Einspruch! - Andreas Lusser - E-Book

Einspruch! E-Book

Andreas Lusser

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Beschreibung

Die breite Bespitzelung von Bürgern durch die US-Geheimdienste hat einmal mehr kontroverse Diskussionen um die Privatsphäre ausgelöst. Proteste europäischer Regierungen lassen fast vergessen, dass die finanzielle Privatsphäre unter dem massiven Druck eben dieser Regierungen zu Grabe getragen wurde. Während wir alle in unserer täglichen Kommunikation problemlos Irreführendes behaupten oder anderes verschweigen können, stellen unsere finanziellen Belange die ultimative, kaum zu fälschende Realität dar. Unter dem ehrenhaften Deckmantel der Verfolgung von Steuerdelikten wurde der Schutz der persönlichen Privatsphäre in den letzten Jahren weitgehend über Bord geworfen. Was mit dem Einblick auf den Kontostand begonnen hat, geht heute bis zur Einschränkung und dem Verbot von Bargeld. Andreas Lusser zeigt, warum der lange praktizierte Schutz der finanziellen Privatsphäre richtig war und welche überraschend weitreichenden Konsequenzen die ausufernde Steuerkontrolle für uns alle hat.

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1. Auflage 2014

© 2014 by FinanzBuch Verlag, ein Imprint der Münchner Verlagsgruppe GmbH

Nymphenburger Straße 86

D-80636 München

Tel.: 089 651285-0

Fax: 089 652096

Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme gespeichert, verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

Lektorat: Ulricke Kroneck, Melle-Buer

Umschlaggestaltung: Maria Wittek, München

Umschlagabbildung: unter Verwendung von iStock-Bildern

Satz: Georg Stadler, München

Druck: CPI – Ebener & Spiegel, Ulm

Printed in Germany

ISBN Print 978-3-89879-870-9

ISBN E-Book (PDF) 978-3-86248-618-2

ISBN E-Book (EPUB, Mobi) 978-3-86248-619-9

Weitere Informationen zum Verlag finden Sie unter

www.finanzbuchverlag.de

Beachten Sie auch unsere weiteren Verlage unter

www.muenchner-verlagsgruppe.de

Inhalt

Einführung 7

1 Finanzielle Transparenz 13

Bankgeheimnis: ein Reizthema 13

Mythen und Legenden um das Bankgeheimnis 16

Ein Plädoyer für Gleichbehandlung von Konto und Matratze 21

Zur Grundproblematik: Um was geht es eigentlich? 25

Wie »weit« muss man gehen? 29

Sind nur die Reichen betroffen? 40

2 Fatca – mehr als nur der Kontostand 45

Terrorismus und Steuern – Vorwand, um Persönlichkeitsrechte aufzuheben 52

Wem nützt die Transparenz? 56

Finanz- und Haushaltspolitik mit großer Wirkung 62

Von Steuergerechtigkeit und Steuerehrlichkeit 64

Finanzielle Privatsphäre, Bankgeheimnis und Steuern: ein Widerspruch? 69

3 Von der Ameise und der Grille: immerwährender staatlicher Zugriff? 77

Fairness – oder: Was heißt denn hier Gewinn? 79

4 Lösungsansätze: Schutz der Privatsphäre und Steuerehrlichkeit 85

Anonyme Zahlungsmöglichkeit 85

Vertrauensaufbau und Selbstbeschränkung 88

Vom »Problem« oder Umgang mit sehr guten Steuerzahlern 93

Internationale Abgeltungssteuer 98

5 Der größere Zusammenhang: Privacy 103

Privatsphäre ist ein Grundrecht 103

Warnung aus Großbritannien 107

Mehr und mehr staatliche Zugriffe 111

Die Folgen der Finanzkrise 114

Was zeichnet die Privatsphäre aus? 116

Privacy – ein Menschenrecht 118

Gefahr durch »Unfälle« und Datenklau 119

Übergriffe auf alle Teilbereiche der Privatsphäre 120

Die finanzielle Privatsphäre fällt zuerst 129

Epilog 133

Über den Autor 137

Einführung

Spätestens seit den Enthüllungen um die Abhörpraktiken westlicher Geheimdienste durch den amerikanischen Whistleblower Edward Snowden im Sommer 2013 werden Fragen um die Privatsphäre der Bürger öffentlich aufgeworfen und kontrovers diskutiert. Das Eindringen des Staates in private Telefonate und E-Mails wird heute von vielen Meinungsträgern und europäischen Regierungsverantwortlichen als problematisch betrachtet.

Fast vergessen wurde in der Diskussion, dass ein besonders heikler Teil der persönlichen Freiheit, die finanzielle Privatsphäre, unter dem massiven Druck derselben europäischen Regierungen und Verwaltungen abgebaut und aufgehoben wurde.

Während wir in unserem E-Mail- und Telefonverkehr problemlos Irreführendes einbauen, Sympathien vortäuschen, Erfolge aufbauschen oder anderes verschweigen können, stellen unsere finanziellen Belange die ultimative persönliche Realität dar. Politische Gesinnung, wirtschaftlicher Erfolg, ja selbst sexuelle Neigungen hinterlassen eine sichtbare finanzielle Spur. Unter dem Vorwand der Verfolgung von Steuerdelikten wurde der Schutz der persönlichen Privatsphäre in den letzten Jahren massiv aufgeweicht und weitgehend aufgehoben. Was mit dem Einblick in Kontostand und -ertrag begonnen hat, geht heute bis zur Einschränkung der Nutzung und dem Verbot von Bargeld.

Das Bankgeheimnis, das im Kern sicherstellt, dass der Staat nur in begründeten Einzelfällen Zugang zu privaten Daten seiner Bürger erhält, wird und wurde von denselben Meinungsträgern als etwas Unmoralisches gebrandmarkt. Das Bankgeheimnis gegenüber den Behörden wurde in den letzten Jahren in vielen Staaten nicht nur faktisch abgeschafft, sondern darüber hinaus ein gegenseitiger automatischer Informationsaustausch eingeführt. Die wenigen verbleibenden Länder, welche die Kundendaten lange geschützt hatten, haben diesen Schutz unter großem internationalen Druck zumindest massiv aufgeweicht.

Wenn das Gewähren finanzieller Privatsphäre zum Schutz vor behördlichem Zugang moralisch falsch war, wurde es im internationalen Verkehr zu Recht abgeschafft. Wenn es aber in seiner Geschichte eine ernst zu nehmende Aufgabe erfüllt hat und den Menschen Schutz gegenüber nicht nur im Recht agierender Staaten gewährte, lohnt es sich, der Sache einige Gedanken zu widmen, die über die stereotype Steuerthematik hinausgehen.

Dass der Bürger Anspruch auf seine Privatsphäre – auch in finanziellen Belangen – geltend machen kann, zeichnet den Rechtsstaat westlicher Prägung gerade gegenüber autoritären oder gar totalitären Regierungsformen aus.

Wo die Privatsphäre in finanziellen Belangen gegenüber den Behörden nicht mehr oder nur noch eingeschränkt gilt, haben die Menschen guten Grund, sich tiefergehend damit zu beschäftigen, welche grundlegenden Werte im Kern bedroht sind.

In den folgenden Kapiteln beleuchtet der Autor die Komplexität rund um die finanzielle Privatsphäre aus einer fundamentalen Perspektive. Er verurteilt Steuerbetrug vorbehaltlos. Die während der letzten Jahren erfolgte Betrachtung und Verurteilung insbesondere des Bankkundengeheimnisses allein unter dem Aspekt der Steuerehrlichkeit ist jedoch aus seiner Sicht zu eindimensional und wird der darüber hinausweisenden Problematik in keiner Weise gerecht. Er zeigt auf, dass die von den Behörden laufend wiederholte Darstellung, der erzwungene Zugriff der Behörden auf die Finanzverhältnisse der Menschen diene nur der Erzielung fairer Steuererträge, nicht schlüssig ist. Das Steuerargument eignet sich jedoch perfekt, um praktisch jegliche Gegenwehr gegen den staatlichen Datendrang auszuschalten. Es hat sich gezeigt, dass diejenigen politischen und medialen Kreise, die der traditionellen staatlichen Datenbeschaffung für polizeiliche Ermittlungen oder dem Geheimdienst kritisch gegenüberstehen, demselben Staat Daten praktisch kritiklos zugestehen, wenn er sich unter dem Etikett der Steuerbehörden präsentiert.

Dass der fiskalische Mehrertrag kaum der ultimative Grund für den enormen Druck auf die finanzielle Privatsphäre sein kann, zeigen exemplarisch die von den USA weltweit geforderten Finanzinformationen über ihre Bürger, die sogenannten „Fatca“ Daten. Die Kosten für die Erstellung und Bewirtschaftung von Fatca übertreffen den damit offiziell erwarteten Steuerertrag, selbst langfristig betrachtet, bei weitem. Dennoch orientieren sich auch Europäische und andere Regierungen bei der Festlegung ihrer Datenwünsche zunehmend an diesem Standard. Praktisch betrachtet ist es wenig sinnvoll, wenn die finanzielle Privatsphäre lediglich zugunsten der Behörden im Inland aufgehoben wird, da Gelder leicht in ausländische Kanäle abfließen können. Folgerichtig wird ein systematischer internationaler Datenaustausch gefordert. Damit dieser Datenaustausch Sinn macht, muss er möglichst alle Länder umfassen, mindestens alle, die einen einigermaßen entwickelten Finanzsektor unterhalten. Entsprechend wurde enormer Druck auf Länder wie die Schweiz, Österreich, Luxemburg und Liechtenstein ausgeübt, sich einem derartigen Datenaustausch zu unterwerfen. Allein die Implementierungskosten und der Unterhalt der entsprechenden Software und Arbeitsprozesse übersteigen dabei den von den Behörden optimistisch erwarteten steuerlichen Mehrertrag. Konkrete Schätzungen hierzu finden sich zum erwähnten US-Informationsaustauschstandard Fatca, der noch genauer analysiert werden wird. Schlimmer aber als der negative finanzielle Aspekt erweist sich, dass wer Daten fordert, längerfristig kaum darum herumkommen wird, dem anderen Land ebenfalls analoge Daten zuzugestehen. Will man, der steuerlichen Logik folgend, von möglichst allen Ländern Daten, gilt dies auch in umgekehrter Richtung. Empfänger der Daten ist stets die jeweilige Regierung, respektive die von ihr eingesetzte Verwaltung, unabhängig von deren Umgangsformen mit der Opposition. Wenig verwunderlich also, dass praktisch alle Regierungen an diesen Informationen höchst interessiert sind. Es gehört schon eine gehörige Portion Naivität dazu zu glauben, dies erfolge ausschließlich zum Zweck ehrlicher Steuereinnahmen. Nicht nur ein Blick in die Geschichte, auch offene Augen gegenüber den internationalen Regierungen heute lassen daran erhebliche Zweifel aufkommen.

Ein systematischer internationaler Austausch von Finanzdaten der Menschen ist aus grundsätzlich ethischen Überlegungen eigentlich nicht zu verantworten. Die Geschichte zeigt unmissverständlich, dass sich der Bürger Sorgen um seine persönlichen Freiräume machen muss, wenn seine Privatsphäre geschleift wird. Und die persönlichen Finanzen stellen nichts anderes dar als den ultimativen harten und unverfälschten Kern der Privatsphäre. Anders ausgedrückt sind es oft Oppositionelle, Regimekritiker, Intellektuelle und andere Nonkonformisten, die durch den Respekt vor der Privatsphäre Schutz erhalten, und das gilt selbstverständlich auch für den Umgang mit ihrem persönlichen Geld. Nicht nur die Nationalsozialisten hätten sich für die ausländischen Finanzverhältnisse der jüdischen Menschen im Lande interessiert. Auch die russische Revolution hätte kaum stattgefunden, wenn sich der Zar uneingeschränkt über die Finanzen Lenins informieren und dessen Gelder wegen Verdachts auf Steuerunehrlichkeit hätte sperren lassen können.

Die Referenz in Sachen Informationsaustausch ist der von den USA definierte Foreign Account Tax Compliance Act (Fatca), der auch von ausländischen Finanzdienstleistern konsequent umgesetzt werden muss. Er ist dabei, auch die Kundenbeziehungen europäischer Banken, Versicherer und Fondsgesellschaften zusehends zu prägen. Gemäß Fatca erhalten die Vereinigten Staaten automatisch alle wesentlichen Finanzinformationen über ihre Bürger sowie deren Firmen und Stiftungen – weltweit.

Wer im Frieden aufgewachsen ist und in keiner Weise von korrupten oder ideologisierten Behörden genötigt wurde, dem mag dieser Austausch von Finanzdaten nicht bedrohlich erscheinen. Die Frage stellt sich indes, wie eine menschenrechtssensible Regierung reagieren soll, wenn ein Staat wie beispielsweise China um den automatischen Austausch solcher Daten bittet. Den Anforderungen von Fatca zufolge bedeutet dies, dass Daten aller in China lebenden Menschen, die Konten bei uns unterhalten, ins Visier geraten, dort lebende Deutsche, Österreicher und Schweizer inbegriffen. Gefordert würden darüber hinaus detaillierte Finanzinformationen über sämtliche Exil-Chinesen, den Dalai Lama möglicherweise inbegriffen. Spätestens wenn auch China mit einer »einsatzbereiten Kavallerie« droht, wird sich der politisch Interessierte fragen, ob er für die Bequemlichkeit der Steuerfahndung nicht einen zu hohen Preis bezahlt. Soll er und mit ihm der gesamte Staat freiheitlicher Prägung diesem Druck weichen? Vielfach ist das Argument zu hören, dass der Ehrliche vor dem Staat ja nichts zu verbergen habe. Doch auf diese einseitige, die Staatsorgane begünstigende Betrachtungsweise sollte sich niemand einlassen. So ist das Beispiel China keineswegs aus der Luft gegriffen. Dessen Nachbarland Indien hat sein Interesse an den internationalen Finanzdaten seiner Bürger bereits mehrfach geäußert und am Weltwirtschaftsforum WEF 2014 in Davos seine diesbezüglichen Forderungen öffentlich unterstrichen. Selbst die UNO propagiert bereits den internationalen Finanzdatenaustausch. Darüber freuen sich nicht nur westliche Regierungen, sondern auch viele wenig zimperlicher Herrscher, welche damit praktisch uneingeschränkte Macht über ihre Opposition erhalten.

Ganz grundsätzlich hat der Einzelne ein Recht darauf, in den eigenen vier Wänden in Ruhe gelassen zu werden, und er tut sicher gut daran, wenn er dieses Recht entschieden verteidigt. Es stellt sich auch die Frage, weshalb der Bürger den Staatsorganen so viel Vertrauen entgegenbringen soll. Verdienen diese derart viel Vertrauen, dass wir ihnen große Teile unserer Privatsphäre zugänglich machen sollten? Kämpfen wir am richtigen Ort, wenn wir dem Staat unter dem Etikett »Geheimdienst« Grenzen zu setzen versuchen, dem gleichen Staat aber, wenn es um die Steuern geht, noch viel sensiblere Informationen widerstandslos zugestehen? Gerade mit Blick auf die Geschichte Europas im 20. Jahrhundert kann diese Frage nur mit einem klaren Nein beantwortet werden. Und das Argument, wir lebten mittlerweile im 21. Jahrhundert und damit in einer ganz anderen Welt, hört sich nicht sehr überzeugend an.

Für die Verfolgung von Kriminellen aller Art hält sich der Rechtsstaat an klare Strukturen und Verfahrensrechte. Er geht fallweise vor. Er darf zwar in den Privathaushalt eines Verdächtigen eindringen, er darf Telefonate und E-Mails abhören. Die Vertreter des Staates können solche Maßnahmen aber nur fallweise anordnen und benötigen dafür einen begründeten Verdacht und eine richterliche Erlaubnis. Solche Verfahrensregeln gelten auch im internationalen Kontext bei Rechtshilfebegehren. Dieser Schutz des Individuums gegenüber staatlicher Willkür mag manchmal lästig erscheinen: Ermittlungen gegen Mörder, Terroristen und andere Verbrecher sind in diesem Rahmen schon gebremst oder gestoppt worden.

Diese Beschränkung ist teuer, sie kostet die Allgemeinheit Geld. Doch die Eingrenzung des staatlichen Einflusses ist richtig, wie die Geschichtsbücher bis in die jüngste Vergangenheit hinein eindrücklich belegen. Auch Steuerbetrüger sind Gesetzesbrecher. Sie gehören verfolgt wie alle anderen Kriminellen – fallweise und mit begründetem Verdacht. Der Staat soll daher auch in Bankkonten schauen und internationale Rechtshilfe anfordern dürfen – unter denselben Voraussetzungen, wie er in private Haushalte, in Telefonate oder den E-Mail-Verkehr eindringen darf: fallweise, mit begründetem Verdacht und individuellem internationalen Rechtsbegehren. Die aktuell diskutierten und bereits weitgehend umgesetzten automatischen Informationsübermittlungen sowohl innerhalb Europas als auch im Rahmen von Fatca mit den USA gehen jedoch weit darüber hinaus.

Für den Autor ist es aus historischer Sicht sinnvoll, dass die Verwaltung nicht alle finanziellen Ressourcen ihrer Bürger kennt. Er begründet dies damit, dass keine Regierung für die Zukunft eines Staatswesens bürgen und rechtsstaatlich bedenkliche Entwicklungen ausschließen kann. Das bedeutet in keiner Weise, dass dem Staat Steuereinnahmen, die er zur Erfüllung seiner Aufgaben braucht, entgehen sollen: Privatsphäre und Steuergerechtigkeit schließen sich nicht gegenseitig aus.

Der westlich-liberale Staat hat trotz des beschriebenen engen Korsetts schon manche Prüfung bestanden. Er wurde durch den Terror der Siebzigerjahre des letzten Jahrhunderts nicht ausgehöhlt und er hat die Bedrohung durch die Islamisten rund um Al Qaida mit Schrammen überstanden. Er sollte sich auch im Problemkreis Steuerbetrug und Steuerhinterziehung nicht verführen lassen.

1 Finanzielle Transparenz

Bankgeheimnis: ein Reizthema

Das Bankgeheimnis ist ein politisches und gesellschaftliches Reizthema. Wie weit es reichen soll, wird gegenwärtig primär aus dem Blickwinkel der Steuerthematik beleuchtet. Dem berechtigten Interesse der Steuerbehörden an Informationen steht eine lediglich theoretisch vorhandene Privatsphäre der Bürger in Finanzangelegenheiten gegenüber: Da jeder den Behörden ohnehin Vermögen und Ertrag auf seinen Konten via Steuererklärung darzulegen hat, erscheint die allfällige informative Selbstbedienung der Behörden für den ehrlichen Bürger kaum einen Unterschied zu machen. Wozu also die Aufregung? Ist es sinnvoll, dass sich eng verbundene und befreundete Länder wie die Schweiz und Deutschland deswegen in die Haare kriegen? Kaum. Es geht nicht um die Interessen eines Landes gegenüber denen des anderen Landes, sondern um die Interessen von Regierung gegenüber ihren Bürgern. Das sind Interessen, die den Regierungen der meisten Länder gemein sind. Wenig überraschend wurde die finanzielle Privatsphäre in den vergangenen Jahren in den allermeisten Fällen zugunsten größerer Rechte für die Regierungen aufgeweicht.

Das Thema ist bei näherer Betrachtung nicht einfach und die Frage, ob Informationen, über welche die Banken verfügen, ausschließlich dort bleiben oder an Behörden und Institutionen weitergeleitet werden, verändert das Leben der Menschen wesentlich massiver, als weite Kreise der Bevölkerung wahrnehmen wollen. Dies gilt selbst dann, wenn die Informationen vordergründig nur an die selbst einem Amtsgeheimnis unterstehenden Steuerbehörden geliefert werden. Es geht hier nicht um einen Konflikt zwischen Deutschland und der Schweiz, zwischen Oasen und Wüsten oder den USA mit anderen Staaten. Auch geht es nicht um einen Gegensatz zwischen Reichen und Armen oder linken und rechten Positionen in der politischen Landschaft. Es sind hier vielmehr Überlegungen angebracht, wie wir das Verhältnis untereinander gestalten wollen, zwischen uns und unseren staatlichen Organen und zwischen verschiedenen souveränen Staaten. Vor allem aber ist es eine Frage, wie mit der Versuchung umgegangen wird: Versuchung für den Einzelnen, bei Steuerangaben nicht ehrlich zu sein; Versuchung für Medien und Politiker, diese Neiddebatte zu reiten; Versuchung aber auch für die staatlichen Organe, sich für die Verfolgung von Steuerdelikten Instrumentarien zu schaffen, die anderen Behörden bei der Verfolgung anderer Gesetzwidrigkeiten aus gutem Grund nicht zur Verfügung stehen.

Der Druck auf das Bankgeheimnis hat in den vergangenen Jahren massiv zugenommen. Europäische Regierungen, breite Schichten der Bevölkerung und der Medien plädieren dafür, das Bankgeheimnis aufzuweichen oder ganz zu schleifen. Unter diesem Druck haben selbst Länder wie die Schweiz, Luxemburg, Österreich und das Fürstentum Liechtenstein den Behörden anderer Länder Informationsrechte eingeräumt, die der normalen Rechtshilfepraxis massiv widersprechen. Hervorzuheben ist hier der einstimmige Beschluss des OECD-Rats vom 17. Juli 2012, gemäß welchem internationale Amtshilfe nicht nur im Einzelfall gewährt werden muss, sondern auch für Gruppen von Steuerpflichtigen. Vorrangig wird damit das Ziel verfolgt, die Steuerehrlichkeit zu erhöhen und Leute zu überführen, die sich bei ihren fiskalischen Verpflichtungen Unregelmäßigkeiten zuschulden kommen lassen. Doch mit diesem politischen Druck gehen auch Entwicklungen einher, die den Menschen Sorge machen sollten. So müssen wir uns darauf einstellen, dass die Auflösung des Bankgeheimnisses nur ein Etappenschritt ist auf einem Weg, der in letzter Konsequenz zum sogenannten gläsernen Menschen führt. Der unter dem Antiterror-Argument geführte geheimdienstliche Zugriff auf immer mehr Daten wird effizient unterstützt mit dem Steuerargument. Die Kombination der beiden Informationspakete führt zu einem für die Regierungen höchst potenten Paket. Mit größter Sicherheit weiß der Staat dann letztendlich viel mehr über jeden Einzelnen, als uns lieb sein kann.

Der Druck auf das Bankgeheimnis führt in letzter Konsequenz dazu, dass den Regierenden mehr Macht über ihre Bürger in die Hand gegeben wird.

Leider sind die Bestrebungen zum Abbau der finanziellen Privatsphäre mittlerweile omnipräsent, bereits weitgehend umgesetzt und finden in einem breiten politischen Spektrum großen Zuspruch. Es gilt, die Folgen dieses Mainstream-Denkens genauer zu beleuchten. Die Argumente wider das Bankgeheimnis mögen auf den ersten Blick plausibel erscheinen. Doch was sind die sich daraus ableitenden Konsequenzen in ihrer ganzen Breite? Zu Ende gedacht führt der Druck auf die finanzielle Privatsphäre in letzter Konsequenz dazu, dass den Regierenden mehr Macht über ihre Bürger in die Hand gegeben wird. Allein schon aufgrund dieser Gefahr wäre es sinnvoll, wenn man in der emotional geprägten Debatte für Zurückhaltung plädierte. Das Bankgeheimnis sollte nicht nur unter diesem einen Aspekt gewürdigt oder sogar infrage gestellt werden. Wer es ins Visier nimmt, muss sich bewusst sein, dass darunter auch die Privatsphäre des einzelnen Bürgers leiden wird, und zwar in einem Umfang, der weit über die Kenntnis von Jahresendvermögen, Zinseinkommen und Kapitalgewinn hinausreicht.

Die Freiheit zu entscheiden, wer was über mich weiß, gehört zum elementarsten Gut eines jeden. Der Schutz der Privatsphäre wird daher quer durch die Parteienlandschaft als hohes Gut gewürdigt. Lediglich extreme politische Bewegungen ganz links und rechts in der Parteienlandschaft können damit nicht viel anfangen und wenden sich sogar dezidiert gegen Freiräume des Individuums. Der Schutz der Privatsphäre ist aber gerade eine Errungenschaft, die ein demokratisches und pluralistisches Staatswesen auszeichnet.

Ganz grundsätzlich ist der Erhalt der Privatsphäre höher zu gewichten als das Risiko, dass Freiräume manchmal nicht im Sinne eines verantwortungsbewussten Bürgers genutzt werden und es dabei zu Verfehlungen kommen kann – auch, aber nicht nur in Steuerbelangen. Und es ist auch nicht zu übersehen, dass westlich-liberale Staaten in praktisch allen Bereichen ihrer Rechtsordnung solche Risiken bewusst in Kauf nehmen, weil sie der Freiheit und der Unabhängigkeit des Einzelnen viel Bedeutung beimessen.

Die Freiheit zu entscheiden, wer was über mich weiß, gehört zum elementarsten Gut eines jeden Menschen.

Natürlich ist die Privatsphäre kein absoluter Wert, der in jedem Fall schützenswert ist. Wenn klare Verdachtsmomente für ein Verbrechen vorliegen, ist eine Hausdurchsuchung oder das Anzapfen von Telefonleitungen möglich. Es stellt sich jedoch die Frage, ob der Staat bei Vermögenswerten, die auf einer Bank deponiert sind, andere Zugriffsmöglichkeiten legalisieren soll als bei allen anderen Gütern. Wer zweifelhafte Vermögenswerte zu Hause unter dem Kopfkissen aufbewahrt, ist solange geschützt, bis ein Richter eine Hausdurchsuchung anordnet. Bei Vermögenswerten auf der Bank galten bislang die gleichen Spielregeln, doch gerade diese Gleichbehandlung wurde nun abgebaut.

Mythen und Legenden um das Bankgeheimnis

In der oftmals hektisch geführten Diskussion insbesondere um das schweizerische Bankgeheimnis lohnt es sich, einen Blick zurückzuwerfen. Das Bankgeheimnis wurde 1934 vom Schweizerischen Parlament in seiner heutigen Ausprägung verabschiedet, vorbehaltlich der unter internationalem Druck erfolgten Einschränkungen der letzten Jahre. Verstöße gegen das Bankgeheimnis werden strafrechtlich verfolgt. Es waren verschiedene Entwicklungen, die zu diesem Entscheid in Bundesbern führten. In einem Aufsatz1 umschrieb der Historiker Peter Hug das wirtschaftliche und politische Umfeld, das entscheidend dazu beitrug, dass die Volksvertreter mit überwiegender Mehrheit – auch im linken Lager – für diese Vorlage votierten: »Anfang der Zwanziger- kam es vorerst zu vereinzelten und Anfang der Dreißigerjahre im Zuge der Verschuldungskrise und Bankzusammenbrüche zu immer häufigeren Übergriffen französischer und deutscher Steuer- und Devisenfahnder auf schweizerischem Territorium. Diese bildeten im Verbund mit innenpolitischen Entwicklungen und spektakulären Gerichtsurteilen das Hauptmotiv für die Forderung, das Bankgeheimnis zu verschärfen und strafrechtlich abzusichern« (S. 17). Für Hug gab es neben diesen Übergriffen ausländischer Fahnder weitere Beweggründe, die zur Einführung dieser Strafnorm führten. Anzusprechen ist der Skandal um die Basler Handelsbank, die 1932 ertappt wurde, wie sie vermögenden Franzosen bei der Steuerumgehung Hilfe leistete. Ein Verzeichnis von 2000 Kunden soll damals den französischen Steuerbehörden in die Hände gefallen sein. Weitere Gründe für diese Strafnorm sieht Hug in der damals kritischen Situation der Banken: Stark verunsicherte ausländische Kunden hätten im Umfeld des Skandals um die Basler Handelsbank in großem Stil begonnen, Gelder von Schweizer Bankkonten abzuziehen. Nicht zuletzt war in den frühen Dreißigerjahren auch die Einschätzung gewachsen, dass ein lediglich zivil- und gewohnheitsrechtlicher Schutz des Bankgeheimnisses den einzelnen Kunden oft nicht zu schützen vermöge: Hug zitiert in diesem Zusammenhang Beiträge der NZZ2 , wonach die Steuergesetzgebung zum Prüfstein für den Staat in seinem Verhältnis zum Bankgeheimnis geworden sei. Die renommierte Tageszeitung verweist in diesem Zusammenhang darauf, dass nach dem Ersten Weltkrieg einige Staaten das Bankgeheimnis durchbrochen und den Banken eine weitgehende Informationspflicht auferlegt hätten. Die den Bankmitarbeitern drohenden Strafen, wenn sie ihre im Bankgeheimnis definierte Schweigepflicht brachen, hatte von Anfang an den Schutz ausländischer Menschen vor den recht- oder unrechtmäßig handelnden Staatsorganen zum Ziel.

Robert U. Vogler, ehemals Chefhistoriker, Leiter Historical Research und von 2003 bis 2009 auch Senior Political Analyst bei der UBS3, stuft insbesondere die Bedeutung des Skandals um die Basler Handelsbank nicht derart hoch ein, weil sich die Banker damals keines Verrats gegenüber ihren Kunden schuldig gemacht hätten. Weitgehend einig sind sich Vogler und Hug, dass das Bankgeheimnis nicht gefestigt wurde, um den Nationalsozialisten den Zugriff auf Daten und Vermögen auf Schweizer Konten zu erschweren. Beide Autoren sprechen in diesem Zusammenhang von Mythen und Legendenbildung, die vor allem ab den Sechzigerjahren dazu beitrugen, das Bankgeheimnis zu verklären. Denn offenkundig stimmt bereits die Chronologie nicht. Die Bestrebungen zur Einführung der angesprochenen Strafnorm lassen sich auf eine Zeit vor der Machtergreifung der Nazis datieren, wie sich auch an den Publikationsdaten der erwähnten NZZ-Beiträge ablesen lässt.

Sicher ist aber dennoch, dass das Bankgeheimnis Flüchtlingen im Dritten Reich half. Die Einschätzungen, wie weit das Bankgeheimnis letztlich diese (jüdischen) Flüchtlinge in der Zeit des Dritten Reichs dabei unterstützt habe, Vermögenswerte in Sicherheit zu bringen, gehen jedoch deutlich auseinander. So vermerkt Vogler, dass Flüchtlinge aus dem deutschen Machtbereich als Erste vom Bankgeheimnis profitiert hätten, unter ihnen auch deutsche Gewerkschafter. Für Hug ist diese Argumentation weniger stichhaltig. Doch zeigt gerade die politische Diskussion und Auseinandersetzung um die nachrichtenlosen Vermögen, wie sehr zeitweilig die tatsächliche Bedeutung und der Ursprung des Bankgeheimnisses historisch verfälscht dargestellt wurde. Entsprechend dem Vergleich zwischen den Schweizer Großbanken und den Überlebenden des Holocausts wurden 1,3 Mrd. US-Dollar ausbezahlt. Der Milliarden-Betrag, den UBS und Credit Suisse im Jahr 1998 in einen Fonds einbrachten, wurde an 452 000 Opfer des Nazi-Terrors oder an ihre Erben verteilt.4 Diese Zahlen scheinen Voglers These zu stützen. Das Schweizer Bankgeheimnis hat den damals Verfolgten offensichtlich signifikanten Schutz geboten.

Bemerkenswert ist auch, dass das Schweizer Bankgeheimnis über die Jahrzehnte hinweg immer wieder Anfeindungen aus anderen Ländern ausgesetzt war, besonders aus den Vereinigten Staaten. Wie Vogler festhält, war die Schweiz bereits während des Zweiten Weltkriegs im Visier der US-Regierung: Finanzminister Henry Morgenthau warf der Schweiz vor, sie würde mithilfe des Bankgeheimnisses deutsche Guthaben dem Zugriff der Vereinigten Staaten entziehen. Im Washingtoner Abkommen von 1946 kam es dann zu einer Übereinkunft, wonach die deutschen Guthaben liquidiert und zur Hälfte an die Alliierten ausbezahlt wurden.5 Wegen des Bankgeheimnisses wurden die Schweizer Großbanken in den USA auch verdächtigt, sie begünstigten die kommunistische Infiltration im Westen, insbesondere in Rüstungsbetriebe. Diese Vorwürfe wurden im Umfeld des Kalten Krieges erhoben, unter anderem vom Historiker und Schriftsteller Theodore Reed Fehrenbach.6 Im Lichte der vergangenen Jahrzehnte haben sich solche Anschuldigungen als haltlos erwiesen. Es sind keine westlichen Technologiekonzerne aus dem Verteidigungssektor von kommunistischen Staaten unterwandert worden, womit womöglich sogar strategisch bedeutsames Know-how in den Osten gelangt wäre. Die in diesem Umfeld genährte Polemik erinnert an die oftmals heftigen Attacken, die Amerikas Politik in den letzten Jahrzehnten gegen die – in eigener Terminologie – als »Schurkenstaaten« abqualifizierten Länder Iran, Syrien, Kuba und Sudan reitet und entsprechend hemdsärmelig auch westliche Unternehmen von Geschäften in diesen konfliktträchtigen Zonen abzuhalten sucht.7

Nachhaltig geschadet haben dem Bankgeheimnis über die Jahrzehnte hinweg schlagzeilenträchtige Skandale um Diktatoren, die Gelder aus öffentlichen Finanzen veruntreut und auf Schweizer Bankkonten deponierten.