Elayne (Band 3): Rabenschwur - Jessica Bernett - E-Book

Elayne (Band 3): Rabenschwur E-Book

Jessica Bernett

0,0

Beschreibung

Wo die Nacht den Tag berührt, suchst du den Pfad, der hinter die Nebel führt. Schlafe tief, lass dich gleiten und dir durch schwarze Schwingen den Weg geleiten. Zwölf Jahre sind ins Land gezogen. Zwölf Jahre, in denen Elayne und Lancelot an der Nordküste Britanniens zur Ruhe kamen. Ihr Glück wird allerdings von düsteren Neuigkeiten überschattet, als ein alter Freund mit trauriger Kunde aus dem Zauberwald zurückkehrt. Zudem steckt König Artus in Schwierigkeiten und Lancelot begibt sich nach Camelot, wo ihn eine gefährliche Mission erwartet. Elayne zieht es indes zurück in ihre alte Heimat Corbenic. Doch ist sie für die Geheimnisse ihres Großvaters tatsächlich schon gewappnet?

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 354

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Inhaltsverzeichnis

Titel

Informationen zum Buch

Impressum

Widmung

Landkarte

Stammbäume und Verwandtschaften

1 - DYCHWELIAD – Rückkehr

2 - HERBIS ET HOSTIBUS – Kräuter und Feinde

3 - DIN GUARIE

4 - TEULU – Familie

5 - LUCTUS – Trauer

6 - Y DWYMYN – Das Fieber

7 - CAMELOT

8 - BREUDDWYDION – Träume

9 - CONSILIUM SAPIENS – Weiser Rat

10 - ILYSAU A GWIN – Kräuter und Wein

11 - CORBENIC

12 - AVALON

13 - SECRETA – Geheimnisse

14 - PORTA PATET – Das Tor steht offen

15 - COR MAGIS – Das Herz noch mehr

16 - HERES – Die Erbin

17 - EPISTULAE ANTIQUAE – Alte Briefe

18 - ARWR – Helden

19 - Y CYNLLUN – Der Plan

20 - OCHR AN OCHR – Seite an Seite

21 - FUTURUM REGEM – Zukünftiger König

22 - Y GWAREDWR – Die Retterin

23 - GWERRA – Vergeltung

24 - CLWYF DWFN – Tiefe Wunden

25 - SANATIO – Heilung

26 - TRWY'R NIWLOEDD – Durch die Nebel

Anmerkungen der Autorin

 

Jessica Bernett

 

 

Elayne

Band 3: Rabenschwur

 

 

Historische Fantasy

 

 

Elayne (Band 3): Rabenschwur

Wo die Nacht den Tag berührt,

suchst du den Pfad, der hinter die Nebel führt.

Schlafe tief, lass dich gleiten

und dir durch schwarze Schwingen den Weg geleiten.

 

Zwölf Jahre sind ins Land gezogen. Zwölf Jahre, in denen Elayne und Lancelot an der Nordküste Britanniens zur Ruhe kamen. Ihr Glück wird allerdings von düsteren Neuigkeiten überschattet, als ein alter Freund mit trauriger Kunde aus dem Zauberwald zurückkehrt. Zudem steckt König Artus in Schwierigkeiten und Lancelot begibt sich nach Camelot, wo ihn eine gefährliche Mission erwartet. Elayne zieht es indes zurück in ihre alte Heimat Corbenic. Doch ist sie für die Geheimnisse ihres Großvaters tatsächlich schon gewappnet?

 

Die Autorin

Jessica Bernett wurde an einem sonnigen Herbsttag im Jahr 1978 als Enkelin eines Buchdruckers in Wiesbaden geboren. Am liebsten würde sie die ganze Welt bereisen und an jedem Ort einige Monate verbringen. Aktuell lebt sie mit ihrem Mann, ihren beiden Kindern und zwei Katzen in Mainz.

Sie liebt starke Frauenfiguren, die sie in spannende Geschichten verwickelt, und tobt sich in allen Bereichen der Fantasy aus, von historischer Fantasy über Urban Fantasy bis hin zur Science Fantasy.

Wenn sie nicht gerade mit ihren Kindern in Abenteuern versinkt, schreibt oder von neuen Geschichten träumt, tummelt sie sich mit Vorliebe auf Conventions, um sich mit Gleichgesinnten über Lieblingsserien, Filme und Bücher auszutauschen.

 

www.sternensand-verlag.ch

[email protected]

 

1. Auflage, Oktober 2021

© Sternensand Verlag GmbH, Zürich 2021

Umschlaggestaltung: Juliane Schneeweiss

Lektorat / Korrektorat: Sternensand Verlag GmbH | Martina König

Korrektorat 2: Sternensand Verlag GmbH | Jennifer Papendick

Satz: Sternensand Verlag GmbH

 

 

ISBN (Taschenbuch): 978-3-03896-219-9

ISBN (epub): 978-3-03896-220-5

 

Alle Rechte, einschließlich dem des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.

Dies ist eine fiktive Geschichte. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

 

 

 

 

Für die wertvollsten Schätze, die das Leben mir geschenkt hat.

Ihr funkelt in unterschiedlichen Facetten,

doch beide seid ihr so einzigartig, so wunderbar …

Ich bin stolz, eure Mutter zu sein.

 

1 - DYCHWELIAD – Rückkehr

 

Britannien hatte sich verändert.

Gawain erkannte es mit jeder Stunde, die sie weiterkamen. Er sah verlassene Dörfer, befestigte Hügel und brachliegende Felder.

Fünf Sommer und so vieles war anders.

Er selbst war anders.

»Vater, wann sind wir da?«, drängelte der kleine Junge in seinen Armen.

Gawain konnte es ihm nicht verübeln. Seit Tagen saßen sie im Sattel. Der lange Ritt war auch für ihn ungewohnt nach all der Zeit, die er im Wald verbracht hatte. Er spürte jede Meile in seinen Knochen.

»Es kann nicht mehr lange dauern«, besänftigte er Glyn und drückte ihm einen festen Kuss auf das silbrige Haar. »Bald schon breitet sich vor uns eine Ebene aus und dann sehen wir das Meer und einen Felsen. Dann sind wir fast dort.«

»Wie sieht das Meer aus?«, fragte sein kleiner Sohn. Er hatte diese Frage bestimmt schon hundertfach gestellt, da er das große Wasser noch nie mit eigenen Augen gesehen hatte.

»So weit wie die Unendlichkeit«, antwortete Gawain geduldig.

»Treffen wir dort auf Mama?«

Die Hoffnung in der Stimme des Kleinen ließ Gawains Herz krampfen. Ein heftiger Schmerz, den er nicht zulassen durfte.

»Noch nicht«, sagte er leise und versuchte, sich auf den Weg zu konzentrieren.

Sein Pferd Wurzel schnaubte und warf den Kopf unruhig nach hinten. Gawain zügelte das Ross und sah sich aufmerksam um. Die Sonne stand hoch am Himmel und schickte genügend Licht durch das Blätterdach, damit er seine Umgebung deutlich erkennen konnte.

Der Pfad, dem sie folgten, war breit und eben, was bedeutete, dass er oft benutzt wurde. Vögel zwitscherten fröhlich ihr Frühlingslied, als sei in der Nähe keine Gefahr auszumachen. Irgendwo hinter diesem Wald musste ihr Ziel sein.

Als sich der erste Schatten in ihren Weg stellte, wusste Gawain, dass das sichere Gefühl trog. Zwei weitere Gesellen begaben sich hinter den ersten, ihre Äxte gezückt, aber locker an der Seite haltend.

Es wirkte mehr wie eine Einschüchterung, kein Zeichen eines direkten Angriffs. Sie trugen Umhänge, deren Farben sie mit dem Wald verschmelzen ließen, die Kapuzen tief ins Gesicht gezogen.

Sicher hatten sie ihn schon länger beobachtet, doch Gawain hatte sie nicht bemerkt. Er war zu lange fort gewesen, seine Sinne waren nicht mehr die alten.

»Halt«, rief der Erste überflüssigerweise, denn Gawain hatte Wurzel längst zum Stehen gebracht. »Wohin willst du?« Die Stimme des Sprechers klang überraschend jung und brach beim letzten Wort.

»Mein Sohn und ich sind auf dem Weg, unsere Freunde zu besuchen«, erklärte Gawain ruhig. Dass er ein Kind dabeihatte, würde den Wächtern wohl zeigen, dass er nichts Böses im Schilde führte. Die achtsame, aber wenig feindselige Haltung der Gesellen zeigte ihm, dass sie wirklich Wächter und keine Räuber waren.

»Wer sind die Männer?«, wollte Glyn wissen und drückte sich fester an ihn.

»Sie tun uns nichts«, versicherte Gawain seinem Sohn, behielt die Fremden dabei aber im Blick.

»Wer sollen diese Freunde sein?«, wollte der Erste nun wissen.

»Sie leben hier seit einigen Jahren. Soweit ich weiß, haben sie sich ein Zuhause auf dem Felsen am Meer erbaut.«

Der Mann, der ihn gefragt hatte, zog nun die Kapuze zurück und goldfarbenes Haar glänzte im Schein der Sonne. Er trug es zu einem Zopf gebunden, wie Stammeskrieger es taten. Einzelne geflochtene Zöpfe hatten sich gelöst.

Gawain hatte recht damit gehabt, dass der Recke noch sehr jung war. Womöglich nicht älter als fünfzehn Sommer. Seine Züge waren weich, ließen aber bereits die Kanten eines Mannes erahnen. Seine Statur überragte die seiner Mitstreiter. Gawain zog die Brauen zusammen, als er ihm in die Augen sah. Strahlend blau waren sie, so wie er es bisher nur bei drei Menschen gesehen hatte.

Einer war ein alter König mit einem lahmen Bein im Westen. Der andere war sein guter Freund und Waffenbruder Percival. Und die dritte war eine junge Frau mit dem schwarzen Haar eines Raben, Gawains Nichte Elayne.

Falsch, er erinnerte sich an die vierte Person mit diesen blauen Augen. Ein kleiner Junge, der heute kaum älter als sieben sein konnte.

War dieser Fremde entfernt mit dem Königshaus von Corbenic verwandt? Es lag an der westlichen Küste, das wäre etwas weit von hier.

Die anderen beiden Männer waren älter als der Junge, wie Gawain nun erkannte, als sie ihre Kapuzen zurückzogen. Sie wiesen ähnliche Frisuren und die Kleidung der Stämme mit den einfachen Stoffhosen und karierten Tuniken auf.

»Und wer genau soll das sein, den du zu besuchen gedenkst?«, wollte der Junge mit dem goldenen Haar nun wissen. Auch er musterte Gawain aufmerksam.

Dieser musste sich räuspern, bevor er antworten konnte. »Elayne von Corbenic und ihr Gemahl, Lancelot vom See.«

Der Junge packte den Griff seiner Waffe fester und straffte die Schultern. »Dann verrate mir deinen Namen und ich werde dich zu ihnen führen.«

Der Stolz und die Erhabenheit, mit welcher der Junge sprach, brachten Gawain zum Schmunzeln. Er hatte nichts Trotziges an sich, doch zeigte er sehr deutlich, dass er sich seiner Stellung bewusst war. Sie erinnerten ihn an seine eigene Jugend und all die Recken, die er in Camelot ausgebildet hatte.

»Wie wäre es, wenn du mir sagst, ob ich mich auf dem richtigen Weg befinde?«, schlug Gawain gutmütig vor. »Und dann verrätst du mir deinen Namen.«

Der junge Stammeskrieger verengte die Augen und schien abzuschätzen, was er von ihm halten sollte. »Wer bist du?«

»Oh, so direkt also?« Gawain grinste und kratzte sich am Bart, was ihn daran erinnerte, dass er sich länger nicht rasiert hatte.

Der Junge amüsierte ihn, doch es war Vorsicht geboten. Die derzeitige politische Lage war ihm nicht bekannt. Wenn er seinen Namen nannte, konnte er in eine Falle geraten.

Wäre er allein unterwegs, hätte er es wohl gewagt, sich zu offenbaren. Immerhin steckten seine beiden Schwerter einsatzbereit am Sattel. Doch mit Glyn auf dem Schoß musste er achtsamer und zurückhaltender sein.

»Hör mir zu, Junge. Ich gehe davon aus, dass du nicht der Anführer einer Räuberbande bist. Also bring mich zum Dorf, oder wo auch immer du lebst, und lass mich mit deinem Clanführer sprechen.«

»Übergib uns deine Waffen, dann werden wir dich zum Dorf führen.«

Entrüstet prustete Gawain. »Ich werde einem Rotzlöffel wie dir ganz gewiss nicht meine Schwerter übergeben.«

Die Miene des jungen Mannes verfinsterte sich. »Wenn du sie uns nicht freiwillig übergibst, werden wir sie dir abnehmen. Wir haben den Befehl, niemanden bewaffnet ins Dorf zu lassen.«

Dorf also. Gut. Wenn er erst einmal mit dem Dorfältesten gesprochen hatte, würde man ihn gehen lassen.

Gawain straffte sich und stieg von Wurzels Rücken. Ruckartig hatten der Junge und seine Begleiter ihre Waffen gezogen.

»Ruhig Blut«, meinte Gawain amüsiert, obwohl er innerlich ebenfalls angespannt war. »Ich möchte nur mein Pferd bei den Zügeln nehmen.« Er hob die leeren Hände zum Beweis und fasste nach den geflochtenen Bändern.

»Pa?«, wimmerte Glyn auf Wurzels Rücken.

»Alles wird gut«, versprach Gawain ihm.

Der junge Krieger ließ seine Waffe sinken. Gawain erkannte, dass es eine außergewöhnlich schöne Klinge war. Sie musste von einem Meister seines Handwerks gefertigt worden sein. Glücklicher Bursche, dass er irgendwo diese Beute gemacht hatte, denn in den Dörfern der Stämme fand man eine solche wohl kaum.

»Also gut«, lenkte der Junge ein. »Ich werde dich ins Dorf führen. Meine Männer laufen hinter uns her, für den Fall, dass du dich doch noch entscheiden solltest, die Waffen zu ziehen.«

Gawain nickte. »Danke, junger Krieger.«

»Folge mir.«

Immer wieder warf der Blondschopf einen Blick über die Schulter. Und immer wieder grinste Gawain ihm zu. Dabei war er tatsächlich nicht angetan davon, von einem Jüngling behandelt zu werden, als sei er ein Räuber.

Sollte er ihn fragen, woher er die Waffe hatte? Oder würde der Junge es als zusätzliche Provokation ansehen?

Gawain beschloss, den Mund zu halten, was ihm sehr schwerfiel. Erst recht, als sie den Wald verließen und sich vor ihnen eine Ebene bis hin zum Meer eröffnete. Das Dorf lag zwischen dem Waldrand und einem Felsen, der nah über dem Meer aufragte. Darauf thronte eine Festung, die im Schein der Sonne sehr neu und noch nicht ganz fertig wirkte. Das musste Lancelots Festung sein.

Gawains Herz wurde leichter. Er war dem Ziel so nah. Er musste nur noch den Jungen abschütteln, der meinte, ihn rumkommandieren zu können.

»Sag mal«, meinte er vergnügt, »gibt es hübsche Mädchen im Dorf?«

Der Junge blieb stehen und sah ihn verwirrt an. »Wieso fragst du?«

»Nur so. Ich war lange fort und könnte die Nähe eines Weibes gebrauchen.«

Wie erwartet färbten sich die Wangen des Jungen rötlich. »Lass deine Finger bei dir, wenn du deine Schwerter weiterhin führen willst.«

Gawain schnaubte belustigt. »Verzeih, hast du ein Keuschheitsgelübde abgelegt wie die Vestalinnen in Rom?«

Das Kerlchen wandte sich ab und schritt weiter. »Nein.«

»Also bist du einfach noch zu jung?«

»Klappe«, knurrte der Bursche.

Eine zierliche Gestalt näherte sich ihnen auf dem Pfad. Ein Mädchen mit langem schwarzen Haar, wie Gawain aus der Ferne erkennen konnte.

»Als hätten wir nicht gerade darüber gesprochen.«

Der Junge hob die Klinge und hielt sie in Gawains Richtung. »Wirst du wohl endlich still sein, du komischer Vogel?«

Nun musste Gawain wirklich lachen und tat es lauthals.

»Das ist meine Schwester«, grummelte der Bursche. »Bleib stehen.«

»Gewiss«, höhnte Gawain und verbeugte sich. »Sprich mit deiner ›Schwester‹.«

»Ich sage die Wahrheit!« Der Junge presste fest die Lippen aufeinander und wandte sich ruckartig von ihm ab.

Gawain sah zu seinem Sohn, der vergnügt die Umgebung betrachtete. Alles war neu für ihn. Doch seine Neugier war größer als seine Angst.

Gawains Herz erwärmte sich. Glyn kam nach ihm, in so vielerlei Hinsicht. Genau deswegen war es richtig gewesen, den Zauberwald und die tylwyth teg zu verlassen. Aber er hatte es nicht nur getan, um seinem Sohn die große weite Welt zu zeigen …

Er sah wieder zu dem Jungen, der gerade mit seiner Schwester diskutierte. Wenn sie noch etwas lauter zankten, würde Gawain sogar verstehen, um was es ging. Verwunderlich, dass sie Geschwister sein sollten. Sein Haar war so golden wie die Sonne, ihr Haar so schwarz wie …

Gawains Herz setzte aus. Nein, seine Gedanken waren zu wirr. Das konnte nicht sein. Es war die Nähe seiner Freunde, die ihn so denken ließ, ganz gewiss. Aber etwas an der Gestalt des Mädchens erinnerte ihn sehr an Elayne, nicht nur das rabenschwarze Haar.

Langsam schritt er voran, die Stirn gerunzelt, die Kinder fest im Blick.

»Hab ich nicht gesagt, dass du warten sollst?«, fuhr der Junge ihn an.

Das Mädchen indes musterte ihn neugierig. »Wer ist das?«

Ihr Gesicht war zart und blass, was durch die Kaskaden ihres Haares noch betont wurde. Doch am faszinierendsten waren ihre Augen, das eine hellblau wie die ihres Bruders, das andere so dunkel, dass es fast schwarz wirkte.

Gawain schnappte nach Luft und sah wieder den jungen Krieger an, so hochgewachsen, dass er älter wirkte, als er war, und zugleich viel älter, als er sein sollte. Doch die leicht spitze Nase und die Gestalt erinnerten ihn an …

Lancelot.

»Gal?«, fragte er mit heiserer Stimme, weil die Vorstellung, er könnte recht haben, ihm die Kehle zuschnürte. »Bei allen Göttern, wie kann das sein?!«

»Wie bitte?« Der Junge runzelte die Stirn.

Gawain schüttelte den Kopf. »Es kann nicht sein«, wiederholte er und grinste gleichsam vor Erstaunen. »Es kann einfach nicht sein.«

Der junge Krieger wich nicht zurück, doch Zweifel lagen in der Falte zwischen seinen Augenbrauen. Vermutlich hätte Gawain sich wirklich rasieren sollen, bevor er seine Reise angetreten hatte. Er grinste noch breiter und plötzlich weiteten sich Gals Augen erkennend.

»Gawain? Gawain, der Lichtfalke?«

»Richtig. Und du musst der kleine Galahad sein. Aber wie kann das sein? Als ich dich das letzte Mal sah, warst du ein Welpe, den ich auf meinen Schultern herumtrug. Und jetzt bist du größer als ich.«

Wieder sah er das Mädchen an. Kurz bevor er seine Ragnelle geheiratet hatte, hatte Elayne ihm gesagt, dass sie ein Kind erwartete. War das Mädchen dieses Kind?

Waren diese fast erwachsenen Menschen Lancelots und Elaynes Kinder?

»Ach du … Schande«, entfleuchte es Galahads Mund und er schüttelte ungläubig den Kopf. »Du warst so lange fort.«

»Sechs Jahre«, nickte Gawain.

Verwundert ging Gal auf ihn zu, bis er ganz nah bei ihm war, als könne er seinen eigenen Augen nicht trauen. »Sechs? Gawain … es ist länger her, dass wir uns sahen.«

»Nein, ich weiß es ganz genau. Sechs Jahre ist es her.« Gawain lachte auf. »Oh, warte, ich muss dir jemanden vorstellen.«

Er trat neben sein Ross und packte seinen kleinen Sohn, der sich bereitwillig herunternehmen ließ. Er setzte ihn auf seine Hüfte und trat auf Gal zu.

»Galahad, dies ist dein Vetter Glyn. Glyn, dies ist Galahad, der Sohn des besten Kriegers von ganz Britannien. Und seine Schwester, deine Base.«

Ihm fiel auf, dass er ihren Namen noch gar nicht kannte.

Glyn schmiegte schüchtern sein Gesicht an Gawains Schulter und wagte es kaum, den jungen goldhaarigen Mann anzusehen.

Dessen Blick wiederum war weiterhin auf Gawains Gesicht geheftet. »Onkel …« Ihm brach die Stimme. »Es sind keine sechs Jahre. Es sind zwölf. Zwölf Sommer haben wir dich nicht gesehen.«

»Unmöglich.«

Sein Sohn war genau zehn Monde nach der Hochzeit geboren worden. Glyn war vier Sommer alt. Also war er fünf Sommer fort gewesen.

Gal winkte das Mädchen herbei und legte ihm einen Arm um die Schultern. »Das ist meine Schwester, sie ist elf Sommer alt. Du hast sie noch nie gesehen.«

Gawains Hals war wie zugeschnürt. »Es kann einfach nicht sein.«

Gal schritt zu Gawains Pferd und nahm es an den Zügeln. »Onkel, ich glaube, es ist doch besser, wenn ich dich direkt zu meinen Eltern bringe.«

Gawain nickte, unfähig, noch etwas zu sagen. Dann bemerkte er den Blick des Mädchens, der neugierig und doch … anders war. Es sah ihm direkt in die Augen und wich seinem nicht aus, als könne es tief in seine Seele blicken.

Nur wenige Menschen waren dazu in der Lage, so wie es seine Schwester Cundrie gewesen war, Elaynes Mutter.

»Er glaubt es wirklich«, stellte das Mädchen fest. »Für ihn sind nur sechs Jahre vergangen.«

Gawains Knie wurden weich und sein Verstand drehte sich im Kreis.

Das Mädchen musste etwas bemerkt haben, denn es streckte die Hände nach Glyn aus. »Na, mein Kleiner, möchtest du zu mir kommen? Ich könnte dir eine Geschichte erzählen, wenn du möchtest. Und später zeige ich dir das Meer.«

»Jaaa!«, rief Glyn aus und streckte seine kleinen Ärmchen in ihre Richtung.

Gawain übergab ihn, denn er hätte ihn nicht viel länger halten können.

»Hui, du bist ja schon groß«, lachte das Mädchen. »Und viel schwerer, als ich gedacht habe. Dein Name ist also Glyn?«

Sein Sohn nickte und Gawain konnte immer noch nicht reden.

»Freut mich, Glyn. Mein Name ist Nimue und ich denke, wir werden uns gut verstehen.«

2 - HERBIS ET HOSTIBUS – Kräuter und Feinde

 

Der Waldboden war bedeckt mit frischem Moos und jungem Gras. Elaynes Schritte wurden gedämpft und doch war sie sich sicher, dass jedes Wesen des Waldes bereits wusste, dass sie hier war. Der Ruf eines Vogels in der Nähe, das Rascheln zwischen den Blättern und das leise Flüstern des Windes sprachen jedoch von Frieden.

Es roch nach Morast, Laub und Nebel, der aus den nahen Sümpfen herbeizog.

Elayne zog die Kapuze zurück, schloss die Augen und genoss diesen Moment des Friedens. Der Winter war noch nicht ganz vergangen, das spürte sie vor allem jetzt in dem Schatten der Bäume. Dennoch fror sie nicht. Eine Bundhose unter dem Gewand, Stiefel und ihr Wolltuch waren Schutz genug vor den frischen Böen.

Zufrieden seufzte sie, raffte den Rock und schritt weiter zwischen den Baumstämmen umher, den Blick gen Boden gerichtet. Sie war auf der Suche nach Löwenzahn, Frühlingspilzen und anderen Früchten, die der Wald zu bieten hatte, um die Vorräte wieder aufzufüllen. Besonders der Löwenzahn würde ihre vom Winter geschwächten Kräfte stärken, hatte die Dorfheilerin ihr erklärt.

Elayne erinnerte sich, dass auch Brisen oft sofort in den ersten Frühlingstagen losgezogen war, um ihre Kräutervorräte aufzufüllen. Auch wenn die Auswahl noch nicht sehr groß war, konnte man schon so einiges finden, wenn man die Augen offen hielt.

Ein Schatten löste sich von einem Ast rechts von ihr und sie schrak zurück. Das rötliche Wesen hielt inne, starrte sie kurz an und kletterte sodann den nächsten Baum hinauf.

Elayne kicherte. »Wohl denn, Eichhörnchen, mir scheint, wir sind in der gleichen Mission unterwegs.«

An einem der Äste knabberte es an den Knospen und verschwand rasch wieder.

Bevor sie aufgebrochen war, hatte sie überlegt, die Dorfheilerin Carys um Begleitung zu bitten. Die weise Dame war etwa zehn Sommer älter als sie und verfügte über ein Kräuterwissen, das einer Priesterin Avalons ebenbürtig gewesen wäre. Aber Elayne hatte den Drang verspürt, allein zu sein, einmal nicht reden zu müssen, einfach nur … Ruhe zu erfahren. Hier im Wald konnte sie durchatmen und für ein paar Momente dem Gewusel der Festung und des Dorfes entgehen.

Ein weiterer Schatten lenkte ihre Aufmerksamkeit auf sich. Sie rechnete mit einem Reh, das sich hinter den Bäumen verborgen hielt. Doch als sie genauer hinsah, erkannte sie die Spitze eines Speeres.

Abrupt blieb Elayne stehen und hielt die Waffe im Blick.

Befand sich einer der Jäger des Dorfes hier im Wald? Aber südlich der Festung jagten sie selten, der Boden war sumpfig und zu gefährlich.

»Hallo?«, machte sie sich bemerkbar, um nicht versehentlich für Wild gehalten zu werden.

Der Speer zuckte und wurde hinter dem Baum versteckt.

Jemand verbarg sich dort.

Jemand, der nicht von ihr gesehen werden wollte.

Elaynes Herz schlug schneller und der Griff ihres Korbes wurde rutschig in den feuchten Handflächen. Sie trug keine Waffe bei sich außer dem kleinen Messer, das sie für Kräuter und Pilze verwendete.

Sie setzte einen Fuß nach hinten, den Baumstamm im Blick behaltend. Dann noch einen. Wenn sich etwas dort rührte, würde sie den Korb fallen lassen, sich umdrehen und losrennen.

Die Krieger des Dorfes würden den Wald nach den Räubern durchsuchen. Sie konnten es sich nicht leisten, ihre mühevoll aufgefüllten Vorräte zu verlieren. Sie hatten Kinder und Alte, die den Winter nur knapp überlebt hatten und die nun jede Stärkung gebrauchen konnten.

Vier weitere Schritte schaffte Elayne, bevor sie mit dem Rücken gegen ein Hindernis prallte.

Es war zu weich, um ein Baumstamm zu sein.

Bevor sie sich abstoßen und umdrehen konnte, wurde sie um die Taille gepackt und eine Klinge drückte sich gegen ihre Kehle.

Der Korb fiel zu Boden und alles, was sie mühevoll gesammelt hatte, verteilte sich zu ihren Füßen.

»Still«, grunzte es in ihr Ohr.

Elayne roch einen fauligen Atem und schloss kurz die Augen. Sie musste sich beruhigen, aber das war nicht so einfach mit einer Klinge am Hals.

Sie versuchte, ihren Angreifer einzuschätzen. Er fühlte sich etwas größer an, als sie selbst war. Ein Mann. Aber er betatschte sie nicht, hielt sie nur fest.

»Was … was willst du?«, krächzte sie.

»Bist du allein?«

Der Aussprache nach war er niemand von den Stämmen.

»Ja«, sagte sie leise. Es hätte nichts gebracht, zu lügen.

Der Mann stieß sie von sich, sodass sie mit den Knien im Gras landete. Schwer atmend wandte sie sich ihm zu.

Er sah mitgenommen aus … ausgemergelt. Sein Bart reichte ihm bis zur Mitte der Brust, seine Augen funkelten sie an, doch sein Blick huschte immer wieder zu einer Stelle hinter Elayne.

Dann rief er etwas, das sie nicht verstand.

Elayne wagte es nicht, aufzustehen. Er hielt ein Schwert mit breiter Klinge in ihre Richtung, das schon bessere Tage gesehen hatte.

»Eoppa!«, hörte sie eine weibliche Stimme.

Als sie sich in deren Richtung wandte, sah sie eine Frau mit zwei Kindern hinter dem Baum hervortreten, bei dem sie den Speer gesehen hatte. Die Waffe lag in den Händen eines vielleicht zehnjährigen Jungen.

Das zweite Kind war ein kleines Mädchen mit braunen Zöpfen, das sich ängstlich an die Röcke der Frau drückte.

Diese wechselte mit dem Mann mehrere Sätze, die sich für Elayne nach einem der germanischen Dialekte anhörten. Deren Stämme aber hatten sich viel weiter südlich im Sumpfgebiet angesiedelt.

Wie kam die Familie hierher?

»Versteht ihr meine Sprache?«, wandte Elayne sich zögerlich an die Frau.

Der Mann knurrte sie an, sich sichtlich um Ruhe bemühend.

Für das Knurren erhielt er eine Beschimpfung von seiner Frau. Elayne verstand zwar die Worte nicht, aber sie hatte solche Konversationen schon so oft gehört, dass sie sich wohl in jeder Sprache gleich anhörten. Die übliche Diskussion einer Ehefrau mit ihrem Gatten.

Schließlich schien der Mann einzuknicken und senkte das Schwert. Elayne verstand es als Zeichen, dass sie aufstehen durfte, und nickte ihm friedlich zu.

Langsam, um ihnen keinen Anlass zu geben, die Waffe erneut gegen sie zu erheben, stand sie auf und klopfte sich sodann Erde und Gras von ihren Röcken.

Erneut betrachtete sie die Frau und die beiden Kinder. Sie wirkten genauso ausgemergelt wie der Mann. Das Mädchen hatte eine laufende Nase, das Hemd, das der Junge trug, war viel zu dünn, mit dürftig gestopften Löchern, und schlackerte um seinen dürren Oberkörper. Ihm musste kalt sein.

»Habt ihr Hunger?«, fragte sie an die Frau gerichtet. »Braucht ihr Medizin?«

Die Frau presste fest die Lippen aufeinander und antwortete nicht.

Elayne schaute den Mann an. »Essen?«

Sie sah den Hader in seinen Augen.

Vermutlich waren sie aus dem gleichen Grund hier wie sie selbst: Nahrung finden nach den langen Tagen des Winters. Nur dass diese kleine Familie sie viel nötiger hatte als sie selbst oder das Dorf.

Daher konnte es bloß einen nächsten Schritt geben.

Elayne sammelte ein, was aus dem Korb gepurzelt war, und hielt ihn in Richtung der Frau. »Essen«, sagte sie. »Es ist nicht viel, aber vielleicht ein Anfang.«

Vermutlich verstand sie die Worte nicht, aber dennoch die Grundaussage. Zögerlich trat sie auf Elayne zu. Der Junge hob den Speer, doch die Mutter winkte ab, sodass er die Waffe sinken ließ.

Elayne machte einen Schritt auf sie zu, stellte den Korb ab und ging wieder zurück.

Das Mädchen hielt sich weiterhin an den Röcken der Mutter fest. Elayne konnte ein röchelndes Atmen hören, das ganz und gar nicht gesund klang.

Die Fremde nahm den Korb und warf einen prüfenden Blick hinein.

»Deine Tochter ist krank«, stellte Elayne fest.

Die Frau runzelte die Stirn.

Elayne deutete auf das Mädchen und ahmte dann ein Husten nach.

Ein Nicken war die erwartete Antwort.

»Ich kann euch Heilmittel bringen«, versprach Elayne. »Und noch mehr Essen.« Nun wandte sie sich wieder dem Mann zu. »Wo ist euer Haus? Lebt ihr hier in der Nähe?«

Diese Antwort kam etwas unerwarteter. Er hob die Klinge und knurrte sie drohend an.

Elayne hob abwehrend die Hände. »Ich werde euch nicht verraten, ihr seid nicht in Gefahr. Aber ich möchte wiederkommen und euch Essen bringen.«

Der Vater sah sie an, als habe er Mühe, ihren Sätzen zu folgen.

Seufzend blickte Elayne zum Himmel. Das Licht, das durch das Blattwerk fiel, färbte sich allmählich orange.

Sie erkannte, wie sie ihre Absicht verdeutlichen konnte.

Elayne deutete in die Richtung, in der wohl derzeit die Sonne stand. »Sonne«, erklärte sie und zeigte dann einen Bogen mit dem Finger. »Morgen.«

Sie suchte im Blick des Fremden nach Verständnis.

Er nickte.

»Morgen bringe ich Essen.« Elayne drehte sich zu seinen Familienmitgliedern um. »Ich bringe euch Essen, hierher.«

»Morgen«, sagte der Mann. »Keine Waffen.«

Elayne nickte. »Keine Waffen.«

Der Vater trat zur Seite und Elayne verstand, dass sie nun gehen konnte. Sie lächelte der Frau und ihren Kindern aufmunternd zu, raffte ihre Röcke und begab sich auf den Weg nach Hause.

Im Geiste erstellte sie bereits eine Liste mit Dingen, die sie der Familie bringen würde. Welche Kräuter wären hilfreich? In jedem Fall Honig und Brot, um sie sattzubekommen.

Und sie musste Lancelot davon erzählen, was passiert war. Sie würden gemeinsam beratschlagen, wie sie weiter vorgehen sollten. Vielleicht gab es noch weitere Menschen in den Wäldern, die auf Nahrungssuche waren. Man könnte gemeinsam mit den Dorfbewohnern einige der Vorräte für die hungernden Menschen bereithalten.

Und für den schlimmsten Fall, nämlich wie sie es vor drei Wintern erlebt hatten, als germanische Stämme sie überfallen hatten, um ihre Vorräte zu stehlen, mussten sie ihre Verteidigung errichten.

3 - DIN GUARIE

 

Crixus schnaubte protestierend, als Lancelot vorsichtig nach dem Huf packte.

»Tut mir leid, alter Freund«, entschuldigte er sich. »Aber ohne Salbe wird deine Fessel noch weiter anschwellen.«

Sanft trug er die gelbliche Masse auf. Der Tiegel war fast leer und ihm fiel ein, dass er Elayne noch nicht darum gebeten hatte, weitere Paste anzurühren.

Um den Hengst zu beruhigen, summte Lancelot eine kleine Melodie. Das hielt das Tier zumindest davon ab, hektisch auszutreten, wenn ihm die Behandlung auch immer noch nicht zusagte.

Nachdem er die Salbe verschmiert hatte, wischte er sich die Hände an einem Tuch ab und verschränkte die Arme vor der Brust, um den Rappen zu beobachten.

Es schien dem alten Ross schon besser zu gehen. Noch vor ein paar Tagen hatte das Tier mit dem linken Hinterhuf überhaupt nicht aufsetzen können, weil es in ein Kaninchenloch getreten war. Jetzt stand es viel entspannter in seinem Bereich der Stallungen.

Crixus schüttelte das Haupt und seine schwarze Mähne flog wild umher.

»Stimmt, für heute sind wir fertig.« Lancelot lachte. »Zeit für deine Belohnung.«

Die Kinder hatten junge Löwenzahnblätter gesammelt, weil sie wussten, dass Crixus diese am liebsten mochte. Lancelot holte die Blätter aus dem Beutel, den er an seinem Gürtel trug, und fütterte sein altes Schlachtross. Sanft klopfte er ihm auf die Seite, wobei er ziemlich wehmütig wurde.

»Ich denke, in die nächste Schlacht werden wir nicht mehr gemeinsam reiten. Du hast dir einen ruhigen Lebensabend verdient. Draußen auf der Weide. Mit den Damen.«

Die Damen waren eine kleine Herde weiblicher Ponys, die Lancelot über die letzten Jahre versammelt hatte. Mit einer der Damen hatte Crixus bereits einen Nachkommen gezeugt. Ein stämmiges Ross mit vielversprechenden Anlagen, das er Apollon genannt hatte. Diesen Frühling würde er damit beginnen, den jungen Hengst auszubilden, worauf er sich sehr freute.

Lancelot vernahm Schritte am Eingang der Stallungen und drehte sich in diese Richtung. Liam kam herbei, unter seinem vollen Bart war ein breites Lächeln zu sehen.

»Welch seltener Anblick«, bemerkte Lancelot.

Der ehemalige Stallbursche sah verwirrt nach hinten.

»Dein Lächeln«, erklärte Lancelot grinsend.

»Oh, das.« Sein Freund fuhr sich über den Bart und lächelte erneut.

Lancelot klopfte Crixus noch einmal gegen die Seite und kam dann aus dessen Box heraus. »Nun gut, sprich. Ist es Carys? Willst du mich um Erlaubnis bitten, ins Dorf zu ziehen, damit du sie endlich heiraten kannst?«

Nun war die Verwirrung noch größer. »Carys? Oh, nein … Ich meine … ähm, nein.«

»Du solltest wissen, dass du meine Erlaubnis dazu nicht brauchst. Und Elaynes auch nicht.« Lancelot lachte leise und verschränkte die Arme vor der Brust. »Was ist es dann? Ist eine unserer Stuten trächtig?« Das wäre wirklich ein Grund zur Freude.

»Ich denke, du kommst besser mit hinaus und siehst es dir selbst an«, meinte Liam geheimnisvoll und kehrte ihm den Rücken zu.

 

Die Sonne blendete Lancelot und er hob die Hand über das Gesicht, um besser sehen zu können.

In der Nähe des einzigen Aufgangs zur Festung standen Gal und Nimue mit einem Mann und einem stämmigen Ross. Seine Tochter hielt einen kleinen Jungen auf dem Arm. Lancelot kniff die Augen zusammen, um die Gäste genauer zu betrachten, während er auf sie zuging.

»Bei allen Göttern!«, rief er aus, als er den bärtigen Kerl mit den grünen Augen und dem wirren braunen Haar erkannte. Seine Schritte beschleunigten sich und sein alter Freund empfing ihn mit offenen Armen. »Gawain!« Er klopfte ihm auf den Rücken und drückte ihn fest.

»Meine Güte, Lance«, keuchte der Lichtfalke. »Bin ich so schwach geworden oder du so stark?«

Lancelot schob ihn auf Armeslänge von sich, um ihn genauer zu betrachten. »Du siehst gut aus, Schwertbruder. Besser als ich allemal.«

Gawain grinste schief. »Wer kann besser aussehen als du?« Kopfschüttelnd musterte er Lancelot. »Aber ich sehe, die Jahre sind nicht ganz spurlos an dir vorübergegangen. Oder hast du dir Kalk in den Bart geschmiert?«

»Wohl kaum.« Lancelot lachte auf. Dann sah er den Jungen an, der sich an Nimue drückte.

Gawain streckte die Arme nach ihm aus und der Kleine kam bereitwillig zu ihm. »Es ist noch nicht so lange her, da habe ich deinen Sohn auf dem Arm getragen. Und nun möchte ich dir meinen Sohn vorstellen. Glyn, das ist Lancelot, der beste Krieger von Britannien.«

Das Kind mit dem silbrigen Haar und den dunklen Augen sah etwas eingeschüchtert zu Lancelot auf. Dieser lächelte, wenn er auch noch immer nicht glauben konnte, dass sein Freund zurückgekehrt war. Dann bemerkte er den Kummer in Gawains Augen, der sich wie eine Wolke vor die Sonne schob.

Etwas war geschehen. Etwas, das Gawain dazu gebracht hatte, den Zauberwald zu verlassen und zu ihnen zu kommen. Lancelot fiel auf, dass seine Gemahlin Ragnelle ihn nicht begleitet hatte.

»Du hast sicher eine anstrengende Reise hinter dir«, meinte er rasch. »Wie wäre es mit einem Humpen Met und ein paar Worten unter alten Freunden?«

Gawain sah sich seufzend um. Bevor er in den Wald gezogen war, war die Festung nicht mehr als ein paar Holzwände für die Halle gewesen. Schließlich nickte er und reichte seinen Sohn zurück an Lancelots Tochter.

»Darf ich ihm etwas zu essen geben?«, fragte das Mädchen mit glühenden Wangen. Es schien bereits ganz vernarrt in den Kleinen zu sein.

»Natürlich. Er mag alles … nur kein Fleisch.«

»Oh, gut zu wissen.« Froh gelaunt setzte Nimue ihren kleinen Vetter auf die Hüfte. »Aber Brot mit Honig, das wird dir bestimmt schmecken.«

Sie machte sich auf den Weg zum Küchenhaus. Ihr Bruder aber blieb zurück und warf Lancelot einen vielsagenden Blick zu.

»Kümmerst du dich um Gawains Pferd?«, fragte Lancelot in seine Richtung.

»Es wird ihm an nichts mangeln«, versprach der Junge. Doch als er mit dem Ross am Zügel an seinem Vater vorbeiging, raunte er ihm noch ein paar Worte zu, die Lancelot erstarren ließen. »Er denkt, er sei nur sechs Jahre fort gewesen.«

Stirnrunzelnd sah er seinem Sohn nach, während Gawain noch immer damit beschäftigt war, Din Guarie zu betrachten.

»Es ist unglaublich, was du hier geschaffen hast«, sprach er schwermütig.

»Nun, allein wäre es mir nicht möglich gewesen. Ich hatte Hilfe aus dem Dorf. Liam ist ebenfalls sehr geschickt und wir haben Verstärkung bekommen durch Elaynes Ziehschwester Veneva sowie deren Ehemann.«

Gawain sah ihn an, als könne er kein einziges Wort von dem, was er gerade gesagt hatte, begreifen.

Lancelot legte ihm einen Arm um die Schultern. »Ich denke, wir haben uns viel zu erzählen.«

Gawain nickte und ließ sich bereitwillig zur Halle bringen.

 

Ein König hätte das hölzerne Gebäude vermutlich nicht als Halle bezeichnet. Sie war nicht zu vergleichen mit den großen Steinhallen der bedeutsamen Herren. Mit gutem Willen würden sie das Bauwerk eine geräumige Unterkunft nennen.

»Die Halle war das erste Gebäude, das wir hier erbaut haben. In den ersten Monaten haben wir alle zusammen darin geschlafen. Deswegen haben wir damit begonnen, sodass wir ein Dach über dem Kopf haben und niemand den Winter in Zelten verbringen muss.«

Lancelot führte seinen Gast zu den beiden Sesseln, die sie von Gwenhwyfar zur Hochzeit geschenkt bekommen hatten. Es waren mit verschlungenen Mustern geschnitzte Kunstwerke, die sie mit Fellen ausgelegt hatten. Hauptsächlich waren es Wildschwein und Kaninchen, da sie die am häufigsten erlegten.

Gawain sah die Felle etwas irritiert an und nahm dann zögerlich Platz.

Lancelot holte zwei Becher und einen Krug Met, den sie auf einer Truhe stehen hatten, und setzte sich zu seinem Freund.

Zwölf Jahre. Doch Gawain sah kaum älter aus als damals, als er sich gerade mit seinem Vater zerstritten und Lothian den Rücken gekehrt hatte.

Lance erinnerte sich noch sehr gut an den Tag. Kurz zuvor hatten er und Elayne Gawain gesagt, dass sie ihr zweites Kind erwarteten: Nimue.

Zu gern hätte er seinen Gast nun ausgefragt: Wo war er so lange gewesen? Warum glaubte er, er sei nur sechs Jahre fort gewesen?

Doch er ließ ihm die Zeit, die er benötigte, die neue Umgebung zu erfassen, und sagte nichts, trank nur von seinem Met und wartete.

Gawain sah sich in der Halle um und schien sich langsam daran zu gewöhnen, hier bei ihm zu sein.

»Wo ist Elayne?«, war seine erste Frage.

»Auf der Suche nach Frühlingspilzen und Kräutern. Sie müsste bald zurück sein.«

Gawain nickte verdrossen und hielt ihm den bereits geleerten Becher hin. Lancelot zog eine Braue hoch, schenkte ihm jedoch nach.

Nachdem er den zweiten Becher zur Hälfte ausgetrunken hatte, richtete Gawain den Blick auf seine Fußspitzen. Lancelot bemerkte, dass es sich um seine alten Stiefel handelte, die nun etwas mitgenommener aussahen, jedoch immer noch brauchbar waren.

»Ragnelle …« Er musste sich räuspern. »Meine Frau ist gestorben.«

Verdammt. Was sollte er dazu sagen? ›Es tut mir leid‹ war zu wenig.

Nun konnte er verstehen, weshalb Gawain nicht zum üblichen Schalk aufgelegt war.

»Möge ihre Seele in der Anderswelt Frieden finden«, murmelte er.

Gawain zog die Brauen zusammen, starrte vor sich hin und leerte sodann den Becher. »Ich muss mich um Glyn kümmern. Er ist ein lieber Junge.«

Seine Worte klangen, als sagte er sie zu sich selbst. Als habe er sie sogar schon sehr oft zu sich selbst gesprochen. Womöglich brauchte er sie, um sich selbst daran zu erinnern, dass er nicht allein war und dass er die Verantwortung für ein anderes Wesen trug.

Gawains Herz war durch den Tod seiner Frau gebrochen. Lancelot brauchte keine hellseherischen Fähigkeiten, um das zu erkennen. Es stand allzu deutlich in das Gesicht seines Freundes geschrieben, in dem das kecke Grinsen von einst, das Funkeln in den Augen erloschen waren und in dem nunmehr dunkle Schatten unter den Lidern hingen. Mehr noch erkannte er es in der zusammengesunkenen Körperhaltung.

Sein Vetter hatte Camelot und die Bruderschaft der Tafelrunde für Ragnelle aufgegeben. Die beiden hatte ein magisches Band verbunden, genau wie ihn selbst mit Elayne. Dieses magische Band wurde nur sehr selten einem Paar zuteil. Oftmals wurden Ehen von Eltern bestimmt oder aus politischen Beweggründen gestiftet. In ihren Kreisen traf meistens sogar beides zu, denn sie waren Söhne von Königen, deren Existenz dazu diente, den Stamm fortzupflanzen und politische Macht zu gewinnen. Deswegen war er umso dankbarer, dass ihm mit Elayne ebenfalls jenes Geschenk zuteilgeworden war, das die römischen Poeten amor, Liebe, nannten.

Gawain raffte sich auf und versuchte sich an einem Lächeln, was nicht so recht gelingen wollte. »Ragnelle hat immer gesagt, dass mit jedem Tag, den ich im Zauberwald bliebe, zwei weitere in der Außenwelt vergingen, und wenn ich eines Tages nach Camelot zurückkehrte, möglicherweise nichts mehr so sein würde, wie ich es kannte.« Er kratzte sich am Bart und fuhr sich mit der freien Hand durchs struppige Haar. »Hätte nicht gedacht, dass so viel Wahrheit darin liegen sollte. Ich dachte, sie würde mich necken.«

»Hätte es etwas geändert, wenn dir das bewusst gewesen wäre? Wärest du nach Camelot zurückgekehrt und hättest den Zauberwald hinter dir gelassen?«

»Nein, niemals.« Gawain senkte den Blick und atmete tief durch. »Doch ich wünschte, ich hätte Ragnelle nach Camelot mitgenommen. Dann wäre sie jetzt womöglich noch am Leben.«

»Hätte sie sich denn dort wohlgefühlt?«

Gawain hob den Kopf. »Nein. Hätte sie nicht.« Erneut huschte ein Lächeln über sein trauriges Gesicht. »Ich sehe, was du mir sagen willst. Ich hätte nichts besser oder schlechter machen können. Aber du irrst dich. Ich hätte …«

Das Lächeln verging und sein Blick verfinsterte sich. Gawain schien sich selbst die Schuld an Ragnelles Tod zu geben.

Lancelot legte den Kopf schief und musterte seinen Vetter. Dieser haderte mit seinen Gefühlen, die Hände zu Fäusten geballt.

Gawain schüttelte den Kopf und versuchte sich erneut an einem Lächeln. »Nun gut. Erzähl mir, was ich verpasst habe. Nimue … Meine Güte, die Kleine wird eines Tages eine Schönheit.«

Er lachte in einem hohen Ton, der Lancelots Sorge bestätigte. Doch er würde ihm Zeit geben. Wenn Gawain jetzt noch nicht dazu bereit war, über Ragnelles Tod zu sprechen, dann womöglich später.

»Sie ist ein faszinierendes Mädchen«, erklärte er und erwiderte das Lächeln. »Stolz, stark und etwas dickköpfig.«

»Kommt wohl ganz nach der Familie ihres Vaters«, scherzte Gawain.

»Ha, wohl eher nach der Familie unserer Mütter.«

Gawains Mutter Morgause und Lancelots Mutter Elayne waren Schwestern gewesen. Doch auch wenn Lancelot seine eigene Mutter nicht wirklich kennengelernt hatte, so kannte er Morgause, Morgaine und natürlich Artus umso besser. Eine gewisse Dickköpfigkeit war diesem Teil der Familie nicht abzustreiten.

Andererseits war seine Tochter Nimue gleichzeitig die Urenkelin Lots. Und dessen Starrsinnigkeit war berühmt. Es hatte einen ganzen Krieg gebraucht, um ihn davon zu überzeugen, dass Artus der rechtmäßige Großkönig von Britannien war, und das obwohl er mit dessen Halbschwester vermählt war.

»Und der kleine Gal ist fast schon ein erwachsener Mann. Ein stattlicher noch dazu.« Gawain seufzte. »Was habe ich verpasst? Sag es mir. Was ist los in Camelot? Was ist los in Din Eidyn?«

Lancelot atmete tief durch. Wo sollte er beginnen? So viel war in den letzten Jahren geschehen. Und doch war die Situation in Britannien wenig anders.

»Dein Vater lebt noch.«

Gawain grunzte. »Gibt es erfreulichere Nachrichten?«

»Dein Bruder Agravaine hat eine Prinzessin der Piktenstämme geheiratet und so wurde Frieden geschlossen für die Gebiete jenseits des Hadrianswalls.«

»Gut so. Ich hoffe, seine Prinzessin macht ihn glücklich.« Sein Blick hellte sich etwas auf. »Wie geht es meiner kleinen Schwester? Sie muss jetzt etwas älter als eure Nimue sein?«

»Sie ist ein Wildfang, genau wie ihre Brüder.« Lancelot grinste. »Wir haben sie letzten Sommer besucht. Ich denke, Lot hat endlich die grauen Haare bekommen, die er verdient.«

Er trank etwas Met und erinnerte sich mit Belustigung an den Besuch in Din Eidyn. Thaney war vorlaut und dickköpfig, doch auch großherzig. Sie und Nimue hatten sich angefreundet, und wenn Lancelot das richtig einschätzte, hatte Gawains kleine Schwester ein Auge auf Galahad geworfen. Eine Verbindung, die unangemessen wäre, wenn man bedachte, dass sie seine Großtante war. Aber jugendliche Gefühle ließen sich von solchen Aspekten wohl nicht sehr beeinflussen.

Gal jedenfalls war den zarten Annäherungsversuchen seiner jungen Verwandten mit freundlicher Ablehnung begegnet, sodass das Mädchen sowohl verstand, dass es sich in Bezug auf seine Person keine Hoffnungen machen brauchte, sich gleichzeitig dennoch seinen Stolz bewahrte. Das war eine Leistung, die nicht einmal gestandene Männer hinbekamen, weswegen Lancelot sehr stolz auf seinen Sohn war.

»Wirst du nach Din Eidyn reiten?«, fragte er seinen Freund.

Es wäre naheliegend, wenn Gawain seiner Familie einen Besuch abstattete, zumal es von hier aus nur zwei bis drei Tage zu Pferde benötigte, nach Lothian zu kommen. Doch die Beziehung Gawains zu Lot war gebrochen. Gawain hatte sich geweigert, seinen Platz als Thronerbe von Lothian einzunehmen, weil er der Tafelrunde und Artus treu bleiben wollte.

Lancelot hätte seinen Vetter gern eines Tages auf dem Thron Lothians gesehen. Gawain aber sah sich nicht als König. Er war ein Krieger, oft ein Anführer, ein Diplomat, doch kein Herrscher. Diese Aufgabe schien Gawain anderen überlassen zu wollen.

Dessen Antwort überraschte Lancelot daher nicht. »Nein, ich werde in ein paar Tagen gen Süden reiten, nach Camelot. Sofern dir meine Anwesenheit hier recht ist.«

»Mehr als recht«, beeilte Lancelot sich, zu sagen. »Du und dein Sohn, ihr könnt so lange bleiben, wie es dir beliebt.«

Gawain wirkte erleichtert. »Danke.«

»So, was hältst du nun von einem Rundgang in Din Guarie? Du solltest bewundern, welch großer Baumeister ich geworden bin.«

Sein Vetter grinste schief. »Nun, ich lasse mich gern von dir überraschen.«