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Mit der Weisheit des Poeten, des wahren Erforschers der menschlichen Natur, erkennt der Kabarettist und Poetry Slammer Salmen: Genauer betrachtet sind Menschen auch nur Leute. Über 1,9 Millionen Menschen haben sich allein auf YouTube Patrick Salmens Liebeserklärung an den Bart (›rostrotkupferbraunfastbronze‹) angeschaut. Warum? Weil er den Wahnwitz des Alltags staubtrocken auf den Punkt bringt. Weil er die tränentreibende Komik in so absurden Dingen wie Jochen-Schweizer-Erlebnisgutscheinen und selbstgebastelten Fotokollagen entlarvt. Weil er uns eine menschliche Menagerie aus sarkastischen Rentnern, scharfzüngigen Kellnern und zynischen Postboten vorführt wie ein Zoologe – mit wissenschaftlichem Interesse und höchstens einem ganz leisen Staunen. Unterhaltsame Kurzgeschichten und Anekdoten über den Wahnsinn des Alltags und die kuriosesten Weltbeobachtungen.
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Seitenzahl: 196
Patrick Salmen
Genauer betrachtet sind Menschen auch nur Leute
Geschichten
Knaur e-books
Über 2 Millionen Menschen haben sich allein auf YouTube Patrick Salmens Liebeserklärung an den Bart (›rostrotkupferbraunfastbronze‹) angeschaut. Warum? Weil er den Wahnwitz des Alltags staubtrocken auf den Punkt bringt. Weil er die tränentreibende Komik in so absurden Dingen wie Jochen-Schweizer-Erlebnisgutscheinen und selbstgebastelten Fotocollagen entlarvt. Weil er uns eine menschliche Menagerie aus sarkastischen Rentnern, scharfzüngigen Kellnern und zynischen Postboten vorführt wie ein Zoologe – mit wissenschaftlichem Interesse und höchstens einem ganz leisen Staunen. Mit der Weisheit des Poeten, des wahren Erforschers der menschlichen Natur, erkennt der Kabarettist und Poetry Slammer Salmen: Genauer betrachtet sind Menschen auch nur Leute.
»Eine mir unbekannte Frau erzählte mir neulich im Zug, sie beobachte gerne die Leute. Ich sagte, ich auch. Daraufhin musterten wir uns stumm.«
Claudia Vamvas
Im Takt des Schienenratterns vibriert mein Kopf an der Scheibe des Zugs. Draußen zieht die Welt wie ein Schmalspurfilm an mir vorbei. Irgendwo im Abteil schreit ein Kind. Die Mutter nimmt es in den Arm, wiegt es achtsam hin und her und versucht, es zu beruhigen. Das Kind schreit weiter. Wohin man schaut, alle blicken die junge Mutter an, als würde sie Satan persönlich in ihren Armen halten. Ein einziges Raunen und Murmeln. »Schlimm ist das.« »Nicht einmal in Ruhe lesen kann man hier noch.«
Der Mann, der sich noch vor wenigen Sekunden beschwert hat, fängt an zu telefonieren. Laut. Sehr laut. Ungefähr so laut, wie mein Vater spricht, wenn er jemanden im Nachbardorf anruft und dabei so klingt, als müsse er durch ein Dosentelefon mit einem willkürlichen Menschen im Senegal kommunizieren – einem Senegalesen ohne Ohren.
Die Frau des brüllenden Herren scheint derweil eine SMS zu schreiben. Ich interpretiere die piepsenden Tastentöne als würdigende Hommage an die späten Neunziger. Verblendete Nostalgie. Auch sie schimpft über die lauten Kindergeräusche und wirkt leicht verbittert.
Engstirnigkeit und Intoleranz gegenüber Kindern scheinen ein ziemliches Problem in diesen Zeiten zu werden. Wo Kinder auch auftauchen – überall Kopfschütteln und Naserümpfen.
Ich mein, bei Jugendlichen könnte ich es verstehen. Teenager sind grausam. Hätte ich beruflich mit Jugendlichen zu tun – das würde nicht gutgehen. Vermutlich wäre ich der unmotivierteste Streetworker aller Zeiten. Ständig würde ich Dinge sagen wie: »Ja, spring doch«, »Jetzt lohnt sich dein falscher Ehrgeiz auch nicht mehr« oder »Gib dich endlich auf und nimm Drogen«. Kinder hingegen sind super. Zwar etwas dumm, aber süß. Meistens.
Eine kurze Durchsage: »In etwa zwanzig Minuten erreichen wir unseren nächsten Halt – Magdeburg Hauptbahnhof.«
Die schwäbische Nordic-Walking-Reisegruppe steht auf. Denn in fünfzehn Minuten könnte es längst zu spät sein. Der Werbeslogan damals auf der Autobahn hatte recht, denke ich: »Sachsen-Anhalt – Land der Frühaufsteher«. Dass Menschen in Zügen oftmals bereits eine halbe Stunde vor Zielankunft aufstehen und sich hordenweise in den Gängen zusammenquetschen, ist ein seltsames Phänomen. Wenn man das auf die Fahrzeiten von städtischen Bussen übertragen würde, würden sich Menschen dort gar nicht mehr hinsetzen.
Fest steht: In Zügen fühle ich mich manchmal wie ein Ornithologe. Wohin man schaut – überall Vögel.
Wenige Sekunden später. Als ich gerade in einen Tiefschlaf zu sinken drohe, tippt die junge Mutter mir auf die Schulter: »Können Sie kurz auf mein Kind aufpassen? Ich muss nur mal eben auf die Toilette.«
»Aber sicher.«
Die Mutter nickt mir dankbar zu. »Es ist auch wirklich ganz lieb.«
Schon lustig, denke ich, dass man das bei Babys so sagt – »es«. Als würde mir Stephen King persönlich eine garstige Kreatur überreichen.
»Wirklich kein Problem. Wir kommen hier schon zurecht.«
Die Mutter lächelt. »Vielen Dank. Es fremdelt auch nicht.«
Da ist es einigen Menschen in Deutschland auf gesellschaftspolitischer Ebene meilenweit voraus, denke ich. Klasse.
»Ich beeile mich. Bis gleich.«
Ich nehme das Kind auf den Schoß und begutachte es. Zunächst wohlwollend, dann zunehmend kritisch. Für Außenstehende sieht es wahrscheinlich so aus, als würde ein Stiftung-Warentest-Prüfer einen CD-Spieler begutachten. Fazit: Es ist kaputt. Das Kind schreit schon wieder und findet zunehmend Interesse daran, mit seinen Händen – oder vielmehr Tatzen – Dinge in meinem Bart zu verstecken, als wäre er ein Topf voller Blumenerde. Ich fühle mich benutzt.
Nach einer Weile beginne ich, das Kind etwas unbedarft hin- und herzuwiegen, bis es schließlich einschläft.
Zwei Stunden später: Von der Mutter noch immer keine Spur. Ratlos blicke ich mich um. Ich schätze, ich bin nun Vater.
Diesen Prozess habe ich mir wesentlich komplizierter vorgestellt. Ich kenne die Frau nicht, aber man hätte doch zumindest mal essen gehen können. Ein kurzes Gespräch. Bisschen Knutschen. Aber so geht’s anscheinend auch.
Eigentlich kann ich mich glücklich schätzen. Kinder und andere Halbwesen gehören schließlich zu den wenigen Dingen, die man noch nicht bei Amazon bestellen kann. Wobei mich schon interessieren würde, was die Nachbarn denken würden, wenn sie mal wieder mein Paket annehmen müssten und ständig wirre Geräusche aus dem Karton dringen würden.
Ich sehe das Kind an: »Bist du Mogli?«
Das Kind rülpst.
»Ob du Mogli bist, hab ich dich gefragt. Du weißt es noch nicht, aber ich werde dich die Sprache der Wölfe lehren.«
Das Kind pupst.
Es scheint in seiner Kommunikation deutlich beschränkt zu sein. Wir sind uns sehr ähnlich, denke ich. Ein leicht säuerlicher Geruch liegt in der Luft.
»Es stinkt ungeheuerlich«, höre ich von nebenan. Genauer gesagt von einem Mann, der soeben einen gefühlten Zentner Pressfleisch in Form von Bifis und eingeschweißten Mettenden verschlungen hat.
»Das ist Rache, du Arschloch«, antworte ich. Dieses Kind gefällt mir.
»Sie müssen die Windeln wechseln.«
Das ist jetzt viel erwartet von einem Mann, der bereits jeden Morgen daran scheitert, sich selbst im Stehen eine Hose anzuziehen.
Ich beschließe, das zu tun, was ich mit Problemen immer mache, wenn ich mich überfordert fühle. Weiterreichen. »Hier, machen Sie mal«, sage ich.
Mein Sitznachbar sieht mich an, als hätte ich ihm eine tote Katze hingehalten. »Auf keinen Fall. Das ist Ihr Sohn.«
Wo er recht hat, hat er recht. Ich muss das hier selbst hinbekommen. Erst vor einigen Monaten habe ich die Reifen an meinem Wagen gewechselt. Viel schwieriger kann das hier auch nicht sein. »Hat hier mal jemand Hebebühne und Radkreuz dabei?«
»Geben Sie schon her. Es tut mir wirklich leid.« Vor mir steht die junge Mutter. »Ich habe eine alte Bekannte getroffen und mich festgequatscht. Hatten Sie wenigstens etwas Spaß?«
Ich nicke.
Die Mutter wirkt sehr glücklich. »Das mit den Windeln übernehme ich jetzt wieder«, sagt sie.
Ich nicke erneut.
»Dann geben Sie mir den Kleinen mal her.«
Ich höre auf zu nicken.
»Wer sind Sie?«, frage ich.
Dann brülle ich: »Diese Frau möchte mir mein Kind wegnehmen!«
Niemand hilft mir.
Ich brülle lauter: »Ich habe diesen Jungen geliebt!«
Die anderen Fahrgäste schütteln verständnislos den Kopf. Das Kind hingegen scheint unbekümmert. Es rülpst und pupst erneut.
»Sehen Sie«, brülle ich erneut, »das ist die Sprache der Wölfe! Mogli und ich, wir waren füreinander bestimmt.«
Die Mutter lächelt noch immer. Sie scheint amüsiert. »Was halten Sie davon, wenn wir mal einen Kaffee trinken gehen? Sie könnten mein Kind dann vielleicht öfter sehen.«
Ich begutachte die Frau und wirke wohl erneut wie ein etwas verwirrter Sachverständiger. Fazit: Sie ist schön. Wunderschön. Und sie trägt das schönste Lächeln, das ein Mensch jemals erblickt hat.
»Und? Haben wir ein Date?«, fragt sie.
»Das«, sage ich, »ist ein billiger Trick. Ein entwaffnendes Angebot, mit dem Sie mich besänftigen und meinen Schmerz lindern wollen. Das wissen wir beide. Sie werden mich verführen, wir werden uns lieben, und ich werde morgens aufwachen und mich benutzt fühlen. Ich prangere das an. Aber ich willige ein. Für Mogli.«
Das Kind pupst erneut, lächelt mich an, und in diesem Moment wirkt es, als wäre es wahnsinnig stolz auf mich.
Ein kleines rustikales Hotel in Klagenfurt. An der Rezeption sitzt eine ältere Dame und liest die Tageszeitung.
Ich: »Entschuldigung, dürfte ich bitte das WLAN-Kennwort haben?«
Sie: »Was für ein Ding?«
Ich: »Ich müsste mal kurz ins Internet.«
Sie: »Oh, der feine Herr. Sie kommen wohl aus der Großstadt.«
Ich: »Tut mir leid.«
Sie: »Sind Sie ein Hacker? Mein Enkel macht so etwas auch.«
Ich: »So in der Art. Ich müsste kurz meine Mails lesen.«
Sie: »Am heiligen Sonntag? Wo kommen wir denn da hin? Ich mach uns zwei Hübschen jetzt mal einen Kaffee, und dann sehen wir weiter. Internet gibt’s hier jedenfalls nicht. Aber wenn ich Sie für eine Runde Mau-Mau begeistern könnte?«
Ich: »Wenn Sie Zeit haben …«
Sie: »Sehen Sie sich mal um. Sie sind der einzige Gast. Natürlich habe ich Zeit.«
Eine Stunde und ca. zwanzig Partien Mau-Mau später.
Sie: »So, ich gebe Ihnen jetzt mal das WLAN-Passwort.«
Ich: »Jetzt also doch?«
Sie: »Sie sind hier in Kärnten und nicht auf dem Mond. Ich hätte es Ihnen auch früher gesagt, aber dann hätten Sie wohl kaum mit mir Mau-Mau gespielt. Ich muss auch sehen, wie ich den Tag rumbekomme.«
Ich: »Sie sind ein Fuchs. Morgen um die gleiche Zeit?«
Sie: »Wenn Sie bis dahin ein bisschen üben. Ich hatte schon bessere Gegner.«
Seit einiger Zeit erfreue ich mich an der Tatsache, Patenonkel zu sein, und muss festhalten, dass mein Schützling mein Leben sehr bereichert. Der Humor dieses überaus amüsanten Wesens lässt sich in folgenden Szenen recht anschaulich beschreiben …
Erster Weihnachtstag. Ich sitze im Kinderzimmer meines vierjährigen Patenkinds auf dem Boden. Nachdem mein vorgeschlagenes Spiel – der allseits beliebte Klassiker »Wer länger schläft und den anderen dabei nicht weckt, hat gewonnen« – gnadenlos vom Komitee abgeschmettert wurde, scheint erste Langeweile aufzukommen …
Patenkind: »Patrick, spielst du mit mir Verstecken?«
Ich: »Na klar doch.«
Patenkind: »Ich zähle bis zehn, und du versteckst dich unter dem Tisch.«
Ich: »Nun, mir scheint, du hast die wesentliche Philosophie dieses Spiels noch nicht so recht verstanden.«
Patenkind: »Hm?«
Ich: »Du darfst doch nicht wissen, wo ich mich verstecke. Damit du mich dann suchen kannst. Sonst ist es doch viel zu einfach.«
Patenkind (schaut verwirrt): »Verstehe.«
Ich: »Hast du Bedenken?«
Patenkind: »Das ist mir jetzt zu blöd.«
Aus Gründen der Deeskalation habe ich mich dann doch noch unter dem Tisch versteckt. Nach geschätzten 0,37 Sekunden wurde ich gefunden. Es war für alle Beteiligten ein großer Spaß.
Die neuste Innovation von meinem Patenkind ist ein Spiel namens »Du bist …«. Es geht so:
Patenkind: »Du bist ein Apfel.«
Ich: »Du bist ein Stuhl.«
Das Kind lacht zehn Minuten, weil es sich vorstellt, ein Stuhl zu sein.
Patenkind: »Du bist eine Wiese.«
Ich: »Du bist ein Staubsauger.«
Das Kind lacht zehn Minuten, weil es sich vorstellt, ein Staubsauger zu sein.
Patenkind: »Du bist ein Stinkepups.«
Ich: »Du bist eine Tüte.«
Das Kind lacht zehn Minuten, weil …
Wir haben mit diesem Spiel vor drei Stunden angefangen. Der deutsche Nomenbestand ist so gut wie erschöpft. Mittlerweile scharen sich Nachbarn und Familienangehörige um uns, weil sie wissen wollen, wie es weitergeht. Auch mich hält es hier vor lauter Stimmung kaum noch im Sessel. Mein Leben ist so aufregend.
Ein persönlicher Haushaltstipp an alle Eltern, dargestellt anhand eines kurzen Dialogs:
Ich: »Komm, wir spielen Spülmonster.«
Patenkind: »Wie geht das?«
Ich: »Du musst spülen.«
Patenkind: »Und?«
Ich: »Na ja, du bist dabei halt ein Monster.«
Patenkind: »Jaaaaaa!«
Nun spült das Kind seit einer halben Stunde. Manchmal faucht und zischt es dabei. Funktioniert übrigens auch mit dem Rasenmähmonster, dem Staubsaugmonster und dem Mal-eben-feucht-durch-den-Flur-Wisch-Monster. Nennen Sie mich Pädagoge des Jahres.
Ich erzähle der Familie am Esstisch von Berichten über zunehmende Kinderverbote in einigen Restaurants und der damit einhergehenden Empörung in der Bevölkerung. Das Patenkind scheint die Unterhaltung die gesamte Zeit über belauscht zu haben.
»Kommt mal mit in mein Zimmer«, sagt es.
Gemeinsam gehen wir hoch. In seinem Zimmer zeigt es auf einen gelben Miniatur-Esstisch, an dem jüngst hin und wieder zu kleineren Teegesellschaften geladen wurde, und sagt: »Hier dürfen ab jetzt auch keine blöden Restoronk-Menschen sitzen. Ätsch!«
Manchmal beneide ich dieses Kind um seine Schlagfertigkeit.
Patenkind: »Ich habe dir ein Bild gemalt. Du kannst es haben.«
Ich: »Oh, danke. Das ist aber lieb von dir.«
Patenkind: »Es kostet tausend Euro.«
Ich: »Das ist aber teuer. Letztes Jahr hast du mir deine Bilder doch noch geschenkt.«
Patenkind: »Da war ich ja auch noch keine berühmte Künstlerin.«
Da kann man sagen, was man möchte. Das Marktwertsystem hat das Kind jedenfalls sehr früh verstanden.
PS: Da ich keine tausend Euro dabei hatte, hat das Kind mir den Betrag aus seiner Kaufladenkasse geliehen. Ich bin nun ein verschuldeter Mann.
Patenkind: »Patrick, warum muss mein Papa immer zur Arbeit und du nicht?«
Ich: »Ich arbeite auch. Man sieht das nur nicht so.«
Patenkind: »Wie ein Gespenst?«
Ich: »Kann man so sagen. Ich bin selbständig und kann von zu Hause aus arbeiten.«
Patenkind: »Ist selbständig das Gleiche wie faul?«
Ich: »Bleiben wir bei Gespenst.«
Dieses Kind macht mich fertig.
Kellner: »Zwölf Euro, bitte.«
Gast (legt einen Zehneuroschein auf den Tisch): »Stimmt so.«
Kellner: »Das ist witzig.«
Gast: »Finden Sie wirklich?«
Kellner: »In der Tat. Denn Sie haben weniger Geld hingelegt, als Sie bezahlen müssten, was mich annehmen lassen könnte, Sie würden noch einmal in Ihre Geldbörse langen, um nach dem Restbetrag zu suchen. Tun Sie aber dann nicht, sondern brechen mit meiner von Ihnen vortrefflich antizipierten Erwartungshaltung, indem Sie den bereits auf dem Tisch plazierten Zehneuroschein selbstbewusst als angemessene Bezahlung inklusive eines vermeintlich üppigen Trinkgelds anpreisen, was ich mit Verlaub als eine sehr gelungene Pointe bezeichnen würde. Ich möchte gar von einem kessen Scherz sprechen. Da haben Sie mich aber ordentlich aufs Glatteis geführt, Sie Schelm. Den muss ich mir merken und all meinen Kollegen erzählen. Einfach genial.«
Gast: »Finden Sie wirklich?«
Kellner: »Nein.«
Gast: »Wie jetzt?«
Kellner: »Das höre ich jeden Tag ungefähr zwanzig Mal. Aber Sie haben es ja nur gut gemeint.«
Gast (bedröppelt): »Schade. Sie klangen so begeistert.«
Kellner: »Nehmen Sie es sich nicht so zu Herzen. Möchten Sie noch einen Espresso aufs Haus?«
Gast: »Nein danke. Da oben wird es mir zu windig sein.«
Kellner: »Der war jetzt wirklich gut.«
Gast (erfreut): »Ach, tatsächlich?«
Kellner: »Nein! Na ja, so mittel. Weil Sie es sind.«
Gast: »Grmpf.«
Ein junger Mann sitzt in einem italienischen Restaurant, die Kellnerin kommt zum Tisch, begrüßt ihren Gast und zündet die Kerze an.
Gast: »Jetzt geht mir aber ein Licht auf.«
Wenige Sekunden später:
Gast: »Hey! Warum verprügeln Sie mich mit dieser riesigen Pfeffermühle?«
Kellnerin: »Ich denke, das wissen Sie selbst am besten.«
Sonntagmorgen, 8:00 Uhr. Wie immer der verwirrte Blick der Freundin, wenn ich mich noch schlafend stelle, klammheimlich warte, bis sie aufwacht, und dann leise vor mich hin murmele: »Jochen, du geiler Schlingel. Was machst du denn da wieder Unartiges?«
»Ich hasse deinen Humor«, sagt sie.
»Da bist du nicht die Einzige«, entgegne ich.
»Irgendwann leg ich dir hier wirklich einen Jochen hin, und dann will ich mal sehen, wie du guckst. Und jetzt lass mich in Ruhe. Ich möchte noch dösen.«
Ich schlendere in die Küche, um Kaffee zu kochen. Im Flur werfe ich einen kurzen Blick in den Spiegel. Ein trostloser Anblick. Irgendwann möchte ich so sein wie die Familienväter in den Tchibo-Prospekten – mit goldbraun wallendem Haar, langen Unterhosen, einem karierten Schlafanzug und einer verkackten Funkwetterstation am Fenster. Einer dieser perfekten Menschen, die morgens mit ihrem Golden Retriever zum Bäcker joggen und durch die allgemeine Tchiboisierung ihres Lebens den ganzen Tag gut gelaunt sind. Die Realität jedoch: ernüchternd.
In der Küche angekommen, blicke ich auf mein Smartphone. In der Facebook-Timeline sehe ich, dass meine Freundin auf einem Foto markiert wurde. Darunter der Eintrag: #Lieblingsmensch. Lieblingsmensch am Arsch, denke ich mir. Im Radio läuft derweil einer dieser monotonen Gute-Laune-Popsongs. Ich bin drauf und dran, das Radio aus dem Fenster zu schmeißen, einfach um es dann wieder hochzuholen und es noch mal aus dem Fenster zu schmeißen. So genervt war ich seit der Seitenbacher-Müsli-Werbung nicht mehr. Ich bin kurz davor, rauszugehen und einfach alle zu töten. Die Hymne eines Amoklaufs.
Verwirrt blicke ich erneut auf das Smartphone.
Lieblingsmensch, was soll das sein? Ist das wie mit den Poesiealben von früher? Da konnte man sich als wortverliebter Knabe ja immer kreativ austoben:
Lieblingstier: Perlgrasfalter
Lieblingsfarbe: Burgunderrot und Herbstzeitlosenviolett
Lieblingsmensch: Jochen!
Das klingt doch scheiße.
Ich gehe ins Schlafzimmer und versuche, die Freundin zu wecken: »Hallo, Lieblingsmensch.«
»Wat willste?«, fragt sie etwas schroff.
Ich denke an den Song aus dem Radio. »Bei dir kann ich so sein, wie ich bin. Und das ist toll. Denn sonst wäre ich ja jemand anderes. Sami Slimani zum Beispiel, und dann würde ich grenzdebil vor mich hin grinsen.
»Ich finde gut, dass du du bist«, sagt die Freundin.
»Echt?«
»Ja, du könntest auch George Clooney sein. Mein Leben mit dir wäre perfekt. Aber wer will das schon? So ein perfektes Leben. Es ist der Makel, der uns interessant macht. Und du bist sehr interessant. Halt was Besonderes.«
»Das hat meine Lehrerin auch gesagt«, erinnere ich mich.
»Sie hatte recht. Du bist wirklich besonders. Und jetzt lass mich noch etwas schlafen, du Pappnase.«
»Du bist echt total romantisch«, seufze ich.
Auf dem Weg zurück in die Küche denke ich an die Karte, die sie mir zum Valentinstag geschenkt hat: »Bleib immer wie du bist auf dem Weg, dich zu verbessern.« Es ist schön, wenn man jemanden hat, der an einen glaubt. Das muss Liebe sein.
Dieser seltsame Song läuft noch immer. Ich würde gerne mitsingen, aber es könnte ja theoretisch sein, dass die Interpretin keinen Humor versteht. Nicht auszumalen, wenn sie zufälligerweise vor meinem Fenster stehen und meiner sonoren Stimme lauschen würde. Womöglich riefe sie mir zu, dass ich grobschlächtiger Banause ihre wunderschönen und klug gereimten Liedzeilen nicht nachsingen solle. Schockschwerenot! Nicht auszudenken. Aber das ist äußerst unwahrscheinlich. Warum sollte sie vor meinem Fenster stehen?
Ich sehe hinaus auf die Straße. Da steht sie tatsächlich. Das gibt es doch nicht. Freundlich winke ich ihr zu. Keine Reaktion. Vielleicht ist es nur eine morgendliche Halluzination oder eine Fata Morgana? Ich brauche Kaffee. Dringend.
Das Wort Lieblingsmensch geht mir nicht aus dem Kopf. Es entbehrt jeglicher Klangästhetik. Außerdem reimt sich nichts auf Mensch. Warum gibt es auf so viele bedeutsame Wörter keinen Reim? Ich denke an ein Gedicht, das ich mir im zarten Alter von neun Jahren auf diversen Autobahnfahrten als Merkhilfe ausgedacht habe:
Auf der A1 mit Onkel Heinz
Auf der A2 ein faules Ei
Auf der A3 noch ein faules Ei
Auf der A4 ein kühles Bier
Auf der A5 ... Verdammt!
Nichts reimt sich auf fünf. Auf der A5 strick’ ich schöne Strümpf? Nein, das klingt scheiße. Gut, es ist nur eine Zahl, aber für die bedeutsame Bezeichnung von humanen Lebewesen müsste es doch einen Reim geben. Hat selbst Goethe nicht hinbekommen. »Hallo, ich bin ein Mensch. Meine Jacke ist von Bench.« Das ist doch nichts für Faust.
Ich werde gleich wahnsinnig, dabei wollte ich doch nur Kaffee kochen. Dieses Lied in seiner bräsigen Dudeligkeit erinnert mich außerdem an frühere Familiengeburtstage, bei denen immer irgendjemand aus der Verwandtschaft selbstgeschriebene Gedichte vortrug.
Meine Nichte zum Beispiel. Perlen der Lyrik wie:
Bleib immer gesund.
Das freut alle.
Auch den Hund.
»Papa hat überhaupt keinen Hund«, schimpfte ich damals. »Und wenn er einen hätte, wäre es der devoten Töle egal, wie es Papa geht. Du hast wohl zu oft Hachiku gesehen. Das Leben ist kein Richard-Gere-Film. Merk dir das. Fressen, kacken, Gassi gehen. Darum geht’s.«
Meine kleine Nichte fing an zu weinen.
»Das hat sie doch prima gereimt. Das Kind ist vier Jahre alt«, schluchzte Oma.
»Das ist keine Entschuldigung für Scheißlyrik«, brüllte ich. »Gesund auf Hund. Ich glaub, es hackt!«
»Egal, der Reim ist fett«, sagte Oma und fuhr auf ihrem Longboard davon.