Einführung in die Allgemeine Psychotherapie und Seelsorge - Michael Dieterich - E-Book

Einführung in die Allgemeine Psychotherapie und Seelsorge E-Book

Michael Dieterich

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Beschreibung

Dieses Buch liefert wichtige und unverzichtbare Grundlagen für alle, die biblisch-therapeutische Seelsorge betreiben. Es verschafft einen Überblick über die gängigen Therapieschulen und leitet zu kompetenter und verantwortungsvoller Arbeit in der Seelsorge an.

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Michael Dieterich

Einführung in die Allgemeine

Psychotherapie und Seelsorge

Michael Dieterich

Einführung

in die Allgemeine

Psychotherapie und Seelsorge

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2. Auflage 2009

© 2001 SCM R.Brockhaus im SCM-Verlag GmbH Co. KG, Witten

Umschlag: Krausswerbeagentur.de, Herrenberg

Satz: QuadroMedienService, Bergisch Gladbach-Bensberg

Druck: Jesusbooks, Großburgwedel

ISBN 978-3-417-21945-6 (E-Book)

ISBN 978-3-417-24702-2 (lieferbare Buchausgabe)

Bestell-Nr. 224.702

Datenkonvertierung E-Book:

Fischer, Knoblauch & Co. Medienproduktionsgesellschaft mbH, 80801 München

VORWORT

Einige Zeit ist schon vergangen, seit ich mit den ersten Zeilen zu diesem Buch begonnen habe, mit der Absicht, die Erfahrungen der letzten 20 Jahre meiner Tätigkeit als Seelsorger und Psychotherapeut zusammenzutragen. Die Inspiration hierzu gab der von mir sehr geschätzte Seelsorger Prof. Werner Jentsch. Kurz vor seinem Tode sagte er bei einem Gespräch in München: »Schreiben Sie doch nicht nur ab, wie das so viele Hochschullehrer tun, sondern veröffentlichen Sie auch mal ein Buch, das von Ihnen selbst stammt …«

Leichter gesagt als getan, dachte ich, denn wie kann man im akademischen Betrieb überleben, wenn man nicht vorab in einem historischen Rückblick möglichst umfassend zusammenträgt, was es auf dem Fachgebiet schon gegeben hat. Und: Sollte es bei einer doch schon so etablierten Disziplin wie der Psychotherapie bzw. der Seelsorge überhaupt noch Neuigkeiten geben?

Ich habe für dieses Buch einen Kompromiss geschlossen: Es sollen sowohl die bekannten Schulen beschrieben als auch versucht werden, Innovationen zu liefern. Solche Neuigkeiten habe ich allerdings weniger durch das Literatur-Studium, sondern während der praktischen Erfahrung gefunden. Wesentlich dazu beigetragen haben die unzähligen Diskussionen mit und die Ausbildung von so genannten. »Laienseelsorgern«, also Männern und Frauen, die in der täglichen Praxis stehen, eine relativ kurze Ausbildung (ca. 500 Stunden) erworben haben – und die mit dieser für Fachleute unzureichenden Theoriebildung trotzdem zu ganz erstaunlichen Erfolgen gekommen sind. Sie waren meine Lehrmeister und haben manche akademische Diskussion deutlich relativiert.

Danken möchte ich aber auch meinen Studierenden. Es war eine Freude, mit ihnen zusammen Seminare zu gestalten und die Grundannahmen von Theologen und Psychotherapeuten kritisch zu hinterfragen. Einige meiner ehemaligen Mitarbeiter haben bei Recherchen zur Psychotherapie und zur Seelsorge mitgeholfen, ihnen danke ich auf diesem Wege recht herzlich.

Wichtig war es für mich, dass ich alle Gedanken zu diesem Buch mit meiner Frau besprechen konnte – dies war eine unbezahlbare Hilfestellung. Sie hat auch die Unterlagen für den Praxisfall bereitgestellt.

Ganz wesentlich aber – und dies soll nicht verschwiegen werden – waren es die vielen Kämpfe auf unterschiedlichsten Ebenen in den vergangenen Jahren, die dazu beigetragen haben, dass dieses Buch entstehen konnte. Der fränkische Theologe Hermann Bezzel (1861-1917) sagte einstens dazu (1914, 461):

»Nicht Satte können andere trösten, sondern Gespeiste, nicht Sichere können anderen die Not ihres Lebens sagen, sondern Gewisse, nicht Fertige können dem Volk sein tiefstes Elend recht schildern, sondern Gereifte …«

Freudenstadt, im Sommer 2001                              Michael Dieterich

1 Einleitung

1.1 Zur Zielsetzung dieses Buches

In der Zusammenfassung zu ihrem Buch »Psychotherapie im Wandel« formulieren die Autoren mit bisher selten gehörtem Mut (vgl. Grawe, Donati, Bernauer 1994,1): »Über Jahrzehnte hin herrschten in der Psychotherapie gleichsam mittelalterliche vorwissenschaftliche Verhältnisse. In den letzten zwei bis drei Jahrzehnten hat so etwas wie eine Aufklärung begonnen, eine im eigentlichen Sinne wissenschaftliche Psychotherapie. Glauben wird allmählich durch Wissen ersetzt, abergläubische Rituale durch professionelles Handeln. Die Aufklärung ist aber noch nicht weit in das öffentliche Bewusstsein vorgedrungen, auch nicht in das der Fachöffentlichkeit, und die psychotherapeutische Praxis hinkt den wissenschaftlichen Erkenntnissen nur widerstrebend hinterher. Glaubens- und Interessengemeinschaften, die an der Erhaltung der bestehenden Verhältnisse interessiert sind, sperren sich gegen den Einzug aufgeklärter Vernunft und Professionalität in ihrer Bastion sorgsam gehüteter geheimnisvoller Undurchsichtigkeit und verschleierter Ineffizienz.«

Die hier vorliegende Publikation möchte dazu beitragen, im Sinne der genannten Autoren der Psychotherapie zu einem wissenschaftlichen Verständnis zu verhelfen.

Bedingt durch meine langjährigen Theorie- und Praxiserfahrungen bin ich allerdings zu der festen Überzeugung gelangt, dass es nicht ausschließlich empirisch überprüfbare Ergebnisse sein können, die zur Heilung von seelischen Leiden beitragen – hier ist m.E. eine gewisse Einseitigkeit bei Grawe et al. festzustellen, die dann von ihren Kritikern auch entsprechend aufgenommen wurde (vgl. u.a. Mertens 1994).

Im Unterschied zu den Arbeiten von Grawe et al. soll deshalb mit meinem Beitrag versucht werden, Wissenschaftlichkeit nicht ausschließlich auf Empirie zu beschränken. Damit kann dieses Buch für jeden professionell »an der Seele« Arbeitenden – ob es sich um den Arzt, Psychotherapeuten, Theologen, Seelsorger, Lehrer usw. handelt – Hilfestellungen anbieten.

Ich bin mir darüber im Klaren, dass es ganz verschiedene Zugangsweisen gibt, mit denen das Ziel dieses Buches – Hilfestellung für Psychotherapie und Seelsorge zu geben – erreicht werden kann, und will deshalb vorab die von mir gebrauchte Epistemologie darstellen – denn jede wissenschaftliche Publikation ist anfechtbar, wenn sie nicht ihre anthropologischen Hintergründe bzw. Zielsetzungen offen legt. Deshalb soll dem Leser die Konsequenz meiner Gedankengänge bereits auf den ersten Seiten dargestellt und die Einzelheiten dann in den nachfolgenden Kapiteln aufgefächert werden.

–  Ich gehe davon aus, dass zwischen Anthropologie, Psychopathologie und Psychotherapie ein eindeutiger Zusammenhang besteht. Das heißt die jeweilige Sicht, mit der der Mensch (bzw. seine »Seele«) beschrieben wird (Anthropologie), führt konsequenterweise zu einer Erklärung von seelischen Störungen (Psychopathologie), und darauf baut sich dann eine entsprechende Therapie auf, die den Weg zur Gesundung bzw. Heilung führt.

–  Damit ergibt sich für die wissenschaftliche Psychotherapie die Notwendigkeit, das Stammwort »Psyche« so eindeutig wie möglich zu beschreiben. Dabei kommt man mit der in der Psychologie üblichen empirisch orientierten Definition, die vom »Verhalten und Erleben« ausgeht, nicht mehr aus und wird zwingend auf die Fragestellungen zum »Leib-Seele-Problem« verwiesen. Ich werde weiter unten zeigen, dass der kartesische »Leib-Seele-Dualismus« nicht – wie einige philosophische Schulen dies anstreben - in die Richtung des Monismus hin zu entwickeln wäre, sondern eher ein Trialismus für ganzheitliche psychotherapeutische Überlegungen hilfreich sein kann. Dabei ergibt sich dann konsequenterweise, dass psychotherapeutische Ansätze somatische, mentale und religiöse (»pneumatische«) Aspekte enthalten müssen, wenn sie einer ganzheitlichen Sichtweise entsprechen wollen.

Aus diesem Trialismus folgernd wird hier schon angedeutet, dass nur drei prinzipielle Möglichkeiten der Veränderung psychischer Störungen (die ggf. miteinander interagieren) möglich sind:

1.  Durch medizinische Hilfestellungen (derzeitig überwiegend durch Psychopharmaka).

2.  Durch psychologische Strategien im Sinne von Lernprozessen (u.a. Lernen durch Konditionierung, Imitation und durch Einsicht).

3.  Durch religiöse Hilfestellungen (die deutlich von den beiden anderen Veränderungsmöglichkeiten abgegrenzt sein sollen; z.B. Gebet, Glaube usw.).

Ich gehe für die Psychotherapie bzw. Seelsorge davon aus, dass die Wirkmechanismen aller bekannten Methoden durch eine oder mehrere der drei genannten Veränderungsmöglichkeiten, bzw. auch ihrer Interdependenz, erklärbar sind.

–  Schwerpunkt dieses Buches wird es sein – bedingt durch die wissenschaftliche Herkunft des Verfassers –, diejenigen Aspekte genauer zu untersuchen, die im psychisch-mentalen Bereich der Veränderungsmöglichkeiten liegen. Dabei zeigt sich, sofern man bereit ist, die verschiedenen psychotherapeutischen Methoden mit genügend Abstand zu betrachten sowie auf die »abergläubischen Rituale« (vgl. Grawe et al. 1994, 1) zu verzichten, eine deutliche Reduktion. Aufgabe der hier vorliegenden Publikation wird es sein, zu zeigen, dass es sich bei den Wirkmechanismen der allermeisten psychotherapeutischen Schulen im Grunde genommen nur um didaktische Varianten eines Lernprozesses handelt.

–  Ich gehe davon aus, dass die Entstehungsgeschichte der verschiedenen therapeutischen Schulen weit weniger systematisch und überlegt vonstatten gegangen ist, als man dies oftmals annimmt. Im Gegenteil: Ich vermute, dass es sich dabei um subjektive Erkenntnisse der jeweiligen Gründer gehandelt hat – die sicherlich nicht falsch waren – jedoch vor dem Hintergrund der individuellen Lebensgeschichte der jeweiligen Begründer (d.h. ihrer spezifischen Personalisation, Enkulturation und Sozialisation), der jeweils herrschenden Weltsicht (d.h. des »common sense«) und durch die Auseinandersetzungen mit den vorangegangenen bzw. nachfolgenden therapeutischen Schulen entstanden sind. Bei einer historischen Betrachtung im Sinne einer Retrospektive zeigt sich deutlich, dass solch subjektive methodische Erkenntnisse nicht selten paradigmatisch generalisiert und als allgemeingültig betrachtet werden. Eine Reduktion auf die Ebene von didaktischen Variablen hilft dann, die Ergebnisse gelassener zu sehen.

–  In dieser Publikation wird bewusst auf die Begegnung zwischen Psychotherapie und Seelsorge eingegangen. In der Praxis findet diese Begegnung nicht selten im Sinne einer Pastoralpsychologie statt. Es ist zu vermuten, dass diese Disziplin in vielen Fällen über zwei Hauptprobleme stolpert:

Zum einen wird versucht, die Grenze zwischen Psychotherapie und Seelsorge sehr scharf zu ziehen und dabei von der Möglichkeit einer eindeutigen Trennung auszugehen.

Zum andern aber werden die pneumatischen Dimensionen der »Seele« entmythologisiert, was zu einer »Psychotherapie im christlichen Kontext« führt, die dann häufig durch die mit der theologischen Arbeit affinen Vorgehensweisen aus den Tiefenpsychologien bestimmt wird.

Deutlich wird in jedem Falle, dass es notwendig sein wird, zu semantischen Abklärungen des Begriffs »Seele« zu kommen – oder einfacher ausgedrückt: zu klären, was unter Psychotherapie bzw. Seelsorge verstanden werden kann. Auch hier will ich schon frühzeitig bemerken – und weiter hinten dann erläutern –, dass entsprechend meiner Epistemologie Seelsorge der Überbegriff und Psychotherapie eine Teilmenge dieser ganzheitlichen Aufgabe ist.

–  Mit diesem Buch sollen nicht nur Theoretiker angesprochen werden. Ich habe deshalb die in langjähriger Erfahrung entwickelten Therapiepläne zusammengestellt und in einem abschließenden Kapitel auch eine Fallgeschichte aufgerollt, an der gezeigt werden soll, wie eine »Allgemeine Psychotherapie und Seelsorge« praktisch ablaufen kann. Dass dabei eine Laien-Seelsorgerin »Hauptakteurin« ist, zeigt, in welchem bedeutenden Umfang die so genannte »Laienarbeit« hilfreich sein kann.

1.2 Über den Rabbi

»… Tag und Nacht liest der Rabbi in heiligen Büchern. Er kann viele schon auswendig, so oft hat er sie gelesen. Aber jedes Wort, ja jeder Buchstabe hat Millionen Seiten, und jede Seite kündet von der Größe Gottes, von der man niemals genug lernen kann.

Tag für Tag kommen die Menschen, denen ein treuer Freund erkrankt ist, eine Mutter stirbt, denen Gefängnis droht, die von der Behörde verfolgt werden, denen der Sohn eingezogen wird, damit er für Fremde exerziere und für Fremde in einem törichten Krieg falle. Oder solche, deren Frauen unfruchtbar sind und die einen Sohn haben wollen. Oder Menschen, die vor einer großen Entscheidung stehen und nicht wissen, was sie zu tun haben.

Der Rabbi hilft und vermittelt nicht nur zwischen Mensch und Gott, sondern, was noch schwieriger ist, zwischen Mensch und Mensch.

Aus weiten Gegenden kommen sie zu ihm. Er hört in einem Jahr die merkwürdigsten Schicksale, und kein Fall ist so verwickelt, dass er nicht einen noch komplizierteren schon gehört hätte. Der Rabbi hat ebenso viel Weisheit wie Erfahrung und ebenso viel praktische Klugheit wie Glauben an sich selbst und sein Auserwähltsein. Er hilft mit einem Rat ebenso wie mit einem Gebet. Er hat gelernt, die Sprüche der Schriften und die Gebote Gottes so auszulegen, dass sie den Gesetzen des Lebens nicht widersprechen und dass nirgends eine Lücke bleibt, durch die der Lügner schlüpfen könnte. Seit dem ersten Tag der Schöpfung hat sich vieles geändert, nicht aber Gottes Wille, der sich in den Grundgesetzen der Welt ausdrückt. Man bedarf keiner Kompromisse, um das zu beweisen. Alles ist nur Sache des Begreifens.

Wer so viel erlebt hat wie der Rabbi, kommt bereits über den Zweifel hinaus. Das Studium des Wissens hat er schon hinter sich. Der Kreis ist geschlossen. Der Mensch ist wieder gläubig. Die hochmütige Wissenschaft des Chirurgen bringt dem Patienten den Tod und die schale Weisheit des Physikers dem Jünger den Irrtum. Man glaubt nicht mehr dem Wissenden, man glaubt dem Glaubenden.

Viele glauben ihm. Er selbst, der Rabbi, macht keinen Unterschied zwischen den treuesten Erfüllern der geschriebenen Gebote und den weniger treuen, ja nicht einmal zwischen Jude und Nichtjude, nicht zwischen Mensch und Tier. Wer zu ihm kommt, ist seiner Hilfe gewiss.

Der Rabbi weiß mehr, als er sagen darf. Er weiß, dass über dieser Welt noch eine andere ist, mit anderen Gesetzen, und vielleicht ahnt er sogar, dass Verbote und Gebote in dieser Welt von Sinn, in einer anderen aber ohne Bedeutung sind. Es kommt ihm auf die Befolgung des ungeschriebenen, aber desto gültigeren Gesetzes an …« (Roth, J. 1976, 26)

2  Abgrenzung und Verhältnis von Psychologie, Psychotherapie und Seelsorge

Wie in der Einleitung angemerkt, sind es oft semantische Unklarheiten, die zu Verwirrungen und Unsicherheiten in der therapeutischen Landschaft führen. Psychologie, Psychotherapie und Seelsorge werden im Volksmund oftmals synonym gebraucht. Und in der Tat gibt es viele Gemeinsamkeiten – jedoch auch, insbesondere vor wissenschaftstheoretischem Hintergrund, gravierende Unterschiede. Unter Wissenschaftstheorie2 verstehe ich nachfolgend die Fragestellung, auf welche Art und Weise man in verschiedenen Wissenschaftsdisziplinen (z.B. in den Naturwissenschaften, in den Sozialwissenschaften, in den Geisteswissenschaften oder auch den theologischen Wissenschaften) zu überprüfbaren Ergebnissen kommt.

2.1  Psychologie

Schon lange vor der Etablierung des Faches »Psychologie« als eigenständige Wissenschaftsdisziplin gab es natürlich Psychologen und ein Verständnis von psychologischem Vorgehen. Damit waren z.B. sensible Beschreibungen von Persönlichkeitsstrukturen, von Gefühlen, Gruppenprozessen usw. in der Literatur oder auf der Bühne usw. gemeint. Im Unterschied zur Beschreibung von körperlichen Funktionen ging es mehr um die immateriellen Qualitäten des Menschen – und fast immer war auch das »Leib-Seele-Problem« (vgl. hierzu das folgende Kapitel) in solchen Überlegungen involviert. Philosophen, Künstler, Theologen und Schriftsteller teilten sich in der Beschreibung der Seele. Wissenschaftlich gesehen war die Psychologie bis etwa zum Jahr 1900 nicht als eigenständiges Fach an den Universitäten etabliert, sondern fand sich in den verschiedenen Disziplinen (überwiegend in den philosophischen Fakultäten) wieder.

Gegen Ende des 19. Jahrhunderts gab es die ersten Versuche, Psychologie als eigenständige Wissenschaft zu begründen. Dabei kam es zu einer Ausdifferenzierung, die bis heute noch nicht überall bekannt ist, was nicht selten zu Missverständnissen führt.

Wilhelm Wundt (1832–1920), Professor für Philosophie, gründete im Jahre 1879 an der Universität Leipzig das erste Psychologielabor, um dort die »Seele« mit einer Wissenschaftsdisziplin zu untersuchen, die auch im Bereich der Medizin und den Naturwissenschaften gebraucht wurde: der empirischen Wissenschaft. Diese Grundannahme entsprach dem Weltbild des zu Ende gehenden 19. Jahrhunderts: Überall begannen Technik und Naturwissenschaft ihren Siegeszug. Bei den empirischen Wissenschaften (z.B. in den Natur- und Sozialwissenschaften) wird heute folgende Reihenfolge zur Erkenntnisgewinnung eingehalten:

1.  Es wird eine Hypothese aufgestellt (diese entspringt dem Forschungsinteresse bzw. der Weltsicht des Forschers, ist also in sich selbst nicht empirisch ableitbar).

2.  Die Hypothese wird so formuliert, dass sie an der Erfahrung scheitern kann.

3.  Die Hypothese wird abgelehnt (falsifiziert) oder angenommen (verifiziert).

4.  Die Ergebnisse sind auf einem bestimmten Sicherheitsniveau (Signifikanzniveau) abgesichert. Sie sind jedoch prinzipiell vorläufig.

Mit seiner Entscheidung, die Empirie als Wissenschaftsmethode für die Psychologie einzuführen, musste Wundt allerdings einige Nachteile in Kauf nehmen.3 Denn um eine Hypothese empirisch überprüfen zu können, muss man die Untersuchung so gestalten, dass die Ergebnisse ermittelt werden können (z.B. durch Zählen, Messen, Beobachten, Beantworten von Fragebogen usw.).

Will man vor einem solchen Hintergrund die »Seele« überprüfen, wird schnell deutlich, dass dies nicht ohne weiteres möglich ist, weil eine breit streuende Meinung darüber herrscht, was damit gemeint ist – und noch mehr unterschiedliche Meinungen, wie man dies wohl messen könne.

So gesehen begannen schon bei der Geburtsstunde der modernen Psychologie deren Probleme deutlich zu werden: Das hypothetische Konstrukt »Seele« war in eine operationale Definition überzuführen. Je nach Vorverständnis dessen, was man mit »Seele« beschreiben möchte, musste nun der »Psychologe« prüfen, welche Teilaspekte des Konstrukts Seele für eine empirische Untersuchung (also Messen, Zählen usw.) überhaupt geeignet sind. Sehr schnell wurde dabei deutlich, dass es kaum möglich sein wird, z.B. die Vergangenheit eines Menschen empirisch zu erfassen (hier könnte man eher mit den hermeneutisch orientierten Methoden der Geisteswissenschaft weiterkommen). Auch die transzendenten Aspekte der Seele entziehen sich einer empirischen Überprüfung. Was bleibt dann für den Psychologen, der wie seine Kollegen in Medizin und Naturwissenschaft empirisch arbeiten möchte, als Wissenschaftsgegenstand übrig? Die Antwort ist einfach: Allemal weniger als das, was das hypothetische Konstrukt »Seele« beinhaltet, nämlich nur diejenigen Anteile, die sich auf empirischem Wege erfassen lassen.

Im Bewusstsein dieser Einschränkung definiert sich die moderne empirisch arbeitende Psychologie als »Wissenschaft von den Formen und Gesetzmäßigkeiten des Erlebens und Verhaltens, bezogen auf Individuen und Gruppen« (Psychologie 1992, 594). Diese Aspekte der Seele sind beobachtbar, teilweise sogar messbar bzw. durch Fragebogen zu erheben. Eine solche Beschränkung meint jedoch keinesfalls, dass die weiteren Aspekte der Seele nicht gesehen oder gar negiert würden. Tatsache ist nur, dass sie auf empirischem Wege nicht überprüfbar sind. In der neueren Philosophie wird allerdings intensiv darauf hingearbeitet, möglicherweise auch die bisher noch nicht empirisch erfassbaren Aspekte der Seele erklärbar zu machen (vgl. u.a. Churchland 1997). Vor diesem Hintergrund ist es notwendig, nachfolgend ein besonderes Kapitel dem Leib-Seele-Problem zu widmen.

Auch wenn man den Untersuchungsgegenstand der modernen Psychologie nur auf das Verhalten und Erleben beschränkt, lässt sich damit sehr viel über den Menschen sagen: Man kann z.B. seine Gefühle beschreiben (Freude, Wut oder Trauer), über die Kognitionen (Denken, Lernen, Gedächtnis, Intelligenz) forschen und die Zusammenhänge zwischen Emotionen und Kognitionen überprüfen, man kann die Entwicklung vom Kleinkind bis ins hohe Alter verfolgen, zeigen, dass sich Menschen in Gruppen ganz anders verhalten usw. Ein Teilgebiet der Psychologie beschäftigt sich konsequenterweise dann auch mit dem vom Normalzustand abweichenden Verhalten und Erleben: die so genannte »Klinische Psychologie« (vgl. Bourne; Ekstrand 1992).

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