Einführung in das Recht - Eleonora Kohler-Gehrig - E-Book

Einführung in das Recht E-Book

Eleonora Kohler-Gehrig

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Beschreibung

Die Einführung in das Recht ist ein Wegweiser durch die ständig steigende Zahl der Rechtsnormen. Sie zeigt die gesamtgesellschaftliche Aufgabe des Rechts auf, deren Funktion und Arbeitsweise. Sie weist den einzelnen Rechtsnormen ihren Platz in der Gesamtrechtsordnung zu und zeigt ihren Zusammenhang und ihr Zusammenspiel mit andere Rechtsnormen auf. Sie vermittelt grundlegende Kenntnisse zur Rechtsfindung und Rechtsanwendung, die auf allen Rechtsgebieten gleichermaßen von Bedeutung sind. Der Band zeigt in übersichtlicher Weise und verständlich ausgedrückt, dass der Rechtsordnung ein System zugrunde liegt, dem die Rechtsfindung zu folgen hat. Die Einführung in das Recht beschreibt anhand von Beispielen, welcher Methoden sich die Auslegung von Rechtsnormen bedient. bietet das Handwerkszeug für die tägliche Rechtspraxis, um zu klaren und nachvollziehbaren Lösungen von Rechtsfällen zu kommen und damit eine Technik der Rechtsfindung. Diese Kenntnisse vom System des Rechts und der Auslegung der Rechtsnormen sind erforderlich, um zu selbständigem, eigenständigem Denken und überzeugenden Lösungen zu finden.

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Einführung in das Recht

Technik und Methoden der Rechtsfindung

von

Prof. Dr. Eleonora Kohler-Gehrig

2., überarbeitete Auflage

Verlag W. Kohlhammer

2. Auflage 2017

Alle Rechte vorbehalten

© W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Gesamtherstellung: W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Print:

ISBN 978-3-17-032878-5

E-Book-Formate:

pdf: ISBN 978-3-17-032879-2

epub: ISBN 978-3-17-032880-8

mobi: ISBN 978-3-17-032881-5

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Die Einführung in das Recht ist ein Wegweiser durch die ständig steigende Zahl der Rechtsnormen. Sie zeigt die gesamtgesellschaftliche Aufgabe des Rechts auf, deren Funktion und Arbeitsweise. Sie weist den einzelnen Rechtsnormen ihren Platz in der Gesamtrechtsordnung zu und zeigt ihren Zusammenhang und ihr Zusammenspiel mit andere Rechtsnormen auf. Sie vermittelt grundlegende Kenntnisse zur Rechtsfindung und Rechtsanwendung, die auf allen Rechtsgebieten gleichermaßen von Bedeutung sind. Der Band zeigt in übersichtlicher Weise und verständlich ausgedrückt, dass der Rechtsordnung ein System zugrunde liegt, dem die Rechtsfindung zu folgen hat. Die Einführung in das Recht beschreibt anhand von Beispielen, welcher Methoden sich die Auslegung von Rechtsnormen bedient. bietet das Handwerkszeug für die tägliche Rechtspraxis, um zu klaren und nachvollziehbaren Lösungen von Rechtsfällen zu kommen und damit eine Technik der Rechtsfindung. Diese Kenntnisse vom System des Rechts und der Auslegung der Rechtsnormen sind erforderlich, um zu selbständigem, eigenständigem Denken und überzeugenden Lösungen zu finden.

Eleonora Kohler-Gehrig ist Professorin an der Hochschule für öffentliche Verwaltung und Finanzen in Ludwigsburg.

Inhaltsverzeichnis

I.Einführung

II.Rechtswissenschaften

1.Rechtswissenschaft

2.Rechtsphilosophie

3.Rechtstheorie

4.Rechtspolitik

5.Rechtssoziologie

6.Rechtsgeschichte

7.Rechtsvergleichung

III.Aufgaben und Ziele des Rechts

1.Ordnungsfunktion des Rechts

2.Friedensfunktion des Rechts

3.Ziele des Rechts

IV.Rechtsquellen

1.Geschriebenes Recht

2.Gewohnheitsrecht

3.Richterrecht

4.Naturrecht

5.Verträge

6.Verwaltungsakte

7.Verwaltungsvorschriften

V.Einteilung der Rechtsnormen

1.Objektives und subjektives Recht

2.Öffentliches Recht und Zivilrecht

3.Formelles und materielles Recht

VI.Techniken der Rechtssetzung

1.Formulierung der Rechtsnorm

2.Struktur des Rechtssatzes

2.1Anspruchs- und Ermächtigungsgrundlagen

2.2Gegennormen

2.3Hilfsnormen

2.3.1Legaldefinitionen

2.3.2Regelbeispiele

2.3.3Ausfüllende Rechtssätze

2.3.4Einschränkende Rechtssätze

2.3.5Verweisungen

2.3.6Fiktionen

2.3.7Vermutungen

3.Entscheidungsprogramm

4.Allgemeine und spezielle Vorschriften

VII.Die Rechtsfindung

1.Subsumtion

2.Auslegung

2.1Grammatische Auslegung

2.2Systematische Auslegung

2.3Historische Auslegung

2.4Teleologische Auslegung

2.5Ergebnis der Auslegung

2.6Restriktive und extensive Auslegung

2.7Gesetzeserhaltende Auslegung

2.8Interessen- und Güterabwägung

2.9Unbestimmte Rechtsbegriffe und Generalklauseln

2.10Beurteilungsspielraum und Ermessen

3.Rechtsfortbildung

3.1Rechtsfortbildung zur Lückenschließung

3.1.1Analogieschluss

3.1.1.1Arten der Analogie

3.1.1.2Analogie von Ausnahmevorschriften

3.1.2Umkehrschluss

3.1.3Teleologische Reduktion

3.1.4Rechtsergänzung

3.2Rechtsfortbildung contra legem

3.3Grenzen der Rechtsfortbildung

3.3.1Grenzen der Rechtsfortbildung im Strafrecht

3.3.2Grenzen der Rechtsfortbildung für die Exekutive und Judikative

4.Zusammenfassung Rechtsfindung

VIII.Europarecht

1.Auslegung des Europarechts

2.Rechtsfortbildung im Europarecht

3.Gemeinschaftskonforme Auslegung und Rechtsfortbildung des nationalen Rechts

IX.Konkurrenzen

X.Logische Prioritäten

XI.Argumentation im Recht

1.Argumente und Argumentationsfiguren

2.Auseinandersetzung mit Meinungen

3.Verstoß gegen Denkgesetze

XII.Zusammenfassung

Abkürzungsverzeichnis

Definitionen

Literaturverzeichnis

Stichwortverzeichnis

I.Einführung

Wer sich mit Rechtsfragen befasst, Rechtsfälle zu lösen hat, ist versucht, die Antwort in Gesetzen zu suchen. Dabei stößt er auf eine Vielzahl von Rechtsvorschriften, die nur selten in leicht verständlicher Weise formuliert sind, scheinbar zusammenhanglos aneinandergefügt stehen und sich mitunter zu widersprechen scheinen. Bei genauerem Hinsehen lässt sich jedoch ein System erkennen, das der Ausgestaltung von Rechtsvorschriften und Gesetzeswerken zugrunde liegt. Es lässt sich eine Technik erkennen, deren sich der Gesetzgeber bedient, um Antworten auf Rechtsfragen zu geben und bestimmte Rechtsfolgen herbeizuführen. Nicht nur bei der Ausgestaltung von Gesetzen ist ein System anzutreffen, sondern auch der Rechtsfindung liegt ein systematisches Vorgehen inne, das es zu erkennen gilt.

Das vorliegende Buch verfolgt das Ziel, den Studenten und Studentinnen Anleitungen und Hilfen im Umgang mit Rechtsvorschriften zu geben. Diese Anleitungen und Hilfen sind sowohl im öffentlichen Recht wie im Zivilrecht gleichermaßen von Bedeutung. Sie bilden die Grundlage für die Rechtsanwendung in allen Rechtsgebieten. Sie liefern das Handwerkszeug für die Rechtssetzung und Rechtsfindung.

Bei der Rechtssetzung wurden Techniken entwickelt, um die Fülle der Rechtsanwendungsfälle straff und übersichtlich anzuordnen und Techniken, um das Recht flexibel und für die Zukunft offen zu gestalten. Die Kenntnis dieser Techniken ist erforderlich, um selbst Rechtssätze zu schaffen und um Rechtssätze verstehen und anwenden zu können. Es erleichtert den Umgang mit Rechtssätzen, wenn der Rechtssuchende das Strickmuster erkennen kann, das Gesetzeswerken zugrunde liegt und die einzelnen Normen zusammenhält. Diese Kenntnis vom Strickmuster des Rechts erlaubt es, die Vielzahl oftmals nichtssagender Rechtssätze zu einem sinnvollen Ganzen zusammenzufügen.

Wie alle Wissenschaften verwendet auch die Rechtswissenschaft bestimmte Methoden, um sich mit auftretenden Problemen auseinanderzusetzen. Der Psychologe bedient sich der „Couch“, des Fragebogens, des Tests. In allen Wissenschaften wurden Methoden entwickelt, um in nachvollziehbarer Weise zu Erkenntnissen zu gelangen. Methoden dienen der Erkenntnisgewinnung und Wahrheitsfindung in nachvollziehbaren, transparenten Verfahren in den jeweiligen Wissenschaften. Genauso haben sich in der Rechtswissenschaft Methoden herausgebildet, die Anhaltspunkte liefern, in welchen Schritten sich die Anwendung des Gesetzes auf einen Fall vollzieht, welcher Hilfsmittel sich der Rechtsanwender zu bedienen hat. Hierzu zählen Methoden, um einzelne Rechtsnormen verstehen zu lernen, ihnen ihren Platz in der Gesamtrechtsordnung zuweisen zu können und das Zusammenspiel der Rechtsnormen zu begreifen. Die Methodenlehre ist keine Anleitung zur Falllösung. Doch Falllösung setzt Methodenwissen voraus.

Diese Grundkenntnisse sind Voraussetzung dafür, dass die Studierenden das Handwerkszeug für einen selbständigen Umgang mit Rechtsfragen erwerben und in die Lage versetzt werden, sich später in Spezialbereichen des Rechts zurechtzufinden, mit denen sie sich bislang nicht befasst haben. Gerade in Anbetracht der Flut ständig neuer Rechtsnormen, der zunehmenden Kurzlebigkeit von Rechtsvorschriften bedarf es des Wissens um deren Struktur und Funktionsweise.

Die Methodenlehre ist das Eingangstor zur Rechtsanwendung. Sie ist Anleitung zur Rechtssuche und Rechtsgewinnung. Sie trägt dazu bei, die Rechtsanwendung und Rechtsfindung möglichst rational, kontrollierbar und transparent zu gestalten, ihr den Ruf der Willkür und Beliebigkeit zu nehmen. Sie zeigt auf, inwieweit sich Rechtsfindung zwischen Logik und Wertung bewegt. Juristische Methodenlehre ist das Grundlagenfach für die Rechtsanwender.

Die Einführung in das Recht beschränkt sich nicht auf eine Darstellung der Juristischen Methodenlehre im Rahmen der Rechtsanwendung. Wer sich mit Recht befasst, muss sich zum einen die Frage stellen, welchen Platz Rechtswissenschaft zwischen benachbarten Wissenschaften einnimmt und welchen Beitrag diese für die Rechtswissenschaft zu leisten vermögen. Zum anderen schließt sich die Frage an, welche Aufgaben sich einer Rechtsordnung stellen und welche Ziele diese verfolgt. Diese Fragestellungen sind für das Verständnis des Rechts und damit für die Rechtsanwendung von grundlegender Bedeutung. Recht steht im gesellschaftlichen Kontext, steht als Mittler zwischen Menschen und ihren oft gegensätzlichen Interessen. Deshalb wird am Ende des Bandes das Augenmerk auf die Argumentation im Recht und bei der Rechtsfindung gerichtet. Argumentation ist Überzeugungsarbeit.

Der vorliegende Band versteht sich als eine Einführung in das Recht. Es geht darum, Grundzüge und eine Übersicht über die vielfältigen Zusammenhänge und Arbeitsweisen im Recht in einprägsamer Form zu vermitteln. Deshalb kann auf viele Besonderheiten, Ausnahmen und Differenzierungen nicht eingegangen werden. Zu viele Details versperren den Blick auf das Gesamte. Erst wenn die Eckpunkte und Zusammenhänge im Recht erkannt sind, können diese sinnvoll durch Details, Ausnahmen und die Ausnahmen zur Ausnahme ergänzt werden. Weniger ist manchmal mehr. Die Details sind den einschlägigen Werken zu den einzelnen Rechtsgebieten zu entnehmen.

II.Rechtswissenschaften

Das menschliche Zusammenleben und die Gesellschaft werden auf allen Ebenen von Recht und Rechtsnormen erfasst und durchdrungen. Rechtsnormen erfassen den Menschen von der Geburt – dem Erwerb der Rechtsfähigkeit – bis zum Tode – dem Verlust der Rechtsfähigkeit. Es darf deshalb nicht verwundern, dass sich eine Vielzahl von Wissenschaften mit dem Phänomen Recht befassen. Dies sind die

•  Rechtswissenschaft i. e. S.

•  Rechtsphilosophie

•  Rechtstheorie

•  Rechtspolitik

•  Rechtssoziologie

•  Rechtsgeschichte und

•  Rechtsvergleichung.

Sie untersuchen das Recht unter verschiedenen, den ihrer Disziplin eigenen Gesichtspunkten und sind eng miteinander verknüpft. Dieser wissenschaftliche Diskurs hinterfragt die Ausgestaltung des geltenden Rechts und trägt zu seiner Fortentwicklung bei. Es soll aufgezeigt werden, welchen Beitrag sie leisten.

1.Rechtswissenschaft

Die Rechtswissenschaft i. e. S. befasst sich mit dem geltenden Recht, seiner konkreten Ausgestaltung, Wirkungsweise und Anwendung auf dem Weg zur Rechtsfindung. Sie wird auch Dogmatik oder Jurisprudenz genannt. Sie diskutiert offene Rechtsfragen, übt Kritik am geltenden Recht, seiner Wirksamkeit und Überzeugungskraft in Theorie und Praxis. Sie liefert dem Gesetzgeber Kritik und Anregungen zur Fortentwicklung des geltenden Rechts. Sie sorgt dafür, dass die vom Gesetzgeber gestern geschaffenen Gesetze heute ihre Aufgabe zu erfüllen vermögen. Gleichzeitig zeigt sie Politik und Gesetzgebung die Wirkungsweise des Rechts auf und liefert damit Anhaltspunkte für die Schaffung neuer, zukünftiger Gesetze, denen eine zuverlässige Wirkungskraft zukommt und sie öffnet den Blick für Gesetze, denen allenfalls eine Alibifunktion eigen ist ohne echten Gestaltungswillen.

Zur Rechtswissenschaft zählt die Vermittlung von Fachwissen an Hochschulen und in Lehrbüchern. Hier bedarf es der anschaulichen Darstellung und Systematisierung des Rechtsstoffes. Der Rechtswissenschaft kommt hier eine Ordnungsfunktion zu. Die Ordnung durch Systematisierung trägt zur Überschaubarkeit des Rechtsstoffs bei, zum Verständnis für Zusammenhänge. Zur Rechtswissenschaft zählt die Auseinandersetzung mit der Praxis der Gerichte und Behörden in Rechtssachen, deren wegweisende Entscheidungen veröffentlicht und kritisch beleuchtet werden. Damit trägt sie zur Transparenz und Kontrolle der Rechtsfindung und zur kritischen Diskussion bei.

Die Rechtswissenschaft bedient sich gewisser Methoden, um das Verständnis und den Umgang mit dem Recht zu fördern und um Kriterien und Techniken für die Rechtsfindung aufzuzeigen. Die Lehre von den Methoden im Recht versucht, den Vorgang der Rechtsfindung kalkulierbar zu machen und dem Vorwurf der Willkür entgegen zu treten. Der Vorgang der Rechtsfindung soll zu einem rationalen Prozess gemacht werden. Damit trägt sie zur Rechtssicherheit bei. Die Methodenlehre zeigt auf, dass Rechtswissenschaft mehr ist als die Kenntnis von Gesetzen und Urteilen.

Die Methodenlehre ist Teil der Rechtswissenschaft.

Die Methodenlehre ist Rechtsanwendungslehre.

Sie stellt eine Anleitung zur Rechtsgewinnung für den Rechtsanwender bei der Bearbeitung konkreter Rechtsfragen dar. Sie wird bereits an den Hochschulen gelehrt als unabdingbares Handwerkszeug für die Arbeit mit Rechtsnormen zur Rechtsfindung. Sie ist ein Instrument auf der Suche nach der richtigen Entscheidung, die es im Recht nicht immer gibt. Der Rechtsanwender benötigt die Methodenlehre zur systematischen Lösung von Rechtsfällen in der Praxis. Sie bietet ihm die Möglichkeit der Selbstkontrolle. Ihr Ziel ist es, dass Gerichte nach einheitlichen Maßstäben bei der Rechtssuche vorgehen, um gleichgelagerte Fälle gleich zu behandeln. Die Rechtsgewinnung darf nicht dem Zufall und dem Belieben des Gerichts oder der Behörde überlassen bleiben, bei denen die Entscheidung zu fällen ist. Die Rechtswissenschaft kommentiert und kritisiert diese Rechtspraxis, seien es Entscheidungen der Gerichte, der Verwaltung oder der Regierung. Sie durchleuchtet, welche Konsequenzen diese Entscheidungen haben können und zeigt Alternativen zu dieser Entscheidungspraxis auf und erforscht deren Konsequenzen. Sie eröffnet einen ständigen Diskurs im Spannungsfeld zwischen Wissenschaft und Praxis. Die Rechtspraxis liefert ständig neue Fragen- und Aufgabenstellungen. Die Rechtswissenschaft muss unter Beweis stellen, ob sie diese neuen Herausforderungen mit ihrem Handwerkszeug zu bewältigen vermag und wie sich diese mit den bislang gefundenen Lösungsansätzen vereinbaren lassen. Diese Auseinandersetzung mit der Rechtspraxis ist der Spiegel für die Leistungsfähigkeit der Rechtswissenschaft.

Die Rechtswissenschaft i. e. S. wird ergänzt durch eine Reihe von Grundlagenfächern. Diese befassen sich mit der Einbettung des Rechts in Politik und Gesellschaft. Sie leisten einen Beitrag zur Entwicklung des Rechts und tragen zu dessen Verständnis bei.

2.Rechtsphilosophie

Die Rechtsphilosophie ist ein Zweig der Philosophie, der sich mit juristischen Grundsatzfragen befasst. Sie fragt nach dem Sinn des Rechts und den Maßstäben richtigen Handelns. Sie sieht im Recht das Gefüge der Beziehungen der Menschen untereinander und zu den Dingen. Sie erforscht sinngebende Prinzipien wie Gerechtigkeit und Freiheit und sucht nach zeitlosen idealen Werten des Rechts. Ihr Ziel ist Gerechtigkeit, die sie über das Streben nach richtigem Recht zu finden trachtet. Sucht die Rechtsphilosophie auf der einen Seite nach absoluten, zeitlosen Werten, so forscht sie auf der anderen Seite nach Kriterien für die Richtigkeit des Rechts in konkreten gesellschaftlichen Zusammenhängen. In der Rechtsphilosophie finden sich zahllose Strömungen, die mal in extremen Positionen, mal in vermittelnden Lehren anzutreffen sind. Auf der einen Seite steht die Naturrechtslehre, die von einem vorgegebenen zeitlosen göttlichen Recht ausgeht, das über allen Gesetzen steht. Auf der anderen Seite steht der Gesetzespositivismus, wonach der Staat als Souverän die Gesetze erlässt, die so unfehlbar und unumstößlich wie der Souverän selbst sind.1 Der Gesetzespositivismus fand sein Extrem im Unrechtsstaat des Nationalsozialismus. Das Naturrecht führt einerseits zur Erstarrung in einem überkommenen Wertesystem und in der Variante des Vernunftrechts zu einem Glauben an die Vernunftbegabung des Menschen und damit des Richters als Quelle des Rechts. All diese extremen Positionen öffnen der Willkür Tür und Tor. Gleichwohl hat die Naturrechtslehre im Glauben an unverrückbare Menschenrechte breite Zustimmung gefunden.

Die Rechtsphilosophie brachte unterschiedliche und konkurrierende Strömungen im Recht hervor. Sie entwickelte die Begriffsjurisprudenz. Diese will Rechtssätze und Erkenntnisse aus Begriffen durch logische Ableitung entwickeln. Da die juristische Person eine Person ist, ist sie beleidigungsfähig.2 Hingegen fragt die Interessenjurisprudenz nach den Interessen und Zielen, die hinter dem Recht stehen und die gegeneinander abzuwägen sind. Die teleologische Auslegung und die Rechtsfortbildung bedienen sich der Interessenjurisprudenz.

•  Sie hinterfragt Sinn und Zweck des Strafens, der Befugnis einer menschlichen Gesellschaft und des Staates zum Richten über den Täter. Die hieraus entwickelten Strafzwecktheorien haben Eingang in das geltende Strafrecht gefunden.

•  Die Rechtsphilosophie geht von der Grundannahme aus, der Mensch verfüge über ein gewisses Maß an Willensfreiheit. Diese Willensfreiheit ist im Zivilrecht nach §§ 104 ff. BGB und im Strafrecht nach §§ 19 ff. StGB zum Ausgangspunkt für die Verantwortlichkeit im Recht geworden.

Wie die Rechtsphilosophie fragt die Methodenlehre nach Sinn und Zweck des Rechts, den durch das Recht zu bewältigenden Aufgaben. Hat die Rechtsphilosophie das Recht als Ganzes im Blick, so geht es der Methodenlehre um die Rechtsanwendung im Einzelnen. Die Methodenlehre strebt nach Lösungsstrategien, die die Grundwerte menschlicher Gesellschaft wie Gerechtigkeit und Freiheit im konkreten Fall wahren, sie hinterfragt gefundene Lösungen anhand dieser Grundwerte. Die Lösung von Rechtsfragen lässt sich jedoch nicht schlechthin auf solche Grundwerte reduzieren.

3.Rechtstheorie

Die Rechtstheorie bewegt sich zwischen Rechtsphilosophie und Rechtswissenschaft. Sie hat sich aus der Rechtsphilosophie entwickelt. Im Gegensatz zur Rechtsphilosophie grenzt sie die Frage nach allgemeinen Grundwerten wie der Gerechtigkeit, einem allgemeinen sinngebenden Prinzip weitgehend aus, da solche keiner allgemeinen wissenschaftlichen Erforschung zugänglich seien. Sie will das Recht theoretisch beschreiben und geht dabei weitestgehend ohne Rücksicht auf die konkrete Rechtslage und ohne Bezug zum geltenden Recht vor. Sie sucht nach Grundstrukturen von Rechtssätzen und Grundbegriffen, die allen Rechtsgebieten gemeinsam sind wie Rechtspersönlichkeit, Handlung als positives Tun und Unterlassen, subjektives Recht.3

•  So beschreibt sie das Eigentum als ein Recht. Mit dieser abstrakten Kategorie kann dessen Wirkweise jederzeit dargestellt werden, unabhängig davon wie der Gesetzgeber Erwerb, Inhalt und Umfang des Eigentums aktuell ausgestaltet hat.

Sie entwickelt generelle Aussagen, was Recht ist und wie Recht wirkt, wobei die inhaltliche Richtigkeit, Fragen der Gerechtigkeit zurückgestellt werden. Sie fragt danach, welche Auswirkungen Recht auf die Gesellschaft hat. Sie entwickelt Arbeitsanweisungen auf hohem Abstraktionsniveau, wie die Rechtswissenschaft bei der Erfassung und Strukturierung des Rechts vorgehen kann und soll. Damit trägt sie zur Einheit der Rechtsordnung bei.

Sie befasst sich mit logischen Strukturen im Recht wie die Rechtsnormstruktur „Wenn – Dann“ (wenn jemand einen anderen schuldhaft verletzt, dann wird er bestraft). Diese Rechtsnormstruktur kann überall im Recht verwendet werden. Sie wird auf allen Gebieten des geltenden Rechts angewandt und führt zu sachlich nachvollziehbaren Ergebnissen.

Die Methodenlehre greift auf solche von der Rechtstheorie entwickelten Erkenntnisse und Arbeitsanweisungen zurück, soweit sie bei der Arbeit mit dem geltenden Recht dienlich sind. Sie erlangt hierdurch ein Instrumentarium, das unabhängig vom jeweiligen Rechtsstoff und trotz Wandel der Norminhalte eingesetzt werden kann.

4.Rechtspolitik

Die Rechtspolitik fragt nach den politischen Akteuren, deren Absichten, Streben und Entscheidungen. Sie befasst sich mit dem Einfluss und dem Wirken politischer Parteien und gesellschaftlicher Interessengruppen bei der Entwicklung des Rechts. Die Rechtspolitik hinterfragt, welche politischen Ziele mit dem Recht verfolgt werden sollen, ob das Recht in den Dienst wirtschaftlicher oder sozialer Interessen gestellt werden soll.

Regierungen bedienen sich Rechtsnormen zur Durchsetzung ihrer politischen Programme, zur Gestaltung von Wirtschaft und Gesellschaft.4 Mit Rechtsnormen wird versucht, politische und gesellschaftliche Entwicklungen zu steuern. Die Politik, ob nun Regierung, Parlamente, Parteien und Verbände tragen zur Gestaltung des Rechts bei und das Recht, insbesondere das Verfassungsrecht setzt diesen Akteuren Grenzen. Die Entscheidungsträger in Staat und Gesellschaft verfolgen politische Interessen und Ziele. Für deren Durchsetzung und Gestaltung bietet ihnen das Rechtssystem verschiedene Möglichkeiten, wie diese umzusetzen sind.

•  Das GG schränkt mit der Vertragsfreiheit in Art. 2 Abs. 1 GG und der Koalitionsfreiheit in Art. 9 Abs. 3 GG die Eingriffsmöglichkeiten der Exekutive ins Wirtschaftsleben ein.

•  Das konstruktive Misstrauensvotum nach Art. 67 GG und die Vertrauensfrage nach Art. 68 GG zeigen Möglichkeiten auf, wie Parlament und Regierung auf veränderte Machtverhältnisse reagieren können.

Gegenstand der Rechtspolitik ist obendrein die Frage, mit welchen rechtlichen Instrumenten auf gesellschaftliche und politische Herausforderungen reagiert werden soll und kann. Sie fragt nach Steuerungsinstrumenten und Steuerungswirkungen im Recht. Den politischen Akteuren steht eine gewisse Entscheidungs- und Gestaltungsfreiheit zur Seite, welche Ziele erstrebenswert sind und welche Mittel zur Zielerreichung eingesetzt werden sollen. Umweltschutz kann auf verschiedenen Wegen angestrebt werden. Schädliches Verhalten kann durch Verbote oder Abgaben sanktioniert werden. Förderliches Verhalten kann belohnt werden durch Zuschüsse oder Minderung von Steuern und Abgaben. Schließlich können all diese Instrumente gekoppelt werden. Umgekehrt ist juristische Argumentation von rechtspolitischen Erwägungen geleitet.

5.Rechtssoziologie

Die Rechtssoziologie untersucht den Wirkungszusammenhang und die Abhängigkeit von Recht und Gesellschaft, die Macht und Ohnmacht des Rechts in der Gesellschaft. Sie versteht Normen als Instrument sozialer Kontrolle und zeigt deren Wirkungsweise und Effizienz auf. Sie untersucht den sozialen Hintergrund des geltenden Rechts im Zuge seiner Normierung und Umsetzung und fragt nach der Rolle des Rechts im Ablauf sozialer Prozesse. Sie erforscht Veränderungen in der Gesellschaft und deren Akzeptanz. Sie untersucht, inwieweit das Recht soziale Ungleichheiten und Diskriminierungen zu mildern oder zu verstärken vermag. Die empirischen Sozialwissenschaften durchleuchten die Realität des Rechts, die Rechtspraxis und die Funktionsweise des Rechts. Sie befassen sich mit der Frage, unter welchen Bedingungen und inwieweit das Recht in der Realität beachtet wird und ob die Organisation von Institutionen wie Parlamenten und Gerichten sich auf die Entstehung von Recht und seine Umsetzung auswirken.

•  Die Rechtssoziologie untersucht die Ursachen und Wirkungen abweichenden Verhaltens und leistet damit einen Beitrag zum materiellen Strafrecht, dem Strafvollzug und der Kriminologie. Sie liefert Erkenntnisse zur Wirkungsweise von Strafen, zur Vorbeugung und der Wirkungsweise sozialer Kontrolle.

•  Sie leistet Rechtstatsachenforschung, indem sie bei Entscheidungen nach § 1671 BGB zum Sorgerecht bei Getrenntleben der Eltern, den Gerichten Anhaltspunkte zu den sozialen Beziehungen innerhalb einer Familie, zu Eltern und Geschwistern liefert. Rechtstatsachenforschung wird bei den Organisationsformen in Handel, Wirtschaft und bei der Abwicklung von Masseverkehren betrieben.

•  Sie erforscht die sozial-familiären Beziehungen bei offener oder anonymer Samenspende, die Motivation der Beteiligten, die Konsequenzen für das Kind.

•  Sie untersucht Gewohnheiten, Überzeugungen und Wertvorstellungen, wenn das Recht wie in §§ 346 HGB, 826 BGB, 44 Abs. 2 Nr. 6 VwVfG auf Gewohnheiten und Sitten abstellt.

•  Sie untersucht, welche Bedeutung die soziale Herkunft des Rechtsanwenders für sein Rechtsverständnis hat. Hieraus leitet sich die Aufgabenstellung an die Methodenlehre ab, einen Beitrag zu einer verobjektivierten, nachvollziehbaren Bindung des Rechtsanwenders an Gesetz und Recht zu leisten, als Gegengewicht zur subjektiven Prägung.5

Sollen Rechtswissenschaften die Gesellschaft und ihre Mitglieder lenken und überzeugen kommt ihnen die Aufgabe anwendungsorientierter Sozialwissenschaften zu.

6.Rechtsgeschichte

Die Rechtsgeschichte beleuchtet rückblickend die Wurzeln des Rechts und den historischen Werdegang des Rechts. Das geltende Recht ist geprägt von seiner Entstehungsgeschichte, den Herausforderungen und Denkweisen, die die Gesellschaft zum Zeitpunkt seiner Entstehung bewegten. Sie befasst sich mit den sozialen, ökonomischen und geistesgeschichtlichen Hintergründen des Rechts. Die Gegenwartsprobleme des Rechts haben oftmals ihre Ursache in der Vergangenheit. Die Kenntnis der Rechtsgeschichte schärft das Verständnis für das geltende Recht.

•  Die Selbstverwaltungsgarantie der Gemeinden in Art. 28 Abs. 2 GG ist durch die geschichtliche Entwicklung und die verschiedenen Erscheinungsformen der Selbstverwaltung geprägt.6

Die Methodenlehre schöpft aus der Rechtsgeschichte wichtige Anhaltspunkte bei der historischen Auslegung von Rechtsnormen und bei der Rechtsfortbildung. Bei der Suche nach der Bedeutung von Rechtsnormen ist die Kenntnis der historischen Rahmenbedingungen, ihre Entstehung und Ausformulierung hilfreich. Rechtsnormen stehen in einem sozialen und gesellschaftspolitischen Kontext. Der Blick auf diese historischen Rahmenbedingungen eröffnet das Verständnis darauf, welche Vorstellungen den Gesetzgeber damals geleitet haben, welcher Wandel sich seither in der Gesellschaft vollzogen hat und wie das Recht sich diesem Wandel stellt. Rechtsgeschichte zeigt die Entwicklungslinie von Gesetzen auf.

7.Rechtsvergleichung

Die Rechtsvergleichung befasst sich mit dem Recht anderer Staaten, Rechtskreise und Kulturen. Der Vergleich kann Anregungen für die Gestaltung und Fortentwicklung des nationalen Rechts liefern. Die Rechtsgeschichte liefert zahllose Beispiele für die Entlehnung fremden Rechts und die Übertragung von Rechtsstoff anderer Staaten und Kulturen in das deutsche Recht. Hierzu zählt die Rezeption römischen Rechts. Aus dem Vergleich können Problemlösungsstrategien entwickelt werden. In Zeiten der Globalisierung, zunehmender Mobilität der Menschen und grenzüberschreitendem Verkehr darf der Blick auf die Rechtslage und die Rechtsentwicklung anderer Staaten nicht verschlossen werden. Deshalb spielt die Rechtsvergleichung im Europarecht eine besondere Rolle.

•  Das im Jahr 2002 erlassene Gewaltschutzgesetz profitierte von Erfahrungen und Regelungen in Österreich.

•  Im Kartellrecht wird auf das amerikanische Recht zurückgegriffen, das Vorbild- und Vorläuferfunktion für zahlreiche andere Staaten hatte.7

Es liegt für die Methodenlehre nahe, bei der Auslegung und Anwendung von Normen, die Parallelen in anderen Rechtsordnungen haben, ebenfalls Vergleiche anzustellen. Zeigen sich Lücken im geltenden Recht, kann die Rechtsvergleichung Anhaltspunkte liefern, wie diese sachgerecht und systemkonform zu schließen sind. Die Existenz und Tragweite allgemeiner Regeln des Völkerrechts nach Art. 25 GG werden vom BVerfG aus der Praxis der Regierungen, der Gesetzgeber und der Gerichte anderer Staaten entwickelt. Der Europäische Gerichtshof leitet allgemeine Rechtsgrundsätze des Europarechts aus der Rechtspraxis der Mitgliedsstaaten her.8 Zunehmende Verschränkungen im Raum der Europäischen Union fördern den Ruf nach einer Angleichung der Verwaltungsverfahren in den Mitgliedstaaten. Rechtsvergleichende Erkenntnisse können zur Optimierung beitragen.9

III.Aufgaben und Ziele des Rechts

Das Recht verfolgt verschiedene Aufgaben. Zum einen kommt ihm eine Ordnungsfunktion zu. Menschliches Verhalten soll mittels Geboten und Verboten gesteuert werden.10 Es begründet Rechte und Pflichten des einzelnen Rechtssubjekts. Die Effektivität des Rechts hängt entscheidend davon ab, dass seine Durchsetzung und Einhaltung sichergestellt werden können, staatliche Organe über seine Einhaltung wachen und dem Recht zur Durchsetzung verhelfen. Aber auch die staatlichen Organe sind an das Recht gebunden. Das Recht beschränkt ihre Autorität und Willkür. Indem die Durchsetzung des Rechts staatlichen Organen und nicht Privaten anheimgestellt ist, verfolgt das Recht eine Friedensfunktion. Das staatliche Gewaltmonopol verdrängt Faustrecht und Fehde.

1.Ordnungsfunktion des Rechts

Das Recht regelt ebenso wie Sitte und Moral menschliches Verhalten. Wer gegen die Sitten als äußerer Verhaltenskodex verstößt wird mit sozialer Verachtung bestraft. Wer gegen die Moral als inneres Leitprinzip für Verhalten verstößt, den bestraft sein Gewissen. Recht setzt wie die Sitten an äußeren Gegebenheiten und Verhaltensweisen an. Diese werden mit Rechtsfolgen verknüpft, die mit staatlichem Zwang und nicht alleine mit sozialen Mechanismen durchgesetzt werden können. Das Recht funktioniert am besten, wenn es sich mit den Geboten von Sitte und Moral deckt. Es wird sodann von inneren und äußeren Leitbildern gestützt und bedarf im Alltag nur geringer Überwachung und Kontrolle. In der vielgestaltigen, pluralistischen und dynamischen Gesellschaft des 21. Jahrhunderts können Sitte und Moral nur wenige Bereiche des menschlichen Verhaltens und Zusammenlebens erfassen und zur Verhaltenssteuerung durch Recht hinzutreten. Es hat weithin eine Trennung zwischen Recht auf der einen Seite, Sitte und Moral auf der anderen Seite stattgefunden.11Moralapostel wurde zum Schimpfwort erhoben. Jemand moralisiere wird zum Vorwurf.

Diese Verhaltenssteuerung unterscheidet sich von Regelungsprozessen, mit denen sich Naturwissenschaften und Technik befassen. Diese bedienen sich natürlicher Kausalketten, um gewünschte Erfolge herbeizuführen: Drückt man auf den Lichtschalter, geht das Licht an.

Moral (Sittlichkeit)

Sitte

Recht

Adressat

Der einzelne Mensch

Allgemeinheit oder allgemein bestimmter Personenkreis

Allgemeinheit oder allgemein bestimmter Personenkreis

Appell an

Die innere Gesinnung, die sich in einem äußeren Verhalten bewähren soll

Das äußere Verhalten

Das äußere Verhalten; „Fürs Denken wird keiner gehenkt.“

Forderung

Nächstenliebe, Demut, Bereitschaft, Böses mit Gutem zu vergelten; „Du sollst nicht hassen“; „Du sollst Deinen Nächsten lieben wie Dich selbst“.

Einhaltung der Anstandsregeln und Umgangsformen (Gruß, Anrede, Tischsitten, Weihnachtsgeschenke, Gastfreundschaft etc.)

Einhaltung der Rechtsnormen; „Du sollst nicht töten, stehlen, betrügen.“

Quelle

Ethik, Religion, Philosophie und abendländische Kultur

Tradition, Kultur, gesellschaftlicher Brauch

Vor allem das geschriebene Recht und das Gewohnheitsrecht

Maßgebend für die Beurteilung des einzelnen Verhaltens

Allein die Gesinnung und Absicht des Handelnden; „Innerlichkeit der Moral“

Gesellschaftliche Anschauung, die ständigem Wechsel unterliegt; „Äußerlichkeit der Sitte“

Die Rechtsnorm;

„Äußerlichkeit des Rechts“

Sanktion bei Verstößen

Gewissen; Furcht vor Gottes Strafe; Hoffnung auf Vergebung

Gesellschaftliche Missachtung, gesellschaftliche Nachteile

Macht zur Durchsetzung und Erzwingung

Menschliches Verhalten gehorcht keinen vergleichbaren Kausalketten. Menschlichem Handeln liegt kein strenger Kausalprozess zugrunde. Die Menschen haben die Fähigkeit, sich nach ihrer Willensentscheidung in die eine oder andere Richtung zu wenden. Diese Entscheidungen können durch Gebote oder Verbote beeinflusst werden. Rechtssätze enthalten solche Gebote und Verbote. Sie wollen Willensentscheidungen und Verhalten steuern. Deshalb ist vielen Rechtssätzen das Konditionalprogramm „Wenn“ (Tatbestand) – „Dann“ (Rechtsfolge) eigen. § 223 Abs. 1 StGB bestimmt: Wer eine andere Person körperlich misshandelt oder an der Gesundheit beschädigt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

Wer nicht bestraft werden will, sollte tunlichst keinen Straftatbestand erfüllen. Motivation erfolgt im Strafrecht durch die Angst vor Strafen. Motivation kann andererseits durch Wohltaten erfolgen, die für ein erwünschtes Verhalten gewährt werden, wie Steuervorteile für die Schaffung neuen Wohnraums in Zeiten von Wohnraumknappheit. Dahinter steht nicht nur der Gedanke einer Ordnung der Gesellschaft durch Recht, dahinter tritt gar der Versuch der Steuerung der Gesellschaft hervor. Diese Rechtsgestaltung wird begleitet von der Vorstellung, der Mensch als vernunftbegabtes Wesen füge sich den Geboten des Rechts und der Rechtsordnung, um seine Lebensbedingungen in der Gesellschaft zu steuern und fortzuentwickeln. Die technischen und sozialen Veränderungen der letzten Jahrzehnte haben die Komplexität der Gesellschaft gesteigert. Die Meinungs- und Interessenvielfalt steigt beständig. Die Grenzen für menschliches Handeln und Wollen rücken in immer weitere Ferne. Dem Recht kommt hierbei eine Integrationsfunktion zu, um nicht dem laissez-faire und dem Kampf aller gegen alle Tür und Tor zu öffnen. Es setzt rechtliche Grenzen für das Dürfen und bietet Verfahren für die Schlichtung von Streitigkeiten.

Neben der Verhaltenssteuerung des Einzelnen beinhaltet das Recht eine Entscheidungssteuerung für die mit der Rechtsfindung, Rechtsentscheidung befassten Instanzen wie Behörden und Gerichte. Auch diese Instanzen sind an die Rechtssätze gebunden. Diese Bindung bedeutet für den einzelnen Kalkulierbarkeit und Vorhersehbarkeit der Behörden- und Gerichtsentscheidungen. Sie bedeutet Freiheit vor staatlicher Willkür. Die Entscheidungssteuerung bewirkt Rechtssicherheit für die Betroffenen. Der Einzelne kann sein Verhalten zu dem Zweck steuern, bestimmte Entscheidungen herbeizuführen oder um Entscheidungen zu vermeiden. Dem kommt gerade im Strafrecht eine große Bedeutung zu. Die Normadressaten müssen vorhersehen können, welches Verhalten verboten und mit Strafe bedroht ist und welches Verhalten nicht.12 Diese Vorhersehbarkeit ist zugleich eine Garantie für die persönliche Freiheit und Rechtssicherheit. Gerade weitreichende wirtschaftliche Entscheidungen können nur sinnvoll getroffen werden, wenn die hieraus erwachsenden Rechtsfolgen eindeutig ablesbar sind, wenn vorhersehbar ist, welche Behördenentscheidungen eingeholt werden müssen und welchen Inhalt diese haben werden. Verhaltenssteuerung und Entscheidungssteuerung stehen in einer engen Wechselwirkung. Die Entscheidungssteuerung tritt auch bei den Normen hervor, die nicht als Konditionalprogramm, sondern als Zweckprogramm gestaltet sind: Art. 20 Abs. 1 GG erhebt das Sozialstaatsprinzip zum Zweckprogramm für Gesetzgeber und Verwaltung. § 1 Abs. 5 BauGB bestimmt die Ziele der Bauleitplanung. Diese Zweckprogramme bestimmen gleichermaßen staatliche Entscheidungen. Sie legen fest, welche Ziele und Zwecke bei der Entscheidung zu beachten sind.

Ein wirksames Recht setzt voraus, dass seine Normen von den Rechtssubjekten befolgt werden und widrigenfalls auch gegen deren Willen durchgesetzt werden können. Dieser staatliche Zwang motiviert entscheidend das menschliche Verhalten. Rechtstechnisch funktioniert diese Normgarantie dadurch, dass zu den Rechtssätzen – die Gebote und Verbote, Rechte und Pflichten beinhalten (materielles Recht) – Verfahrensvorschriften hinzutreten (formelles Recht), die die Durchsetzung in einem staatlich organisierten Erzwingungsverfahren garantieren. Wer einen anderen körperlich misshandelt wird gemäß §§ 223, 229 StGB in einem Strafverfahren mit einer Strafe belegt, damit er in Zukunft ein solches nicht wieder tut und damit auch andere davon abgehalten werden, ein solches zu tun. Ist der Schädiger nicht bereit, dem Misshandelten Ersatz des entstandenen Schadens zu leisten, kann der Misshandelte vor den Zivilgerichten Klage auf Schadensersatz erheben. Im Urteil wird der zu zahlende Schadensersatzbetrag festgestellt. Leistet der Schädiger noch immer nicht freiwillig, kann der Misshandelte die Zwangsvollstreckung aus dem Urteil einleiten. Wird ein Bauantrag von der Verwaltung abgelehnt, kann der Antragsteller im Widerspruchs- und Klageverfahren, die Entscheidung der Verwaltung überprüfen lassen. Deshalb wird die Verwaltung bei ihrer Entscheidung deren Rechtmäßigkeit bedenken. Die Kontrollerwartung beeinflusst das Verwaltungshandeln.13

Die Einführung des formellen Rechts zum Zwecke der Durchsetzung des materiellen Rechts führte zur Abschaffung der Selbsthilfe in der Geschichte des Rechts. Die Selbsthilfe wurde durch die Rechtssetzung der Gerichte und Behörden und die Zwangsvollstreckung abgelöst. Selbsthilfe ist nur noch ausnahmsweise nach §§ 227 ff., 859 BGB, §§ 32 ff. StGB erlaubt.

Die Ordnungsfunktion des Rechts strebt nach

•  Verhaltenssteuerung

•  Entscheidungssteuerung

•  Normgarantie.

2.Friedensfunktion des Rechts

Soweit die Durchsetzung des Rechts einem staatlich organisierten Erzwingungsverfahren anvertraut ist, beinhaltet es eine Absage an Selbstjustiz und Faustrecht. Diese Friedensfunktion liegt dem Zivilrecht und dem Strafrecht zugrunde. Nur ausnahmsweise darf jemand in Notwehr- und Selbsthilfesituationen nach §§ 227 ff., 859 BGB, 32 ff. StGB Gewalt gegen Dritte ausüben. Ansonsten wird er darauf verwiesen, seine Rechte unter Einschaltung staatlicher Stellen geltend zu machen und durchzusetzen. Diese Normgarantie, die die Einhaltung der Rechtsvorschriften durch ein staatliches Erzwingungsverfahren gewährleistet, ist eine elementare Voraussetzung für die Friedensfunktion des Rechts.

•  Hat der Vermieter dem Mieter wegen Mietrückständen gekündigt, darf er den Mieter nicht eigenmächtig aus der Wohnung räumen oder ihm den Zugang verwehren. Der Vermieter muss den kosten- und zeitaufwändigen Weg der Räumungsklage und Zwangsräumung durch den Gerichtsvollzieher beschreiten.

Das Recht dient dem Rechtsfrieden und der Rechtssicherheit. Diese Friedensfunktion des Rechts hängt aber nicht alleine von der Effektivität des staatlichen Gewaltmonopols ab, d. h. von der Durchsetzung in einem staatlich organisierten Erzwingungsverfahren.

Das Recht funktioniert am besten, wenn es von einer allgemeinen Rechtsüberzeugung getragen wird, es als gerecht empfunden wird.14 Nur als gerecht empfundene Normen finden Akzeptanz und werden verinnerlicht. Gerechtigkeit, was auch immer das zu bedeuten vermag, ist ein Grundanliegen menschlichen Strebens und staatlicher Ordnung. Die erforderliche Kontrolldichte durch den Staat kann sich auf ein Minimum beschränken. Verkörpert das Recht eine allgemein akzeptierte Wertordnung, wird auch das Recht von einer breiten Überzeugung getragen und seine Einhaltung als Selbstverständlichkeit empfunden.

Von einer breiten Rechtsüberzeugung getragen sind Rechtsnormen, die mit Sitte und Moral in Einklang stehen. Das Moralgebot „Du sollst nicht töten“ hat Eingang in die §§ 211 ff. StGB gefunden. Der Aufwand zur Verhütung von Tötungsdelikten und zur Ahndung von Zuwiderhandlungen ist weitaus geringer als der Einsatz zur Reglementierung und Ahndung verbotswidrigen Parkens und Haltens im Straßenverkehr. Geht es doch im letzteren Fall um eine weit verbreitete Unsitte, bei der den einzelnen Autofahrer kein Unrechtsbewusstsein plagt.

Es darf nicht verwundern, dass der Gesetzgeber in zahlreichen Vorschriften an die von Sitte und Moral getragene Rechtsüberzeugung anknüpft.15

•  So erteilen § 138 BGB und §§ 44, 59 VwVfG Willenserklärungen, Verwaltungsakten und öffentlich-rechtlichen Verträgen eine Absage, die gegen die guten Sitten verstoßen. Diese sind allesamt nichtig.

•  § 346 HGB knüpft an Handelsbräuchen – den Sitten unter Kaufleuten – an.16

Zahlreiche Rechtsvorschriften haben sich gewohnheitsrechtlich aus Sitte und Moral entwickelt. Recht, Sitte und Moral bilden die Sozialordnung einer Gesellschaft.

•  Das Verbot der Bigamie im Ehe- und Strafrecht ist von einer jahrhundertealten Rechtsüberzeugung getragen.

•  Dasselbe gilt für die Strafbarkeit von Mord und Totschlag.17

Die Rechtsüberzeugung als Fundament einer funktionierenden Rechtsordnung findet ihre Entsprechung im Demokratieprinzip. Das Demokratieprinzip legitimiert die gewählte Mehrheit zur Schaffung von Rechtsnormen. Dies geschieht in der Erwartung, dass die Rechtsüberzeugung dieser Mehrheit die Rechtsüberzeugung der Rechtsunterworfenen wiederspiegelt.

Ein funktionierendes Recht setzt obendrein voraus, dass es zweckmäßig und praktikabel ist. Zweckmäßigkeit und Praktikabilität stellen eine Garantie für die Befolgung des Rechts dar. Dies wird besonders deutlich bei Vorschriften mit einer simpel einleuchtenden Ordnungsfunktion, die keine Gerechtigkeitsentscheidung enthalten. Das Rechtsfahrgebot des § 2 Abs. 1 StVO ist solch eine reine Ordnungsvorschrift. Ihre Befolgung ist schon weithin ins Unterbewusstsein übergegangen. Sie verfolgt die Aufgabe, Begegnungszusammenstöße zu verhindern. Derselbe Erfolg ließe sich auch erreichen, wenn an manchen Tagen rechts und anderen Tagen links gefahren werden müsste. Eine solche Regelung wäre jedoch höchst unzweckmäßig, da sie nicht über das Unterbewusstsein steuerbar wäre.

Die Friedensfunktion des Rechts hängt ab von

•  der Effektivität des staatlichen Gewaltmonopols

•  seiner Akzeptanz

•  seiner Zweckmäßigkeit und Praktikabilität.

3.Ziele des Rechts

Zu den Aufgaben des Rechts zählt primär die Ordnungs- und Friedensfunktion. Um diese Aufgaben erfüllen zu können, zielt das Recht auf

•  Rechtssicherheit

•  Gerechtigkeit

•  Zweckmäßigkeit.

Gerechtigkeit ist ein objektiv kaum fassbarer, subjektiv idealisierter Begriff. Die Vorstellung von Gerechtigkeit wandelt sich von Zeit zu Zeit und von Ort zu Ort. Sie umreißt eine gesellschaftlich und kulturell geprägte Idealvorstellung, die bei näherer Betrachtung eine höchst emotional geladene Vielseitigkeit und Vielschichtigkeit aufweist.18 Gerechtigkeit tritt vielgestaltig auf als

•  ausgleichende Gerechtigkeit, d. h. Strafe als Vergeltung, Schadensersatz zum Ausgleich von Schäden,

•  verteilende Gerechtigkeit, die sich nach dem Gleichheitsprinzip, dem Beitragsprinzip und dem der Bedürftigkeit richten kann,

•  verpflichtende Gerechtigkeit, wie Art. 14 Abs. 2 GG Eigentum verpflichtet und

•  Gerechtigkeit durch Verfahren.

Diese verschiedenen Ausprägungen der Gerechtigkeit können in Widerspruch zueinander treten. Die Gerechtigkeit durch Verfahren ist ein schwacher Trost für diejenigen, die ihre Ziele und Interessen im Verfahren nicht realisieren konnten. Nicht umsonst sagt mancher Richter: Bei mir bekommen Sie keine Gerechtigkeit, sondern ein Urteil. Im Idealfall konkurrieren diese drei Ziele miteinander. Die Vorfahrtsregel „Rechts vor Links“ des § 8 Abs. 1 Satz 1 StVO erfüllt – durch ihre Eindeutigkeit und Klarheit – das Gebot der Rechtssicherheit. Gerade weil diese Regel eindeutig und einprägsam ist, nur ein Minimum an Orientierung verlangt, ist sie zweckmäßig. Zwar ist es keine Frage der Gerechtigkeit, ob nun „Rechts vor Links“ gilt oder „Links vor Rechts“. Jedoch wird es weithin als gerecht empfunden, dass bei Unfällen als Folge von Vorfahrtsverletzungen dem Geschädigten ein Schadensersatzanspruch zusteht.

Diese drei Ziele können in ein Spannungsverhältnis treten. Die klaren Altersgrenzen der §§ 19, 176 StGB, 104 Nr. 1, 828 Abs. 1 und 2 BGB stehen im Dienste der Rechtssicherheit und Zweckmäßigkeit. Der Rechtsanwender muss nicht in jedem Einzelfall die Reife des Kindes erforschen. Um die Reife eines betroffenen Kindes zu erforschen, müsste der Rechtsanwender zumeist sachkundige Dritte heranziehen. Zur Vermeidung dieser Zweifelsfragen griff der Gesetzgeber zu starren Altersgrenzen ohne Rücksicht darauf, ob diese im Einzelfall als gerecht empfunden werden. Zur Rechtssicherheit zählen die Vorschriften über die Verjährung. Der Gläubiger einer verjährten Forderung und das Opfer einer verjährten Straftat zweifeln an der Gerechtigkeit. Nicht umsonst heißt es Wer Normen sät, kann keine Gerechtigkeit ernten.