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Gawain, der Lichtfalke von Lothian, hat genau zwei Regeln, wenn es darum geht, eine Geliebte zu finden: keine Jungfrauen und keine Ehefrauen. Der Held der Tafelrunde wird auf eine harte Probe gestellt, als er auf der Insel Erínn die wunderschöne Gemahlin des Clanführers trifft … Seine Liebschaften rücken allerdings in den Hintergrund, nachdem ihn eine traurige Nachricht erreicht hat, die ihn zurück in den Norden Britanniens ruft. Eine Reise, die Gawain für immer verändert, denn sein Weg führt ihn durch einen Wald, der nicht nur gefährlich, sondern auch verzaubert ist.
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Seitenzahl: 275
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Inhaltsverzeichnis
Titel
Informationen zum Buch
Impressum
Widmung
Landkarte
DER GRÜNE RECKE
DER GRÜNE GÜRTEL
DER KÜSSE DREI
DER ZAUBERWALD
PILZSUPPE
DIN EIDYN
KLINGENZORN
LOTS ENTSCHEIDUNG
CAMELOT
CAER LUEL
DIE VERBOTENE JAGD
ARTUS' UNMÖGLICHE AUFGABE
RAGNELLES HILFE
ARTUS' ERLÖSUNG
HOCHZEITSNACHT
ANMERKUNGEN DER AUTORIN
Jessica Bernett
GAWAIN
Historische Fantasy
Gawain: Lichtfalke
Gawain, der Lichtfalke von Lothian, hat genau zwei Regeln, wenn es darum geht, eine Geliebte zu finden: keine Jungfrauen und keine Ehefrauen. Der Held der Tafelrunde wird auf eine harte Probe gestellt, als er auf der Insel Erínn die wunderschöne Gemahlin des Clanführers trifft … Seine Liebschaften rücken allerdings in den Hintergrund, nachdem ihn eine traurige Nachricht erreicht hat, die ihn zurück in den Norden Britanniens ruft. Eine Reise, die Gawain für immer verändert, denn sein Weg führt ihn durch einen Wald, der nicht nur gefährlich, sondern auch verzaubert ist.
Die Autorin
Jessica Bernett wurde an einem sonnigen Herbsttag im Jahr 1978 als Enkelin eines Buchdruckers in Wiesbaden geboren. Am liebsten würde sie die ganze Welt bereisen und an jedem Ort einige Monate verbringen. Aktuell lebt sie mit ihrem Mann, ihren beiden Kindern und zwei Katzen in Mainz.
Sie liebt starke Frauenfiguren, die sie in spannende Geschichten verwickelt, und tobt sich in allen Bereichen der Fantasy aus, von historischer Fantasy über Urban Fantasy bis hin zur Science Fantasy.
Wenn sie nicht gerade mit ihren Kindern in Abenteuern versinkt, schreibt oder von neuen Geschichten träumt, tummelt sie sich mit Vorliebe auf Conventions, um sich mit Gleichgesinnten über Lieblingsserien, Filme und Bücher auszutauschen.
www.sternensand-verlag.ch
1. Auflage, April 2020
© Sternensand Verlag GmbH, Zürich 2020
Umschlaggestaltung: Juliane Schneeweiss
Lektorat / Korrektorat: Sternensand Verlag GmbH | Natalie Röllig
Korrektorat 2: Sternensand Verlag GmbH | Jennifer Papendick
Satz: Sternensand Verlag GmbH
ISBN (Taschenbuch): 978-3-03896-125-3
ISBN (epub): 978-3-03896-126-0
Alle Rechte, einschließlich dem des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.
Dies ist eine fiktive Geschichte. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.
Flieg, mein Falke,
flieg hinaus in die Welt und
bringe dein Licht zu jenen,
die sich danach sehnen.
Ein Hahnenschrei weckte Gawain. Zunächst war er sich nicht sicher, wo er in dieser Nacht eingeschlafen war. Grelles Licht fiel durch eine Fensterluke, als er sich aufrichtete, und er kniff ein Auge zu, während er das andere nutzte, sich umzusehen.
Eine kleine Kate, das Dach niedrig, an einer Stelle undicht. Das sollte gemacht werden. Nur ein Bett stand in diesem Bereich, den er sehen konnte. Der Rest wurde von einem Vorhang abgegrenzt.
Die Schönheit an seiner Seite seufzte im Schlaf. Das Fell, mit dem sie sich zugedeckt hatten, war etwas nach unten gerutscht und entblößte eine ihrer vollen Brüste.
Gawain hob die Brauen. Jetzt wusste er wieder, wo er war. Sorgsam zog er das Fell nach oben und streichelte mit der Hand über die Schläfe der schönen Frau. Ihr braunes Haar glänzte im dämmrigen Licht, ihre Haut schimmerte ebenmäßig und rein, obschon erste Fältchen um ihre Augen und Mundwinkel lagen und ihre Hände rau waren von der täglichen Arbeit. Sie war zu jung, um eine Witwe zu sein.
Vor drei Abenden waren sie sich in der großen Halle seines Gastgebers begegnet, wo sie mit ihrer ältesten Tochter Speis und Trank auftischte. Ihr keckes Lächeln hatte Gawain sofort gefallen. Als er sie in einem ruhigen Moment hinter dem Vorhang auf dem Weg zum Abtritt darauf ansprach, was wohl ihr Ehegatte von ihrem auffordernden Lächeln hielte, offenbarte sie ihm, dass der ihr Angetraute im letzten Sommer bei einem Sturm ums Leben gekommen und sie seither mit ihren drei Kindern allein sei.
Shona, das war ihr Name. Und sie hatte genau gewusst, worauf sie sich einließ. Auf eine Nacht der Wärme, einen Hauch der Erinnerung, wie es sich anfühlte, nicht mehr allein zu sein. Doch ohne die Verpflichtung, einem Mann untertan zu sein, ihn täglich zu bekochen, seinen Launen zu folgen. So hatte sie es ausgedrückt, was darauf schließen ließ, dass sie mit ihrem Alleinsein Frieden geschlossen hatte.
Wenn er es genau bedachte, bevorzugte er ohnehin erfahrene Frauen – solche, die sich nicht nach einer Nacht Hoffnungen machten, jene, die bereits wussten, was ihnen selbst gefiel. Denn wenn eine Frau in seinen Armen lag, die seine Berührungen genießen konnte, brachte ihm das mehr Vergnügen, als wenn er es ihr erst beibringen musste … oder ihr seine Berührungen gar zuwider waren.
Er küsste Shona auf die Stirn, sodass sie sich seufzend unter den Fellen rekelte. Ein verlockender Anblick. In seinen Lenden zuckte es. Der Hahnenschrei, der ihn geweckt hatte, bedeutete aber, dass der Morgen graute. Zeit, das warme Lager zu verlassen und damit leider seine Gefährtin der letzten Nacht.
»Musst du schon gehen?«, murmelte sie und schmiegte ihre Wange an seine Schulter.
»So ist es leider. Es sei denn, du möchtest mir ein Frühstück bereiten und mich deinen Kindern vorstellen. Dann könnte ich das Dach reparieren und deinem Sohn erklären, wie man eine ordentliche Angel baut.«
Ihre Hand wanderte zu der verräterischen Beule unter den Fellen. »Es ist eher das hier, wonach mir der Sinn steht. Das Dach kann ich selbst reparieren und mein Sohn hat immer noch Angst vor Wasser.«
Der Kleine war drei Jahre alt und Gawain hatte die älteste Tochter davon reden hören, dass er nicht einmal zum Fischfang tauge.
Er küsste sie nochmals auf die Stirn. »Zu gern würde ich deinem Sinn nachkommen, doch was ist, wenn wir die Kinder wecken?«
»Ich werde leise sein.«
»Ich nicht.«
Sie kicherte und biss ihm in die Schulter, was seine Entscheidung, zu gehen, auf einen wackeligen Grund stellte. »Du brauchst einen Mann«, raunte er ihr zu. »Einen, der dir hier hilft und dich beschützt.«
»Mein letzter Mann verstand unter ›Beschützen‹ mir ein blaues Auge zu verpassen, wenn die Eier kalt wurden.«
Er grunzte ob der zweideutigen Bemerkung. »Nicht alle sind so.«
»Ich weiß. Mein Vater war ein guter Mann, starb dennoch viel zu früh und hinterließ meine Mutter und außer mir drei weitere Kinder. Mein Stiefvater war ein Säufer. Ich konnte es kaum erwarten, das Haus so schnell wie möglich zu verlassen.«
Weshalb sie anscheinend den erstbesten Kerl geheiratet hatte, der ihr einen Antrag gemacht hatte. Nun, drei Kinder später, war sie wohl klüger geworden. Wer konnte es ihr verdenken? Dennoch sorgte sich Gawain um sie und ihre kleine Familie. Es waren beschwerliche Zeiten – auch hier in Erínn. Shona stand in den Diensten des Herrn von Bertilak und damit unter dessen Schutz. Dennoch konnte auch der edle Herr sie nicht davor bewahren, dass ein Mann sich einfach nahm, wonach ihm gelüstete.
»Gibt es denn keinen Recken in dieser Gegend, der dich interessiert?«
Sie ließ schnaufend von seiner Männlichkeit ab und ließ sich in die Felle sinken. »Es gibt nur einen, der im weitesten Sinne interessant wäre. Er weilt erst seit vier Monden in der Halle Bertilaks. Doch er wird wohl kaum ein Auge auf eine alte Witwe mit drei Kindern werfen.«
Gawain musterte sie neugierig. Sie stellte ihr Licht in ungebührlichen Schatten. Shona war schön und klug. Jeder Mann konnte sich glücklich schätzen, ihr Lager zu teilen, da sie durchaus Gefallen an körperlichen Leidenschaften fand. Er selbst war nur leider sehr ungeeignet als Ehegatte. Er war häufig unterwegs, kaum einen Mond am Hofe Camelots. Und außerdem fand er zu sehr Geschmack an den unterschiedlichen Früchten, welche die Weiblichkeit zu bieten hatte. Das wollte er wirklich keinem Eheweib zumuten.
»Warum sollte er dich nicht mögen?«, hakte er nach.
Sie legte den Arm über die Augen, sodass ihm ihr Gesicht verborgen blieb. »Er ist bestimmt zehn Sommer jünger als ich und die kichernden Jungfrauen sind gewiss interessanter für ihn als eine alte Witwe wie ich.«
Gawain runzelte die Stirn und fuhr sich mit dem Daumen über die Stoppeln seines beginnenden Bartes, was ihn daran erinnerte, dass er sich rasieren musste. Zunächst aber wollte er Shona behilflich sein. Sie verdiente etwas Glück in ihrem Leben. Ob ein Bursche, der jünger war, ihr das bieten konnte?
Sie blinzelte verschämt unter ihrem Arm hervor. »Ich meine den neuen Schmied, Ulric.«
Er versuchte, sich an einen Mann dieses Namens zu erinnern, konnte aber kein Gesicht zuordnen.
Shona seufzte. »Wie auch immer. Ich bin zufrieden. Meine Kinder sind gesund, ich habe Arbeit in der Festung des Herrn von Bertilak und was die Zukunft bringt, weiß Gott allein. Ich vertraue auf ihn.«
Noch als Gawain später von ihrer bescheidenen Hütte zur Festung von Bertilak lief, ging ihm Shona nicht aus dem Sinn.
Metallgeräusche aus der Schmiede verrieten ihm, dass der junge Mann, für den sie sich interessierte, bereits zu dieser frühen Tageszeit bei der Arbeit war.
Gawain blieb inmitten des Hofes stehen und hielt Ausschau nach dem Schmied. Dessen Arbeitsstelle lag auf der rechten Seite des Platzes. Der Mann war ein echter Hüne mit hellgoldenem Haar und selbigem Bartschatten. Als er den Hammer schwang, um ein Stück Metall zu bearbeiten, traten seine Muskeln deutlich hervor. Trotz seiner imposanten Statur hatte er wohl erst zwanzig Sommer gesehen.
Unwillkürlich musste Gawain grinsen. Shona hatte einen guten Geschmack. Ein Kerl wie dieser wäre ein ausgezeichneter Beschützer – sofern sein Herz am rechten Fleck zu finden war.
Er zögerte nicht lange und schlenderte hinüber zu dem Schmied, der gerade in seiner Arbeit innehielt, um sich den Schweiß aus dem Gesicht zu wischen.
»Guten Morgen«, begrüßte Gawain ihn gut gelaunt. »Du bist früh bei der Arbeit. Hat es nicht lange gedauert, das Feuer zu entfachen?«
Der Schmied nickte ihm freundlich zu. »Meine Arbeit beginnt vor Sonnenaufgang. Was kann ich für dich tun?«
Gawain verschränkte die Arme vor der Brust und musterte ihn von Kopf bis Fuß. Wäre er selbst eine Frau, hätte er bei diesem Anblick wohl auch die ein oder andere Fantasie entwickelt. »Es geht um eine Arbeit, die eigentlich nichts mit dem Schmieden zu tun hat.«
Der Mann zog eine Augenbraue hoch und packte nach seinem Hammer. »Tut mir leid, da kann ich nicht helfen, ich bin ausgelastet.«
Gawain kramte in dem Beutel an seinem Gürtel und holte zwei Silberstücke hervor. »Auch nicht für gute Bezahlung?«
Nun wurde der Schmied argwöhnisch, das konnte Gawain an der angespannten Haltung erkennen. »Welcher Art soll diese Arbeit sein?«
»Eine handwerkliche. Genau deswegen kann ich leider nicht selbst diese Arbeit erledigen.« Gawain grinste und hob seine Hände hoch. »Mit Klingen vermag ich umzugehen, mit Hammer und Nagel jedoch bin ich mir nur selbst im Weg.«
»Wie ich sagte, ich habe genug zu tun.« Der Mann schickte sich an, seine Arbeit an der Klinge fortzusetzen.
»Es geht um eine Freundin«, wandte Gawain rasch ein. »Das Dach ihres Hauses ist kaputt. Womöglich dauert es für einen geschickten Kerl nur einen halben Tag. Das ist gut verdientes Geld.« Er deutete mit einem Kopfnicken auf die Münzen in seiner Handfläche.
Der Schmied folgte dem Blick, schüttelte aber den Kopf. »Es gibt sicher jemand anderen, der dir und deiner Freundin helfen kann. Diese Klinge aber muss in zwei Tagen fertig sein. Der Herr erwartet meine Arbeit.«
»Du könntest das Dach am Nachmittag reparieren. Wenn deine Arbeit hier getan ist. Ein guter Zusatzverdienst.« Gawain spielte mit den Münzen und ließ eine davon zwischen seinen Fingern hin und her gleiten. Der Trick misslang und er musste sich bücken, um das Geld wieder aufzuheben, was ihn jedoch nicht seiner guten Laune beraubte. »Meine Freundin … sie lebt allein mit ihren Kindern unten am Rande des Dorfes. Wenn der Herbst Einzug hält, wird sie mit ihren Kindern im Nassen sitzen.«
Ulric presste fest die Lippen aufeinander. Offensichtlich rang er mit sich. Sehr gut.
Gawain griff nach einem Nagel, betrachtete das Handwerk des Burschen und sagte eher nebenbei, was ihm noch auf dem Herzen lag. »Sie ist Witwe und viel zu stolz, selbst um Hilfe zu bitten, und vermutlich fehlen ihr auch die finanziellen Mittel.«
Der Schmied ließ seinen Hammer wieder sinken und richtete sich zu voller Größe auf.
Gawain musste beinahe den Kopf in den Nacken legen, um ihn anzusehen, dabei war er selbst nicht kleinwüchsig. Diesmal war es der junge Mann, der ihn musterte.
»Muss eine gute Freundin von dir sein«, merkte Ulric nun an.
»Das ist sie.«
»Wenn sie im Dorf wohnt, kenne ich sie. Wer ist sie?«
»Shona, sie arbeitet für den Herrn von Bertilak.«
Die Kieferknochen des jungen Mannes spannten sich an, sein Blick verfinsterte sich. Gawain kannte diese Reaktion von anderen Männern. Sie versuchten, ihre Gefühle zu verbergen, besonders solche, die sie selbst nicht wahrhaben wollten.
Schließlich schüttelte der junge Schmied den Kopf. »Steck deine Münzen weg. Ich will sie nicht.«
»Also wirst du das Dach ihrer Hütte nicht reparieren?«
»Natürlich werde ich das!«, fuhr Ulric ihn an. »Aber dein Geld kannst du behalten, das nehme ich nicht.«
Gawain nickte langsam. Gut, er selbst stand nun in den Augen des jungen Mannes wie ein Idiot da. Aber Ulric würde Shona helfen, und das war es wert. »Danke«, sagte er daher mit strahlendem Lächeln. »Ich wünsche dir noch einen erfolgreichen Tag.« Er deutete gen Klinge, die abgekühlt war. Der Schmied würde sie wieder erhitzen müssen, bevor er sie weiter bearbeiten konnte. »Sieht nach einer guten Arbeit aus.« Und das meinte er auch.
Ulric grunzte etwas, das ebenfalls nach einem Dank klang, und Gawain verabschiedete sich wohlgelaunt.
Sein Tag hatte vielversprechend begonnen. Er wollte hoffen, dass er auch weiterhin so gut verlief. Gawain war schließlich nicht zu seinem Vergnügen hier in Erínn.
Der Herr von Bertilak war ihm seit seiner Ankunft aus dem Weg gegangen. Selbstverständlich war er gastfreundlich zu Gawain gewesen, hatte ihm und seinem Begleiter Percival die besten Gemächer zugewiesen, ihnen reichlich Speis und Trank zukommen lassen. Doch nun waren sie schon drei Tage am Hofe des Clanführers und bisher hatte sich keine einzige Gelegenheit zu einem vertraulichen Gespräch ergeben. Dabei wusste Bertilak sehr genau, weshalb Gawain hier war. Auf Geheiß von König Artus. Denn die Einladung nach Erínn kam von dem Herrn selbst.
Lag sein höfliches Desinteresse womöglich an Gawain? Hatte der edle Herr vielleicht einen anderen Gesandten erwartet, wie Lancelot oder Bors? Aber Ersterer war seit Kurzem verheiratet und daher mit Nestbau beschäftigt, während Letzterer nunmehr König nach seines Vaters Tod war und daher mit dem Regieren seines eigenen Landes alle Hände voll zu tun hatte.
Die Tafelrunde befand sich in einem Umbruch. Sie hatte einige neue Gefährten wie Gawains jüngsten Bruder Gaheris und Percival. Der junge Recke stand unter Gawains Fittichen und Artus hatte aufgetragen, dass Percival in die diplomatischen Beziehungen eingeführt werden sollte, nun, da zwei seiner engsten Vertrauten für diese Aufgabe nicht mehr zur Verfügung standen. Zudem war Gawain einer der wenigen, der die Sprache der Stämme Erínns beherrschte. Sie war dem Britannischen nicht unähnlich, doch die Aussprache war anders und schwer verständlich für ungeübte Ohren.
Gawain betrat die Halle und wurde begrüßt von eifrigen Vorbereitungen für das Frühstück. Sehr gut, er hatte den Clanführer also noch nicht verpasst.
Doch kaum befand er sich in dem hohen Raum, spürte er die Blicke einer Dame auf sich ruhen, die ihm jede gute Laune entzogen. Seine Haltung wurde ernst, als er auf die Herrin von Bertilak zutrat.
Ihre Augen schienen ihn ausziehen zu wollen, so lüstern musterte sie sein einfaches Gewand aus Bundhose und Hemd. Sie fuhr sich mit der Zunge über die Lippen und lächelte ihn herausfordernd an, während all ihre Bediensteten um sie herum ihre Arbeit taten. Dabei musste Gawain zugeben, dass sie ebenso eine Schönheit war wie Shona. Ihr Haar war von hellem Goldrot, ihre Augen leuchteten in tiefem Blau und ihre Figur war schlank und aufrecht.
»Welch reizender Morgen, nicht wahr, Gawain?«, begrüßte sie ihn fröhlich.
»Wunderbar«, bestätigte er, legte jedoch wenig Begeisterung in seine Stimme.
Die Dame des Hauses folgte ihm seit seiner Ankunft mit pikanten Blicken, ungeachtet der Tatsache, dass ihr Ehegatte höchst lebendig und agil wirkte.
Gawain aber hatte zwei Vorsätze in seinem Liebesleben getroffen: weder zu einer Jungfrau noch zu einer verheirateten Frau ins Lager zu steigen. Beides brachte nur Schwierigkeiten. Und diese Herrin von Bertilak versprach mehr als Schwierigkeiten. Vielmehr ein Desaster epischen Ausmaßes, sofern er sich auf ihre Bemühungen einließ.
Unruhig sah er sich in der Halle nach ihrem Ehegatten um. Das Frühstück wurde gerade gerichtet und Bedienstete und Krieger fanden sich ein, sodass geschäftiges Treiben herrschte.
Der Herr von Bertilak war nicht zu übersehen mit einer Körpergröße, die selbst Artus und Lancelot in den Schatten stellte, breiten Schultern wie ein Ochse und einer tiefen Stimme, die gerade durch den Raum hallte.
»Da ist ja unser Gast!«, rief er begeistert und eilte auf Gawain zu.
Wenn schon die Statur des Mannes auffiel, so tat es sein sonstiges Aussehen noch mehr. Der volle Bart, der bis zu den Schlüsselbeinen reichte, war grün gefärbt. Das schulterlange Haar trug er offen, interessanterweise in natürlicher brauner Farbe, die ersten Silbersträhnen durchzogen es wie Spinnfäden. Auch die Kleidung war grün, vom Hemd, das er locker in seine Bundhose gesteckt hatte, bis zu den Stiefeln.
Auf dem Weg zu Gawain nahm er von einem Bediensteten seinen Wollumhang sowie Köcher und Bogen entgegen.
»Welch wunderbarer Morgen, nicht wahr?«, meinte sein Gastgeber wohlgelaunt.
»In der Tat. Ein hervorragender Morgen für die Jagd«, stimmte Gawain zu.
Bertilak nickte zufrieden. »Ich werde gen Abend zurück sein. Meine Frau wird dir Gesellschaft leisten.«
Verwirrt verschränkte Gawain die Arme. »Du gehst allein auf die Jagd?«
»Natürlich nicht.« Der Mann lachte so tief, wie ein Bär brummte. »Mein treuer Diener begleitet mich.« Dann musterte er Gawain schmunzelnd. »Wir können uns heute Abend unterhalten über den Grund deines Besuches.« Er atmete tief ein und band seinen Gürtel fester. »In der Zwischenzeit sieh dich doch etwas um in meiner Festung. Lass dir unsere Gebräuche näherbringen.«
»Ich könnte dir Gesellschaft leisten auf der Jagd«, schlug Gawain vor. »Auch vom Pferderücken kann man sich gut unterhalten.«
»Reden? Bei der Jagd?« Er schüttelte sein Haupt, und sein grüner Bart bewegte sich wie eine Decke aus Moos. »Nein, mein junger Recke aus Britannien. Auf der Jagd steht mir der Sinn nach Stille und Erholung. Aber um dich etwas zu trösten, verspreche ich, dir einen Teil meiner Beute zu schenken … wenn du mir im Gegenzug das gibst, was auch immer du heute erhalten wirst. Einverstanden? Gut, gehab dich wohl.«
Gawain presste fest die Lippen aufeinander, als er dem Riesen nachsah.
Eine Hand legte sich vertraulich auf seine Schulter. »Darf ich dir beim Frühstück Gesellschaft leisten?«
Er neigte bedauernd den Kopf, als er das Lächeln der Herrin sah. »Vielen Dank, ich habe bereits gefrühstückt. Es ist wohl das Beste, wenn ich nach meinem Gefährten schaue. Er verträgt das hiesige Bier nicht so gut und davon hatte er am gestrigen Abend reichlich.«
Percival kniete am Fenster und betete, als Gawain die Kammer betrat.
Leise setzte sich dieser auf seine Bettstatt und wartete, bis der Jüngere mit einem inniglichen »Amen« endete.
»Wir haben ein Problem«, eröffnete Gawain sofort das Gespräch.
»Guten Morgen, Gefährte. Natürlich habe ich gut geschlafen und selbstverständlich hat es mir nichts ausgemacht, nicht zu wissen, wo du steckst. Bei einer Frau, vermute ich?«
Der junge Krieger sah ihn mit hochgezogenen Brauen an. Manchmal erinnerte ihn Percy an ein altes Eheweib. Fehlte noch, dass er ihn mit dem Pantoffel schlug.
»Ähm … ja«, antwortete Gawain und kratzte sich mit dem Daumen über den Bart. »Du kennst mich zu gut.«
Percy räumte sorgfältig seine Habseligkeiten zur Seite und setzte sich auf seine eigene Bettstatt, bevor er ihn mit strengen hellblauen Augen musterte. »Womöglich solltest du dich eher auf unseren Auftrag konzentrieren, als dich deinen Gelüsten hinzugeben.«
Gawain schnaufte belustigt. Sein Freund hatte eine ulkige Art, sich auszudrücken. Aber diese Art gehörte zu ihm, und Gawain hatte ihn in den letzten Monaten sehr gut kennengelernt, ihn unter seinen Schutz in Camelot genommen und versucht, ihm die große, weite Welt nahezubringen.
»Der Herr von Bertilak findet keine Zeit, sich mit mir zu unterhalten«, kam Gawain zurück zur Sache. »Dabei sind wir auf seine Einladung hierhergeschickt worden.«
»Er wollte Artus persönlich sehen. Vermutlich lässt er uns aus gekränktem Stolz warten, weil unser König nicht selbst kam.« Percy nahm seine Decke und faltete sie ordentlich zusammen.
»Das mag sein«, überlegte Gawain. Es war sogar sehr wahrscheinlich.
»Und der Herr behandelt uns freundlich, uns fehlt es an nichts«, fuhr Percy fort. »Wir müssen nur geduldig sein, bis er bereit dazu ist, die Verhandlungen aufzunehmen.«
Gawain ließ sich seitwärts auf seine Schlafstätte fallen und schwang die Füße auf die Felle.
»Du solltest deine Stiefel ausziehen«, ermahnte ihn Percy.
»Hmm, was sollen wir so lange tun, bis der Herr Zeit findet, mit uns zu sprechen?«, murmelte Gawain.
»Uns nicht mit der versammelten Weiblichkeit dieser Festung einzulassen, wäre eine erste Maßnahme. Und uns gut benehmen, wie es sich für diplomatische Gäste geziemt.«
Eigentlich sollte Gawain Percy beibringen, wie diese Diplomatie, die Artus so sehr schätzte, funktionierte. Seit ihrer Ankunft in Bertilak aber hatte Gawain das Gefühl, mehr von dem Jüngeren zu lernen als umgekehrt.
Gawain ließ das Frühstück ausfallen und verbrachte den Vormittag mit einigen Kriegern Bertilaks, um kleinere Übungskämpfe auszuführen. Percy stieß hinzu und bewies in einem schweißreichen Kampf, dass sein Langschwert Gawains beiden kürzeren Klingen nicht überlegen war.
Die Sonne stand hoch am Himmel, als die Herrin von Bertilak zum Übungsplatz geschlendert kam. Mit zauberhaftem Lächeln brachte sie kühlen Honigwein und süßes Brot. Ihre Dienerin hatte außerdem eine Decke dabei und die Herrin bot an, dass man das Mahl im Schatten eines Baumes nicht fern der Festung einnehmen könne.
Percival lehnte höflich ab mit der Begründung, er müsse sich einem Bad und seinen Gebeten widmen.
»Und du, steht dir der Sinn ebenso nach einem Bad?«, meinte die hohe Dame und musterte Gawain von oben bis unten.
»Ähm, ich verabschiede mich«, beeilte sich Percy zu sagen und ließ seinen Freund mit der Dame allein.
Gawain sah ihm mürrisch hinterher. Prima, wenn die Situation heikel wurde, kapitulierte sein junger Kampfgefährte.
»Ein Bad …« Er musste sich räuspern. »Nein, meine Dame. Aber die Erfrischungen nehme ich gerne an.« Er konnte sie nicht vollends ablehnen, sie war immerhin die Gastgeberin.
So führten sie und ihre Dienerin ihn zu einem Platz, der inmitten der grünen Hügel lag. Unter einem Baum breitete die Bedienstete die Decke aus, half ihrer Herrin, die Erfrischungen darauf auszubreiten, und zog sich dann in dezente Entfernung zurück, wo sie Blumen von der Wiese pflückte.
Stirnrunzelnd sah Gawain ihr dabei zu, bis die Herrin ihn sanft an der Schulter berührte.
»Bist du doch nicht hungrig?«
Er lächelte halbherzig. »Doch, vielen Dank für diese Mühe.«
Sie lachte schrill. »Das ist doch keine Mühe. Komm, greif tüchtig zu.«
Der Met schmeckte hervorragend und Gawain fragte sich, woher der Honig für dieses Getränk kam, denn er hatte keine Bienenstöcke in der Nähe der Festung gesehen.
»Wie ist es so in Camelot?«, erkundigte sich die Herrin von Bertilak.
Er sah sie kurz an und nahm rasch einen weiteren Schluck der goldfarbenen Flüssigkeit. »Es ist lebhaft, laut, fröhlich … ein guter Ort zum Leben. Die Bauern in der Nähe bringen reichlich Ernte ein, die Menschen leben in Frieden miteinander.«
»Solange sie keine Angriffe fürchten müssen von diesen … wie heißen sie noch gleich?«
»Angeln und Sachsen.«
Sie seufzte tief. »Ich dachte, sie heißen Jüten.«
»Manchmal sind es auch die. Aber viele Jüten kamen schon vor fünfzig Jahren hierher und kämpften an der Seite von Ambrosius.«
Er verkniff sich die Bemerkung, dass Britanniens Küste ebenfalls durch Angriffe der westlichen Nachbarn bedroht wurde. Vornehmlich durch die Skoten. Genau deswegen war er hier. Bertilak war ein Anführer des Stammes der Eile. Die Stämme Erínns lagen teilweise im Krieg miteinander. Wenn Artus es schaffte, sich mit einem oder mehreren Stammesanführern zu verbünden, konnten diese auf ihrer eigenen Insel dafür sorgen, dass die anderen Stämme zu beschäftigt waren, um noch weitere Piraten an Britanniens Küste zu schicken.
Umso besser war es, dass Bertilak selbst die Initiative ergriffen und eine Einladung an Artus geschickt hatte. Auch in seinem Interesse lag es, mit Artus zu verhandeln.
Deswegen musste Gawain Bertilaks Spielchen mitspielen und genau deswegen durfte er dessen Gemahlin nicht verstimmen. Noch weniger aber durfte er auf deren eigene Spielchen eingehen.
Ihr Haar glänzte goldrot im Schein der Sonne, ihre Augen blitzten gewitzt auf und ihre Figur war tadellos. Womöglich auch, weil sie etwas jünger als Bertilak war und ihm noch keine Kinder geboren hatte.
Gawain räusperte sich leicht und lächelte sie an. »Dein Gemahl ist oft auf der Jagd?«
Nun seufzte sie selbst und änderte ihre Position gerade so, dass er die Linie ihrer Kurven bewundern konnte. »Er kennt momentan nichts anderes. Er sagt, wir brauchen das Fleisch. Aber er könnte auch Jäger aussenden.«
»Was glaubst du, warum er sich so gerne auf der Jagd befindet?«
»Hmm, ich weiß es nicht. Es ist mir auch egal.« Sie rollte sich auf die Seite und lächelte Gawain verführerisch an. »Während seiner Abwesenheit kann ich tun und lassen, was ich möchte. Daher genieße ich diese Zeit.« Sie wollte nach seiner Hand greifen, doch er wich zurück.
Er ging davon aus, dass sie diese Zeit nicht mit Beten verbrachte. »Das Wetter ist sehr mild dieser Tage«, lenkte er von ihrem Annäherungsversuch ab.
Sie spielte mit einer Locke ihres rotgoldenen Haares. »Das lädt ein zu Abenteuern außerhalb der Halle.«
»Äh … ja.«
Verdammt, er kam sich schon vor wie Percival, wenn dieser mit einer Frau sprach. Das Problem war aber nicht, dass ihn dieses weibliche Wesen nicht interessierte. Nein, sein Körper reagierte auf ihre Nähe und das war nicht gut. Sein Körper wollte, sein Verstand und sein Herz hinderten ihn daran, dem Verlangen nachzukommen. Es wäre das Beste, zurück in die Festung zu gehen, er hatte der Höflichkeit Genüge getan.
»Hast du Angst vor mir?«, wollte sie mit spöttisch hochgezogenen Brauen wissen.
»Ja«, gab er zu. »Und vor dem, was mich erwartet, wenn ich als dein Zeitvertreib diene.«
Sie lachte und rollte zurück auf den Rücken. »Ich mag dich wirklich sehr. Du bringst mich zum Lachen und in mir brennt eine Hitze, die nicht von der Sonne kommt.«
Das war genug. Er richtete sich auf, doch sie sah seinen Fluchtversuch voraus und erhob sich ebenfalls, gerade so, dass ihr Oberkörper den seinen fast berührte und Gawain ihren Atem auf seiner Wange spürte.
»Lauf nicht fort«, hauchte sie.
»Es ist besser, wenn ich gehe.«
Sie packte seine Hand und presste sie auf ihren Busen. »Wenn du versuchst zu gehen«, raunte sie, »werde ich schreien. Dann hört uns meine Dienerin und ich werde ihr erzählen, dass du mir Gewalt antun wolltest.«
Das konnte unmöglich ihr Ernst sein. Er hatte schon öfter mit Frauen zu tun gehabt, die sehr hartnäckig in ihrem Werben waren. Hin und wieder erlaubte er sich, dem nachzugeben. Hier schwach zu werden, wäre nicht nur sein Todesurteil, sondern auch das Scheitern der diplomatischen Verhandlungen Britanniens mit Erínn.
Sie lachte erneut dieses schrille Lachen und zog ihre Hand zurück. »Du schaust ja so aus, als hättest du wirklich Angst vor mir.«
Ihm saß ein fester Kloß im Hals. Es war ein gefährliches Spiel, das sie hier mit ihm spielte. Gefährlich für ihn.
»Ich werde dich gehen lassen«, säuselte sie und klimperte mit den Wimpern. »Unter einer Bedingung.«
Er hob wenig begeistert die Brauen. »Welche soll das sein?«
»Ein Kuss.« Sie näherte sich seinem Gesicht. »Ein harmloser Kuss.«
Er rückte etwas ab von ihr. »Nein«, sagte er mit rauer Stimme.
Ihre Miene wurde ernst. »Ein Kuss, oder ich erzähle allen, wie du mich unter diesem Baum genommen hast … mein Gemahl wird nicht begeistert sein von deinem Verhalten. Noch morgen wirst du mit deinem Gefährten zurück nach Britannien segeln.« Sie reckte stolz das Kinn.
Offensichtlich gefiel ihr dieses Gefühl von Macht.
Wenn sie log und in der Festung von Bertilak eine solche Geschichte erzählte, wäre das sein Ende.
»Ein Kuss«, wiederholte er.
Sie nickte.
»Nichts weiter.«
»Bist du eine tumbe Jungfrau? Das sagte ich doch. Nun zier dich nicht.«
Er starrte sie fassungslos an.
Sie rollte mit den Augen. »Meinetwegen auch nur auf die Wange. Wärest du damit zufrieden?«
Zufrieden nicht. Doch das wäre eine Geste, die er mit seinem Gewissen und vor ihrem Gemahl vertreten konnte. Also nickte er.
Ihre Lippen berührten kühl seine Wange, verharrten dort für einen Augenblick.
Er ballte eine Hand zur Faust und schloss angespannt die Augen.
Dann war der Moment vorüber und die Herrin von Bertilak zog sich lachend zurück. »Siehst du? Ganz harmlos.«
Diese Frau würde sein Untergang sein. Und Gawain fiel nichts ein, was er dagegen tun konnte.
»Diese Frau wird dein Untergang!« Percy marschierte in der Kammer hin und her. »Du musst dich fernhalten von ihr!«
»Das weiß ich selbst.« Ungehalten fuhr sich Gawain durch das wirre Haar. »Hast du einen Kamm? Ich finde meinen nicht.«
»Es wäre sogar besser, du bleibst hier im Gemach, bis Bertilak bereit ist, mit uns zu sprechen.«
»Wie ein unartiges Kind?« Gawain prustete belustigt. »Nein, mein Freund. Das wäre wie ein Schuldeingeständnis.«
»Was willst du sonst tun? Zulassen, dass sie sich vor den Augen ihres Gatten auf deinen Schoß setzt?«
»Ich werde sie zu dir rüberschubsen, falls dich das beruhigt.«
Percys entsetzter Gesichtsausdruck war unbezahlbar.
Gawain schüttelte amüsiert den Kopf. »Das war ein Scherz.«
Sein Freund kniff die Brauen zusammen. »Verzeih, dass ich in unserer Situation nicht zum Scherzen aufgelegt bin.«
Gawain zog sich ein frisches Hemd über und steckte es in die Hose. »Es hilft nichts, wir müssen diese Situation durchstehen. Sich im Dunkeln zu verstecken, ist keine Lösung.« Er schnaufte und sah seinen jüngeren Freund an.
Percy wäre ein Augenschmaus für jedes weibliche Wesen mit seiner schlanken Gestalt, den hellblauen Augen und dem wohlgeformten Gesicht. Wenn nur diese Ernsthaftigkeit nicht wäre. Genau diese bewahrte ihn aber derzeit vor den Annäherungsversuchen der Herrin dieser Festung, denen Gawain nunmehr ausgeliefert war. Er straffte die Schultern und bemühte sich um ein ähnlich ernsthaftes Auftreten wie sein Freund.
»Nun denn, auf in den Kampf«, murmelte er.
Zum abendlichen Gelage hatte sich der Hausherr wieder eingefunden und erklärte gerade mit ausschweifenden Gesten, wie er einen Hirsch erlegt habe. Das Feuer inmitten der Halle und Fackeln an den steinernen Wänden spendeten Licht. Krieger, Bedienstete und sonstige Bewohner der Festungsanlage von Bertilak waren zugegen. Einige unterhielten sich, andere lauschten ihrem Herrn. Die Stimmung war entspannt und ohne Änderung zu den vorherigen Abenden.
Die Herrin von Bertilak, die neben ihrem Gemahl saß und an ihrem Becher nippte, schien nichts erzählt zu haben von ihrem privaten Gespräch mit Gawain.
»Ah, da sind ja unsere Gäste«, unterbrach Bertilak seine Erzählung, als er Gawain und Percival erblickte. »Kommt zu mir, setzt euch, greift zu und lasst euch verraten, was ich heute erlegt habe. Dieser Hirsch war wahrlich ein fetter Brocken.« Er lachte herzlich, wobei sein grüner Bart auf und ab wippte.
Gawain nahm auf dem Hocker neben dem Stuhl des Herrn Platz, während Percy auf einer Bank zu den Kriegern rückte. Sie ließen sich Schalen mit Brot und Bratensoße sowie Becher mit Bier weiterreichen.
Bertilak begann nochmals mit der Geschichte von dem Hirsch, der ihn mit seinem riesigen Geweih angreifen wollte, obschon bereits drei Pfeile in seinem Leib steckten. »Das Tier wollte nicht aufgeben. Ein bewundernswerter Überlebenswille. Beinahe schade um das mutige Herz.« Er zuckte die mächtigen Schultern und trank von seinem Bier, bevor er Gawain interessiert anschaute. »Das Geweih soll dir gehören. Lässt sich gewiss etwas Gutes daraus machen. Aber zunächst möchte ich hören, wie es dir heute ergangen ist und welche Gabe du im Gegenzug für mich hast.«
Gawain verschluckte sich an seinem Bier und der Herr musste ihm auf den Rücken klopfen, damit es wieder ging. Er steckte in großen Schwierigkeiten. »Es war ein geruhsamer Tag«, wich er aus.
»Unsinn, erzähl doch.«
»Wir haben uns hauptsächlich in Waffen geübt«, sprang Percy ein.
»Und nichts hast du bekommen?« Bertilak hob die Brauen, hielt den Blick Gawains fest. Plötzlich waren dort keine Wärme und kein Wohlwollen mehr zu spüren.
Es wäre das Beste, nicht die Wahrheit zu sagen. Die Vorstellung einer Lüge aber bohrte sich wie ein giftiger Stachel in Gawains Herz. Nein, er musste bei der Wahrheit bleiben. »Was ich heute bekam …«, murmelte er.
»Ja, ich höre?« Bertilaks Brauen berührten sich und bildeten einen dicken Balken.
Ohne weiter nachzudenken, beugte sich Gawain in seine Richtung und drückte ihm einen kurzen, aber doch festen Kuss auf die Wange.
Bertilak starrte ihn an, als hätte ein Geist von ihm Besitz ergriffen, dann hellte sich seine Miene auf, der Brauenstamm teilte sich wieder in zwei und der Mann lachte aus vollem Halse, sodass er sich den Bauch halten musste.
»Das ist gut«, brüllte er und wischte sich die Lachtränen aus den Augen. »Sehr gut!« Zufrieden klopfte er Gawain auf den Oberschenkel und rief nach einem Diener, damit man ihnen noch mehr Bier brachte.
»Was hast du dir dabei gedacht?!«, kläffte ihn Percy viele Humpen später in ihrer Kammer an.