr erstes Zusammentreffen, den Abend, als sie in den Clan eingeführt worden war. Und er erinnerte sich daran, wie tatkräftig sie bei der Aufklärung, wie ihr Dominus gestorben war, mitgeholfen hatte. Als es zur finalen Schlacht kam, hatte sie eisern neben Darius gestanden und tapfer an seiner Seite gekämpft. Sie war eine ungewöhnlich starke und mutige Frau, und aus diesem Grund passte sie so gut zu seinem besten Freund. Er gönnte es Darius von ganzem Herzen, dass er eine Seelengefährtin gefunden hatte, die ihn so wunderbar ergänzte. In jedem Blick, in jeder Berührung, die sie austauschten, konnte man die Liebe sehen, die die beiden miteinander verband. Es war ein Wunder, dass einer aus ihren Reihen seine Seelengefährtin gefunden hatte. Es war so selten und einmalig, dass er bisher nur ein einziges Mal davon gehört hatte, aber auch das lag mehrere Jahrzehnte zurück.

Ein Stachel bohrte sich in Jendraels Herz. Im letzten halben Jahr hatte er beobachten können, welche Wandlung in Darius stattgefunden hatte. Er war noch stärker geworden, entschlossener, aber auch mitfühlender.

Mit einem Mal war da wieder diese Leere, diese Trostlosigkeit in ihm und wollte ihn verschlingen.

„Ich werde ihn im Auge behalten“, bot sich Lucio an, der seine geschäftlichen Bemühungen in New York verstärkt hatte und damit Radims Schwäche gnadenlos ausnutzte.

„Ich weiß nicht, ob das ausreichen wird“, überlegte Jendrael.

„Wir haben doch Bethou dort“, mischte sich Pierrick ein.

„Bethou und Etina erwarten ihr erstes Kind. Ich wollte es eigentlich erst ansprechen, wenn wir den jetzigen Punkt abgehandelt haben. Aber nachdem wir nun schon beim Thema sind: Er wünscht sich nichts sehnlicher, als wieder nach Boston zurückzukehren.“ Darius warf einen liebevollen Blick auf seine Frau. „Und ich kann ihn nur zu gut verstehen.“ Er sah wieder in die Männerrunde. „Ich habe ihm zugesichert, einen neuen Schleuser zu suchen, der seine Arbeit übernehmen wird. So lange wird er noch in New York bleiben.“

Geräuschvoll atmete Lucio ein. Alle schwiegen und überlegten, wen sie an Bethous Stelle entsenden konnten.

„Nol vielleicht“, schlug Pierrick vor.

Jendrael schüttelte entschieden den Kopf. „Nol ist mein Security-Chef. Auf ihn kann ich derzeit nicht verzichten.“

Betretenes Schweigen breitete sich aus. Niemand schien Vorschläge zu haben. Der Posten des Schleusers war eine undankbare Aufgabe. Nicht nur, dass er nach New York geschickt wurde und sich mit Radim und seiner Truppe herumärgern musste. Es war gefährlich, die clanlosen Vampire zu empfangen und sie so lange unterzubringen, bis sich ein Clan bereit erklärte, sie aufzunehmen. Um manche rissen sich die Dominus’, andere wiederum wollte keiner haben. Am Ende blieb dem Schleuser manchmal nichts anderes übrig, als die unerwünschten Flüchtlinge zu eliminieren. Es war wirklich kein beneidenswerter Job, und auch Jendrael fiel niemand ein, dem er diese Aufgabe aufbürden wollte.

„Ich werde nach New York gehen!“

Alle Augen richteten sich auf Thor, der bis dahin geschwiegen hatte.

„Du willst als Schleuser arbeiten?“, hakte Lucio ungläubig nach.

Thor zuckte mit den Schultern.

„Warum nicht?“, überlegte Darius laut.

„Ich finde Thor auch bestens geeignet“, stimmte Jendrael zu. Der dunkelhäutige Vampir besaß keine Familie und keine näheren Angehörigen. Somit konnte er sich ganz auf die Schleuseraufgaben konzentrieren. Er war ein guter Kämpfer und ein sehr dominanter Vampir dazu. Niemand würde sich mit ihm anlegen. Auch Radim würde es sich gut überlegen, sich Thor in den Weg zu stellen. Darüber hinaus war er ein Ratsmitglied und würde auf diesem Posten Ekklesia noch mehr stärken. Je länger Jendrael darüber nachdachte, desto mehr gefiel ihm diese Option.

Den anderen Soyas schien es ähnlich zu gehen. Gregorio und Arek tauschten sich kurz über die Vorteile aus, die es mit sich bringen würde, wenn Thor sie in New York vertrat.

Ein wenig beneidete Jendrael den anderen Soya. Thor würde Boston verlassen können, sich einer neuen interessanten Aufgabe stellen. Er sehnte sich ebenfalls nach Veränderung, wusste jedoch, dass er momentan seinen Clan nicht im Stich lassen konnte. Die Zeiten waren unstet, und seine Kontakte, sowohl zu den anderen Clans als auch zu den Menschen, erleichterten ihnen so manches. Er konnte jetzt nicht alle Zelte abbrechen und verschwinden. Er wurde hier zu sehr gebraucht.

Sein Blick glitt hinunter zur zweiten Ebene. Er entdeckte Arnika sofort. Er fand sie immer sofort. Ihre blonden Haare und ihre zierliche Statur stachen ihm förmlich ins Auge. Schon den ganzen Abend verfolgte er sie, wie sie zwischen den blinkenden Lichtern und der bunten Gästeschar hin und her lief.

„Dann stimmen wir doch ab. Hat noch jemand einen Gegenvorschlag?“, fragte Darius in die Runde.

Keiner rührte sich.

„Wer ist dafür, dass Thor den Posten als Schleuser in New York übernimmt?“

Alle außer Sam, die nicht stimmberechtigt war, und Thor hoben die Hand.

„Und darüber hinaus finde ich es gut, wenn Thor als Soya und Mitglied dieses Rats die Aufgabe eigenverantwortlich übernimmt und alle nötigen Befugnisse hat. Natürlich kann er jederzeit mit uns Rücksprache halten, muss aber nicht jede Entscheidung mit uns abklären.“

Jendrael sah Darius verwundert an. Immer öfter brachte sein Freund Einwürfe, die nicht nur durchdacht, sondern auch äußerst diplomatisch vorgetragen waren. Wenn er so weiter machte, lief ihm Darius den Rang des führenden Diplomaten ab.

„Ich finde, er sollte zumindest mit einem von uns im Austausch stehen“, warf Arek ein.

„Dann mit Darius“, schlug Prosper vor.

Darius schüttelte entschieden den Kopf. „Jendrael ist unser Diplomat. Er hat einen guten Überblick über die anderen Clans und pflegt diese Kontakte. Damit ist er immer auf dem Laufenden. Er wäre viel sinnvoller als ich. Außerdem bin ich mit den claninternen Angelegenheiten genug beschäftigt.“

„Dann eben Jendrael.“ Prosper trommelte mit den Fingern rhythmisch auf den Tisch.

„Jemand dagegen?“, fragte Darius. Keine Reaktionen. „Wer ist dafür?“

Alle hoben die Hand und signalisierten ihre Zustimmung. Wenn doch alle Themen so einfach und einstimmig beschlossen werden könnten.

Wieder fanden Jendraels Augen in der Menge die Frau, die so wunderbar nach Rose, Jasmin und Mandel duftete.

„Was gibt es sonst noch?“

„Bei Agees’ Samera Adoracia wird in den nächsten Wochen die Geburt anstehen. Hoffen wir das Beste für die Mutter und das Kind.“

Eine bedrückende Stille breitete sich aus. Jeder von ihnen wusste, dass Adoracia vor zwanzig Jahren bereits ihr erstes Kind verloren hatte. Aber zumindest hatte die Vampirin es überlebt. Nur ein Jahr später war die Geburt bei einer anderen Vampirin nicht gut ausgegangen. Sowohl die Mutter als auch der Säugling hatten es nicht geschafft. So stark und unverwundbar das Vampirvolk nach der Wandlung war, so hoch war die Sterblichkeitsrate bei der Geburt und der Renovation.

Jendrael sah, wie Arnika nach zwei Cocktails griff, die ihr der Barmann Eric hingestellt hatte. Vor seinem inneren Auge sah er sie mit leicht fülligeren Gesichtszügen. Ihr Bauchumfang ließ unweigerlich erkennen, dass sie guter Hoffnung war. Erschrocken blinzelte er. Seine Fantasie spielte einen üblen Streich mit ihm. So weit würde es nie kommen. Es stand derzeit nicht zur Diskussion, seine eigenen Regeln für diese Kellnerin zu brechen. Davon abgesehen, sorgte er stets dafür, dass keine Frau von ihm schwanger wurde und wenn es eines Tages soweit war, dann würde er eine Vampirin erwählen. Momentan mochte er die sterblichen Frauen bevorzugen, doch ihm war durchaus klar, wie kurz und vergänglich ihr Leben war. Er gehörte nicht zu denen, die sich für kurze Zeit auf jemanden einlassen und dann ewig davon zehren konnten. Noch weniger war er jemand, der leichtfertig ein Leben nach dem anderen leben konnte.

„Wir werden an sie denken“, sagte Sam und legte ihrem Mann eine Hand auf den Unterarm.

Sichtlich betroffen schluckte Darius und wandte sich abermals an die Soyas. „Noch etwas?“

Gregorio schüttelte den Kopf.

„Ich bin hungrig“, verkündete Prosper. Seine Augen leuchteten bereits eine Spur intensiver als gewöhnlich.

Jendrael hatte allen zu Beginn das Angebot gemacht, später noch zu bleiben und sich in der unteren Ebene nach Nahrung umzusehen.

„Soyas, dann erkläre ich die Ekklesia-Sitzung für beendet. Ich wünsche euch allen noch einen schönen Abend“, schloss Darius die Sitzung.

Gemurmel wurde laut. Gregorio und Lucio unterhielten sich leise, während sie aufstanden. Thor schlüpfte eilig an ihnen vorbei und verließ als erster das Separee.

Pierrick zog sein Handy hervor und fing an zu telefonieren. Darius drehte sich zu Sam um, beugte den Kopf leicht und sprach leise mit ihr. Prosper hatte es eilig, ein Stockwerk tiefer zu gelangen, nickte Jendrael, dem Gastgeber, zum Abschied zu und verschwand. Kurz darauf folgte Arek, der heute erstaunlich still gewesen war. Er entschuldigte sich, dass seine Klasse auf ihn wartete und er zum nächtlichen Unterricht musste. Seit etwa einem halben Jahr bildete Darius neue Krieger aus, und Arek unterstützte ihn tatkräftig dabei.

Es dauerte nicht lange, bis der Raum sich geleert hatte. Jendrael wandte sich wieder der Fensterscheibe zu und blickte hinunter.

Arnika unterhielt sich gerade mit einer Gruppe junger Männer. Einer von ihnen besaß sogar die Frechheit, Arnika an den Hintern zu fassen. Wut flammte in ihm auf. Er merkte, wie seine Fänge hinausdrängten. Er schloss die Augen und konzentrierte sich. Arnika kam bestens alleine klar, versuchte er sich einzureden. Als er seine Gefühle halbwegs wieder unter Kontrolle gebracht hatte, öffnete er die Lider und sah Arnika, wie sie ein paar Tische weiter gegangen war und eine Bestellung entgegennahm. Sie lächelte gerade einen Mann freundlich an. Er schluckte erneut. Es missfiel ihm, wie sie mit anderen Männern redete.

„Geh du schon mal vor. Yoola ist vorne an der Bar“, bat Darius seine Frau. Sam sah Jendrael prüfend an und verabschiedete sich mit einem Nicken.

Nun waren nur noch er und Darius übrig. Jendrael seufzte innerlich und wappnete sich gegen das, was unausweichlich kommen würde.

„Schieß los! Was ist mit dir?“, wollte Darius wissen. „Du bist heute so unkonzentriert. Das kenne ich nicht von dir.“

Jendrael konnte seinem besten Freund nicht böse sein, dass dieser mit der Tür ins Haus fiel. Darius meinte es nur gut. Er machte sich ernsthafte Gedanken um ihn. Jendrael war ihm wohl eine Antwort schuldig.

„Ich bin momentan etwas übermüdet. Habe die letzten Tage nicht sonderlich gut geschlafen.“ Das war zwar nicht die Ursache für seine Unkonzentriertheit, aber auch keine Lüge.

Darius betrachtete ihn nachdenklich. „Du weißt, dass wir Freunde sind. Ich und auch Sam, wir sind für dich da.“

„Danke, ich weiß das wirklich zu schätzen.“

Darius erhob sich und legte ihm beim Vorbeigehen eine Hand auf die Schulter. „Pass auf dich auf, alter Freund. Du weißt, wie sehr wir dich brauchen.“

Dann war er allein. Während Darius zu seiner Frau ging, würde er, Jendrael, nur wieder Hirngespinsten mit katzengrünen Augen und seidigen, blonden Haaren hinterherjagen.

* * *

Die Tage vergingen wie im Flug und ehe Arnika es sich versah, arbeitete sie bereits seit zwei Wochen im Club. Langsam bekam sie Routine. Die abendlichen Aufgaben erledigte sie schnell und zuverlässig, und auch das Kellnern machte ihr zunehmend Spaß. Sie lernte, wie sie professionell und freundlich mit den Kunden umging, was sich bei ihrem Trinkgeld durchaus bemerkbar machte.

Jendrael hatte sie seit der peinlichen Aktion mit den Orangen nicht mehr gesehen, die letzte Woche nicht einmal mehr aus der Ferne. Zufällig hatte sie gehört, wie Inka und Abeline über ihren Chef redeten und Abeline sagte, dass er sich seit Tagen nicht mehr im Fiftyfive hatte blicken lassen. Zum einem war das natürlich gut, weil das bedeutete, dass er ihr nicht aus dem Weg ging, zum anderen kam sie allerdings so auch keinen Schritt weiter.

Deswegen hatte sie beschlossen, sich einem anderen Projekt zu widmen, dem eigentlichen Grund, warum sie nach Boston gekommen war.

Sie war früh dran, als sie an diesem Abend den Club betrat. Da sie die zweite Schicht hatte, musste sie erst um Mitternacht beginnen. Allerdings hatte sie am frühen Abend einige Erledigungen gemacht, und der Rückweg zu ihrer kleinen Wohnung war zu weit, als dass es sich lohnen würde. Deshalb hatte sie beschlossen, gleich zum Fiftyfive zu fahren. Die Zeit, bis ihre Schicht begann, konnte sie zum Telefonieren nutzen; dafür eignete sich der Club ebenso gut wie ihr Zuhause. Jetzt, kurz vor Mitternacht, waren die Pausenzeiten vorbei, und die Leute für die zweite Schicht würden so früh nicht kommen. Sie wäre also im Aufenthaltsraum ungestört.