4,99 €
Niedrigster Preis in 30 Tagen: 4,99 €
In humorvollen Kurzgeschichten staunt der Autor und Bühnenpoet Patrick Salmen über den Irrsinn dieser Welt. Doch statt sich in den Abgründen des Zynismus zu verlieren, macht er sich auf die Suche nach seinem positivsten Ich. "Hallo, ihr süßen Mausepüpse. Grumpy Pat ist tot! Mein neues Mindset lautet: Good Vibes Only! Nur wer gelernt hat, sich selbst zu lieben, ist fähig, die gesamte Welt zu lieben. Heute ist der erste Tag vom Rest meines Lebens. Blaubeer-Porridge mit Kokoswasser, Hygge-Lifestyle und ein willkürliches Buch mit dem Wort Achtsamkeit im Titel haben mein Gemüt verändert. Schon bald pfeife ich beim Joggen und umarme fremde Menschen. Ich bin der Sonnenschein, der den Morgentau der Frühlingswiese küsst, die menschgewordene Kaschmirdecke im Tiny House, der Selfcare-Coach der Herzen! Menschen? Ich sage JA!" Patrick Salmens staubtrockener Humor ist ebenso legendär wie seine Liebeserklärung an die Bärte dieser Welt. Die Absurditäten unseres Alltags entlarvt der Comedian und Kabarettist auch in folgenden satirischen Kurzgeschichten-Sammlungen: - Ich habe eine Axt - Genauer betrachtet sind Menschen auch nur Leute - Treffen sich zwei Träume. Beide platzen. - Ekstase – ist doch auch mal ganz schön
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 165
Patrick Salmen
Knaur eBooks
In humorvollen Kurzgeschichten staunt der Autor und Bühnenpoet Patrick Salmen über den Irrsinn dieser Welt. Doch statt sich in den Abgründen des Zynismus zu verlieren, macht er sich auf die Suche nach seinem positivsten Ich.
»Hallo, ihr süßen Mausepüpse. Grumpy Pat ist tot! Mein neues Mindset lautet: Good Vibes Only! Nur wer gelernt hat, sich selbst zu lieben, ist fähig, die gesamte Welt zu lieben. Heute ist der erste Tag vom Rest meines Lebens. Blaubeer-Porridge mit Kokoswasser, Hygge-Lifestyle und ein willkürliches Buch mit dem Wort Achtsamkeit im Titel haben mein Gemüt verändert. Schon bald pfeife ich beim Joggen und umarme fremde Menschen. Ich bin der Sonnenschein, der den Morgentau der Frühlingswiese küsst, die menschgewordene Kaschmirdecke im Tiny House, der Selfcare-Coach der Herzen! Menschen? Ich sage JA!«
Patrick Salmens staubtrockener Humor ist ebenso legendär wie seine Liebeserklärung an die Bärte dieser Welt. Die Absurditäten unseres Alltags entlarvt der Comedian und Kabarettist auch in folgenden satirischen Kurzgeschichten-Sammlungen:
Ich habe eine Axt
Genauer betrachtet sind Menschen auch nur Leute
Treffen sich zwei Träume. Beide platzen.
Ekstase – ist doch auch mal ganz schön
Motto
Vorwort
Weberknecht im Weißweinschörlchen
Cremige Dialoge im Café I
1. Kapitel
2. Kapitel
3. Kapitel
4. Kapitel
5. Kapitel
Volker und die Wokeness
Deutschland, deine Wohnzimmer
Auswege aus der Achtsamkeit
Mein Dankbarkeitstagebuch I
Cremige Dialoge im Café II
1. Kapitel
2. Kapitel
3. Kapitel
4. Kapitel
5. Kapitel
Der Flügelschlag des Triceratops
Realistische Namen für Kindergärten
Resignierstunde
Ach, diese Luft!
Kleinstadthelden
Wenn Küchengeräte Büroangestellte wären – eine Typologie
Cremige Dialoge im Café III
1. Kapitel
2. Kapitel
3. Kapitel
4. Kapitel
5. Kapitel
6. Kapitel
Einfach authentisch!
Fragmente in Fleece
Mein Dankbarkeitstagebuch II
Günther
Prekariat und Elite
Cremige Dialoge im Café IV
1. Kapitel
2. Kapitel
3. Kapitel
4. Kapitel
5. Kapitel
Das neue Glück im Tiny House
Es lebe der Fahrstuhljazz!
Bad Verse Battle
Das große Achtsamkeitsquiz
Danksagung
Leseprobe »Ekstase – ist doch auch mal ganz schön«
»Es sind die Begegnungen mit Menschen, die das Leben lebenswert machen.«
Guy de Maupassant
»Es sind die Begegnungen mit Wandtattoo-Zitaten, die das Leben so qualvoll machen.«
Ich
»Live, Love, Laugh«
geschwätzige Fußmatte vor einer willkürlichen Doppelhaushälfte
Ilsebill salzte nach. Diese Zeilen von Günter Grass haben mit diesem Buch im Grunde nichts zu tun, wurden aber einst zum schönsten ersten Satz der deutschen Literaturgeschichte gekürt. Der Satz stammt aus dem Buch Der Butt. Hätte es durchaus amüsant gefunden, wenn Herr Grass damals gleichzeitig den Preis für den schönsten ersten Satz und für den langweiligsten Buchtitel aller Zeiten erhalten hätte. Ich würde so einen Titel im Buchhandel jedenfalls ignorieren, wenn ich nicht ganz gezielt nach Sachlektüre über Plattfischzucht suchen würde.
Bei mir hätte dieser Titel eh keinen Sinn ergeben, denn ein Butt kommt in diesem Buch nicht vor. Das tut mir leid! Fische sind einfach nicht mein Metier. Habe kurz überlegt, einen geschwätzigen Dorsch in die Handlung zu integrieren, aber die meisten Geschichten spielen nicht mal ansatzweise in der Küstengegend. Falls Sie als Leser eher der maritime Typ sind, muss ich Sie leider enttäuschen.
Auch eine gewisse Ilsebill kommt in diesem Buch nicht vor. Ich kenne zwar eine Sybille, und die hat bestimmt schon mal was nachgesalzen, doch als besonders aufregend habe ich diesen Vorgang nicht empfunden. Allerdings habe ich Sybille in einem anderen Kontext im Buch untergebracht und sie auf einer der folgenden Seiten versteckt. Viel Freude bei der Suche! Betrachten Sie die Lektüre gern als diffuses Wimmelbild.
Ich habe ebenfalls lange über einen schönen ersten Satz nachgedacht, schließlich ist so ein erster Eindruck durchaus prägend. Aber dann habe ich mir gesagt, dass ein Bezug zu Günter Grass auch nicht verkehrt wäre, denn dann würden die Leser denken: Oh, seht an! Der feine Herr Autor hat schon mal ein Buch gelesen. Welch intellektueller Feingeist! Ich bin erquickt.
Einstiege sind jedenfalls enorm schwierig. Ich habe mich entschieden, dem Buch ein Zitat von Guy de Maupassant voranzustellen. Möglich wäre auch ein Auszug aus dem Wuppertaler Telefonbuch gewesen, doch das hätte die Stimmung hier nicht zum Überkippen gebracht. Eine 50-seitige Leseprobe aus der Wanderhuren-Trilogie wäre ebenfalls denkbar gewesen. Rechtliche Schwierigkeiten hätte es nicht gegeben. Iny Lorentz und ich sind immerhin beim selben Verlag, aber es wäre durchaus seltsam, wenn sich im Vorfeld Spannung aufbauen würde und es plötzlich hieße: »Kuckuck, ihr Räuber. Jetzt kommen lustige Kurzgeschichten.«
An dieser Stelle möchte ich Sie jedenfalls ganz aufrichtig zu Ihrem neuen Buch beglückwünschen. Als Autor dieses bescheidenen Meisterwerks ist mir die persönliche Begrüßung ein wichtiges Anliegen, denn ich bin ein bodenständiger Typ, und Sie scheinen ein großartiger Mensch zu sein. Zumindest vereint uns ein entzückender und lebensbejahender Literaturgeschmack. Vielleicht hat man Ihnen dieses Buch auch ungefragt geschenkt, und Sie dachten: Puh! Meins ist das nicht. Allein schon der Titel! Viel zu lang und bemüht. Da lob ich mir Günter Grass und seinen Mut zur Reduktion. Warum kann man so ein Buch nicht einfach Jens nennen?
Womöglich möchten Sie sich trotzdem auf die Lektüre einlassen. Allzu gern würde ich ein wenig kokettieren und mich mit Bescheidenheit rühmen, am Ende bleibt allerdings das Fazit: Dieses Buch ist sehr gut. Vielleicht keine Hochkultur, vielleicht kein Jahrhundertroman, aber, um meine Mutter zu zitieren, »durchaus gewitzt und frech«. Ich möchte nicht gar von köstlicher Schmunzelliteratur sprechen. Ohnehin sind meine humoristischen Bücher vermutlich nichts, womit man die zeitgenössische Literaturkritik zu ausschweifenden Lobhudeleien anreizen könnte. Selten veröffentlicht ein Autor ein Buch mit anekdotischen Alltagsbeobachtungen, und im Zitat auf dem Klappentext heißt es dann: »Patrick Salmen – ein brillanter Erzähler und Beobachter. Dieser Seismograf der Zwischentöne verwebt schillernde Sequenzen menschlichen Daseins zu einem identifikationsstiftenden Narrativ und zeichnet mit zartem Pinsel ein sprachliches Aquarell, das sich als glanzvoller kolorierter Bruch in der so monochromen Galerie namens Literaturkanon erweist. Hinter einem Günter Grass braucht er sich nicht zu verstecken.« Nein, so was steht da nicht. Meistens steht da: »Yeah, voll witzig!«
Ehrlich gesagt bin ich froh, dass die Kritik sich mit meinem Werk nicht beschäftigt, denn wenn ich eins nicht bin, dann kritikfähig. Es gibt Sätze, die klingen zwar unfassbar schön und reflektiert, sind aber jedes Mal gelogen. Zum Beispiel: Für konstruktive Kritik bin ich immer dankbar. Das ist natürlich Unfug. Ein Verriss meines grenzgenialen Œuvres würde genügen, um mich in ein Loch von Selbstzweifeln zu stürzen, zudem würde ich dann ständig bei irgendwelchen Journalisten anrufen und ausschweifend ihre Verwandtschaft beleidigen. Ständig hieße es: »Kurze Rückmeldung zu Ihrer Buchkritik: Deine Mutter ist trivial!« Vermutlich würde das unschön enden. Wenn Ihnen dieses Buch also nicht gefallen sollte, wäre ich Ihnen dankbar, wenn Sie es einfach für sich behalten. Ich bin da nur ehrlich! Sollten Sie wiederum denken: Oh mein Gott! Dieses Buch hat mein Leben verändert. Patrick Salmen ist der beste Autor der Welt! – dann melden Sie sich bitte umgehend. Danke!
Kritik gibt es ohnehin zu Hause genug. Meine Frau findet meinen Humor äußerst fragwürdig. Ihre Komplimente variieren von »Hauptsache, dir gefällt’s!« bis »So schlimm wie sonst ist es nicht!«. Längst habe ich aufgegeben, sie zu einer Lesung mitzunehmen. Vermutlich würde sie gelangweilt im Publikum sitzen und Sudokus lösen. Aber gut, ich besuche sie auch nicht ständig im Büro. Ohnehin eine lustige Vorstellung, dass Sie, lieber Leser, just in diesem Moment streng genommen nichts anderes tun, als mich bei der Arbeit zu besuchen. Noch ahnen Sie nichts, aber schon morgen könnte ich bei Ihnen im Büro aufkreuzen und Ihnen beim Tackern zusehen. Vielleicht könnten wir zusammen was faxen oder eine Excel-Tabelle ausfüllen. Allein der Gedanke macht mich glücklich.
Bevor ich mich hier noch mehr in Abschweifungen verliere, wünsche ich Ihnen viel Freude beim Lesen. In diesem Buch finden Sie Kurzgeschichten und skurrile Dialoge. Betrachten Sie die Lektüre doch weniger als Arbeitseinblick, sondern vielmehr als eine Art Blind Date. Vielleicht haben wir uns bei Tinder kennengelernt oder sind durch gemeinsame Bekannte zusammengeführt worden, und nun sitzen wir erstmals in einem belebten Café und lernen uns persönlich kennen. Bereits im Vorfeld möchte ich mich für die etwas einseitige und unausgewogene Gesprächsbeteiligung entschuldigen. Alles ein einziger Monolog! Ich stelle im Verlauf der nächsten Stunden keinerlei Rückfragen und wirke bestimmt furchtbar desinteressiert an Ihrer Person. Das tut mir leid. Bitte stellen Sie sich vor, dass ich Ihnen bei unserer Begegnung tief in die Augen schaue, ab und zu nicke und Dinge murmle wie »Ach, ein herrliches Wetter!« oder »Und du so?«. Dann können Sie das Buch gern kurz zur Seite legen und ein wenig von sich erzählen. Ach, wir haben sicher viel gemeinsam!
Volker pfefferte nach. Aber blicken wir erst einmal gemeinsam zurück und schauen, wie es dazu kam. Zwei Wochen vorher vibriert mein Smartphone. Per Gruppenchat erreicht mich die Einladung zu Volkers alljährlicher Geburtstagsparty, auf der Datum, Uhrzeit und ein für Volker typisches frech gereimtes Verslein zu lesen sind: Bald ist wieder Burzeltag, weshalb ich gern was brutzeln mag. Schweinenacken, Steak und Wurst. Und schön Bierchen für den Durst. Im Vollsuff dann ’ne Runde Polka. San Frantschüssko, euer Volker. Puh, denke ich, Goethe würde Bauklötze staunen. Die Worte »Burzeltag« und »San Frantschüssko« in nur einer Nachricht. Selbst für Volker ein neuer Tiefpunkt. Kleingeschrieben am Rand ein weiterer Hinweis: Weiber und Salat bitte zu Hause lassen. Ironiemodus off. Sapperlot, denke ich, ein bunter in bloß sechs Zeilen gebundener Blumenstrauß aus künstlich-überspieltem Männlichkeitsgehabe, lyrischem Dilettantismus und fragwürdigem Humor. Frage mich, ob Menschen, die ihre kessen Scherze in geschriebener Sprache ständig mit Achtung, Satire oder Ironiemodus off ergänzen, in realen Gesprächen auch ständig Dinge wie »So horchet sorgsam, jetzt wird’s burlesk!« oder »Obacht, Uwe! Es folgt ein Ulk!« sagen. Allein der Gedanke verstört mich. Volker ist von jeher ein seltsamer Kauz, aber nun scheint er endgültig verloren.
Eine Woche später ist es so weit. Es regnet, und wir stehen mit etwa zwanzig Männern in Volkers viel zu kleiner Garage. »Hier können Kerle mal wieder Kerle sein«, sagte er bei der damaligen Einweihung seines heiligen Refugiums und ergänzte: »Ist ja als Mann alles nicht so leicht heutzutage. Manchmal muss ich sogar auf die Kinder aufpassen.« Volkers subtile Kritik am modernen Feminismus erscheint mir plausibel. Wenn Frauen nach immerwährenden patriarchalischen Strukturen plötzlich so etwas Abstraktes wie Gleichberechtigung einfordern, fühlt man sich natürlich in seinem Rollenbild verunsichert. Wenn man da keine kultige Hobbygarage hat, wird’s eng im Gemütsstübchen. Ich sehe mich um. Weiber zu Hause lassen scheint man jedenfalls wörtlich genommen zu haben. Von Salat fehlt auch jede Spur. Das einzig Grüne hier sind zwei verkümmerte Erbsen in Kerstins berühmt-berüchtigtem Nudelsalat, dessen Rezept anscheinend vorsieht, dass man ein Glas Dosenmandarinen, völlig durchgeweichte Nudeln und Unmengen an Wurstwürfeln in einen 10-kg-Mayonnaiseeimer versenkt. Würde hier eher von Tunke als von Salat sprechen, aber ich bin auch nicht Jamie Oliver. Volker erhebt die Stimme: »So, Männer! Gleich schön brutzeln, wa? Ich mache schon mal die Kohlen heiß!« Er scheint sein erstes Geschenk bereits ausgepackt zu haben und trägt eine alberne Spruchschürze mit den Worten: Grillmeister Volker. Der Mann, der Mythos, die Legende. Denke hier zum ersten Mal über den Einsatz von Zyankali nach.
»Prost, Keule«, sagt irgendein Typ und hält mir eine Flasche Bier hin. »Erst mal ’ne Pilsette wegzischen.« »Nein, danke«, sage ich. »Ich habe schon Zähne geputzt.« »Wat?« »Kleiner Scherz.« Ich greife zur Flasche und nehme missmutig einen großen Schluck. Zwar mag ich kein Bier, aber ich möchte nicht unangenehm auffallen. Seit ich letztes Jahr in der Dorfkneipe mal nach einem trockenen Weißwein gefragt habe, nennen sie mich in Volkers Bekanntenkreis ohnehin nur noch Patrice Salmôn, der edle Franzose. »Ich hoffe, das Bouquet ist dem Herrn genehm«, witzelte der Wirt damals und reichte mir einen Riesling in einem verstaubten Mineralwasserglas. »Danke«, sagte ich. »Mosel?« »Nee Lidl!« Ach, es war alles nicht so leicht.
Volker steht nun stolz vor der versammelten Truppe, hält mit beiden Händen seine Grillzangen in die Luft und schnappt damit wild umher. Irgendwie sieht er aus wie eine Mischung aus Mr. Krabs und einem sehr rustikalen Geburtshelfer. »Also, ich habe uns mal ’ne ordentliche Auswahl besorgt. 1-a-Qualität. Ist vom Metzger meines Vertrauens. Esse ja eigentlich nicht mehr so viel Fleisch, aber wenn, dann halt richtig gutes.« Wow, denke ich, meine absolute Lieblingsfloskel hat es von der konsumkritischen Altbau-Studenten-WG bis in Volkers Neubausiedlung geschafft. Ich esse weniger Fleisch, und wenn, dann nur gutes klingt immer ein bisschen nach: Ich schlage keine Frauen, wenn, dann nur hübsche oder Kinderarbeit ist okay, wenn es regionale Kinder sind. Ich bin selber kein Veganer, doch ich wundere mich schon, dass plötzlich jeder Mensch in meinem Umfeld einen vielzitierten »Metzger des Vertrauens« hat. Man begegnet bereits guten Bekannten mit grundsätzlicher Skepsis, wenn ich also jemandem mit Vertrauen begegne, dann bestimmt keinem willkürlichen Wurstverkäufer. Woher soll dieses Vertrauen denn kommen? Wie läuft das ab? »Tach, Jürgen. Ich hätte gern 400 Gramm Aufschnitt. Und kann ich dir ein Geheimnis verraten? Behalt es für dich, aber manchmal wäre ich gern ein devoter Sklave und möchte auf einer Hundedecke leben. Fühlt sich gut an, darüber zu sprechen. Von der Bärchenwurst nehme ich auch noch drei Scheibchen. Bis die Tage.« Schön, wenn man Freunde hat!
Volker verzieht sich jetzt endgültig nach draußen an den Grill und lässt mich mit all diesen fremden Gestalten alleine. Vielleicht erkenne ich zumindest ein paar vertraute Gesichter und finde Anschluss. Ich zünde mir eine Zigarette an und sehe mich in der Garage um. An der Wand hängen neben einem Erotikkalender drei Blechschilder mit den jeweiligen Aufschriften: Echte Männer fahren Traktor, Echte Männer fahren Bagger und Echte Männer fahren Lkw. Na, was denn nun, denke ich. Hätte man doch prima auf Echte Männer mögen klobige Verkehrsmittel runterbrechen können. Echte Männer fahren Lkw ergibt nicht mal ansatzweise Sinn. Wenn jemand Lkw fahren sollte, dann im besten Falle ausgebildete Fernfahrer und Fernfahrerinnen mit Führerscheinklasse C. Und selbst diese nur, wenn sie bei einer Spedition arbeiten, Lohn erhalten und aus gegebenem Anlass sperriges Gelumpe transportieren müssen. Niemand sonst muss Lkw fahren. Wobei es eine skurrile Vorstellung wäre, dass liberale Kleinfamilienväter mit Minderwertigkeitskomplexen als Trotzreaktion auf die allgemeine SUV-Kritik ihre Kinder fortan mit dem Lastwagen zur Kita kutschieren. »Jetzt erst recht«, würden sie sagen und jeden Morgen umständlich aus der hauseigenen Kiesausfahrt rangieren. Fest steht: Echte Männer scheinen jedenfalls ziemliche Komplexe zu haben, solange sie per Blechschild täglich daran erinnert werden müssen, echte Männer zu sein.
Auf einmal steht Kerstin im Türrahmen. »Hey guys, how are you?« Ich weiß nicht, warum sie englisch spricht, vermute aber, es liegt daran, dass sie gestern aus dem Karibikurlaub wiedergekommen ist. Kerstin gehört zu der Sorte Touristin, die sich im jeweiligen Urlaubsland immer eine Spur zu schnell assimiliert und ihre Rolle als aufgeschlossene Globetrotterin ein wenig zu ernst nimmt. Nun steht sie da, lässig am Türrahmen angelehnt, und wirkt sonderbar deplatziert. Sie trägt Muschelarmbänder, Henna-Tattoos, eine Kette mit falschen Haizähnen und, als wäre das nicht schlimm genug, zu Cornrows frisierte Rastazöpfe. Irgendwie amüsiert mich die Vorstellung, dass Dutzende jamaikanische Frauen nach ihrem Jahresurlaub in Wuppertal mit kessen Kerstin-Kurzhaarschnitten in ihre Heimat zurückkommen. Stichwort freche Strähnchen. »Hey, Kerstin. Schön, dich zu sehen. Willst du was trinken?« »Well … You know … Yes! Can I have a glass of water?« Anscheinend hatte sie einen Schlaganfall, denke ich. Sie klingt wie eine Mischung aus Kate Nash, einem zugedröhnten Reggaetonsänger und Liverpooler Hafenarbeiter. Ich reiche ihr ein Glas Wasser und ergreife die Flucht, sofern man im Radius einer zwanzig Quadratmeter großen Garage von Flucht reden kann.
Wenige Sekunden später habe ich mich von einigen Herren aus Versehen in ein Gespräch verwickeln lassen. Angeregt diskutiert man über die Verweichlichung von modernen Fußballspielern und über die Sehnsucht nach echten Typen wie Stefan Effenberg und Mario Basler. Irgendwann fällt der Satz: »Man darf ja heutzutage überhaupt nichts mehr sagen!« Was lustig ist, denn Menschen, die diesen Satz benutzen, sagen oft ganz schön viele Dinge. Alles hier ist eine einzige Parodie. So ähnlich habe ich mir die Hölle vorgestellt: Satan begrüßt mich mit einem etwas zu festen Handschlag, und plötzlich sitze ich mit irgendwelchen Bros in einer Hobbygarage, mache eine Craftbeer-Verkostung und irgendein Günther mit Schraubergott-T-Shirt schimpft über seine prüde Ehefrau, die er in vertrauten Kreisen stets die Regierung nennt. Früher oder später sagen wir dann Sätze wie »Gemüse kommt mir nicht auf meinen Weber-Grill«. Am Ende hören wir das neue Album von Kontra K, »Glaub an dich, denn du bist ein Wolf«, reparieren irgendwelche Dinge mit Zwölfkant-Maulschlüsseln und erschießen uns einfach. Ehrlich gesagt weiß ich noch nicht mal, ob es einen Zwölfkant-Maulschlüssel gibt. Ich habe keine Ahnung von Werkzeug. Alles, was ich in einer Werkstatt zur Reparatur irgendwelcher Dinge beitragen könnte, wäre Schnittchen schmieren und kritisch gucken. Manchmal würde ich Dinge rufen wie: »Uwe, bring mir mal ’ne 16er-Fräsenschlunze mit Stanzventil. Ich habe hier ’ne Querkeilverfugung im Hydraulikgebälk und muss die Senkachse rundlöten.« Wahrscheinlich würde es keinem auffallen. Und wenn doch, würde ich einfach selbstbewusst rülpsen.
Aber was soll ich sagen? Volker hat den Spaß seines Lebens, und eigentlich ist es ein schöner Abend. Mein Zynismus geht mir manchmal selber auf den Keks. Diese ewige Haltung des kritischen Beobachters wird es niemals zulassen, dass ich hier Anschluss finde. Volker mag eigentümlich sein, aber seine bemüht-unverkrampfte Art ist auch schon wieder nahezu drollig. Er ist ein guter Typ, und seine Freunde sind wie er vollkommen in Ordnung. Sie sind weder Faschisten noch homophobe oder misogyne Arschlöcher. Sie heißen Volker, Leander oder Emre, bloß an Abenden wie diesen nennen sie sich Atze, Brudi und Keule, weil sie glauben, es sei eine Art Code, der ihnen Zutritt gewährt und ihnen Anerkennung ermöglicht. Sie spielen eine Rolle, von der sie glauben, dass jemand sie von ihnen erwarten würde. Doch eigentlich tut das niemand. Sie simulieren nur, was sie als Kinder und Jugendliche auf den Festen ihrer Väter gesehen haben. Sie nutzen Phrasen, schimpfen über Salat und alkoholfreies Bier, weil Männer im Fernsehen über Salat und alkoholfreies Bier schimpfen. Die meisten hier verkörpern etwas, was ihnen gar nicht mal so behagt. Und wahrscheinlich denkt jeder von ihnen just in diesem Moment dasselbe über die anderen. Am nächsten Morgen werden sie verkatert aufwachen und froh sein, dass sie wieder sie selbst sein können. Vielleicht gehen sie brunchen, trinken ein Weißweinschörlchen und essen heimlich Rucola. Solange sie Volkers alberne Grillschürze und jeden verdammten Faschisten dieser Welt dann immer noch verachten, ist doch alles in Ordnung. Das hier wird nie meine Welt sein, aber am Ende sind diese Jungs wahrscheinlich wesentlich aufgeschlossener, als ich es jemals sein werde.
»Das hast du schön gesagt, Patrick.« Volker und die Jungs stehen gebannt vor mir und wirken sentimental ergriffen. Anscheinend habe ich meinen inneren Monolog im Weinschorlenschwips etwas zu laut gehalten. Volker trocknet sich die Augen mit der Grillschürze, und auch Emre kullert ein salziges Tränchen der Rührung in sein bescheuertes Craftbeer. Volker pfeffert nach. »War schön mit euch«, sage ich. »Bis Spätersilie! Ich verabscheue mich!« Mist, denke ich, nun bin ich einer von ihnen geworden. Vielleicht doch Zyankali.