Elfenblüte. Alle fünf Bände in einer E-Box! - Julia Kathrin Knoll - E-Book
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Elfenblüte. Alle fünf Bände in einer E-Box! E-Book

Julia Kathrin Knoll

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Beschreibung

***Romantisch, gefühlvoll und herrlich melancholisch!*** Es ist alles andere als leicht, als überzeugtes Großstadtkind von Hamburg aufs bayerische Land zu ziehen. Und das auch noch in eine Kleinstadt, in der jeder jeden kennt und man selbst niemanden. Erst in Alahrian, dem Jungen mit den himmelblauen Augen und dem makellosen Aussehen, findet die siebzehnjährige Lillian einen Vertrauten. Dabei ist Alahrian alles andere als menschlich. Als Geschöpf der Natur kann er Blüten zum Blühen und Gewitter zum Brodeln bringen. Aber mit den Gefühlen zu Lillian umzugehen, steht auf einem ganz anderen Blatt … //Textauszug: Er nickte verlegen, starrte zu Boden und entdeckte mit jähem Schreck etwas Weißes zwischen seinen Fingern im Gras. Es war eine Lilienblüte. Vor ungefähr fünf Sekunden war sie noch nicht da gewesen, nun aber schob sie sich mit beeindruckender Geschwindigkeit durch die Erde. Um ihn zu erfreuen, vielleicht. Vielleicht, um ihn zu trösten, weil es ihm so schlecht ging. Blumen waren nicht immer so leicht zu durchschauen, selbst für ihn nicht. Vielleicht war es auch einfach nur, weil er an nichts anderes denken konnte als an Lilly. Lilly … Lilly … Lilly … Lilly, die Lilie.// //Die E-Box zur Elfenblüte-Reihe enthält folgende Romane: -- Himmelblau (Elfenblüte, Teil 1) -- Sonnengelb (Elfenblüte, Teil 2) -- Glutrot (Elfenblüte, Teil 3) -- Nebelgrau (Elfenblüte, Teil 4) -- Wiesengrün (Elfenblüte, Teil 5)//

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Alle Rechte vorbehalten. Unbefugte Nutzungen, wie etwa Vervielfältigung, Verbreitung, Speicherung oder Übertragung, können zivil- oder strafrechtlich verfolgt werden.

In diesem E-Book befinden sich eventuell Verlinkungen zu Webseiten Dritter. Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass sich die Carlsen Verlag GmbH die Inhalte Dritter nicht zu eigen macht, für die Inhalte nicht verantwortlich ist und keine Haftung übernimmt.

Im.press Ein Imprint der CARLSEN Verlag GmbH © der Originalausgabe by CARLSEN Verlag GmbH, Hamburg 2015 Texte © Julia Kathrin Knoll, 2015 Lektorat: Konstanze Bergner Umschlagbild: shutterstock.com / © Zaretska Olga Umschlaggestaltung: formlabor Gestaltung E-Book-Template: Gunta Lauck Satz und E-Book-Umsetzung: readbox publishing, Dortmund ISBN 978-3-646-60163-3 www.carlsen.de

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Im.press Ein Imprint der CARLSEN Verlag GmbH © der Originalausgabe by CARLSEN Verlag GmbH, Hamburg 2015 Text © Julia Kathrin Knoll, 2015 Lektorat: Konstanze Bergner Umschlagbild: shutterstock.com / © Zaretska Olga / © Vojislav Markovic Umschlaggestaltung: formlabor Gestaltung E-Book-Template: Gunta Lauck Schrift: Alegreya, gestaltet von Juan Pablo del Peral

EINE LEGENDE (PROLOG)

Der Junge kam anno 1649 ins Dorf, kurz nach Ende des großen Krieges, der dreißig Jahre lang das ganze Land verwüstet hatte.

Zuerst schenkte ihm niemand Beachtung, es gab viele herumstreifende Waisenkinder dieser Tage, viele entwurzelte Seelen, die weder Heim noch Familie mehr hatten. Doch der Junge war anders, sehr schnell bemerkten das die Dorfbewohner. In den Wäldern zu Hause, streifte er beständig in der freien Natur umher, schien keines Daches über dem Kopf zu bedürfen, keiner Nahrung, keines Schutzes. Tiere reagierten seltsam in seiner Gegenwart, selbst die scheuesten, wildesten Bestien vermochte er zu zähmen, und manche Bauern behaupteten, ihre Felder trügen mehr und schönere Früchte, nachdem er sie betreten hatte.

Viele Menschen holten sich Rat bei dem Jungen, denn er wusste Bescheid über die seltsamsten Dinge, vermochte Streit zu schlichten und Recht zu sprechen. Er kannte eine Menge Heilkräuter, half so manchem Kranken, den der Medikus schon aufgegeben hatte, und konnte Schmerzen lindern und Wunden versorgen.

Einige Dorfbewohner hielten ihn für eine Art Engel; sie glaubten, ihn umgeben von Licht erblickt zu haben, und sie hielten dieses Licht für einen Funken des göttlichen Feuers. Wieder andere jedoch waren überzeugt, er sei ein Dämon, eine Ausgeburt der Hölle, und behaupteten, ihn des Nachts mit dem Teufel tanzen gesehen zu haben, auf der Lichtung, wo früher eine heidnische Kultstätte gestanden hatte. Jene Lichtung, die er beinahe jeden Tag aufsuchte.

Dann kam die Pest ins Dorf und viele Menschen starben, doch einige heilte der Junge, und unter ihnen war auch die Tochter des Bürgermeisters. Aber sie war danach nicht mehr dieselbe, besessen sei sie, sagte ihr Vater. Der absonderliche Knabe habe sie verhext und in seinen Bann geschlagen.

Von diesem Tag an zog der Junge sich in die Wälder zurück und lebte dort in einem Haus, das er selbst gebaut hatte, auf der Lichtung, auf der einst der heidnische Tempel gestanden hatte. Die Dorfbewohner aber sahen das als Beweis seiner Schuld und glaubten nun, er stünde tatsächlich mit Teufeln und Dämonen im Bunde.

Nur wenige Monde später kam der Inquisitor ins Dorf, der Bürgermeister denunzierte den Jungen. Die Dorfbewohner stürmten sein Haus und warfen ihn in den Kerker unter dem Rathaus. Unter Folter gestand er seine Verbrechen, er wurde verurteilt und man zerrte ihn auf den Scheiterhaufen, damit das Feuer ihn von seinen Sünden reinigen möge.

Alle Dorfbewohner sahen zu, wie die Flammen den Jungen einhüllten, und mit seinem letzten Atemzug verfluchte er sie. Da fiel ein tiefer Schatten über das Dorf. Der Junge aber brannte, doch man sagt, er starb nicht. Der Dämon, den er gerufen hatte, rettete ihn aus den Flammen.

An der Stelle aber, wo der Scheiterhaufen gestanden hatte, da fanden die Dorfbewohner am nächsten Morgen die Figur eines steinernen Engels, und der Fluch, der über dem Dorf lag, konnte erst gebannt werden, als man eine Kapelle errichtete, direkt neben der Figur.

Die Kapelle gibt es bis heute, ebenso den Engel, und man sagt, von Zeit zu Zeit sähe man Tränen über dessen steinernes Antlitz rinnen …

Aber das – ist nichts als eine Legende …

DAS DORF

Lilly fühlte einen kalten Schauer über ihren Rücken rinnen. Fast angewidert legte sie die Broschüre beiseite und stopfte sie ins Handschuhfach des gemieteten Umzugsvans. Das bunt bedruckte Faltblatt pries offenbar nicht nur die spärlichen Touristenattraktionen des Dorfes an – gute Luft und einzigartige Wanderwege –, sondern auch die eine oder andere Gruselgeschichte. Vermutlich, um sich selbst einen etwas mystischeren Anstrich zu verleihen.

»Nun, Schneewittchen«, bemerkte ihr Vater und warf Lilly, die Augen kurz von der Straße nehmend, einen hoffnungsvollen Blick zu, »so etwas müsste dir doch eigentlich gefallen …«

»Was?«, gab Lilly übellaunig zurück. »Dass wir an einen Ort ziehen, auf dem ein Fluch liegt?«

Sie bereute ihre Worte sofort. Während der letzten Wochen hatten sie lange und ausführlich genug über den Umzug gestritten, im Grunde hatte sie keine Lust auf eine Fortsetzung. Es war ohnehin zu spät. Die Wohnung in Hamburg stand längst leer, und was noch nicht in ihrem neuen Zuhause angelangt war, das stapelte sich, in Kartons verpackt, hinten im Wagen.

Ihr Vater seufzte entnervt und – wie es schien – ein wenig enttäuscht. »Der neue Job ist viel besser als der alte«, begann er die oft zitierten Argumente erneut aufzuzählen. »Und ich dachte, du magst Lena.«

»Ich mag sie ja auch«, beeilte sich Lilly zu entgegnen und blickte schnell aus dem Fenster, um die aufkeimende Diskussion zu beenden.

Lena war seit wenigen Wochen Lillys Stiefmutter. Und es war nicht gelogen: Sie schien wirklich nett zu sein, Lilly hätte es schlimmer treffen können. Lena arbeitete als Krankenschwester in einer kleinen Klinik mitten im Bayerischen Wald und war Lillys Vater, selbst Herzchirurg, auf irgendeiner medizinischen Messe über den Weg gelaufen. Vergangenes Frühjahr hatten sie geheiratet, dann kam das Jobangebot von Lenas Krankenhaus, alles passte perfekt zusammen und die beiden konnten endlich ihre Fernbeziehung in ein echtes Zusammenleben umwandeln. Mit Haus und Garten und einem gemeinsamen Arbeitsplatz, der es ihnen erlaubte, sich trotz der vielen Nachtschichten und Überstunden regelmäßig zu sehen.

Lilly gönnte es ihnen, aufrichtig. Ihre Eltern hatten sich schon kurz nach ihrer Geburt scheiden lassen, Lilly war bei ihrem Vater aufgewachsen, und der hatte seit ihrer Mutter nie wieder eine ernsthafte Verbindung gehabt. Das neue Patchwork-Familienglück war also okay, der einzige Haken daran war: Musste es unbedingt in Sibirien sein? In der Wüste Gobi? Auf einem Einödhof irgendwo im Himalaja?

Jedenfalls kam es Lilly so vor. Ihr neuer Wohnort lag mitten im Wald, mitten in Bayern. Ein kleines Dorf, das in keiner halbwegs vernünftigen Karte auch nur verzeichnet war. Ach ja, und auf dem ein geheimnisvoller, nicht näher definierter Fluch lag, wie sie soeben erfahren hatte … Nicht, dass Lilly wirklich an so etwas glauben würde …

Dabei würde sie Hamburg vermutlich noch nicht einmal vermissen. Die enge Wohnung mitten in der Innenstadt, die schmutzige Großstadtatmosphäre und die tristen, grauen Straßenzüge. Immer ein wenig zu laut, immer ein wenig verstopft.

Der Himalaja hingegen zeigte sich von seiner absoluten Schokoladenseite. Obwohl die Sommerferien fast vorbei waren, herrschte flimmernde Hitze. Das strahlende Blau des Himmels wurde nur von einigen wattigen, weißen Schäfchenwölkchen unterbrochen und neben der kurvigen Landstraße schimmerte sattes, glänzendes Grün in allen Schattierungen. Auf den Weiden grasten sogar dicke, braun-weiß gefleckte Kühe. Ein Postkartenpanorama, wie es im Buche stand, und trotzdem …

Im Himalaja gab es keinen alten, verschrobenen Professor, der ihr für wenig Geld Klavierstunden erteilte, es gab keine Konzerthäuser, wo man mit günstigen Schülertickets Bach, Mozart und Schumann hören konnte. Ja, in der neuen Schule gab es noch nicht einmal ein schnödes Schulorchester!

Lillys großer Traum schien damit in weite Ferne zu rücken. Sie wollte Musik studieren und Pianistin werden, wie ihre Mutter – ihre Mutter, die ständig unterwegs war, von Auftritt zu Auftritt hetzte, in verschiedensten Städten. Ein solches Leben war nichts für ein Kind und so hatte Lilly zeitlebens bei ihrem Vater gewohnt. Sie wusste, ganz tief in ihrem Inneren, die Musik hatte ihre Familie kaputt gemacht, und doch … Das Klavierspiel war auch Lillys große Leidenschaft.

»Er ist noch nicht angekommen, oder?«, fragte sie unwillkürlich, aus ihren Gedanken erwachend, hoffnungsvoll. »Mein Flügel?«

Ihr Vater schüttelte den Kopf. »Noch nicht.« Er bemerkte Lillys Gesichtsausdruck und lächelte aufmunternd. »Aber ich werde gleich morgen noch mal bei der Speditionsfirma anrufen, versprochen.«

Lilly nickte seufzend und starrte wieder aus dem Fenster. Hinter den Hügeln war schon der Wald zu erkennen, es konnte also nicht mehr weit sein. Eigentlich hatte sie schon immer gern am Waldrand wohnen wollen, unter schattigen Bäumen, morgens von Vögeln geweckt, mitten im Grünen. Aber ohne ihren geliebten Flügel, der irgendwo zwischen ihrem alten und ihrem neuen Zuhause festzustecken schien? Ohne Musikunterricht? Ohne Klang, Ton und Melodie?

Genauso gut hätte sie sich die Hand brechen oder schwerhörig werden können. Schwerhörig wie Beethoven.

Lilly seufzte wieder, lehnte sich auf dem Beifahrersitz zurück und schaltete demonstrativ ihren MP3-Player ein.

***

Das Haus passte zu der Postkartenlandschaft drum herum. Es war groß und weiß, mit grün gestrichenen Fensterläden und einem hölzernen Balkon, von dem üppige, rote Geranien flossen. Früher einmal war es ein Bauernhof gewesen, der Lenas Eltern gehört hatte, heute existierte nur noch der Wohnbereich, Scheunen und Ställe waren abgerissen worden. An deren Stelle befand sich jetzt der Garten, der hinter dem Zaun direkt in den Wald überging.

»Wenigstens haben wir keine direkten Nachbarn«, bemerkte ihr Vater in dem Versuch, Lilly das Ganze schmackhafter zu machen. »Das heißt, niemand wird sich beschweren, wenn du den ganzen Tag Klavier übst.«

»Oh, Nachbarn haben wir schon«, erklärte Lena, die das Auto heranfahren gehört und nun die Einfahrt überquert hatte, um Lillys Vater zu umarmen. »Auf einer Lichtung im Wald gibt es noch eine alte Jugendstilvilla. Zwei Brüder wohnen dort. Der jüngere von beiden müsste in deine Klasse gehen, Lilly. Er ist ein sehr netter Junge.«

Nun, Lena musste es ja wissen, schließlich war sie in diesem Kaff aufgewachsen. Lilly zwang sich zu einem höflichen, wenngleich nicht gerade begeisterten Lächeln. Netter Junge, alles klar …

Rasch drehte sie sich um, lief zum Umzugswagen zurück und begann einige der Kartons hervorzuzerren. Wenigstens hatte sie noch ihre Bücher, wenn schon der Flügel verschollen war!

Das Haus kannte Lilly bereits, sie wusste also, wo ihr Zimmer lag, und schleppte die Kiste selbständig nach oben, ohne sich weiter um Lena und ihren Vater zu kümmern. Die beiden freuten sich bestimmt über ein bisschen Privatsphäre.

Als sie den dritten Karton in ihr neues Zuhause verfrachtet hatte und über den Hof lief, um Nachschub zu holen, bemerkte sie zwei Mädchen auf der anderen Seite der Einfahrt. Die eine war jünger als Lilly, ziemlich unscheinbar, mit langen, geflochtenen Heidi-Zöpfen, die andere das genaue Gegenteil.

Verblüfft hielt Lilly inne. Vor ihr stand Barbie in Fleisch und Blut, wahrhaftig! Rosa lackierte Zehennägel guckten aus glitzernden Riemchensandalen mit halsbrecherischen Absätzen, darüber erstreckten sich bewundernswert lange, gebräunte Beine, die von einem knappen Jeansrock nur unzureichend bedeckt wurden. Auch das pinkfarbene Top, auf dem in Schnörkelschrift tatsächlich Girl Power stand, enthüllte mehr als es verbarg, und zu allem Überfluss war das offene, weit über die Schultern fallende Haar so grellblond, dass Lilly beinahe blinzeln musste.

Wow! Lilly hatte sich für einen weitestgehend vorurteilsfreien Menschen gehalten, aber in diesem Fall … Dieser Fall war eine echte Herausforderung!

Ihr zugegebenermaßen nicht sehr höfliches Starren bemerkend lächelte das Barbie-Mädchen affektiert und stakste elegant auf sie zu. »Hallo«, rief es über den Hof hinweg. »Ich bin Anna-Maria und das hier ist meine Schwester Kathy.« Sie deutete mit einer manikürten Hand auf das schüchterne Mädchen, das noch immer am Zaun stand. »Du musst die Neue sein. Lillian, nicht?«

Lilly nickte zaghaft. In Hamburg wäre so ein Umzug niemandem aufgefallen. Hier schien sich das Ganze ziemlich schnell herumgesprochen zu haben. »Lilly«, verbesserte sie mit einiger Verspätung. »Die meisten nennen mich Lilly.«

»Ah, okay.« Anna-Maria wirkte ein wenig irritiert. »Mein Vater ist Bürgermeister hier im Dorf«, erklärte sie dann, wieder an Selbstbewusstsein gewinnend. »Herzlich willkommen bei uns!«

Kurz befürchtete Lilly, nun eine Art Präsentkorb mit rosa Schleifchen überreicht zu bekommen, doch diese Angst erfüllte sich nicht. Stattdessen bemerkte Anna-Maria mit einer überraschend aufrichtigen Begeisterung: »Wenn du magst, kann ich dir das Dorf zeigen! Wir könnten Eis essen gehen oder so.«

»Hm …« Lilly zögerte einen Moment, in dem sie verstohlen an sich herabblickte: schwarze Sneakers, schwarze Jeans, schwarze Bluse. Neben Anna-Maria würde sie aussehen wie Draculas Tochter persönlich! Andererseits: Das Barbie-Mädchen wirkte netter als erwartet und ein kühles Himbeereis mit Schokosoße war bei dem Wetter allemal eine bessere Aussicht als Kistenschleppen.

»Okay«, meinte sie schließlich, auch wenn ihr Enthusiasmus zu wünschen übrig ließ. »Ich geh nur schnell meinen Vater fragen, ja?« Ein Teil von ihr hoffte, ihr Vater würde es nicht erlauben. Allerdings war der gerade dabei, mit Lena die Wandfarbe für sein neues Arbeitszimmer auszusuchen und nickte nur zerstreut, ohne Lilly weiter zu beachten.

Na schön! Rasch mit den Fingern ihre zerzausten Haare glättend sprang Lilly die Treppe hinunter. Den Blick in den Spiegel vermied sie ganz bewusst.

Wenige Minuten später blickte Lilly sich neugierig im Dorfzentrum um. Kathy hatte sich zu ihrem Bedauern bereits verabschiedet, da sie noch Hausaufgaben zu erledigen hatte, und so schlenderte Lilly allein mit Anna-Maria durch die fremden Straßen.

Es war nicht ganz so schlimm, wie sie es sich vorgestellt hatte, der Ort war größer als gedacht. Es gab eine kleine Bücherei, einige Geschäfte und sogar ein winziges Kino, das jedoch Filme anpries, die mindestens seit einigen Monaten nicht mehr aktuell waren. Beherrscht wurde das Ganze von der beeindruckenden, mittelalterlichen Fassade des alten Rathauses, das mehr wie eine Festung wirkte als wie ein Ort der Bürokratie. Anna-Maria präsentierte es jedoch mit besonderem Stolz, schließlich war dies die Domäne ihres Vaters, des Bürgermeisters. Überhaupt redete sie unaufhaltsam und mit nur wenigen Unterbrechungen. Innerhalb kürzester Zeit erfuhr Lilly so den neuesten Dorfklatsch, die wichtigsten Fakten über die Schule, die Lehrer – und natürlich über die hiesigen Jungs.

Jungs waren immer noch das Thema, als sie sich in der Eisdiele niederließen, der einzigen im Dorf. Aus der Ferne hatte sie schick ausgesehen, im angesagten Retrostil der Fünfzigerjahre, aus der Nähe betrachtet mutmaßte Lilly jedoch, die Einrichtung stamme tatsächlich noch aus der Zeit. Was allerdings auch seinen Charme hatte, wie sie zugeben musste.

Anna-Maria hörte sie mittlerweile nur noch mit halbem Ohr zu, schließlich wollte sie hier ohnehin nicht lange bleiben. Welchen Wert hatte es da, sich einzugewöhnen? Sobald sie achtzehn wurde, würde sie von hier verschwinden, so viel stand fest. Das war dann in zwei Jahren. Eine lange Zeit, wenn man es genau betrachtete …

Lilly zwang sich, von ihrem Getränk aufzusehen, um sich auf Anna-Marias Worte zu konzentrieren.

In diesem Moment sah sie den Engel.

EIN ENGEL IN BLUEJEANS

Er stand an eine Litfasssäule gelehnt in der Sonne, die Gestalt hochgewachsen und schlank, vom Licht eingehüllt wie in einen Mantel aus funkelndem Glas. Seine Haut war weiß wie frisch gefallener Schnee und sie leuchtete, als flössen Ströme von winzigen, bläulich glühenden Flammen durch seine Adern anstatt Bluts. Sein Gesicht war das einer griechischen Statue, fein geschnitten und ebenmäßig, das Haar schimmerte wie hauchfeine, von Samt überzogene Fäden aus Gold und die Augen … Die Augen ließen Lilly den Atem anhalten. Groß und mandelförmig und sonderbar kristallin, so als bestünden sie aus hundertfach geschliffenem Diamant, und dabei leuchteten sie in sämtlichen Blautönen, die Lilly je gesehen hatte, von dunklem Saphir bis zu strahlendem Azur. In diese Augen zu blicken fühlte sich an, als ertränke man in allen Ozeanen zugleich oder als stürze man kopfüber durch den Himmel.

Lilly spürte, wie ihr schwindelig wurde, gleichzeitig hatte sie sich noch nie so wohlgefühlt.

Dann drehte der Engel den Kopf, trat aus dem Licht heraus und die sonderbare Illusion verschwand. Die Gestalt war plötzlich nichts weiter als ein ganz normaler Junge. Ein Junge, der stirnrunzelnd zu ihr hinüberblickte, weil sie ihn derart penetrant anstarrte. Eigentlich, so dachte sie flüchtig, wirkte er sogar regelrecht entsetzt.

Hastig senkte Lilly den Blick und fühlte, wie sie errötete.

Anna-Maria kicherte leise. Lillys Gesicht glühte vor Scham, dennoch konnte sie nicht anders, als behutsam einen weiteren Blick in die Richtung des Jungen zu werfen. Er war ein Mensch, zweifellos. Ein ungewöhnlich gutaussehender Mensch, das musste man ihm lassen, doch nichts weiter. Er trug ein schlichtes, weißes T-Shirt und Bluejeans, vollkommen durchschnittliche Kleidung also, die an ihm jedoch fast schon absurd elegant wirkte.

Was hatte sie eigentlich erwartet? Einen Engel in Bluejeans? Dieses dämliche Kaff machte sie noch ganz irre! Vielleicht war es auch einfach nur die Hitze.

»Er ist süß, was?«, bemerkte Anna-Maria spöttisch, was Lilly zum dritten Mal erröten ließ. »Ich an deiner Stelle würde allerdings lieber die Finger von ihm lassen. Er ist ein Freak, wirklich.«

Lilly fuhr ein wenig zusammen. »Du kennst ihn?«, fragte sie beinahe erschrocken.

»Sicher.« Anna-Maria zuckte mit den Schultern. »Er geht in meine Klasse. Und jetzt auch in deine.« Sie grinste vielsagend. »Alahrian!«, rief sie laut und winkte den Jungen, ihrer geringschätzigen Bemerkung von eben zum Trotz, in einer einladenden Geste zu sich an den Tisch.

Lilly schluckte hart und fühlte, wie ihr Herz zu rasen begann. Auch der Junge – Alahrian – wirkte keineswegs begeistert, setzte sich aber dennoch gehorsam in Bewegung und trat mit wiegenden, bemerkenswert geschmeidigen Schritten auf sie zu. Etwas seltsam Misstrauisches, Scheues, Abschätzendes glänzte in seinem Blick, sein Gesichtsausdruck blieb jedoch davon unberührt.

»Hallo«, begrüßte er die beiden Mädchen freundlich. Seine Stimme klang wie silberne Glöckchen, angeschlagen von einem milden, warmen Sommerwind.

»Hi Alahrian«, antwortete Anna-Maria lässig. »Das ist Lillian«, stellte sie ihre neue Freundin vor, die nichts als ein verkrampftes Lächeln zu Stande brachte. »Sie ist eben erst hierhergezogen. Sie wird in unsere Klasse gehen.«

Alahrian schenkte ihr ein Lächeln – geeignet, sämtliche Zahnpastamodels dieser Welt vor Neid erblassen zu lassen. »Willkommen«, meinte er augenzwinkernd.

»Danke.« Es kostete Lilly einige Mühe, das Wort hervorzubringen, vor allem, da nun Alahrian sie durchdringend anstarrte. Ihr Herz klopfte mittlerweile so heftig, dass es zu zerspringen drohte, doch sie konnte auch den Blick nicht von ihm abwenden.

Eine peinliche Gesprächspause entstand. Keiner von beiden wusste etwas zu sagen und sogar die selbstbewusste Anna-Maria schwieg.

»Also dann«, bemerkte Alahrian endlich. »Man sieht sich …«

Rasch wandte er sich ab und verschwand wenige Meter weiter in dem winzigen Buchladen, der auch Lilly bereits aufgefallen war. Er beschleunigte seine Schritte nicht und doch sah es beinahe so aus, als flüchtete er in das Geschäft.

»Was war das denn?«, kommentierte Anna-Maria spöttisch. Und, fast wie eine Entschuldigung, fügte sie hinzu: »Normalerweise ist er nicht so schüchtern. Aber ich hab's dir ja gesagt: Er ist ein Freak.«

Damit schien das Thema für sie erledigt. Unbekümmert saugte sie an ihrem Strohhalm und rührte damit in dem quietschig bunten Milchshake herum. Lilly zog es vor, nicht zu antworten.

»Was hältst du davon, wenn ich für dich eine Party gebe?«, schlug Anna-Maria plötzlich vor. »Um deine Ankunft zu feiern. Dann kannst du gleich die anderen kennenlernen!«

Eigentlich hatte Lilly nicht vor, hier irgendjemanden näher kennenzulernen, aber sie nickte trotzdem.

»Das wird super!« Anna-Maria schien sich an ihrer Schweigsamkeit nicht im Geringsten zu stören. »Wir könnten es am Samstag machen, in unserem Garten! Ein Grillfest!«

Zögerlich nahm Lilly einen Schluck von ihrem Kirschsaft und sagte dann: »Ich bin Vegetarierin.« Das war alles, was ihr dazu einfiel.

»Oh!« Anna-Maria schaute sie einen Moment lang an, als habe Lilly etwas Furchtbares preisgegeben, doch sofort hellte sich ihre Miene wieder auf. »Dann machen wir dir eben einen Gemüsespieß oder so was! Das wird ganz toll, du wirst sehen.«

Lilly war wenig begeistert, zwang sich aber dennoch zu einem Lächeln. Sie wollte schließlich nicht zu unhöflich sein.

»Ich könnte ihn auch einladen«, meinte Anna-Maria großzügig und warf einen verachtenden Blick in die Richtung, in die Alahrian verschwunden war.

Und zu Lillys Erstaunen wartete sie tatsächlich geduldig, bis Alahrian wieder aus dem Buchladen herauskam, was ziemlich lange dauerte. Fast schien es wirklich so, als hätte er sich darin verstecken wollen.

»Ich gebe ein Grillfest, am Samstag«, rief sie ihm zu, ohne sich mit einer Einleitung aufzuhalten. »Du bist dabei! Um acht bei mir, okay?«

Alahrian blinzelte, offenbar überrascht. Er schien sich bewusst zu sein, was Anna-Maria von ihm hielt, und anscheinend fragte er sich, was dieser plötzliche Sinneswandel zu bedeuten hatte. »Okay …«, antwortete er gedehnt und sein Blick huschte zu Lilly, wie um dort eine Erklärung zu finden.

Lilly biss sich auf die Lippen und deutete ein Schulterzucken an.

»Und bring deinen Bruder mit!«, fügte Anna-Maria hinzu.

»Ich werde ihn fragen.«

Irrte Lilly sich oder war sein Tonfall plötzlich um mehrere Grade frostiger geworden?

»Danke für die Einladung«, meinte er steif. »Bis bald!«

Er wollte sich abwenden, nun eindeutig fluchtartig, Anna-Maria hielt ihn jedoch zurück. »Und … Alahrian?«

»Ja?«

»Versuch, einigermaßen pünktlich zu sein, okay?«

Diesmal schoss eine sanfte Röte in Alahrians Gesicht, umso auffälliger, da sein Teint von elfenbeinfarbener Blässe war. Seine Haut war heller als Lillys, und das wollte schon etwas heißen. Was bei ihr – wie sie fand – jedoch so furchtbar peinlich aussah, das wirkte bei ihm nahezu atemberaubend charmant.

»Ich werde mein Bestes geben«, versprach er und Lilly fragte sich noch, weshalb Anna-Maria so grob mit ihm umsprang, als Alahrian längst um die nächste Ecke verschwunden war.

»Sein Bruder ist echt cool«, wisperte ihr Anna-Maria ins Ohr. »Er hat eine eigene Band und legt manchmal im Club auf.«

»Aha.« Lilly hörte nicht richtig zu, während Anna-Maria weiter von Alahrians coolem Bruder Morgan schwärmte. Sie starrte weiter Alahrian hinterher, obwohl der längst nicht mehr zu sehen war.

***

Alahrian mied auf dem Heimweg die Straße und rannte stattdessen durch den Wald, auch wenn das einen Umweg von mehreren Kilometern bedeutete. Doch auf diese Weise stellte er wenigstens sicher, nicht noch mehr Sterblichen begegnen zu müssen.

Er beruhigte sich erst, als er den Park der Villa erreichte und mit dem Gartentor nicht nur die sichtbare Grenze des Grundstücks, sondern auch die unsichtbare passierte. Die Sterblichen kamen niemals hierher. Es war ihnen nicht direkt verboten und es war auch nicht wirklich gefährlich. Doch wann immer verwegene Wanderer oder neugierige Kinder dem Haus zu nahe kamen, verloren sie urplötzlich das Interesse, überlegten es sich doch anders und kehrten um, ohne recht zu wissen, weshalb.

Der Schutzzauber funktionierte gut. Und Alahrian war dankbar dafür.

Langsam entspannte er sich, während er über die Wiese schritt, an den üppig blühenden Sträuchern und Bäumen vorbei. Mit einem Seufzer der Erleichterung warf er den Zauber ab, die Maske, die er beständig trug, wenn er sich unter den Sterblichen bewegte und sie glauben ließ, er sei einer von ihnen. Leise zischend sank die Magie zu Boden, ein funkelnder, glitzernder Film, der rasch in der Erde versank und Sekunden später schon verpufft war.

Alahrian schüttelte sich, fing mit den Händen ein paar Sonnenstrahlen auf und genoss das warme, prickelnde Gefühl, als das Licht in seine Haut eindrang, sein Blut belebte und seinen Geist erfrischte. Wie elektrisiert strahlte sein Körper jetzt, ein mattes Glühen schimmerte unter der Oberfläche und er ließ es geschehen. Hier würde ihn niemand sehen. Er war allein, geschützt … sicher.

Einige Vögel flogen heran, um ihn mit ihrem Gesang zu begrüßen, ein Schmetterling ließ sich auf seinem Arm nieder, die Wärme genießend, die er verströmte.

Tief sog Alahrian den Duft der Blüten ein, lächelte über ihre Schönheit und erfreute sich daran, dass einige längst verwelkte Kelche sich noch einmal öffneten, bloß um ihm zu gefallen.

Während er den Park durchquerte und die Maske hinter sich ließ, streifte er wie selbstverständlich auch seine Turnschuhe ab und ließ sie achtlos im Gras liegen. Was für eine Erleichterung! Die Kleidung der Sterblichen war ja ganz in Ordnung, aber wie jemand seine Füße in so etwas Unbequemes wie Schuhe stecken konnte, das würde er niemals begreifen. Sie waren wie kleine Gefängnisse und selbst nach all den Jahren hatte er das Gefühl, das Gleichgewicht zu verlieren, weil er den Boden unter den Sohlen nicht spüren konnte. Jetzt aber fühlte er das weiche Gras zwischen den Zehen, die Erde unter der Haut, warm und fett und voller Leben. Er tanzte so federleicht über die Wiese, dass kein einziger Grashalm umknickte. Seinesgleichen fügte den Pflanzen niemals Schmerzen zu, anders als die Menschen, die sie achtlos niedertrampelten.

Über die gläserne Verandatür schlüpfte er ins Haus, durchquerte schnell die marmorne Eingangshalle und blieb am Treppenabsatz zum Keller stehen.

Morgan?, rief er seinen Bruder in Gedanken und lauschte, doch es kam nur ein diffuses Knäuel von Sinneseindrücken als Antwort, was bedeutete, Morgan musste gerade mit irgendetwas beschäftigt sein. Die lautlose Kommunikation funktionierte nicht, wenn der andere nicht hinhörte, selbst zwischen ihnen beiden nicht. Natürlich war der Döckalfar nicht wirklich Alahrians Bruder, im Grunde waren sie sogar von ganz anderer Art. Doch sie lebten schon so lange als Gefährten, dass es sich beinahe so anfühlte, als wären sie tatsächlich vom selben Blut. Was nicht bedeutete, dass der Döckalfar nicht zuweilen ein echtes Ärgernis darstellte. Morgan, dachte Alahrian verstimmt, war einer der schlechtesten Wächter aller Zeiten. Er hätte hier oben um sein Leben kämpfen können und Morgan hätte es überhaupt nicht bemerkt.

Seufzend begann Alahrian, die Treppe hinunterzusteigen. Dort unten, im Keller, lag Morgans Reich. Die Stufen endeten nach einigen Absätzen in einem matt beleuchteten Vorraum und dahinter erstreckte sich das, was Alahrian Morgans Höhle zu nennen pflegte. Eine Höhle jedoch war es nur auf den ersten Blick. Zwar bestanden die Wände aus schwarzem, nur grob behauenem Stein, doch die Ausstattung des Raumes war alles andere als primitiv.

Unzählige, verschiedenfarbige Lampen verbreiteten ein nahezu taghelles Licht – kalt, künstlich, unnatürlich. Alahrian schauderte unwillkürlich davor zurück. Teure Designermöbel erweckten den Anschein, sich in einem besonders spleenigen Nachtclub zu befinden, und dazu passte auch die überdimensionale Stereoanlage nebst all dem anderen technischen Schnickschnack, den Morgan nahezu leidenschaftlich sammelte. Die Döckalfar mochten sich an dunklen, schattigen Orten am wohlsten fühlen, auf Komfort verzichten wollten sie dabei jedoch keineswegs.

Von jeglichem Hightech ausgenommen war allein das Bett, das die hinterste Ecke der Höhle zierte. Es machte einen höchst archaischen Eindruck und der täuschte auch nicht: Fünfzehntes Jahrhundert, Eichenholz, da war sich Alahrian ziemlich sicher. Ein Baldachin aus rotem Brokat überspannte Kissen aus schwarzer, chinesischer Seide mit kunstvollen Mustern bestickt. Und hier hingen tatsächlich Fackeln an der Wand – um einiges passender als die hochmodernen LED-Lampen, die Morgan sonst bevorzugte.

Alahrian atmete auf. Wenigstens war das Bett leer. Nichts war peinlicher, als Morgan mit einer seiner zahlreichen Gespielinnen zu überraschen. Irgendwann, so dachte Alahrian im Stillen, müssten die Mädchen im Dorf seinen Bruder doch endlich satthaben; bisher fand Morgan aber immer wieder Sterbliche, die naiv genug waren, um auf ihn hereinzufallen – und sei es nur eine unbedarfte Touristin.

Der Herr der Höhle selbst saß indes auf einer cremeweißen Ledercouch vor seinem Flachbildschirm, eine Spielkonsole in der Hand, den Blick hochkonzentriert auf die flimmernden Bilder vor sich gerichtet.

Alahrian verdrehte die Augen, während auch er für zwei Sekunden dem Videospiel folgte. Ein stark behaarter Felsentroll wurde dort gerade von einer vollbusigen Dame mit langen, spitz zulaufenden Ohren vermöbelt, die ganz offensichtlich eine Elfe darstellen sollte.

»Findest du das witzig?«, knurrte Alahrian missbilligend.

Morgan blickte nicht einmal auf. »Ja«, lautete die knappe Antwort.

Alahrian setzte sich neben ihn und versuchte, das Gefühl des Unbehagens abzuschütteln, das ihn stets befiel, wenn er hierherkam. Er war durchaus in der Lage, einige Minuten, wenn nötig sogar Stunden, ohne Sonnenlicht auszukommen. An einem Ort jedoch, wo es niemals Tag wurde, wo niemals Sonnenstrahlen die kalten Wände berührten, fühlte er sich schlicht und ergreifend nicht wohl. Ganz anders als Morgan.

»Morgan?«, versuchte er erneut, die Aufmerksamkeit des anderen auf sich zu lenken, um das Gespräch möglichst schnell hinter sich zu bringen. »Ich habe heute ein Mädchen getroffen.«

Morgan grinste, ohne den Blick von dem Spiel zu nehmen. »Freut mich für dich«, bemerkte er anzüglich. »Das wurde aber auch Zeit!«

Auch wenn es ihn einiges an Selbstbeherrschung kostete, ignorierte Alahrian die Worte. »Sie hat mich gesehen«, fuhr er fort, leise und behutsam, fast eingeschüchtert, als könnte er die Blicke des Mädchens noch immer spüren.

»O mein Gott!« Morgan verzog spöttisch das Gesicht. »Das muss ein Schock für sie gewesen sein! Bei der Frisur!«

Alahrian schnaubte und ärgerte sich über sich selbst, weil er sich unwillkürlich an den Kopf griff. Die Haare waren ein gefährliches Problem und Morgan wusste das sehr wohl. Sie hätten ihn sofort verraten, mehr noch als alles andere. Und dabei waren sie schwieriger zu verbergen. In diesem Augenblick leuchteten sie wie flüssiges Gold, obwohl es hier unten so dunkel war, auffällig wie eine grell blinkende Warnlampe. Aber das spielte jetzt keine Rolle.

»Ich meine, sie hat mich gesehen, wie ich wirklich bin!«, erläuterte Alahrian mit Nachdruck. »Sie hat durch den Zauber einfach hindurchgesehen!«

»Was?« Morgan ließ die Spielkonsole sinken. Eine steile Falte erschien auf seiner Stirn. »Warst du unaufmerksam?«

»Nein.« Alahrian schüttelte heftig den Kopf.

»Komm schon, du musst einen Fehler gemacht haben!«

Alahrian biss sich auf die Lippen. »Nein. Ich bin ganz sicher.«

Morgan überlegte. Auf dem Bildschirm machte sich inzwischen der Felsentroll über die Elfe her. »Woher weißt du, dass sie dich gesehen hat?«, erkundigte er sich. »Hat sie etwas gesagt?«

Ein Kopfschütteln. »Ich konnte es an ihrem Blick erkennen. Sie hat mich angestarrt wie … wie …« Er suchte nach den richtigen Worten.

Morgan grinste wieder. »Nun, das könnte auch an der Frisur -«

»Bitte, Morgan!«, unterbrach Alahrian ihn wütend. »Sei ernst!«

»Nicht so empfindlich, liosch.« Morgans Stimme klang noch immer neckend, doch er legte Alahrian beruhigend die Hand auf den Arm. »Ich glaube, du machst dir zu viele Sorgen«, meinte er sanft. »Das Mädchen kann nichts als einen flüchtigen Schatten gesehen haben. Wahrscheinlich hat sie es längst vergessen. Und wenn nicht – wer sollte ihr schon glauben?« Er zuckte gleichmütig mit den Schultern.

Alahrian aber war nicht bereit, das Thema so leicht abzutun. »Du unterschätzt die Sterblichen. Sie sind gefährlich, das weißt du.« Flüchtig wollte eine Erinnerung in ihm aufblitzen, an Eisen und Schmerzen, an gequälte Schreie, die ungehört im Dunkeln verhallten. Seine eigenen Schreie. Mit Macht drängte er die Bilder zurück und auch die Furcht, die sie begleitete.

Morgans dunkler, lichtschluckender Blick fing den seinen auf und hielt ihn fest. »Es ist mehr als dreihundert Jahre her«, sagte er ernst. »Sie haben sich verändert seitdem. Du müsstest das eigentlich besser wissen als ich! Wer hängt denn ständig mit ihnen rum?«

»Du weißt, warum ich das tue.« Alahrian wich seinem Blick aus. »Es ist einfacher, sich ein wenig anzupassen. Sich unter sie zu mischen. Nicht aufzufallen.« Einfacher … und sicherer. Aber das war nur die halbe Wahrheit. Die Gesellschaft der Sterblichen, so gefährlich sie auch sein mochte, war besser als die Einsamkeit. Besser, als Jahrhundert für Jahrhundert allein zu sein. Aber das wusste Morgan genauso wie er. Es war kein Zufall, dass er jede Nacht ein anderes Mädchen mit nach Hause brachte, wie groß das Risiko auch immer sein mochte …

Morgan seufzte. »Dann vergiss die Kleine einfach! Geh ihr aus dem Weg!«

Verlegen blickte Alahrian zu Boden. »Das wird nicht so einfach sein«, gestand er kleinlaut. »Ich bin auf eine Party eingeladen. Und ich habe zugesagt. Sie wird gewiss auch da sein.«

Sein Gegenüber verdrehte die Augen. »Eine Party? Das ist wirklich albern, Alahrian, selbst für dich!« Aber ein liosalfalar brach sein Wort nicht, niemals, selbst wenn es sich um eine Albernheit handelte, und auch das wusste Morgan ebenso wie Alahrian selbst.

»Es ist ein Grillfest«, erklärte er, als mache das die Sache besser, und wider Willen fühlte er fast so etwas wie aufgeregte Nervosität in sich aufsteigen.

»Perfekt!« Morgan grinste spöttisch. »Wo du doch so gerne gebratenes Fleisch isst, nicht wahr?«

Alahrian musste sich beherrschen, um nicht angeekelt das Gesicht zu verziehen. Dennoch … Er konnte nicht aus seiner Haut und etwas in ihm freute sich auf das Fest. Alle Alfar liebten Feierlichkeiten, egal welcher Art. Und er würde die Gelegenheit nutzen können, diese Lillian ein wenig genauer zu beobachten.

»Sie hat den Vorfall längst vergessen, glaub mir«, prophezeite Morgan selbstsicher. »Die Sterblichen sind erstaunlich flatterhaft!«

SOMMERNACHTSTRAUM

Lilly dachte tatsächlich kaum mehr an den Vorfall, Alahrian hingegen ging ihr nicht mehr aus dem Kopf. Dabei hatte sie reichlich zu tun, um sich abzulenken. Das halbe Wochenende lang schleppte sie Umzugskisten, räumte in Zeitungspapier verpackte Kleinigkeiten aus, leere Regale ein und versuchte, ihre Lieblingsbücher so anzuordnen, dass sie ihr auch in dem fremden Zimmer ein vertrautes Gefühl von Zuhause gaben. Das Wichtigste allerdings fehlte noch immer: der Flügel. Ihr Vater hatte schon zweimal bei der Spedition angerufen, doch der Flügel war noch immer nicht angekommen. Insgeheim vermutete Lilly sogar, es stecke eine böse Absicht dahinter. Ihr Vater wollte nicht, dass sie Konzertpianistin wurde wie ihre Mutter. Er war strikt gegen das Musikstudium am Konservatorium, hätte es lieber gesehen, wenn Lilly etwas »Richtiges« gelernt hätte. Als ob es eine Schande wäre, seinem größten Traum zu folgen! Ein bisschen jedoch konnte Lilly es sogar verstehen. Die Ehe ihrer Eltern war an der Karriere ihrer Mutter zerbrochen. Aber das bedeutete schließlich nicht, dass Lilly ein ähnliches Schicksal erleiden musste!

Jedenfalls: Die verspätete Ankunft des Flügels – oder sein Verlust – hätte ihrem Vater nur Recht sein können. Aber sie wollte ihm ja nichts unterstellen …

Seufzend hängte sie ihre Kleider in den neuen Schrank und überlegte dabei krampfhaft, was sie zu der Party am Samstag anziehen sollte. Was trug man wohl in bayerischen Dörfern zu solchen Anlässen? Dirndl und Lederhosen? Frustriert verdrehte Lilly die Augen. Eigentlich hatte sie überhaupt keine Lust, zu diesem Fest zu gehen. Sie mochte keine Partys und schon gar keine Grillpartys, wo man in Soße getränkte, tote Tiere aß. Widerlich. Sie schüttelte sich. Bestimmt würde Anna-Maria ihre ganze neue Klasse einladen. Nun ja, ein bisschen neugierig war Lilly schon, die Dorfjugend kennenzulernen. Oder vielleicht doch nur einen von ihnen? Einen mit blonden Haaren und traumhaft blauen Augen? Hastig schüttelte sie den Gedanken ab.

Als der Samstagabend jedoch heranrückte, ertappte sie sich selbst dabei, unnötig lange vor dem Spiegel und um noch einiges länger vor dem Kleiderschrank zu stehen. Endlich wählte sie ihre Lieblingsbluse, die violette mit den langen, samtenen Trompetenärmeln, und dazu einen kurzen, schwarzen Rock. Kritisch musterte sie ihr eigenes Abbild im Spiegel. Sie war nicht wirklich ein Gothic-Mädchen, keine von denen, die umgedrehte Kreuze oder Drudenfüße am Hals trugen. Doch sie konnte nichts dagegen machen, wie eines auszusehen. Ihr Haar war pechschwarz, jeder Versuch, zumindest ein par hellere Strähnen hineinzufärben, versagte kläglich. Letzten Sommer hatte sie es abgeschnitten, weil sie hoffte, mit den kurzen Haaren älter auszusehen, doch es wirkte nur frecher, nicht älter. Sie war sechzehn, wurde aber beständig für jünger gehalten. Dass sie klein und viel zu schlank war, half da auch nicht besonders weiter. Lilly hatte nie verstanden, warum es in aller Welt als Ideal galt, dünn zu sein. Sie war dünn und sie fand es keineswegs schön. Schön fand sie auch ihre blasse Haut nicht. Sie stand in eigentümlichem Kontrast zu den schwarzen Haaren und trotzte sowohl Sonnenstrahlen als auch Bräunungscreme. Ihr Spitzname Schneewittchen kam schließlich nicht von ungefähr. Selbst wenn sie Pink getragen hätte, so wie Anna-Maria, hätte sie wie ein Gruftie ausgesehen. Also hatte sie schon vor Jahren beschlossen, aus der Not eine Tugend zu machen und lief absichtlich in dunklen, ein wenig verspielten Klamotten herum.

Heute allerdings verzichtete Lilly darauf. Sie legte zudem nur ein leichtes Augen-Make-up auf und benutzte einen unauffälligen, roséfarbenen Lipgloss.

Mit dem Ergebnis halbwegs zufrieden stopfte sie ihr Geschenk, mit dem sie sich bei Anna-Maria für die Party bedanken wollte, in die Tasche, lief die Treppe hinunter und verabschiedete sich schnell von ihrem Vater, bevor sie das Haus verließ.

Obwohl sie noch immer keine Lust auf die Grillparty hatte, musste sie Anna-Maria zugestehen, dass sie sich wirklich sehr viel Mühe gegeben hatte. Ihr Vater war Bürgermeister, das Haus entsprechend riesig, der Garten glich einem Park. Anna-Maria hatte unzählige bunte Lampions in den Bäumen aufgehängt, brennende Fackeln wiesen den Gästen den Weg und auf der Terrasse stand auch schon der Grill bereit.

Lilly war nicht die Erste. Im Garten tummelten sich schon einige Gäste, die nun, da sie um die Ecke bog, neugierig zu ihr hinstarrten. Alahrian war nicht unter ihnen.

Anna-Maria begrüßte sie mit einer Umarmung und einem angedeuteten Kuss auf beide Wangen. »Wie schön, dass du da bist! Komm, ich stelle dich den anderen vor!«

Es folgte ein peinliches Hallo, das Lilly unangenehm war, weil sie nicht gern derart im Mittelpunkt stand. Sie bemühte sich allerdings, netter zu sein, als sie sich fühlte, und das war auch nicht allzu schwer, denn die anderen nahmen sie wirklich sehr freundlich auf und schlossen sie sogleich in alle Gespräche mit ein.

»Hast du dich schon eingelebt bei uns?«, fragte ein hübsches, blondes Mädchen, Eva, wenn Lilly sich richtig erinnerte.

»Es geht«, gestand Lilly. »Mein Zimmer ist noch nicht ganz fertig.«

»Wir helfen dir gerne«, bot ein Junge an und wurde daraufhin sofort von einem seiner Freunde in die Seite geboxt.

»Ja, das glaube ich, dass du ihr gerne helfen willst!«

Alle lachten, Lilly wurde rot und Anna-Maria legte ihr den Arm um die Schultern. »Jungs!«, schnaubte sie verächtlich. »Komm mit!«

Sie setzten sich in die Hollywoodschaukel, zu Anna-Marias kleiner Schwester, dem schüchternen Mädchen mit den rot-blonden Zöpfen und freundlichen, rehbraunen Augen. »Holst du uns zwei Cola, Kathy?«, fragte Anna-Maria und schickte die Jüngere damit fort.

Lilly warf einen unauffälligen Blick in Richtung der Jungs, die als kleine Gruppe etwas abseits standen und sich lachend unterhielten. Nein, Alahrian war wirklich nirgends zu sehen. Anna-Maria musste die Enttäuschung in ihrem Blick bemerkt haben, denn sie grinste plötzlich und flüsterte ihr ins Ohr: »Er ist noch nicht da. Aber er wird schon noch kommen, versprochen.«

Da konnte sich Lilly nicht beherrschen zu fragen: »Wieso bist du dir so sicher?«

Anna-Maria zuckte mit den Schultern. »Er kommt auf jede Party, wenn man ihn einlädt. Aber er kommt nie pünktlich. Keine Ahnung, warum, vielleicht braucht er den großen Auftritt, eine Art Ego-Problem oder so was.« Sie schüttelte verächtlich den Kopf. »Er ist überhaupt immer zu spät, sogar in der Schule. Die Lehrer lassen es ihm nur durchgehen, weil er der Beste in der Klasse ist. Ein richtiger Streber, wenn du mich fragst.« Anna-Maria schnaubte und sprang auf, um die Getränke entgegenzunehmen, die Kathy ihnen gebracht hatte. Mit einem Lächeln entschuldigte sie sich, um eine Gruppe von Mädchen zu begrüßen, die soeben den Garten betraten.

Lilly wandte sich an Kathy, die einen Teil der abschätzigen Rede ihrer Schwester mit angehört hatte. »Gibt es einen besonderen Grund, warum sie Alahrian nicht ausstehen kann?«, erkundigte sie sich neugierig. Sie hätte vielleicht besser die Klappe halten sollen. Andererseits: Dafür war es nun eindeutig zu spät.

Kathy setzte sich neben sie in die Hollywoodschaukel. »Das ist eine lange Geschichte«, antwortete sie ausweichend. »Besser, du fragst sie selbst.« Sie schwieg einen Moment lang und meinte dann, ehrlich besorgt, nicht gehässig wie Anna-Maria: »Und besser, du lässt die Finger von Alahrian. Er ist wirklich süß, ich weiß, aber er … er ist auch echt merkwürdig, verstehst du?«

»Warum?«, fragte Lilly offen. »Was ist so besonders an ihm?«

»Nun, er ist eben … anders. Seine Eltern sind gestorben, bei einem Autounfall oder so. Eine Zeitlang haben er und sein Bruder bei ihrer Großmutter gelebt, doch die ist schon alt und krank. Sie wohnen jetzt ganz allein in der alten Villa, mitten im Wald.«

Lilly war überrascht. »Sie wohnen allein? Echt?«

Kathy nickte. »Morgan ist schon Mitte zwanzig. Er hat das Sorgerecht oder so über Alahrian.«

Da schwieg Lilly betroffen. Was für eine traurige Geschichte! Konnte es wirklich sein, dass dieses Kuhdorf in der Tat so rückständig war, zwei Menschen zu verurteilen, nur weil sie einiges durchgemacht hatten? Plötzlich tat Alahrian ihr leid. Es musste entsetzlich sein, seine Eltern zu verlieren und ganz allein auf sich gestellt zu sein, allein mit einem Bruder, der selbst kaum erwachsen war … Lilly hätte ihre eigenen Eltern oft genug auf den Mond schießen können, aber das? Sie schauderte.

Während sie noch ihren Gedanken nachhing, knuffte Kathy sie plötzlich in die Seite. Das Objekt ihres Interesses kam gerade um die Ecke geschlendert!

Unwillkürlich hielt Lilly den Atem an, denn Alahrian sah, wie er so durch den Garten schritt, gar nicht aus wie der arme, bemitleidenswerte Waisenjunge, von dem sie gerade noch gesprochen hatten. Er trug schwarze, eng anliegende Jeans und ein hellblaues Hemd – Kleidung, die ihn in keinster Weise von den anderen Jungs abhob. Und doch überstrahlte er sie alle, allein durch die geschmeidige Eleganz seiner Bewegungen, durch die Art, wie er den Kopf hielt, das üppige blonde Haar zurückwarf und lächelte, um Anna-Maria zu begrüßen, die ihm trotz ihrer offenkundigen Abneigung sogleich entgegenlief.

Kathy stupste Lillian in den Rücken, sprang von der Schaukel und bedeutete Lilly mit einem Blick, ihr zu folgen. Langsam gingen die beiden Mädchen auf Alahrian zu.

»Du bist zu spät«, bemerkte Anna-Maria bissig, kaum dass sie Alahrian erreicht hatte.

Der warf einen bestürzten Blick auf eine bemerkenswert teuer aussehende Armbanduhr und wirkte ehrlich zerknirscht. »Aber doch nur eine Stunde«, meinte er entschuldigend.

Das war sein Ernst. In seinen beunruhigend blauen Augen war nicht der geringste Schalk zu lesen. Er machte einen aufrichtig schuldbewussten Eindruck, als Anna-Maria die Augen verdrehte. »Wo ist dein Bruder?«, fragte sie unfreundlich.

»Arbeiten. Im Club.«

»Schade.« Sie wandte sich zum Büffet um und fischte eine Bierflasche aus einem der Kästen. »Willst du?«

Er schüttelte den Kopf. »Nein, danke.«

»Er trinkt nie Alkohol«, wisperte Kathy Lilly zu, die einige Schritte von den beiden entfernt stehen geblieben war. »Nur Wasser. Und essen tut er auch nie etwas.«

Das hörte sich aus ihrem Mund an, als sei es ein Verbrechen. Lilly antwortete nicht.

»Nun gut, wie du möchtest. Bedien dich, wenn du deine Meinung änderst.« Schnippisch wandte sich Anna-Maria ab und ließ Alahrian einfach stehen.

Und Lilly erschrak bis ins Mark, als ihr klar wurde, dass auch Kathy sich klammheimlich davongeschlichen hatte. Sie war allein mit dem umwerfend gutaussehenden Jungen, der sie jetzt obendrein auch noch freundlich anlächelte.

Lilly schluckte hart. Anna-Marias Benehmen war ihr peinlich, obwohl sie alle Beteiligten zu wenig kannte, um es wirklich beurteilen zu können. Aber dies hier war schließlich auch ihre Party, oder nicht? Ihre Willkommensfeier.

»Ist sie immer so zu dir?«, erkundigte sie sich bei Alahrian mit einem Blick in Anna-Marias Richtung, wie um das Verhalten ihrer neuen Freundin damit zu entschuldigen.

»Nein.« Alahrian grinste. Seine dunkelblauen Augen blitzten und Lilly hatte das seltsame Gefühl, als hellten sie sich dabei auf, von Saphir zu einem offenen, weiten Ozeanblau. »Heute war sie netter als sonst.« Gleichmütig zuckte er mit den Schultern.

Verlegen senkte Lilly den Blick. Sie grübelte, was sie zu ihm sagen sollte, wie sie ein Gespräch mit ihm beginnen sollte, ohne in seinem Lächeln zu ertrinken.

»Und? Gefällt dir deine Party?«, fragte er höflich.

»Sicher …«

Er erkannte sofort den zögerlichen Unterton in ihrer Stimme. »Das hört sich nicht besonders begeistert an.«

Lilly wurde rot. »Eigentlich«, gestand sie, »stehe ich nicht besonders auf Partys.«

»Wirklich?« Die ungewöhnliche Beichte schien neues Interesse in ihm zu wecken. »Und was magst du dann?«

Das Gespräch nahm eine peinliche Wendung und doch konnte Lilly nicht anders, als ehrlich zu antworten: »Ich mag eher klassische Musik«, erklärte sie, obwohl es wohl klüger gewesen wäre, das nicht so offen zuzugeben. Wenn sie nicht besser aufpasste, dann war bald sie der Freak, nicht Alahrian.

Der allerdings schien überhaupt nichts Ungewöhnliches zu finden an einem Teenager, der sich für Musik von Künstlern interessierte, die seit mindestens hundert Jahren tot und daher in keinster Form »up to date« waren.

»Zum Beispiel?«, fragte er, vollkommen ungerührt.

»Klavier. Ich … ich möchte Pianistin werden.«

»Wirklich?« Seine Augen schienen sie zu bannen, während er ganz harmlos mit ihr plauderte. »Ich spiele auch. Ein bisschen zumindest.«

»Tatsächlich?« Lilly spürte ihr Herz klopfen. »Hast du einen Lieblingskomponisten?«

»Ja. Chopin. Seine Musik ist … voller Wehmut, aber auch voller Süße … wie ein goldener, sonnenbekränzter Herbstmorgen …« Sein Blick schweifte ins Leere und Lilly war zu sehr damit beschäftigt, sein ebenmäßiges, marmorblasses Gesicht zu studieren, um sich über seine merkwürdige Ausdrucksweise zu wundern. Sonnenbekränzt?

Bevor sie etwas erwidern konnte, legte Anna-Maria ihr von hinten den Arm um die Hüften. »Hey Lilly, komm, wir werfen den Grill an!« Sie zerrte sie fort, noch bevor sie sich von ihrem Gesprächspartner verabschieden konnte.

»Ich hab dir doch gesagt, er ist ein Freak«, zischte sie. »Lass ihn lieber in Ruhe!«

Beinahe verzweifelt warf Lilly einen Blick zu Alahrian zurück. Der hatte sich inzwischen zu den anderen Jungs gesellt und plauderte locker in deren Mitte. Ein himmelblauer Blick und ein elfenbeinfarbenes Lächeln glitten in ihre Richtung und Lilly sah hastig weg.

Die anderen schienen ihn nicht so freakig zu finden wie Anna-Maria. Ganz im Gegenteil: Wenn er redete, dann lauschten alle, nie unterbrach ihn jemand, jedes Grüppchen nahm ihn auf, alle schienen ihn sofort mit einzuschließen, als wäre seine Anwesenheit eine besondere Ehre. Er war wie der Quarterback in amerikanischen Highschool-Filmen, jeder schien in einer gewissen Art und Weise zu ihm aufzublicken, ihn zu bewundern. Dennoch blieb er die ganze Zeit über seltsam distanziert, als wäre er nie vollständig anwesend. Er lachte, scherzte und plauderte wie die anderen, und obwohl er beständig in ihrer Mitte stand, schien er nicht richtig dazuzugehören, wirkte seltsam fremd … anders. Keiner kam ihm zu nahe, keiner berührte ihn und von den oft derben Witzen, die die Jungs bisweilen untereinander machten, blieb er ausgeschlossen. Er war wie in einen Kokon aus klarem Kristall gehüllt, unberührbar, rein und fern.

Lilly bekam während des Abends genug Gelegenheiten, ihn zu beobachten, konnte jedoch nicht noch einmal mit ihm sprechen. Aber sie fühlte seine Blicke auf sich ruhen und sie selbst musste sich beherrschen, um ihn nicht ständig anzustarren.

Nachdenklich stand sie am Grill und knabberte an einem Stück gerösteten Brotes herum, während die anderen ihr Fleisch brieten. Da stand er plötzlich neben ihr, ein Hauch von Wärme streifte sie, die nicht vom Feuer kam, ein Lächeln, weiß wie Schnee.

Irgendjemand kippte den Inhalt einer Wodkaflasche über den Grill, um die Glut anzuheizen, eine Stichflamme schoss empor, verkohlte das Essen auf dem Rost und hüllte sie alle in eine Wolke aus beißendem, grauem Rauch.

»Spinnst du?«, zischte jemand und im Nu war eine kleine, keifende Streiterei im Gange.

Lilly drehte sich zu Alahrian um. Sie war sicher, ihn nur eine Sekunde lang aus den Augen gelassen zu haben, doch er war verschwunden, und als sie ihren Blick schweifen ließ, erspähte sie ihn ganz am Ende des Gartens, an den Zaun gelehnt, so weit weg von allen anderen, wie es nur möglich schien. Sein Gesicht schimmerte weiß in der Dunkelheit.

Zögernd trat sie auf ihn zu. Er schien sehr blass, blasser als sonst, in den Augen blitzte eine Art Erschrecken, der Abglanz von Schmerz, und während sie ihn ansah, glaubte sie, die Flammen des Grills in seinen Pupillen tanzen zu sehen.

Feuer und Schmerz und Schreie … Beißender Rauch und unerträgliche Hitze … Flammen, die nach weißer Haut leckten und sie unter ihrer tödlichen Berührung verbrannten …

All das schien in seinen Augen zu stehen, und einen verrückten Moment lang konnte sie es so deutlich erkennen, wie sie ihn selbst sehen konnte, als wären seine Erinnerungen plötzlich die ihren oder als könnte sie durch seine Augen direkt in seine Seele blicken.

Seine Erinnerungen? Seine Seele?

Sie war ja selbst schon ganz wirr im Kopf! Besorgt sah sie ihn an, denn er stand noch immer reglos da, als bemerke er sie gar nicht, das Antlitz verschlossen und leichenblass.

»Alles in Ordnung?«, fragte sie behutsam.

Ruckartig wandte er den Kopf und ein Lächeln glitt über seine Lippen, erhellte sein Gesicht. Es wirkte dennoch wie eine Maske. »Ja, natürlich.« Er räusperte sich. »Entschuldige bitte. Mir war nur … Dieser Geruch von verbranntem Fleisch und heißem Metall … Das war mir einen Moment lang ein bisschen zu viel.«

»Ja, eklig, was?« Sie lehnte sich neben ihn an den Zaun. »Bist du Vegetarier?«, erkundigte sie sich, froh unter all diesen Fleischessern jemanden gefunden zu haben, der diese widerliche Grillerei ebenso abstoßend fand wie sie.

Die Frage schien ihn zu amüsieren. »So was Ähnliches, ja.« Er lachte leise.

Zwei Sekunden lang starrten sie beide schweigend in die Dunkelheit hinein.

»Was hat dich eigentlich in unser Dorf verschlagen?«, fragte er plötzlich.

»Mein Vater«, erzählte Lilly. »Er hat wieder geheiratet. Lena. Du kennst sie vielleicht …«

»Die Krankenschwester?« Alahrian nickte. »Ja, ich glaube, ich habe schon davon gehört. In diesem Kaff hier bleibt nichts lange verborgen, weißt du?« Er verzog das Gesicht.

»Du bist wohl auch nicht von hier?« Niemand hatte es ihr gesagt, doch es war überdeutlich. Seine reine, klare Sprache, ohne die Spur von Dialekt. Und dann der Name … »Alahrian ist kein bayerischer Name, oder?« Sie zwinkerte.

»Isländisch«, erklärte er ruhig. »Meine Familie stammt aus Island.«

»Wow!« Nun war Lilly wirklich verblüfft. »Von Island nach Bayern zu ziehen muss noch schlimmer sein als von Hamburg«, bemerkte sie.

»Ich war noch sehr klein damals«, antwortete er schulterzuckend. »Es ist mindestens vierhundert Jahre her …«

»Vierhundert?« Lilly verschluckte sich – und kam sich eine halbe Sekunde später unglaublich dämlich vor. Das war natürlich ein Scherz! Sie lächelte verlegen.

»Lilly!«, rief da aus der Ferne Anna-Maria. »Wo steckst du denn bloß?«

Sie seufzte leise. Anna-Maria schien es wirklich ernst zu meinen, sie von Alahrian fernhalten zu wollen. Andererseits … Die kleine Störung kam gerade zur rechten Zeit!

»Entschuldige mich, ja?« Verlegen verschwand sie in den Tiefen des lampionbeleuchteten Gartens.

Alahrian folgte ihr nicht. Seinen Blick jedoch konnte sie noch lange auf sich ruhen fühlen.

***

Alahrian lief durch den Wald, schlüpfte lautlos durch das Gartentor und kickte ganz automatisch seine Schuhe in die Dunkelheit hinein.

»Wenn du so weitermachst, dann wird irgendwann in unserem Garten ein Turnschuhbaum wachsen«, kommentierte eine spöttische Stimme direkt neben ihm.

Alahrian drehte sich um. Er hatte Morgan nicht kommen hören. Der Döckalfar musste auf ihn gewartet haben. Alahrian unterdrückte ein Lächeln. So viel Fürsorglichkeit war er von seinem Bruder ja gar nicht gewöhnt. Die meiste Zeit über entpuppte sich Morgan als ausgesprochene Plage. Das Mädchen musste ihm mehr Sorgen bereitet haben, als er zugeben wollte.

Und tatsächlich fragte er sogleich: »Wie ist es gelaufen?«

Ohne Eile schloss Alahrian das Gartentor hinter sich und schlenderte ein Stück durch den Park. Morgan folgte ihm wie ein Schatten. »Normal«, berichtete er. »Sie hat nichts gemerkt, glaube ich.«

Der Döckalfar musterte ihn durchdringend. »Dann bist du jetzt entspannter?«

»Ja.« Zum Beweis deutete Alahrian auf eine Ansammlung winziger Glühwürmchen. Sie tanzten ganz in seiner Nähe um eine Blüte, die sich trotz der späten Stunde noch einmal geöffnet hatte. Die Natur dieser Welt reagierte in ganz eigentümlicher Weise auf die Stimmungen der Liosalfar – wie ein Spiegel, der jede noch so kleine Laune sofort wiedergab. Alahrian konnte nichts dagegen tun, außer seine Gefühle beständig unter Kontrolle zu halten. Aber nicht hier, nicht jetzt. Hier war es gleichgültig. Er musste sich nicht verstellen. Und er fühlte sich tatsächlich sonderbar ruhig und entspannt, heiter, ja, beinahe glücklich. Es war aber auch schwer, in einer Nacht wie dieser nicht glücklich zu sein: Kaum eine Wolke verdunkelte den Himmel, Mond und Sterne glitzerten am Firmament um die Wette. Die milde Nachtluft war erfüllt von den verschiedensten Spätsommerdüften und die Geräusche von Grillen, Faltern und allerlei Nachtschwärmern bildeten im Hintergrund eine süße, fröhliche Melodie.

Alahrian war plötzlich schwindelig, er taumelte ein bisschen, hatte sich aber gleich wieder unter Kontrolle. Die Glühwürmchen hörten sofort auf zu tanzen.

»Was ist?«, fragte Morgan alarmiert. »Was hast du?«

»Nichts.« Alahrian schüttelte den Kopf. »Nur ein bisschen zu wenig Licht, das ist alles.«

Morgan blickte stirnrunzelnd in den Himmel. »Die Nacht ist sternenklar.«

»Ich habe mich nicht getraut, vor ihren Augen Licht zu trinken«, erklärte Alahrian. »Das letzte Mal hat sie es sehen können.« Er streckte die Hände aus, sog schimmerndes Mondlicht in sich auf, fühlte, wie es durch seine Adern strömte und ihm neue Kraft verlieh. Eine milde, sanft bläuliche Helligkeit erfüllte den Garten wie schwach leuchtender Nebel, eine Helligkeit, die von Alahrians Körper ausging. Einen Moment lang genoss er das Gefühl knisternder Energie, das ihn durchtränkte, dann ließ er das Licht unter seiner Haut verschwinden und kappte die Verbindung.

»Du solltest nicht derart mit deinen Kräften spielen«, tadelte Morgan. »Drei Stunden Dunkelheit. Du darfst dich nicht so schwächen.«

Alahrian grinste unbekümmert. »Ich weiß schon, was ich mir zumuten kann«, bemerkte er leichthin.

Morgan schüttelte seufzend den Kopf. »Was war sonst noch auf dem Fest? Irgendetwas Besonderes?«

Alahrian zögerte. »Eigentlich nicht …«, meinte er ausweichend, entschied sich dann aber doch, es Morgan zu erzählen. »Obwohl … etwas war schon komisch«, gab er zu. »Das Mädchen … Lillian … Ich bin sicher, sie ahnt nichts, aber …« Er stockte, suchte nach Worten. Es war ihm peinlich, darüber zu reden, doch es war schon zu spät. »Sie hat mich die ganze Zeit so merkwürdig angesehen«, fuhr er fort. »Aber wenn ich sie auch angeschaut habe, dann hat sie gleich den Blick gesenkt und mit ihren Haaren gespielt, und die anderen Mädchen haben gekichert und … Es ist doch nichts Komisches daran, sich anzusehen, oder?! Und als ich mit ihr geredet habe, da hat ihr Herz ganz schnell geschlagen, ich konnte es genau hören, viel schneller als das der anderen. Und -«

Morgan lachte lauthals und unterbrach damit seinen nervösen Redefluss. »Die Kleine steht wohl auf dich, was?«

Da fuhr Alahrian heftig zusammen. »Was? Unsinn!«, erklärte er entschieden. »Sie ist einfach ein wenig sensibler als die anderen. Sie spürt, was ich bin.«

Der Döckalfar warf ihm einen beinahe mitleidigen Blick zu. »Alahrian, das ist nicht sooo ungewöhnlich. Wir sind Alfar. Die meisten Sterblichen fühlen sich von uns angezogen.«

Alahrian schnaubte. Von Morgan fühlten sie sich angezogen, das war offensichtlich, er musste es jede Nacht mit anhören. Morgan war der Coole, seine dunkle Aura, sein Rockstaroutfit, die selbstbewusste Erscheinung, die den Krieger in ihm verriet, all das wirkte unwiderstehlich auf die Sterblichen. Alahrian war einfach nur sonderbar. Er konnte kein Eisen anfassen, keine Dunkelheit ertragen, nichts essen oder trinken, außer Zucker und Wasser. Für Morgan war es so viel leichter, sich anzupassen. Er war ein Döckalfar und ein Wechselbalg. Er war unter Sterblichen aufgewachsen.

»Merkst du das wirklich nicht?« Morgan lachte wieder. »Die Schwester von dieser Barbie-Puppe, die steht auch auf dich. Und diese kleine Blonde, Eva, schluchzt ständig in ihr Tagebuch, weil du sie keines Blickes würdigst.«

Alahrian funkelte ihn böse an und fragte sich, weshalb Morgan über die Tagebücher seiner Klassenkameradinnen so gut Bescheid wissen sollte. Vermutlich machte er sich nur lustig.

Sein Bruder feixte. »Du bist ein Herzensbrecher, liosch«, spottete er.

Ärgerlich warf Alahrian ihm eine Lichtkugel entgegen, die Morgan jedoch mühelos auffing. »Ist sie wenigstens hübsch, deine Lillian?«, fragte er.

Alahrian hatte keine Lust mehr, sich zur Zielscheibe von Morgans schlechtem Humor zu machen. Würdevoll straffte er die Schultern und schritt davon, in Richtung des Hauses. Ja, sagte er dennoch, direkt in Morgans Gedanken hinein und ohne sich noch einmal zu dem Döckalfar umzudrehen. Ja, sie ist sehr hübsch …

Er verschwand im Haus und durchquerte die Eingangshalle. Manchmal beneidete er Morgan um seinen Umgang mit den Sterblichen. Alahrian lebte unter ihnen, doch er war stets nur ein Fremder, ein Eindringling. Niemals ging er enge Beziehungen zu ihnen ein, stets blieb er reserviert und zurückhaltend. Bisweilen jedoch stellte er sich vor, wie es wohl wäre, mit einer Sterblichen zusammen zu sein, und manchmal sehnte er sich sogar danach. Aber sie waren so zerbrechlich, die Menschen, so kurzlebig. Er würde sie verlieren, ehe er sie wirklich kennenlernen konnte, und der Schmerz über den Verlust würde größer sein als das Glück über das kurze Beisammensein. Vielleicht würde er ihn nicht ertragen, den Schmerz, ja, vielleicht nicht einmal das Glück. Er würde seine Gefühle nicht mehr kontrollieren können, würde einen Tornado auslösen, eine Springflut oder eine noch schlimmere Naturkatastrophe.

Nein, sich näher auf die Sterblichen einzulassen, war keine gute Idee. Er konnte sie beobachten, sich unter sie mischen, aber er durfte sich nicht an sie binden.

Seufzend ging er in die Küche, nahm sich eine Handvoll Kandiszucker aus seinem Vorrat und lutschte ihn, während er die Treppe in sein Schlafzimmer emporstieg. Das Schlafzimmer war sein liebster Raum im ganzen Haus, hier fühlte er sich am wohlsten. Statt einer Decke aus Stein wurde es von einer riesigen, efeuumrankten Glaskuppel gekrönt. Die Kuppel war in sich geschliffen und wirkte wie ein Prisma, das selbst die schwächsten Strahlen von Sonnen- und Mondlicht noch bündelte, so dass es im Zimmer nie richtig dunkel wurde. Außer in den bewölkten Neumondnächten, die er hasste und die ihn jedes Mal fast krank machten. Heute aber fiel mildes, schimmerndes Licht hinein, direkt auf sein Bett, tränkte die seidenen Laken und das helle, kunstvoll geschnitzte Eschenholz. Als er eintrat, zog sich der Efeu über der Kuppel raschelnd zurück, um noch mehr Licht einzulassen. Einige seiner Rosen, die den Raum in einen blühenden Wintergarten verwandelten, ließen duftende Blütenblätter auf das Bett segeln, damit er darin ruhen konnte.

Alahrian fischte im Dunkeln nach der Fernbedienung für die Stereoanlage und legte seine Lieblings-CD ein. Chopin. Klavierkonzerte.

Er versuchte, nicht an Lillian zu denken und genoss stattdessen die Musik, während er ins Bett kroch, unter die Seidendecke, dünn genug, um auch während der Nacht ein Minimum an Licht an seine Haut zu lassen. Die Melodien begleiteten ihn noch, als er die Augen schloss und auf den Schlaf wartete.

Niemals würde er eine Beziehung zu einer Sterblichen eingehen, und von dieser Lillian würde er sich besonders fernhalten. Kurz bevor er jedoch einschlief, stellte er sich vor, wie es wohl sein würde, mit ihr durch den Mondschein zu tanzen, betörenden Klängen folgend, und sie dabei in den Armen zu halten … Und gegen seinen Willen schlich sich ein Lächeln auf sein Gesicht.

DER ERSTE SCHULTAG

Nach der Party am Samstag kam der Montag– und damit der erste Morgen an der neuen Schule– viel zu früh und Lilly musste widerwillig feststellen, dass sie ein klein wenig nervös war. Das war albern, denn trotz ihrer anfänglichen Bedenken waren die ersten Tage im neuen Zuhause viel weniger schlimm verlaufen als befürchtet. Die meisten ihrer Klassenkameraden kannte sie schon, bisher waren alle nett zu ihr und die Lehrer konnten schließlich auch nicht schlimmer sein als in Hamburg.

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