Eisenmeister - Die Amtrak-Kriege 3 - Patrick A. Tilley - E-Book

Eisenmeister - Die Amtrak-Kriege 3 E-Book

Patrick A. Tilley

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Beschreibung

Steve Brickman, Pilot der Amtrak-Föderation, wird von der Ersten Familie beauftragt, ins Reich der geheimnisvollen Eisenmeister einzudringen und zwei mit übernatürlichen Kräften begabte Mutanten herauszuschmuggeln: Cadillac und die schöne Clearwater. Die Eisenmeister von Ne-Issan befahren mit ihren Raddampfern die großen Seen und Flüsse, treiben Handel mit Präriemutanten und werden von den ebenso tapferen wie grausamen Samurai regiert. In ihr Reich kommt man allerdings nur als Sklave – wenn man den Weg dorthin überlebt. Steve ist bei dieser Mission auf sich allein gestellt, doch er merkt bald, dass die Amtrak-Föderation auch in Ne-Issan ihre Leute hat – die aber oftmals ein gefährliches Doppelspiel treiben …

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Seitenzahl: 750

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Das Buch

Tausende von Jahren in der Zukunft: Die Menschen haben den Atomkrieg überlebt, indem sie unterirdische Städte bauten: die Amtrak-Föderation. Sie wollen die Oberfläche zurückerobern, die von Mutanten beherrscht wird. Steve Brickman, Pilot der Amtrak-Föderation, erhält seinen bisher gefährlichsten Auftrag: Er soll als Mutant verkleidet ins geheimnisvolle Ne-Issan, das Reich der Eisenmeister, vorstoßen. Die stolzen Krieger, deren Vorfahren aus Japan stammen, treiben Handel mit den Präriemutanten und befahren mit Raddampfern die großen Seen. Steve soll zwei mit paranormalen Kräften begabte Mutanten herausschmuggeln: seinen Freund Cadillac und die schöne Clearwater. Doch Ne-Issan wird von stolzen Samurai bewacht, die kurzen Prozess mit Eindringlingen machen …

Die Amtrak-Kriege:

Wolkenkrieger

Erste Familie

Eisenmeister

Der Autor

Patrick A. Tilley, 1928 in Essex geboren, studierte am King’s College der University of Durham Kunst und arbeitete nach seinem Abschluss 1955 als Grafikdesigner in London. 1968 gab er diese Laufbahn auf, um sich dem Schreiben zu widmen: Er begann mit dem Verfassen von Drehbüchern für Filme und TV-Serien und zog in die USA. 1975 erschien sein erster Roman Fade-Out, 1981 folgte Mission, der schnell Kultstatus erlangte. Die Amtrak-Kriege, deren erster Band Wolkenkrieger 1983 erschien, ist seine erfolgreichste Science-Fiction-Romanserie.

Mehr über Patrick Tilley und seine Romane erfahren Sie auf:

PATRICK TILLEY

DIE

AMTRAK

KRIEGE

EISENMEISTER

Dritter Roman

Aus dem Amerikanischen übersetzt

von Ronald M. Hahn

WILHELM HEYNE VERLAG

MÜNCHEN

Titel der amerikanischen Originalausgabe:

THE AMTRAK WARS – BOOK 3: IRON MASTER

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Taschenbuchausgabe 04/2020

Copyright © 1987 by Patrick Tilley

Copyright © 2020 der deutschsprachigen Ausgabe

und der Übersetzung by Wilhelm Heyne Verlag, München,

in der Verlagsgruppe Random House GmbH,

Neumarkter Straße 28, 81673 München

Umschlaggestaltung: DAS ILLUSTRAT, München,

unter Verwendung eines Motivs von

Shutterstock/Tithi Luadthong

Satz: KompetenzCenter, Mönchengladbach

ISBN 978-3-641-25059-1V001

www.diezukunft.de

Für Sophie,

Mike und Adrienne

Das Folgende ist ein Auszug

aus dem in

COLUMBUS,

der führenden Intelligenz der Föderation,

gespeicherten privaten Archiv

der Ersten Familie

ZUGRIFFSEBENE: NUR FF-1 bis 5

EISENMEISTER (bei den Mutanten übliche Gattungsbezeichnung)

Eine Rasse reinhäutiger haarloser Anthropoiden, die den östlichen Küstenstreifen Amerikas von Maine bis North Carolina bewohnen. Ihr oberirdischer Einflussbereich (unter dem Namen Ne-Issan bekannt) schließt den westlichen Teil der Appalachen ein und erstreckt sich über Ohio bis Cleveland, einem Schifffahrtsknotenpunkt der Großen Seen am Ufer des Eriesees.

Die Ursprünge der Eisenmeister lassen sich in den illegalen Einwanderergruppen verschiedener asiatischen Subspezies finden, denen es vor dem Holocaust gelungen ist, die größeren urbanen Zentren des Nordostens zu infiltrieren. Zwischen 2300 und 2400 hat es einen geringen, doch signifikanten Zustrom von Bootsleuten gegeben; Asiaten, die sich einer als Japanisch bekannten Sprache bedienten. Nach ihrer Verbündung mit den bereits ansässigen Gruppen ähnlicher Herkunft haben die Bootsleute rasch die Macht ergriffen und sind seither die dominante ethnische Gruppe.

Auf der Stufenleiter der Evolution stehen die Eisenmeister halbwegs zwischen den Wagnern und den Mutanten. Offiziell als subhumane Spezies eingeordnet, sind die Eisenmeister dennoch des Lesens und Rechnens kundige Individuen mit großem manuellem Geschick, das sich in Ackerbau, Fischen, Holz- und Metallbearbeitung (besonders Waffen), Weben und Mauern mit behauenen Steinen ausdrückt.

Im Verlauf eines Prozesses genetischer Mutation, der allen subhumanen Spezies und niedrigeren Tierarten gemeinsam ist, sind die Eisenmeister gegen atmosphärische Strahlung immun geworden, aber auch hier zeigt sich der nachteilige Einfluss des Erwerbs von Immunität auf andere Lebensfunktionen. Die offenkundigsten Nebeneffekte im Fall der Eisenmeister sind geringe Körpergröße, gelbliche Haut und völliges Fehlen der Körperbehaarung, aber der größte Schaden betrifft ihr Kreislaufsystem. Er zeigt sich in einem häufigen Auftreten der Hämophilie und dünnwandiger Blutgefäße, die unter Stresseinwirkungen platzen und zu tödlichen inneren Blutungen führen können.

Durch Bushidō (siehe weiter unten) sind diese angeborenen Defekte im positiven Sinn umgedeutet worden und haben zu einer gelassenen, disziplinierten Lebensauffassung und einer ergebenen Akzeptanz des Todes geführt.

Die Gesellschaft der Eisenmeister weist eine nach einem Modell des 17. Jahrhunderts gestaffelte Klassenstruktur auf, an deren Spitze die Krieger (Samurai) stehen. Unterhalb der Samurai stehen in absteigender Ordnung Verwaltungsbeamte und Schreiber, Handwerksmeister, Kaufleute und Bauern. Die Pyramide stützt sich in hohem Maße auf Sklavenarbeit, die durch im Tauschhandel erworbene Mutanten verrichtet wird. Auf allen Ebenen der Gesellschaft spielen die Frauen eine sekundäre, untergeordnete Rolle als Gattinnen, Hausfrauen und Gebärerinnen.

Die höchste Gewalt ist im Shōgun verkörpert, Haupt der führenden Samurai-Familie und nominelles Oberhaupt der Regierung (bakufu). Der Shōgun wird in der Theorie durch die Oberhäupter der übrigen Samurai-Familien unterstützt, die den Titel Landfürsten führen.

Wie dieser Titel andeutet, beziehen die Landfürsten ihre Macht und ihren Reichtum aus dem Landbesitz und der ihnen direkt unterstellten Bevölkerung. Außerdem führen und unterhalten sie Privatarmeen, die (wiederum in der Theorie) den Diensten des Shōgun und der Wahrung von Recht und Ordnung verpflichtet sind.

Wie zu erwarten, sind die Hauptmerkmale einer derartigen Gesellschaft (a) ihr kriegerischer Charakter und (b) ihre Hochachtung für Autorität und Tradition. Im Laufe der Jahre haben sich diese Einstellungen in einem Glaubenssystem (Bushidō) niedergeschlagen, das großen Wert auf die Pflicht dem jeweiligen Vorgesetzten (Giri) gegenüber legt, an der gemessen jedes menschliche Gefühl (ninjō) zweitrangig ist. Die Folgen sind unbedingter Gehorsam und unverbrüchliche Loyalität, die an erster Stelle dem jeweiligen Landfürsten und durch ihn dem Shōgun gelten.

Die Erbfolge vollzieht sich in der männlichen Linie, und manche Shōgunate führen das Zepter mehrere Generationen lang, bis sie von einem stärkeren Rivalen verdrängt werden. Da die Führerschaft der Ersten Familie unbestritten und unangefochten bleibt, verlangt diese systematisierte Wandelbarkeit nach einer Erklärung. Die Eisenmeister betrachten den Shōgun als Gleichen unter Gleichen; einen Landfürsten, dessen Familie Vorrang durch Zustimmung seiner Standesgenossen oder durch Waffengewalt erhalten hat. Als Folge davon hängen das Erlangen und Bestehen der Macht des Shōgunats letztlich von Allianzen mit anderen Landfürsten ab, deren Loyalität in großem Umfang mit Eigeninteressen verknüpft ist – eine nachteilige Nebenerscheinung aller offenen Systeme.

Obwohl durch eine Kriegerkaste beherrscht, konzentriert sich die Haupttätigkeit der Eisenmeister auf den Binnenhandel. Bodenschätze, landwirtschaftliche und handwerkliche Erzeugnisse werden auf der Basis von Angebot und Nachfrage von einem Gebiet ins andere verschifft. Alle Landfürsten sind zu jährlichen Unterhaltszahlungen (Steuern) an ihr Shōgunat verpflichtet. Der von ihnen zu entrichtende Anteil errechnet sich prozentual aus den Aktivposten ihrer Besitzungen. Da die Schätzungen von Regierungsagenten vorgenommen werden, hat sich diese Einrichtung in der Vergangenheit als potenzielle Quelle von Unzufriedenheit erwiesen.

Diese Zahlungen ergeben gemeinsam mit dem Verkauf von Handelslizenzen und Fertigungsmonopolen die öffentlichen Einnahmen, die die bakufu benötigt, um die verschiedenen Regierungsgeschäfte wahrzunehmen.

Alle Überschussgüter werden mittels eines Prä-Holocaust-Mediums gekauft und verkauft, das als Geld bekannt ist. Es kommt in Form dünner, rechteckiger Stücke aus gepresstem Holzstoff (Dollars) und kleiner Metallscheiben (Yen) vor, die jedes für sich eine bestimmte Anzahl von Tauscheinheiten (Währung) repräsentiert, seinen Besitzern ein Äquivalent an Kaufkraft verleiht und auf diese Weise die eigenartige Vorstellung persönlichen Reichtums zulässt – eine aus der Mode gekommene Vorstellung, von der sich die Föderation klugerweise distanziert hat.

ENDE DES AUSZUGS

Siehe auch die Stichworte CHINKS, DINKS, GOOKS, JAPSE, FLEISCHKLOPSE, NUDELFRESSER, SCHLITZAUGEN, GELBE GEFAHR!

PROLOG

Cadillac übergab seiner Dienerin den Bademantel, setzte sich in den großen Badekübel und ließ sich hinabsinken, bis das dampfende Wasser sein Kinn umspülte. Zwei andere weibliche Totengesichter – nackt bis auf ihre baumwollenen weißen Kopftücher – standen je eine links und rechts von ihm im Wasser, bereit, seinen gebräunten Körper zu säubern und zu massieren. Er bedeutete ihnen, anzufangen, dann schloss er die Augen und dachte wieder einmal über sein Glück nach. Obwohl er die Zukunft in den Sehsteinen erblicken konnte, hatten sie ihm nicht entschleiert, dass innerhalb weniger Monate nach dem Abzug des Prärievolkes alles in seiner Reichweite sein würde, was er sich je gewünscht hatte. Macht, Verantwortung, eine seinen Fähigkeiten angemessene Aufgabe, und – am wichtigsten von allem – Ansehen.

Sein Leben hatte sich grundlegend verändert, und zum ersten Mal fühlte er sich völlig zufrieden. Die Wärme des Wassers durchdrang seinen Körper, löste sanft Fleisch und Knochen auf. Die Augen vor dem flackernden gelben Licht der Laternen geschlossen, hatte er die Empfindung, dahinzutreiben; ohne Form; wie ein Geistwesen, das durch Mo-Town in den Uterus seiner Erdmutter einfließt.

Er schickte seinen Geist auf die Reise …

Kurz nachdem Steve Brickman in den morgendlichen Himmel emporgestiegen war, verfolgt von mehreren Haufen Bären, begann Cadillac mit dem Bau eines zweiten Donnerkeils aus den Teilen, die der Clan vor dem Wolkenkrieger versteckt hatte. Versehen mit den Fähigkeiten und Kenntnissen, die er aus Steves Geist gezogen hatte, fand er diese Aufgabe ziemlich einfach. Und auch außerordentlich befriedigend, denn sein Donnerkeil war schlanker und stärker als Bluebird, das notdürftige Gebilde, das er Steve zu bauen geholfen hatte und den zu fliegen er Cadillac gelehrt hatte.

Cadillac lächelte, als er sich erinnerte, wie sorgfältig er darauf geachtet hatte, es nicht zu rasch zu lernen. Brickman war zurück in die dunkle Welt der Sandgräber gegangen, ohne zu erkennen, dass er den Schlüssel zu einem Schatz im Haus der Informationen fortgegeben hatte. Dank der von Talisman übergehenden Kraft hatte er eine mentale Kopie von allem angefertigt, was der Wolkenkrieger wusste; von jeder Kenntnis, die er erworben, von allem, was er in seinem ganzen Leben gelernt hatte. Jetzt konnte er über die ganze Bandbreite der Talente, Fähigkeiten und Kenntnisse Brickmans verfügen.

Ja … der Verlust Clearwaters war ein geringer Preis für solche Gaben.

Die Flugmaschine bezog ihre Energie von einem Elektromotor, den sie einem der in der Schlacht mit der eisernen Schlange abgestürzten Himmelsfalken entnommen hatten. Es war derselbe Motor, den Brickman an Bluebird angebracht und dann, kurz vor seiner Flucht, wieder abgenommen hatte, weil er ihn nicht zum Laufen hatte bringen können. Cadillac tat, was Steve sich in seiner Hast nicht hatte leisten können: er nahm den Motor auseinander, überprüfte jedes Teil, baute ihn mit liebevoller Sorgfalt wieder zusammen und arbeitete so lange daran, bis er einwandfrei funktionierte.

Brickman jetzt in der Luft ebenbürtig, hob er von dem Fels oberhalb der Siedlung ab und flog mit derselben Furchtlosigkeit über den Rand des schroffen Felsens ins Leere. Er spürte, wie ihn der Wind umfing, fühlte seinen kühlen, süßen Atem auf dem Gesicht; ließ sich von dem glückseligen Gefühl der Freiheit überwältigen, während er in weiten Spiralen emporgetragen wurde, wie die goldenen Adler, die auf den Bergen horsteten.

Höher und höher stieg er in die Himmelswelt, mit ihren sich ständig verändernden, von Sonnenlicht durchtränkten Weiten, stieg und sank zwischen den hoch aufragenden Wänden der Wolkenschluchten. Von Weitem sahen sie wie riesenhafte unbezwingliche windgeformte Schneewehen aus, aber die gekurvten Hänge und die sich türmenden, ihre Erstürmung herausfordernden Gipfel schmolzen bei seiner Annäherung dahin, lösten sich zu einem feinen, formlosen Schleier auf, der seine Flugmaschine einhüllte und die Sonne verschluckte; wie die Morgennebel, die sich in der Zeit des Gilbens auf die Erde legten. Denn hier war das Reich der Himmelsstimmen; eine zauberische Landschaft, die nur mit den Augen des Geistes sichtbar war; heiter, Ehrfurcht gebietend, majestätisch – von derselben vergänglichen Schönheit wie ein Regenbogen –, für alle Zeiten dem Zugriff der Sterblichen entzogen.

Als er hinabsah, wirkte alles so klein. Die Probleme, die am Boden so schwer wogen, verloren hier oben jede Bedeutung. Das Freiheitsgefühl war so überwältigend, dass er zwei ganze Stunden lang oben blieb. Sogar nach der Landung war sein Gefühl noch so abgehoben, dass seine Füße kaum den Boden zu berühren schienen.

Mr. Snow ließ ihn in seiner typischen Klugheit ein paar Tage lang im Glanz der Selbstversunkenheit schweben, dann brachte er ihn mit einem Ruck auf den Boden zurück, indem er ihm von dem Handel berichtete, den er mit den Eisenmeistern abgeschlossen hatte. Wie er es erzählte, hörte es sich so einfach an: ein Donnerkeil, vollständig und unbeschädigt, dazu ein Wolkenkrieger in gleicher Verfassung im Austausch gegen neue, lange, mächtig scharfe Eisendinge. Gewehre …

Cadillac brachte nichts als ein verblüfftes Starren zustande. Es gab keinen Donnerkeil. Die Wracks der von der eisernen Schlange freigesetzten Maschinen waren in Stücke zerlegt worden. Und der Wolkenkrieger war längst fort.

Mr. Snow, der am anderen Ende der Gesprächsmatte saß, las seine Gedanken und antwortete ihm mit finsterem Nicken. »Du hast recht. Ich nehme an, das heißt, dass du einspringen musst.«

Süße Himmelsmutter! Cadillac fröstelte bei diesem Gedanken. Denn kein Mutant war je von den Feuergruben Beth-Lems zurückgekehrt.

Mr. Snow wischte seine Einwände beiseite. Eine solche Undankbarkeit! Bedankte er sich so bei Talisman, der einen Wortschmied und Seher aus ihm gemacht hatte und ihn jetzt jedem Wolkenkrieger ebenbürtig stellte? Gaben, wie er sie erhalten hatte, mussten zum Wohle des Prärievolkes genutzt werden!

»Vergiss nie, was ich dir jetzt sage«, schloss er und drohte mit dem Finger. »So etwas wie eine kostenlose Mahlzeit gibt es nicht.«

»Kostenlose Mahlzeit?«

Mr. Snow schien seine Frage überhört zu haben; er fuhr fort, indem er den Plan eingehender erläuterte. Cadillac sollte nach Norden zum Yellow-Stone-River fliegen, sich dann nach Osten in Richtung des Handelspostens im Gebiet des San’Paul wenden. Von dort aus musste er dem Lauf des großen Flusses folgen, des ersten von mehreren großen Flüssen. Der letzte, der von Norden nach Süden verlief, hieß Iri. Jenseits seines östlichen Ufers lag das Land der Eisenmeister und das Reich Yama-Shitas, des Fürsten der Raddampfer. Den Handelsposten zu erreichen bedeutete eine gefahrvolle Reise über ein Gebiet, das von den feindlichen D’Troit und C’Natti gehalten wurde, aber wenn er hoch genug flog, konnte er den Bolzen ihrer Armbrüste entgehen. Und es verlangte zwar viel von ihm, aber er würde noch sicherer sein, wenn er bereit war zu fliegen, wenn die Welt unter Mo-Towns bestirntem Mantel schlief. Wenn er vor dem nächsten Vollmond vor Sonnenuntergang aufbrach, würde er – wenn alles gut ging – sein Ziel im Verlauf des folgenden Tages erreichen.

An diesem Punkt der Erklärung brach Mr. Snow ab und kramte in dem schlampigen Haufen seiner Besitztümer herum. Nach ein paar Flüchen brachte er schließlich zwei zusammengefaltete Stoffstücke hervor, die sich, als er sie entfaltet hatte, als rechteckige Fahnen aus feinem, weißem Tuch entpuppten.

Auf beiden Fahnen war in der Mitte eine blutrote Scheibe dargestellt: das Emblem der Eisenmeister. Die Fahnen, die an Bord eines der Raddampfer Yama-Shitas aus Beth-Lem hergebracht worden waren, sollte Cadillac unter den Tragflächen des Donnerkeils anbringen, damit man sie vom Boden aus sehen konnte. Damit ihm ein sicherer Empfang bereitet wurde, sollte das Fluggerät außerdem eine weiße Rauchspur hinterlassen, sobald er das Gebiet der Eisenmeister erreichte. Grüne Raketen – wie er sie bei seinem letzten Besuch beim Handelsposten hatte in den Himmel schießen sehen – würden signalisieren, wo er landen sollte.

So weit, so gut. Die Eisenmeister schienen alle Punkte geklärt zu haben. Alle bis auf einen: die Möglichkeit, dass Mr. Snow den abgesprochenen Plan durch das eine oder andere eigene Detail ergänzt haben könnte. Cadillac sollte seine Körperfarbe ablegen und als Wagner verkleidet gehen und die Kleider eines der gefallenen Wolkenkrieger tragen, dessen Kopf vor Clearwaters Hütte auf einer Stange verweste. Bei seiner reinen Haut, seinem neu erworbenen Wissen und einem kurzen Haarschnitt würde niemand vermuten, dass er kein Flieger der Föderation war. Aber da war noch etwas. Das an die rechte Tasche seiner Tunika genähte Stoffschild würde ihn als »8902 BRICKMANS.R.« ausweisen.

Die Ironie der Situation führte bei beiden zu einem Ausbruch von Gelächter, der alle Gedanken an Gefahren beiseitewischte – und die gleichermaßen erschreckende Aussicht auf den Verlust seiner langen, schwarzen Haare.

Während sich Cadillac bemühte, im Geist ein Gleichgewicht zwischen den Risiken und Vorteilen auszuarbeiten, die die Ausführung einer derart reizvollen Aufgabe mit sich brachte, kam Mr. Snow mit seiner letzten Überraschung heraus. Die Flugmaschine, die Cadillac gebaut hatte, würde einen zweiten Sitz für seine bewaffnete Eskorte brauchen.

Clearwater.

Als Wölfin verkleidet, die makellose olivfarbene Haut unter verwirrenden schwarzbraunen Mustern verborgen, würde sich Clearwater als Emissärin des Clans M’Call ausgeben. Ihre wirkliche Aufgabe war, ihn moralisch zu unterstützen und – falls nötig – ihre gewaltigen Kräfte als Ruferin einzusetzen, um ihn zu schützen und ihrer beider sichere Rückkehr zu gewährleisten.

Cadillac biss sich auf die Lippe; er zog es vor, nicht über das zu sprechen, was er in den Steinen erblickt hatte – dass der Bund zwischen ihm und Clearwater gebrochen worden war. Dem äußeren Anschein zum Trotz war sie nicht mehr seine Seelengefährtin. Ihre Gedanken und Erdgelüste kreisten jetzt um den Wolkenkrieger; den Tod-Bringer, dessen Geschick es war, zurückzukehren und sie auf einem Strom aus Blut fortzutragen.

Dem Blut des Prärievolkes.

Damals, als Cadillac den Steinen dieses Wissen entnommen hatte, war ihm auch der Ort offenbart worden, an dem Mr. Snow sein Leben lassen würde, um seines, Cadillacs, Leben zu retten. In seinem Kummer hatte er bittere Tränen vergossen, die Gabe des Gesichts verflucht und sich wortlos gelobt, die Sehsteine nie wieder aufzuheben. Das Rad drehte sich, der Pfad wurde bestimmt. Wenn man nichts ändern konnte, war es besser, den Schleier nicht zu lüften. Soll die Zukunft ihre Schicksalsschläge verborgen halten; die Mühsal der Gegenwart war schwer genug.

In den folgenden Tagen, während er den schlanken Rumpf des Flugzeugs verlängerte und einen zweiten Sitz hinter seinem installierte, bemühte sich Cadillac, die stattgefundenen Ereignisse zu verarbeiten. Als er mit Clearwater und Mr. Snow auf dem Fels gestanden war und dem Wolkenkrieger zugesehen hatte, wie er im auffrischenden Wind hochstieg und über den Bergen in südliche Richtung abdrehte, beschloss er, dass es keine Anklagen geben würde, keine Beschuldigungen. Der wahre Krieger erlaubte derart unwürdigen Gefühlen wie Neid oder Eifersucht nicht, ihn abzulenken. Aber Cadillac hatte eben die ersten unsicheren Schritte auf Dem Pfad getan und noch nicht den nötigen Grad philosophischen Gleichmuts erlangt.

Clearwaters blinde Leidenschaft für den Wolkenkrieger hatte ihn tief verletzt. Schon von seinen eigenen inneren Dämonen überzeugt, dass sie straucheln würde, konnte er die Vorstellung, Zweiter zu sein, nicht ertragen. Wenn er die Verletzung seiner Ehre hätte rächen wollen, hätte er sie vor dem versammelten Clan bloßstellen und ihren Tod verlangen können. Nach den Gesetzen des Prärievolks wäre die Untersuchung eine reine Formsache gewesen.

Aber diese Vorgehensweise war ihm nicht möglich. Er hätte selbst jetzt noch mit Freuden sein Leben gegeben, um das ihre zu retten. Die freundschaftlichen Bindungen, die in den geteilten Schmerzen und Freuden ihrer Kindheit verwurzelt waren und durch ihr gemeinsames Anderssein genährt wurden, würden sich niemals lösen lassen, bis Mo-Town ihre Seelen in die schimmernden kristallklaren Wasser zurückbefahl, die den großen Becher des Lebens füllten. Außerdem hatte er keinen Beweis dafür, dass ihn Clearwater betrogen hatte. Sie hatte ihre Schuld nicht zugegeben. Tatsächlich hatte sich ihr Benehmen ihm gegenüber kaum geändert. Aber er wusste, dass sie schuldig war! Er wusste es! Ihre umwölkten blauen Augen verrieten ihm, dass ihr Herz die Gemeinschaft mit dem seinen gekündigt hatte.

Außerdem wusste er, dass Mr. Snow in seiner Eigenschaft als Rufergenosse verpflichtet war, ihr zur Verteidigung beizuspringen, ohne dass er etwas dagegen sagen konnte. Das Maß an Respekt und Gehorsam, das der uralte Codex der Wortschmiede verlangte, machte es jedem Lehrling unmöglich, seinem Meister öffentlich zu widersprechen. Es dennoch zu tun wäre ein unverzeihlicher Traditionsbruch gewesen. Aber selbst wenn er so töricht gewesen wäre, es zu versuchen, hätte er den Streit mit Mr. Snow niemals gewinnen können. Weit davon entfernt, irgendwelche Sympathien zu gewinnen, hätten ihn alle verspottet, die ihn beneideten und versuchten, ihn aus den Reihen der Bären zu entfernen.

Die einfachste Lösung war, aus dem Wettbewerb auszutreten; seinen Anspruch an Clearwater aufzugeben. Aber selbst das war nicht völlig ungefährlich. Wenn es ihr einfiel, ihn in seiner Hütte aufzusuchen, würde es erhobene Augenbrauen und Gerede geben. Und wenn sie und der Wolkenkrieger, wie er es vermutete, zwischen dem Fuchs und dem Wolf gelegen hatten, würde das vor ihren Clanschwestern nicht lange geheim bleiben. Frauen hatten ihre Wege, solche Dinge zu erfahren. Und sie waren unfähig, ein Geheimnis für sich zu behalten. Wenn diese Neuigkeiten erst bekannt wurden, würde es nicht lange dauern, bis die beiden vor die Claneltern zitiert wurden.

Nein. Was er auch fühlen mochte, das Klügste war, sie mit nach Beth-Lem zu nehmen. Dadurch konnte die Wahrheit dem Clan bis zu ihrer Rückkehr verborgen bleiben – vielleicht sogar für immer. Falls Zeit genug verging, war eine spätere Versöhnung nicht ausgeschlossen. Sein Stolz war verletzt worden, aber er war nicht zu stolz, um zuzugeben, dass ihm ihre Gegenwart bei einer derart gefährlichen Reise willkommen war.

Was geschehen war, entsprach dem Willen des Talisman. Also sei es …

Aber sein Verstehen hatte den Schmerz nicht gelindert. Selbst jetzt, fast neun Monate später, während sein Denken und seine Tage glücklich mit der Myriade an Problemen erfüllt waren, die sich aus seinem neuen Aufgabenbereich ergaben, öffnete sich die unsichtbare Wunde erneut und vertrieb seine neu gefundene Zufriedenheit. Zum Glück hatten die Eisenmeister eine kräftige Medizin für diese Art Kummer – ein feuriges Getränk namens Sake, das ihn mit neuem, verwegenem Mut begabte, seiner Zunge neue Schärfe verlieh und Bedürfnisse in ihm erweckte, die seine Leibsklavinnen mit Hingabe, Geschick und unermüdlichem Eifer befriedigten. Und wenn alle Leidenschaft besänftigt und der bittersüße Schmerz betäubt war …

Vergessenheit.

1

Der Sommerpalast Yoritomo Toh-Yotas lag bei Yedo, auf Aron-giren, einem großen Stück Land, das er zu seinem schwimmenden Distrikt ernannt hatte. Yedo war ein Ortsname, der aus der fernen Vergangenheit entlehnt war; der Name Aron-giren stammte von den Menschen einer längst untergegangenen Nation, die einst das Land bewohnt hatten, auf dem der Palast stand – ein Land von der Form eines Fisches mit einem unregelmäßig gegabelten Schwanz, der sich in die östliche See erstreckte. Eine handgezeichnete Landkarte aus Seide an der Wand seines mit Bücherregalen gesäumten Studierzimmers zeigte den nahe dem Festland gelegenen großen Haifischkopf und mehrere kleinere Inseln, die wie kleine Fischchen in seinem Maul gefangen waren. Lange, schmale Sandriffe schmiegten sich an seinen Leib wie Pilotfische, die auf Abfälle von seinen Mahlzeiten hofften.

Mehrere andere Inseln lagen zwischen Aron-giren und dem Festland, von denen Sta-tana und Mana-tana die größten waren, andere, wie Govo-nasa und Eri-siren, waren sehr klein. Auch diese Inseln gehörten zu Yoritomos Reich und besaßen – je nach Größe – einen oder mehrere befestigte Häfen, die von Seesoldaten bewacht wurden. Bei Tag oder Nacht entging kein Seefahrzeug, Hochseedschunke oder einrudriges Boot der Inspektion durch die stets gegenwärtigen Wachboote, die auf den Seewegen der Umgebung patrouillierten, und kein Schiff oder Boot durfte ohne Sonderausweis bei Aron-giren anlegen, wenn sich Yoritomo in seiner Residenz aufhielt. Die Wachsamkeit der Seesoldaten schützte seine Inselzuflucht davor, von dem überflutet zu werden, was höflich als fremde Personen bezeichnet wurde, und sicherte die Überfahrt für Yoritomo, seine Familie und ihre hochrangige Begleitung auf ihren Reisen zu und von seinen Gütern auf dem Festland.

Die Toh-Yota, eine der überlebenden führenden Samurai-Familien des vergangenen Jahrhunderts, hielten die Zügel der Macht bereits seit zweiundachtzig Jahren in Händen. Yoritomo, ihr derzeitiges Oberhaupt, war das sechste Mitglied der Familie in einer Reihe, das den Titel eines Shōgun für sich beanspruchte, Hoher Herrscher Ne-Issans, des Landes der aufgehenden Sonne. Die Toh-Yota hatten ihre Vorherrschaft dank der unerreichten Geschicklichkeit ihrer Krieger und mit Hilfe ihrer Verbündeten erlangt – anderer Landfürsten, die die Köpfe ihrer gesamten Familien aufs Spiel gesetzt hatten, indem sie ihre Banner neben jene des Ur-Ur-Großvaters Yoritomos pflanzten.

In den alten Zeiten war die Aufgabe, über Ne-Issan zu herrschen, einfacher gewesen. In jener ersten Epoche der raschen Eroberungen, nach der Landung der Bootsleute – der historischen Siebten Welle – hatte es nur eine Handvoll Landfürsten gegeben, aber in den folgenden Jahrhunderten waren neue Kriegerfamilien in die Randregionen eingedrungen und hatten ihre Banner auf den Westlichen Bergen und in den Ländern südlich von Awashi-tana gepflanzt. Jetzt gab es siebzehn mächtige Landfürsten; siebzehn durch ihre eigenen Armeen aus Samurai geschützte Kriegerfamilien, deren jede durch geheiligte Schwüre der Lehenstreue an Yoritomo gebunden; einige noch enger durch Blutsbande.

Da die Basisstruktur unverändert bestehen blieb, hätte die Regierung Ne-Issans eigentlich keine Probleme verursachen dürfen. Als Shōgun konnte Yoritomo unabdingbaren Gehorsam seiner Untergebenen verlangen, vom mächtigsten Landfürsten bis zum niedrigsten Bauern oder Fischer. Er hatte die Macht über Leben und Tod, und seine diesbezüglichen Entscheidungen wurden nie angefochten. Mit einer einfachen Entlassungsgeste und ohne jede Erklärung konnte er einem Samurai befehlen, sich dem seppuku zu unterziehen, einem Ritual, das ihn ausweidete; einem entsetzlich schmerzvollen Tod durch eigene Hand, der allein den Samurai vorbehalten war, und dem sie sich bereitwillig und mit bewundernswerter Tapferkeit unterwarfen.

In der Praxis hingegen waren die Dinge nicht so einfach. Wären sie es gewesen, hätten die Shōgunate keine geheimen Feinde gehabt, und die Ufer Aron-girens hätten keines Schutzes gegen fremde Personen bedurft. Der einst so große Da-Tsuni wäre noch an der Macht, und der Toh-Yota würde immer noch Nutzholz in den von Wasser umgebenen Hügeln der nördlichen Marschen hauen. Die Hohe Autorität des Shōgun konnte nur aufrechterhalten werden, wenn der Inhaber dieses Amtes eine entschlossene, starke Führerschaft kombiniert mit unverbrüchlicher Beachtung der Tradition und einen eisernen Willen an den Tag legte. Aber ebenso traf es zu, dass jene, die keine Pause einlegten, um die möglichen Folgen einer nicht rückgängig zu machenden Entscheidung zu überdenken, in der Regel nicht lange an der Macht blieben. Aktionen erzeugten Reaktionen. Das war ein fundamentales Gesetz. Der Stein im Wasser. Der Shōgun mochte als Führergestalt in den Massen seiner Untergebenen niedrigerer Ränge verehrt werden, für seine Mit-Landfürsten war er nur Erster unter Gleichen, und nicht der unberührbare Gott-König. Despotisches Betragen wurde nicht lange toleriert. Heutzutage bestand die Kunst der Regierung im Maßhalten. Und trotz der starren Philosophie des bushidō fragte man sich oft nicht einfach, ob etwas recht oder unrecht war, sondern welches das geringere zwischen zwei Übeln war.

In seiner Eigenschaft als Shōgun wurden die Entscheidungen Yoritomos durch einen nie nachlassenden Informationsfluss mitbestimmt, der seinen verpflichteten Ratgebern durch ein ausgedehntes Netz von Regierungsspionen zufloss. Er wusste, dass die durch den Codex des bushidō erlangte äußerliche Gelassenheit, die formale Etikette der Vorgänge am Hof und die vom ministeriellen Regierungsrat ausgegebenen restriktiven Verordnungen einen Schutzschirm bildeten, der ein wimmelndes Gefäß voller Vipern verbarg, denen der Traum von der Macht keine Ruhe ließ; von deren gespaltenen Zungen unablässig das Gift der Gerüchte troff und die beständig über tödlichen Verschwörungen heckten.

Früher war Loyalität fraglos eine Selbstverständlichkeit gewesen. Aber das waren magere, harte Zeiten, in denen das Überleben Ne-Issans auf dem Spiel gestanden hatte. Die Errichtung des ersten Shōgunats durch die Da-Tsunis, die Anführer der Siebten Welle, war ein Muster an Reinheit gewesen. Ihrem Sturz waren zwei Jahrhunderte voller Unruhen gefolgt, unterbrochen von Perioden eines unsicheren Friedens und blutiger Bürgerkriege. Der Aufstieg des Toh-Yota zur Macht hatte die frühere Autorität der Shōgunate wiederhergestellt und eine starke Regierung sowie mehr als ein Dreivierteljahrhundert relativen Friedens und Gedeihens mit sich gebracht.

Aber sogar der Frieden war nicht frei von Gefahren. Er hatte den Landfürsten ermöglicht, reicher und noch mächtiger zu werden. Die jährlichen Steuern, die sie in die Truhen der Shōgunate zahlen mussten, hatten zusätzlich den bereits beträchtlichen Reichtum der Toh-Yota-Familie vergrößert; aber Loyalität hatte, wie alles andere, ihren Preis. Denn der Wohlstand brachte nicht nur eine Zunahme des materiellen Reichtums der Gesellschaft mit sich, sondern auch eine Veränderung ihrer Werte. Er erweckte das Verlangen nach Fortschritt, und Fortschritt war ein zweischneidiges Schwert, das in den falschen Händen Ne-Issan zerstören konnte, wie es die Welt ihrer Vorfahren zerstört hatte.

Ja, dachte Yoritomo, es waren schwierige Zeiten. Absolute Macht war ein gefährliches und verführerisches Gebräu, das mit Vorsicht zu genießen war … besonders, wenn die Macht nur dem Namen nach absolut war. Es gab Momente, in denen das Regierungsgeschäft eine niederdrückende Bürde war. In den Nächten, in denen er schlaflos lag und zu entscheiden versuchte, was zu tun war, ertappte sich Yoritomo häufig dabei, dass er wünschte, er könnte sein Leben gegen das ruhigere und reichere Dasein eines Sattelmachers, Waffenmeisters oder Schwertschmiedes tauschen. Shōgun zu sein bedeutete eine schreckliche Verantwortung – besonders, wenn man erst achtundzwanzig Jahre alt war.

Tōshirō Hase-Gawa war an Bord einer Fähre zum Sommerpalast des Shōguns bei Yedo unterwegs; er kam aus Nyo-poro, einem Fischerdorf an der Küste Rodi-rens. Das Boot, eine Barke mit breitem Rumpf, steuerte in Ufernähe in westlicher Richtung, dann drehte es auf den offenen Kanal ab und folgte der Linie der Inseln, die zum nordöstlichen Zipfel Aron-girens führten.

Trotz der Tatsache, dass an der Fähre seine beiden persönlichen Banner aufgezogen waren, die ihn als Regierungsbeamten auswiesen, wurden sie in Sichtweite des Landes von einem Wachboot abgefangen, und eine Abteilung Seesoldaten kam an Bord. Sobald die Gangway zwischen den beiden Booten gesichert war, kam der Wachhauptmann an Bord der Fähre, wo er sich nach Austausch der Begrüßungen höflich nach weiteren Beweisen für Tōshirōs Identität erkundigte. Nachdem die Papiere, die des Shōguns persönliches Siegel trugen, ehrfurchtsvoll überprüft und die Fähre eingehend durchsucht worden war, zog sich der Wachhauptmann mit seinen Männern zurück, nicht ohne sich wortreich für den unverzeihlichen Aufenthalt entschuldigt zu haben. Tōshirō antwortete in ähnlichem Tenor. Wäre der Wachhauptmann weniger diensteifrig und die Durchsuchung weniger gründlich gewesen, hätte er Grund gehabt, erzürnt zu sein. Die Seesoldaten führten nur Befehle aus, und ihr vorbildliches Verhalten brachte ihrem Regiment und vor allem ihrem Kommandanten Ehre. Etcetera, etcetera.

Eine Stunde später setzte der flache Bug der Fähre auf der Helling bei Ori-enita auf, dessen einziger Vorzug darin bestand, dass es an einem Punkt gelegen war, an dem die nördliche Straße auf den See traf. Durch die Banner über dem kleinen Ruderhaus der Fähre alarmiert, versammelten sich die niedrigen Beamten und die wenigen zufällig an Land befindlichen Fischer erwartungsvoll an beiden Seiten der Straße, die vom Ufer fortführte. Die Atmosphäre nahm noch an Spannung zu, als zwei Matrosen die Banner behutsam vom Dach des Ruderhauses abnahmen und nach unten trugen. Kurz darauf versammelte sich die Crew der Fähre auf dem Vorderdeck und sank wie ein Mann in die Knie, als Tōshirō Hase-Gawa in voller zeremonieller Rüstung auf dem Rücken eines stolzen, kurzbeinigen Ponys erschien.

Sie waren ein imponierender Anblick. Tōshirōs Rüstung bestand aus schwarzen, lackierten, mit Gold eingefassten und mit Schnüren aus karmesinroter Seide zusammengebundenen Platten; seinen Kopf schmückte ein passender Helm mit breitem, aufgewölbtem Rand. Vorn auf dem Helm war das aus einer polierten Bronzescheibe geschnittene Emblem des gegenwärtigen Shōgun angebracht – die ausgebreiteten Flügel, Brust und mit Schopf versehener Kopf eines langhalsigen Stelzvogels.

Das Geschirr des Ponys war ebenso prunkvoll. Seinen gescheckten Leib umhüllte eine Schabracke in Schwarz und Gold; in Mähne und Schwanz waren karmesinrote Schnüre und Troddeln geflochten. Die Bambusstöcke mit Tōshirōs persönlichen Bannern staken jetzt in ledernen Köchern an der Rückenplatte seiner Rüstung, die schmalen Seidenbänder flatterten und flappten in der Seebrise.

Die Zuschauer am Ufer fielen auf die Knie, als Tōshirō sein Reittier die Rampe hinablenkte, und als er vorbeiritt, pressten sie die Stirnen an den Boden. Ihre Huldigung war ein Zeichen der Verehrung, die sie dem Shōgun entgegenbrachten und den Regierungsbeamten, die unter seiner Anleitung die Staatsangelegenheiten regelten. Eine Hochachtung, die entgegengebracht, aber auch gefordert wurde. Wäre Tōshirō übel empfangen worden, würde er eine sofortige Exekution all derer verlangt haben, die eines unverschämten Verhaltens schuldig befunden wurden, und tatsächlich war er, wie er in der Vergangenheit bewiesen hatte, fähig, diese Bestrafung eigenhändig auszuführen.

Tōshirō ließ sich von dem Pony gemächlich durch das Dorf tragen, mit einem Schritt, der unter den Samurai-Reitern als Paradeschritt bekannt war – ein eleganter Trab, bei dem die Hufe hoch in die Luft gehoben wurden. Die Gesetze, die von den niedrigeren Rängen verlangten, dass sie ihre Nasen in den Schmutz stießen, verlangten auch, dass die Höheren einen gewissen Stil wahrten. Als er den letzten zu Boden gekrümmten Bewohner hinter sich gelassen hatte, gab er dem Pony die Sporen und ließ es die Straße nach Yedo in einem leichten Galopp nehmen.

Die Straße schwang sich von Seite zu Seite einer schmalen, zerklüfteten Halbinsel, die in der Vorstellung des Shōgun die obere Hälfte vom gegabelten Schwanz des Fisches darstellte, dem seine Insel glich. Zu Tōshirōs Rechter brachen sich die Wogen des östlichen Sees sanft am flachen Ufer. Zu seiner Linken war das Land vom zurückflutenden Wasser fortgeschwemmt worden und bildete Buchten, deren einige sich zusammengeschlossen hatten und Inseln bildeten, die bei Niedrigwasser durch Sand- und Felsbänke untereinander verbunden waren. Voraus lag eine vierundsechzig Kilometer lange freie Straße. Das Pony gehorchte Tōshirō und machte ausgreifendere Schritte. Hinter seinem Rücken verneigten sich die langen schlanken Fahnenstangen anmutig, die Banner mit ihren Wort-Zeichen und Emblemen standen steif im Wind.

Tōshirō Hase-Gawa war ein Herold des Inneren Hofes und gehörte somit zu einer kleinen, sorgfältig ausgewählten Samurai-Truppe, die ihre Instruktionen direkt vom Shōgun empfingen und ihm auch direkt mitteilungspflichtig waren. Obwohl solche Boten im Rang nicht besonders erhoben waren, bedeutete dieser privilegierte Zugang zum Inbegriff der Macht, dass Tōshirō und seine Kollegen sich der Bevorzugung der älteren – und zuweilen neidischen – Hofbeamten erfreuten. Es bedeutete außerdem, dass ihnen ähnliche Behandlung in den Häusern der mächtigen Landfürsten zuteilwurde, deren Gastfreundschaft häufig dem Zweck diente, Zungen zu lösen.

Herolde des Inneren Hofes waren die Augen und Ohren des Shōgun und sprachen mit seiner Stimme; sie trugen seine intimsten Gedanken in die entferntesten Winkel seines Reiches. Aufgrund ihrer in hohem Maß öffentlichen Rolle wurden sie offiziell nicht als zum Netzwerk der Spione und Informanten zugehörig betrachtet, aber unter den Intriganten und Machthungrigen war bekannt, dass sie als Übermittler heikler Informationen fungierten, wie sie von wichtigen Regierungsagenten gesammelt wurden; Männer (und Frauen), die viele Rollen spielten und viele Verkleidungen benutzten.

Wenn man sich eine vom Kopf bis zum Schwanz gezogene imaginäre Linie durch die Fischinsel des Shōgun denkt und die Insel dann in drei gleich große Teile zerlegt, würde man Yedo in der Nähe der Linie gefunden haben, die den zweiten Teil des Fischleibes vom Schwanz trennt. Hochgelegen, fast gleich weit von beiden Ufern entfernt, stand der aus vielen Stockwerken bestehende Sommerpalast hoch über den hübschen Ansammlungen niedrig liegender Gebäude, die in seiner Nähe errichtet worden waren. Nach einem von der bakufu erlassenen Edikt durfte kein Haus in fünf Kilometern Umkreis von seinen Mauern errichtet werden, und kein Haus im Umkreis von fünfzig Kilometern durfte von einer Familie bewohnt sein, wenn nicht wenigstens ein Mitglied des Haushalts in direktem Beschäftigungsverhältnis beim Shōgun oder einem seiner Hofbeamten stand.

Aus mit Mörtel verfugten Steinen aus den Steinbrüchen von Baru-karina erbaut, erhoben sich die geschwungenen Mauern des Yedo-Palastes über einem breiten, im Geviert angelegten Graben. Obenauf, fünfzehn Meter über der Wasseroberfläche, begann die erste Etage des aus Holz und Steinen bestehenden und mit Ziegeln gedeckten Aufbaus. Die Türme an allen vier Ecken ragten weitere achtzehn Meter hoch empor; sie waren untereinander durch ein verzwicktes Labyrinth mit Blenden versehener Galerien verbunden, mit verzierten Querbalken und geschwungenen Dächern. Der Eindruck, den das Gebäude auf einen sich nähernden Besucher machte, war der von Reichtum, Festigkeit und Macht; exakt die Eigenschaften, die sein erster Besitzer, Yoritomos Großvater, von seinen Baumeistern verlangt hatte.

Der Eingang mit seiner breiten, sanft gewölbten Brücke wurde von zwei Türmen bewacht; einer stand am Ende der Straße, der andere auf einer Steininsel inmitten des Grabens. Dieser Palast mit seinen Lustgärten und kunstvoll gestalteten Felstümpeln und Wasserfällen war eine Festung mit geheimen Treppenaufgängen, Aus- und Eingängen.

Tōshirō brauchte seine Papiere nicht am äußeren Turm vorzuzeigen. Der Wachhauptmann, durch einen grünäugigen Wachmann aufmerksam gemacht, erkannte ihn mittels eines Fernglases und ritt ihm mit zwei weiteren Samurai entgegen. Hauptmann Kamakura und Tōshirō tauschten die üblichen Grüße aus, aber ihre Stimmen fügten den förmlichen Worten Wärme hinzu. Sie waren alte Freunde, trotz des unterschiedlichen Alters. Kamakura, der um rund fünfzehn Jahre Ältere, hatte Tōshirō geholfen, seine Fechtkunst zu perfektionieren und übte mit ihm oder beriet ihn, wann immer er es wünschte.

Während der beiden letzten Jahre war Tōshirō ständig unterwegs gewesen, und jedes Mal, wenn er mit den ersehnten Informationen zurückgekommen war, war er mit einer neuen Botschaft losgeschickt worden. Kaum, dass er Atem geschöpft hatte. So kam es, dass sich die beiden Männer weniger häufig getroffen hatten, als es ihnen lieb gewesen wäre; aber ihre Freundschaft war davon ungetrübt geblieben.

Kamakura, ein mit fünf Töchtern gesegneter Samurai, behandelte Tōshirō wie einen Ersatzsohn. Immer, wenn er nach Aron-giren kam, empfingen ihn der Hauptmann und seine Frau mit größter Wärme und Großzügigkeit in ihrem Haushalt. Tōshirō hätte nie an der Lauterkeit seines Mentors gezweifelt, aber trotzdem war es nur natürlich, anzunehmen, dass im Hinterkopf des bezaubernden Paares die Hoffnung genährt wurde, eine ihrer Töchter würde vor seinen Augen Gefallen finden. Es war offensichtlich eine Hoffnung, die von ihren Töchtern geteilt wurde, denn im Laufe der Jahre hatten sie sich der Reihe nach alle – bis auf die jüngste, die noch keine dreizehn Jahre alt war – darin abgelöst, ihn mit einer intimeren Form der Gastfreundschaft zu empfangen.

Ihre nächtlichen Besuche, von denen man gemäß der Sitte nicht erwartete, dass sie zurückgewiesen wurden, hatten mit bewundernswerter Diskretion stattgefunden, die den Vergleich mit jener am Hof nicht zu scheuen brauchte. Und auch später bot das Verhalten keiner der Besucherinnen den geringsten Hinweis auf das Vorgefallene. Sie alle waren ebenso höflich und respektvoll wie zuvor. Tōshirō hatte ihrem Vater nichts gesagt. Er zog es vor zu glauben, der gute Hauptmann habe keine Ahnung, was geschehen war. Immerhin konnte die von seinen Töchtern erwiesene Geschicklichkeit nicht ohne einen gewissen Grad elterlicher Anleitung erworben worden sein. Obwohl er und Kamakura nie darüber gesprochen hatten, wusste Tōshirō, dass ihre Mutter früher eine Kurtisane gewesen war. Es war eine sattsam bekannte Tatsache, dass die Wärme ihrer Umarmungen oft durch eine glühende Leidenschaft genährt wurde.

Die beiden Reiter, die mit Kamakura hinausgeritten waren, stiegen von ihren Reittieren und nahmen ihren Wachdienst wieder auf, als Kamakura und Tōshirō ihre Ponys durch die Tore des äußeren und des inneren Turmes lenkten und den Haupthof des Palastes betraten. Zivile, hauptsächlich Händler von niedrigem Rang, die sich zufällig auf der Brücke aufhielten, fielen auf die Knie und pressten ihre Gesichter an die dicht verfugten Planken. Die eisenbeschlagenen Hufe der Ponys erzeugten donnernde Echos, als sie an den Knienden vorbeitrabten.

Als Mitglied des Hauses Hase-Gawa hatte Tōshirō sein Heim am seewärts gelegenen Rand der nördlichen Marschen. Nur zwei weitere Distrikte waren ähnlich weit abgelegen: Fu-Ji und Na-Shuwa, deren Ländereien nordwestlich beziehungsweise nordöstlich von Hase-Gawa lagen. Jenseits davon lag das Land des Nebelvolks. Kamakura hingegen residierte in Aron-giren. Als sein enger Freund und Schwertmeister war es natürlich, dass er dem jüngeren Mann sein Haus anbot, obwohl für Herolde immer eine Unterbringung vorgesehen war, wo sich der Hof auch befinden mochte. Der Shōgun verfügte über vier weitere palastartige Festungen auf dem Festland und zahlreiche andere Residenzen auf den Gütern der Toh-Yota-Familie.

Tōshirō dankte Kamakura für die Einladung und versprach, bei der nächsten sich bietenden Gelegenheit mit ihm zu speisen. Unglücklicherweise konnte er keine Pläne machen, bevor er dem Shōgun berichtet hatte. Erst dann konnte er wissen, ob er Zeit haben würde, die köstlichen Freuden des Familienlebens im kamakuraschen Haushalt zu genießen, bevor er mit einem neuen Auftrag losgeschickt wurde. Inzwischen bat er den guten Hauptmann, Yukio, seiner Frau, und ihren fünf Töchtern, deren unvergleichliche Schönheit, selbstlose Aufopferung und unverdorbene Anständigkeit ihren Eltern alle Ehre machten, seine respektvollen und dennoch zärtlichen Grüße zu übermitteln. Etcetera, etcetera.

Kamakura wendete sein Pony und preschte über die Brücke zurück; der Ehre war Genüge getan. Da sein Respekt und seine Freundschaft für den jungen Mann in die Zeit zurückreichten, in der Tōshirō noch nicht in den Rang eines Heroldes erhoben war, wusste er, dass sein Angebot der Gastfreundschaft nicht als Versuch ausgelegt werden würde, Gunst zu erschleichen. Trotzdem erinnerte ihn seine Frau ständig daran, dass jede beliebige ihrer Töchter eine ideale Gefährtin für Tōshirō abgeben würde. Und mit einem Herold als Schwiegersohn würden die Heiratsaussichten für die übrig gebliebenen Töchter in unvergleichlichem Maße zunehmen. Ein vornehmer Bewerber war das Mindeste, was man erwarten konnte. Vielleicht zwei!

Frauen! Trotz ihres angeblich untergeordneten und zweitrangigen Status fand man nur selten eine von ihnen, die der Verlockung des gesellschaftlichen Aufstiegs widerstehen konnte. Gut, dass ihnen eine Vielzahl häuslicher Pflichten oblag; anderenfalls wären ihre Tage mit eitlen Träumen aller Art ausgefüllt gewesen. In seinen Jahren im Dienst beim Shōgunat hatte Kamakura genug gesehen, um zu wissen, dass von der täglichen Mühsal körperlicher Arbeit oder von soldatischen Pflichten befreite Personen bald Unzufriedenheit hegten. Untätigkeit führte erst zu ungezügelter Vergnügungssucht, wenn die abgestumpften Sinne selbst durch die ausgesuchtesten Perversionen nicht mehr aufzustacheln waren, dann wandten sich die Damen des Hofes bösartigen Gerüchten und Intrigen zu. Nachdem sie ihr eigenes Moralempfinden abgetötet hatten, machten sie sich daran, die Moral ihrer Mitmenschen zu untergraben. Es gab auch privilegierte Männer, auf die dies zutraf, und das hatte bereits zum Zusammenbruch von mehr als einem Shōgunat geführt.

Vornehmheit, reflektierte Kamakura, war nicht immer, was zu sein sie vorgab. Allein die Samurai-Ethik war ein Bollwerk gegen geistige und leibliche Korruption, und er war dankbar, dass der neue Shōgun eine Verkörperung all dessen war, was er hochhielt. Unglücklicherweise teilte seine Frau Yokio, die als junge Konkubine den Vater des derzeitigen Shōgun erfreut hatte, diese von Neid geprägte Sicht der Vornehmheit nicht – obwohl ihr Herr und Meister ihr in einem Anfall von Großmut Kamakura als Dank für geleistete Dienste angeboten hatte. Yukio, damals ein schlankes Mädchen mit einem makellosen, straffen Körper, hatte sich gefügt, wie ihr Status sie verpflichtete; aber wie alle Frauen hatte sie Mittel und Wege gefunden, ihrem Unmut Ausdruck zu verleihen.

Das war der Anfang gewesen. Ihre Beziehung hatte sich in den letzten Jahren verbessert, denn im Verlauf der Zeit hatte er sich als lohnender Fang erwiesen, besonders als Yoritomo ihn bei Erlangung seiner Macht in den Rang eines Wachhauptmanns befördert und zugleich die übrig gebliebenen Sybariten aus der Lustkuppel seines Vaters vertrieben hatte. Aber das angenehme Leben des Inneren Hofes hinterlässt ein unauslöschliches Mal. Kamakura wusste, dass sich Yukio im tiefsten Herzen wünschte, einen Vornehmen als Ehemann bekommen zu haben; was für die Tochter einer wohlhabenden Kaufmannsfamilie durchaus im Bereich der Möglichkeiten gelegen haben würde. Es gab Zeiten, in denen sich selbst Kamakura wünschte, mit einem silbernen Löffel in der Wiege geboren zu sein. Aber wie er dank seiner fortgeschrittenen Jahre und Weisheit wusste, mussten die flüggen Erben von Reichtum, Macht und Privilegien oft genug feststellen, dass der silberne Löffel vergiftet war.

Tōshirō betrat den Palast, machte Ieyasu, dem Hofkämmerer, seine Aufwartung und erfuhr, dass die Nachricht von seiner Ankunft bereits bis zum Shōgun gelangt war. Der Herold würde ihn im Steingarten treffen, sobald er den Staub der Reise von sich abgewaschen hätte.

Ieyasu, ein großer knochiger Mann mit faltigem und leichenblassem Gesicht, pries sich selbst seiner Tüchtigkeit. Wie sie sich zeigen sollte, stellte für Tōshirō ein Geheimnis dar. Ieyasu schien nie etwas zu tun, und bei den seltenen Gelegenheiten, da er ihn in Bewegung gesehen hatte, war jede Geste und seine Sprache langsam, zögernd und präzise gewesen. Er strahlte eine gewisse Ruhe aus – und ein beunruhigendes Maß an Bedrohung, wie eine Spinne im Zentrum eines unsichtbaren Netzes der Macht.

Tōshirō dankte dem Kämmerer in der üblichen Manier und verließ rückwärts seinen Raum.

Ieyasu trat ans Fenster und beobachtete, wie Tōshirō durch den kleinen Garten schlenderte, gefolgt von zwei Pagen, die sein Reisegepäck trugen. Diese Energie! Diese Verschwendung von Muskelkraft! Wo sollte das enden? Unter dem vorherigen Shōgun hatte Ieyasu als Filter der Informationen gedient, die von Herolden vom und zum Hof getragen wurden. Aber Yoritomo hatte alles geändert. Heutzutage berichtete diese neue Bande hochnäsiger geckenhafter Spitzbuben dem Shōgun persönlich – und unter vier Augen! Ein unerhörter und höchst unwillkommener Bruch mit der ehrwürdigen Tradition, die den Weg für eine weitergehende Verminderung der Machtbefugnisse bereitete, die dem Amt des Kämmerers gebührten.

Ieyasu gehörte zur alten Garde. Er hatte seinen Posten schon unter Yoritomos Vater innegehabt, und er hoffte sehr, wenn keine unvorhergesehene Katastrophe dazwischenkam, im Amt zu bleiben, bis er senil wurde – einen Zustand, den er nach Meinung einiger seiner Kritiker längst erreicht hatte. Bei seinem Amtsantritt hatte Yoritomo viele Angehörige des Stabes seines Vaters entlassen, darunter die Bewohner der Lustkuppel. Die Sybariten und die sich selbst bedienenden Blutegel in ihrem Gefolge, die es immer irgendwie schaffen, ins Zentrum der Macht zu gelangen, waren verschwunden. Aber Ieyasu war geblieben. Auch ein neuer Besen kann nicht alle Ecken auskehren. Und trotz des anderslautenden, allgemein bekannten Sprichworts sind manche alten Hunde bemerkenswert geschickt darin, neue Kunststücke zu erlernen.

In einem auf alte Traditionen aufgebauten Staat, der zudem durch die strenge Befolgung uralter Gebräuche und Etiketten zusammengehalten wird, werden Veränderungen als Bedrohung der gesamten Gesellschaft angesehen, denen mit allen Mitteln widerstanden werden muss. Sie können nur schrittweise eingeführt werden – wenn überhaupt –, und bei ihrer Vornahme bewahrt sich der weise Lenker des Staates ein starkes Bewusstsein für die Kontinuität der Vergangenheit. Ieyasu war nicht eben die Person, die sich Yoritomo als Kämmerer gewünscht hätte; aber er war zweifellos der geeignetste Mann für diesen Posten. Der schlaue, alte Fuchs wusste alles und kannte jedermann, und der damals erst dreiundzwanzigjährige Yoritomo erkannte rasch, dass er sich mit Ieyasu verbünden musste, bis er seine eigene Position besser gesichert hatte. Folglich war seiner Säuberungsaktion der Abschaum zum Opfer gefallen, aber als die Ruhe wieder eingekehrt war, stellte sich heraus, dass sich nicht viel geändert hatte. Abgesehen von dem neuen Status der Herolde – einem Punkt, in dem nachzugeben dem alten Fuchs opportun geschienen hatte –, waren Ieyasus Macht und Einfluss unbeschadet geblieben, und die meisten der Schlüsselpositionen waren nach wie vor von Gleichgesinnten besetzt.

Yoritomo war sich dieser Situation bewusst, und obwohl andere Mittel zur Verfügung gestanden hätten, Ieyasu zu entfernen, begnügte er sich damit, alles beim Alten zu lassen. Palastrevolutionen führten immer zu Instabilität; sie erzeugten Wellen der Unruhe, die sich über das ganze Land ausweiteten und den Menschen seltsame Ideen eingaben. Abgesehen davon, genoss er es, seine Klugheit mit der des alten Schlachtrosses zu messen. Die Zeit arbeitete für ihn, und genau das – seine übermäßige Jugend – war die Wurzel des Problems. Der Kämmerer mit seinem Reichtum an Erfahrung glaubte allen Ernstes, jemand, der so jung wie Yoritomo war, dürfe keine Entscheidung treffen, ohne zuerst seinen Rat und seine Zustimmung einzuholen. Immerhin war er sein Großonkel.

Als Mitglied der Familie stand Ieyasus Loyalität dem Shōgunat gegenüber außer Frage, aber vor allem war er ein Händler in Informationen, der über jeden Schritt in den Vorhöfen der Macht Bescheid wusste; ein Mann, der gewünschte Privilegien und Bevorzugungen gewähren konnte – und nicht abgeneigt war, sich dabei zu bereichern. Darin befolgte der Kämmerer eine weniger verfeinerte Tradition, die schon viele Jahrtausende bestanden hatte, als die Samurai-Ethik aufkam, und die, wie Ieyasu fühlte, Yoritomo im Laufe der Zeit als einzigen beständigen Wert erkennen würde: Die Ausübung und Bewahrung der Macht in einer zunehmend komplexer werdenden Welt.

Ein Problem, das so alt wie die Zeit war.

Es war lobenswert, wenn ein junger Mann danach trachtete, zu den reineren Formen der Führung zurückzukehren, wie sie durch bushidō vorgeschrieben waren: es war richtig, dass er neue Betonung auf dessen zentralen Lehrsatz legte, giri – das Gefühl für Pflicht und Schuldigkeit gegen Vorgesetzte. Ohne giri würde Anarchie herrschen! Aber der Drang, eine strengere Moral aufzuerlegen, würde sich nachteilig auf die Produktivität auswirken. Die Menschen waren mit Fehlern behaftet und würden niemals die Perfektion des höheren kami erlangen. Ihre angeborene Bestechlichkeit kam früher oder später immer an die Oberfläche, bedauerlicherweise; aber eben wegen ihrer Schwäche war es möglich, sie wirksam zu kontrollieren.

Sünder waren leichter zu behandeln. Und sie waren eine erfreulichere Gesellschaft. Trotz seiner vorgerückten Jahre hatte Ieyasu nicht vergessen, wie man sich amüsiert. Und in seinem Fall war es nicht nur der Geist, der willig war.

Der Steingarten bestand aus einem feinsinnigen Arrangement aus Felsen in einem wellenschlagenden Meer aus feinen Kieseln, die in endlose Muster aus Linien und Spiralen angeordnet waren. Jeden Morgen beim ersten Licht des Tages und mehrere Male während des Tages wurden Laub, Zweige und sonstige Fremdkörper eifrig durch eine Schar leichtfüßiger Gärtner entfernt, die auf ihrem Rückweg die Kiesel wieder zu ihren alten Mustern zurechtharkten. Wenn der Shōgun kam, war der Garten stets wie durch Magie in seinem ursprünglichen Zustand. Er war eine Landschaft, in der die Zeit erstarrt war; ein Arrangement aus Linie und Tönung, Textur und Stoff von wundervoller Harmonie, das wie alle großen Kunstwerke dem Auge des Betrachters ständig neue Tiefen bot. Es rief Heiterkeit hervor und lud zu tiefer Meditation ein; bot Frieden und Erneuerung für jeden, dessen Geist der nötigen Stille fähig war.

Yoritomo war einer von jenen, die neue Stärke aus dem Garten schöpften; die wohlbehütete Neuerschaffung eines Stückes des früheren Lebens an einem Ort, den die Chronisten als »Die Welt Davor« bezeichneten. Yoritomo war dem Zauber des Gartens schon mit neun Jahren verfallen, und seit damals stattete er jedes Mal derselben Stelle auf der obersten Stufe der Veranda einen Besuch ab, wenn sein Zweig der Familie in der Residenz in Yedo war. Seine Gefühle in Bezug auf den Garten hatten sich nicht verändert; nur war es jetzt niemandem als ihm erlaubt, an seinem auserwählten Platz zu sitzen, der aufgrund seiner Erhöhung zu einem Schrein geworden war.

Wenn auch von unkompliziertem Wesen, war Yoritomo keine asketische, heiligmäßige Gestalt und wünschte auch nicht, es zu werden. In seiner Jugend hatte es besinnliche Perioden in Zeiten normaler Aktivitäten und übermütige Exzesse gegeben, wie sie von einem jungen Vornehmen zu erwarten waren. Sinnliche Freuden wurden nicht ermutigt, waren aber auch nicht verboten, und obwohl die jungen Samurai gelehrt wurden, dass die Gesellschaft der Mit-Krieger der von Frauen vorzuziehen war, waren sie nicht immer fähig, den Verlockungen zu einer sentimentalen – und manchmal unerlaubten – Beziehung zu widerstehen. Das galt auch für den neuen Shōgun.

Tōshirō, jetzt in einen breitschultrigen Kimono aus dunklem Seidenbrokat gekleidet, näherte sich dem Wachhauptmann, dessen Männer rings um den Steingarten postiert waren. Beide Samurai trugen weiße, im Nacken befestigte Stirnbänder über aus Mutantenhaar gefertigten Perücken, die hochgekämmt waren und den traditionellen Haarknoten bildeten. Das Stirnband des Wachhauptmanns war mit der üblichen blutroten Scheibe geschmückt, von zwei seinen Rang und seine Funktion verdeutlichenden Schriftzeichen flankiert. Auf Tōshirōs Stirnband ersetzte das Vogelemblem des Shōgun die rote Scheibe. Ein langes und ein kurzes Schwert in sanft gekrümmten Scheiden waren durch die Schärpe gesteckt, die er um die Hüfte trug.

Ein anderer wäre verpflichtet gewesen, sie abzulegen, aber als Herold des Inneren Hofes hatte er das Recht, Waffen in Gegenwart des Shōgun zu tragen. Es war ein Zeichen des außergewöhnlichen Vertrauens, das Yoritomo in seiner Gruppe junger Männer genoss. Es war kein reiner Zufall, dass Tōshirō im selben Alter wie der Shōgun war. Keiner der neuen Herolde, die Yoritomo ausgewählt hatte, war älter als dreißig Jahre; der jüngste war fünfundzwanzig.

Der Wachhauptmann führte Tōshirō den Pfad entlang zu dem offenen Sommerhaus, in dem Yoritomo mit gekreuzten Beinen saß, in Betrachtung der steinernen Landschaft versunken. Die fünf Samurai, die im Halbkreis hinter ihm saßen, sprangen schweigend auf die Füße. Als sie sahen, wer der Ankömmling war, ließen sie die Griffe ihrer Langschwerter wieder los. Diese Männer waren, wie die um den Garten verteilten Wächter, von Geburt an in den Haushalten der Toh-Yota-Familie aufgewachsen und fest entschlossen, den Shōgun zu beschützen. Der Wachhauptmann verbeugte sich tief und trat zurück, als Tōshirō auf die breite untere Stufe der Veranda trat und in einer Linie mit der linken Schulter des Shōgun niederkniete. Yoritomo starrte nach wie vor geradeaus in den Garten. Tōshirō beugte die Stirn auf die Strohmatte, die auf der oberen Stufe lag, und wartete.

»Was hat Sie aufgehalten?«, erkundigte sich der Shōgun in fehlerlosem Amerikanisch. Es war die Sprache, die er und seine Herolde fließend sprechen konnten – aber sie waren nicht ermutigt worden, denselben Gesprächston in der Anrede anzuschlagen. Die fünf Wachen, jetzt auf der anderen Seite Yoritomos aufgereiht, sprachen nur Japanisch.

Tōshirō setzte sich mit gekreuzten Beinen auf den Boden. »Es gab gewisse Aspekte der Situation, die einer näheren Untersuchung bedurften, Herr. Es war nicht leicht. Sie lassen sich nicht in die Karten schauen.«

»Haben sie viele Asse?«

»Ich bin nicht sicher, aber … es ist ein Joker dabei.«

Yoritomo wendete seinen Blick widerwillig vom Steingarten ab und ließ ihn kurz auf Tōshirō ruhen. Der Shōgun trug ebenfalls eine aus Mutantenhaar gefertigte Perücke, aber sie war ein imposanteres Gebilde aus geflochtenen Zöpfen in Kombination mit einem kleinen, flachen Hut und lackierten Holzkämmen – eine seinem Rang als oberster Herr Ne-Issans vorbehaltene Haarpracht. »Wird es so schlimm, wie ich es mir vorstelle?«

Tōshirō verneigte sich tief. »Es sieht nicht gut aus.«

Yoritomo seufzte und kehrte zu seiner Betrachtung des Steingartens zurück. »Gut, soll es nur kommen …«

2

Während der letzten sechs Monate hatte die Hauptaufgabe Tōshirōs darin bestanden, die Arbeit am Reiherteich zu beobachten – ein neues Handwerkszentrum, das im Westen Ba-satana errichtet worden war. Zu Beginn des letzten Jahres hatte Fürst Yama-Shita, der eine Handelslizenz mit den Nördlichen Mutanten besaß, Yoritomo von der Notwendigkeit überzeugt, das Geheimnis des Flugantriebes neu zu entdecken. Sein Plan war gewesen, sich wegen Hilfe bei der Eroberung eines Flugpferdes und seines Reiters an die Mutanten zu wenden. Eine Untersuchung von beidem würde sehr lehrreich sein und konnte Monate fruchtloser Experimente sparen.

Um Druck auszuüben, hatte Yama-Shita betont, dass keine Zeit zu verlieren sei. Die wegen ihrer Körpergröße und knochigen Leiber Langhunde genannten Wüstenkrieger des Südens waren im Begriff, sich nach Norden ins Land des Prärievolkes auszubreiten. In wenigen Jahren mochten sie ihre mächtigen Waffen gegen Ne-Issan richten. Dank seiner Kontakte mit den Mutanten wusste Yama-Shita, dass die fliegenden Pferde wichtige Elemente in der militärischen Strategie der Langhunde waren. Ne-Issan musste seine eigene Luftreiterei aufbauen, um der zu erwartenden Bedrohung zu begegnen.

Yoritomo versprach, über die Sache nachzudenken. Es ergab natürlich alles einen Sinn. Fürst Hiro Yama-Shita, der durch die Fusion zwischen den Familien Yama-Ha und Matsu-Shita der mächtigste Landfürst in Ne-Issan geworden war, war ein nüchterner Realist. Jeder Vorschlag, den er unterbreitete, verdiente, dass man sich ernsthaft mit ihm befasste.

Es waren die Yama-Has und später die Matsu-Shitas gewesen, die Erbauer der ersten Raddampfer, die die einträglichen westlichen Handelsrouten eröffnet und die dem Anschein nach unerschöpflichen Vorräte an Mutanten angezapft hatten, jener mit seltsamen Verunstaltungen versehenen Halbmenschen, die die große Masse des Arbeiterheeres von Ne-Issan ausmachten. Die Lizenzen, die den Yama-Has und Matsu-Shitas ein faktisches Monopol auf den Handel mit dem Westen sicherten, waren von Yoritomos Großvater garantiert worden. Die Familien waren lange Zeit Verbündete der Toh-Yotas gewesen und hatten sie in ihrer Bewerbung für das Shōgunat unterstützt. Aber die unerhörte Heirat zwischen den beiden Häusern hatte eine unwillkommene Machtkonzentration zur Folge gehabt; wenn man die Landkarte mit den Augen eines militärischen Kommandanten betrachtete, bildeten ihre vereinigten Ländereien einen Dolch im Herzen der Toh-Yotas.

Glücklicherweise schien der vierzigjährige Yama-Shita mehr am Handel als an politischen Allianzen interessiert zu sein, aber das war eine Situation, die nach ständiger Überprüfung verlangte. Das Land war nicht nur einmal durch Parteienstreitigkeiten gespalten worden, und obwohl zurzeit eine durch die Toh-Yotas eingerichtete, starke zentrale Regierung herrschte, besaßen die Landfürsten ein eifersüchtig gehütetes Maß an Unabhängigkeit. Zwar hatten sie alle dem Shōgunat Treueschwüre geleistet, aber es gab einige unter ihnen, auf deren Wort man sich besser nicht blind verließ. Folglich trug Yoritomo, wie schon seine Vorgänger in diesem hohen Amt, zwei Listen im Kopf, deren eine die fudai aufführte, diejenigen, die er als loyal und vertrauenswürdig betrachtete, und eine mit der Überschrift tozama, auf der die unsicheren Kantonisten standen.

Hiro Yama-Shita siedelte trotz seiner familiären Verbindungen mit den Toh-Yota in einer Grauzone dazwischen.

Nachdem er Ieyasu konsultiert hatte (der Kämmerer kannte Hiro schon von Kindesbeinen an), stimmte Yoritomo dem Erwerb eines Flugpferdes und seines Reiters zu. Dank des eifrigen Handelstreibens war ihnen eine Anzahl Langhunde in die Hände gefallen. Ihre Befragung hatte dem Shōgun erlaubt, sich ein ungefähres Bild von den seltsamen Untergrundreichen zu machen, die als die Föderation bekannt waren. Aber das Zeugnis der Gefangenen war zweifelhaft. Diese Langhunde waren Kriminelle, Renegaten – wie die versprengten Gruppen heimatloser Rōnin, die sich in den dunklen Wäldern an den Hängen der Berge im Westen verbargen. Die bleichen Krieger dieser Untergrundwelt mochten ihren Herren gegenüber ebenfalls untreu sein. Aber selbst wenn es so war, durfte man die Gefahr aus dem Süden nicht ignorieren. Daher die durch Yama-Shita verwirklichte Strategie, die zahlenmäßig überwiegenden Mutanten zu bewaffnen.

Aufgrund ihrer fremdartigen Kultur und Rückständigkeit kamen die Mutanten nie als Verbündete in Betracht, aber ihr Konzept der Kriegerschaft verlangte Berücksichtigung. Die Jahre des Handels hatten zu einem Zustand wohlwollender Neutralität geführt. Es waren keine Versprechen ausgetauscht und keine Pläne diskutiert worden, aber in den letzten Jahren war das Gebiet des Prärievolkes eine Pufferzone zum Schutz der Grenzen Ne-Issans. Die Kriegerclans waren jetzt bewaffnete Hilfstruppen, die, wenn alles nach Plan verlief, die Langhunde in einem langen Zermürbungskrieg aufreiben würden.

Auf Ieyasus Rat hin hatte Yoritomo die Herstellungslizenz für die Flugpferde Kiyomori Min-Orota erteilt, dessen Ländereien an das Gebiet des östlichen Sees angrenzten und dem Norden Aron-girens direkt gegenüberlagen. Kiyomoris Vater hatte eine der Tanten Yoritomos geheiratet, und die Min-Orota standen auf der Liste mit der Überschrift fudai.

Als der Schnee höher lag und das alte Jahr unter sich begrub, war Tōshirō mit seinem ersten Erfolg zurückgekehrt: Ein Flugpferd war in der Nähe von Bu-faro gelandet, einem Hafen auf dem Iri-See an der westlichen Grenze des Reiches Fürst Yama-Shitas. Es trug zwei Reiter: einen Langhund namens Brickman und seine Begleiterin, eine Mutantenkriegerin aus dem Clan M’Call, den Spendern dieses lang ersehnten Gerätes.

Das Gerät und seine Reiter waren ohne weitere Umstände über den Kanal und das Flusssystem Ro-diren verschifft und dann über Land zu dem Ort namens Reiherteich transportiert worden, der für dieses neue Unternehmen ausgewählt worden war. Die Werkstätten waren bei Tōshirōs erstem Besuch noch nicht errichtet gewesen, aber er hatte Skizzen von der fremdartigen Maschine mitgebracht und konnte Brickman, den braunhäutigen Langhund, und Clearwater, seine blauäugige Mutantenbegleiterin beschreiben.

Nach anfänglicher Zurückhaltung hatte sich Brickman als bemerkenswert kooperativ und leicht zu befriedigen erwiesen. Die Mutantin hingegen hatte Yama-Shita informiert – mit aller gebührenden Ehrerbietung und durch die üblichen Mittelsleute –, dass der Clan M’Call das Flugpferd aufgrund der Übereinkunft zur Verfügung gestellt hatte, dass sie und der Langhund wieder in ihr Heimatland verschifft würden, sobald die Raddampfer ihre nächste Fahrt über die großen Seen machten.

Aber eine derartige Übereinkunft hatte es nie gegeben. Die Frage nach dem weiteren Schicksal derer, die die Maschine überbrachten, war von dem weißhaarigen Anführer des M’Call-Handelsrats nie erhoben worden. Und Yama-Shita hatte nicht die Absicht, die Abmachung mit einer Mutantin neu zu verhandeln. Sobald Mutanten den Boden Ne-Issans betreten hatten, waren sie Sklaven, Unpersonen ohne alle Rechte. Aber selbst wenn es nicht so gewesen wäre, hätte die Forderung Clearwaters schon aufgrund der Besonderheit des Unternehmens auf taube Ohren stoßen müssen. Es war von lebenswichtiger Bedeutung, dass die Föderation so lange wie möglich über die Pläne im Unklaren blieb. Wenn Clearwater und der Langhund zum Prärievolk zurückkehrten und später in feindliche Hände fallen würden, bestünde das Geheimnis nicht länger.

Da die Mutantin keine weitere Rolle mehr spielte, war sie der Obhut des Generalkonsuls Nakane Toh-Shiba anvertraut worden, einem Neffen des gleichnamigen Landfürsten. Nakane war ständiger Repräsentant des Shōgun für das Haus Min-Orota. Von Yoritomo ernannte Militärvertreter hatten ähnliche Stellungen in sämtlichen untergeordneten Distrikten inne. Sie besaßen imposante Residenzen auf privatem Land, die vom Shōgunat unterhalten wurden und auch als Stützpunkte für Provinzverwalter, Steuerinspektoren und Regimenter der Regierungstruppen dienten.

Am Reiherteich waren die nötigen Gebäude fertiggestellt und eine Gruppe aus Minen und Steinbrüchen rekrutierter Langhunde war mit Arbeiten unter der Oberaufsicht ortsansässiger Handwerker beauftragt. Der dunkelhaarige braunhäutige Brickman stellte sich rasch als idealer Aufseher heraus, der seiner zugewiesenen Aufgabe völlig ergeben war. Darüber hinaus besaß er einen erstaunlichen Intellekt und zeigte ein mit einer raschen Auffassungsgabe gepaartes ungewöhnliches Interesse an allen Aspekten der Gesellschaft der Eisenmeister; an seiner Kunst, Kultur, Sitte, Tradition und an seinem geistigen Ethos. Sein Interesse an diesen Dingen war so ausgeprägt, dass sich Min-Orota bemüßigt fühlte, um Erlaubnis zu fragen, ihm Japanisch beibringen zu dürfen.