Einführung in die Versicherungsbetriebslehre - Jens Mörchel - E-Book

Einführung in die Versicherungsbetriebslehre E-Book

Jens Mörchel

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Beschreibung

Diese Einführung in die spezielle Betriebswirtschaftslehre von Versicherungsunternehmen ist kompakt und praxisorientiert, dabei zugleich aber fachlich fundiert geschrieben. Versicherungsunternehmen agieren auf wettbewerbsintensiven Märkten und sind einer Vielzahl neuer Herausforderungen ausgesetzt, wozu insbesondere Digitalisierung sowie eine Vielzahl neuer Kundenbedürfnisse gehören. Zur Bewältigung dieser Herausforderungen ist eine komplexe Steuerung nötig, die sich auf verschiedenen Ebenen vollzieht und sowohl Risikomanagement, Finanzen, Kunden, Prozesse und Personal in den Blick nehmen muss.

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BWL Bachelor Basics

Herausgegeben von Horst Peters

Jens Mörchel/ Matthias Beenken/ Lukas Linnenbrink

Einführung in die Versicherungsbetriebslehre

Verlag W. Kohlhammer

Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwendung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechts ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insb. für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

 

1. Auflage 2023

 

Alle Rechte vorbehalten

© W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Gesamtherstellung: W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

 

Print:

ISBN 978-3-17-037078-4

 

E-Book-Formate:

pdf:       ISBN 978-3-17-037079-1

epub:    ISBN 978-3-17-037080-7

 

Für den Inhalt abgedruckter oder verlinkter Websites ist ausschließlich der jeweilige Betreiber verantwortlich. Die W. Kohlhammer GmbH hat keinen Einfluss auf die verknüpften Seiten und übernimmt hierfür keinerlei Haftung.

Inhaltsverzeichnis

Geleitwort des Herausgebers

Vorwort der Autoren

1           Grundlagen der Versicherungswirtschaft

1.1        Das Versicherungsunternehmen in seiner Umwelt

1.1.1     Versicherungsmärkte in Deutschland und Europa

1.1.2     Rahmenbedingungen für Versicherungsunternehmen (Rechtsformen, Solvency II, Pflichtversicherungen, Versicherungsaufsicht usw.)

1.1.3     Digitalisierung als zentraler Treiber der Umwelt

1.2        Das Versicherungsunternehmen und sein Geschäftsmodell

1.2.1     Risikotheoretisches Grundmodell der Versicherung (Grundbegriffe)

1.2.2     Das Versicherungsgeschäft/ die Wertschöpfung des Versicherungsunternehmens

1.2.3     Die strategische Ausrichtung des Versicherungsunternehmens

1.3        Risikomanagement im Versicherungsunternehmen

1.3.1     Begriff des Risikos

1.3.1.1     Risikobegriff im Risikomanagement

1.3.1.2     Versicherungstechnisches Risiko

1.3.2     Ziele und Nutzen des Risikomanagements

1.3.3     Unternehmens- und Risikostrategie

1.3.4     Risikomanagementprozess

1.3.4.1     Phasen des Risikomanagementprozesses

1.3.4.2     Risikomanagementprozess als Regelkreis

1.3.5     Solvency II als Rahmenbedingung des Risikomanagements

1.3.5.1     Ziele und Aufbau von Solvency II

1.3.5.2     Quantitative Anforderungen

1.3.5.3     Qualitative Anforderungen

1.3.5.4     Berichts- und Offenlegungspflichten

1.4        Die Steuerung des Versicherungsunternehmens

1.4.1     Controllingkonzeption und Führungssystem

1.4.2     Controlling in Versicherungsunternehmen

1.4.3     Performance Management Systeme

1.4.4     Balanced Scorecard

1.4.5     Die Balanced Scorecard der Sidekick VVaG

2           Die finanzielle Steuerung des Versicherungsunternehmens

2.1        Grundlagen der finanziellen Steuerung des Versicherungsunternehmens

2.1.1     Ziele des Finanzmanagements

2.1.2     Grundlagen des betrieblichen Rechnungswesens

2.2        Externe Rechnungslegung im Versicherungsunternehmen

2.2.1     Buchführungs- und Bilanzierungspflicht von Versicherungsunternehmen

2.2.2     Besonderheiten der Rechnungslegung von Versicherungsunternehmen

2.2.3     Die Bilanz des Versicherungsunternehmens

2.2.3.1     Positionen der Aktivseite

2.2.3.2     Positionen der Passivseite

2.2.4     Die Gewinn- und Verlustrechnung (GuV) des Versicherungsunternehmens

2.2.5     Jahresabschlussanalyse von Versicherungsunternehmen

2.2.5.1     Grundzüge der Jahresabschlussanalyse

2.2.5.2     Kennzahlenkatalog zur Jahresabschlussanalyse von Versicherungsunternehmen

2.2.5.3     Jahresabschlussanalyse Sidekick VVaG

2.3        Internes Rechnungswesen im Versicherungsunternehmen

2.3.1     Funktionen der Kosten- und Leistungsrechnung

2.3.2     Wesen und Aufbau der Kosten- und Leistungsrechnung

2.3.3     Kostenartenrechnung

2.3.4     Kostenstellenrechnung

2.3.5     Kostenträgerrechnung

2.3.6     Deckungsbeitragsrechnung

2.4        Kapitalbedarf und Finanzierungsformen

2.4.1     Kapitalbedarf

2.4.2     Ermittlung des Kapitalbedarfs

2.4.3     Systematisierung der Finanzierungsformen

2.4.4     Eigenfinanzierung

2.4.4.1     Eigenkapital

2.4.4.2     Beteiligungsfinanzierung

2.4.4.3     Selbstfinanzierung

2.4.5     Fremdfinanzierung

2.4.5.1     Kreditfinanzierung

2.4.5.2     Versicherungstechnische Fremdfinanzierung

2.4.6     Hybridfinanzierung

2.4.6.1     Gründungsfinanzierung

2.4.6.2     Genussrechtskapital und nachrangige Verbindlichkeiten

2.5        Kapitalanlagen im Versicherungsunternehmen

2.5.1     Bedeutung der Kapitalanlagen im Versicherungsunternehmen

2.5.2     Kapitalanlagen als Teil des Geschäftsmodells Versicherung

2.5.3     Struktur der Kapitalanlagen von Versicherungsunternehmen

2.5.4     Finanzrisiken

2.5.5     Rechtliche Rahmenbedingungen der Kapitalanlage

2.5.6     Kapitalanlageprozess und Asset Allokation

2.5.7     Asset Liability Management

2.5.8     Grundlagen der Portfoliotheorie

2.5.9     Nachhaltigkeit in der Kapitalanlage

2.6        Balanced Scorecard der Sidekick VVaG – Finanzperspektive

3           Kundenperspektive

3.1        Versicherung als Dienstleistung

3.1.1     Elemente der Dienstleistung

3.1.2     Regulatorischer Rahmen für die Dienstleistung Versicherung

3.1.2.1     Produktfreigabeverfahren

3.1.2.2     Vertriebstätigkeit des Versicherers

3.2        Der Versicherungskunde

3.2.1     Arten von Versicherungskunden

3.2.2     Marktsegmentierung von Versicherungsmärkten

3.2.3     Bedürfnisse der Versicherungskunden

3.3        Risikosteuerung der Kunden

3.3.1     Ausprägungen von Risiken

3.3.2     Risikomanagement von Privatkunden

3.3.3     Risikomanagement von Firmenkunden

3.4        Gestaltung der Kundenbeziehung

3.4.1     Vertriebsverfahren und -wege von Versicherungen

3.4.2     Beratung und Information des Versicherungskunden

3.4.3     Schaden-/ Leistungsfall

3.4.4     Digitalisierung der Kundenbeziehung

3.5        Balanced Scorecard der Sidekick VVaG – Kundenperspektive

4           Prozessperspektive

4.1        Arbeitsteilung und Versicherungsdienstleistung

4.1.1     Gestaltungskriterien für arbeitsteilige Prozesse

4.1.2     Aufbauorganisation von Versicherungsunternehmen

4.1.3     Ablauforganisation von Versicherungsunternehmen

4.2        Regulatorische Anforderungen an Prozessgestaltungen

4.2.1     Regulatorische Anforderungen an die Governance des Versicherers

4.2.2     Regulatorische Anforderungen an die IT-Sicherheit des Versicherers

4.3        Hauptprozesse der Versicherungsdienstleistung

4.3.1     Organisation des Prozesses Antrag und Vertrag

4.3.2     Organisation des Prozesses Schaden und Leistung

4.3.3     IT-Prozesse im Versicherungsunternehmen

4.4        Produkt- und Preisgestaltung von Versicherungen

4.4.1     Grundlegende Gestaltungskriterien von Personenversicherungen

4.4.1.1     Leistung, Garantien und Optionen

4.4.1.2     Überschussbeteiligung

4.4.2     Grundlegende Gestaltungskriterien von Schadenversicherungen

4.4.3     Produktgestaltungsstrategien und Produktzyklus

4.4.4     Produktentwicklungs- und Einführungsprozess

4.4.4.1     Beteiligte am Produktentwicklungsprozess

4.4.4.2     Produktidee

4.4.4.3     Produktkonzept

4.4.4.4     Produktentwicklung und Umsetzung

4.4.4.5     Produkteinführung

4.4.4.6     Anforderungen an den Produktentwicklungs- und Einführungsprozess

4.4.5     Grundzüge der Prämienkalkulation und Marktprämiengestaltung

4.4.5.1     Die Bestandteile einer Prämie

4.4.5.2     Prämienmodelle

4.4.5.3     Prämiendifferenzierung und Selektion im Marktumfeld

4.4.5.4     Der Tarifierungsprozess und seine Komponenten

4.4.6     Regulatorische Anforderungen an die Produktgestaltung

4.4.6.1     Anzeige- und Vorlagepflichten

4.4.6.2     Zertifizierte Altersvorsorgeprodukte

4.4.6.3     Höchstrechnungszins

4.5        Balanced Scorecard der Sidekick VVaG – Prozessperspektive

5           Lern-/ Entwicklungsperspektive

5.1        Die Ressource Personal im Versicherungsunternehmen

5.1.1     Kundenintegration in Versicherungsdienstleistungen

5.1.2     Regulatorische Anforderungen an Organmitglieder und Schlüsselfunktionen

5.1.3     Regulatorische Anforderungen an Personen mit Tätigkeit im Versicherungsvertrieb

5.2        Führung und Zusammenarbeit im Versicherungsunternehmen

5.2.1     Personalmanagement im Versicherungsunternehmen

5.2.2     Personalrekrutierung im Versicherungsunternehmen

5.2.3     Aus- und Weiterbildung im Versicherungsunternehmen

5.2.4     Führungsstile im Versicherungsunternehmen

5.2.5     Moderne Führungsprinzipien im Zeitalter von Digitalisierung und Agilität

5.3        Balanced Scorecard der Sidekick VVaG – Lern- und Entwicklungsperspektive

Literaturverzeichnis

Geleitwort des Herausgebers

Das vorliegende Lehrbuch ist Teil der Lehrbuchreihe BWL Bachelor Basics. Dieses Buch sowie alle anderen Werke der Reihe folgen einem Konzept, das auf die Leserschaft – nämlich Studierende der Wirtschaftswissenschaften – passgenau zugeschnitten ist.

Ziel der Lehrbuchreihe BWL Bachelor Basics ist es, die zu erwerbenden Kompetenzen in einem wirtschaftswissenschaftlichen Bachelor-Studiengang wissenschaftlich anspruchsvoll, jedoch zugleich anwendungsorientiert und kompakt abzubilden. Dies bedeutet:

•  Ein hoher wissenschaftlicher Anspruch geht einher mit einem gehobenen Qualitätsanspruch an die Werke. Präzise Begriffsbildungen, klare Definitionen, Orientierung an dem aktuellen Stand der Wissenschaft seien hier nur beispielhaft erwähnt. Die Autoren sind ausgewiesene Wissenschaftler und Experten auf ihrem Gebiet. Die Reihe will sich damit bewusst abgrenzen von einschlägigen »Praktikerhandbüchern« zweifelhafter Qualität, die dem Leser vorgaukeln, Betriebswirtschaftslehre könnte man durch Abarbeiten von Checklisten erlernen.

•  Zu einer guten Theorie gehört auch die Anwendung der wissenschaftlichen Erkenntnisse, denn Wissenschaft sollte kein intellektueller Selbstzweck sein. Deshalb steht stets auch die Anwendungsorientierung im Fokus. Schließlich verfolgt der Studierende das Ziel, einen berufsqualifizierenden Abschluss zu erwerben. Die Bücher haben diese Maxime im Blick, weshalb jedes Buch neben dem Lehrtext u. a. auch Praxisbeispiele, Übungsaufgaben mit Lösungen sowie weiterführende Literaturhinweise enthält.

•  Zugleich tragen die Werke dem Wunsch des Studierenden Rechnung, die Lehr- und Lerninhalte kompakt darzustellen, Wichtiges zu betonen, weniger Wichtiges wegzulassen und sich dabei auch einer verständlichen Sprache zu bedienen. Der Seitenumfang und das Lesepensum werden dadurch überschaubar. So eignen sich die Bücher der Lehrbuchreihe Bachelor Basics auch hervorragend zum Selbststudium und werden ein wertvoller Begleiter der Lehrmodule sein.

Die Reihe umfasst die curricularen Inhalte eines wirtschaftswissenschaftlichen Bachelor-Studiums. Sie enthält zum einen die traditionellen volks- und betriebswirtschaftlichen Kernfächer, darüber hinaus jedoch auch Bücher aus angrenzenden Fächern sowie zu überfachlichen Kompetenzen. Um auf neue Themen und Entwicklungen reagieren zu können, wurde die Edition bewusst als offene Reihe konzipiert und die Zahl möglicher Bände nicht nach oben begrenzt.

Die Lehrbuchreihe Bachelor Basics richtet sich im Wesentlichen an Studierende der Wirtschaftswissenschaften an Hochschulen für angewandte Wissenschaften, an dualen Hochschulen, Verwaltungs- und Wirtschaftsakademien und anderen Einrichtungen, die den Anspruch haben, Wirtschaftswissenschaften anwendungsorientiert und zugleich wissenschaftlich anspruchsvoll zu vermitteln. Angesprochen werden aber auch Fach- und Führungskräfte, die im Sinne der beruflichen und wissenschaftlichen Weiterbildung ihr Wissen erweitern oder auffrischen wollen. Als Herausgeber der Lehrbuchreihe möchte ich mich bei allen Autorinnen und Autoren bedanken, die sich für diese Reihe engagieren und einen Beitrag hierzu geleistet haben.

Ich würde mich sehr freuen, wenn das ambitionierte Vorhaben, wissenschaftliche Qualität mit Anwendungsorientierung und einer kompakten, lesefreundlichen und didaktisch an die Bachelor-Studierenschaft abgestimmten Gestaltung zu kombinieren, dem Leser bei der Bewältigung des Bachelor-Lernstoffes hilfreich sein wird und es die Anerkennung und Beachtung erhält, die es meines Erachtens verdient.

Düsseldorf, im Juli 2023

Horst Peters

Vorwort der Autoren

Das vorliegende Buch bietet eine kompakte und praxisorientierte Einführung in die Versicherungsbetriebslehre. Zielgruppe sind Studierende und Lehrende an Universitäten und Hochschulen in wirtschaftswissenschaftlichen Studiengängen mit Schwerpunkt Versicherungswirtschaft. Die Versicherungsbetriebslehre stellt einen Schwerpunkt unserer Lehrtätigkeit in einem versicherungswirtschaftlich geprägten, dualen Bachelorstudiengang sowie in den wirtschaftswissenschaftlichen Masterstudiengängen der Fachhochschule Dortmund dar. Die Erfahrungen aus der Lehre sind in diese Einführung ebenso eingeflossen wie zahlreiche aktuellere Entwicklungen, die sich in den traditionellen Lehrbüchern so noch nicht wiederfinden. Wichtig ist uns dabei, das Lernen in Zusammenhängen zu fördern und eine hohe Anschaulichkeit zu erreichen. Die Einführung kann nicht das Studium vertiefender Literatur ersetzen, aber einen ersten Überblick verschaffen.

Versicherungsunternehmen sehen sich fundamentalen Veränderungen ihrer wirtschaftlichen Rahmenbedingungen ausgesetzt, die sie bewältigen müssen. Teilweise sind diese Herausforderungen so dramatisch, dass sie für viele Versicherer existentielle Fragen aufwerfen und seit Jahrzehnten bewährte Geschäftsmodelle in Frage gestellt werden. Zu den wichtigsten Trends gehören:

•  Eine striktere Regulierung – z. B. durch Solvency II – führt zu erhöhtem Risikokapitalbedarf und strengeren Anforderungen an die Risikomanagement-Systeme der Unternehmen.

•  Kapitalmarktkrisen sowie nachhaltig sinkende bzw. sogar negative Zinsen für Staatsanleihen führen dazu, dass Erträge im Asset Management geringer und gleichzeitig volatiler werden. Dadurch können Versicherungsunternehmen ihre versicherungstechnischen Verluste nicht mehr – wie in der Vergangenheit oft geschehen – über hohe Kapitalerträge subventionieren.

•  Die Digitalisierung eröffnet neue Möglichkeiten und bringt Wettbewerber (InsurTechs) auf den Plan, die bestehende Strukturen und Geschäftsmodelle in Frage stellen. Etablierte Versicherungsunternehmen sind zunehmend gezwungen, sich mit Themen wie Prozessoptimierung, digitalen Vertriebskanäle sowie grundlegenden Veränderungen der Wertschöpfungskette auseinanderzusetzen.

•  Um ihre Leistungen entwickeln und anbieten zu können, sind Versicherungsunternehmen ständig auf hochqualifiziertes und motiviertes Personal angewiesen. In Deutschland ist allerdings seit Jahren ein Fachkräftemangel festzustellen, der sich für Versicherungsunternehmen durch das negative Branchenimage noch verstärkt. Das Gewinnen und die langfristige Bindung qualifizierter Arbeitskräfte wird für die Versicherungsbranche zu einer immer größeren Herausforderung.

•  Die europäische Nachhaltigkeitsregulatorik führt zu strategischen Fragen der Positionierung als nachhaltiger Versicherer, insb. der aktiven Förderung von ökologischer, sozialer und ökonomischer Nachhaltigkeit sowie der Vermeidung von nachteiligen Auswirkungen auf Nachhaltigkeitsfaktoren. Die operative Umsetzung betrifft auf der Aktivseite einer Versicherungsbilanz Kapitalanlagen und Betriebsmittel, auf der Passivseite Art und Umfang der versicherten Risiken sowie sonstige Verbindlichkeiten. Dazu kommen ein umfangreiches Reporting, eine Offenlegungspflicht im Internet, Pflichten bei der Produktentwicklung aller Versicherungssparten sowie spezifische Informations- und Beratungspflichten beim Vertrieb von Versicherungsanlageprodukten.

In ihrer Gesamtheit führen die dargestellten Entwicklungen zu einer Intensivierung des Wettbewerbs auf Versicherungsmärkten, der sich für Versicherungsunternehmen vielfach in geringer werdenden Margen widerspiegelt. Daraus resultierende ergibt sich die unbedingte Notwendigkeit einer zielorientierten und durchgehenden Steuerung des Geschäfts.

Das Buch ist in fünf Kapitel gegliedert. Das erste und einführende Kapitel konzentriert sich auf die Grundlagen der Versicherungswirtschaft. Darin werden das Geschäftsmodell von Versicherungsunternehmen sowie die Märkte beschrieben, auf denen die Unternehmen agieren. Weiterhin wird auf die Grundlagen des Risikomanagements sowie Steuerung von Versicherungsunternehmen eingegangen, wobei hier die Balanced Scorecard als Instrument zur Unternehmenssteuerung im Mittelpunkt steht. Die folgenden Kapitel orientieren sich dann an den verschiedenen Perspektiven der Balanced Scorecard.

Das zweite Kapitel beschäftigt sich mit der finanziellen Steuerung von Versicherungsunternehmen. Dabei geht es um die finanziellen Ziele, die ein Unternehmen erreichen muss, um sich gegenüber seinen Kapitalgebern erfolgreich zu positionieren. Im Einzelnen wird auf die externe Rechnungslegung, die interne Rechnungslegung (Kosten- und Leistungsrechnung) sowie auf die Bedeutung der Kapitalanlagen im Versicherungsunternehmen eingegangen.

Kapitel 3 setzt sich mit der Kundenperspektive auseinander, wobei die Frage im Mittelpunkt steht, wie ein Unternehmen die Erwartungen und Wünschen seiner Kunden identifizieren und in seine Leistungsgestaltung einbeziehen kann. Die Schwerpunkte des Kapitels liegen auf der Marktsegmentierung, der Risikosteuerung der einzelnen Kundengruppen sowie der erfolgreichen Gestaltung der Kundenbeziehung.

Im vierten Kapitel geht es um die Prozessperspektive und damit um die Bedeutung interner Prozesse und Leistungen für die Erreichung der Unternehmensziele. Dabei wird ein besonderes Augenmerk auf die erfolgskritischen Prozesse gerichtet, zu denen die durchgehende Digitalisierung der Versicherungsdienstleistung sowie die Produkt- und Preisgestaltung gehört.

Kapitel 5 legt schließlich den Schwerpunkt auf die Lern- und Entwicklungsperspektive, wobei die Bedeutung eines qualifizierten Personalmanagements im Vordergrund steht. Im Einzelnen wird dabei auf die besondere Bedeutung der Kundenintegration sowie regulatorische Anforderungen an das Personalmanagement eingegangen. Weiterhin werden Aspekte der Personalrekrutierung sowie -führung behandelt.

In diesem Buch wird eine durchgehende Fallstudie verwendet, die dazu dient, die dargestellten Inhalte beispielhaft zu erläutern. Am Ende jeden Kapitels wird dabei beschrieben, wie in der Sidekick VVaG die beschriebenen Konzepte jeweils umgesetzt werden. Die Sidekick VVaG ist ein fiktiver Versicherungsverein aus Westfalen mit einer über 100-jährigen Geschichte. Die Gesellschaft wurde ursprünglich zum Schutz von Landwirten gegen Haftpflichtschäden gegründet und hat seitdem ihre Geschäftstätigkeit ständig ausgeweitet. Heute gehört die Sidekick VVaG zu einer Versicherungsgruppe, die neben fast allen Sparten der Schaden- und Unfallversicherungen auch Lebens- und Krankenversicherungsgeschäft betreibt. Mit einem Bruttoprämienvolumen in Schaden/Unfall von ca. 400 Mio. Euro im Jahr 2020 gehört die Sidekick VVaG zu den mittelgroßen Versicherungsgesellschaften in Deutschland.

Das Buchprojekt haben wir gemeinsam mit unserem geschätzten Kollegen Prof. Dr. Michael Radtke begonnen, der die versicherungswirtschaftliche Lehre an der Fachhochschule Dortmund etabliert hat. Er steuerte erste Texte bei und hätte das Projekt sehr gerne mit uns zum Abschluss gebracht. Doch leider war ihm das nicht vergönnt, denn er verstarb am 27.9.2022 nach langer, schwerer Krankheit. Dieses Buch widmen wir daher auch seinem ehrenden Gedenken.

Dortmund, im Juli 2023

Jens Mörchel

Matthias Beenken  

Lukas Linnenbrink

1         Grundlagen der Versicherungswirtschaft

Versicherungsunternehmen agieren in einem Markt, der sich u. a. in Abgrenzung zur Sozialversicherung bestimmen lässt und in besonderem Maß durch nationales und europäisches Recht reguliert ist. Das Geschäftsmodell basiert auf der Risikotheorie. Das Management von Risiken im Versicherungsunternehmen spielt deshalb eine besondere Rolle. Die Steuerung ist anspruchsvoller als in anderen Branchen.

1.1        Das Versicherungsunternehmen in seiner Umwelt

1.1.1      Versicherungsmärkte in Deutschland und Europa

Bedeutende, personenbezogene Lebensrisiken wie Krankheit, Pflegebedürftigkeit, Unfall, Arbeitslosigkeit und Einkommensersatz im Alter (Rente) werden in Deutschland überwiegend durch die gesetzliche Sozialversicherung abgedeckt. Sie verbucht knapp 811 Mrd. Euro an Einnahmen, von denen der Großteil aus Beiträgen von Arbeitgebern und Arbeitnehmern, aber auch über 178 Mrd. Euro als Zuschüsse aus Steuermitteln stammen (Statistisches Bundesamt, Stand 2022). Abgesichert werden hierüber im Wesentlichen sozialversicherungspflichtig und damit abhängig Beschäftigte sowie bestimmte Selbstständige, nicht jedoch Beamte, deren Dienstgeber ähnliche Leistungen zu gewähren haben. Wer in keinem System ausreichend gegen Lebensrisiken abgesichert ist, kann Sozialhilfeleistungen wie die Grundsicherung im Alter oder bei Erwerbsminderung beanspruchen, für die weitere rund 15 Mrd. Euro vom Steuerzahler aufgebracht werden.

Die Sozialversicherung wird grundsätzlich als öffentliche Versicherung organisiert, bei der die Mitgliedschaft gesetzlich verpflichtend geregelt ist, aber auch Mitgliedschaftsrechte geltend gemacht werden können. Arbeitgeber sind ihrerseits verpflichtet, die Aufnahme Beschäftigter in die Sozialversicherung anzumelden und die Beiträge abzuführen, die überwiegend, aber nicht durchgängig, paritätisch von Arbeitgebern und Arbeitnehmern getragen werden, bei Letzteren werden sie vom Lohn abgezogen und abgeführt. Grundprinzipien sind eine Leistung nach Bedürftigkeit (allerdings nicht in der Rentenversicherung, dort bestimmt sich die Leistung grundsätzlich nach den erzielten, versicherungspflichtigen Einkommen) und eine Finanzierung nach Leistungsfähigkeit. So zahlen z. B. Krankenversicherte unterschiedlich hohe Beiträge je nach individuellem Einkommen, erhalten aber alle denselben gesetzlichen Leistungsanspruch. Das wird auch als Solidaritätsprinzip bezeichnet, wenn auch einige Ausnahmen davon bestehen. Beispielsweise können Versicherte in der Gesetzlichen Krankenversicherung Wahltarife vereinbaren, mit denen sie abweichende Leistungsvereinbarungen mit Ärzten oder anderen Leistungserbringern treffen können.

Die gesetzliche Sozialversicherung finanziert sich im Wesentlichen über das sog. Umlageverfahren. Die abgeführten Beiträge werden mit Ausnahme einer kleinen Liquiditätsreserve von ein bis zwei Monatsbeiträgen unmittelbar verwendet, um Leistungen zu erbringen.

Die privatwirtschaftliche Individualversicherung grenzt sich in Deutschland von der gesetzlichen Sozialversicherung ab und ergänzt diese, manchmal kann sie diese auch ersetzen (Beispiel substitutive Krankenversicherung, die bestimmten Personengruppen offensteht). Lebensrisiken, die sich auf das Vermögen (z. B. Haftung) und Sachen im Eigentum oder Besitz einer Person (z. B. Hausrat, Kraftfahrzeuge) oder eines Betriebs befinden, werden praktisch nur auf diesem Weg versichert. Allerdings gibt es bestimmten Fällen gesetzliche Versicherungspflichten, z. B. in der Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung. Die Anschaffung und Nutzung eines Kraftfahrzeugs sind freiwillig, aber dann muss eine solche Versicherung abgeschlossen werden.

Die rund 520 deutschen Versicherungsunternehmen verbuchen rund 226 Mrd. Euro Beitragseinnahmen (GDV, Stand 2021) und über 256 Mrd. Euro Versicherungsleistungen. Das scheinbare »Kunststück«, mehr auszahlen zu können als eingenommen wird, liegt an Zinserträgen auf die rund 1,8 Billionen Euro Kapitalanlagen. Die Beitragseinnahmen teilen sich zu rund 46 % auf die Lebens-, 20 % die private Kranken- und 34 % die Schaden-/ Unfallversicherung auf.

Außerdem ist Deutschland ein bedeutender Standort für die Rückversicherung, die rund 55 Mrd. Euro jährliche Beitragseinnahmen verbucht. Sie ermöglicht den sog. Erstversicherern, sowohl einzelne Spitzenrisiken (z. B. Wiederaufbauwert eines Industriegebäudes in dreistelligem Millionenbetrag) als auch Breitenrisiken im Versicherungsbestand (z. B. ungewöhnliche Schwankungen im Schadenanfall oder sog. Kumulschäden, bei denen ein Schadenereignis wie eine Naturkatastrophe zahlreiche versicherte Einzelrisiken betrifft) decken zu können.

Private Versicherungsunternehmen stehen im Wettbewerb zueinander, sowohl mit anderen deutschen als auch mit ausländischen Versicherungsunternehmen. Wettbewerb passt zu einem freiwilligen System und hilft dem Kunden, faire Bedingungen für eine Versicherung am Markt vorzufinden.

Individualversicherungen werden grundsätzlich nach dem Äquivalenzprinzip kalkuliert. Danach soll der Erwartungswert der Risikoprämien im Versichertenkollektiv gleich dem Erwartungswert der Schäden im Versichertenkollektiv sein. So gleichen Versicherungen individuell auftretende Schäden bzw. Leistungen im Kollektiv und in der Zeit aus. Auch vom Äquivalenzprinzip gibt es Ausnahmen. So sind z. B. private Krankenversicherer, die die substitutive (»Voll-«)Versicherung anbieten, gezwungen, bestimmten bedürftigen Personen einen Basistarif oder einen Notlagentarif anzubieten, die nach dem Solidaritätsprinzip kalkuliert sind.

Die Individualversicherung finanziert sich prinzipiell nach dem Kapitaldeckungsverfahren. Dabei werden insb. in der Lebens- und in der Art der Lebensversicherung kalkulierten Krankenversicherung, in geringerem Umfang auch in der Kompositversicherung Prämien (typischer Ausdruck bei Aktiengesellschaften) bzw. Beiträge (typischer Ausdruck bei Versicherungsvereinen) erhoben, die für künftige Leistungserbringung angespart werden. Beispielsweise zahlen Kunden in der Schadenversicherung den vollen Jahresbeitrag zum Beginn eines jeden Vertragsjahres, obwohl Schäden erst verteilt über das Jahr anfallen und bezahlt werden müssen. In der Lebens- und Krankenversicherung werden oft sogar erst nach Jahrzehnten die je Alterskohorte aufgebauten Kapitalanlagen benötigt, die vereinbarten (Alters-)Leistungen zu erbringen.

In Europa ist Deutschland mit 4,1 % Weltmarktanteil der zweitgrößte, europäische Versicherungsmarkt hinter Großbritannien (5,4 %) und vor Frankreich (3,7 %) und Italien (2,6 %) (GDV, Stand 2020). In der »Weltrangliste« liegen allerdings die USA (40,3 %), China (10,4 %) und Japan (6,6 %) vor den Europäern. In der Rückversicherung erreicht Deutschland mit 19,3 % Weltmarktanteil hinter den USA (26,9 %) und vor der Schweiz (11,7 %) den zweiten Rang.

1.1.2      Rahmenbedingungen für Versicherungsunternehmen (Rechtsformen, Solvency II, Pflichtversicherungen, Versicherungsaufsicht usw.)

Versicherungsunternehmen bedürfen einer Erlaubnis durch die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin). Sie wird ausschließlich bestimmten privatrechtlich organisierten (Aktiengesellschaft – AG, Europäische Aktiengesellschaft – SE, Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit – VVaG) oder öffentlich-rechtlichen (Körperschaften und Anstalten des öffentlichen Rechts) Versicherungsunternehmen erteilt (§ 8 Abs. 1, 2 VAG). Versicherungsunternehmen mit Sitz in einem anderen Mitgliedsstaat der Europäischen Union bzw. des Europäischen Wirtschaftsraums dürfen im Dienstleistungsverkehr in Deutschland tätig werden oder eine Niederlassung errichten, wenn sie dies der BaFin angezeigt haben (Notifizierungsverfahren).

Es gibt unterschiedliche Arten von Anteilseignern eines Versicherungsunternehmens:

•  Aktionäre (mit Stimmrecht, ggf. gibt es weitere Aktionäre ohne Stimmrecht) bei einer Versicherungsaktiengesellschaft,

•  Mitglieder bei einem Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit. Satzungsmäßig ist meist geregelt, dass Versicherungsnehmer automatisch auch Mitglieder des VVaG werden.

Aufgrund der sog. Spartentrennung können Rückversicherungsunternehmen nur für den Betrieb der Rückversicherung zugelassen werden, ein gleichzeitiger Betrieb von Erstversicherern und damit der unmittelbare Vertrieb von Versicherungen an Versicherungsnehmer ist nicht möglich. Außerdem können Erstversicherer die Lebens- sowie die Krankenversicherung jeweils nur für sich betreiben und nicht in einer Mischung mit anderen Sparten (§ 8 Abs. 4 VAG). Die Rechtsschutzversicherung darf zwar zusammen mit der Schaden-/Unfallversicherung betrieben werden, dann aber muss die Schadenbearbeitung auf ein externes Schadenabwicklungsunternehmen auslagern (§ 164 Abs. 1 VAG). Das ist der Grund dafür, dass es mehrere reine Rechtsschutzversicherer am Markt gibt. De Spartentrennung führt auch häufig zu Konzern- oder Gruppenbildungen, um den Kunden ein umfassendes Versicherungsangebot mehrerer oder aller Sparten machen zu können. Hintergrund für die Spartentrennung ist, dass die Ansprüche der Versicherten geschützt werden sollen. Insbesondere die langjährig anzulegenden Mittel der Lebens- und Krankenversicherten könnten sonst unter Umständen herangezogen werden, um kurzfristige Schadenspitzen in der Schaden-/Unfallversicherung auszugleichen oder systematische Untertarifierung für die Generierung von Wettbewerbsvorteilen zu betreiben.

Dem Erlaubnisantrag als Versicherungsunternehmen ist ein Geschäftsplan inklusive Satzung, Angabe zu den betriebenen Sparten und der Art der zu deckenden Risiken, Grundzügen der Rückversicherung, Angaben zu den Eigenmitteln zur Bedeckung der Mindestkapitalanforderung sowie zu einem Organisationsfonds zur Finanzierung des Anlaufs des Geschäftsbetriebs beizufügen. Weiter müssen für die ersten drei Geschäftsjahre Plan-Bilanzen und Plan-Gewinn- und Verlustrechnungen, Schätzungen zum benötigten Solvabilitätskapital u. a. vorgelegt werden. Auch muss die Geschäftsorganisation erläutert werden, insb., wer die Geschäfte leiten und wer die sog. Schlüsselfunktionen ausüben wird (§ 9 VAG).

Versicherungsunternehmen dürfen keine versicherungsfremden Geschäfte betreiben (§ 15 VAG). Damit werden Versicherer in ihren Marktbearbeitungsstrategien beschränkt, insb. eine Diversifizierung in andere Branchen kommt für sie nicht in Frage. Das schließt allerdings nicht Beteiligungen an anderen Unternehmen aus, wenn diese beispielsweise zu Kapitalanlagezwecken erworben und gehalten werden.

Die Aufbauorganisation eines Versicherungsunternehmens bestimmt zunächst nach den allgemeinen gesellschaftsrechtlichen Vorgaben, ergänzt um spezifische regulatorische Anforderungen. Geleitet wird ein Versicherungsunternehmen vom Vorstand. Dieser sollte schon allein aus Gründen der Risikostreuung aus deutlich mehr als nur einer Person bestehen. Die Vorstandsbestellung erfolgt durch den Aufsichtsrat im Rahmen eines auf drei bis maximal fünf Jahre befristeten Arbeitsvertrags, ist aber zusätzlich von einer Zustimmung der BaFin abhängig. Der Aufsichtsrat wird von der Hauptversammlung (AG) oder der Mitgliederversammlung bei kleinen VVaG bzw. der Mitgliedervertreterversammlung (MVV) bei größeren VVaG gewählt und muss ebenfalls von der BaFin bestätigt werden. Der Aufsichtsrat hat die Geschäftsführung des Vorstands zu überwachen und in einer Satzung festgelegte Entscheidungen zu treffen, z. B. bei Grundstücksgeschäften, Beteiligungs- oder Anlagegeschäften ab bestimmten Größenordnungen.

Während Aktionäre in der Hauptversammlung einer AG Rechte als Anteilseigner wahrnehmen und letztlich über die Geschäftsstrategie und das Personal in den Organen entscheiden, können Mitglieder bei größeren VVaG keinen direkten Einfluss geltend machen. Dies obliegt der MVV, die zwar aus Mitgliedern (Versicherten) besteht und diese repräsentieren soll, aber ihre eigenen Mitglieder oft auf Vorschlag der Organe (Vorstand und Aufsichtsrat) nachwählt (Kooptationsverfahren).

Sowohl Vorstände als auch Aufsichtsräte müssen zuverlässig (insb. frei von einschlägigen Verurteilungen) und fachlich geeignet sein. In der Regel werden dafür neben entsprechender Ausbildung eine einschlägige Berufs- und Führungserfahrung in der Versicherungsbranche verlangt § 24 Abs. 1 VAG). Die BaFin hat eigene Leitlinien zur Qualifikation und zur laufenden Qualifizierung im Rahmen sog. Fit & Proper-Anforderungen herausgegeben, also einer laufenden Anpassung der Qualifikation der Personen in den Leitungs- und Aufsichtsorganen.

Eine Besonderheit der Governance (Unternehmensführung) von Versicherungsunternehmen sind die aufsichtsrechtlich vorgeschriebenen Schlüsselfunktionen. Auch an deren Inhaber werden hohe fachliche Anforderungen gestellt, sie sind unmittelbar der BaFin gegenüber rechenschaftspflichtig. Vorgesehen sind mindestens folgende Schlüsselfunktionen:

•  Risikomanagement mit der Verantwortung für Identifikation, Bewertung, Überwachung, Steuerung und Berichterstattung über die Risiken des Geschäftsbetriebs (§ 26 VAG),

•  Compliance mit der Verantwortung für ein wirksames, internes Kontrollsystem und die Überwachung der Einhaltung von externen und internen Normen (§ 29 VAG),

•  Interne Revision (§ 30 VAG) mit der Verantwortung zur Überprüfung des internen Kontrollsystems auf Angemessenheit und Wirksamkeit,

•  Versicherungsmathematische Funktion (§ 31 VAG) mit der Verantwortung für die Berechnung der versicherungstechnischen Rückstellungen und einer Kontrolle der allgemeinen Zeichnungs- und Annahmepolitik und der Rückversicherungspolitik des Versicherers.

Daneben kann der Versicherer weitere Schlüsselfunktionen einrichten, beispielsweise eine Funktion zur ordnungsgemäßen Umsetzung der Qualifizierungsanforderungen an alle im Versicherungsvertrieb unmittelbar oder maßgeblich tätigen Personen (§ 48 Abs. 2a VAG).

Eine weitere Besonderheit ist, dass Versicherungsunternehmen anders als Unternehmen anderer Branchen nur unter einschränkenden Bedingungen eine Ausgliederung interner Funktionen (Outsourcing) vornehmen darf (§ 32 VAG). Beispiele sind Ausgliederung von Vertrieb, Schadenregulierung oder Kapitalanlage (Asset Management). Selbst Schlüsselfunktionen können im Einzelfall ausgelagert werden, z. B., wenn ein kleiner Versicherer kein geeignetes Fachpersonal beschäftigen kann. Auch hier steht der Schutz der Versichertenbelange im Vordergrund. Deshalb muss bei Ausgliederungen sichergestellt werden, dass alle für den Versicherer geltenden Anforderungen auch vom Ausgliederungsdienstleister erfüllt werden. Dazu müssen Auskunfts- und Weisungsrechte sowohl gegenüber dem Versicherer als auch der Versicherungsaufsicht vertraglich vereinbart werden.

Bei der Rechnungslegung und Berichterstattung gibt es weitere Besonderheiten. Versicherungsunternehmen müssen einen Abschlussprüfer bestellen, der nicht nur den Jahresabschluss des Versicherungsunternehmens prüft und testiert, sondern dazu direkt mit der Aufsichtsbehörde BaFin kommuniziert und den Aufsichtsrat bei der Beurteilung der Finanzlage des Unternehmens berät (§ 35 f. VAG). Neben der allgemeinen Publizitätspflicht im Bundesanzeiger haben Versicherer ihren Jahresabschluss und Lagebericht bei der BaFin einzureichen. Versicherungsunternehmen müssen einen jährlichen Solvabilitäts- und Finanzbericht (SFCR) mit kurzer Frist nach Ende des Geschäftsjahres veröffentlichen (§ 40 VAG). Auch bei außerordentlichen Veränderungen, die die Finanzstärke des Versicherers betreffen, können Ad-hoc-Berichte erforderlich werden (§ 42 VAG).

Ein Versicherer muss regelmäßig intern eine Beurteilung der Risiko- und Solvabilitätssituation vornehmen, den ORSA (Own Risk and Solvency Assessment, § 27 VAG). Der Begriff entstammt der Säule II der Europäischen Richtlinie Solvency II und zählt als Baustein zum Governance-System. Im ORSA ermittelt der Versicherer seinen Gesamtsolvabilitätsbedarf (GSB), also welches Kapital er benötigt, um dauerhaft seine Verpflichtungen zu erfüllen. Dabei wird das spezifische Risikoprofil des Versicherers berücksichtigt. Weiter werden sog. Wesentlichkeitsgrenzen festgestellt, d. h. ab wann Abweichungen von den Annahmen zum Risikoprofil des Unternehmens beachtlich sind und Auswirkungen auf den Solvabiltätsbedarf haben. Für die Berechnung des Solvabilitätsbedarfs wird entweder (meist) die sog. Standardformel angewendet oder aber ein vollständiges oder partielles internes Modell. Mithilfe sog. Stresstests wird aufgezeigt, wie stark die Solvabilität des Versicherers leidet, wenn außergewöhnliche Ereignisse wie Naturkatastrophen und andere Großschadensereignisse, Börsencrashs mit Auswirkungen auf die Kapitalanlage, Cyberattacken mit Auswirkungen auf die Aufrechterhaltung des Geschäftsbetriebs u. a. eintreten. Im Rahmen der noch umzusetzenden Corporate Social Responsibility-Richtlinie (CSRD) müssen Versicherer beginnend ab 2024 für das Berichtsjahr 2023 zusätzliche Analysen und Stresstests hinsichtlich von Nachhaltigkeitsrisiken durchführen. Das dürfte allerdings nicht immer überschneidungsfrei zum bisherigen ORSA sein, wie das Beispiel von Naturkatastrophen zeigt, die eine Realisierung eines ökologischen Nachhaltigkeitsrisikos darstellen können.

1.1.3      Digitalisierung als zentraler Treiber der Umwelt

Das Geschäftsmodell Versicherungsunternehmen ist in hohem Maß datengetrieben, weil zahlreiche, aber gleichförmige und damit leicht digitalisierbare – also in Nullen und Einsen darstellbare – Informationen anfallen (z. B. Vertrags- und Schadennummern, personengebundene Daten der Kunden, Vertrags- und Schadendetails). Selbst kleinere Versicherungsunternehmen erreichen leicht siebenstellige Zahlen an abgeschlossenen Verträgen, die zu verwalten und abzurechnen sind.

Die Versicherungsbranche gehört zu den ersten Branchen überhaupt, die vor rund 100 Jahren eine automatisierte Datenverarbeitung mithilfe zunächst von Lochkartenmaschinen eingeführt hat (Koch 2012, 256). Etwa ab den 1960er Jahren wurden Großrechneranlagen und ab den 1980er/1990er Jahren zusätzlich Personalcomputer eingesetzt, letztere auch in Versicherungsagenturen. Seit den 2000er Jahren setzen sich Internet- sowie Mobilanbindungen durch, mit denen zunächst dezentrale Versicherungsvermittler und zunehmend auch Kunden an Daten des Versicherers angebunden und Datenaustausch ermöglicht werden.

Der Begriff Digitalisierung wird unterschiedlich verwendet. In der Versicherungsbranche steht er für mehr als nur die oben geschilderte, historisch weit fortgeschrittene Automatisierung und Standardisierung von Geschäftsvorfällen und die dabei anfallenden Daten. Eine Ausdrucksform ist beispielsweise die sog. Dunkelverarbeitung, bei der Software die Anträge und Schadenmeldungen anhand von programmierten Routinen und Plausibilitätskontrollen eigenständig prüft und fallabschließend durch Policierung eines Vertrags und Anstoßen einer Beitragsrechnung oder durch Anstoßen einer Regulierungsmitteilung und Schadenauszahlung erledigt. Darüber hinaus bedeutet die Digitalisierung von Dienstleistungen, dass der Kunde befähigt und angereizt wird, Teile der Dienstleistung selbst zu erbringen und dadurch personalintensive Geschäftsvorfälle zu vermeiden, gleichzeitig aber ein Nutzenerlebnis in Gestalt einer sehr schnellen Echtzeitkommunikation und Vorgangserledigung und einer Eigensteuerung hat, die angenehmer als eine Fremdsteuerung durch Versicherungsangestellte und Vermittler ist. Typische Ausdrucksformen dafür sind:

•  Selbstinformation: Der Kunde informiert sich selbst über Versicherungs- und Vorsorgebedarfe, ggf. angestoßen durch Versicherer, Vermittler und Vergleichsportale oder in sog. Ökosystemen durch andere Anbieter und Dienstleister. Dazu nutzt er Bewertungen und Frage- und Antwort-Portale anderer Nutzer als Entscheidungshilfe.

•  Selbstberatung: Der Kunde erstellt sich selbst Angebote durch Beantworten automatisierter Antragsfragen, ggf. nutzt er Dialogformate wie den automatisierten Chatbot oder den Live-Chat mit nicht körperlich anwesenden Personen für weitergehende Fragen. Automatisierte Anwendungen unterbreiten Änderungs- oder Ergänzungsvorschläge zu bestehenden Verträgen.

•  Selbstmanagement: Der Kunde schließt Versicherungen eigenständig online oder mobil ab, informiert sich über den Stand der Antragsprüfung, verwaltet die Verträge in virtuellen Versicherungsordnern (z. B. Versicherungsordner-App oder Extranetanwendung) oder erstellt Änderungsmitteilungen (z. B. Adress- und Bankverbindungsänderungen. Er teilt seine Erfahrungen mit anderen Nutzern durch mobile bzw. Online-Bewertungen und Einträge in Frage- und Antwort-Portalen.

•  Selbstregulierung: Der Kunde meldet eigenständig mobil oder im Internet einen Schaden, beantwortet im automatisierten Dialog Fragen zum Schaden oder informiert sich über den Stand der Regulierungsbearbeitung. Auch diese Erfahrungen werden im Netz bewertet und geteilt.

Das Versicherungsunternehmen kann auf diesem Weg seinen Geschäftsbetrieb kosteneffizienter organisieren und auch neue Geschäftsmodelle (Business Cases) entwickeln und bei Erfolg skalieren, das heißt Skaleneffekte durch massenhafte Verbreitung erreichen. Dabei hilft, dass Internet- und Mobilanwendungen typischerweise zwar eine hohe Entwicklungs- und gewisse laufende Pflegeaufwendungen und damit Fixkosten verursachen, die Grenzkosten für jeden zusätzlichen Nutzer (also Kunden oder Interessenten des Versicherers) dieser Anwendungen fast gleich null sind. Das ist völlig anders als bei personalintensiven Geschäftsvorfällen, die von Versichererangestellten und Vermittlern erledigt werden.

Die zunehmende Digitalisierung vieler Lebens- und Geschäftsbereiche weckt entsprechende Erwartungen bei den Kunden, denen Versicherer gerecht werden müssen. Wenn beispielsweise Onlinehändler seit Jahren erfolgreich papierlose Kaufprozesse organisieren, erscheinen die papierintensiven Abschluss- und Abwicklungsprozesse bei Versicherern (z. B. Policen, Beitragsrechnungen, Schadenkorrespondenz) anachronistisch. Gleichzeitig steigt der Kostendruck im Wettbewerb durch digitale Pioniere unter den Versicherern.

1.2        Das Versicherungsunternehmen und sein Geschäftsmodell

1.2.1      Risikotheoretisches Grundmodell der Versicherung (Grundbegriffe)

Versicherung ist nicht denkbar ohne den Begriff Risiko. Risiko meint die Unsicherheit über einen künftigen Zustand. Es besteht ein Informationsdefizit, das sich erst in Zukunft auflösen wird, denn dann weiß man über den dann erreichten Zustand Bescheid.

Dazu ein Beispiel: Ein in einem Flusstal gelegenes Gebäude kann bei einem Hochwasser überschwemmt und zerstört werden. Ob ein derart hohes Hochwasser in Zukunft auftreten wird, ist unsicher. Hat ein solches Hochwasser stattgefunden und ist das Gebäude zerstört, weiß der Gebäudebesitzer Bescheid, dass es dieses Risiko tatsächlich gegeben hat.

Das Risiko realisiert sich im Schadenereignis. Im zuvor genannten Beispiel also durch das Auftreten eines zerstörerischen Hochwassers. Das Schadenereignis kann zum einen zu wirtschaftlich quantifizierbaren Schäden führen, beispielsweise den Wiederaufbaukosten für das beim Hochwasser zerstörte Gebäude. Solche Schäden sind grundsätzlich versicherbar, wobei grundsätzlich bedeutet, dass es Ausnahmen geben kann. Im Beispiel könnte ein zu dicht am Fluss gebautes Gebäude nicht versicherbar sein, weil die Wahrscheinlichkeit des Schadeneintrittssowie das Ausmaß des Schadens zu groß sind. Damit sind die beiden entscheidenden Bestimmungsgrößen für eine Versicherbarkeit quantifizierbarer Schäden benannt.

Darüber hinaus gibt es nicht quantifizierbare Schäden wie beispielsweise das psychische Leiden des Gebäudebesitzers, dessen Haus beim Hochwasser zerstört wurde. Diese gelten grundsätzlich als nicht versicherbar.

Risiken sind allerdings nicht per se schlecht. Sie haben eine Kehrseite, die Chance. Der Gebäudebesitzer im obigen Beispiel könnte das Hochwasserrisiko für sein Gebäude nur dadurch vollständig vermeiden, indem er kein Haus baut, und schon gar nicht eines mit schönem Ausblick auf einen Fluss. Risiken sind untrennbar mit den Chancen des Lebens und des Wohlstands verbunden. Sowohl privates Eigentum als auch berufliche und unternehmerische Betätigung wären nicht möglich, würde man die Risiken scheuen.

Nach der Art des Risikos kann man das subjektive und das objektive Risiko unterscheiden. Das subjektive Risiko ist unmittelbar von der Einstellung und dem Verhalten einer Person abhängig. Es ist schwer einschätzbar und hat daher Folgen für eine Versicherbarkeit. Die beiden typischen Ausprägungsformen sind:

•   Antiselektion: Personen mit besonders hoher Risikoneigung fühlen sich von der Idee, ihr Risiko auf eine Versicherung zu übertragen, besonders angesprochen, risikoaverse (risikoscheue) Kunden dagegen weniger. Wenn im obigen Beispiel nur die direkt am Fluss stehenden Gebäudebesitzer ihre Häuser versichern, alle anderen aber nicht, wird die Deckung der häufigen Schadeneintritte von diesen Häuserbesitzern kaum finanzierbar sein.

•   Moral Hazard (moralisches Risiko): Hier tritt nach Abschluss einer Versicherung eine Verhaltensveränderung ein, der Versicherte ändert sein Verhalten von risikoavers auf risikofreudig. Beispielsweise könnte der Gebäudebesitzer nach Abschluss der Versicherung auf empfohlene Hochwasserschutzmaßnahmen verzichten, weil er diese angesichts des Versicherungsversprechens als nicht mehr nötig ansieht.

Das objektive Risiko dagegen ist bestimmbar, messbar und handhabbar. Es stellt die Grundlage der Kalkulation einer Versicherung dar. Im obigen Beispiel wäre das der Wiederaufbauwert des Gebäudes als ebenso messbarer Wert wie die statische Wahrscheinlichkeit, dass ein in Flussnähe stehendes, aber angemessen gegen Hochwasser geschütztes Gebäude bei einem solchen Hochwasser zerstört wird.

Damit Risiken grundsätzlich versicherbar sind, verwenden Versicherungsunternehmen ein Set an (positiv und proaktiv wirkenden) Anreizen wie an (nachträglich bestrafenden) Sanktionen, um den beiden subjektiven Risiken Antiselektion und Moral Hazard entgegenzuwirken. Auch hierzu jeweils Beispiele:

•  Vermeidung von Antiselektion

−  Anreize: Risikogerecht differenzierte Tarife, Rabatte bei Vorschadenfreiheit oder bei Selbstbeteiligung

−  Sanktionen: Wartezeiten, Beitragsneufestsetzung und ggf. Leistungsverweigerung bei falschen vorvertraglichen Angaben zum Risiko

•  Vermeidung von Moral Hazard

−  Anreize: Schadenfreiheitsrabatt, Beitragsrückerstattung bei Leistungsfreiheit

−  Sanktionen: Leistungsminderung bei Verletzung vertraglicher Obliegenheiten und von Obliegenheiten im Schadensfall

Versicherungen bedeuten aber nicht nur, dass Individuen ihr Risiko auf ein Versicherungsunternehmen übertragen, um eine finanzielle Überforderung bei Schadeneintritt zu vermeiden und in einen gleichmäßigen, kalkulierbaren Versicherungsbeitrag umzuwandeln. Zusätzlich leisten Versicherungen einen Risikoausgleich durch die Bündelung vieler gleichartiger Einzelrisiken. Dabei gilt das sog. » Gesetz der großen Zahl«, das heißt, der Risikoausgleich funktioniert umso besser, je mehr Risiken in einem Risikokollektiv vereint werden. Denn die einzelnen Schadeneintrittswahrscheinlichkeiten gleichen sich untereinander zunehmend aus. Neben der reinen Anzahl ist die zeitliche Verteilung von Schadeneintritten entscheidend. Deshalb spricht die wohl bekannteste Definition der Versicherung beide Aspekte des Risikoausgleichs an, das Kollektiv und die Zeit: »Versicherung ist die Deckung eines im Einzelnen ungewissen, insgesamt geschätzten Mittelbedarfs auf der Grundlage des Risikoausgleichs im Kollektiv und in der Zeit« (Farny 2011, 8).

1.2.2      Das Versicherungsgeschäft/ die Wertschöpfung des Versicherungsunternehmens

Versicherungsunternehmen organisieren den im vorhergehenden Kapitel beschriebenen Risikoausgleich im Kollektiv und in der Zeit, das Risikogeschäft. Ziel ist dabei eine Rendite auf das eingesetzte Eigenkapital des Versicherers zu erwirtschaften, um je nach Rechtsform entweder den Aktionären eine Dividende zahlen oder beim VVaG eine Stärkung des Eigenkapitals und damit künftig verbesserte Leistungen für die Mitglieder zu erreichen.

In der Lebens- und in der nach Art der Lebensversicherung kalkulierten Krankenversicherung (Verträge mit Alterungsrückstellungen, zwingend in der substitutiven, wahlweise in der ergänzenden Krankenversicherung) wird auch ein Spar- und Entspargeschäft betrieben. Der Kunde leistet über die Risikoprämie hinaus einen Sparbeitrag, der vom Versicherer kollektiv, also für alle Versicherten (eines Tarifs, einer Alterskohorte) gemeinsam, angelegt wird. Der Kunde erwirbt einen individuellen Leistungsanspruch, der aus der kollektiven Anlage befriedigt wird (z. B. eine Kapitalauszahlung oder Rente in der Lebensversicherung oder eine Beitragsminderung im Alter in der Krankenversicherung).

Ziel ist, eine angemessene Rendite für die Versicherten zu erzielen, aber auch einen Anteil der Rendite für die Anteilseigner Aktionäre oder Mitglieder zu erreichen. Diese Anteile sind in der Lebensversicherung gesetzlich begrenzt. Mindestens 90 Prozent des Kapitalanlageergebnisses (»Zinsgewinn«) stehen den Versicherten zu. Der Versicherer erzielt außerdem sog. »Sterblichkeitsgewinne«, wenn er weniger todesfallbedingte Leistungen erbringen muss als kalkuliert, z. B., weil die Lebenserwartung der Versicherten gestiegen ist. Auch diese Gewinne fließen zu mindestens 90 Prozent an die Versicherten zurück. Schließlich stehen den Versicherten mindestens 50 Prozent vom übrigen Ergebnis zu, beispielsweise, wenn der Versicherer weniger Verwaltungskosten verbucht als zuvor in den Versicherungsbeitrag einkalkuliert (§§ 6-8 MindZV).

Schließlich betreibt der Versicherer ein Dienstleistungsgeschäft. Dabei handelt es sich zunächst ganz grundlegend um die Organisation des Kernprodukts Versicherungsschutz durch entsprechende Prozessgestaltungen (z. B. Produktentwicklung, Antrags-, Verwaltungs-, Schadenprozesse), Personal- und Informationstechnikeinsatz, wodurch das generische Produkt Versicherung entsteht, das am Markt angeboten werden kann. Der Kunde erwartet allerdings i. d. R. mehr, nämlich einen auf das Kernprodukt bezogenen Service wie die Beratung zum Versicherungsbedarf und der Versicherungsgestaltung oder im Schadenfall (erwartetes Produkt). Darüber hinaus kann ein Versicherer vom Kernprodukt unabhängige Services (z. B. Wetterinformationen für die landwirtschaftliche Kundschaft, Risikomanagementberatung für Gewerbebetriebe, Bonitätsprüfungen für Kreditversicherte, Assistanceleistungen in der Lebens-, Kranken-, Pflege- und Unfallversicherung, Smart Home-Vermittlungsleistungen für Gebäudebesitzer, aber auch Marken für die Versicherungsprodukte) anbieten, die Versicherung wird dann zum augmentierten Produkt (Görgen 2007, 141).

Versicherungen werden in Versicherungssparten (Lebens-, Kranken-, Schaden-/ Unfall- und Rechtsschutzversicherungen), in der nächsten Ebene in Versicherungszweige und darunter in Versicherungsprodukte unterteilt. Eine detaillierte Darstellung der Versicherungszweige und den darin versicherten Risiken ergibt sich aus Anlage 1 VAG.

Versicherungsverträge basieren üblicherweise auf

•  dem Versicherungsvertragsgesetz (VVG),

•  den Allgemeinen Versicherungsbedingungen (AVB),

•  den besonderen Versicherungsbedingungen und Risikobeschreibungen,

•  einzelvertraglichen Regelungen im Versicherungsschein (Police).

Auf diese Art und Weise können Versicherungen modular aufgebaut und in hohem Maß standardisiert werden. Beispielsweise basiert eine typische Privathaftpflichtversicherung (PHV) auf

•  §§ 100 ff. VVG und weiteren, allgemeinen Regeln zu allen Versicherungen des VVG,

•  den allgemeine Versicherungsbedingungen für die Haftpflichtversicherung (AHB),

•  den besonderen Bedingungen und Risikobeschreibungen für die PHV sowie

•  einzelvertraglichen Regeln in der Police (z. B. Name des Versicherten, Adresse, Vertragsbeginn, Versicherungssummen, Beitrag, Zahlungsweise und Zahlungsverfahren).

Die wichtigsten Rechte der Versicherten aus einem Versicherungsvertrag sind:

•  Erbringung einer Versicherungsleistung. Dabei kann es sich je nach Versicherungsart um folgende Leistungen handeln:

−  Auszahlung einer Versicherungssumme (z. B. Erlebensfallsumme in der Kapitallebensversicherung oder Krankentagegeld) oder einer zeitbefristeten oder lebenslänglichen Rente (z. B. Renten-, Unfallrenten-, Pflegerentenversicherungen). Diese Versicherungen nennt man auch Summenversicherungen, weil sie einen abstrakten Bedarf des Kunden decken und keine konkrete Verwendung vorgeschrieben wird.

−   Ersatz des entstandenen Schadens (z. B. Finanzierung des Wiederaufbaus des zerstörten Gebäudes, Reparaturkosten für ein verunfalltes Fahrzeug, Schadenersatz gegenüber Dritten). Dieser wird zumeist als Geldleistung, selten auch als Sachleistung (z. B. Glasversicherung, Assistanceleistungen) erbracht. Diese Versicherungen nennt man auch zusammenfassend Schadenversicherungen, weil sie einen konkreten, messbaren und bezifferbaren Bedarf des Kunden decken und die Ersatzleistung i. d. R. für den angegebenen Zweck verwendet werden muss (z. B. kann der Versicherte nicht anstelle des Wiederaufbaus seines zerstörten Gebäudes vom Gebäudeversicherer verlangen, die Bausumme zu überweisen, damit er sich eine Jacht kaufen kann). Der Kunde soll finanziell in die Lage versetzt werden, wieder in denselben Vermögensstand vor Eintritt des Versicherungsfalls versetzt zu werden. Er soll nicht weniger, allerdings auch nicht mehr besitzen als vorher (Bereicherungsverbot). Eine entscheidende Größe in der Schadenversicherung ist deshalb der Versicherungswert, der in einer korrekten Versicherungssumme gedeckt werden soll. Es besteht sonst die Gefahr der Unterversicherung, bei der der Kunde im Schadenfall nicht in die Lage versetzt wird, die zerstörte, beschädigte oder abhandengekommene Sache zu ersetzen, oder auch der Überversicherung, bei der ein Kunde für ein nicht vorhandenes Risiko (zu viel) Beitrag bezahlt. Als Versicherungswert werden der Neuwert oder der Zeitwert vereinbart, je nachdem, ob es einen funktionierenden Markt für Ersatzbeschaffungen gibt (z. B. Markt der gebrauchten Kraftfahrzeuge, daher ist hier ein Zeitwertersatz ausreichend für die Wiederbeschaffung eines vergleichbaren Fahrzeugs) oder nicht (z. B. gibt es keinen vergleichbaren Markt für gebrauchten Hausrat, weshalb hier Neuanschaffungen vergleichbarer Gegenstände ermöglicht werden), sowie ob es um eigenes oder um fremdes Vermögen (Haftpflichtansprüche bestehen nur zum Zeitwert) geht. Der Neuwert kann in einer dauerhaften Versicherungssumme festgesetzt oder als gleitender Neuwert an die Entwicklung des Geldwertes (z. B. allgemeine Inflation oder bei Gebäuden die Baupreisentwicklung) angepasst werden. Beim Gleitenden Neuwert wird üblicherweise eine Versicherungssumme eines Basisjahres (z. B. 1914 bei privaten Wohngebäuden, 1970/1980 bei gewerblichen Gebäuden) durch Umrechnung vorliegender Bau- oder Kaufpreise vereinbart und durch Multiplikation mit einem veränderlichen Faktor je Jahr wieder auf die aktuelle Summe hochgerechnet. So wird sichergestellt, dass z. B. ein Gebäude jederzeit zu den dann üblichen Baupreisen nach Eintritt eines Versicherungsfalls repariert oder wiederaufgebaut werden kann.

•   Beratung des Kunden: Der Versicherer bzw. der Versicherungsvermittler hat den Kunden abhängig vom Anlass nach seinen Wünschen und Bedürfnissen zu befragen (Fragepflicht), ihn darauf basierend zu beraten (Beratungspflicht im engeren Sinn), Vorschläge zu unterbreiten und diese zu begründen (Begründungspflicht). Das Ganze ist außerdem in Textform festzuhalten und vor Abschluss des Vertrags an den Kunden zu übermitteln (Dokumentationspflicht). Es gibt zwar ein Verzichtsrecht des Kunden, dieses steht aber unter erschwerten Form- und inhaltlichen Anforderungen, damit der Verzicht nicht leichtfertig ausgesprochen oder vom Beratenden aufgedrängt, sondern nur in begründeten Einzelfällen gewählt wird (§§ 6, 61 VVG). Bei sog. Versicherungsanlageprodukten (Lebens- und Rentenversicherungen, soweit sie nicht staatlich gefördert werden) gibt es eine erweiterte Frage- und Beratungspflicht. Hier haben Versicherer bzw. Vermittler eine Geeignetheitsprüfung und eine Angemessenheitsprüfung zu leisten, ob also ein empfohlenes Versicherungsanlageprodukt geeignet und angemessen erscheint. Zu berücksichtigen sind u. a. Kenntnisse und Erfahrungen des Kunden mit Anlagen, seine Risikobereitschaft und Verlusttragfähigkeit sowie seine Nachhaltigkeitspräferenzen bei Anlagen (§ 7c VVG, Delegierte Verordnung der EU 2017/2359 in der ab 2.8.2022 gültigen Fassung).

•   Information des Kunden: Der Kunde hat Anspruch darauf, rechtzeitig vor Antragstellung seine Vertragsbestimmungen einschließlich der Versicherungsbedingungen sowie ein Produktinformationsblatt zu erhalten. Letzteres ist durch die Europäische Versicherungsaufsichtsbehörde EIOPA standardisiert und enthält strukturierte, übersichtliche Informationen zu den wichtigsten Merkmalen des angebotenen Versicherungsschutzes. Damit wird der Kunde befähigt, eine wohlinformierte Entscheidung zu treffen, selbst wenn er nicht im Detail die Versicherungsbedingungen liest (§ 7 VVG). Bei Versicherungsanlageprodukten ist abweichend ein Basisinformationsblatt zu übermitteln, das in der Europäischen PRIIP-Verordnung geregelt ist.

•   Widerrufs- und Widerspruchsrecht. Der Kunde kann Versicherungsanträge grundsätzlich innerhalb von zwei Wochen (Lebensversicherung: 30 Tage) widerrufen (§§ 8, 152 VVG). Über dieses Recht muss der Kunde eine Belehrung zusammen mit den vorstehend genannten Informationen erhalten. Sollte der Versicherungsschein vom Antrag abweichen, z. B., weil der Versicherer das Risiko nicht zu den beantragten Bedingungen annehmen möchte, hat er den Kunden auf diese Abweichungen besonders hinzuweisen und auf das Recht, Widerspruch einzulegen (§ 5 VVG).

•   Beschwerderecht. Wenn der Kunde sich nicht fair behandelt sieht, stehen ihm verschiedene Möglichkeiten offen, eine Beschwerde vorzubringen. Dies kann er direkt gegenüber dem Beschwerdeverursacher, dem Versicherer oder seinem Vermittler, vortragen. Diese sind verpflichtet, die Beschwerden zu beantworten. Weiter kann sich der Kunde an den Versicherungsombudsmann bzw. an den Ombudsmann Private Kranken- und Pflegeversicherung wenden. Diese bieten eine außergerichtliche Streitschlichtung an (§ 214 VVG). Speziell der Versicherungsombudsmann kann bis zu Streitwerten von 100.000 Euro tätig werden und bis zu 10.000 Euro verbindliche Entscheidungen gegen ein Versicherungsunternehmen treffen, das Mitglied im Trägerverein ist. Schließlich kann sich ein Kunde an die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) als Beschwerdeinstanz wenden, bei Beschwerden speziell gegen einen von der örtlichen Industrie- und Handelskammer (IHK) beaufsichtigten Vermittler auch an die jeweilige IHK.

Kunden haben auch Pflichten im Rahmen des Versicherungsvertrags:

•   Beitragszahlung: Der Kunde hat die Beiträge rechtzeitig zu zahlen. Bei Beitragsverzug gibt es im VVG geregelte Rechtsfolgen, insb. ein Rücktrittsrecht und Leistungsfreiheit bei Nichtzahlung des Erstbeitrags (§ 37 VVG) bzw. ein Kündigungsrecht und Leistungsfreiheit nach Ablauf bestimmter Fristen bei Nichtzahlung des Folgebeitrags (§ 38 VVG).

•   Vorvertragliche Anzeigepflicht: Der Versicherer muss das Risiko einschätzen können, um über die Annahme und über den adäquaten Beitrag entscheiden zu können. Auf entsprechende Fragen zum Risiko (z. B. Gesundheitsfragen bei Personenversicherungen, Fragen zur Gebäudebeschaffenheit, -nutzung und Vorschäden in der Gebäudeversicherung) muss der Kunde wahrheitsgemäß und vollständig antworten. Verletzt der Kunde die Pflicht, hat das gravierende Rechtsfolgen wie insb. ein Rücktrittsrecht des Versicherers (§ 19 VVG).

•   Obliegenheiten während der Vertragslaufzeit: Der Kunde muss mitwirken, damit der Versicherungsvertrag auf Dauer durchführbar ist. Dazu dienen zum einen gesetzliche Obliegenheiten wie insb. die Gefahrstandspflicht. Der Kunde darf nach Vertragsschluss keine Veränderungen an der Risikosituation ohne Einwilligung des Versicherers vornehmen (z. B. ein versichertes Gebäude wegen mangelnder Instandsetzung baufällig werden lassen) oder muss unfreiwillig erfolgende Gefahrerhöhungen anzeigen (z. B. Einzug eines besonders feuergefährlichen Betriebs in unmittelbarer Nachbarschaft zum versicherten Gebäude). Auch hier sind Rechtsfolgen bei Verletzung vorgesehen. Zum anderen kann der Versicherer vertragliche Obliegenheiten vorsehen (z. B. Entleerung von Wasserleitungen im Winter bei längerem Unbewohntsein eines Gebäudes). Auch hier können Verletzungen Rechtsfolgen nach sich ziehen, insb. eine Leistungsfreiheit unter bestimmten Voraussetzungen (§ 28 VVG).

•   Obliegenheiten im Versicherungsfall: Auch im Versicherungsfall muss der Kunde mitwirken, damit eine kalkulierbare, vertragsgemäße Leistung möglich wird. Dazu zählt die Anzeigepflicht, die nach Kenntnis des Versicherungsfalls unverzüglich (ohne schuldhaftes Zögern) zu erfüllen ist (§ 30 VVG). So wird der Versicherer in die Lage versetzt, Maßnahmen zur Feststellung und zur Beweissicherung zu ergreifen (z. B. einen Sachverständigen mit der Schadenbesichtigung zu beauftragen). Weiter hat der Kunde speziell in der Schadenversicherung eine Schadenminderungspflicht (§ 82 VVG). Er muss zumutbare Maßnahmen ergreifen und Weisungen des Versicherers befolgen, um den Schaden so gering wie möglich zu halten (z. B. bei einem Brand die Feuerwehr zu rufen, anstatt abzuwarten, bis das versicherte Objekt vollständig zerstört ist). Eine grob fahrlässige Verletzung dieser Pflicht berechtigt den Versicherer zu einer anteiligen Kürzung der Leistung nach Schweregrad des Verschuldens.

Folgende Parteien können an einem Versicherungsvertragsverhältnis beteiligt sein:

•  Das oder die Versicherungsunternehmen: Üblicherweise ist ein Versicherer alleiniger Vertragspartner. In der Industrieversicherung können große Risiken durch eine sog. Mitversicherung leichter tragbar gemacht werden. Dabei beteiligen sich zwei oder mehr Versicherer an einem Vertrag in einem festgelegten Anteilsverhältnis, wobei üblicherweise der Versicherer mit dem größten Anteil als führender Versicherer die Vertragsverhandlung führt, den Vertrag schließt, verwaltet, abrechnet sowie Schäden reguliert. Dafür erhält er eine Führungsprovision von den beteiligten Versicherern.

•   Versicherungsnehmer: Diese natürliche oder juristische Person schließt den Versicherungsvertrag (»Kunde«) und ist meistens, aber nicht immer, auch der Nutznießer der vertraglichen Leistungen.

•   Versicherte Person: In der Personenversicherung ist die oder sind die natürlichen Personen zu benennen, die über den Versicherungsvertrag als versichert gelten. Das können der Versicherungsnehmer selbst, aber auch mitversicherte Personen (z. B. Familienangehörige) sein. Im betrieblichen Bereich übernimmt oft der Arbeitgeber ausschließlich die Rolle des Versicherungsnehmers, seine Beschäftigten aber diejenige der versicherten Personen (Gruppen- oder Kollektivversicherungen, z. B. betriebliche Altersvorsorge, betriebliche Krankenversicherung, Gruppenunfallversicherung).

•   Beitragszahler: Diese natürliche oder juristische Person zahlt den Versicherungsbeitrag. Sie ist meist, aber nicht immer, personenidentisch mit dem Versicherungsnehmer. Beispiel: Die Eltern übernehmen als Beitragszahler den Beitrag für ihr erwachsenes Kind, das als Versicherungsnehmer einen Versicherungsvertrag abschließt.

•   Bezugsberechtigter: Speziell in der Lebensversicherung kann eine natürliche Person widerruflich oder unwiderruflich zum Bezug der Versicherungsleistung berechtigt werden, Zumeist bestimmt damit die versicherte Person denjenigen Hinterbliebenen, der in seinem Todesfall die Versicherungsleistung erhalten soll (z. B. Witwe, Witwer). In der betrieblichen Altersvorsorge muss der Arbeitgeber seinen Arbeitnehmer zum unwiderruflichen Bezugsberechtigten erklären, wenn der den Vertrag durch Entgeltumwandlung bespart, also auf Gehalt verzichtet, das als Beitrag in die Versicherung fließt.

Dem Versicherungsvertrag geht der Versicherungsantrag voraus. Dabei handelt es sich um eine Willenserklärung des Kunden, die vom Versicherer angenommen oder abgelehnt werden kann (Vertragsfreiheit). Die Annahme kann entweder durch ein förmliches Geschäftsschreiben oder durch Zusendung der Police (Versicherungsschein) erklärt werden (Antragsmodell). Der Versicherungsvertrag kommt erst durch zwei übereinstimmende Willenserklärungen (Antrag und Annahme) zustande. Manchmal wird der Ablauf umgekehrt und der Versicherer vom Kunden unverbindlich zur Abgabe eines Angebots aufgefordert (invitatio ad offerendum – Invitatiomodell). Der Versicherer prüft dies und sendet dem Kunden im positiven Fall eine als Angebot gekennzeichnete Police, der Kunde muss dann seine Annahme des Angebots förmlich erklären. Dieses Verfahren hat einen prozessualen Vorteil für Versicherungsvermittler, wenn sie während der Beratung und Angebotsstellung nicht »rechtzeitig« alle notwendigen Vertragsinformationen übermitteln können, sondern dies dem Versicherer überlassen. Auch der Versicherer hat einen Vorteil, weil er sicherstellen kann, dass die »richtigen« Bedingungen übermittelt werden und er nicht ungewollt in eine höhere Leistungsverpflichtung gerät als vermeintlich vereinbart. Nachteil des Invitatiomodells ist das Zustimmungserfordernis des Kunden, was zu Zeitverzögerungen und zum Risiko führt, bis dahin unversichert zu sein.

Wenn Kunden unmittelbaren Versicherungsschutz benötigen, der Versicherungsvertrag aber nicht in der benötigten Schnelligkeit zustande kommen kann, ist eine vorläufige Deckungszusage möglich (§§ 49 ff. VVG). Üblich und verbreitet ist zudem die sog. Erweiterte Einlösungsklausel – der Versicherer sagt vertraglich zu, Versicherungsschutz bereits ab dem vertraglichen Beginn zu gewähren, wenn der Erstbeitrag rechtzeitig nach Aufforderung gezahlt wird. Dadurch wird das Risiko des Kunden ausgeschlossen, wegen Verzögerungen im Antragsprozess leistungsfrei zu bleiben, wenn der Versicherungsfall vor Vertragsschluss eintritt.

Versicherungsverträge können auf verschiedene Weise enden:

•   Ablauf des Vertrags: Kapitallebensversicherungen werden zu einem bestimmten, vertraglich vereinbarten Termin fällig. Davon zu unterscheiden ist die Zweiteilung der Vertragslaufzeit bei Rentenversicherungen in eine Aufschubzeit, in der der Kunde Beiträge leistet, aber noch keine (Renten-)Leistung erhält, und die Rentenzeit, in der er keine Beiträge mehr zahlt, sondern – i. d. R. lebenslänglich – Renten erhält.

•   Ordentliche Kündigung: Die meisten Versicherungsverträge können von jeder Vertragspartei fristgerecht gekündigt werden. Die Kündigungsfrist beträgt üblicherweise drei Monate zum Ende des Versicherungsjahres, bei Kraftfahrtversicherungen einen Monat. Das Recht zur ordentlichen Kündigung wird beim Versicherer allerdings in der Lebens- und in der nach Art der Lebensversicherung kalkulierten Krankenversicherung ausgeschlossen. Sonst könnte sich der Versicherer auf einfache Weise von seinen teuer werdenden, älteren Kunden trennen, obwohl diese in jungen Jahren entsprechend höhere Beiträge gezahlt haben.

•   Außerordentliche Kündigung: Entsprechende Rechte bestehen vor allem bei Vertragsstörungen für den Versicherer, z. B., wenn der Kunde Obliegenheiten verletzt, seine Folgebeiträge nicht rechtzeitig leistet oder in Insolvenz geht. Der Kunde kann im Schadenfall außerordentlich kündigen, beispielsweise, wenn er mit der Schadenregulierung unzufrieden ist (§§ 92, 111 VVG). Bei Veräußerung einer versicherten Sache haben sowohl der Versicherer als auch der Erwerber ein Sonderkündigungsrecht (§ 96 VVG).

•   Risikofortfall: Fällt das versicherte Interesse weg, muss der Kunde auch keine Versicherung mehr dafür aufrechterhalten und bezahlen (§ 80 VVG). Beispielsweise wird nach Verschrottung eines Kraftfahrzeugs die Versicherung dafür nicht mehr benötigt.

•   Todesfall: Verstirbt eine versicherte Person, endet auch die entsprechende Personenversicherung.

•   Vertragsaufhebung: Versicherungsverträge können im gegenseitigen Einvernehmen aufgehoben werden.

Nachfolgend werden exemplarisch die wichtigsten Versicherungen, deren grundsätzliche Funktionsweise und der Kundennutzen vorgestellt, den diese erfüllen. Die Zusammenstellung erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit und ersetzt auch nicht das Studium weiterer Informationen, vor allem der Versicherungsbedingungen.

Dar. 1:    Sparte – Lebensversicherung (LV)

Dar. 2:    Sparte – Krankenversicherung (KV)

Dar. 3:    Sparte – Schaden-/ Unfallversicherung (UV)

Daneben kennt die Versicherungsbranche eine Reihe weiterer, spezieller Versicherungsprodukte und Deckungen wie u. a. Arbeitslosigkeits-, Lösegeld- und Entführungs-, Mietverlust-, Terror-, Vertrauensschadenversicherungen. Diese folgen stets einem spezifischen Versicherungsbedarf von Kunden.

1.2.3      Die strategische Ausrichtung des Versicherungsunternehmens

Die Wertschöpfung im Versicherungsunternehmen entsteht durch den Vertrieb oder anders ausgedrückt das In-Vertrieb-Bringen von Versicherungsprodukten. Sind deren Beiträge höher als die Kosten, ist das Versicherungsunternehmen wirtschaftlich. Die wichtigsten Kosten sind dabei in absteigender Reihenfolge ihrer üblichen, wirtschaftlichen Bedeutung:

•   Schadenkosten (Schadenversicherer) bzw. Leistungen und Zuwachs an Leistungsverpflichtungen (Lebensversicherer), bei Krankenversicherern ist es eine Mischung aus beidem. Zu den Schadenkosten gehören auch die Kosten der Schadenregulierung bzw. der Leistungsbearbeitung.

•   Abschluss- und Vertriebskosten entstehen durch den Vertrieb der Versicherungsprodukte und umfassen interne Kosten (z. B. Marketing, Vertriebsorganisation, Underwriting und Policierung) und externe Kosten (i.W. Vermittlervergütungen).

•   Kapitalanlagekosten in Zusammenhang mit der Anlage und Verwaltung des Kapitals des Versicherers.

•   Verwaltungskosten sind eine Restkostengröße für Betriebskosten des Versicherers, die weder der Schaden-/ Leistungsregulierung noch dem Abschluss und Vertrieb zuzurechnen sind, z. B. Kosten der internen Verwaltung und Führung des Unternehmens.

Die Idee der Wertkette oder Wertschöpfungskette nach Porter (1985/2004, 48 ff.) ist, unmittelbar wertschöpfende (primäre) und nicht wertschöpfende, aber notwendige (sekundäre) Aktivitäten so zu gliedern, dass eine Isolierung des jeweiligen Wertschöpfungsbeitrags möglich und zur Optimierung nutzbar gemacht wird. Es gibt verschiedene Adaptionen der Wertschöpfungskette für Versicherungsunternehmen (z. B. von Farny 2011, 446, 472; Helten/Hartung 2001, 54 f.; Müller-Stewens/Lechner 2005, 378 f.), die i. d. R. von einem traditionellen Verständnis der Versicherung als einem Produkt geprägt sind, das intern im Unternehmen hergestellt und erst anschließend vom »Vertrieb«, verstanden als reiner Verkaufsfunktion, an Kunden vertrieben wird. Auch impliziert die übliche Darstellungsform als Kette einen sequenziell determinierten Ablauf der Entstehung der Wertschöpfung, der nicht immer mit der Praxis übereinstimmt.

Die nachstehende, modifizierte Wertschöpfungskette (Dar. 4) isoliert unter den primären Aktivitäten diejenigen, die dem »Vertrieb im regulatorischen Sinn« zuzuordnen sind. Das entspricht dem weiten Verständnis von Vertrieb nach der Europäischen Versicherungsvertriebsrichtlinie (im deutschen Recht adaptiert in §§ 7 Nr. 34a VAG, 1a Abs. 1, 2 VVG). Dort werden folgende Aktivitäten zum Vertrieb gerechnet:

•  Beratung,

•  Vorbereitung von Versicherungsverträgen einschließlich Vertragsvorschlägen,

•  Abschluss von Versicherungsverträgen,

•  Mitwirken bei Verwaltung und Erfüllung von Versicherungsverträgen, insb. im Schadenfall,

•  Bereitstellung von Informationen und Preisvergleichen im Internet, wenn eine direkt oder indirekte Abschlussmöglichkeit gegeben ist.

Außerdem wird die Produktentwicklung einbezogen, für die es spezielle Anforderungen wie ein Produktfreigabeverfahren gibt, in dem eine systematische Passung der Produkte mit den Kundenbedürfnissen, die Vertriebsstrategie und die Informationsversorgung der Vertriebseinrichtungen sichergestellt werden sollen (§ 23 Abs. 1a-1d VAG).

Die Abfolge der wertschöpfenden Aktivitäten ist daher:

•   Rückversicherung: Diese ermöglicht überhaupt erst die Aufnahme des Versicherungsbetriebs und des Angebots an marktgängigen Versicherungsprodukten. Rückversicherer übernehmen dabei nicht nur wesentliche Teile des Risikos (z. B. Spitzen-, Schwankungs-, Kumulrisiken, die der Erstversicherer allein nicht tragen könnte), sondern beraten den Erstversicherer oft auch bei der Produktgestaltung und liefern statistische Daten zur Beitragskalkulation. Der Wertschöpfungsbeitrag liegt darin, dass eine geschickte Rückversicherungspolitik marktgerechte Leistungen und Beiträge des Erstversicherers ermöglicht. Zudem beteiligen sich Rückversicherer an den Betriebskosten des Erstversicherers (bei sog. proportionalen Rückversicherungsverträgen über die sog. Rückversicherungsprovision) und erleichtern den Geschäftsbetrieb.

•   Vertrieb im regulatorischen Sinn