Einführung in die Integrative Körperpsychotherapie IBP (Integrative Body Psychotherapy) -  - E-Book

Einführung in die Integrative Körperpsychotherapie IBP (Integrative Body Psychotherapy) E-Book

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Beschreibung

Ein praxisnahes Lehrbuch zur Theorie und Praxis der Integrativen Körperpsychotherapie Der konsequente Einbezug von Körper, Emotionen und Kognitionen macht die IBP Körperpsychotherapiemethode einzigartig und wird immer stärker als unverzichtbare Erweiterung und Bereicherung gewohnten psychotherapeutischen Denkens und Handelns erlebt. Basierend auf dem Menschenbild der humanistischen Psychologie stellt dieses Lehrbuch kompakt und übersichtlich eine prozess-orientierte Herangehensweise in allen drei Erlebensdimensionen dar. Es vermittelt darüber hinaus auch allgemeine psycho-therapeutische Grundlagen. Die zweite Auflage betont die Weiterentwicklung der IBP Methode und die Integration von aktuellen, interdisziplinären Modellen. Der stringente Einbezug von psychotherapeutischem Grundwissen und praxisrelevanten Forschungsergebnissen verknüpft so kontinuierlich Theorie und Praxis: - humanistische Grundkonzepte (Präsenz, Gewahrsein, Eigenraum, Erdung, Gestaltarbeit) - psychodynamische Grundlagen (Entwicklungspsychologie, Persönlichkeitsmodell, Arbeit mit den verschiedenen Persönlichkeitsanteilen, Fragmentierung) - Stressmodell (Störungen der Stressregulation, Implikationen für die Psychotherapie) - Atem- und Körperarbeit (Blockaden, parasympathische und sympathikotone Atemarbeit, Arbeit mit Berührung, Selbstentspannungstechniken, Achtsamkeitstechniken) - Arbeit mit Sexualität in der Psychotherapie.Für Studierende wie auch für ärztliche und psychologische Psycho-therapeuten und Psychotherapeutinnen bietet das Buch einen kompakten Überblick über alle IBP Inhalte mit Fallbeispielen und Übungsanleitungen. "Das Buch deckt eine außerordentliche Breite von Themen ab: Immer wieder wird auch gezeigt, wie die eigene Arbeitsweise behandlungs-technisch umgesetzt wird. Das alles macht das Buch zu einem der besten und instruktivsten Bücher zur Körperpsychotherapie im deutschsprachigen Raum."

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Eva Kaul

Markus Fischer

(Hrsg.)

Einführung in die Integrative Körperpsychotherapie IBP (Integrative Body Psychotherapy)

2., vollständig überarbeitete und erweiterte Auflage

unter Mitarbeit von

Judith Biberstein

Markus Fischer

Notburga Fischer

Robert Fischer

Mark Froesch-Baumann

Suzanne Hüttenmoser Roth

Eva Kaul

Nadine Laub

Corinna Möck-Klimek

Silvia Pfeifer

Sarah Radelfinger

Béatrice Schwager

Georg Tarnutzer

Einführung in die Integrative Körperpsychotherapie IBP (Integrative Body Psychotherapy)

Eva Kaul, Markus Fischer (Hrsg.)

Programmbereich Psychiatrie und Psychotherapie

Dr. med. Eva Kaul

Paulstrasse 8

CH-8400 Winterthur

Wichtiger Hinweis: Der Verlag hat gemeinsam mit den Autoren bzw. den Herausgebern große Mühe darauf verwandt, dass alle in diesem Buch enthaltenen Informationen (Programme, Verfahren, Mengen, Dosierungen, Applikationen, Internetlinks etc.) entsprechend dem Wissensstand bei Fertigstellung des Werkes abgedruckt oder in digitaler Form wiedergegeben wurden. Trotz sorgfältiger Manuskriptherstellung und Korrektur des Satzes und der digitalen Produkte können Fehler nicht ganz ausgeschlossen werden. Autoren bzw. Herausgeber und Verlag übernehmen infolgedessen keine Verantwortung und keine daraus folgende oder sonstige Haftung, die auf irgendeine Art aus der Benutzung der in dem Werk enthaltenen Informationen oder Teilen davon entsteht. Geschützte Warennamen (Warenzeichen) werden nicht besonders kenntlich gemacht. Aus dem Fehlen eines solchen Hinweises kann also nicht geschlossen werden, dass es sich um einen freien Warennamen handelt. Der Verlag weist ausdrücklich darauf hin, dass im Text enthaltene externe Links vom Verlag nur bis zum Zeitpunkt des Redaktionsschlusses eingesehen werden konnten. Auf spätere Veränderungen hat der Verlag keinerlei Einfluss. Eine Haftung des Verlags ist daher ausgeschlossen.

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Anregungen und Zuschriften bitte an:

Hogrefe AG

Lektorat Psychiatrie/Psychotherapie

Länggass-Strasse 76

3012 Bern

Schweiz

Tel. +41 31 300 45 00

[email protected]

www.hogrefe.ch

Lektorat: Susanne Ristea

Redaktionelle Bearbeitung: Dr. med. Susanne Meinrenken, Bremen

Herstellung: René Tschirren

Satz: punktgenau GmbH, Bühl

2., vollständig überarbeitete und erweiterte Auflage 2024

© 2016, 2024 Hogrefe Verlag, Bern

(E-Book-ISBN_PDF 978-3-456-96327-3)

(E-Book-ISBN_EPUB 978-3-456-76327-9)

ISBN 978-3-456-86327-6

https://doi.org/10.1024/86327-0000

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Zitierfähigkeit: Dieses EPUB beinhaltet Seitenzahlen zwischen senkrechten Strichen (Beispiel: |1|), die den Seitenzahlen der gedruckten Ausgabe und des E-Books im PDF-Format entsprechen.

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Geleitwort

Danksagungen

1 Grundlagen der Integrativen Körperpsychotherapie IBPEva Kaul, Béatrice Schwager

1.1 Geschichte und QuellenEva Kaul

1.2 MenschenbildEva Kaul, Béatrice Schwager

2 Der Mensch in seiner LebensweltEva Kaul, Béatrice Schwager

2.1 Das Integrationsmodell menschlichen ErlebensEva Kaul

2.2 Spiritualität in der Integrativen Körperpsychotherapie IBPBéatrice Schwager

2.3 Gesundheits- und Krankheitsverständnis der Integrativen Körperpsychotherapie IBPEva Kaul, Nadine Laub

3 Praxistheorie der Integrativen Körperpsychotherapie IBPSuzanne Hüttenmoser Roth, Sarah Radelfinger, Nadine Laub

3.1 Therapeutische GrundausrichtungenNadine Laub

3.2 Körper und Wort in der therapeutischen KommunikationSuzanne Hüttenmoser Roth

3.3 Beobachtung und Steuerung des TherapieprozessesSuzanne Hüttenmoser Roth

3.4 Therapeutische BeziehungSarah Radelfinger

3.5 Wirksamkeit, Risiken und Grenzen der Methode Integrative Körperpsychotherapie IBPSuzanne Hüttenmoser Roth

4 Humanistische Grundkonzepte der Integrativen Körperpsychotherapie IBPCorinna Möck-Klimek, Georg Tamutzer

4.1 PräsenzCorinna Möck-Klimek

4.2 Gewahrsein und AchtsamkeitCorinna Möck-Klimek

4.3 Eigenraum, Grenze und KontaktCorinna Möck-Klimek

4.4 GestaltarbeitGeorg Tarnutzer

4.5 ErdungCorinna Möck-Klimek

4.6 RessourcenGeorg Tarnutzer

5 Psychodynamische Grundlagen der Integrativen Körperpsychotherapie IBPMarkus Fischer, Mark Froesch-Baumann

5.1 Entwicklungspsychologische GrundlagenMark Froesch-Baumann

5.2 Persönlichkeitsmodell der Integrativen Körperpsychotherapie IBPMarkus Fischer

5.3 SelbstMarkus Fischer

5.4 Kernselbst und KernselbstempfindenMarkus Fischer

5.5 HerkunftsszenarioMarkus Fischer

5.6 Defensiver KompensationsstilMarkus Fischer

5.7 Offensiver KompensationsstilMarkus Fischer

5.8 FragmentierungMarkus Fischer

6 Therapeutisches Arbeiten mit dem PersönlichkeitsmodellMark Froesch-Baumann, Eva Kaul, Silvia Pfeifer

6.1 Arbeit am SelbstkontaktEva Kaul, Mark Froesch-Baumann

6.2 Arbeit mit dem Kernselbst: Stärkung des KernselbstempfindensSilvia Pfeifer

6.3 Arbeit mit dem HerkunftsszenarioMark Froesch-Baumann, Eva Kaul

6.4 Arbeit mit geheimen ThemenMark Froesch-Baumann, Eva Kaul

6.5 Arbeit mit defensivem KompensationsstilMark Froesch-Baumann, Eva Kaul

6.6 Arbeit mit offensivem KompensationsstilMark Froesch-Baumann, Eva Kaul

6.7 Schritte aus der FragmentierungMark Froesch-Baumann, Eva Kaul

7 Neurobiologie der StressregulationEva Kaul, Markus Fischer

7.1 Reiz- und StressregulationEva Kaul, Markus Fischer

7.2 Störungen der StressregulationEva Kaul, Markus Fischer

7.3 Implikationen für die PsychotherapieEva Kaul, Markus Fischer

8 Atem- und KörperarbeitEva Kaul

8.1 HistorischesEva Kaul

8.2 Biologie der Atmung Eva Kaul

8.3 Atempraxis in der Integrativen Körperpsychotherapie IBPEva Kaul

8.4 Containment in der Atem- und KörperarbeitEva Kaul

8.5 Blockaden und KörpersegmenteEva Kaul

8.6 EntspannungstechnikenEva Kaul

8.7 Übungssequenzen mit SelbstentspannungstechnikenEva Kaul

8.8 Arbeit mit BerührungEva Kaul

8.9 Prozessorientierte Atem- und KörperarbeitEva Kaul

9 Phasen des therapeutischen ProzessesJudith Biberstein, Eva Kaul

9.1 AnfangsphaseJudith Biberstein

9.2 MittelphaseJudith Biberstein

9.3 AbschlussphaseEva Kaul

10 Arbeit mit Sexualität in der PsychotherapieNotburga Fischer, Robert Fischer

10.1 Historischer ÜberblickRobert Fischer, Notburga Fischer

10.2 Die Geschlechterfrage in BewegungRobert Fischer, Notburga Fischer

10.3 Biologie der SexualitätRobert Fischer, Notburga Fischer

10.4 Die Bedeutung von Sprache, Spiegelung und ImitationRobert Fischer, Notburga Fischer

10.5 Sexuelle EntwicklungNotburga Fischer, Robert Fischer

10.6 Sexuelles SzenarioNotburga Fischer, Robert Fischer

10.7 Energetische Modelle von SexualitätNotburga Fischer, Robert Fischer

10.8 Arbeit mit sexuellen ThemenNotburga Fischer, Robert Fischer

10.9 Arbeit mit der geschlechtlichen VielfaltNotburga Fischer, Robert Fischer

10.10 Erotische Übertragung und GegenübertragungNotburga Fischer, Robert Fischer

Literaturverzeichnis

Glossar

Autor:innenadressen

Sachwortverzeichnis

|9|Vorwort

Dieses Lehrbuch möchte mit der überarbeiteten Neuauflage seinen Leser:innen fundiert und anschaulich den neuesten Stand der Theorie und Praxis der Integrativen Körperpsychotherapie IBP nahebringen.

Als die IBP Institutsleitung 2013 begann, das Projekt für dieses erste Schweizer IBP Körperpsychotherapie Lehrbuch zu starten, hatte sie zwei Ziele vor Augen: Zum einen ein kompaktes, verständliches und anregendes Manuskript für die Studierenden am IBP Institut zu Theorie und Praxis der Integrativen Körperpsychotherapie IBP zu schreiben; zum anderen die Integrative Körperpsychotherapie IBP auch bei anderen Fachpersonen in Gesundheitswesen, Sozialarbeit, Pädagogik und Seelsorge sowie interessierten Laien bekanntzumachen. An diesen Zielen hat sich auch für die vorliegende Neuauflage nichts geändert. Hinzugekommen ist aber das Anliegen, die kontinuierliche Weiterentwicklung und Reifung der Methode abzubilden und die Bezüge zu aktuellen schulenübergreifenden Modellen herzustellen.

In den 1990er Jahren organisierte Dr. med. Markus Fischer mit den Begründern der Integrativen Body Psychotherapy IBP – Jack Lee Rosenberg, Marjorie Rand und Beverly Kitaen-Morse – die ersten IBP Kurse in der Schweiz. IBP spezifische Konzepte der Integration von Körper, Emotionen und Kognitionen waren hierzulande in der Psychotherapie kaum bekannt. Die Methode und viele Techniken der Integrativen Körperpsychotherapie IBP wurden anfänglich entsprechend kritisch betrachtet und es gab viel Erklärungsbedarf zur Frage, warum die somatische Dimension ein wertvoller Teil des psychotherapeutischen Vorgehens sein sollte. Das hat sich verändert und der Körper wird mittlerweile auch in anderen Therapierichtungen teilweise miteinbezogen. Insbesondere die umfassende Empirie im Bereich Achtsamkeit hat hier zu einer deutlichen Öffnung geführt. Die Integrative Körperpsychotherapie IBP zeichnet sich darüber hinaus jedoch durch konsequentes prozessorientiertes Arbeiten in allen drei Erlebensdimensionen Körper, Emotionen und Kognitionen aus.

Dr. med. Markus Fischer, der IBP Pionier in der Schweiz, und die Ausbilder:innen des IBP-Instituts in Winterthur entwickeln die IBP Konzepte und ihre Anwendung in der Praxis seit über 30 Jahren kontinuierlich weiter. Dies basiert auf einem gemeinsamen Verständnis von Theoriebildung als systemisch-konstruktivistischem Erkenntnisprozess. So werden empirische Befunde und Konzepte aus verschiedenen Wissenschaftsbereichen integriert. Die Integrative Körperpsychotherapie IBP erlebt dadurch immer wieder zahlreiche Innovationen in der Methodik, welche sich auf Lehre, Praxis und Forschung befruchtend auswirken. IBP hat sich in neuen Arbeitsfeldern, vor allem im Coaching, etabliert und bietet neue Ansätze für aktuelle Fragen und Herausforderungen. Die ganzheitliche Herangehensweise und der konsequente Einbezug des Körpers macht die IBP |10|Methode einzigartig und wird heute vielerorts als unverzichtbare Erweiterung und Bereicherung gewohnten Denkens und Handelns erlebt.

Die ersten beiden Kapitel dieses Lehrbuchs widmen sich den historischen Wurzeln von IBP und der Einbettung in die Metatheorie. In den weiteren Kapiteln stehen die Therapietheorie und deren Anwendung, also die Praxistheorie, im Vordergrund. Ergänzend eingeflochten wird allgemeines psychotherapeutisches Grundwissen vermittelt, welches in den am IBP Institut angebotenen Ausbildungen unterrichtet wird. Im Integrativen Ansatz, dem wir uns verpflichtet fühlen, werden Theorie und Praxis laufend miteinander verwoben.

Wissenschaftlich begrenzen wir uns in diesem Lehrbuch auf alles, was wir für Studierende und Praktiker:innen für unmittelbar relevant halten. Wer sich für Forschungsergebnisse und Forschungsmethoden der Körperpsychotherapie interessiert, findet diese unter anderem in den Grundlagenwerken „Handbuch der Körperpsychotherapie“ (Marlock & Weiss, 2006) und „Körperpsychotherapie, Grundriss einer Theorie für die klinische Praxis“ (Geuter, 2015).

In einer Zeit, in der elektronische Medien immer wichtiger werden, haben wir uns dafür entschieden, das Lehrbuch in Papierform herauszugeben und mit Online-Unterlagen zu ergänzen. Viele Leitfäden, Fragebögen und Übungen können online heruntergeladen werden.

Sprachlich wechseln wir in diesem Lehrbuch zwischen der weiblichen und männlichen Form. Das erscheint uns passend – die Mehrzahl der im Feld von IBP Psychotherapie und IBP Coaching Tätigen sind Frauen. Ausserdem verwenden wir in der Regel den Begriff „Klient:in“. Dort, wo wir uns spezifisch auf ein klinisches Setting beziehen, sprechen wir von „Patient:innen“.

Winterthur 2015

Roman Decurtins*, Markus Fischer*, Matthias Keller, Silvia Pfeifer*1

überarbeitet von Beatrix Schilling, Winterthur, April 2024

1

Geschäftsführung des IBP Instituts und IBP Vereins

|11|Geleitwort

Nach acht Jahren erscheint dieses Buch in zweiter Auflage. Schon die erste Auflage dieser Einführung in die Integrative Körperpsychotherapie IBP war weit mehr als der Titel sagt: ein Buch, aus dem jede Psychotherapeutin etwas über Psychotherapie im Allgemeinen lernen kann, insbesondere dazu, wie Körpererleben und Körperprozesse in die Therapie einbezogen werden können. Und wie das die psychotherapeutische Arbeit bereichert.

Mit ihrem Buch wollten die Autorinnen und Autoren damals eine Theorie in progress zeigen, deren Grundlagen der US-amerikanische Psychotherapeut Jack Lee Rosenberg in den 1980er Jahren formuliert hat. Dass dies kein leeres Versprechen war, zeigt die Auflage, die sie jetzt vorlegen. Noch klarer betten sie nun ihre Theorie in das Menschenbild der humanistischen Psychologie und Psychotherapie ein, mit ihrer Zentrierung auf das Subjekt und seine Lebenswelt, auf eine Theorie des Selbst und ein erfahrungsorientiertes Verständnis von Psychotherapie. Sie betonen die Selbstwahrnehmung als “Referenz- und Angelpunkt” der Therapie, wie es in einem Beitrag heißt, und als Basis einer auf die Selbstfunktionen ausgerichteten Körperpsychotherapie. Im Zentrum der Methode steht “das Selbst und seine Reifung”, im Zentrum der praktischen Arbeit die Verbindung zwischen einer Auseinandersetzung mit psychischen Inhalten und begleitenden körperlichen Prozessen wie dem Atem und der Bewegung.

Das Buch stellt die Integrative Körperpsychotherapie IBP als eine Schule mit einer eigenen Persönlichkeitstheorie vor, die auf einer psychodynamischen Entwicklungs- und Abwehrtheorie fußt, aber auch Ähnlichkeiten mit Konzepten der Ego-State-Therapie oder der Schematherapie aufweist. Wenn mehrfach Verbindungen zur modernen Operationalisierten Psychodynamischen Diagnostik hergestellt werden, zeigt das, wie gut sich die hier vertretene körperpsychotherapeutische Theorie und Praxis nicht nur mit humanistischen, sondern auch mit psychodynamischen Theorien und Arbeitsweisen verbinden lässt. Mit ihrem häufig psychoedukativen Vorgehen, Patientinnen Übungen an die Hand zu geben, mit denen sie sich selbst besser wahrzunehmen oder zu regulieren lernen, kann die körperpsychotherapeutische aber auch mit einer verhaltenstherapeutischen Arbeitsweise verbunden werden. Seelisches Leben ist verkörpert und das sollte in jeder Form von Psychotherapie bedacht werden.

Das Buch deckt eine außerordentliche Breite von Themen ab: von Grundlagen humanistischer und körperpsychotherapeutischer Theorie wie Präsenz, Gewahrsein, Selbstkontakt, Körpererleben, Prozessorientierung, der Bedeutung der therapeutischen Beziehung über die Neurobiologie der Stressreaktion und des Atmens bis hin zur Arbeit mit Inszenierung und Berührung oder mit Themen der Sexualität in der Psychotherapie. Kenntnisreich werden da|12|bei Theorie und Praxis miteinander verbunden, wenn zum Beispiel die Arbeit mit dem Atem in der Körperpsychotherapie mit wissenschaftlichen Erkenntnissen über die Atemfunktion und das Atmen verbunden wird. Immer wieder wird auch gezeigt, wie die eigene Arbeitsweise behandlungstechnisch umgesetzt wird. Das alles macht das Buch zu einem der besten und instruktivsten Bücher zur Körperpsychotherapie im deutschsprachigen Raum.

Ich wünsche diesem Buch, dass seine Anregungen in die ganze Psychotherapie eingehen und dass ihm die Aufmerksamkeit und Anerkennung zuteil wird, die es verdient.

Berlin, April 2024

Ulfried Geuter

|13|Danksagungen

Zu dieser Neuauflage des IBP Lehrbuchs haben viele einen wertvollen Beitrag geleistet. Das Autor:innen-Team, bestehend aus Ausbilder:innen des IBP Instituts, hat mit einem beachtlichen Engagement die erste Auflage substanziell in Hinblick auf aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisse und die Weiterentwicklung der IBP Methode überarbeitet. Dr. med. Eva Kaul hat das Buchprojekt mit Sorgfalt und Umsicht geleitet und ihre eigene fachliche Expertise zur Verfügung gestellt. Die Geschäftsführung bedankt sich bei Dr. med. Eva Kaul und dem Autor:innen-Team für die umfassende Überarbeitung dieses Buches.

Ebenfalls gilt der Dank dem IBP Vorstand, welcher auch in wirtschaftlich herausfordernden Zeiten dieses Projekt unterstützt und ermöglicht hat.

In tiefer Dankbarkeit gedenken wir Jack Lee Rosenberg, der über seinen Tod hinaus Vorbild und Inspiration zu gleich ist. Marjorie Rand und Beverly Kitaen-Morse haben gemeinsam mit ihm die Entwicklung der Integrativen Körperpsychotherapie IBP geprägt und daher geht an dieser Stelle ein Dankeschön auch an sie.

Wir möchten auch allen Menschen sehr danken, die mit ihren Rückmeldungen, Studien, Fragen, Erkenntnissen und Erfahrungen in den letzten Jahren die kontinuierliche Weiterentwicklung der IBP Methode unterstützt und damit die fundierte Grundlage für diese Neuauflage geschaffen haben. In der Verbindung dieser Menschen kann immer wieder Neues und Innovatives entstehen und das zeichnet das IBP Institut und den IBP Verein aus.

Winterthur, April 2024

Beatrix Schilling2

2

Geschäftsführung des IBP Instituts und IBP Vereins

|15|1  Grundlagen der Integrativen Körperpsychotherapie IBP

Eva Kaul, Béatrice Schwager

1.1  Geschichte und Quellen

Eva Kaul

Die Integrative Körperpsychotherapie IBP (Integrative Body Psychotherapy) wurde in den späten 1960er Jahren von Jack Lee Rosenberg (Ph. D., 1932–2015) in Kalifornien begründet. Ihre theoretischen Konzepte und therapeutischen Interventionen spiegeln Rosenbergs beruflichen Lebenslauf und seine Erfahrungen als Psychotherapieklient ebenso wider wie die Veränderungen der psychotherapeutischen Landschaft in den USA durch die Entwicklung der humanistischen Psychologie. Um die Entstehungsgeschichte der Integrativen Körperpsychotherapie IBP nachzuvollziehen, werfen wir daher einen Blick auf Rosenbergs Lebenslauf und auf die Grundprinzipien der humanistischen Psychologie.

1.1.1  Beruflicher Lebenslauf von Jack Lee Rosenberg

Rosenberg studierte an der University of California in Berkeley Zahnmedizin und Psychologie. Die Verbindung dieser beiden Fachgebiete zeigt Rosenbergs Fähigkeiten und Interessen: Er war manuell äusserst geschickt, effizient, pragmatisch und gleichzeitig am ganzen Menschen interessiert. Ab 1959 praktizierte Rosenberg als Zahnarzt und forschte und lehrte am Departement für Dentalpsychologie der University of Pacific Dental School in San Francisco. Als Forscher und Dozent befasste er sich unter anderem mit chronischen Schmerzen, Kiefergelenkschmerzen, Zahnarztphobie und der Arzt-Patient-Beziehung.

Zwischen eigener Praxis, Unterrichten, Forschen und Familie blieb Rosenberg kaum Zeit für sich selbst. Die Warnung seines Seelsorgers, er verpasse sein eigenes Leben, war der Anstoss zu einer eigenen Psychotherapie. Rosenbergs erste Therapie war eine klassisch freudianische Psychoanalyse (vier Sitzungen wöchentlich über acht Jahre).

Ab 1963 nahm Rosenberg an Encounter-Gruppen des frisch gegründeten Esalen-Instituts in Big Sur, Kalifornien, teil. Dort erlebte er die kreative, lebendige und begeisternde Atmosphäre des „Human Potential Movements“. Er hatte das Glück, direkt bei verschiedenen herausragenden Persönlichkeiten der humanistischen Psychologie lernen zu können: Fritz Perls, Bob Hall, Abraham Maslow, Alexander Lowen, William Schutz, John Pierrakos, Rolo May, Carl Rogers, Moshe Feldenkrais, Anna Halprin und Ida Rolf (Itten & Fischer, 2002). Rosenberg liess sich am Institut für Gestalttherapie in San Francisco zum Gestalttherapeuten ausbilden, assistierte Bob Hall in dessen Gruppen und unterrichtete während neun Jahren am Gestaltinstitut. Er promovierte in Psychologie und führte ab 1971 eine psychotherapeutische Praxis.

Über Alexander Lowen, Hatha-Yoga und das Studium östlicher Philosophien und Meditati|16|onstechniken kam er in Kontakt mit energetischen Vorstellungen des menschlichen Organismus (Rosenberg, 1973). Unter dem Einfluss körperpsychotherapeutischer Selbsterfahrung bei Phil Curcuruto, einem Schüler Wilhelm Reichs, erweiterte Rosenberg die zentralen Konzepte der Gestaltarbeit um die somatische Dimension. Er übernahm von Reich dessen energetischen Ansatz, der auf dem natürlichen Ladungs-Entladungs-Zyklus des vegetativen Nervensystems gründet, die Bedeutung erfüllender Sexualität für das Wohlbefinden, die Vorstellung vom schichtförmigen Aufbau der Persönlichkeit und das Charakterstilkonzept (Fischer et al., 2003). 1973 publizierte Rosenberg sein Buch „Total Orgasm“, das auf einem energetischen Modell von Sexualität und Reichs Ladungs-Entladungs-Kurve beruht. Er beschreibt in diesem Buch eine Reihe von Körper- und Atemübungen, welche Aufbau, Halten und Verteilen von sexueller Energie im Körper unterstützen und so das sexuelle Erleben vertiefen.

Aus der Auseinandersetzung mit der Psychoanalyse und seiner späteren Therapie und Supervision bei der Objektbeziehungstheoretikerin Vicky Hamilton, einer Mitarbeiterin von Bowlby und Winnicott, übernahm Rosenberg die Übertragungs- und die Objektbeziehungstheorie.

Rosenberg unterrichtete sein Verfahren zunächst in fortlaufenden Gruppen, in denen er Therapiesitzungen an Gruppenteilnehmer:innen demonstrierte. Mit der Gründung eines Ausbildungsinstituts gab Rosenberg seinem Therapieansatz den Namen Body Gestalt Practice. Wegen Verwechslungen mit dem Gestalttherapieinstitut änderte er Anfang der 1980er Jahre den Namen zu Integrative Body Psychotherapy (IBP). 1985 schrieben Rosenberg, Marjorie Rand und Diane Asay mit „Body, Self and Soul“ das erste Buch über die Integrative Körperpsychotherapie IBP („Körper, Selbst und Seele“ lautet der deutsche Titel).

Ab Mitte der 1980er-Jahre arbeitete Rosenberg zusammen mit seiner Partnerin Beverly Kitaen-Morse vor allem mit Paaren. Auch sein paartherapeutischer Ansatz ist geprägt von eigenen Erfahrungen. Konfrontiert damit, dass trotz jahrelanger therapeutischer Selbsterfahrung und eigener psychotherapeutischer Ausbildung ihre alten Themen und Verhaltensmuster immer wieder die Paarbeziehung sabotierten, erforschten Rosenberg und Morse gemeinsam ihre Beziehungsmuster und bearbeiteten sie mit IBP Werkzeugen. Ihre Erkenntnisse vermittelten sie in Paarseminaren und später in ihrem gemeinsamen Buch „The Intimate Couple“ (Rosenberg & Kitaen-Morse, 1996).

Von Kalifornien verbreitete sich die Integrative Körperpsychotherapie IBP über die USA, nach Kanada und Europa. Das Schweizer IBP Institut wurde 1990 von Dr. med. Markus Fischer gegründet. Es ist seit 1998 Mitglied der Schweizer Charta für Psychotherapie und der Psychotherapielehrgang wurde vom Schweizer Bundesamt für Gesundheit akkreditiert.

Als Psychotherapeut richtete Rosenberg sein Interesse interdisziplinär und schulenübergreifend auf das, was er an sich selbst und bei seinen Klient:innen als wirksam erlebte. Er integrierte so über die Jahre Elemente aus verschiedenen psychotherapeutischen und körpertherapeutischen Ansätzen zu einem eigenen, neuen Therapiesystem (Abbildung 1-1).

Mit diesem eklektischen Ansatz war er seiner Zeit, die sich eher durch Abgrenzung der verschiedenen Schulen voneinander auszeichnete, weit voraus. Heute zeigt sich jedoch in den Prinzipien der evidenzbasierten Medizin und im „neuen Integrationsparadigma“ (Petzold, 1993) in Psychologie und Psychotherapie ein allgemeiner Trend zu Wirksamkeitsorientierung und Integration verschiedener Therapiemethoden. 50 % aller freiberuflich tätigen Psychotherapeut:innen bekennen sich zu einem integrativen Vorgehen (Petzold, 1993). In Metaanalysen konnte nachgewiesen werden, dass die Wirksamkeit von Psychotherapie grösser ist, wenn die angewandten Methoden nicht nur auf die Diagnose, sondern auch auf transdiagnosti|17|sche Parameter (Kultur, Ethnie, Religion/Spiritualität, Bindungsstil, Coping-Strategien, Vorlieben bezüglich des therapeutischen Ansatzes) massgeschneidert sind.

Abbildung 1-1:  Quellen der Integrativen Körperpsychotherapie IBP.

Gemäss dem Motto „A new therapy for each patient“ sollten Psychotherapeut:innen über eine grosse Flexibilität in der Beziehungsgestaltung verfügen und fähig sein, ihre Methoden an die Werte und Bedürfnisse der Personen anzupassen (Norcross & Wampold, 2018). Ein methodenintegrativer Therapieansatz ist gut geeignet, angehende Psychotherapeut:innen für diese Aufgabe zu rüsten.

Ihre Geschichte prädestiniert die Integrative Körperpsychotherapie IBP zu einer grundsätzlichen Neugier und Offenheit gegenüber wissenschaftlichen Erkenntnissen aus vielen Disziplinen – geisteswissenschaftlichen ebenso wie sozial- und naturwissenschaftlichen. Diese Offenheit ist mit einem Bewusstsein für die immanente Vorläufigkeit jeder Theorie verbunden. Das setzt undogmatische Diskursbereitschaft und -fähigkeit voraus. Kontinuierliche Wissens- und Methodenintegration kann zu Divergenzen und Widersprüchlichkeiten zu bestehenden Theorien führen. Es muss immer wieder sorgfältig geprüft werden, wie Wissen integriert werden kann, das unter verschiedenen epistemologischen Voraussetzungen gewonnen wurde, ohne einem unkritischen Eklektizismus zu verfallen, der durch Inkompatibilitäten innerhalb von Meta- und Therapietheorie an Kohärenz verliert (Fischer et al., 2003). Historisch gesehen entstand die Integrative Körperpsychotherapie IBP durch kontinuierliche Integration von Konzepten und Therapietechniken, welche von Rosenberg in der Selbsterfahrung und in seinem therapeutischen Arbeiten als hilfreich und wirksam erlebt wurden. Die wissenschaftliche Fundierung der |18|praktischen Arbeit ist erst sekundär geschehen. Das IBP Institut Schweiz hat hierzu einen grossen Beitrag geleistet. Es hat sich beispielsweise an einer Multizenterstudie zur Evaluation der Wirksamkeit ambulanter Körperpsychotherapien (EWAK; Koemeda-Lutz et al., 2006) und an der Praxisstudie ambulante Psychotherapie Schweiz (PAP-S; Tschuschke et al., 2015; von Wyl et al., 2016) beteiligt.

1.1.2  Humanistische Psychologie

Ab Mitte des 20. Jahrhunderts entwickelte sich in den USA die humanistische Psychologie als „dritte Kraft“ neben den etablierten Therapieformen der Psychoanalyse und der Verhaltenstherapie. Mit der Machtergreifung Hitlers emigrierten viele deutsche Psycholog:innen und Psychiater:innen in die USA, unter anderen Kurt Goldstein, Erich Fromm, Fritz Perls, Alfred Adler, Wilhelm Reich, Otto Rank, Ruth Cohn und Charlotte Bühler. Sie brachten die Ideen der Existenzphilosophie in ein von der Wirtschaftskrise schwer erschüttertes Amerika, das dank Präsident Roosevelts Wirtschaftsreform New Deal am Beginn eines neuen Aufschwungs stand. Im Mittelpunkt von Roosevelts Politik standen die vier Freiheiten: Freiheit der Rede, Freiheit der Religion, Freiheit von Not, Freiheit von Furcht. Roosevelt sah die menschliche Natur als grundsätzlich gut und vernünftig an. Sein Wirtschaftsprogramm war geprägt von einem demokratischen, pragmatischen und humanistischen Geist. Einwandernde europäische Kunstschaffende, Philosoph:innen und Psychotherapeut:innen unterstützten die kulturelle Erneuerung in den USA und beteiligten sich rege an der Auseinandersetzung über Werte und Sinn der menschlichen Existenz (Quitmann, 1996). Nach der Instrumentalisierung der Massen im zweiten Weltkrieg sehnten sich die Menschen nach einem optimistischen Menschenbild, welches Entwicklungspotenzial, Selbstverwirklichung, Wahlfreiheit und Kreativität in den Mittelpunkt stellte.

Die Grundideen der humanistischen Psychologie basieren auf dem Gedankengut der Existenzphilosophie und stellen die Erforschung des menschlichen Seins, der Existenz, in den Mittelpunkt. Grundthemen der Existenzphilosophie sind Angst und Freiheit als zwei Seiten der Geworfenheit menschlicher Existenz, die Notwendigkeit von Wahl und Entscheidung, die sich daraus ergibt, die Verantwortlichkeit des Menschen sich selbst und anderen gegenüber sowie die Bedeutung von Gegenwärtigkeit als Verknüpfung von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft und als Ort der Begegnung des Menschen mit seiner Lebenswelt (Schwager-Dudli, 1995). In Anlehnung an Edmund Husserls Phänomenologie grenzt sich die humanistische Psychologie bewusst von der wissenschaftlichen Forderung nach Objektivität und Abstraktion ab. Sie erforscht den Menschen und dessen Existenz, indem sie sich an den Phänomenen orientiert. Die Subjektivität menschlicher Erfahrung wird nicht als Hindernis für Wissenschaftlichkeit betrachtet, sondern als deren Grundlage. Es wird anerkannt, dass Forschung nie wertfrei sein kann, sondern immer vom soziokulturellen Kontext und vom Wertesystem der Forschenden beeinflusst wird. Forschung kann somit immer nur zu Erkenntnissen von relativer Bedeutung führen und ist als Prozess der Wechselwirkung zwischen Forschungsobjekt und Forschenden zu verstehen.

Die Konzepte der humanistischen Psychologie entstanden in einer Atmosphäre von Aufbruch, Optimismus, Begeisterung und Idealismus. Sie waren eingebettet in die soziokulturellen Umwälzungen in den USA der 1950er Jahre und befassten sich mit dem Menschen und dessen Lebenswelt. Damit griffen sie weit über die Psychologie des Individuums hinaus und entfalteten ihre Wirkung auch in den Sozialwissenschaften, in Politik, Pädagogik, Organisationsentwicklung und Beratung. Der humanistischen Psychologie liegt keine einheitliche Theorie zugrunde. Sie vereint verschiedene Ideen und Konzepte, aus denen sich in der Folge unterschiedliche Therapieansätze |19|entwickelten. Allen Ansätzen ist gemeinsam, dass sie dem Menschen ein Bedürfnis nach Selbstverwirklichung, Autonomie, Zugehörigkeit, Anerkennung der eigenen Person und Sinnhaftigkeit zuordnen. In der Therapie werden Selbstverwirklichung, Eigenverantwortlichkeit, Wachstum, Echtheit und die Verbindung von Gedanken, Gefühlen und Handlungen zentral gewichtet (Schwager-Dudli, 1995).

1962 wurde von Abraham Maslow, Carl Rogers und Charlotte Bühler die American Humanists Psychological Association gegründet. 1964 formulierte Bugental die fünf Basispostulate der humanistischen Psychologie (Quitmann, 1996):

Der Mensch in seiner Eigenschaft als menschliches Wesen ist mehr als die Summe seiner Bestandteile.

Das menschliche Existieren vollzieht sich in menschlichen Zusammenhängen.

Der Mensch lebt bewusst.

Der Mensch ist in der Lage, zu wählen und zu entscheiden.

Der Mensch lebt zielgerichtet.

1.2  Menschenbild

Eva Kaul, Béatrice Schwager

Jeder Mensch entwickelt durch seine Erfahrungen ein individuelles Menschenbild, eine Vorstellung davon, was den Menschen in seinem Wesen ausmacht und was seine Bestimmung ist. Dieses Bild beinhaltet auch die Frage nach dem Bezug des Menschen zum Universum und ist somit Teil des Weltbildes. Dieses hat eine kosmologische (Aufbau der Welt) und eine religiös-spirituelle (Sinn der Welt) Dimension. Die Annahmen des Menschen- und Weltbildes prägen unsere Wahrnehmung von Menschen und unser Handeln, auch oder gerade, wenn sie uns nicht bewusst sind.

In der Psychotherapie arbeiten Menschen mit Menschen. Darum ist es für Therapeut:innen von grundlegender Bedeutung, sich des eigenen Menschenbildes und dessen Einfluss auf die eigene therapeutische Tätigkeit bewusst zu werden und es allenfalls weiterzuentwickeln. Jede Therapierichtung ist gefordert, sich Gedanken über ihr Menschenbild zu machen. Das Menschenbild ist ein Kernstück der metatheoretischen Grundlagen eines Psychotherapieverfahrens und prägt die Therapie- und Praxistheorie (Tree of Science, Petzold, 1993). Seine enorme praktische Bedeutung spiegelt sich in seinem Einfluss auf Gesundheits- und Krankheitsverständnis, Persönlichkeits- und Entwicklungstheorie, erkenntnisleitende Aufmerksamkeit, prognostische Einschätzung und auf die Wahl therapeutischer Methoden und Techniken wider.

1.2.1  Zentrale Aspekte des Menschenbildes der Integrativen Körperpsychotherapie IBP

Das Menschenbild der Integrativen Körperpsychotherapie IBP hat sich aus den Grundprinzipien der humanistischen Psychologie entwickelt, die 1964 von Bugental formuliert wurden. Die Integration von Elementen aus anderen Psychotherapie- und Körpertherapieformen erfolgte immer im Geiste der humanistischen Psychologie. In diesem Kapitel gehen wir auf die zentralen Aspekte des Menschenbildes der Integrativen Körperpsychotherapie IBP ein.

Der Mensch in seiner Eigenschaft als menschliches Wesen ist mehr und etwas anderes als die Summe seiner Bestandteile

Bugental betont in seinem ersten Postulat den fundamentalen Aspekt der Ganzheit des menschlichen Organismus, die Einheit von Körper, Geist und Seele. Damit wird die dualistische Trennung von denkendem Geist und nicht denkendem Körper überwunden, welche seit Descartes die Philosophie und Naturwissenschaften prägte. Descartes unterschied den greifbaren, mechanisch arbeitenden Körper radikal vom denkenden, ungreifbaren Geist.

|20|Das Wesen eines Menschen in seiner Ganzheit offenbart sich uns im Erleben der Ich-Du-Beziehung, in der Einmaligkeit der Hier-und-Jetzt-Begegnung (Buber, 1983). Fokussieren und analysieren wir Teilaspekte unseres Gegenübers, so sind wir nach Buber in der Ich-Es-Beziehung und das Gegenüber wird zum Objekt. Dies geschieht ständig und ist für Orientierung und inhaltliche Auseinandersetzung hilfreich. In der Reduktion auf Teilaspekte, auch wenn wir diese zusammenfügen, kann sich uns jedoch weder das Wesen der Person noch der Situation voll erschliessen. Wenn wir akzeptieren, dass es keine vom Beobachtenden unabhängige Realität gibt, dann ist der Mensch immer nur subjektiv und als Subjekt verstehbar. Psychotherapie entfaltet sich in diesem Spannungsfeld zwischen notwendiger Fokussierung auf Teilaspekte und Gewahrsein der wesensmässigen Ganzheit des Menschen.

Die Integrative Körperpsychotherapie IBP betont das Primat der Ganzheit, der Körper-Geist-Seele-Einheit des Menschen bei gleichzeitiger Kenntnis der Teilfunktionen. Unser Integrationsmodell unterscheidet Körpererleben, Emotionen und Kognitionen als drei Dimensionen menschlichen Erlebens. Der Körper bildet die materielle Grundlage unseres Seins, auch Emotionen und Kognitionen sind an körperliche Strukturen und Funktionen gebunden. Menschsein und menschlicher Ausdruck findet im und über den Körper statt. „Ich bin“ ist primär eine körperliche Grunderkenntnis. Gleichzeitig sind wir uns der wesensmässigen Ganzheit menschlichen Erlebens und Seins bewusst. Körpererleben, Emotionen und Kognitionen beeinflussen einander gegenseitig und können weder getrennt noch hierarchisiert werden. Erforschen und Kenntnis der Erlebensdimensionen Spüren, Fühlen und Denken ermöglichen dem Menschen Orientierung, Differenzierung und Verbalisierung. Das Erleben an sich ist jedoch immer ganzheitlich, einzigartig und im Zusammenspiel der verschiedenen Erlebensdimensionen mehr als die Summe von Körpererleben, Emotion und Kognition.

Der psychotherapeutische Zugang zum Erleben des Menschen über Reflexion und innere Bilder (kognitive Dimension) sowie Emotionen hat eine lange Tradition. Der Einbezug des Körpers in die Psychotherapie hat erst ab der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts breitere Zustimmung gefunden. Rosenberg leistete Pionierarbeit für die Integration des Körpers in die Psychotherapie. Er betonte immer die Bedeutung von Körperwahrnehmung und regelmässiger Körperarbeit für die mentale und psychische Gesundheit des Menschen. Die Integration aller drei Dimensionen des Erlebens ist das Fundament von Theorie und Praxis der Integrativen Körperpsychotherapie IBP.

Das menschliche Existieren vollzieht sich in Zusammenhängen

Der Mensch ist ein Beziehungswesen. Er steht in Beziehung zu sich selbst und zu seiner Lebenswelt. Diese Beziehung ist durch wechselseitige Abhängigkeit gekennzeichnet (Interdependenz). Der Mensch ist Produkt und Schöpfer seiner Lebenswelt. Die Lebenswelt umfasst nicht nur zwischenmenschliche Beziehungen, sondern ebenso die geographischen, kulturellen, politischen, ökologischen, zeitgeschichtlichen und religiös-spirituellen Gegebenheiten. Dieser umfassendere Aspekt der Bezogenheit der menschlichen Existenz kommt zu kurz, wenn Bugental in seinem zweiten Postulat nur von menschlichen Zusammenhängen spricht.

Die Einbettung in ein interpersonelles Beziehungsgeschehen ist Voraussetzung für Entwicklung und Überleben des Menschen, der als „physiologische Frühgeburt“ (Adolf Portmann) existenziell auf die Fürsorge durch Bezugspersonen angewiesen ist. Alles Sein ist Mitsein, denn im Kontakt mit anderen erleben und werden wir wir selbst (soziale Interdependenz). „Der Mensch wird am Du zum Ich“ (Buber, 1983). Weil die Realität der Lebenswelt nie unseren Idealbedürfnissen entspricht, ist Interaktion unvermeidlich damit verbunden, dass Bedürfnisse nicht befriedigt werden und Verletzungen geschehen. Schmerz und Unvollkommenheit sind |21|Teil der Geschichte jedes Menschen und prägen ebenso wie Ressourcenerfahrungen seine Persönlichkeit. Der Mensch ist ein Gewordener, geworden in der Begegnung seiner selbst mit der Lebenswelt. Diese Interaktion und Interdependenz dauert unser ganzes Leben an, so dass wir Werdende und uns Verändernde bleiben.

Die Begegnung des Menschen mit sich und anderen, der Kontakt, steht im Zentrum der gestalttherapeutischen Theorie, einer wesentlichen Wurzel der Integrativen Körperpsychotherapie IBP. Kontakt ist der lebendige Austausch zwischen Organismus und Umwelt, er findet an der Kontaktgrenze statt. Wir sind einerseits abgegrenzte, eigenständige Wesen und gleichzeitig in anhaltender Beziehung und Kommunikation mit der Welt, in der und durch die wir leben. Eine gesunde Balance zu finden zwischen der Beziehung zu sich selbst (Autonomie) und der Beziehung zu und Abhängigkeit von anderen Menschen und Umwelt (Heteronomie), ist eines der Spannungsfelder des menschlichen Seins (Fischer et al., 2003).

[…] we see relatedness to self and others as the main goal of therapy and life. We call this model „Relational Autonomy“. We value the natural human state of connectedness to others equally with the ability to have boundaries, a separate sense of self and to be the center of one’s own initiative (Rand, 1992).

Autonomie-, Unabhängigkeits- und Machtbedürfnisse entwickeln sich auf dem Boden der Erfahrung unmittelbarer Abhängigkeit und sind kulturell unterschiedlich ausgeprägt. Die in unserer Kultur vorherrschende Überbetonung individueller Bedürfnisse gegenüber den Bedingtheiten des menschlichen Kollektivs und der natürlichen Umwelt vernachlässigt die grundlegende Interdependenz menschlicher Existenz. Wird Autonomie nicht als Teil eines Beziehungssystems mit gegenseitiger Beeinflussung verstanden, entsteht die Illusion einer potenziellen Autarkie, mit der Gefahr, dass wir uns unserer Lebensgrundlage berauben.

Der Mensch hat die Fähigkeit zu Bewusstheit

Bewusstsein hat eine quantitative (wach sein) und eine qualitative Dimension (wahrnehmen). Es kann sich auf das eigene Erleben und Handeln und auf die Umwelt beziehen, weit oder fokussiert sein (Rahm et al., 1999). Bewusstheit ermöglicht erst diejenigen Fähigkeiten, die zu einem grossen Teil die Einzigartigkeit des Menschen ausmachen: Reflexionsvermögen, Introspektionsfähigkeit, Bewusstsein für die eigene Endlichkeit, Abstraktionsvermögen, Vernunftfähigkeit, Antizipationsfähigkeit, Wahl- und Entscheidungsfreiheit, Fähigkeit zur Übernahme von Verantwortung, Konfliktfähigkeit, Entwicklung von Werten. Bewusstheit ist immer begrenzt. Vieles entwickelt und entfaltet sich ausserhalb unseres Gewahrseins. Der Bereich des Unbewussten kann zwar verringert, aber nicht aufgehoben werden. Viele unserer erlernten Muster laufen unbewusst ab und bilden die Grundlage automatischen Verhaltens. Ebenso ist das Unbewusste Quelle unserer Kreativität und Intuition.

In der Praxis der Integrativen Körperpsychotherapie IBP wird versucht, Bewusstsein in allen Erlebensdimensionen (Körpererleben, Emotionen, Kognitionen) zu fördern, im Sinne von ganzheitlichem Gewahrsein und Einsicht. Diese mehrdimensionale Bewusstwerdung kommt dem felt sense von Gendlin nahe (Gendlin, 1978b). Die Ausweitung des Gewahrseins kann sich dabei auf etwas beziehen, dessen wir uns im Moment gerade nicht bewusst sind (z. B. eine Anspannung im Schultergürtel) oder auf etwas, dessen wir uns generell nicht bewusst sind (z. B. bestimmte Erlebens- oder Verhaltensmuster).

Der Mensch ist in der Lage, zu wählen und zu entscheiden

Diese Aussage basiert auf der vorherigen. Bewusstsein befähigt erst zu Freiheit, Wahl und im Sinne von Antworten zu Verantwortung. Was uns nicht bewusst ist, steuert unser unwillkürliches Verhalten. Je mehr Bewusstheit wir |22|entwickeln, je mehr Distanz von unseren Prägungen wir gewinnen, desto grösser wird der Spielraum für Wahl, Entscheidung und selbstverantwortliches Handeln. Gemäss der Existenzphilosophie ist die Freiheit des Wählens und Entscheidens keine Möglichkeit, sondern ein Muss, eine Notwendigkeit der menschlichen Existenz.

Die Integrative Körperpsychotherapie IBP versteht sich als eine Therapieform, welche die Wahl- und Entscheidungsfreiheit des Menschen respektiert und fördert. Dies gilt insbesondere auch für die therapeutische Beziehung. Der Klient formuliert ein Anliegen, zusammen mit dem Therapeuten wird der Auftrag geklärt und der Therapeut macht einen Vorschlag für das gemeinsame Arbeiten. Der Klient hat die Möglichkeit, auf diesen Vorschlag einzugehen oder nicht. Damit wird die Therapeutin zur Begleiterin für den Klienten auf dessen Weg in Richtung Verwirklichung seiner Werte und Ziele. Es gilt, auf diesem Weg die Ziele und Werte der Klient:innen zu respektieren. Oft sehen wir als Therapeut:innen weitere Entwicklungsmöglichkeiten, welche auch durchaus angesprochen werden sollen, besonders, wenn gewisse Entwicklungsschritte Voraussetzung sind, um die von der Klientin gewünschten Ziele zu erreichen. Ist die Klientin nicht bereit, diese Schritte zu gehen, so können wir, ohne zu moralisieren, die Konsequenzen aufzeigen.

Der Mensch ist wachstumsorientiert und zielgerichtet

Der Mensch hat Bedürfnisse und Impulse zur Bedürfnisbefriedigung. Nach Maslow können Bedürfnisse hierarchisch geordnet werden (Maslow, 1973): Basal sind die physiologischen Bedürfnisse nach Nahrung, Flüssigkeit, Schlaf, Sexualität, dann die Bedürfnisse nach Sicherheit, Liebe, Zugehörigkeit und Achtung. Alle diese Bedürfnisse werden als Mangelbedürfnisse bezeichnet. Befriedigung von Mangelbedürfnissen dient der Lebenssicherung und homöostatischen Regulation.

In der nächsten Hierarchiestufe folgen die Wachstumsbedürfnisse, beispielsweise das Bedürfnis nach Ganzheit, Erfüllung, Schönheit, Güte, Wahrheit, Kreativität und so weiter. Wir gehen davon aus, dass der Mensch einen natürlichen Impuls zu Veränderung, Wachstum und Entwicklung in sich trägt (Selbstaktualisierung nach Rogers, 1978) und nach Sinn und Erfüllung in seinem Leben strebt. Der Impuls zur Selbstaktualisierung kann in der Begegnung mit der Lebenswelt gefördert oder gehemmt werden. Aus der Verschränkung von individueller Disposition mit den Gegebenheiten der Lebenswelt entwickelt sich die Persönlichkeit. Idealerweise fühlt sich ein Mensch in seiner Einzigartigkeit willkommen und geliebt und kann seine Wesensart aktualisieren. In der Realität ist das immer nur partiell möglich, weil die Selbstaktualisierungstendenz des Menschen durch die Umwelt eingeschränkt wird. Die dadurch entstehenden Bedingtheiten müssen auch in der Psychotherapie berücksichtigt werden, indem Klient:innen und Therapeut:innen einerseits Veränderung anstreben und ebenso lernen, Unveränderbares zu akzeptieren.

Durch die Einbettung in die lineare Zeit hat das menschliche Leben einen Anfang, eine Richtung und ein Ende. Laut Heidegger ist unser Dasein „Sein zum Tode“ (Heidegger, 1926), denn es steuert letztlich auf den Tod zu. Das Gewahrsein der eigenen Sterblichkeit ermöglicht erst die Ausrichtung des Lebens auf der Grundlage der „Eigentlichkeit“.

Wir verstehen den Menschen als teleologisches Wesen, dessen Erlebens- und Handlungsmuster auch in der „Uneigentlichkeit“ einen Sinn haben, selbst wenn sie vordergründig hinderlich oder destruktiv erscheinen. Denn lebensgeschichtlich liegen ihnen konstruktive, kreative Impulse zugrunde, welche das eigene Überleben und die Verträglichkeit des Organismus mit der Lebenswelt sichern sollen. Diesen möglicherweise verborgenen Sinn aufzuspüren, die motivationale Klärung, gehört zu den Grundpfeilern der Integrativen Körperpsychotherapie IBP. Die Therapeutin unterstützt den |23|Klienten dabei, sich der Bedeutungen seines Erlebens und Verhaltens im Zusammenhang mit seinen bewussten und unbewussten Zielen und Werten gewahr zu werden. Auf diesem Weg bietet das IBP Persönlichkeitsmodell eine Orientierungsgrundlage für das Verständnis der eigenen Entwicklung. Die Einsicht beschränkt sich dabei nicht auf kognitives Verstehen, sondern bezieht über Aktualisierung der Erlebens- und Verhaltensmuster auch Körperempfindungen, Emotionen und Impulse in den Bewusstwerdungsprozess mit ein. So können die eigenen Muster, ihre geschichtliche Sinnhaftigkeit und ihre Bedeutung für die Gegenwart als felt sense gespürt und gefühlt werden. Verständnis und Akzeptanz für das eigene gewordene Sein sind eine zentrale Voraussetzung für die Entwicklung von Selbstmitgefühl und einen wohlwollenden, liebevollen Umgang mit sich selbst. Selbstempathie ist ein wesentlicher Faktor für die Persönlichkeitsentwicklung (Grawe, 1998). Auf dieser Basis kann reflektiert und erforscht werden, ob es im Hier und Jetzt nicht adäquatere Möglichkeiten gibt, die eigenen Ziele zu erreichen.

Das menschliche Erleben geschieht im Hier und Jetzt

Die Betonung der Gegenwärtigkeit menschlichen Erlebens in der Integrativen Körperpsychotherapie IBP geht auf Fritz Perls und die Gestalttherapie zurück. Vergangenheit und Zukunft sind Konstrukte, errichtet aus der Perspektive der Gegenwart. Verändert sich unser Blickwinkel, so verändert sich auch unsere Wahrnehmung von Vergangenheit und Zukunft.

Wenn wir uns erinnern, so erinnern wir uns im Hier und Jetzt. Das Aktualisieren von Vergangenheit geschieht also immer im Kontext und aus der Perspektive der Gegenwart. Bilder, Gefühle, Gedanken und Körperempfindungen, die dabei auftauchen, sind unser jetziges Erleben und Ausdruck desselben. Wir können nicht davon ausgehen, dass dieses Erleben identisch ist mit dem damaligen. Auch in der Regression und dem „Wiedererleben“ von vergangenen Gefühlen, Empfindungen und Gedanken sind alle unsere Erfahrungen, welche wir seitdem gemacht haben, und der Mensch, der wir heute sind, mit dabei und beeinflussen unsere Wahrnehmung und Interpretation.

Wenn wir in einer Psychotherapie szenisch oder imaginativ mit Beziehungsobjekten aus der Vergangenheit arbeiten, beispielsweise mit der Technik des „Mutterkissens“, so arbeiten wir mit gegenwärtigen inneren Repräsentanzen der damals erlebten Person. In der Interaktion damit kann sich das heutige Erleben verändern, Verletzung kann mitfühlend gesehen, ausgedrückt, akzeptiert und integriert werden. Veränderung kann nur in der Gegenwart stattfinden. In einer erfahrungsorientierten Therapie hat zwingend das Hier und Jetzt Vorrang, denn Erfahrung kann nur in der Gegenwart geschehen. Vergangenheit und Zukunft werden miteinbezogen, wenn sie die Gegenwart störend beeinflussen (Burow & Scherpp, 1981).

Die menschliche Entwicklung ist begrenzt

Nicht alles ist möglich. Unsere Entwicklungsmöglichkeiten werden sowohl durch extrinsische Umstände der Lebenswelt als auch durch intrinsische Begrenztheiten (psychische und physische Disposition) bestimmt. Wir können unsere frühen Prägungen nicht „wegtherapieren“. Doch Psychotherapie kann zu neuen, ebenfalls prägenden Erfahrungen verhelfen, welche die Wirkung alter Verletzungen auf das Erleben und Verhalten im Hier und Jetzt mindern. Manchmal geht es darum, einen Umgang mit dem Unveränderbaren zu finden.

Es gibt Schmerz in der Welt, den du weder vermeiden noch ändern kannst. Deine Sehnsüchte werden nie ganz verschwinden. Das Leben ist nicht immer fair. (Rosenberg & Kitaen-Morse, 2001).

Dass wir selbstgesteckte oder vorgegebene Ziele nicht erreichen, dass vielleicht sogar unser ganzer Lebensentwurf scheitert, gehört zu den Grundbedingungen menschlicher Existenz. |24|Unsere leistungsorientierte und individualistisch ausgerichtete Gesellschaft bietet wenig Hilfestellung, Scheitern sinnvoll einzubetten. Die Forderung nach self-management, Selbstverwirklichung und Selbstverantwortung wirft den Menschen im Scheitern auf seine eigene Unzulänglichkeit zurück und beschämt ihn. Denn oft wird der Selbstwert mit eigener Leistung und Erfolg gleichgesetzt und ist somit bedingt und vulnerabel. Die Freiheit zur Eigenverantwortung kann zur Falle werden, wenn die Spannung zwischen dem vermeintlich Möglichen und der eigenen Wirklichkeit zu gross wird (Ehrenberg, 2008; Hell, 2014).

Ein Menschenbild, das Scheitern miteinschliesst, kann uns helfen, eigene Fehler, Schwächen und Verletzlichkeiten zu akzeptieren, und uns mitfühlend und liebevoll zu begegnen. Erfährt eine Klientin in ihrer Trauer, Wut oder Verzweiflung über das eigene Scheitern durch die Therapeutin mitfühlende Spiegelung, so kann sie sich in ihrer Ganzheit angenommen fühlen. Diese Erfahrung hilft, die eigene Begrenztheit zu akzeptieren, aktiv zu resignieren. Laut Hell anerkennt aktive Resignation

die Grenzen, die einem Menschen gesetzt sind und will nicht das Unmögliche, sucht aber das Mögliche zu ergreifen. Statt nur immer den Erfolg zu suchen, kennt die aktive Resignation auch die Chance des Verzichts. Sie beschönigt nicht den Schmerz, der mit Resignation einhergeht. Aber sie weiss auch um das Leiden, das ungebremstes Erfolgsstreben mit sich bringt, sei es infolge Anspannung, Erschöpfung, Neid, Missgunst oder Beziehungsarmut. (Hell, 2014, S. 46).

|25|2  Der Mensch in seiner Lebenswelt

Eva Kaul, Béatrice Schwager

Das Leben des Menschen vollzieht sich im Kontext seiner Lebenswelt. Die Lebenswelt umgibt uns ebenso selbstverständlich wie die Luft, die wir atmen. Und ebenso wie die Atemluft ist sie nicht nur um uns, sondern auch in uns. Sie durchdringt uns, und wir sind Teil von ihr. Werte, Gewohnheiten und Normen der soziokulturellen Lebenswelt ermöglichen erst, dem Erleben Bedeutung und Sinn zuzuschreiben und es einzuordnen. Um den Menschen in seiner Ganzheit zu verstehen, sollten wir uns daher nicht auf das Erforschen seiner inneren Dynamik beschränken, sondern auch dessen Lebenswelt berücksichtigen.

Lebenswelt kann unterschiedlich kategorisiert werden. Basierend auf Habermas unterscheiden wir materielle Grundlagen, gesellschaftliche und kulturelle Komponenten der Lebenswelt (Habermas, 1981) (Abbildung 2-1). Die materiellen Grundlagen umfassen belebte und unbelebte Natur sowie die vom Menschen gestaltete Umwelt. Der Mensch ist unmittelbar von den materiellen Grundlagen der Lebenswelt abhängig, und das Überleben der uns nachfolgenden Generationen ist nicht ohne weiteres gewährleistet. Die Funktionalisierung des Menschen zur Leistungssteigerung und die oft krankheitsfördernde Ausbeutung personaler Ressourcen spiegelt sich in unserem Umgang mit dem Ökosystem Erde wider. Dort wird die Ausbeutung kollektiver Ressourcen in einem Mass vorangetrieben, welches die Lebensgrundlage aller Menschen gefährden kann. Die Zunahme umweltbedingter Erkrankungen und die Auswirkungen der globalen Erwärmung auf unsere Lebensbedingungen zeigen deutlich, wie wir auf das Ökosystem Erde einwirken und dieses wiederum auf uns (Ghebreyesus, 2022; Vicedo-Cabrera, 2022; Shindell, 2022; Colon-Gonzalez, 2022).

Die gesellschaftliche Lebenswelt beinhaltet soziale Beziehungen und die Einbindung des Einzelnen in ökonomische, politische und wirtschaftliche Strukturen. Die soziale Mitwelt kann für die Entwicklung der Persönlichkeit und die Befriedigung ihrer Bedürfnisse förderlich oder hinderlich sein. Der ökonomische Status spielt eine wichtige Rolle für Lebenszufriedenheit und Gesundheit. Studien weisen einen Zusammenhang zwischen sozioökonomischer Herkunft, Bildung, Beruf und Einkommen und Krankheitsanfälligkeit im Erwachsenenalter nach (Meyer, 2008; Cohen et al., 2013). Politische Strukturen und wirtschaftliche Systeme können mit ihren impliziten Werten den Menschen herausfordern. So erwartet beispielsweise das kapitalistische Wirtschaftssystem vom Menschen eine Flexibilität, welche dessen Bedürfnis nach Verbindlichkeit, Sicherheit und Konstanz von Strukturen zuwiderläuft (Sennett, 1998). Ein solches System greift auch in die soziale Lebenswelt ein, indem die Existenzsicherung eine hohe zeitliche Verfügbarkeit oder häufige Wohnortswechsel verlangt, was den Raum für die Pflege sozialer Beziehungen beeinträchtigt. Globale Entwicklungen wie die zu|26|nehmende Digitalisierung (Han, 2013a) und Beschleunigung (Rosa, 2013) drohen viele Menschen zu überfordern und begünstigen Erkrankungen.

Abbildung 2-1:  Der Mensch ist mit seinem Erleben eingebettet und in Wechselwirkung mit der Lebenswelt. Diese erstreckt sich über Zeit und Raum.

Die kulturelle Lebenswelt beinhaltet spezifische Formen der Übereinkunft und Deutungsmuster in einer Gesellschaft. Erll und Gymnich beschreiben als kulturelle Merkmale Zeit- und Raumerleben, Art der Wahrnehmung und Verarbeitung derselben, Denken, Sprache, nonverbale Kommunikation, Werte und Verhaltenskodizes (Erll & Gymnich, 2013). Auch religiös-spirituelle Werte und Verhaltensweisen werden der kulturellen Lebenswelt zugeordnet. Sind wir uns der Bedingtheit menschlichen Erlebens und dessen Abhängigkeit von der kulturellen Lebenswelt bewusst, so hat dies Auswirkungen auf unser Verständnis und den Einsatz psychotherapeutischer Instrumente. Die meisten therapeutischen Methoden wurden im europäischen und amerikanischen Kulturkreis für Menschen mit ebensolcher soziokultureller Prägung entwickelt. Globalisierung, Kriege, Katastrophen und Wohlstandsunterschiede haben jedoch grosse Migrationsströme verursacht, so dass wir in unserer Praxis zunehmend mit Menschen aus anderen Kulturen konfrontiert sind. Denken, Wertvorstellungen, Verhalten, Menschenbild, Krankheits- und Therapieverständnis dieser Menschen weichen oft beträchtlich von den soziokulturellen und lebensgeschichtlichen Prägungen der mitteleuropäischen Lebenswelt ab. Therapeut:innen sind daher zunehmend gefordert, Wissen und Kompetenzen über andere Kulturen und Lebenswelten zu erwerben.

Gesellschaftliche, kulturelle und materielle Lebenswelt wirken vom Zeitpunkt unserer Zeugung an prägend auf die Persönlichkeit ein. Umgekehrt ist die je eigene Lebenswelt wiederum vom Individuum beeinflussbar. Schon Säuglinge versuchen mit ihrem Verhalten eine Wirkung bei ihrer Bezugsperson zu erzielen. Die Persönlichkeit und ihre Lebenswelt sind in dauernder Interaktion, formen und prägen sich gegenseitig. Für diese Interaktionen gelten Gesetze, welche Maturana und Varela allgemein für Lebewesen formuliert haben (Maturana & Varela, 1984): Einflüsse der Lebenswelt lösen im Lebewesen eine Wirkung aus, aber sie bestimmen diese nicht. Es ist vielmehr die Struktur des Lebewesens, die determiniert, mit wel|27|cher Veränderung es auf äusseren Einfluss reagiert. Eine Interaktion kann eine Strukturveränderung nicht determinieren, weil diese Veränderung vom vorausgehenden Zustand des Lebewesens abhängig ist. Man spricht von struktur-determinierter Veränderung. Die Veränderung führt zu einer strukturellen Verträglichkeit des Organismus mit seinem Umfeld, also einer Anpassung, welche das Fortbestehen des Organismus sichern soll. Die gegenseitige Beeinflussung und Auslösung von Zustandsveränderungen von Individuum und Lebenswelt wird als strukturelle Koppelung bezeichnet.

Auch auf die Entwicklung der Persönlichkeit lassen sich obige Gesetzmässigkeiten übertragen: Jeder Mensch erlebt sich in Interaktion mit seiner Lebenswelt. Sein Erleben organisiert er in Erfahrungen, welche zu strukturellen Veränderungen führen und so die Entwicklung der Persönlichkeit beeinflussen. Die Art der Veränderung wird bestimmt vom Zustand und der Struktur des erlebenden Individuums, weniger vom Erlebnis selbst. Aus der beobachtenden Perspektive der Therapeut:innen mögen sich zwar kausale Verknüpfungen äusserer Einflüsse und Persönlichkeit der Klient:innen aufdrängen. Deren Symptome und Verhaltensweisen erscheinen uns vor dem Hintergrund ihrer Lebensgeschichte sinnvoll und nachvollziehbar. Daraus auf einen deterministisch kausalen Zusammenhang zu schliessen, ist aber irreführend. Wenn dem so wäre, dann müssten wir umgekehrt aufgrund eines äusseren Einflusses die Entwicklung der Persönlichkeit schlüssig voraussagen können, was nicht der Fall ist. Wir wissen beispielsweise, dass der Bindungsstil von Mutter und Kind zu 75 % übereinstimmt (Brisch, 2014). Daraus eine Voraussage des Bindungsstils für den einzelnen Menschen herzuleiten, ist trotzdem unmöglich.

Dass die Entwicklung der Persönlichkeit strukturdeterminiert ist, drückt sich auch in den Forschungsergebnissen zu Resilienz und Vulnerabilität aus. Werner und Smith erforschten in einer Langzeitstudie (1955–1999) den Einfluss verschiedener biologischer und psychosozialer Risikofaktoren auf die Entwicklung von knapp 700 Kindern (Werner & Smith, 2001). Ein Drittel dieser Kinder hatte durch Geburtskomplikationen, chronische Armut oder elterliche Psychopathologie ein hohes Entwicklungsrisiko. Von diesen entwickelte sich wiederum ein Drittel zu gesunden, leistungsfähigen und mitfühlenden Erwachsenen. In dieser Gruppe fand sich die niedrigste Rate an Todesfällen, chronischen Krankheiten und Scheidungen. Alle hatten Arbeit und keiner war mit dem Gesetz in Konflikt gekommen. Sie verfügten offenbar über eine grosse Resilienz (Widerstandsfähigkeit) und geringe Vulnerabilität (Verletzlichkeit). Zu einer hohen kindlichen Resilienz tragen innere (weibliches Geschlecht, kognitive Fähigkeiten, soziale Kompetenzen, positives Temperament, positives Selbstwertgefühl, Selbstwirksamkeitsüberzeugung) und äussere Schutzfaktoren (stabile und verfügbare Bezugspersonen, offenes und anregendes Erziehungsklima, hoher sozioökonomischer Status, Qualität der Elternbeziehung) bei (Jenni & Ritter, 2018).

Neben dieser Einbettung in die aktuelle Lebenswelt sind wir auch in der historischen Perspektive verortet. Jede Erfahrung in der Gegenwart findet vor dem Hintergrund unserer Vergangenheit statt. Die individuelle Lebensgeschichte einer Person, diejenige ihrer Eltern und Grosseltern, besonders frühe Beziehungserfahrungen und transgenerational übertragene somatische, emotionale, kognitive und Verhaltensmuster tragen wesentlich zur Ausbildung der individuellen Persönlichkeit bei. Die Vergangenheit ist wie eine Brille, welche unsere Wahrnehmung und Interpretation der Gegenwart ebenso wie unsere Vorstellungen und Möglichkeiten für die Zukunft grundlegend beeinflusst. Erleben, seine Deutung und Einordnung sind somit subjektiv. Objektive, allgemeingültige Realität gibt es nicht, denn Realität ist ein subjektgebundenes Konstrukt. Sie ergibt sich aus dem Erkennen des Beobachters, der unterscheidet, gewichtet, interpretiert und in einem kreativen Prozess seine individu|28|elle Welt erschafft. Diese Welt ist eine von vielen möglichen Welten. Varela nennt den Prozess, durch Erkennen eine Welt hervorzubringen, „Ontieren“ – Dasein schaffen (Maturana & Varela, 1984).

Lebenswelt ist also in zweifacher Weise mit unserem Erleben verknüpft. Sie bildet einerseits im Hier und Jetzt Teil des Inhalts unseres Erlebens und beeinflusst andererseits aus der Vergangenheit als individuelle Lebensgeschichte unsere Wahrnehmung und Interpretation des Erlebten.

2.1  Das Integrationsmodell menschlichen Erlebens

Eva Kaul

Eingebettet in Lebenswelt und Zeit machen wir unsere Erfahrungen. Es ergibt sich eine zirkuläre Beziehung von Erleben, Erfahrung und Struktur des Individuums. Erleben löst über Organisation in Erfahrung Veränderung der Struktur aus. Die Struktur wiederum beeinflusst unsere Erfahrungen. Das IBP Integrationsmodell unterscheidet drei Dimensionen, anhand derer wir Menschen unser Erleben ordnen können: Körpererleben, Emotionen und Kognitionen (Abbildung 2-2, Abbildung 2-3).

Abbildung 2-2:  Integrationsmodell.

Abbildung 2-3:  Therapeutisches Arbeiten mit dem Integrationsmodell.

Die Erlebensdimensionen sind miteinander vernetzt und werden in der frühen Kindheit noch als Ganzes erlebt. Erst die Entwicklung von Sprache und bewusster Wahrnehmung der eigenen Innenwelt ermöglicht die Kategorisierung des Erlebens in unterschiedliche Dimensionen. Dank dieser Kategorisierung erhält der Mensch differenziertere Orientierung, kann sein Erleben aus verschiedenen Perspektiven strukturieren und erweitert damit seine Wahrnehmungs- und Reaktionsmöglichkeiten.

Die Vernetzung und gegenseitige Modifikation der drei Dimensionen ist am eigenen Erleben nachvollziehbar. In der Regel sind Zeitstruktur, Intensität, Rhythmus und Dynamik der verschiedenen Dimensionen kongruent (Dornes, 2001). So ist beispielsweise das Gefühl Nervosität meist verbunden mit innerer Unruhe, raschen, unvollendeten Gedanken oder Sätzen, abgehackten und unruhigen Bewegungen und beunruhigenden inneren Bildern. Die Wandlung der Qualität einer Dimension kann zu gleichzeitigem, korrelativem Wandel der anderen Dimensionen führen. Diese Vernetzung kann therapeutisch genutzt werden.

|29|Jeder Mensch zeichnet sich durch je eigene Fühl-, Denk- und Verhaltensmuster aus. Diese sind einerseits als Temperament angeboren und andererseits in der Interaktion mit der Lebenswelt gewachsen. Dabei werden Körpererleben, Gedanken und Emotionen zu einem bestimmten Erlebnis als synchrone Erregungsmuster über synaptische Verbindungen zu einem Nervenzellnetzwerk gekoppelt („cells that fire together, wire together“). Je öfter wir diese Körper-Fühl-Denk-Muster leben, desto besser werden sie in unserem Gehirn strukturell verankert und desto schwieriger sind sie zu verändern. Denn Synapsen zwischen Nervenzellen bilden und erhalten sich auf der Basis von Benutzung („use it or lose it“). (Roth, 2001; Ledoux, 2004).

Funktional sind somatische, emotionale und kognitive Prozesse eine untrennbare Einheit. Aus didaktischen Gründen und um die eigene Selbstwahrnehmung zu differenzieren, betrachten wir sie im Integrationsmodell einzeln.

2.1.1  Die körperliche Dimension des Erlebens

Innerhalb des Integrationsmodells betrachten wir die somatische Dimension als grundlegendste. Die Ontogenese beginnt mit dem Körper und das früheste Selbst ist ein körperliches (Freud, 1923; Stern, 1992). Damasio bezeichnet das erste Selbst als Protoselbst, eine zusammenhängende Sammlung neuronaler Muster, die den physischen Zustand des Organismus abbilden (Damasio, 2001). Daraus entwickle sich das gefühlte Kernselbst, welches bewusstseinsfähig, aber nicht an Sprache gebunden ist. Es wird als Körpergefühl repräsentiert. Protoselbst und gefühltes Kernselbst lassen sich als Körperselbst zusammenfassen (Storch et al., 2006). Rosenberg versteht das Selbst zuallererst als nonverbale körperliche Erfahrung (Rosenberg et al., 1996).

Ohne Körper können wir weder fühlen noch denken noch handeln. So wie der Gesamtorganismus eingebettet ist in die Lebenswelt, sind Geist und Psyche eingebettet in den und in Beziehung zum Gesamtkörper. Diese Verkörperung von Geist und Psyche wird als Embodiment bezeichnet (Storch et al., 2006; Tschacher & Storch, 2012; Fuchs, 2020).

Die Wirkung emotionalen Erlebens auf den Körper ist den meisten Menschen aus der eigenen Erfahrung gut bekannt und wird auch in unserem Sprachgebrauch abgebildet: Uns schlottern die Knie vor Angst, es hüpft uns das Herz vor Freude, wir platzen vor Wut. Dass umgekehrt auch das Körpergeschehen unser emotionales Erleben beeinflusst, ist vielen weniger bewusst. Versuche von Ekman zum facial feedback zeigten, dass bestimmte Gesichtsausdrücke entsprechende Emotionen hervorrufen können (Ekman, 1992). Ebenso kann das bewusste Verändern der Körperhaltung unsere Befindlichkeit beeinflussen. Richten wir uns auf, lassen den Blick weit in die Ferne schweifen und atmen tief durch, ist unsere Stimmung anders, als wenn wir Kopf und Schultern hängen lassen, den Blick auf den Boden richten und dem Atem wenig Raum geben. Es ist nicht nur so, dass eine bestimmte Körperhaltung die entsprechende Emotion ermöglicht, sondern es ist fast unmöglich, eine zur Körperhaltung nicht kongruente Emotion zu halten. Wenn wir mit schleppenden Schritten gehen, den Rücken krümmen, die Schultern nach vorne fallen und den Kopf hängen lassen, ist es schwierig, sich selbstbewusst und stolz zu fühlen. Wir können also therapeutisch Atem, Körperhaltung, Muskeltonus und Mimik nutzen, um das emotionale Erleben zu beeinflussen.

Auch die innere Haltung und unsere Denkmuster können über Veränderung der äusseren Haltung beeinflusst werden. Dazu wurden eine Vielzahl von Experimenten mit dem sogenannten palm paradigm durchgeführt. Wenn Proband:innen eine Handfläche von unten an die Tischplatte drücken, so führt das eher zu Annährungsverhalten und bejahendem Denken, drücken sie von oben, zu vermeidendem Verhalten und ablehnendem Denken (Storch et al., 2006). Ersteres aktiviert über die Muskelkontraktion ein „Komm-her“-Muster im Fühlen und Denken, letzteres ein „Geh-weg“-Muster.

|30|Die meisten Menschen sind sich im Alltag ihres Körpers wenig bewusst. Denn das Gehirn bringt uns sinnvollerweise bevorzugt neue und ungewohnte Wahrnehmungen ins Bewusstsein, insbesondere solche, die es mit Gefahr oder Attraktivität assoziiert. Alle anderen Sinneseindrücke bewertet und verarbeitet das Gehirn ohne unser bewusstes Zutun. So antworten viele Menschen auf die häufigste Frage von Körperpsychotherapeut:innen („Was spüren Sie in Ihrem Körper?“) erst einmal mit: „Nichts, es ist alles normal.“

Manche Menschen finden schnell einen Zugang zu ihrem Körpererleben, wenn man sie dazu anleitet und ihnen hilft, ein entsprechendes Vokabular zu entwickeln. Für andere ist es ein deutlich schwierigerer und längerer Prozess. Je weniger die Grundbedürfnisse eines Menschen in seiner Kindheit befriedigt wurden, desto unangenehmere Körperempfindungen und Gefühle hat er erlebt und desto eher wurde seine Regulationsfähigkeit überfordert. Bei überforderndem Erleben entwickelt der Organismus defensive und kompensatorische Bewältigungsstrategien. Diese sind mit einer Vielzahl an psychischen Symptomen verbunden, wie z. B. Abspaltung von Körperempfindungen und Emotionen, rigidem Denken, Verdrängung oder Einschränkung der Impulskontrolle. In unserem Persönlichkeitsmodell entspricht das der Ausbildung des defensiven und offensiven Kompensationsstils. Je ausgeprägter diese Kompensationsstile sind, desto belastender ist in der Regel das dadurch vermiedene innere Erleben. Im therapeutischen Setting steht in diesen Fällen zuerst die therapeutische Beziehung mit dem Aufbau von Ressourcen, Stabilisierung und Erweiterung der Regulationsmöglichkeiten im Zentrum, bevor es möglich wird sich den eigenen Empfindungen und Emotionen zuwenden zu können.

Zur körperlichen Dimension des Erlebens zählen wir auch die Impulse. Ein Impuls bereitet eine Handlung vor, führt jedoch nicht zwingend zu dieser Handlung. Im Unterschied zum Reflex besteht beim Impuls eine Wahlmöglichkeit, weil er kortikalen Einflüssen unterliegt (Roth, 2001). Wenn wir Angst haben, zu spät zu kommen, so spüren wir vielleicht den Impuls, auf das Gaspedal zu drücken und zu schnell zu fahren. Wir haben aber immer noch die Wahl, ob wir diesem Impuls nachgeben oder nicht.

Ganz vereinfacht betrachtet gibt es zwei Grundimpulse: „Hin zu“ erstrebenswerten Ereignissen oder Objekten und „weg von“ negativen Ereignissen oder Objekten. Diese Grundimpulse werden von Davidson zwei basalen emotionalen Schaltkreisen im Gehirn zugeordnet, nämlich dem Annäherungssystem (approach system) und dem Rückzugssystem (withdrawal system) (Davidson, 1999). Die durch den Impuls ausgelöste Handlung dient der Anpassung des Organismus an die Lebenswelt, ist also eine adaptive Leistung.

Die Wahrnehmungsschulung von Verhaltensimpulsen ist von grosser Bedeutung in der Körperpsychotherapie. Viele Menschen übergehen ihre Impulse zugunsten eines funktionalen, von der Umgebung erwünschten Verhaltens (Übersteuerung). Mit der Zeit verlernen sie sogar, ihre eigenen Impulse wahrzunehmen und handeln automatisch gemäss erlernten Mustern. Für diese Menschen ist es wichtig, wieder Zugang zu ihren Impulsen zu finden und sich zu erlauben, diese auszudrücken.

Es gibt aber auch Menschen, die ihre Impulse unkontrolliert ausagieren und so immer wieder Situationen kreieren, die sie selbst und andere beeinträchtigen (Untersteuerung). Für sie ist wichtig, ihre Impulse wahrnehmen zu lernen, innezuhalten, statt unmittelbar zu agieren und andere Regulationsmöglichkeiten zu finden. Wir bezeichnen das als Vergrösserung des Containments.

2.1.2  Die emotionale Dimension des Erlebens

Bezüglich der Definitionen und Abgrenzung der Begriffe Emotion, Gefühl und Affekt herrscht in der Literatur keine Einigkeit. Etymologisch ist Emotion hergeleitet von „Bewegung“, Affekt von „antun, erfüllen“. Affekt wird manchmal als |31|reaktives, impulsives Gefühl (Roth, 2001) oder intensiveres, heftigeres, plötzlich beginnendes Gefühl definiert (Koemeda-Lutz, 2009). Da hierbei aber die genaue Grenzziehung unklar ist, halten wir uns an Scharfetter und verwenden die beiden Begriffe synonym (Scharfetter, 2002). Dies macht für uns auch insofern Sinn, als wir uns in unserem Selbstkonzept auf die Strukturachse der Operationalisierten Psychodynamischen Diagnostik (OPD) beziehen. Dort wird in der Beschreibung der Dimensionen der Selbststruktur nicht zwischen Emotion und Affekt unterschieden. Hingegen kann die Stimmung (auch: Gestimmtheit, Befindlichkeit) von der Emotion unterschieden werden durch ihre geringere Intensität, längere Dauer und fehlenden Objektbezug. Eine Stimmung prägt unser Denken und Handeln über eine gewisse Zeitspanne, während die Emotion einen kürzeren Verlauf hat. Die Grundstimmung ist zusammen mit dem Temperament ein Kennzeichen der Persönlichkeit: Jemand ist ein cholerischer, gelassener, lustiger, melancholischer oder ängstlicher Mensch.

Bei den Emotionen können wir Vitalitätsaffekte von diskreten Affekten unterscheiden (Stern, 1992). Vitalitätsaffekte werden oft mit Metaphern (sich beschwingt fühlen, sich niedergedrückt fühlen, vor Energie platzen) oder mit körpernahen Begriffen (leicht, ruhig, wohl, unwohl, erregt, unruhig) beschrieben. Diskrete oder kategoriale Affekte sind z. B. Angst, Scham, Freude, Neugier, Wut oder Neid. Kategoriale Affekte können mit Vitalitätsaffekten aussagekräftiger beschrieben werden: Die Freude kann still, bewegt, leicht oder überschäumend sein. Kategoriale Affekte unterscheiden sich in Bezug auf die aktivierten Hirnstrukturen und Neurotransmittersysteme oder das Mass der Aktivierung. So gehen beispielsweise Irritation, Nervosität, Ängstlichkeit, Angst und Panik alle mit denselben physiologischen Veränderungen einher, deren Ausmass und damit auch die Intensität des erlebten Gefühls sind aber unterschiedlich.

Gefühle tauchen sowohl phylogenetisch als auch in der individuellen menschlichen Entwicklung erst mit zunehmender Differenzierung des Gehirns auf. Sie basieren auf der Aktivierung subkortikaler Hirnstrukturen, insbesondere des limbischen Systems. Sie erweitern das Spektrum von Reaktionsmöglichkeiten auf Reize aus der Um- und Innenwelt im Vergleich zu den primitiven, immer gleich ablaufenden reflektorischen Reaktionen stammesgeschichtlich älterer Lebewesen beträchtlich. Gemäss dem additiven Prinzip der Evolution wurden die für Emotionen notwendigen neuronalen Strukturen durch Erweiterung und Differenzierung der vorhandenen gebildet. So sind Emotionen immer mit körperlichen Empfindungen assoziiert. Diese Verbindung von Empfindung und Fühlen wurde erstmals von James postuliert (1920, zitiert in Roth, 2001):

Wenn wir uns ein starkes Gefühl vorstellen und dann versuchen, in unserem Bewusstsein jegliches Empfinden für seine Körpersymptome zu eliminieren, stellen wir fest, dass wir nichts zurückbehalten, keinen „Seelenstoff“, aus dem sich das Gefühl zusammensetzen liesse, und dass ein kalter und neutraler Zustand intellektueller Wahrnehmung alles ist, was bleibt.

Neben der Erweiterung und feineren Abstimmung unserer Handlungsmöglichkeiten haben Emotionen auch eine kommunikative Funktion. Auch diese beruht auf dem Körper: Anhand von Haltung, Mimik, Stimme und Gestik erkennen wir, ob unser Gegenüber wütend, zufrieden oder ängstlich ist.

Ab welchem Zeitpunkt der Entwicklung Menschen Gefühle haben, ist eine offene Frage. Föten können bereits Stress wahrnehmen und darauf reagieren. Neugeborene können Interesse, Freude, Kummer, Ekel und Überraschung ausdrücken. Äusserungen von Furcht lassen sich erst mit etwa sechs Monaten beobachten, von Scham und Schuld wesentlich später (Stern, 1992). Säuglinge drücken ihre Gefühle unmittelbar und mit ihrem ganzen Körper aus. Dies ist auch notwendig, sind sie doch zur |32|Befriedigung ihrer Bedürfnisse ganz auf die Bezugsperson angewiesen. Sie können ihre Gefühle noch kaum selbst regulieren, sondern brauchen ein self regulating other (Stern, 1992). Mit zunehmendem Alter und grösserer Selbständigkeit sind Emotionen, die sich auf Bedürfnisse beziehen, immer weniger Signale nach aussen, sondern nach innen, und dienen dazu, entsprechende Handlungen einzuleiten. Dass ältere Kinder das emotionale Erleben nicht automatisch auch ausdrücken, hat also nicht nur mit Erziehung, sondern auch mit grösserer Selbstwirksamkeit zu tun. Zudem übt der erst postpartal ausreifende frontale Kortex eine hemmende Wirkung auf subkortikale Prozesse aus und unterstützt so die Emotionsregulation.

In der Interaktion mit seinen Bezugspersonen lernt das Kind über Affektabstimmung den Ausdruck seiner Gefühle zu erweitern und zu differenzieren, indem es Gestik, Mimik und Vokalisation nutzt. Ab dem zweiten Lebensjahr eignet es sich über verbale Spiegelung den symbolischen Gefühlsausdruck an. Fehlende oder kritische Spiegelung von Gefühlen, bedingt durch Einschränkungen in Affektwahrnehmung, -toleranz und -ausdruck der Bezugspersonen kann die Integration des vollständigen Gefühlsrepertoires beim Kind beeinträchtigen.

Gefühle helfen uns, die Umwelt einzuschätzen und unsere Reaktionen differenziert anzupassen. Sie sind Teil des zerebralen Bewertungssystems, indem sie jeden Sinneseindruck nach den Kriterien wichtig/unwichtig (Relevanz) und angenehm/unangenehm (Valenz) einordnen. Diese emotionale Stellungnahme geschieht automatisch innerhalb von Millisekunden und erreicht unser Bewusstsein nur ab einer bestimmten Intensität oder wenn das Wahrgenommene für uns überraschend ist. In einem weiteren Bewertungsschritt wird der Auslöser hinsichtlich seiner persönlichen Bedeutung eingeschätzt. Diese Bedeutungsgebung ist abhängig von Vorerfahrungen und dem aktuellen Zustand der betroffenen Person und wird als kategoriale Emotion erlebt (Koemeda-Lutz, 2009; Geuter, 2019).

Emotionen lösen eine Vielzahl von physiologischen Veränderungen in unserem Gehirn und Körper aus, welche uns darauf vorbereiten, in Aktion zu treten. Über den Hypothalamus und das vegetative Nervensystem ändern sich unter anderem Blutdruck, Herz- und Atemfrequenz, Pupillengrösse, Schweissproduktion und Aktivität des Gastrointestinaltraktes. Über die Basalganglien und das somatische Nervensystem werden Tonus der Skelettmuskulatur verändert und Handlungsmuster initiiert. Emotionen sind als Motivation intentional, auf ein Ziel gerichtet, und bilden die Grundlage für unsere Handlungsbereitschaft: Was angenehm bewertet wird, löst einen „Hin-zu“-Impuls aus, Unangenehmes einen „Weg-von“-Impuls. Gefühle verändern den Blutspiegel verschiedener Hormone und sie scheinen auch die Funktion des Immunsystems zu beeinflussen.

Die Integrative Körperpsychotherapie IBP versteht gelungene Affektregulation psychologisch als vollständige Gestalt und neurobiologisch als vollständig durchlaufenen Reiz-Regulations-Zyklus des vegetativen Nervensystems. Affekte können durch ein äusseres Ereignis oder inneres Erleben (Erinnerung, Vorstellung, Gedanke, Körperempfindung) ausgelöst werden. Sie gehen mit einer Aktivierung des vegetativen Nervensystems einher, es bildet sich eine offene Gestalt. Die Deaktivierung im vegetativen Nervensystem, die Rückkehr des Organismus in die Bandbreite der Homöostase, vervollständigt die Gestalt. Diese Vervollständigung kann über Affektausdruck geschehen, aber auch durch Wahrnehmen, Anerkennen und Akzeptieren der Emotion und des damit verbundenen Bedürfnisses oder Impulses. Wenn wir derart Zeuge unseres emotionalen Erlebens sein können, fühlen wir uns gesehen und der Organismus kann entspannen. Die Integrative Körperpsychotherapie IBP unterstützt Menschen sowohl im Erlernen von adäquatem Affektausdruck als auch von Affekttoleranz, in unserer Terminologie Affektcontainment. Die Voraussetzung dafür ist eine differenzierte Wahrnehmung von sich selbst und von seinem Gegenüber.

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