3,99 €
Der erste Band der Elfengaard Reihe.
Ein fröhlicher bis nachdenklich stimmender Fantasy Roman, gespickt mit einem Hauch Sozialkritik und Umweltschutzaspekten, sowie einer kleinen Liebesgeschichte am Rande.
Die Geschichte spielt vornehmlich in Norddeutschland, Japan und England, sowie Elfengaard, der Ahnen- und der Unterwelt.
Der junge Architekt Marty Swenson, lebt mit seiner Großmutter Hanne Gehrken auf einem Bauernhof in Norddeutschland. Dort betreut er ein Bauprojekt für ein Wellness Ressort, das von dem Japaner Rick Kamosora finanziert wird. Dabei gibt es von Beginn an Turbulenzen. Bereits bei der ersten Telefonkonferenz und Computerpräsentation finden sich plötzlich unerklärliche Änderungen.
Elfengaard ist das alte Gebiet der Elfen, behütet von Bengat aus dem Oberen Rat und Ella Willard einer Klangweltenpriesterin. Es ist den Menschen nicht mehr zugänglich.
Gibt es aber doch noch offene Portale? Was hat Hanne’s alte Spieluhr damit zu tun und wie entgehen sie dem ständigen Schabernack der kleinen Elfe Janice? Schafft Merlin es einen Nachfolger zu finden, damit er endlich in den Ruhestand kann?
Lasst euch entführen auf eine spannende Reise vom Gestern ins Jetzt…
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Veröffentlichungsjahr: 2019
Ein Märchen aus den Lichtwelten
von PETRA MAIA
Entdeckungen
Als er mit seinem Geländewagen die Straße hinabfuhr, ärgerte ihn der Verkehr, der heute Morgen zähflüssig war und ihn immer wieder zum Anhalten zwang. Selbst jetzt noch, in den Vororten der Stadt, war es umständliches Fahren gewesen und Marty fürchtete, zu spät zu seiner Geschäftsbesprechung zu kommen. Nervös strich er sich die kurzen blonden Haare aus dem Gesicht und schaute in den Rückspiegel. Seine hellblaugrauen Augen schauten ihn daraus an und er dachte an sein nordisches Erbe. Irgendein Großvater vor x-Generationen, war von weit dort oben gekommen und seine Großmutter hatte ihm als Kind immer durch die Haare gewuschelt, wenn er nach wildem Spiel von draußen kam und gelacht, er sähe aus wie ein Wikingerjunge. Immer noch stand er an einer Ampel und wartete auf Grün, als sein Blick umherschweifte und er ein Straßenschild sah: Elfengaard. Weite Felder erstreckten sich hinter dem Zaun an der Ecke und die aufgehende Sonne am Horizont tauchte alles in diffuses Licht. Morgennebel waberte über Baumreihen, vereinzelt flog ein Vogel umher. Von Ferne muhte eine Kuh.
Den Blick wieder auf die Straße richtend sah er noch einmal kurz auf das Straßenschild. Eigentlich war es ja nur ein Feldweg und er fragte sich, wohin dieser führen würde.
Merkwürdiger Name dachte er, aber irgendetwas in ihm wurde angerührt von dem Namen. Hier oben im Norden gab es ohnehin immer wieder seltsame Straßennamen, die an Märchen erinnerten. Seine Großmutter hatte ihm früher viele dänische Märchen vorgelesen, die er mit großen Augen und pochendem Herzen in sich aufgesogen hatte, von Gnomen, Elfen, Trollen und allerlei nordischen Sagengestalten.
Seine Mutter hatte ihn immer angelächelt, wenn sie ihn auf dem Schoß der Großmutter sitzen sah und er mit gebanntem Blick der Welt entrückt schien. Sie selber hatte diese Geschichten als kleines Mädchen gehört und war begierig auf die Momente gewesen, als ihre eigene Großmutter mit ihr die berühmte Märchenstunde machte. Manchmal waren auch Freundinnen von ihr dabei gewesen und sie hatten mit Tee und Keksen im Kreis auf dem dicken Teppich im Wohnzimmer gesessen und gelauscht.
Marty erschrak von einem garstigen Hupen hinter sich. Die Ampel war schon lange auf Grün umgesprungen, aber er hatte sich so sehr in seinen Gedanken verloren, dass er es nicht gemerkt hatte. Schnell fuhr er an und da die Straße etwas feucht war und es nachts gefroren hatte, drehten die Räder kurz durch. Genervt atmete er tief durch und fuhr seinen restlichen Weg etwas bedächtiger.
Vor der Firma blieb er stehen und stieg aus, griff nach seiner Tasche auf dem Rücksitz und wollte mit Schwung die Tür zu werfen, als ein leises Piepsen seine Aufmerksamkeit erregte. Er hielt inne und schaute. Er meinte auf der Dichtung im Türrahmen säße etwas, aber als er sich bücken wollte, war es weg. Irritiert blieb er stehen und rieb sich die Augen. Er sollte eben morgens nicht ohne Kaffee aus dem Haus, dachte er und warf die Tür zu, verschloss das Auto mit der Fernbedienung und drehte sich Richtung Eingang. Die große Halle hinter der Glastür machte immer noch immensen Eindruck auf ihn. Selten hatte er architektonisch solch lichtdurchflutete Räumlichkeiten gesehen, dachte er mit ein wenig Stolz.
Ein Blick auf seine Uhr sagte ihm, dass er spät dran war, insbesondere da er die Präsentation noch aufbauen musste. Eilig ging er die Treppen hinauf in sein Büro. Seine Sekretärin, eine Perle ihrer Zunft, kam ungefragt mit einem Becher und der Kaffeekanne hinterher und wies mit einer Handbewegung auf den Laptop, den sie schon gestartet hatte. Mit schnellen Handgriffen loggte er sich in die nötigen Präsentationen und drückte nebenbei den Schalter der Gegensprechanlage am Telefon. „Sabine, würdest Du mir bitte die Bildkonferenz für zehn Uhr freischalten?“ Ein kurzes Räuspern und dann ihre frische Stimme : „klar Chef“. So war sie, kurz, knapp, präzise, das was er an ihr so schätzte in der täglichen Zusammenarbeit.
Marty überflog kurz noch einmal die vorbereiteten Powerpoint Daten und machte einen Testlauf. Fünfzehn Minuten noch bis zur Liveschaltung. Er beschloss kurz noch auf die Dachterrasse zu gehen, um die Morgenluft zu genießen. Seinen Kaffeebecher nahm er mit und bedeutete im Vorbeigehen Sabine, dass er gleich zurück sei.
Sie nickte nur und hackte weiter auf Ihre Tastatur ein, das Diktafon mit Kopfhörer hinters linke Ohr gesteckt. Auch sie hatte blondes Haar, die Augen ein etwas dunkleres Blau als Martys, wie viele in diesem Landstrich, jeder zweite hatte nordische Vorfahren. Siebzehn Jahre kannten sie sich, seit der Schulzeit, auch wenn sie sich einige Jahre aus den Augen verloren hatten. Er hatte im Ausland Architektur studiert und sie eine Ausbildung mit Fremdsprachen in Frankreich absolviert. Trotz aller Weltenbummelei hatte es sie am Ende beide zurück nach Norddeutschland verschlagen, wo sie ursprünglich herkamen. Lächelnd lehnte er am Geländer der Dachterrasse und genoss die Weite, die das Land hier oben bot. Bewusst hatte er zwar Wohnraum in der Stadt gewählt, denn auch diese Atmosphäre liebte er, aber sein Büro zog er hier draußen vor. Kurze Ausspannphasen waren so garantiert. Vorm Geschäftsgebäude erstreckte sich der Vorort und die in der Ferne liegenden Felder gaben dem Ganzen einen landurlaubartigen Anschein. „Marty Swenson - Architekturbüro“ stand auf dem Schild im Garten, das von allen Seiten zu lesen war. Und mit nicht wenig Stolz wurde ihm gewahr, was er in seinen wenigen Berufsjahren schon geschaffen hatte.
Die heutige Präsentation würde über sein nächstes Projekt entscheiden. Eine Feriensiedlung nordischer Art, mit Holzhäusern, ähnlich den Cottages in Kanada, natürlich eingebettet in die Umgebung. Weitläufige Parkanlagen, die naturbelassenen Waldanteile nutzend. Ein Relax Ressort sollte es werden, für Familien und Singles gleichermaßen, alt und jung. So etwas gab es hier oben noch nicht und die Weite des Landes lud ideal zum Wandern ein. Die kurze Distanz zum Meer ergab einen weiteren Anreiz, sich hier wohl zu fühlen.
Marty seufzte, nahm einen letzten Schluck Kaffee und wollte sich zum Gehen wenden, als im Augenwinkel etwas flackerte und er wieder meinte dasselbe Piepsen wie am Morgen zu hören. War er etwa doch überarbeitet ? Da er nichts weiter sehen konnte, wandte er sich um und ging hinein. Was er nicht mehr sah, war das kleine beflügelte Wesen, das sich hinter ihm durch die Tür zwängte und neugierig hinter ihm her schwebte, lautlos.
„Es kann losgehen!“ warf ihm Sabine kurz in einem Satz zu und er ging in sein Büro. Der Bildschirm war noch an und der Countdown- schalter wartete auf Freigabe. Das Bild wackelte kurz und dann war die Standleitung perfekt. Mr. Kamosora, der von Japan aus das Projekt sponserte, saß steif an seinem Schreibtisch und meinte noch nicht auf Sendung zu sein.
„Oheio“ sagte Marty, um dessen Aufmerksamkeit zu erregen. Sein Gegenüber zuckte kurz zusammen, sagte etwas undeutliches auf Japanisch und nickte ihm erst in der steifen Art der Asiaten zu. „Maaarty“ sagte er dann lang gedehnt und breitgrinsend und sämtliches Fremdeln war verflogen. „Was gibt es Neues? Wie weit bist du mit den Entwürfen?“ „Alles roger mein Bester", grinste Marty zurück und warf die Dokumentation an. „Sieh selbst.“ Eine Fotoshow folgte mit den bereits erschlossenen Gebieten und wieder einmal war Marty froh, dass Kenny, sein Freund der Fotograf und Kameramann, aus allem ohne große Erklärungen stets das Beste herausholen konnte.
Im Anschluss zeigte er Mister Kamosora die Zeichnungen und diversen Skizzen aus Vogelperspektive, mit dem Verlauf der Zuwegungen, der Aufteilung der Gebäude, dem zentralen Bereich, der später die Versorgung und die Freizeitaktivitäten gewährleisten sollte. Irgendwie kam ihm etwas bekannt vor auf den Bildern, aber er konnte zu dem Zeitpunkt keinen Zusammenhang herstellen zum dem Gebiet, durch das er heute früh gefahren war.
Zufrieden nickte sein Gesprächspartner und machte nicht viel Worte, aber seine Zustimmung war ihm im Gesicht abzulesen. „Wie viel Vorschuss brauchst du für die weiteren Planungen?“ wollte er noch wissen und Marty nannte ihm eine circa Summe, die er am Vortag mit Sabine hochgerechnet hatte. Auch dies erwirkte nur ein kurzes zustimmendes Nicken Mister Kamosoras und er bat ihn, auf dem Laufenden gehalten zu werden. „Moment noch...“ sagte er, als Marty gerade zum Abschluss der Vorstellung kommen wollte, "Was ist das denn?„
Marty wusste erst nicht, was sein Partner meinte, doch dann sah er es auch: Am Bildrand war ein Foto mit einem Straßenschild zu sehen: Ein dicker roter Pfeil und der Name "Elfengaard". Kenny musste sich einen Scherz erlaubt haben... „Der Name gefällt mir“ sagte Mister Kamosora, „Es passt zu dem nordischen Touch, den wir der Anlage geben wollen. „Hat etwas Sagenhaftes.“ Marty wirkte etwas verstört. Diese Aktion kam etwas unerwartet, er würde Kenny später fragen wollen, was es damit auf sich hatte. „Ja, wir waren zwar noch nicht soweit, das Projekt mit einem Namen zu benennen, aber wenn es Recht ist,“ er räusperte sich „passt es in der Tat ganz gut.“ Er fand, er hatte die Situation ganz gut überspielt. Nichts schlimmer, als wenn sein Geldgeber ihn plötzlich für unprofessionell hielte!
Immer „Herr der Lage bleiben“, hatte sein Vater ihn von klein auf gelehrt und bei allen Flausen, die er im Kopf hatte, wusste er heute, wie recht sein alter Herr gehabt hatte. Es gab zwei Plattformen im Leben, das Private und die Welt „da draußen“ - beides konnte man als Theater ansehen, in dem man jeden Tag von Neuem seine Vorstellung gab. Nach Klärung einiger nebensächlicher Punkte beendete Marty die Telefonbildkonferenz und schaltete die Gegensprechanlage an. „Sabine?, machst du mir bitte eine Verbindung zu Kenny?“ „Geht sofort los“ rief sie aus dem Nebenraum und kurz darauf klingelte sein Apparat.
"Kenny, was für eine Überraschung war das mit dem Elfengaard-Schild da auf meinem Laptop?“ kam Marty gleich zur Sache und wartete auf eine Antwort, doch Kenny sagte zunächst gar nichts, gähnte lautstark und fragte ihn dann nur etwas grantig, ob es ihm noch gut ginge, ihn so früh am Morgen (es wäre erst elf!) anzurufen. Was er denn meinte, wie er denn etwas auf seinen Laptop geschmuggelt haben solle und wer überhaupt sei Elfengaard? „Nicht weeeer – was?“ quakte Marty ungeduldig in den Hörer zurück. Dann hielt er inne. „Äh, was? … aber..." fing er wieder an und unterbrach sich selber. „Du meinst, du weißt von nichts?“ „ fragte er dann zögernd in den Hörer. „Nein, natürlich nicht! Was ist passiert? Vielleicht fängst du mal von vorne an?“ fragte Kenny, nun selbst leicht ungehalten, in den Hörer.
Mit kurzen Worten erzählte Marty ihm von der Präsentation und dem Ende, das er unerwartet auf seinem Laptop vorgefunden hatte. Nach kurzem Überlegen, fügte er auch die Erlebnisse der Fahrt von seinem morgendlichen Weg hinzu und das Schild, das ihm unterwegs aufgefallen war mit demselben Namen: Elfengaard.
Am andern Ende der Leitung herrschte Schweigen. Kenny schien zu überlegen. „Hm..." brummelte er nur und Marty sah ihn in Gedanken vor sich, wie er verschlafen in Shorts auf seiner Bettcouch saß und sich die dunklen Locken aus den Augen strich. Mehr der Form halber, als dass es wirklich etwas gebracht hätte. Denn Kenny sah schon als Kind mehr wie ein Rastaman aus, als wie jemand, der überhaupt je einen Friseurladen von innen gesehen hätte. "Nicht eine Spur nordisches Blut" schien in ihm zu fließen „im Gegensatz zu seinen Eltern“. So hatte Marty früher oft die Leute reden hören, denn nur die wenigsten wussten bis heute überhaupt, dass Kenny adoptiert war.
"Keine Ahnung“ kam es dann aus dem Hörer und dann schlug Kenny vor, sich zum Mittagessen zu treffen und vorher oder nachher dort einfach einmal vorbei zu fahren. Ob er noch wisse, wo das gewesen sei? „Nicht so ganz, „ meinte Marty, aber er würde den selben Weg wie heute Morgen einfach zurückfahren und dann müssten sie dort schon vorbei kommen. „Dann bis später, ich komme gegen eins“ brummte Kenny erneut in den Hörer und hängte einfach auf.
Marty starrte irritiert auf den Telefonapparat. Was war heute in seinen Freund gefahren? So wortkarg war er sonst gar nicht. Ein Kichern von der Tür riss ihn aus seinen Gedanken. Sabine stand dort und grinste breit. „Na, das war ja wohl wenig von dem was du gerade hören wolltest oder?“ fragte sie und erwartete aber nicht wirklich eine Antwort. Sie wusste, wenn Marty seinen Gedanken so nachhing, brauchte er Zeit für sich allein.
Achselzuckend ging sie an ihren Schreibtisch zurück, sie hatte noch zu tun. Auf dem Weg dorthin beschloss sie noch in der Küche den Handzettel vom Pizzaservice zu holen, um sich fürs spätere Mittagessen Nudeln zu bestellen. Die Küche war in helles Licht getaucht und auf der Fensterbank stand ein Topf mit Blumenzwiebeln. Sie hatte sie erst vorgestern mitgebracht, da waren nur ganz kleine grüne Spitzen zu sehen gewesen, aber sie hatte beim Kauf bereits die Vorfreude auf die kleinen gelben Narzissen und roten Tulpen gespürt, die laut Etikett auf dem Topf in Kürze hervorstreben würden.
Sie wandte sich zum Magnetboard, wo der Flyer hing und aus dem Augenwinkel sah sie eine Bewegung. Wahrscheinlich ein Vogel im Vorgarten, dachte sie und drehte sich kurz dorthin, erstaunt sah sie dann jedoch auf den Blumentopf, der voller blauer Sternchenblumen war. Und zwar viel mehr als Zwiebeln in dem Topf gewesen waren und natürlich war das ja eine ganz andere seltsame Blumenart. „Marty?“ rief sie etwas verärgert, da sie vermutete er hätte die andern Blumen bereits voreilig als Unkraut wieder entsorgt. „Wo sind meine Narzissen- und Tulpenzwiebeln hin?“
„Bitte was?“ rief er zurück und erschien kurz darauf in der Küche. Sie deutete mit einer Handbewegung auf die Fensterbank. „Der Blumentopf, den ich vorgestern mitgebracht habe, wo ist er?“ fragte sie noch einmal. „Da steht er doch“ sagte er „ich habe nichts umgestellt, das ist doch dein Fachgebiet“ meinte er und fragte sich innerlich, ob heute Morgen alle zu Absonderlichkeiten neigten. Erst Kenny, dann seine eigene Verträumtheit beim Autofahren. "Unkonzentriertheit" korrigierte er sich, aber war sich dennoch im Klaren, dass es mehr war als das. „Aber das sind ganz andere Blumen“ versuchte Sabine noch einmal aufs Thema zu kommen. „Ehrlich, ich hab keine Ahnung,... ach Sabine, frag bitte das Putzkommando.“ Damit wandte er sich wieder ab, um in seinem Büro zu verschwinden.
Sabine blieb verdattert zurück. Die Putzdamen würden sicher genug Verstand und Kenntnis über Topfpflanzen besitzen, um nicht etwas ungefragt auszutauschen oder gar wegzuwerfen. Alles machte keinen Sinn heute. Da sie aber jetzt auch keine sofortige Antwort dafür bekäme, zog sie nur den Pizzaflyer vom Board und nahm ihn mit zurück in ihr Vorzimmer. "Immerhin, blaue Sternchenblumen haben ja auch etwas", dachte sie lächelnd. Am Rande fiel ihr ein, wie Marty's Großmutter früher eine Elfengeschichte erzählt hatte, wo eine Blumenelfe immer die Räume der Menschen dekoriert hatte, wenn sie meinte es täte ihnen gut, etwas Blühendes in ihrem Leben zu haben. Blumenwachstum war ein Urgesetz in der Natur. Der Jahreskreislauf, der sich stetig wiederholte und Kraft allen Lebens sich immer aufs Neue Wege suchte und Bahn brach. Tröstlich hatte Sabine diese Geschichte immer gefunden. Nichts war wirklich verloren.
Entschlossen nahm sie den Hörer, bestellte die Nudeln für dreizehn Uhr, dann würde Marty mit Kenny auch verschwinden und machte sich an ihre Übersetzungsarbeiten vom Diktafon. Es war noch viel zu tun.
IN ELFENGAARD
In Elfengaard war ein stetiges Treiben – Wichtel rannten geschäftig hin und her und die Elfenkinder waren heute kaum zu bändigen. Die Tageslosung hieß: „Frühlingsblumen austreiben lassen“ und alle waren darin eingebunden, alt und jung, groß und klein. Janice flog zum Dachfenster herein und schüttelte sich erst mal. Die Schneeflockengören, die auch um diese Zeit noch ab und zu ihr Unwesen trieben, gingen ihr bereits gehörig auf den Geist. Der Wintervater müsste mal seine Schützlinge langsam einsammeln und auf den Sommerschlaf vorbereiten, fand sie. Aber wer fragte schon eine kleine Blumenelfe. Sie strich die Flügel glatt, die seidig schimmerten und raschelte mit ihren lilagrünen Röcken. Ihre grünen Augen blitzen übermütig. Ihren hellen, geflochtenen langen Zopf warf sie mit einem Schwung auf den Rücken zurück. Heute auf ihrer Erkundungstour war sie seit langem mal wieder Auto gefahren. Lächelnd dachte sie an den jungen Mann zurück, der nicht einmal bemerkt hatte, dass ein faules, aber neugieriges Elfchen zugestiegen war. Die Menschen konnten so blind sein manchmal! Dabei hatte der Kerl träumend an der Ampel gestanden, sogar das Schild sehen müssen, aber vielleicht auch nicht.
Sie wusste, dass wieder ein Bauvorhaben der Menschen in Planung war und ihre Aufgabe war es unter anderem solche Dinge auf Ihren Touren zu erkunden und Meldung beim Oberen Rat zu machen. Zuviel Lebensraum war schon zerstört worden von diesen großen Gesellen, die einfach mit Baggern und schwerem Gerät irgendwo ankamen, ein Schild in die Erde rammten, als wäre alles ihres und drauflos gruben, dass die Erde wackelte.
Das Honigelfenvolk war auf diese Art beinah ausgelöscht worden. Danach hatte der Obere Rat beschlossen künftig mehr auf der Hut zu sein und die Menschen besser zu überwachen. Früher gab man noch etwas auf Elfen und die ganzen Erd- und Naturgeister. Heute war ein Zeitalter der hochmodernen Industrialisierung entstanden, das schon lange alles überholt hatte, unabwendbar und die Naturgeister hatten es vorgezogen sich in sichere und für andere unsichtbare Gefilde zurückzuziehen. Dennoch wurden sie ja gebraucht, denn welcher Mensch ahnte schon, dass ohne sie nichts wuchs? Dass Tag und Nacht und alle Jahreszeiten von ihnen abhingen. Vielleicht sollten sie einmal in richtigen Streik treten, so wie die Menschen manchmal, wenn sie etwas nicht wollten und sich dann zusammenrotteten mit Transparenten und Sprechchören. Aber würde sie jemand hören?
Janice hing ihren tausend Gedanken mal wieder nach und hätte beinah verpasst, dass es Mittag war. Auch für Elfen ist das eine eminent wichtige Tageszeit. Danach, also nach dem Essen, konnte man sich nämlich in eine Gräserhängematte begeben und richtig dösen, bis die Abenddämmerung mit neuen Aufgaben rief. Das wollte sie genauso wenig verpassen, wie die Mittagsmahlzeit. Natürlich fand um diese Jahreszeit alles hier drinnen statt. Frische Grasmatten waren Anfang März ja kaum herzustellen, aber allein die "Ruhige Phase" war etwas Tolles. Da war man doch stolz Elfe zu sein. Die Menschen besaßen so eine Auszeit kaum noch. Sie arbeiteten den ganzen Tag oder diejenigen, die noch so etwas wie eine "Ruhige Phase" kannten, taten dies dann so ausgiebig, den ganzen Tag, dass sie nichts andres mehr schafften - beide Extreme waren nicht richtig fand Janice... wie ihr Vater immer gesagt hatte: "Die goldene Mitte zählte!"
KENNY
Es klingelte an der Tür und Sabine sprang auf, um zu Öffnen. Der Pizzabote, den sie schon duzte, stand vor der Tür und hielt ihr das Nudelpaket hin. „Hallo Jan..." lächelte sie und drückte ihm das Geld in die Hand, das sie bereits vorher herausgelegt hatte. Da sie öfter etwas zu Mittag bestellte, waren sie per Du und gelegentlich, wenn Jan die letzte Fuhre bei ihr auslieferte und keinen Folgekunden hatte, plauderten sie einige Minuten über Gott und die Welt.
Marty kam aus seinem Büro, weil er Kenny erwartet hatte, dieser tauchte dann auch tatsächlich wie gerufen hinter dem Pizzaboten auf. Grinsend streckte er seine Hand Sabine zu, wollte sie necken, tat so als wolle er ihr das Mittagessen wegnehmen. Sie zog es schnell dicht an ihren Körper. „Nichts da...“ herrschte sie ihn gespielt an, „Ihr geht doch selber gleich essen!“ Damit verzog sie sich schnell mit ihrem Essen in ihr Büro.
Unmöglich fand sie diesen Kenny manchmal, wenn er auch vom Typ Mann her schon etwas unerklärlich Ansprechendes hatte, das sie anzog. Aber sie war fern von „Gut und Böse“, wie man so schön sagte, seit sie ihre letzte Trennung durchgezogen hatte. Und diese Immunphase sollte - besser für sie – lieber noch eine Weile anhalten.
Marty ging mit Kenny an ihrer offenen Tür vorbei und kam dann nochmals kurz zurück um den Kopf herein zu stecken. „Ich komme wohl heute nicht wieder,“ meinte er kurz „ Du kannst gehen wie du magst und schließe bitte das Fenster bei mir noch, bevor du gehst.“ Sie nickte zwischen zwei Bissen und widmete sich wieder ihrem Mahl. Essen war wichtig, das war ihre Art Auszeit am Tage. "Ruhige Phase", wie sie es nannte. Einen Begriff, den sie auch von Marty's Großmutter übernommen hatte, irgendwie kam ihr der Gedanke, dass dieser in einer der Geschichten vorgekommen war damals, aber sie erinnerte es nicht genau, es war zu lange her und wohl jetzt auch nicht wichtig. Sie ließ den Blick durchs Fenster schweifen, wo ein Hauch Mittagssonne durch die Wolken brach und dem Horizont einen zitronenfaltergelben Anstrich gab. In der Ferne sah sie die Felder, die noch teils mit Schnee bedeckt waren und im Inneren freute sie sich bereits auf die Frühlingszeit, ihre liebste Jahreszeit. Es war schöner draußen, wenn es mild wurde, die Tage länger wurden, die Blumen langsam durch die Erde kamen und alles ergrünte.
AUF DER SUCHE
„Bis später“ riefen Marty und Kenny aus dem Flur und sie hörte die Tür ins Schloss fallen. Die zwei stiegen draußen in Marty's Auto und brausten davon.
„Ich versteh das Ganze nicht“ meinte Kenny zum x-ten Male. „Ich habe doch nur die Fotos des Geländes in deine Powerpoint Datei eingebunden und ein Foto wie dieses Straßenschild habe ich in der ganzen Fotoserie überhaupt nie aufgenommen“. „Meinst du es hat jemand sonst Zugang gehabt?“ entgegnete Marty nachdenklich. „Sabine würde sich so einen Scherz nicht erlauben. Und da es offensichtlich diesen Ort ja geben muss, wenn du sogar heute früh dran vorbeigekommen bist...“ warf Kenny ihm einen halben Satz hin, den er nur im Kopf zu Ende dachte, während er kurz sinnierte, ob sein Kumpel eventuell gestern dem Schlummertrunk zu sehr nachgegeben haben könnte, was er aber nicht laut aussprach.
Schweigend fuhren sie durch die Vororte. Marty hielt krampfhaft Ausschau nach dem Straßenschild Elfengaard, jedoch egal wo sie entlangfuhren, keine Straße, die der von heute Morgen glich, war unterwegs zu entdecken.
Er rieb sich müde die angestrengten Augen und schlug vor erst mal Essen zu gehen. Kenny nickte und schielte aus dem Augenwinkel zu seinem Freund, der offensichtlich etwas blass aussah heute. „Ich bin mir sicher, es gab die Seitenstraße, vielleicht finden wir sie auf dem Rückweg, wenn wir vom Restaurant dieselbe Straße nehmen, die ich heute früh nahm." „Ja sicher, später..." nickte Kenny und starrte hinaus. Ihm kam der Weg heute selbst etwas anders vor als sonst. Irgendwie machte das diffuse Mittagslicht, das sich auf den mit Restschnee bedeckten Feldern brach, die Atmosphäre etwas anders. Er konnte es mit Worten nicht beschreiben, aber als Fotograf hatte er immer einen Blick für Veränderungen. Selbst wenn er Jahre nicht in einer Stadt auf Fotoreise war, wenn er wiederkehrte sah er immer genau, was anders war. Heute schien ihm ein Teil seines siebten Sinnes dafür, wie getrübt zu sein. Er fühlte es mehr, als dass er es sehen konnte. Vielleicht hatten sie ja alle in den letzten Wochen etwas zuviel gearbeitet.
Er kurbelte das Seitenfenster etwas herunter, um frische Luft hereinzulassen. Eine fette Schneeflocke wirbelte im selben Moment mit dem Luftzug herein und er drehte schnell die Scheibe zu einem kleineren Spalt. Gedankenverloren griff er zu der Coladose, die er auf der Ablage hingelegt hatte. Etwas Koffein würde ihn wacher machen. „He Jungs“ wisperte etwas an seinem Ohr und kicherte kurz auf. Ruckartig wandte er den Kopf, sah aber nichts und Marty schien man nichts anzumerken. Kenny schüttelte den Kopf.. seine Fantasie spielte ihm heute Streiche...
Das Elfchen Janice jedoch saß auf der Kopfstütze des Autos und bog sich vor Lachen, dies allerdings wieder auf den Unhörbarmodus getrimmt, damit die Männer sie nicht hören konnten. Noch nicht. Zu sehr stand ihr der Sinn danach noch etwas Schabernack mit ihnen zu treiben. Die Schneegörentarnung war wirklich super. Ihr Freund Connor hatte ihr diese beigebracht. Er war ab und an beim Wintervater zur Aushilfe eingeteilt, mehr widerwillig als begeistert, aber wenn man dort solche amüsanten Dinge lernte, warum nicht.
Sie schwebte in Kennys Nacken und ließ etwas von dem Flockengel schmelzen, hektisch wandte er sich ans Fenster, da er meinte es vielleicht doch nicht ganz zugedreht zu haben. Verwundert schüttelte er den Kopf und rieb sich einfach den Nacken.
Janice hörte derweil den Nachmittagsgong und dachte, dass ja nun eigentlich die "Ruhige Phase" begonnen hätte, aber dies hier war wichtiger. Sie wollte sehen, wie weit die Menschen diesmal gingen. Sie schnippte kurz, um das Weitere ins Rollen zu bringen. Die Dämmerung zog viel zu früh von Ferne schon auf, doch der Nebel schien sich kaum merklich zu lichten.
Marty und Kenny fuhren nachdenklich durch die Gegend, jeder in seinen Erinnerungen gefangen.
Plötzlich trat Marty auf die Bremse. „Hier war es!“ rief er und zeigte auf eine Wegbiegung. Vergessen war der Hunger. Er war sich sicher, hier hatte am Morgen das Schild gestanden mit dem Hinweis auf „Elfengaard“, aber da war nun kein Schild mehr, nur ein viel schmalerer Weg und knorrige Bäume standen am Wegesrand.
„Bist du sicher?“ fragte Kenny etwas zweifelnd, aber Marty war schon abgebogen. „Hier geht es doch zu den Baugrundstücken oder?“ sinnierte Marty laut vor sich hin und meinte der Weg käme ihm bekannt vor, je weiter sie vorwärts kamen. Er rieb sich am Ohr, das irgendwie heute juckte und merkte nicht, dass sanfte Flügel ihn gerade so streiften, dass man nicht auf die Idee kam, es wäre mehr als nur eine Hautirritation. Janice lachte in sich hinein.
Marty drehte den Kopf und knuffte mit der andern Hand Kenny in die Seite und lachte auf. „Weißt du, ich komme mir vor wie in unserer Pfadfinderzeit als Kinder, nur dass ich das Ziel nicht kenne. Warum hat man uns immer nur auf Pfade geschickt, die mindestens einer der Gruppenleiter kannte? Nie gab es etwas ganz Neues, unwirkliches Gelände zum Selbsterkunden. Das wäre dem Namen „Pfadfinden“ doch eher gerecht geworden.“ Kenny sah ihn mit großen Augen an, staunend über die philosophischen Ausbrüche seines Kumpels.
Sie fuhren vorsichtig durch das unwegsame Gelände und in der Ferne - ja Marty hatte Recht gehabt, da sah auch Kenny das Baugelände, das sie dabei waren zu erschließen für das Bauvorhaben „Nordisches Relax Ressort“. Als sie dort ankamen, war nicht viel los, die Landvermesser waren alle schon im Feierabend verschwunden und die wenigen Begrenzungen, die dort das Terrain bereits markierten, fielen kaum auf. „Marty Swenson, Bauvorhaben" prangte auf dem einzigen Schild weit und breit und beim Näherkommen, meinte er seinen Augen nicht trauen zu können. Das Wort „Nordisches Relax Ressort“ war durchgestrichen und ein Scherzbold hatte dick „Elfengaard – Betreten verboten!" darunter geschrieben.
Marty und Kenny sahen sich an. Was hatte das nun wieder zu bedeuten? Es wurde immer seltsamer. Sie hatten eigentlich nicht vorgehabt in diesem Stadium schon private Wachdienste hier aufzustellen. Er würde den eingesetzten Projektleiter fragen müssen, ob er irgendetwas gesehen hätte.
Er zog kurzentschlossen sein Handy aus der Tasche und rief bei Herrn Warder an. Nach zweimaligem Läuten nahm dieser ab. „Warder“ brummte es in die Leitung und Marty erzählte ihm in kurzen Worten von ihrer Entdeckung. „Aber Herr Swenson“, fiel ihm der andere ins Wort. „Sie haben doch selber eine Email geschrieben und um Änderung des Schildes gebeten, das Neue sei in Arbeit und käme Anfang nächster Woche zum Austausch“. Marty blieb der Mund offen stehen. Er hatte weder eine Mail geschrieben, noch eine Schilderänderung in Auftrag gegeben – und selbst wenn, wäre diese nicht so unfreundlich, abschreckend ausgefallen. Er versprach, das mit seiner Sekretärin zu klären und hängte auf.
„Hast du das mitbekommen?“ wandte er sich an Kenny, der stumm nickte. „Irgendjemand meint sich hier einmischen zu müssen,“ sagte er dann und wandte sich wieder zum Auto. Eine Schneeflocke schwebte ihm vor der Nase herum, als hätte sie ein Eigenleben und er wischte sie mit einer Handbewegung beiseite. Janice taumelte kurz und setzte sich dann hinten auf Martys Mantel, um dem Dialog weiter zu folgen. Allerdings stellte sie verdrießlich fest, dass sich beide bereits zum Gehen wandten. Da hier im Moment nichts auszurichten war, könne man sich auch wieder ins warme Büro oder warum nicht gleich nach Hause zu Marty begeben? So hatte Kenny es vorgeschlagen. Gesagt, getan. Diesmal nahmen sie den direkten Weg und machten nur einen kurzen Umweg über den Supermarkt, um für abends etwas zum Essen zu holen. Keinem war gerade nach dem sonst üblichen Mittagsimbiss.