Eine verzweifelte Miss (Das Smaragd-Collier 3) - Melissa David - E-Book

Eine verzweifelte Miss (Das Smaragd-Collier 3) E-Book

Melissa David

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Beschreibung

Henry Bastcher, Earl of Clainwood, arbeitet seit Jahren für den Premierminister. Unter anderem deswegen wird dem zukünftigen Marquess in politischen Kreisen eine großartige Zukunft vorausgesagt. Allerdings muss er dafür heiraten, bevor sein Vater stirbt, sonst verliert er den Titel und die damit verbundenen Privilegien. Sophie Mansfield ist nur deswegen in den höheren Kreisen der Londoner Gesellschaft akzeptiert, weil sie die Tochter eines reichen Geschäftsmanns ist. Als die Reederei ihres Vaters in finanzielle Schwierigkeiten gerät, darf niemand davon wissen. Doch dann wird Sophie von einem Unbekannten erpresst. Sie soll sich an Clainwoods Fersen heften und herausfinden, was dieser über das verschwundene Smaragd-Collier weiß. Das bedeutet, dass Sophie den steifsten Gentleman von ganz London ausspionieren muss, dem sie so rein gar nichts abgewinnen kann. Aber je mehr Zeit sie mit Clainwood verbringt, desto mehr beginnt sie, ihn zu mögen. Als der finanzielle Ruin ihrer Familie nicht mehr aufzuhalten ist, könnte ausgerechnet Clainwood ihre Rettung sein. Nur kann sie ihm wirklich vertrauen? Der dritte Teil der unterhaltsamen Regency-Romance-Reihe im schillernden London des frühen 19. Jahrhunderts.

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Klappentext
Impressum
Das Smaragd-Collier
Vorwort
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Kapitel 29
Kapitel 30
Kapitel 31
Kapitel 32
Kapitel 33
Kapitel 34
Kapitel 35
Kapitel 36
Kapitel 37
Kapitel 38
Kapitel 39
Kapitel 40
Kapitel 41
Kapitel 42
Kapitel 43
Das Smaragd-Collier
Über die Autorin
Die Chroniken von Usha
Cheetah Manor
Kruento
High Society Love

 

Klappentext

 

Henry Bastcher, Earl of Clainwood, arbeitet seit Jahren für den Premierminister. Unter anderem deswegen wird dem zukünftigen Marquess in politischen Kreisen eine großartige Zukunft vorausgesagt. Allerdings muss er dafür heiraten, bevor sein Vater stirbt, sonst verliert er den Titel und die damit verbundenen Privilegien.

Sophie Mansfield ist nur deswegen in den höheren Kreisen der Londoner Gesellschaft akzeptiert, weil sie die Tochter eines reichen Geschäftsmanns ist. Als die Reederei ihres Vaters in finanzielle Schwierigkeiten gerät, darf niemand davon wissen. Doch dann wird Sophie von einem Unbekannten erpresst. Sie soll sich an Clainwoods Fersen heften und herausfinden, was dieser über das verschwundene Smaragd-Collier weiß.

Das bedeutet, dass Sophie den steifsten Gentleman von ganz London ausspionieren muss, dem sie so rein gar nichts abgewinnen kann. Aber je mehr Zeit sie mit Clainwood verbringt, desto mehr beginnt sie, ihn zu mögen. Als der finanzielle Ruin ihrer Familie nicht mehr aufzuhalten ist, könnte ausgerechnet Clainwood ihre Rettung sein. Nur kann sie ihm wirklich vertrauen?

 

Der dritte Teil der unterhaltsamen Regency-Romance-Reihe im schillernden London des frühen 19. Jahrhunderts.

Impressum

 

E-Book

1. Auflage Dezember 2022

600-665-03

Melissa David

Mühlweg 48 A

90518 Altdorf

Blog: www.mel-david.de

E-Mail: [email protected]

 

 

Umschlaggestaltung: Michael Sopolidis

www.michaelsopolidis.com

www.facebook.com/michaelsopolidisofficial

www.instagram.com/michaelsopolidis

www.bit.ly/michaelsopolidis-youtube

 

Lektorat: Jeanette Lagall

www.lektorat-lagall.de

 

Korrektorat: Jana Oltersdorff

 

 

Alle Rechte, einschließlich dem des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form bedürfen der Einwilligung der Autorin.

Personen und Handlungen sind frei erfunden, etwaige Ähnlichkeiten mit real existierenden Menschen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

Das Smaragd-Collier

 

Eine verzweifelte Miss

 

Band 3

 

von

Melissa David

 

 

 

Vorwort

 

Liebe Leserinnen, liebe Leser,

 

ich bedanke mich herzlich für das Interesse an meiner Regency-Romance Reihe „Das Smaragd-Collier“.

 

Dies ist der dritte Teil der Smaragd-Collier-Reihe und ich empfehle dringend mit Band 1 „Eine hoffnungslose Lady (Das Smaragd-Collier 1)“ zu beginnen. Auch dieser Band ist eine locker, leichte Lektüre fürs Herz mit Charakteren zum Mitfiebern. Beim Schreiben der Smaragd-Collier-Reihe ging es mir in erster Linie darum, das schillernde, teilweise überromantisierte Bild einer Londoner High Society abzubilden, die es niemals gegeben hat.

 

Natürlich gibt es auch für dieses Buch wieder einen Leseplan, den es in gedruckter und digitaler Form gibt. Mit diesem Leseplan erhältst du einen exklusiven Blick hinter die Kulissen: selbstgedrehte Videos (und bitte erwartet hier keine Filmqualität), Recherchearbeiten, Verlinkungen zu Blogartikeln, welche die Regency-Zeit aufgreifen, und Lebensgeschichten von Personen über das Buch hinaus. Mehr über den Leseplan erfährst du hier.

Selbstverständlich kann man das Buch auch ohne Leseplan lesen.

 

 

Alle im Roman genannten Personen sind frei erfunden und haben keine Ähnlichkeit mit verstorbenen oder lebenden Personen. Lediglich Lord Liverpool hat einst gelebt. Politische Gegebenheiten und Entdeckungen sind so ausgewählt, dass sie sich in das Gesamtkonzept gut einfügen, haben aber nicht den Anspruch in dieser zeitlichen Abfolge passiert zu sein.

Alle, die sich nun auf die Geschichte einlassen, wünsche ich zauberhafte Lesemomente.

 

 

Es gibt auch einige Blogartikel zum Thema Regency, wenn du tiefer in die Welt und die Zeitepoche eintauchen möchtest. Eine Übersicht über die Themen findest du hier.

 

Nun wünsche ich dir viel Spaß mit Sophie und Henry.

 

Melissa David

 

 

Kapitel 1

 

Henry Bastcher, der Earl of Clainwood, betrat das Letling’s, auch wenn der Club nicht zu den Orten gehörte, an denen er bevorzugt seinen Abend ausklingen ließ. Zwei Straßen von hier entfernt befand sich ein anderer Herrenclub, in dem überwiegend über politische Themen diskutiert wurde. Dieser war zwar nicht so angesehen wie das Letling’s und die Besucher weniger erlesen, dennoch sagte ihm die dortige Gesellschaft mehr zu. Im Letling’s hingegen ging es häufiger um Literatur, Theater und gesellschaftliche Belanglosigkeiten – Themen, die ihn langweilten. Sein Vater hingegen, der Marquess of Downhill, schätzte das Letling’s sehr, und so war Henry nicht nur Mitglied, sondern seine Familie unterhielt sogar einen privaten Raum.

Er gab im Eingangsbereich seine Garderobe ab und ging hinauf in den ersten Stock. Linker Hand führte ein Flur zu den allgemeinen Gesellschaftsräumen. Von dort hörte er lautes Lachen. Heute Abend würde er sich jedoch nicht zu den Männern dort gesellen. Er wandte sich in die entgegengesetzte Richtung und schritt auf den privaten Salon seiner Familie zu. Der Flur lag verlassen vor ihm. Die Namen der Eigentümer prangten auf Tafeln an den Türen. Henry musste bis zur vorletzten Tür gehen. Dort war mit schwungvollen Lettern Downhill auf die Tafel geschrieben.

Da sein Vater seit Monaten nicht mehr in London gewesen war, hatte Henry kein schlechtes Gewissen, den Raum zu nutzen. Es würde ohnehin nicht mehr lange dauern, bis er der rechtmäßige Besitzer war.

Er betrat den Salon. Kerzen brannten, und auch das Kaminfeuer war entzündet worden, wie er es angeordnet hatte. Zwei der schweren Sessel standen vor dem Kamin. Erst nachdem Henry die Tür geschlossen hatte, stellte er fest, dass sein Gast bereits eingetroffen war. Irritiert zog er seine Taschenuhr hervor, um die Uhrzeit zu überprüfen. Es war acht Minuten vor elf. Eindeutig war er nicht zu spät.

„Setzen Sie sich, Clainwood“, kam der unmissverständliche Befehl seines Gastes.

Clainwood steckte in aller Ruhe die Taschenuhr ein und trat an den Kamin.

„Euer Gnaden“, begrüßte er den Duke und ließ sich auf dem freien Sessel nieder.

Henry hatte durch seine Arbeit für Liverpool mit vielen hochrangigen Personen zu tun und kannte ihre Eigenarten. Das Gehabe das Dukes schüchterte ihn daher keineswegs ein. Er hatte keine Ahnung, warum der Duke so vehement um eine Unterredung gebeten hatte. Da Titelträger ehrenhalber – und dazu gehörte Henry – keinen Zutritt zur dritten Etage hatten, wo sich Handsbrocks privater Salon befand, hatte der Duke sich kurzerhand bei ihm eingeladen.

Interessiert blickte Henry hinüber zu Handsbrock, der in der gesellschaftlichen Rangfolge zwar weit über ihm stand, mit seinen achtunddreißig Jahren aber tatsächlich sogar ein Jahr jünger als er selbst war. Henry war zwar groß und schlank, hatte jedoch schnell gemerkt, dass ihm körperliche Arbeit nicht lag. Daher wirkte er gegenüber dem breitschultrigen Duke eher schmal und schmächtig. Seine Stärke dagegen war der Verstand, und er hatte sich entschieden, diesen für das Wohl von England einzusetzen. Zudem war er ein äußerst geduldiger Mann und hielt die Stille aus, die sich zwischen ihnen ausbreitete. Sein Gegenüber hatte ihm noch immer keinen Grund für das Treffen genannt. Für eine Unterredung unter vier Augen mochte es viele Gründe geben. Da es einem Duke gegenüber äußerst unhöflich wäre, das Gespräch zu eröffnen, blieb Henry nichts anderes übrig, als abzuwarten, bis der andere den Anfang machte und sein Anliegen vorbrachte.

„Meinen herzlichen Glückwunsch zu Ihrer Verlobung“, beglückwünschte ihn der Duke, ohne seinen Blick vom brennenden Kaminfeuer abzuwenden.

Sie würden also mit dem Austausch von Höflichkeiten beginnen. Nun gut.

„Danke“, erwiderte Henry reserviert. Die Verlobung war für ihn eine Notwendigkeit. Wie alles in seinem Leben hatte er auch diese sorgfältig geplant. Seit drei Generationen war es üblich, dass nur verheiratete Männer die Nachfolge des Marquess of Downhill antreten durften, und obwohl Henry sechs Geschwister hatte, war er der einzige männliche Nachkomme.

„Wann werden die Hochzeitsglocken läuten?“, erkundigte sich der Duke, und Henry überlegte, ob Kalkül dahinter steckte oder sein Gegenüber ihm lediglich höfliches Interesse entgegenbrachte.

„Bis Ende der Woche werden wir einen Termin festgelegt haben.“

„Sehr gut“, murmelte Handsbrock abwesend.

Henry tat es seinem Gegenüber gleich und ließ seinen Blick auf den Flammen des Kaminfeuers ruhen.

„Wie geht es Ihrem Vater?“, erkundigte sich der Duke nach einer Weile.

Mit dieser Frage hatte Henry gerechnet, daher verzog er keine Miene, als er antwortete: „Nicht besonders gut. Die Ärzte geben ihm nicht mehr viel Zeit.“

„Das tut mir aufrichtig leid“, bedauerte Handsbrock.

Henry wusste nicht, wie der Duke und sein Vater zueinander standen. Da Seine Gnaden wieder in Schweigen verfiel, hing Henry seinen Gedanken nach. Er fand die Gesellschaft von Handsbrock überraschend angenehm. Viel lieber schwieg er, als sich über Belanglosigkeiten auszutauschen. Allerdings wollte er hier nicht den ganzen Abend sitzen, weswegen er beschloss, Handsbrock auf den Grund ihres Treffens anzusprechen: „Euer Gnaden, ich glaube kaum, dass Sie mich herbestellt haben, um mit mir über meine baldige Vermählung und den Gesundheitszustand meines Vaters zu sprechen.“

Zum ersten Mal, seit Henry den Raum betreten hatte, sah er eine Regung auf dem Gesicht seines Gegenübers. Die Lippen des Dukes verzogen sich zu einem spöttischen Lächeln. Gleichzeitig blitzte jedoch auch Anerkennung in seinen Augen auf.

„Sie sind ein scharfsinniger Mann, Clainwood“, räumte Handsbrock ein. „Wenn auch ein wenig ungeduldig.“

Die Zurechtweisung hätte die meisten Gentlemen eingeschüchtert. Henry jedoch nicht. Er kannte die taktischen Spiele, um das Gegenüber unsicher und nachlässig zu machen und erst dann mit dem eigentlichen Anliegen herauszurücken. Er hatte unter Liverpool alle Kniffe kennengelernt und einige davon perfektioniert. Daher wusste er genau, welches Spiel Handsbrock spielte. Aber das bedeutete nicht, dass er diesen gewinnen lassen musste. Innerlich seufzend und in Gedanken bereits dabei, den Abend umzuplanen, stellte er sich auf ein längeres Gespräch mit vielen Pausen ein. Er hatte den Anfang gemacht und den Duke auf sein Anliegen angesprochen, nun lag es an diesem, das Tempo vorzugeben.

Henry lehnt sich in seinem Sessel zurück, schlug die Beine übereinander und starrte in die Flammen. Die Zeit verstrich und auch, wenn seine innere Unruhe zunahm, ließ er sich äußerlich nichts anmerken.

„Sie beeindrucken mich“, gestand Handsbrock unvermittelt. „Wie ich sehe, können Sie mit solchen Situationen umgehen.“

Henry wartete weiter ab. Der Duke provozierte ihn zu einer Gefühlsregung, und wenn es nur ein Lächeln war, als Zeichen, dass er sich in dem Glauben wog, den Test bestanden zu haben. Im politischen Zirkus hatte Henry sehr schnell lernen müssen, seine Gefühle hinter einer undurchdringlichen Maske zu verbergen. Sein Lehrmeister war der Beste von allen gewesen. Niemand reichte an Liverpool heran.

„Darüber hätte ich Ihnen auch davor Auskunft geben können“, erklärte Henry ungerührt.

Spöttisch zuckte Handsbrocks Mundwinkel, und in diesem Moment wusste Henry, dass er jetzt den wahren Grund ihres Treffens erfahren würde.

„Wie werden Sie sich als Marquess politisch positionieren?“ Scheinbar unbeteiligt lehnte der Duke sich zurück, ließ ihn jedoch nicht aus den Augen.

Ein weniger gefestigter Mann wäre spätestens jetzt nervös geworden, doch Henry begegnete Handsbrocks Blick ruhig und gelassen, seine Gefühle sicher hinter undurchdringlichen Mauern verborgen.

Zudem wusste Henry nur zu gut, was hinter dieser scheinbar belanglosen Frage steckte. Der Duke, selbst Mitglied der Tory, wollte wissen, wie loyal er dem König gegenüber war. Henrys Vertrauen galt zwar in erste Linie Liverpool, dennoch zählte er sich eindeutig zu den Konservativen. Wenn er ehrlich war, musste er zugeben, dass es zwar ein paar Aspekte gab, die er nicht ganz so vehement vertrat wie einige der anderen Lords. Doch im Großen und Ganzen stimmte er der Tory in der politischen Grundrichtung zu, und als zukünftiger Marquess und Mitglied des Oberhauses würde er die Politik mitbestimmen können.

„Sie brauchen sich keine Sorgen zu machen, Euer Gnaden.“

„Auch innerhalb der Tory gibt es Unstimmigkeiten“, merkte der Duke an.

Das war für Henry nichts Neues. Seit Liverpool Premierminister war, waren die Anfeindungen gegen seine Politik heftiger geworden.

„Aktuell arbeite ich für Liverpool, und solange das so ist, besitzt er meine ungeteilte Loyalität“, informierte er Handsbrock.

Dieser kniff die Augen zusammen und betrachtete ihn nachdenklich.

Verdammt! Hatte er zu viel gesagt? Hastig drängte er alle aufkeimenden Emotionen zurück und konzentrierte sich auf sein Gegenüber. Um die Stille zu überbrücken, die nun unweigerlich folgen würde, beschäftigte er am besten seine Gedanken. Was wusste er über den Duke?

Handsbrock hatte bereits in jungen Jahren die Herzogswürde von seinem Großvater geerbt und sich trotz des Titels für eine militärische Laufbahn entschieden. Nach dem Sieg über Napoleon kehrte der Duke dem Militär den Rücken. Was er aktuell genau tat, wusste Henry nicht. Ihre Wege kreuzten sich von Zeit zu Zeit, da der Duke einen wichtigen Posten im Oberhaus einnahm und auch im Kronrat saß.

Zu Henrys Überraschung hakte Handsbrock nicht nach, wem seine Loyalität gehörte, nachdem er seine Arbeit für den Premier niedergelegt hatte, sondern wechselte das Thema: „Wie ich hörte, sind Sie mit dem Fall Reynolds beauftragt.“

Henry nickte bedächtig. Nur wenige wussten, dass er Interesse an dem Verfahren gezeigt hatte, aber der Duke gehörte dem Privy Council an und war daher von Liverpool ins Bild gesetzt worden.

„Eine wirklich wichtige Aufgabe“, schob Handsbrock hinterher.

Was wollte der Duke von ihm? Henry beschloss, ihn direkt danach zu fragen. „Ist das hier eine offizielle Anhörung in Verbindung mit dem Kronrat?“ Denn dann würde er Auskunft geben müssen. Wenn Handsbrock hingegen für seine eigenen Zwecke Informationen von ihm haben wollte, musste Henry nichts sagen, und das würde er auch nicht. Die Sache mit Reynolds war zu wichtig und aktuell noch zu undurchsichtig, um zu wissen, wer Freund und wer Feind war.

Handsbrock brauchte eine ganze Weile, bis er langsam den Kopf schüttelte.

„Dann fürchte ich, kann ich Ihnen keine Einzelheiten mitteilen.“

„Selbstverständlich.“

Auch wenn der Duke sich äußerlich nichts anmerken ließ, hatte Henry den Eindruck, dass er sein Gegenüber verstimmt hatte. Dieser Anschein wurde zur Gewissheit, als Handsbrock sich unvermittelt erhob, womit das Gespräch beendet war.

„Bleiben Sie sitzen, Clainwood“, winkte er ab, als Henry Anstalten machte, sich ebenfalls zu erheben. „Richten Sie Ihrem Vater meine allerbesten Wünsche aus.“

„Das werde ich“, versprach er halbherzig. Er würde erst wieder am Wochenende aufs Land fahren, um den kranken Marquess zu besuchen. Davor ließen seine politischen Verpflichtungen es nicht zu, die Hauptstadt zu verlassen. In den vergangenen Wochen war er so oft wie möglich nach Downhill Abbey gefahren, wo sich seine Schwestern Virginia, eine Nonne, und Johanna, die seit zwei Jahren verwitwet war, aufopfernd um ihren Vater kümmerten.

Henry wartete, bis der Duke den Raum verlassen hatte, und ließ sich zurück in den Sessel sinken. Was zum Teufel war das für ein seltsamer Besuch gewesen? Das beunruhigende Gefühl verschwand nicht. In welcher Beziehung stand Handsbrock zu Reynolds? Henry wusste, dass er auf der Hut bleiben musste.

Erst jetzt, wo er wieder allein war, ließ er Emotionen zu. Müde und erschöpft schloss er für einen Augenblick die Augen. Viele Dinge gingen ihm durch den Kopf: Die Last seines Namens und die Bedingung, dass er schnell heiraten musste, um die Position als Familienoberhaupt einnehmen zu können, wie es ihm von Geburt an zugedacht war. Seine Arbeit für Liverpool, der er nun seit mehr als fünf Jahre nachging. Der besorgniserregende Zustand des Earls, der ihm mehr zu schaffen machte, als er nach außen zugeben wollte.

Er musste sich bewegen, um die Anspannung in seinem Körper loszuwerden. So erhob er sich und marschierte im Raum auf und ab.

Seit Wochen war er dabei, alles zu regeln, um es in Kürze an seinen Nachfolger abgeben zu können. Er selbst war ein fähiger Stratege, wortgewandt und verfügte über genug Biss, sich in Regierungskreisen den nötigen Respekt zu verschaffen. Die Aufgaben, die ihm übertragen wurden, erledigte er stets zielstrebig und vollumfassend im Namen des Premiers. Kein einziges Gesetz, dessen Vorarbeiten er sich in den vergangenen Jahren angenommen hatte, war gescheitert. Manche Dinge brauchten Zeit und jahrelange Arbeit, aber noch nie war ein von ihm vorbereitetes Anliegen abgelehnt worden. Fidgcocke, der seine Position übernehmen würde, wenn Henry ins Oberhaus wechselte, fehlte es noch an diesen Attributen, daher war es ihm wichtig, noch möglichst viele der laufenden Geschäfte abzuschließen.

Henry setzte sich wieder, zog seine Taschenuhr hervor und überlegte, ob es sich noch lohnte, die Diskussionsrunde in seinem Stammclub zu besuchen, entschied sich jedoch dafür, nach Hause zu gehen. Auch dort erwartete ihn noch einiges an Arbeit. Übermorgen hatte er eine Verabredung mit Easthill, seinem zukünftigen Schwiegervater. Dann würden sie die geschäftlichen Belange für die Vermählung klären. Zuerst einmal musste er verheiratet sein, für die Übergabe an Fidgcocke blieb ihm hoffentlich noch etwas mehr Zeit. Die Tochter des Earls, Lady Louisa Bell, war eine akzeptable Ehefrau für ihn. Ihre Vorzüge bestanden darin, dass sie still und unkompliziert war und keine Ansprüche stellen würde. Mit ihren zweiundzwanzig Jahren war sie zwar fast schon eine alte Jungfer, aber schließlich war er auch kein Jungspund mehr. Wenn Henry an die ganzen jungen und einfältigen Debütantinnen dachte, die sich auf dem Heiratsmarkt tummelten, wurde ihm unwohl. Es war gut, dass er sich der ebenso lästigen wie zermürbenden Brautschau auf diesem Weg entziehen konnte und nicht gezwungen war, unzählige Bälle zu besuchen, auf denen er Zeit mit langweiligen Debütantinnen verbringen musste.

Zufrieden, zumindest diese Unannehmlichkeit aus dem Weg geräumt zu haben, erhob er sich. Sein Blick fiel auf das abscheuliche Geweih über dem Tisch. Unwillig verzog er den Mund. Dieses Ungetüm würde als erstes weichen, sobald er den Titel des Marquess bekleidete. Ebenso das Gemälde einer äußerst leicht bekleideten Dame. Das Landschaftsbild dagegen konnte bleiben. Vielleicht fand er noch ein weiteres Gemälde in ähnlichem Stil und konnte die geschmacklose Scheußlichkeit damit ersetzen. Während Henry den Heimweg antrat, beschloss er, die Augen offen zu halten.

Kapitel 2

 

„Guten Morgen!“ Mit einem strahlenden Lächeln betrat Sophie den Frühstücksraum. Sie war bereits ausgeritten und wirklich hungrig. Vergnügt setzte sie sich auf ihren Platz, dem Vater gegenüber, der kurz hinter seiner Zeitung hervorlugte und ihr wohlwollend zulächelte.

„Wie geht es dir heute?“, fragte Sophie, wobei sie den grimmigen Blick von Tante Lissy, der älteren Schwester ihrer Mutter, geflissentlich ignorierte. Sie freute sich, die kränkliche Frau am Frühstückstisch vorzufinden, denn Magaret Mansfield musste allzu häufig das Bett hüten.

„Danke, ausgezeichnet.“ Sie lächelte schwach. „Warst du ausreiten?“

Eifrig nickte Sophie und nahm einen großen Schluck Tee, der fast zu heiß war, um ihn zu trinken. „Die Morgenstunden sind wundervoll für einen Ausritt.“

„Ich hoffe, du warst nicht im Park.“ Theodor Mansfield senkte seine Zeitung und betrachtete sie stirnrunzelnd und ein wenig sorgenvoll. Als Besitzer einer der größten Reedereien in London war das Frühstück die einzige Mahlzeit, die er mit der Familie einnahm, und selbst diese Zeit verbrachte er meist hinter seiner Zeitung. Doch Sophie wusste, dass er nur so hart arbeitete, um ihnen ein unbeschwertes Leben zu ermöglichen. Dafür liebte sie ihn von ganzem Herzen. Allzu gut erinnerte sie sich an ihre Kindheit in Dover, an das einfache kleine Haus ohne Diener. Als ihr Vater mit der Reederei zu Geld gekommen war, hatte er als Erstes Sophie auf ein Internat für höhere Töchter geschickt und nachdem sie vor drei Jahren von dort zurückgekehrt war, hatte ihre Familie sich in London niedergelassen. Daher wusste sie, welch großes Privileg sie genoss, ein sorgenfreies Leben zu führen.

Mit gespielter Entrüstung schüttelte Sophie den Kopf. Bei ihrem letzten morgendlichen Ausritt im Park hatte sie für ziemlich viel Furore gesorgt, da sie mit ihrem Pferd galoppiert war. Seitdem hatte sie den Park gemieden. Und das zu Recht. Nicht auszudenken, wenn jemand sie heute Morgen gesehen hätte! Sie war nämlich im Herrensattel unterwegs gewesen. Das schickte sich für eine junge Dame zwar nicht, machte aber viel mehr Spaß als der unbequeme Damensattel.

Das Leben in London gefiel Sophie ausgesprochen gut und auch wenn ihr die strengen Regeln der besseren Gesellschaft gegen den Strich gingen, bemühte sie sich, sich anzupassen und ihrer Familie keine Schande zu machen. Sie wusste, was der gesellschaftliche Aufstieg ihren Eltern bedeutete. Gerade ihr Vater träumte davon, Sophie gut zu verheiraten, doch bisher hatte sie ihn davon überzeugen können, dass sie noch jung genug für eine weitere Saison war. Sie genoss die Bälle, Soireen, Picknicks und Vergnüglichkeiten der Hauptstadt, zu denen sie eingeladen wurde, in vollen Zügen. Es war ihr zweites Jahr als Debütantin, und sie mochte keinen einzigen Tag missen.

Für Sophie stand fest, dass ihr zukünftiger Ehemann London ebenso sehr lieben musste wie sie, damit sie einen nicht zu verachtenden Teil ihrer Zeit in der Hauptstadt verbringen konnten. Außerdem musste er ihr Herz im Sturm erobern. Sophie wollte aus Liebe heiraten, so wie ihre Eltern es einst taten.

Während ihre Freundinnen reihenweise den Bund des Lebens eingingen, war Sophie noch immer auf der Suche nach einem Ehemann, der ihren Ansprüchen genügte, verschwendete allerdings auch nicht zu viel Energie darauf. Schließlich blieb ihr noch alle Zeit der Welt.

Wilson, der Butler, trat ein. Er hatte zuvor im Dienst eines alten Dukes gestanden und legte sehr viel Wert auf Etikette.

„Mr. Mansfield.“ Auf seinem Tablett balancierte er die morgendliche Post und reichte sie dem Hausherrn. Einmal hatte Sophie nach einem Brief gegriffen, der für sie bestimmt war. Daraufhin hatte Wilson ihr einen ausufernden Vortrag über das angemessene Benehmen für eine junge Dame gehalten, und seitdem nahm sie sich zurück.

Theodor Mansfield faltete die Zeitung zusammen, nahm die Briefe an sich und sah sich einen nach dem anderen gewissenhaft an. Einige schob er seiner Frau hinüber. Dabei handelte es sich für gewöhnlich um die Einladungen zu gesellschaftlichen Anlässen, die – wie es sich gehörte – an die Herrin des Hauses gerichtet waren. Gespannt wartete Sophie darauf, dass ihre Mutter die Einladungen öffnete, doch sie nahm in aller Ruhe einen weiteren Schluck von ihrem Tee. Die geschäftliche Post behielt der Hausherr für sich, und einen Brief reichte er Sophie. Freudig griff sie danach, erbrach das Siegel und überflog in aller Eile das Schreiben einer ehemaligen Schulkameradin, die inzwischen glücklich verheiratet mit ihrem Gemahl auf dem Land lebte und Sophie von ihrem Leben berichtete. Mit einem Lächeln auf den Lippen las sie den Brief ein zweites Mal.

In der Zwischenzeit hatte ihre Mutter die erste Einladung gelesen und wollte sie schon zur Seite legen, als Tante Lissy sie eilig an sich brachte.

„Schon wieder eine Abendveranstaltung“, seufzte sie wenig begeistert.

Sophie bemühte sich, nicht vollkommen entnervt die Augen zu verdrehen. Tante Lissy war nie begeistert von gesellschaftlichen Veranstaltungen, aber da es der Dame des Hauses häufig nicht gut ging und Sophies Vater arbeitete, blieb es meist an ihr hängen, Sophie zu diesen zu begleiten. Würde Tante Lissy statt dieser dunkelvioletten, hochgeschlossenen und schrecklich biederen Kleidung, die sie mindestens zwanzig Jahre älter aussehen ließ, zur Abwechslung mal ein nach der aktuellen Mode geschnittenes Kleid tragen, hätte sie vielleicht auch mehr Freude an solchen Zusammenkünften.

„Mutter, wenn du dich heute gut genug fühlst, wirst du mich am Abend auf die Soiree von Lady Respron begleiten?“

Magaret Mansfield legte lächelnd eine weitere Einladung zur Seite. Wieder griff Tante Lissy danach und verzog missbilligend den Mund. Sophie reagierte nicht darauf. Sie blickte stattdessen ihre Mutter an und wartete auf eine Antwort. Wie sehr würde sie sich darüber freuen, wenn sie mitkäme. Dann könnte sie ihr endlich ihre Freundinnen und auch ein paar der Gentlemen vorstellen.

„Du solltest Magaret Ruhe gönnen. Selbstverständlich werde ich dich begleiten“, rügte Tante Lissy sie.

Wieder gelang es ihrer Tante mühelos, dass Sophie sich schuldig fühlte, ihre Mutter so bedrängt zu haben.

„Ich werde sehen, wie es mir heute Abend geht, und dann entscheiden“, erklärte Magaret Mansfield milde lächelnd und legte Sophie eine Hand auf den Arm.

Ein weiteres Mal wurden sie beim Frühstück gestört, als der Butler eine zusammengefaltete Notiz auf einem Tablett brachte.

„Das wurde soeben für Sie abgegeben“, erklärte er und verbeugte sich vor dem Hausherrn.

„Danke, Wilson“, murmelte dieser und griff nach der Nachricht.

„Der Bote wirkte, als sei seine Angelegenheit äußerst dringlich.“ Mit einem entschuldigenden Lächeln verließ der Butler das Frühstückszimmer.

Theodor Mansfield faltete das Papier auseinander und las es. Zuerst versteifte er sich, dann wurde er so blass, dass Sophie für einen Moment fürchtete, er würde in Ohnmacht fallen.

„Theodor?“, erkundigte sich ihre Mutter besorgt.

Doch der Vater winkte ab und blickte weiter auf die Notiz, die seinen beunruhigenden Zustand ausgelöst hatte.

„Was ist, Vater?“, wollte nun auch Sophie wissen. Sie machte sich ernsthaft Sorgen um ihn.

Langsam ließ dieser das Schreiben sinken, starrte einen Moment ins Leere, ehe er in die Gegenwart zurückkehrte.

„Die Mary Three ist unauffindbar. Bereits vor drei Wochen hätte sie im Hafen einlaufen sollen, doch niemand hat etwas von ihr gesehen oder gehört. Nun wurde sie für verloren erklärt.“

Sophie runzelte die Stirn. Ihr Vater sprach nie über geschäftliche Angelegenheiten mit ihnen, und dass er es jetzt tat, brachte sie aus dem Konzept. Sie wusste genug über die Schifffahrt, um zu begreifen, was es bedeutete, wenn ein Schiff nicht zurückkehrte. Entweder war es von Piraten gekapert worden oder gesunken.

„Es gibt immer mal wieder ein Schiff, das den Hafen nicht erreicht.“ Tante Lissy nahm sich unbeeindruckt eine Apfelsine.

„Es ist das vierte Schiff in den letzten zwei Monaten. Das erste konnten wir finanziell ganz gut verkraften, beim zweiten wurde es schon schmerzhaft. Vor allem, weil daraufhin etliche Kunden zu anderen Reedereien gewechselt sind.“

Sophie sah ihren Vater aufmerksam an. Ihre Blicke begegneten sich kurz.

„Wie schlimm ist es?“, fragte ihre Mutter pragmatisch.

„Sehr schlimm.“ Ihr Vater sank regelrecht in sich zusammen. „Unsere finanziellen Mittel sind bald erschöpft. Ich weiß nicht, wie lange wir uns noch dieses Haus leisten können. Noch ist nichts an die Öffentlichkeit gedrungen, aber das ist nur eine Frage der Zeit.“

Tante Lissy stieß einen entsetzten Laut aus. „Und dann? Zurück in dieses unsägliche Dover? Nur über meine Leiche.“

Betreten schwiegen alle. Ihrer Tante war es jederzeit möglich, das Haus zu verlassen und sich eine Stellung in London zu suchen. Sophies Kehle zog sich zusammen, und eine bisher unbekannte Enge breitete sich in ihrem Brustkorb aus. Ihre Mutter würde bei ihrem Vater bleiben, einerlei, wohin es ihn verschlug. Und sie? Schlagartig wurde ihr das Ausmaß dessen bewusst, was das für sie bedeutete. Keine rauschenden Bälle mehr, keine Picknicks, keine Abendveranstaltungen, keine Opern- oder Theaterbesuche und keine vergnüglichen Spaziergänge mehr in den Parks oder ein Einkaufsbummel in der Piccadilly Street. Sie erbleichte.

„Der ton wird uns nicht länger in seinen Reihen dulden, wenn das puplik wird“, sagte sie tonlos.

„Es tut mir leid, Häschen.“ Bei dem Kosenamen nannte ihr Vater sie seit ihrer Kindheit. Sonst hatte es immer etwas Tröstliches, doch diesmal blieb das Gefühl aus.

„Wie lange noch?“

„Zwei, vielleicht drei Wochen.“ Der Vater ballte die Faust und zerknüllte dabei den Brief.

Tante Lissy stöhnte noch einmal mitleiderregend.

„Mein Kopf dröhnt. Ich werde mich ein wenig hinlegen“, verkündete Magaret Mansfield und erhob sich.

Sophie wollte gerade aufspringen, doch Tante Lissy kam ihr zuvor und führte ihre Schwester überfürsorglich aus dem Frühstückszimmer. Sophie und ihr Vater blieben zurück.

„Du solltest schnellstmöglich einen Ehemann finden“, sagte ihr Vater, kaum dass sie allein waren.

Sophie hob ruckartig den Kopf und starrte ihn ungläubig an. Für einen Moment überlegte sie, ob er das ernst meinte.

„Wenn wir zurück nach Dover müssen, glaube ich nicht, dass wir jemals nach London zurückkehren werden. Aber selbst wenn, wirst du zu alt sein. Deiner Mutter würde die Ruhe einer kleineren Stadt guttun, aber du, Häschen …“ Er schüttelte den Kopf. „Ich würde dich wirklich gern in guten Händen und versorgt wissen.“

Ein dicker Kloß bildete sich in Sophies Hals. „In zwei Wochen einen geeigneten Ehemann zu finden, ist unmöglich. Ich suche seit eineinhalb Jahren nach der …“ Sie brach ab. Es war ihr in Anbetracht der Situation nicht möglich, ihren Vater mit ihren Mädchenträumen von einem hingebungsvollen, gutaussehenden Gentleman zu behelligen. Sie schluckte.

„Ich könnte versuchen, etwas zu arrangieren. Noch hat sich unsere Lage nicht herumgesprochen.“

Sophie wusste, ihr Vater meinte es nur gut. Er mochte in geschäftlichen Dingen eine gute Nase bewiesen haben, sonst hätte er es nicht so weit gebracht. Dass so viele Schiffe nicht zurückgekehrt waren, fiel unter das unternehmerische Risiko und hatte nichts mit seinen Fähigkeiten als Reeder zu tun.

Aber in der feinen Londoner Gesellschaft kannte sich Theodor Mansfield viel zu wenig aus, um eine sinnvolle Entscheidung treffen zu können. Daher würde Sophie ihre Zukunft selbst in die Hand nehmen. Ein wenig alleingelassen und verloren fühlte sie sich schon dabei, aber weder auf ihre Mutter noch auf ihre Tante konnte und wollte sie bauen. Sophie war es gewohnt, die Dinge selbst zu regeln, und das würde sie auch diesmal tun.

„Ich verspreche dir, ich werde alles in meiner Macht Stehende tun, um einen geeigneten Ehemann zu finden.“ Wie ihr das in den nächsten zwei bis drei Wochen gelingen sollte, wusste sie selbst nicht.

„Ein Viscount oder Earl wäre schon wünschenswert“, sinnierte ihr Vater. „Meine Tochter – eine Adelige.“

Sophie lächelte gequält. Sie selbst würde lediglich angeheiratet bleiben, aber ihre Kinder wären von blauem Blute, und Sophie wusste, wie viel dies ihrem Vater bedeuten würde. Einen solchen Ehemann zu finden, war aus ihrer Sicht jedoch fast unmöglich. Vielleicht würde ein zweiter oder dritter Sohn eines Adeligen um ihre Hand anhalten. Auf mehr wollte sie jedoch nicht hoffen.

„Der Sohn eines reichen Kaufmanns käme womöglich auch in Betracht oder ein Offizier?“, versuchte sie, ihren Spielraum zu erweitern.

„Natürlich“, stimmte ihr Vater abwesend zu. Er hatte sich einen Brief genommen und las ihn interessiert. „Du wirst das schon machen, Häschen. Schließlich hast du mich noch nie enttäuscht.“ Er blickte auf und lächelte sie an. Mit einem Mal hatte er es eilig zu gehen. Zügig faltete er den Brief zusammen, sammelte seine übrige Post ein und erhob sich. „Ich wünsche dir einen schönen Tag, Häschen.“ Als er an ihr vorbeiging, drückte er ihr einen Kuss auf die Stirn. „Ich bin so stolz auf dich.“

Dann war er fort. In ein paar Minuten würde Theodor Mansfield das Haus verlassen und sich auf den Weg in den Hafen machen. Sophie beneidete ihn nicht um den Tag, der vor ihm lag. Ihr Herz krampfte sich zusammen. Sie wollte ihn so gern stolz machen, aber wie sollte es ihr gelingen, in der Kürze der Zeit einen Ehemann zu finden? Die Saison war bereits weit fortgeschritten und bis jetzt hatte sie keinen Gentleman gefunden, der ihr etwas bedeutete. War es wirklich an der Zeit, alle Träume zu begraben und der Vernunft zu folgen? Lord Gleweven suchte nach einer Gattin. Bei dem Gedanken an den Lord verspürte sie ein Ziehen im Magen. Er war nett, und sie mochte ihn tatsächlich, aber sie wusste, dass sie nie mit ihm glücklich werden würde. Zudem war er nur hier, um eine Frau zu finden. Sicher wäre er kein Mann, der mehrere Monate des Jahres mit ihr in London verbringen würde. Sophies Verzweiflung wuchs, und sie schluckte die aufkeimende Schwermut hinunter. Sie würde eine Liste anfertigen und die Sache ganz pragmatisch angehen. Ihre Schonfrist und die Zeit, irgendwelchen Mädchenträumen nachzuhängen, war vorbei. Die Gegenwart hatte sie kalt und unbarmherzig eingeholt, und Sophie war gewillt, sich dieser zu stellen. Sie würde einen Mann finden, und ihr Vater würde stolz auf sie sein können.

 

Kapitel 3

 

Henry war wie immer hervorragend vorbereitet, als seine Kutsche vor Easthill House zum Stehen kam. Er zog seine Taschenuhr hervor, um die Uhrzeit zu prüfen. Ausgezeichnet. Er war pünktlich. Das Gespräch mit Easthill würde eine Stunde dauern, dann konnte er zurück nach Hause fahren, sich für den Abend umkleiden und würde rechtzeitig bei seiner Schwester in Respron House sein, wo er auf Lady Louisa, seine Verlobte, treffen würde.

McNeal, sein Kutscher, öffnete ihm die Tür, und Henry stieg aus. Beinahe zeitgleich wurde die Haustür von Easthill House geöffnet, und der Butler kam heraus. Dabei trat er ungeduldig von einem Bein auf das andere, bis Henry nahe genug war, damit der Bedienstete sich verbeugen konnte. „Lord Downhill“, begrüßte er den Gast. „Bitte folgen Sie mir.“

Die Halle war nicht sonderlich groß, aber sauber. Der einfachen Holztreppe fehlte jede Raffinesse, die die Häuser am Berkeley Square aufwiesen. Dennoch befand sich Easthill House in einer durchaus passablen Gegend.

Henry übergab dem Butler seine Garderobe und wunderte sich ein wenig darüber, dass der Hausherr es für nötig befand, ihn willkommen zu heißen.

„Mylord, ich lege kurz Ihre Garderobe ab, dann bringe ich Sie in die Bibliothek.“

Bevor Henry noch etwas sagen konnte, war der Butler verschwunden. Ein wenig verwundert blieb Henry zurück. Das Verhalten des Bediensteten war ungewöhnlich. Selbst wenn sie gehörigen Respekt vor ihm hatten, ließen sich die Angestellten ihre Nervosität nicht so anmerken. Es musste also mehr dahinterstecken. Genauso ungewöhnlich war es, ihn in die Bibliothek zu führen. Warum bat Easthill ihn nicht in sein Arbeitszimmer, das für solche Zwecke besser geeignet war?

Der Butler kehrte zurück, hielt den Blick jedoch ausweichend auf etwas hinter Henry gerichtet. „Mylord, ich bringen Sie nun in die Bibliothek.“

Obwohl Henry die ganze Situation seltsam vorkam, folgte er dem Bediensteten.

„Lord Clainwood“, kündigte der Butler den Gast an, hielt Henry die Tür auf und wartete, bis dieser hindurchgetreten war, bevor er sich diskret zurückzog.

Henry stutzte, als er nicht Lord Easthill gegenüberstand, sondern einem unbekannten Mann. Dieser erhob sich hustend und kam auf ihn zu.

„Mylord, es ist mir eine Freude, Sie kennenzulernen.“

Henrys erfahrenem Blick entging nicht, dass die Kleidung des Fremden zwar sauber und zweckmäßig war, es sich jedoch nicht um einen Angehörigen des Adels handelte.

„Mein Name ist Hannings. Charles Hannings. Ich bin der Advokat des Earls“, stellte er sich hastig vor.

Nachdenklich musterte Henry den Mann. Es war nicht ungewöhnlich, dass ein Advokat zu Mitgiftsverhandlungen hinzugezogen wurde. Auch er hatte seinen Juristen befragt. Was ihn jedoch stutzig machte, war Easthills Abwesenheit.

Da der Advokat wusste, wer er war, und gesellschaftlich weit unter ihm stand, hielt Henry es für überflüssig, sich vorzustellen. Er nickte knapp, ging an Hannings vorbei und setzte sich in einen Sessel.

„Wo ist Easthill?“, verlangte er zu wissen und schlug bewusst einen etwas überheblicheren Tonfall an.

Hannings folgte ihm wie ein Hund seinem Herrchen und knetete dabei seine Hände. „Mylord, die Sachlage ist ein wenig kompliziert.“

Fragend hob Henry eine Augenbraue und verfehlte damit die beabsichtigte Wirkung nicht.

„Lord Clainwood.“ Hannings ließ sich auf dem Sessel nieder, auf dem er bei Henrys Eintreten gesessen hatte. Die Miene des Advokaten war ernst. „Tatsächlich gibt es eine kleine Unannehmlichkeit.“

Henry war eigentlich ein geduldiger Mensch, doch sein Gegenüber raubte ihm mit seinem Zögern den letzten Nerv. Er wollte mit Easthill sprechen, schließlich waren sie verabredet. Außerdem hatte er Besseres zu tun, als seine kostbare Zeit zu vertrödeln.

„Wo ist Easthill“, fragte er noch einmal, diesmal gefährlich leise.

„Er ist leider nicht da.“ Hastig holte der Advokat Luft, um fortzufahren. „Es tut ihm unendlich leid, dass er es Ihnen nicht selbst mitteilen kann, Lord Clainwood.“

Henry verfluchte Easthill im Stillen. Er hatte durchaus Verständnis, wenn etwas Unaufschiebbares dazwischengekommen war und der Earl aus wichtigen Gründen London verlassen musste. Allerdings wäre es angebracht gewesen, in diesem Fall eine Nachricht zu schicken. Stattdessen saß er hier nun einem unfähigen Menschen gegenüber, der nicht zum Punkt kam.

„Lord Easthill musste aus dringlichen Gründen London verlassen.“

Die genauen Gründe interessierten Henry nicht. Er überlegte, ob er einfach aufstehen und gehen sollte.

„Es geht um Lady Louisa.“

Diese Worte ließen ihn hellhörig werden. Was war mit seiner Verlobten?

„Sie ist … nun ja …“, stammelte Hannings.

„Krank?“, versuchte Henry ihm auf die Sprünge zu helfen. Das war zumindest ein Grund, den er verstehen würde. Er kannte seine Verlobte nicht sonderlich gut und hatte sie lediglich flüchtig kennengelernt, aber er wünschte ihr nichts Schlechtes.

„Nein.“

Abwartend sah er Hannings an, wartete darauf, dass der Advokat ihm endlich verriet, was hier gespielt wurde.

„Lady Louisa ist nach Gretna Green durchgebrannt.“

Henry starrte fassungslos den Advokaten an. Er konnte sich nicht erinnern, dass ihn jemals etwas derart sprachlos gemacht hatte wie diese Nachricht. Hunderttausend Gedanken wirbelten in seinem Kopf durcheinander. Nach Gretna Green brannten verliebte Pärchen durch, die sich von dem dortigen Schmied vermählen ließen. Um Himmelswillen! Mit welchem Gentleman war seine Verlobte durchgebrannt? Ehemalige Verlobte, korrigierte er sich schnell. Für Henry war es nicht wichtig, ob es Easthill gelänge, seine Tochter noch vor Gretna Green einzuholen. Er würde sie gewiss nicht mehr heiraten! Was fiel ihr eigentlich ein, sich nicht an die Vereinbarung zu halten, die er mit ihrem Vater getroffen hatte? Wie stand er denn jetzt da? Das Geschwätz der Leute war ihm egal, doch ohne Braut würde es keine baldige Hochzeit geben, und damit hatte er ein verdammt großes Problem.

Hannings flüchtete sich in Beschwichtigungen und Ausreden, doch Henry hörte ihm kaum noch zu.

„Dann ist die Vereinbarung zwischen mir und Easthill nichtig“, entschied er und erhob sich.

Seine Gedanken kreisten. Vollkommen versunken ließ er sich seine Garderobe bringen, stieg in die Kutsche und nannte McNeal eine Adresse. Er musste mit jemandem reden, und dafür fiel ihm nur eine einzige Person ein.

 

Kapitel 4

 

Der Butler, der Henry die Tür öffnete und für gewöhnlich keine Miene verzog, erblasste, als Henry sich an ihm vorbei schob und in die Halle marschierte. Im nächsten Moment blieb er irritiert stehen. Geschäftig liefen Dienstboten hin und her, arrangierten Blumenbuketts und wischten den letzten Staub von den Gemälden.

Himmel! Er hatte die Soiree vollkommen vergessen, die am heutigen Abend zu Ehren seiner Nichte Isabella stattfinden würde. Natürlich war er viel zu früh und damit äußerst unpassend in die Vorbereitungen hineingeplatzt. Doch nach dem, was geschehen war, konnte er darauf keine Rücksicht nehmen.

„Ich muss Lady Respron sprechen“, verlangte er und sah einem der Hausmädchen hinterher, das mit einem Korb Kerzen umherging und diese überall aufstellte.

Der überrumpelte Butler holte tief Luft, um ihm zu antworten, kam jedoch nicht dazu.

„Henry?“ Am Treppenabsatz tauchte seine Schwester Francesca, die Countess of Respron, auf. Sie trug ein pinkfarbenes Tüllkleid, das aufwendig mit Blumen bestickt war. Schmuck und Handschuhe fehlten. Die Haare waren eingerollt, und die Lockenhölzer wippten, sobald sie ihren Kopf bewegte.

Langsam kam sie ihm entgegen. „Was machst du schon hier?“

„Tut mir leid!“ Verwirrt fuhr er sich mit der Hand durch das dichte dunkelbraune Haar. Die Hiobsbotschaft hatte ihn ziemlich aus der Bahn geworfen. „Ich komme etwas ungelegen.“

„Allerdings“, stellte seine Schwester fest. Sie blieb vor ihm stehen, stemmte die Hände in die opulente Hüfte und kniff die Augen zusammen. Er wusste, dass die Countess nicht mehr ganz so gut sah, aber ihre Sehhilfe aus purer Eitelkeit ignorierte.

Henry fuhr sich abermals durch das Haar und begann, auf und ab zu marschieren.

„Bevor du Furchen in meinen teuren Steinboden läufst, lass uns in die Bibliothek gehen. Sie ist zwar schon für den Abend vorbereitet, aber wir können die Türen schließen und dort in Ruhe sprechen.“

Dankbar lächelte er Francesca zu. Wie gut sie ihn doch kannte. Ohne auf ihn zu warten, war sie vorausgegangen, und er folgte ihr nun mit großen Schritten. In Respron House war er häufig zu Gast. Francesca war die einzige seiner Schwestern, die ebenfalls in London wohnte. Henry konnte nicht behaupten, dass er eine äußerst innige Beziehung zu seinen Schwestern hatte, die alle deutlich älter waren als er selbst. Doch sie waren Familie, und diese war ihm wichtig.

Als er die Bibliothek betrat, stutzte er kurz. Das weitläufige Zimmer war leergeräumt worden, und anstatt bequemer Sessel und Canapés standen überall kleine Tische und Stühle, an denen später gespielt werden konnte. Dem Raum fehlte die Gemütlichkeit, die er sonst ausstrahlte, aber er wollte ja nur ein paar Minuten mit seiner Schwester sprechen. Geräuschvoll ließ er die Tür ins Schloss fallen.

„Setz dich, Henry“, forderte ihn Francesca auf, die eine der wenigen Personen in London war, die ihn beim Vornamen nannte, und das auch nur, wenn sie unter sich waren.

Jetzt war er doppelt dankbar für die vertraute Anrede. Er war wirklich froh, dass seine Schwester in der Nähe war und dass er jemanden hatte, mit dem er sprechen konnte. Seine Gefühle waren derart in Aufruhr, dass er nicht wusste, wohin mit sich. Die ihm widerfahrene Ungeheuerlichkeit war derart ungeheuerlich, er musste dringend darüber reden, um seine wirren Gedanken zu ordnen und eine Lösung für sein Problem zu finden.

Für gewöhnlich plante er mit allen Eventualitäten, doch das hatte er nicht kommen sehen. Es brachte seine fein säuberlich ausgearbeitete Planung zu Fall, und das war eine Katastrophe.

Mit einem Seufzen ließ er sich an einem der Spieltische seiner Schwester gegenüber nieder. Ohne die Spielkarten, die an der Seite lagen, zu beachten, stützte er die Ellenbogen auf der Tischplatte ab und sah Francesca verzweifelt an.

„Was ist geschehen?“, fragte sie sanft und griff nach seiner geballten Faust.

Henry war unglaublich wütend und zwang sich dazu, Francesca seine Hand nicht zu entziehen, schließlich konnte sie nichts dafür. „Sie ist durchgebrannt.“

Die Countess runzelte die Stirn, wartete aber geduldig ab, bis er fortfuhr.

„Sie ist einfach durchgebrannt. Mit einem anderen Mann.“ Jetzt klammerte er sich an ihre Hand.

„Wer?“

„Louisa“, stieß er entrüstet hervor. „Lady Louisa Bell, meine Verlobte, ist mit einem anderen Mann durchgebrannt und hat mich einfach sitzen lassen.“

„Donnerwetter“, murmelte Francesca und entwand ihm seine Hand, bevor sie sich auf ihrem Stuhl zurücklehnte. „Das Mädchen ist mutig.“

Fassungslos starrte Henry seine Schwester an. „Mutig?“, echote er. „Sie ist dumm, schlichtweg dumm. Ich hätte ihr alles gegeben. Meinen Namen, einen Titel, Ansehen und genug Geld, um ein sorgenfreies Leben zu führen. Aber was macht sie? Sie wirft es einfach weg – für einen Niemand!“

Francesca blieb ruhig und lächelte ihn an. „Ist dein Herz gebrochen, mein Lieber?“

Er hielt inne und starrte sie überrascht an. „Nein, natürlich nicht. Ich bin nur …“

„Wütend“, vollendete sie den Satz, und er nickte zustimmend.

„Wie konnte sie nur“, schimpfte er weiter. „Das ist unfassbar unvernünftig.“

„Die Liebe ist nicht vernünftig“, begann Francesca nachdenklich. „Außerdem glaube ich, dass sie dir einen Gefallen getan hat. Du wärst mit ihr nie glücklich geworden. Das Mädchen hätte dir das Leben schwer gemacht.“

„Sie war die perfekte Wahl“, verteidigte Henry sich.

„So, war sie das? Und was hat sie zur perfekten Wahl gemacht?“

Er überlegte kurz. „Louisa stammt aus einer angesehenen Familie. Nicht übermäßig wohlhabend, aber auch nicht verarmt. Ich komme gut mit ihrem Vater aus.“

Spöttisch zog Francesca eine Augenbraue nach oben.

„Louisa ist sehr zurückhaltend und …“ Dann brach er ab, denn mehr wusste er nicht über seine Braut.

„Nachdem ich nicht davon ausgehe, dass du Lord Easthill heiraten willst, versichere ich dir, du kannst froh sein, dass das Mädchen dumm genug war, das Weite zu suchen.“

Verblüfft starrte Henry seine Schwester an.

„Lady Louisa hat keine Klasse“, erklärte die Countess entschieden.

Auch wenn Henry keine sonderlich innige Beziehung zu seiner Schwester pflegte, liebte er Francesca doch. Aber manchmal verstand er sie einfach nicht.

„Das Mädchen ist nicht nur unmöglich anzusehen. Hast du ihre Kleiderwahl bemerkt?“

Henry runzelte die Stirn und dachte angestrengt nach, doch er konnte sich nicht erinnern. Kleidung gehörte zu jenen Nebensächlichkeiten, die ihm schlichtweg einerlei waren.

„Welche Debütantin trägt dunkelgrün? Und das viel zu dunkle Violett ihres Kleides beim letzten Ball …“ Beinahe persönlich beleidigt rümpfte Francesca die Nase.

Reichlich verwirrt blieb Henrys Blick auf dem überladenen Kleid der Countess hängen, das in einem kräftigen Pink leuchtete.

„Dazu kann das arme Ding nicht einmal ordentlich sprechen.“

Ratlos fragte Henry sich, was sie denn damit schon wieder meinte, und kniff nachdenklich die Augen zusammen.

„Das Kind lispelt.“ Fassungslos schüttelte die Countess den Kopf.

Das deutliche Lispeln war Henry natürlich nicht entgangen, im Gegenteil, er fand es gut, denn dadurch sprach Lady Louisa kaum und ging ihm nicht mit Belanglosigkeiten auf die Nerven.

„Ihre Ausdrucksweise ist wahrlich nicht die beste, aber was will man von einem dummen Ding anderes erwarten.“ Francesca verdrehte die Augen.

Tatsächlich musste er sich eingestehen, dass er seine Verlobte – ehemalige Verlobte, korrigierte er sich schnell – nicht gut genug kannte, um dies beurteilen zu können. Doch war das jetzt noch wichtig? Was auch immer Francesca an weiteren negativen Eigenschaften aufzählen würde, es änderte nichts an dem gravierenden Problem, das er nun hatte.

„Wie auch immer. Vater geht es von Tag zu Tag schlechter. Ich muss dringend heiraten. Verdammt! Was soll ich jetzt tun?“ Er ballte die Fäuste. „Dieses rücksichtslose Frauenzimmer hat meinen gesamten Zeitplan durcheinandergebracht.“

Noch immer die Ruhe selbst, sah Francesca ihn an. „Heute Abend sind ein paar Debütantinnen anwesend. Wenn du so dringend eine Ehefrau brauchst, dann such dir eines dieser jungen Dinger aus.“ Sie legte den Kopf schief und musterte ihn nachdenklich. „Du bist eine gute Partie, Henry. Wärst du nicht mein Bruder, würde ich tatsächlich alles daransetzen, dass du Isabella heiratest.“

Henry verzog das Gesicht. „Sie ist noch ein Kind“, entrüstete er sich.

Allein die Vorstellung, seiner Nichte näherzukommen, war geschmacklos. Abgesehen von seiner verwandtschaftlichen Verbindung war Isabella zwar ein nettes Mädchen, aber seiner Ansicht nach noch viel zu jung zum Heiraten.

„Sie ist eine Debütantin“, korrigierte Francesca ihn. „Ich würde es sehr begrüßen, wenn du heute Abend mit ihr tanzen würdest. Selbstverständlich ist Isabell geistreich und intelligent und ganz anders als all die anderen jungen Damen.“

Der Blick, den er seiner Schwester zuwarf, war vernichtend.

„Das bist du uns schuldig. Wenn du mit ihr tanzt, erregt das Aufmerksamkeit, und die braucht Isabella.“

Henry presste die Lippen fest zusammen. Für derartige Sperenzchen hatte er keine Zeit. Er missbilligte diese endlos langen Abendveranstaltungen, und das geistlose Herumgehopse, das gemeinhin Tanzen genannt wurde, war ihm zutiefst zuwider. Deshalb besuchte er kaum Veranstaltungen, und wenn es sich nicht vermeiden ließ, verbrachte er die Zeit in den Herrenzimmern, in denen manchmal gespielt, aber auch über politische Themen gesprochen wurde.

Worüber sollte er sich mit einer Debütantin unterhalten? Nichtigkeiten, die den Horizont einer jungen Frau nicht überstiegen, interessierten ihn nicht.

Dank Lady Louisas Unvernunft hatte er nun jedoch keine Wahl und würde sich zwangsläufig die Debütantinnen etwas näher anschauen müssen.

„Ich werde dir gern heute Abend die eine oder andere Dame vorstellen“, bot Lady Respron großzügig an. „Ich denke ohnehin, dass eine Witwe besser für dich geeignet ist.“

Entrüstet blickte er Francesca an. „Wie kommst du darauf?“

Gelassen zuckte die Countess mit den Schultern. „Debütantinnen sind jung und leicht zu lenken, aber die meisten von ihnen haben noch kein Format. Du hingegen brauchst eine Frau, die dich herausfordert. Mit einer einfältigen Debütantin langweilst du dich zu Tode.“

Henry räusperte sich entsetzt. „Ich will keine Frau, die mich herausfordert, denn das würde bedeuten, dass ich mich mehr als nötig mit ihr beschäftigen müsste. Ich brauche eine Gattin, die hübsch anzusehen ist, die mich zu wichtigen Veranstaltungen begleitet und meinen Namen in London gut repräsentiert.

---ENDE DER LESEPROBE---