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Vielleicht das letzte Buch in Ihrem Leben! Von bitterböse bis herrlich selbstironisch: neue Kurzgeschichten, Anekdoten und Alltags-Beobachtungen von Kabarettist Patrick Salmen Weil der Wahnsinn kein Ende nimmt: Patrick Salmen hat wieder unterhaltsame Kurzgeschichten, absurde Dialoge und spitzfindige Beobachtungen zusammengetragen. Sogar für Selbstversuche war er sich nicht zu schade, um der Tragikomik unseres Alltags auf den bitterbösen Grund zu gehen. Nicht nur Achtsamkeit, Hygge, Digital Detox und Influencer bekommen so ihr Fett weg, dem Leser wird auch mit wertvollen Life Coachings geholfen – Indianer-Ehrenwort! Und ganz nebenbei nimmt Salmen auch noch das Autoren- und Eltern-Dasein unter die Lupe. Wer staubtrockenen Humor liebt, wird an den Alltags-Diagnosen des Bühnenpoeten Patrick Salmen seine helle Freude haben. Für alle Fans des einstigen Poetry Slamers sind Patrick Salmens Kurzgeschichten das beste Mittel, um die Zeit bis zum nächsten Live-Auftritt ohne größere Schäden an der Lach-Muskulatur zu überstehen. Von dem in Dortmund lebenden Patrick Salmen sind noch drei weitere Kurzgeschichten-Sammlungen erschienen: • »Ich habe eine Axt – Urlaub in den Misantropen« • »Genauer betrachtet sind Menschen auch nur Leute« • »Treffen sich zwei Träume. Beide platzen«
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Seitenzahl: 273
Patrick Salmen
EKSTASE
ist doch auch mal ganz schön
Knaur e-books
Weil der Wahnsinn kein Ende nimmt: Patrick Salmen hat wieder unterhaltsame Kurzgeschichten, absurde Dialoge und spitzfindige Beobachtungen zusammengetragen. Sogar für Selbstversuche war er sich nicht zu schade, um der Tragikomik unseres Alltags auf den bitterbösen Grund zu gehen. Nicht nur Achtsamkeit, Hygge, Digital Detox und Influencer bekommen so ihr Fett weg, dem Leser wird auch mit wertvollen Life Coachings geholfen – Indianer-Ehrenwort! Und ganz nebenbei nimmt Salmen auch noch das Autoren- und Eltern-Dasein unter die Lupe.
Kuckuck, Sie Räuber!
Es freut mich, dass Sie sich für den Erwerb dieses Büchleins entschieden haben. Vielleicht haben Sie das Werk im Buchhandel gesehen und dachten: Oha! Der bärtige Typ auf dem Cover sieht zwar aus wie ein desillusionierter Porridge-Verkäufer aus meinem gentrifizierten Szenebezirk, aber dieser pfiffige Titel sagt meinem lebensbejahenden Gemüt durchaus zu.
Vielleicht haben Sie dieses Werk auch gekauft, weil es unaufdringlich bunt ist. Zu dem pinken Rahmen und diesem kess kolorierten Schriftzug riet mir die Grafikabteilung des Verlags. Argument: Es fällt dann im Handel unter den anderen Büchern mehr auf. Ich fragte mich zwar, ob man dieses etwaige Problem nicht durch inhaltliche Qualität lösen könnte, doch die Argumente schienen mir schlüssig.
In diesem Buch finden Sie Kurzgeschichten, Briefe, Dialoge, Ratgeber für alle Lebenslagen und – ich zitiere meine Lektorin – »Gedöns«. Faktisch gesehen finden Sie hier alles, was ich im weitesten Sinne dem Oberbegriff »Humor« zuordnen würde. Nun deckt sich mein Humor selten mit dem anderer Leute, aber im besten Falle gibt es eine Deckungsgleichheit, und dann wird das hier für alle Beteiligten ein runder Plunder. Vielleicht werden Sie dann und wann aufschauen und laut verkünden: »Haha, ein schelmischer Jokus, den ich durchaus als galant und cremig beschreiben würde. Chapeau!« Vielleicht aber auch nicht. Dann können Sie dieses Werk gerne als Untersetzer, Hut oder sehr verkopftes Ausmalbuch benutzen. Falsche Eitelkeit liegt mir fern, und im Grunde sind Bücher auch nur sehr elastische Bretter. Ich bin da offen.
Abschließend bleibt zu sagen: Dieses Buch ist wie ein blauer Pullover, denn es hat keinen roten Faden. Manche Geschichten sind autobiografisch, andere habe ich mir einfach ausgedacht. Nahezu verrückt! Vielleicht gefällt Ihnen dieses Werk. Jemand schrieb mir mal, dass meine Bücher sein Leben wertvoller gemacht hätten, da er durch die Geschichten gemerkt hätte, dass er auf keinen Fall so werden will wie ich. Und das war mit Abstand das Schönste, was ein Mann jemals zu mir gesagt hat.
Wir sind auf einer Party von Freunden. Mit Freunden meine ich »man kennt sich«, und mit Party meine ich »wir kochen«. Im Grunde ist ja ab dreißig alles eine Party, wo mehr als zwei Leute anwesend sind.
Musste ich mich auch erst mal drauf einstellen. Wie oft hieß es: »Komm, wir gehen auf eine Party«, und plötzlich erscheinst du mit Ledermaske und LSD auf einem Brettspielabend.
Mit Volker und Kerstin verbindet uns vieles. Wir haben Kinder im selben Alter. Ob das jetzt als Hobby durchgeht, weiß ich nicht. Kerstin hat im Wesentlichen keine nennenswerten Eigenschaften, und Volker interessiert sich privat für Skispringen und Wärmedämmung, und das ist eigentlich auch schon alles, was man über ihn wissen muss. Ich sag nur: gähn.
Warum wir hier sind, weiß ich nicht. Die Gründe sind mannigfaltig, vermutlich eine Mischung aus Gesellschaftszwang und Selbstaufgabe. Unsere Gespräche sind superspannend. Thematisch geht es um Dinge wie den aktuellen Mietpreisspiegel, Pulled-Pork-Rezepte oder die neuesten Reiseimpressionen von kinderfreundlichen Familienhotels. Regelmäßig fallen Sätze wie »Borkum kommt ja auch wieder«, »Mallorca hat auch ruhige Ecken« oder »Sylt, einfach nur wow!«.
Volker und Kerstin sind richtige Reiseexperten. Reiseexperten erkennt man daran, dass sie nicht von Fuerteventura, sondern ganz vertraut von Fuerte sprechen. Ist auch wichtig, dass man das ganz temperamentvoll und nahezu lasziv-erotisch ausspricht. FFFUERTE! »Und wo wart ihr dieses Jahr?«, fragt Kerstin. »Dom Rep? Oder wieder auf Mauri?« »Ne, wir waren auf Jami.« »Jami?« »Na, Jamaika, du Pappnase.« »Echt? Wie schön.« »Ja, bezaubernd.« Verdammt, denke ich, wieder eine Lebenslüge mehr. Eigentlich war ich nämlich bloß für ein verlängertes Wochenende in Hückeswagen. Aber gut, ist ja klimamäßig ähnlich. »Wo wart ihr denn?« »Ach«, sagt Volker, »einmal Fuerte, immer Fuerte.«
Kerstin steht auf und ergreift das Wort. »Anderes Thema. Der Volker und ich, wir haben doch jetzt die Hello-Fresh-Box für uns entdeckt. So toll. Die schicken dann ’ne Kiste mit Zutaten und einem Rezept, und dann kannst du das zu Hause einfach nachkochen. So tolle Inspirationen, und wir schmeißen seitdem kaum mehr was weg. Man weiß ja oft nicht, was man kochen soll, und wenn, dann hat man die Sachen eh nicht da. Müsst ihr mal probieren. Wie gesagt: Haben wir auch erst vor Kurzem für uns entdeckt.«
»Toll«, sage ich, »wisst ihr, was ich für mich entdeckt habe? Einkaufen! Wenn ich nun den Kühlschrank aufmache und da liegt neben den Gewürzgürkchen und dem obligatorischen Senfglas nur ’ne abgelaufene Leberwurst, denke ich nach und wäge ab: Elsässer Flammkuchen? Schwierig! Aber auch da hab ich was für mich entdeckt: Gibt’s jetzt ganz neu: Supermarkt! Ne, was hab ich nicht alles für mich entdeckt. Spitzname Kolumbus.«
»Ja, aber oft weiß man ja nicht, was man kochen soll.«
»Und auch da habe ich was entdeckt: denken.«
»Ach, komm. Nun wirst du wieder zynisch.«
»Ne«, sag ich. »Zynismus wollte ich neulich beim Lieferdienst bestellen, gab’s aber nicht.«
»Hach, Patrick. Du musst immer alles so kritisch sehen.«
»Sorry.«
Gespräche enden meist im Streit. An mir liegt es nicht. Doch wie gesagt: Meistens geht es um Kinder. Wir haben aufgehört, uns mit Menschen zu treffen, die keine Kinder haben. Manchmal verabreden wir uns noch mit Heike und Jens, die kennen wir von früher, aber die haben jetzt einen total süßen Hund und behaupten von sich, sie seien im Prinzip »kinderlose Eltern«, und wenn sie »kinderlose Eltern« sagen, machen sie mit der Hand Gänsefüßchen und lachen dabei, als würden sie das wirklich witzig finden. Im Grunde Psychos. Kinderlose Eltern sind mir suspekt.
Nun sind Volker und Kerstin allerdings zu Besuch. Aktuell reden wir erneut über Trittschall- und Wärmedämmung.
»Toller Boden«, sagt Volker. »Sieht aus wie Holz. Ist das Vinyl?«
»Ne, Holz«, sage ich. Gott, ich hasse diese Gespräche.
Persönlicher Tipp von mir: Falls Sie mal auf einer Party sind und es irgendwann um die Themen Pulled Pork, Borkum oder Wärmedämmung geht – hauen Sie einfach ab. Danach wird es oft nicht mehr besser.
Kerstin springt auf. »Also ich würde sagen, wir kochen jetzt mal was Schönes. Patrick, willst du die Hello-Fresh-Box auspacken?«
»Ich kann mein Glück kaum in Worte fassen.«
Ich öffne den Karton und packe aus. Zum Vorschein kommen in Plastik eingeschweißter Salat, eine in Plastik eingeschweißte Biogurke, in Plastik eingeschweißte Tomaten und in Plastik eingeschweißtes Plastik. Außerdem jede Menge undefinierbare Knollengewächse, die natürlich einzeln in Plastik eingeschweißt sind.
»Praktisch, eure Box«, sage ich: »Falls man mal zu wenig Plastik im Haus hat.«
»Haha!«, sagt Kerstin. »Und was kochen wir nun? Ich bin mal auf das Rezept gespannt.«
»Wahrscheinlich Salat mit Knollen.«
Kerstin grinst. »Das ist eine Süßkartoffel, du Pappnase. Guck mal, hier sind noch Fleischpatties und Burgerbrötchen. Heute gibt es selbst gemachte Burger mit Süßkartoffelpommes!«
»Wie originell.«
Persönlicher Tipp von mir: Falls Sie in einer gentrifizierten Großstadt wie Hamburg, München oder Köln wohnen und die tolle Idee haben, einen Burgerladen aufzumachen – lassen Sie das. Sie sind nicht der Erste. Selten geht man derzeit durch irgendwelche Innenstädte und denkt: Voll Bock auf Burger. Schade, kein Laden!
»Wie geht’s eigentlich Heike und Jens? Haben die ihren Hund noch?«
»Ne, den hat Jens kaltblütig erschossen. Ich sag nur: Pulled Dog.«
»Das ist ja schrecklich.«
»War ein Scherz. Natürlich haben die ihren Hund noch.«
»Hach«, sagt Volker, »ich bin ja eher so der Katzenmensch.«
Ja, so siehst du auch aus, denke ich mir. Halb Mensch, halb Katze. Was du nicht alles für ein Mensch bist. Familienmensch, Stadtmensch, Gewohnheitsmensch, Katzenmensch. So viel Mensch passt in andere Leute gar nicht rein.
»Hast du was gesagt?«
»Ja, Katzen find ich toll.«
»Hach, Katzen«, sagt Volker, »einfach nur wow!«
Dortmund, Kreuzviertel. Sitze im Café und lausche den Gesprächen am Nebentisch, wo ein junges Pärchen wortkarg auf seine Tassen blickt. Irgendwann hebt der Mann den Kopf. »Constanze, die Sojamilch flockt!« Seine Frau nickt. »Du musst mehr rühren.«
Ich nippe an meinem heißen Kaffee, öffne den Rucksack und hole mein Notizbuch heraus, um das Gespräch zu stenografieren.
»Constanze, die Sojamilch flockt noch immer!«
Dann nimm normale Milch, du Eumel, denke ich im Stillen, als der Mann sich plötzlich zu mir wendet. »Was haben Sie gesagt?«
»Nix. Sie sind super.«
Scheinbar habe ich lauter gedacht als angenommen.
Ich sehe auf den leeren Zettel und beginne zu schreiben. Constanze, die Sojamilch flockt! Klingt wie ein skandinavischer Arthouse-Film, aber im realen Leben entbehrt dieser Satz doch jedweder Daseinsberechtigung. Auch an einem anderen Tisch scheint der Satz für Verwirrung zu sorgen. Zwei Rentner diskutieren angeregt. »Was hat der Mann gesagt?« »Bei dem flockt es.« »Wo flockt es?« »In Konstanz.« »Ach was? Am Bodensee schneit es? Im Sommer?« Allgemeine Verunsicherung. Ein einfacher Satz, der im Stille-Post-Mechanismus schnell zum Zenit des Klimawandels heraufbeschworen wird. »Ne, die Sojamilch flockt«, sage ich. Erneut wendet sich der Mann zu mir. »Ach, Ihre auch?« »Ja«, erwidere ich, »wir haben so viel gemeinsam. Beste Freunde für immer. Tom Soja und Hackleberry Finn.« »Was haben Sie gesagt?« »Nix.«
Ich blicke mich um. Am Tresen steht ein junger Barista, der das heiße Wasser vor den Augen des Kunden in einem nahezu spirituell-religiös anmutenden Brüh-Zeremoniell provozierend langsam über das Pulver gießt. Die Augen hält er geschlossen.
Dieser großstädtische Kaffeekult ist schon seltsam. Ein paar Designerstühle, minimalistische Pendelleuchten, Kakteen – und zack wird aus Tante Emmas Kuchenstube eine urbane Edelrösterei-Manufaktur. Jeder Mensch mit zwei Armen, der eine Siebträgermaschine bedienen kann, schimpft sich Barista und verliert sich bei jeder Bestellung in einen auswendig gelernten Monolog über Herkunft, Röstaromen und die haptische Beschaffenheit einzelner Kaffeebohnen.
Natürlich steckt immer eine Geschichte dahinter: Da wäre der bärtige Greis aus Venezuela, der die Bohne in seiner dicht bewachsenen Gesichtsbehaarung vier Jahre lang vor Tageslicht schützte und sie danach gemeinsam mit einem Straßenjungen namens Enrique einem elternlosen Lama-Baby verfüttert hat, um sie dann mit selbst gebastelten Flechtschüsseln aus dem Kot zu fischen, sie in importiertem Craftbeer reinzuwaschen und sie anschließend mit dem Honig einer rumpflosen Biene namens Manfred zu polieren.
Nicht zu vergessen auch der verwitwete Bauer aus Guatemala, der mit seinen zwei gehörlosen Söhnen und einer dreibeinigen Katze in langjähriger Familientradition jede Bohne einzeln in Leinensäckchen nach Deutschland getragen hat, um sie in feinster Fair-Trade-Manier dem Barista zu übergeben, alles im Tausch gegen etwas Weißbrot, einen feuchten Händedruck und den berüchtigten Sülzwurst-Geschenkekorb von Metzgermeister Steinbeck.
Ich zahle, verlasse das Café und streife ein wenig durch mein Viertel. Die Gegend hier ist sehr friedlich. Es gibt drei verschiedene Bioläden, zwei Bäckereien, diverse Cafés, Galerien und einen kleinen Buchladen. Alles heile Welt. Gefahr ist hier ein Fremdwort. Mittags dealen ein paar glückliche Familienväter mit Chia-Samen, und manchmal bröckelt ein bisschen Stuck auf die Altbaudielen. Das war es auch schon. Alles entspannt. Ein paar Mütter mit Kinderwagen trinken grüne Smoothies – die Health Angels.
Im benachbarten Designermöbelgeschäft verkaufen sie einen abgesägten Baumstumpf für 199 Euro mit dem Hinweis, dass man dieses formvollendete Unikat von einem Stück Holz sowohl als Sitzhocker, Abstelltisch oder schlichtes Dekorationsobjekt nutzen könne. Erst bin ich skeptisch ob der künstlichen Forstsublimierung, wobei die Zuversicht überwiegt, dass ich meine abgefahrenen Winterreifen im Keller doch noch bei eBay loswerde. Ich denke, 999 Euro ist ein angemessener Preis, immerhin kann man sie sowohl als praktische Halskrause, Vintage-Plumpsklo, Sitzsack, fancy Kunstinstallation oder sehr sperrigen Raumteiler benutzen.
Schon verrückt mit dieser Quartiersentwicklung. Ich beobachte ein Pärchen mit Kinderwagen, das grad einer Bekannten ihren Nachwuchs präsentiert. Es fällt der Satz: »Hach, unser Fiete.« Verwirrt sehe ich mich um. Ist Dortmund heimlich zur Küstenstadt geworden? Muss ich morgen mit dem Schiff ins Büro? Warten dort Solveig, Swantje, Knud und Hamsun auf mich? Ich schnappe mir das Notizbuch. »Hach, unser Fiete.« Auch ein schöner Satz. Klingt wie eine schlechte deutsche Verwechslungskomödie auf Sat1. Irgendwas mit Elyas M’Barek und hölzernen Dialogen. Nachfolger von Immer Ärger mit Fiete und Fiete 2: Jetzt wird’s richtig wild.
Beschließe, mein nächstes Kind Ragnarr zu nennen. Ragnarr wäre ein ziemlich verwegener und abgefuckter Typ. Da würde bestimmt keine Sojamilch flocken. So ein Ragnarr trinkt seinen Kaffee mit Blut. Oder mit richtiger Milch. Milch ist ohnehin das neue MDMA. Letzte Woche habe ich im Bioladen mal eine normale Milch aufs Kassenband gelegt. Die Leute tuschelten sofort und schauten mich mitleidig an. Es fielen Wörter wie »Abgrund«, »Teufelsbrut« und »soziale Verwahrlosung«. Für die meisten war ich bereits tot. Abends saßen sie dann mit ihren Familien am Esstisch. »Hast du schon das vom Salmen gehört?« »Ja, Milch. Konnte man nicht ahnen. Erst Counter Strike, dann zwei Ballereien und am Ende voll auf Laktose in der Gosse gefunden.«
Gemütlich schlendere ich weiter, betrete den Supermarkt und hole einen Zettel aus der Hosentasche. Auf meiner Einkaufsliste stehen Dinge wie Topinambur, Ras el-Hanout und etwas Kryptisches, das man S-k-y-r buchstabiert. Ich glaube, meine Frau denkt sich solche Sachen nur aus, um mich vor den Supermarktangestellten bloßzustellen. Ich sehe es schon kommen:
»Entschuldigung, wo finde ich Skeier?«
»Was für Zeug?«
»Keine Ahnung. Steht hier. Skirrrrrrrr?«
»Guter Mann, haben Sie getrunken?«
Vielleicht hol ich einfach Brot. Ragnarr würde jedenfalls keinen Skyr essen, da bin ich mir sicher. Ich stehe an der Fleischtheke. Der junge Herr vor mir gibt seine Bestellung auf: »Guten Tag. Ich hätte gern ’nen Schmierzwerg, zwei Knackriesen und vier Pfefferbeißer.« Heutzutage weiß man auch nicht mehr, ob man noch in der Metzgerei oder schon in Grimms lustigem Märchenwald ist.
Ich drehe mich um. Auf dem Weg zum Kühlregal sehe ich ein junges Pärchen und werde Zeuge eines wunderschönen Dialogs:
Frau: »Hömma, bringst du noch Bananen mit?«
Mann: »Welche?«
Frau: »Bio!«
Mann: »Ach, hau mir ab!«
Frau: »Ne, Bio ist super!«
Mann: »Ne, dat is immer schrumpelig und platt gedötscht.«
Frau: »Du bist schrumpelig und platt gedötscht.«
Mann: »Geh sterben!«
Die Harmonie einer Ehe! So muss es doch laufen. Ich schnappe mir drei Packungen Joghurt und gehe nach Hause. Drei Stunden später bin ich um eine Erkenntnis reicher: Skyr schmeckt exakt so beschissen, wie man sich das vorstellt. Als hätte man sehr viel gekifft und danach ein bisschen Gipsmasse gelöffelt.
Ich schmeiße den Rest weg und beschließe, noch einmal aus dem Haus zu gehen. Verzweifelt und hungrig gehe ich zurück ins Café, bestelle ein Stück Kuchen und sehe mich um. Constanze und Tom Soja haben ihren Platz nicht verlassen, auch Fiete und seine Eltern haben sich inzwischen hier eingefunden, und das streitende Pärchen aus dem Supermarkt ist ebenfalls hier. Ich schließe die Augen, um mich ganz auf den Klangteppich konzentrieren zu können. Ein paar Stühle knarzen, der Ventilator surrt, irgendwo wird Milch aufgeschäumt, vereinzelt Gesprächsfetzen.
Tisch 1: »Fiete, du bist erst zwei. Du darfst keine Pommes.«
Tisch 2: »Island! Absoluter Geheimtipp!«
Tisch 3: »Constanze, die Mandelmilch flockt jetzt auch!«
Tisch 4 zu Tisch 3: »Dann nimm Hafermilch, du Tünnes.«
Hach, denke ich, und blicke auf das Supermarktpärchen, jetzt, wo es drauf ankommt, halten sie wieder zusammen. Romantik im Ruhrgebiet – alles ist möglich. Skyr is the limit!
Ich entschuldige mich für meine Affinität zu schlechten Wortspielen. Ich schäme mich selbst und gelobe Besserung. Allerdings ist es als Autor wichtig, immer einen Plan B in der Tasche zu haben. Falls dieses Buch sich also nicht verkaufen sollte, werde ich wohl doch eine Porridge-Bar in meinem Szeneviertel eröffnen. Mögliche Namen für die Tageskarte hätte ich bereits. Hier ein paar Vorschläge:
Agave you my heart
Kein Zimt von Traurigkeit
Good Quill Hunting
Oat Couture
Low Carpe Diem
Schleim nicht rum, du Sau!
Der Kleie-Prinz
Paleo Lausemaus und die freundlichen Beeren
Goji Simpson
Traubenschiss: Fifty Shades of Grape
Ich Grütze meine Liebsten
Smoothie & Strolch
Kern geschehen!
Löffelchenstellung
2 ½ Man (mit Schale Hafer und Bruder Almond)
Wo der Posh die Flocken hat
Bowlschewismus
Johnny Cashew und Brei Adams
Porridge is the New Black
Schüsselanhänger
Der Flockenwickler
Infos zu Kooperations- und Bewerbungsanfragen:
www.chiasalmen.de
Die junge Dame, die mir im Café gegenübersitzt, starrt seit gefühlt zwei Stunden abwechselnd auf mich und ihren Zeichenblock. Schwungvoll geht sie mit diversen Stiften zu Werke, dann wieder ein musternder Blick in meine Richtung. Hin und wieder nickt sie zufrieden.
Anfangs war ich irritiert, fühlte mich beobachtet und in meiner Privatsphäre verletzt, aber im Bewusstsein meiner inspirierenden Aura stellt sich mittlerweile eine gewisse Eitelkeit ein. Vielleicht ist sie eine ambitionierte, jedoch unentdeckte Künstlerin und wird eines Tages den Durchbruch mit ihrem Meisterstück Porträt eines bärtigen Mannes beim Verzehr eines Bienenstiches schaffen. Lande ich am Ende auf der Biennale in Venedig oder in einer Off-Galerie in Berlin-Kreuzberg? Werde ich in wenigen Jahren für Millionensummen von gelangweilten Witwen, Ölscheichs und Kunstspekulanten gehandelt? Wird man sektschlürfend auf mein Antlitz starren und Dinge sagen wie: »Bezaubernd, Darling. Man blickt in ein Gesicht und sieht doch eine ganze Welt.« Bin ich am Ende die neue Mona Lisa?
Der Begriff »Ehrgeiz« wäre übertrieben, aber ich konzentriere mich durchaus, meiner neuen Rolle als Muse gerecht zu werden, versuche besonders elegant und weltmännisch zu schauen, so wie ich mir die Models aus der Luxusuhrenwerbung vorstelle. Ich spanne die Wangen an und spitze den Mund, um im Gesicht schmaler zu wirken, runzle die Stirn und ziehe die Brauen hoch, weil ich mir so eine Aura von Macht und Seriosität erhoffe. Mein Blick ist streng, aber vertrauenswürdig. Ich bilde mir ein, dass das Gesicht der jungen Frau mehr und mehr Zufriedenheit ausstrahlt. Beseelt von meinem virtuosen Mienenspiel versuche ich mittlerweile sogar ein bisschen sexy zu schauen: leichter Schlafzimmerblick, ein subtil verwegenes Lächeln. Wenn ich mich nicht irre, habe ich mir grad sogar lasziv auf die Unterlippe gebissen.
Und wie sie so aufsteht, kann ich einen Blick auf ihr Gemälde erhaschen und schaue nun auf ein abstrakt-expressionistisches Werk voller wirrer Kreise, Linien und deformierter Strukturen, das dann doch eher weniger an Leonardo da Vinci als vielmehr an Jackson Pollock erinnert.
»Kein Porträt?«, frage ich.
»Zu verkrampft«, sagt sie.
»Schade.«
»Ich wollte etwas in Ihnen lesen. Aber da war einfach nichts.«
Und während ich so grolle und an der Sinnhaftigkeit meines Daseins zweifle, mischen sich auch bereits die anderen Gäste ein.
»Ich finde, er hat sich schon Mühe gegeben. Ist doch ein vorzeigbares Kerlchen«, nimmt eine alte Frau mich in Schutz.
»Zu gewollt«, sagt da ein anderer Herr. »Am zwanghaften Bestreben nach Authentizität gescheitert.«
»Klassischer Fall von Selbstüberschätzung, die jegliche Natürlichkeit im Keim erstickt«, höre ich aus der Ferne.
»Ja, das mit der Unterlippe war sein Tiefpunkt.«
Und irgendwie haben sie ja alle recht.
Am Nebentisch hat ein Pärchen scheinbar sein erstes Date. Der übliche Small Talk: Beruf, Hobbys, gemeinsame Freunde, Musikgeschmack. Dann kurzes Schweigen.
Sie: »Viele sagen, ich sei voll die Verrückte!«
Er: »Aha.«
Sie: »Ich habe letzte Woche mal ’ne Diät gemacht und keinen Zucker gegessen. Am dritten Tag bin ich nachts aufgewacht, zum Kühlschrank gegangen und habe zwei Schokoriegel genascht. Richtige Orgie! Meine Freunde sagen immer: Saskia, du bist echt unberechenbar.«
Er: »Einfach nur crazy.«
Sie: »Na ja, ich würde sagen, ein normales ausgeflipptes Mädel mit vielen liebenswerten Macken.«
Er: »Hm.«
Sie: »Manchmal sortiere ich meine Kleidung nach Farben oder zähle beim Treppengehen die Stufen. Fast schon eine Zwangsstörung. Ich glaube, ich bin genau wie Monk.«
Er: »Ich fürchte, du bist leider genau wie du.«
Sie: »Hä?«
Typ steht auf und geht. Hätte ich jetzt auch gemacht.
Dortmund, Eiscafé. Gespräch eines Pärchens am Nachbartisch.
Sie: »Schau mal, das Schild! Da steht: Wir haben einen an der Waffel.«
Er: »Ja, sehe ich.«
Sie: »Einfach herrlich. Muss einem auch erst mal einfallen.«
Er: »Hm.«
Sie: »Verstehst du eh wieder nicht.«
Er: »Find’s nicht lustig.«
Sie: »Das ist doch ein Eiscafé. Und wie wird Eis serviert? Na? Im Hörnchen! Und das besteht aus? Richtig! Einer Waffel.«
Er: »Ja.«
Sie: »Ist halt auch voll selbstironisch. Muss man sich als Geschäft ja auch erst mal trauen. Die sagen damit ja, dass sie nicht ganz richtig im Kopf sind.«
Er: »Weil sie Eis und Waffeln verkaufen?«
Sie: »Geht doch um das Wortspiel. Also, ich find das superwitzig.«
Er: »Ich glaube, ich habe dich nie geliebt.«
Eine kleine Backstube in Dortmund. Zwei Damen (beide ca. 60) stehen hinter dem Tresen und belegen Brötchen …
Ich: »Guten Tag. Ich hätte gerne einen Kaffee zum Mitnehmen.«
Verkäuferin: »Das geht leider nicht. Wir haben neue Pfandbecher, und die werden erst morgen geliefert.«
Ich: »Aber die stehen doch hinter Ihnen im Regal.«
Verkäuferin: »Das sind die pinken. Die für Herren sind aus.«
Ich: »Ich nehme auch pink.«
Verkäuferin (musternd): »Hm …«
Ich: »Wirklich!«
Verkäuferin (musternd): »Die sind schon wirklich arg feminin. Ich mein, Sie tragen ja auch Bart und so.«
Ich: »Ich bin ein Mensch der Kontraste.«
Verkäuferin: »Na, wenn Sie meinen.«
Die Dame füllt den Becher mit frisch gebrühtem Kaffee und reicht ihn mir missmutig über den Tresen. Ihr Blick ist noch immer skeptisch.
Ich: »Sehen Sie! Sieht doch hübsch aus.«
Verkäuferin: »Wo Sie recht haben! Schau mal, Silke! Der Mann hat den pinken Becher.«
Verkäuferin 2: »Steht ihm ganz ausgezeichnet.«
Kundin hinter mir: »Kann er wirklich tragen. Hätte ich jetzt auch nicht gedacht.«
Ich (geschmeichelt): »Vielen Dank, die Damen!«
Verkäuferin 1: »Ist ja eh albern mit diesen Geschlechterklischees. Leben ja nicht mehr in den Sechzigern. Na, dann mal guten Durst!«
Ich: »Tschüss!«
Verkäuferin 2 (leise im Hintergrund): »Hach, einfach nett, diese Schwulen.«
Zwei Freundinnen sitzen am Nebentisch und unterhalten sich angeregt über eine Liebschaft. Nach nunmehr drei Dates mit »Joachim« scheint sich bereits eine Tendenz abzuzeichnen …
»Ach, ich mag ihn. Er ist so angenehm introvertiert.«
»Aha.«
»Du müsstest ihn mal sehen. Er wirkt so verloren in seiner Gedankenwelt, beobachtet erst einmal die Situation und hört genau zu, bevor er etwas sagt. Das macht ihn auch so unfassbar empathisch.«
»Schön.«
»Ihn umgibt so ein geheimnisvoller Zauber. Neulich waren wir mit einigen Freunden essen. Schweigsam und zurückhaltend saß er dann da, nahezu apathisch und schien vollkommen in sich gekehrt.«
»Auch mal schön.«
»Ich glaube, tief in ihm schlummert eine riesige Welt.«
»Vielleicht schlummert da aber auch eine riesige Leere.«
»Hm.«
»Oft sind es die innerlich Toten, die die größte Besonnenheit ausstrahlen.«
»Oh, das hast du aber nett ausgedrückt!«
Am Nebentisch
Mann: »Man darf in diesem Land wirklich nichts mehr sagen.«
Frau: »Was darf man in diesem Land nicht mehr sagen?«
Mann: »Zigeunerschnitzel, Mohrenapotheke …«
Frau: »Aber du hast es doch grad gesagt.«
Mann: »Stimmt.«
[Pause]
Frau: »Und wie fühlte sich das an?«
Mann: »Okay, aber man rechnet jederzeit mit Gegenwind.«
Frau: »Das tut mir leid. Hat dich denn die Nutzung solcher Wörter jemals glücklich gemacht? Hast du im Prozess der aktiven Aussprache auch nur ein einziges Mal gedacht: Ach, herrlich! Wie schön ist es auf der Welt zu sein! Ist das Leben nicht eine einzige Party?«
Mann: »So krass war es eigentlich nie. Aber ich will mich nicht einschränken.«
Frau: »Pust! Pust!«
Mann: »Hä? Was war das?«
Frau: »Gegenwind.«
Im Café, in der Warteschlange vor der Kuchentheke. Vor mir ein junges Pärchen. Beide ca. 20, Händchen haltend und grinsend. Hin und wieder gibt er ihr einen Kuss auf die Wange oder streichelt durch ihr Haar. Sie kichert ununterbrochen. Irgendwann sind sie an der Reihe …
Mitarbeiterin: »Was darf ich euch denn Gutes tun?«
Typ (zu seiner Freundin): »Ich nehme den Käsekuchen. Und du, Schatz?«
Sie: »Ich weiß ja nicht, Schatz. Eigentlich wollte ich den Carrot-Cake. Aber wenn du den Käsekuchen nimmst, nehme ich den auch.«
Typ: »Du kannst ruhig was anderes nehmen, Schatz.«
Sie: »Guck mal, Schatz. Süßkartoffel-Limette sieht auch voll lecker aus.«
Typ: »Dann nimm den doch, Schatz.«
Sie: »Ich weiß ja nicht. Mir ist es egal, Schatz.«
Typ (zur Mitarbeiterin): »Können Sie was empfehlen?«
Mitarbeiterin: »Im Zweifel immer Apfel-Streusel.«
Typ (zu seiner Freundin): »Was meinst du, Schatz? Klingt auch gut.«
Sie: »Ich bin doch gegen Äpfel allergisch, Schatz.«
Typ: »Aber doch nur im Sommer, Schatz. Ist doch ’ne Kreuzallergie.«
Sie: »Wenn du das sagst, Schatz. Dann nehmen wir Apfel-Streusel.«
Typ (zur Mitarbeiterin): »Was ist denn der dunkle da?«
Mitarbeiterin: »Schokolade-Rote Bete.«
Sie: »Klingt fancy. Was meinst du, Schatz?«
Typ: »Oh, Schatz. Schokolade wäre super, aber Rote Bete mag ich eigentlich nicht. Ach, ich bin einfach so unsicher.«
Typ hinter ihnen: »Vorschlag von mir: Ihr nehmt jetzt einfach alles, ich zahl den Scheiß und dafür haltet ihr beide euer Maul.«
[Die gesamte Schlange applaudiert.]
Typ: »Meinen Sie uns?«
Alle: »Ja, Schatz.«
Aufgeschnappter Gesprächsfetzen am Nebentisch …
Frau 1: »Ich wohn jetzt in Wuppertal!«
Frau 2: »Was willst du denn da?«
Frau 1: »Ist doch ganz nett.«
[Pause]
Frau 2: »Na ja, das Leben ist kein Ponykonzert.«
Eine Frau (ca. 40) sitzt alleine im Café und scheint zu warten. Eine weitere Person nähert sich ihrem Tisch.
Typ: »Entschuldigung! Bist du Svenja? Ich glaube, wir haben ein Date.«
Sie: »Das ist richtig. Aber du siehst leider nicht ansatzweise so aus wie auf deinen Tinder-Fotos.«
Typ: »Spielt das denn eine Rolle?«
Sie: »Du bist vierzehn.«
Typ: »Seh ich ein. Tschüss.«
Dialog eines Pärchens
Mann: »Der moderne Feminismus ist mir zu forsch.«
Sie: »Aha.«
Mann: »Gesellschaftliche Strukturen kann man auch im freundlichen Ton anprangern.«
Sie: »Durch Yoga und Sitzstreiks?«
Mann: »Ne, durch Dialog auf Augenhöhe. Jedenfalls nicht so radikal.«
Sie: »Müssen Revolutionen nicht immer radikal sein?«
Mann: »Ja, aber nur wenn es um was Wichtiges geht!«
Typ aus dem Hintergrund: »Puh!«
Im Café, zwei Frauen sitzen an einem Tisch. Ein Mann kommt hinzu …
Mann: »Entschuldigen Sie, es gibt leider keine freien Tische mehr. Dürfte ich mich bei Ihnen dazusetzen?«
Frau 1: »Klar, kein Problem.«
Mann: »Tun Sie bitte einfach so, als wäre ich nicht da. Ich werde hier schweigend dasitzen, meinen Eistee schlürfen und ganz bewusst an Ihrem Gespräch vorbeihören.«
Frau 2: »Okay.«
Mann: »Vollkommen passiv!«
[Pause]
Mann: »Wenn sich allerdings Gesprächslücken auftun sollten, können Sie mich jederzeit ansprechen und in die Konversation miteinbeziehen.«
Frau 2: »Gut zu wissen.«
Mann: »Also, ich bin der Jürgen, zweiundvierzig Jahre alt, und falls Sie Fragen zu Bluesrock oder antiquarischen Möbeln haben: einfach anquatschen.«
Frau 1: »Hm.«
Mann: »Gibt ja nichts Schlimmeres als fremde Leute, die sich aufdrängen.«
Frau 2: »Hm.«
Mann: »Also, wie gesagt: vollkommen passiv!«
Frau 1: »Klasse.«
Mann: »Ach, das ist aber auch ein herrliches Wetterchen heute!«
Eine Bäckerei am Hauptbahnhof, die Verkäuferin (ca. 45) lächelt mich an.
Ich: »Guten Morgen. Zwei Franzbrötchen, bitte.«
Verkäuferin: »Probieren Sie doch mal unsere neuen Dinkelhörnchen. Die rasieren im Moment alles.«
Ich: »Wie meinen?«
Verkäuferin: »Schmecken super.«
Habe nun einige Fragen:
a) Habe ich mit zarten vierunddreißig Jahren bereits den sprachlichen Anschluss an die Jugend verloren? Und mit Jugend meine ich fünfundvierzigjährige Bäckerei-Fachangestellte.
b) Eine Backware sollte meiner Meinung nach stupide vor sich hin existieren, um dann bei Bedarf grundsolide abzuliefern. Die muss jetzt weder ballern, rocken noch abfetzen. Kann man das Wort »rasieren« also unpassender anwenden, oder ist meine Erwartungshaltung an ein Dinkelhörnchen schlichtweg zu anspruchslos?
c) Wenn nun bereits ein durchschnittliches Bäckereiprodukt solche Begeisterungsstürme entfachen kann, was muss für diese Frau dann noch alles rasieren? Riesterrente? Jagdwurst? Der Habitus von Günther Jauch?
d) Kann man so eine Rasur überhaupt noch steigern? »Du Erika, hast du schon das neue Album von Helene Fischer gehört? Epiliert alles!« »Ne, habe ich nicht. Aber schau mal, mein neuer Stabmixer! Absolute Zerfickung!«
Ich bin angemessen verwirrt, erfreue mich aber meines grundsoliden Franzbrötchens und hoffe, dass diese kleine Geschichte hier ordentlich was wegrasiert.
Beim Bahnhofsbäcker hat eine Frau soeben ein überbackenes Käsebrötchen gekauft, daraufhin behutsam den überstehenden goldgelb schimmernden Randkrustenkäse abgebrochen und ihrem Mann mit den Worten »Hier, Erich! Den magst du doch so gerne« überlassen.
Mein erster Gedanke: Erich, du verdammter Glückspilz, hast da die beste Frau auf Erden gefunden. Ich war noch nie in meinem Leben so eifersüchtig.
Mein zweiter Gedanke: Ne, was ist das schön. Drollig nahezu. Diese aufopfernde Selbstlosigkeit. Vermutlich muss ich meinen Zweifel an der Existenz von Engeln überdenken. Wahre Liebe, es gibt sie wirklich! Gott, ist das alles kitschig!
Mein dritter Gedanke: Menschen, die ihren Käsebrötchenrandkrustenkäse verschenken, haben das Leben nie geliebt. Was ’ne bemitleidenswerte Hohlnudel! Diese Frau hat sich längst aufgegeben.
Oft werde ich gefragt: »Paddel, du quietschfidele Gazelle, woher nimmt so ein wuseliger High-Performer die ganze Energy? Wie findest du bei all dem Druck und Struggle eigentlich immer deine innere Mitte? Woher die Ausgeglichenheit?« Nun, ich wüsste das ehrlich gesagt auch gerne, denn die Wahrheit ist – ich bin tierisch gestresst.
Eine alte Weisheit besagt: Die größten Tragödien im Leben beginnen damit, dass man morgens aufsteht und sich eine Hose anzieht. Das kann doch kein Zufall sein. Beobachten Sie das mal! Schulabbruch, Scheidungen, Kündigungen, Burn-out – immer hat man dabei eine Hose an. Selten hört man von schlafenden Menschen ohne Hose, die irgendwelche Sorgen und Probleme haben. Gut, manche sterben im Schlaf, aber das ist ja dann auch wieder schön. Menschen mit Hose handeln meist aus purem Aktionismus und entwickeln völlig unangebrachte Formen von Ehrgeiz. Ich sag ja immer: Erwartungen sind die Grundlage jeder Enttäuschung.