Elise – Die Lady und ihre Verehrer - Jennifer Adams - E-Book
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Elise – Die Lady und ihre Verehrer E-Book

Jennifer Adams

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Beschreibung

Baden-Baden, 1830: Heiratswillige Junggesellen recken die Köpfe nach der hübschen Elise, deren Herz sie erobern wollen. Doch ihre Auserwählte ist abgelenkt von dem leidenschaftlichen Liebesbrief einer geheimnisvollen Verfasserin, den sie in einem Buch gefunden hat. Ist ein Kuss wirklich so überwältigend wie beschrieben? Völlig vernarrt in den Fund, aber ahnungslos in Liebesdingen, greift Elise selbst zur Feder. Junggeselle Philipp hilft ihr nur zu gern bei ihren Recherchen zur körperlichen Anziehungskraft, die natürlich ausschließlich theoretischer Natur sind. Bis ein Kuss alles verändert.

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© everlove, ein Imprint der Piper Verlag GmbH, München 2022

Redaktion: Carina Heer

Konvertierung auf Grundlage eines CSS-Layouts von digital publishing competence (München) mit abavo vlow ((Buchloe)

Covergestaltung: Sandra Taufer, München

Covermotiv: Shutterstock.com und Creative Market (Belliaroze)

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Inhalt

Inhaltsübersicht

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Buchnavigation

Inhaltsübersicht

Cover

Textanfang

Impressum

1

Endlich hielten die beiden Reisekutschen des Grafen von Freyberg vor dem weiß gestrichenen Palais. Elise atmete auf. Die Fahrt von Schloss Freyberg zum Sommersitz in der kleinen Stadt Baden hatte nur wenige Stunden gedauert, aber Elise war die Enge und die Schaukelei in der Kutsche herzlich leid, und sie erhob sich augenblicklich von der gepolsterten Sitzbank.

»Maman steigt selbstverständlich zuerst aus«, wies Franz sie zurecht.

Elise verdrehte die Augen. Wollte ausgerechnet Franz sie belehren? Ja, er war ihr ältester Bruder, doch war er selbst alles andere als perfekt. Erst kürzlich hatte sie – ganz zufällig – aus einem Gespräch ihrer Eltern herausgehört, dass er an der Universität zu Heidelberg beinahe einen Skandal hervorgerufen hatte. Leider hatten Papa und Maman allzu früh gemerkt, dass Elise ins Zimmer gekommen war, und ihre Unterhaltung nicht fortgesetzt.

Was hatte Franz wohl angestellt?

Höchstwahrscheinlich hatte es wieder einmal mit übermäßigem Feiern, mit Glücksspiel oder – mit einer Frau zu tun gehabt.

Mit einem leisen Seufzer wartete Elise, bis Franz ihrer Mutter aus der Kutsche geholfen hatte, dann raffte sie ihre weiten Röcke zusammen und bemühte sich, möglichst elegant auszusteigen. Man konnte ja nicht wissen, wer ihnen bei ihrer Ankunft zusah, meist war der erste Eindruck entscheidend. Und Elise beabsichtigte, einen hervorragenden ersten Eindruck zu hinterlassen, jetzt, wo sie endlich achtzehn war.

In diesem Jahr würde sie erstmals die Bälle und andere gesellschaftliche Ereignisse im Conversationshaus besuchen dürfen, die ihr noch im vorigen Sommer verwehrt geblieben waren. Und es war sehr gut möglich, dass sie dabei einen jungen Mann kennenlernen würde, der einen passenden Ehemann für sie abgeben mochte. Das war zwar mehr die Hoffnung ihres Vaters als ihre eigene, aber abgeneigt war Elise diesem Gedanken keineswegs. Es musste schön sein, umworben zu werden. Ob sie viele Verehrer finden würde? Und vielleicht würde sich auch endlich die Gelegenheit ergeben, einen Plan umzusetzen, der sie schon seit einiger Zeit nicht mehr losließ …

Die Reisenden in der zweiten Kutsche – Papa, Elises Schwestern Amélie und Josephine und die Gouvernante Fräulein Lehmann – waren bereits ausgestiegen und hielten auf die Eingangstür zu, die ein Hausdiener sofort für sie geöffnet hatte. Von der Seite des Palais eilten zwei weitere Diener herbei, die sich um das Gepäck und um die Kutschen kümmern würden.

Ach, es war schön, wieder hier zu sein! Elise liebte Baden, sie liebte dieses Palais in der Nähe der Lichtentaler Allee und des beschaulichen Flüsschens Oos, und sie liebte die Sommermonate, die die Familie seit Jahren hier gemeinsam verbrachte. Das Wetter meinte es schon jetzt äußerst gut mit ihnen: Die Sonne schien warm und hell, und ein besonders eifriger Vogel trillerte ganz in der Nähe lautstark seine fröhliche Melodie.

Kurz hielt Elise nach dem Sangeskünstler Ausschau, doch sie konnte nur ein paar Spatzen entdecken, die in einer Hecke miteinander Fangen zu spielen schienen.

Sie atmete tief ein und folgte ihrer Mutter gemessenen Schrittes. Gerade wollte sie das Haus betreten, als sie jemanden ihren Namen rufen hörte. Sofort drehte sie sich um und konnte ein breites Lächeln nicht zurückhalten – diese Stimme kannte sie! Anna.

Und da kam Anna auch schon angelaufen, zu eilig, um elegant zu wirken, und mit strahlendem Gesicht.

Angesichts ihrer besten Freundin vergaß Elise ebenfalls alle contenance und Vornehmheit und lief ihr entgegen.

»Ich habe die Kutschen gesehen, als sie bei uns an der Villa vorbeifuhren, und bin gleich hergekommen, um dich willkommen zu heißen«, keuchte Anna von Krebern und umarmte Elise. Dann trat sie einen Schritt zurück. »Du siehst elegant aus«, stellte sie fest.

Elise winkte ab. Was interessierten sie Kleider, wenn sie endlich ihre liebe Freundin wiedersah?

»Ihr seid schon da? Hattest du nicht geschrieben, ihr kommt erst morgen oder übermorgen?« Strahlend fasste sie Anna bei den Händen. »Ich dachte, ich muss mich heute den Rest des Tages alleine langweilen!«

Anna lachte. »Du und langweilen? Du hast immer noch deine Brüder und Schwestern hier, während meine alle bereits verheiratet sind und ich mich mit der Gesellschaft von Fräulein Nachtheim begnügen muss! Und die wird nicht gerade jünger und amüsanter. Du weißt nicht, was wahre Langeweile ist!«

Elise stimmte in ihr Lachen ein. »Da hast du wohl recht. Aber sehr lange wirst du ja keine Gouvernante und Anstandsdame mehr brauchen, wenn du demnächst einen Bräutigam findest.«

Anna wackelte vorfreudig mit den Augenbrauen. »Wir werden sehen«, sagte sie. »Auf jeden Fall seid ihr rechtzeitig zum ersten Ball der Saison im Conversationshaus gekommen. In wenigen Tagen ist es so weit!«

»Das war Papas Absicht.«

»Geht es euch allen gut? Deinen Eltern? Amélie und Josephine?«

»Meine Eltern sind wohlauf, danke, aber meine Schwestern ärgern sich natürlich, dass sie noch nicht alt genug sind, an den großen gesellschaftlichen Ereignissen teilzunehmen«, gab Elise Auskunft. »Ich glaube, sie sind recht eifersüchtig auf mich.«

»Was machen Franz und Julius?«

»Mein lieber Bruder Julius verbringt diesen Sommer nicht bei uns, er ist der Einladung eines Studienfreundes nach Berlin gefolgt.«

»Oh, wie schade.«

»Nun ja, du kennst ihn. Er ist ohnehin recht ennuyant, weil er die Nase stets nur in seinen Büchern hat.«

»Und Franz?«

Elise verdrehte die Augen. »Derselbe wie immer. Papa hat kürzlich zu Maman gesagt, es wäre ihm lieber gewesen, wenn sie zuerst Julius und danach erst Franz geboren hätte. Dann hätten wir einen verlässlicheren Erbgrafen in der Familie! Franz muss wieder etwas angestellt haben. Ich habe aber leider noch nicht herausfinden können, was.«

Anna kicherte.

»Auf jeden Fall kommt morgen auch Tante Berthe, und außerdem erwarten wir übermorgen einen gewissen Philipp von Hohenhorn«, fuhr Elise fort. »Er ist ein Freund und Studienkollege von Franz und will den Sommer hier mit ihm verbringen.«

»Wie interessant! Denkst du …«

»Elise, wo bleibst du denn?« Elises Mutter war erneut vor die Tür getreten, um nach ihrer ältesten Tochter zu sehen.

»Schau, Maman, wer gekommen ist, um uns zu begrüßen«, rief Elise. »Die von Kreberns sind auch schon da!«

»Anna!« Gräfin von Freyberg streckte beide Hände aus und lächelte. »Komm her, mein Kind, lass dich ansehen.«

Anna knickste respektvoll. »Liebste Tante«, sagte sie, dann eilte sie zu Elises Mutter und ließ sich umarmen. Zwar war die Gräfin nur sehr weitläufig mit ihr verwandt, aber Annas und Elises Mütter bezeichneten sich stets als Cousinen, und so verband die Familien mehr als nur eine langjährige Freundschaft.

»Du bist noch hübscher geworden«, stellte Elises Mutter fest. »Ich bin sehr gespannt, wie ihr beiden in diesem Sommer den jungen Herren in der Stadt die Köpfe verdrehen werdet.«

Elise und Anna wechselten einen Blick und ein Lächeln.

»Ich schlage aber vor, ihr verabschiedet euch jetzt zunächst einmal für eine Weile. Wir müssen uns nach der Reise ein wenig stärken. Später will Fräulein Lehmann mit Elise, Amélie und Josephine einen Spaziergang auf der Lichtentaler Allee machen, da kannst du gerne mitgehen, Anna.«

Elise zog einen Flunsch. »Muss das sein, Maman? Kann ich nicht einfach Anna einen Besuch abstatten? Ist es für eine Debütantin wirklich angebracht, mit ihren kleinen Schwestern und in Begleitung der Gouvernante spazieren zu gehen?«

»Ach ja, bitte, Tante Friederike, Elise und ich haben uns so lange nicht gesehen!«, bat auch Anna. »Und ich würde ihr gerne unsere neue Rosenlaube zeigen, die der Gärtner angelegt hat. Sie ist voller Knospen, und ich kann es kaum erwarten, dass diese aufblühen. Und einen Aussichtspavillon haben wir jetzt auch. Mit Blick über das ganze Tal!«

Die Gräfin gab lächelnd nach. »Gut, ausnahmsweise. Passt es dir, wenn Elise um vier Uhr zu dir kommt, Anna?«

Elise und Anna nickten freudig und verabschiedeten sich mit zwei französischen Wangenküsschen voneinander. Dann folgte Elise ihrer Mutter ins Haus.

Sie bebte vor Vorfreude. Sie würde ihr Zimmer wieder in Besitz nehmen, ihr Reisekleid ablegen und das neue hellblaue Kleid mit der Blumenstickerei anziehen. Danach würde sie eine kleine Mahlzeit einnehmen und noch ein wenig Klavier spielen, bevor sie endlich zu Anna gehen und sich nach Herzenslust mit ihrer Freundin austauschen konnte.

Dieser Sommer in Baden würde einfach wunderbar werden!

2

Philipp von Hohenhorn war nie zuvor in dieser kleinen Bäderstadt gewesen. Natürlich hatte er davon gehört, dass Leopold von Hochberg, der Erbe des alten Großherzogs, und seine Gattin, die schwedische Prinzessin Sophie Wilhelmine, sich in den Sommermonaten gerne im mittelalterlichen Baden am Rande des Schwarzwalds aufhielten. Er hatte sogar einmal in der Zeitung einen Artikel über den bekannten Baumeister Friedrich Weinbrenner gelesen, der dem Erbprinzen und seiner wachsenden Familie vor ein paar Jahren ein großzügiges Haus außerhalb der Stadtmauern errichtet hatte. Doch hatte es sich für Philipp bisher nicht ergeben, selbst den Ort zu besuchen.

In diesem Jahr war jedoch alles anders. Erst kürzlich war aus dem Erbprinzen der vierte Großherzog von Baden, Leopold I., geworden. Und dann hatte Franz von Freyberg bei einem der letzten Trinkgelage mit ihren Kommilitonen in Heidelberg die Bemerkung fallen lassen, dass sein Bruder in diesem Sommer eine Einladung nach Berlin angenommen hatte.

»Nun werde ich mich wohl mit drei kleinen Schwestern allein in Baden langweilen müssen!«, hatte Franz dies kommentiert und mit schiefem Grinsen hinzugefügt: »Außer, du kommst an Julius’ Stelle und verbringst den Sommer mit mir.«

Philipp hatte die Einladung gerne angenommen. Sich die Zeit zusammen mit Franz zu vertreiben, war immer amüsant, sie waren über die letzten Semester gute Freunde geworden.

In den späten Nachmittagsstunden erreichte er das Sommerpalais derer von Freyberg in Baden-Baden. So nannte man die Stadt gelegentlich verkürzt, hatte Franz ihn aufgeklärt, wenn man eine Verwechslung mit Baden bei Wien und Baden in der Schweiz ausschließen wollte. »Baden in Baden« klang einfach viel zu umständlich.

Philipp ritt durch das offen stehende Tor des freybergschen Besitzes, stieg vom Pferd und warf einen bewundernden Blick auf das gräfliche Sommerpalais, das zwischen blühenden Büschen hervor stolz auf ihn niederblickte. Die von Freybergs waren ganz offensichtlich nicht nur eine alte, sondern auch eine reiche Familie.

Ein Bediensteter eilte herbei und nahm ihm das Tier ab. Er wurde bereits erwartet.

Mit einem kurzen Dankeswort schritt Philipp auf die Eingangstür des weißen Hauses zu. Noch bevor er sie erreicht hatte, öffnete sie sich. Drei kichernde junge Mädchen stolperten heraus und hasteten schnatternd und lachend an ihm vorbei, ohne ihn zu beachten, gefolgt von einer leicht entnervt wirkenden Frau mittleren Alters. Waren das Franz’ Schwestern? Dann war es kein Wunder, dass er Philipp als männlichen Beistand eingeladen hatte!

Philipp sah sich um und betrachtete die jungen Damen, die mit raschen Schritten und wirbelnden Sonnenschirmen durch das schmiedeeiserne Tor auf die Straße verschwanden. Er hob die Brauen. Hoffentlich waren Franz’ Schwestern nicht gar zu albern. Da er selbst nur zwei deutlich jüngere Brüder hatte, wusste er mit jungen Mädchen so absolut gar nichts anzufangen. Aber das brauchte er schließlich auch nicht. Bis auf die älteste Freyberg-Tochter waren ohnehin alle noch im Schulzimmer, hatte Franz ihm erzählt. Mit ihnen würde er als Gast des Hauses also nur wenig zu tun haben. »Nur Elise wird dieses Jahr in die Gesellschaft eingeführt.«

»Philipp! Da bist du ja endlich. Dein Gepäck ist heute Morgen bereits angekommen, und ich habe seitdem sehnlichst gewartet.« Franz’ Begrüßung war herzlich, und Philipps Anflug von Verunsicherung angesichts der gackernden Mädchen schwand.

Wenige Minuten später saßen die beiden Freunde gemütlich mit einem Krug Bier auf der windgeschützten Terrasse und prosteten sich zu. Franz’ Familie war ausgeflogen, sodass sie Muße hatten, einfach nur dazusitzen, ohne höfliche Konversation machen zu müssen.

»Schön ist es hier. Ein wenig Ruhe nach den Abschlussprüfungen an der Universität tut gut«, sagte Philipp nach einer Weile.

»Ruhe? Das wollen wir doch nicht hoffen!« Franz schüttelte den Kopf. »Bälle, Konzerte, Glücksspiel und jede Menge hübsche junge Damen – das ist es, warum man die Sommer in Baden verbringt, mon ami!«

Philipp schmunzelte. »Du denkst schon wieder an junge Damen? Hat dir die Sache in Heidelberg nicht ein wenig den Wind aus den Segeln genommen? Deine Eltern waren doch ziemlich sauer.«

Franz zuckte mit den Achseln. »Das war einfach Pech. Es kann eben nicht jeder so zurückhaltend sein wie du.«

»Ist Zurückhaltung oder zumindest Diskretion nicht eine Frage der Ehre, wenn man nicht auf eine Verlobung aus ist?«

Franz stöhnte. »Du bist immer so schrecklich vernünftig!«

»Bleibt mir etwas anderes übrig? Du weißt, dass ich im Gegensatz zu dir von Haus aus nicht gerade mit Reichtümern gesegnet bin. Bevor ich nicht eine gute Stelle als Anwalt habe und mein Einkommen gesichert ist, kann ich keine Ehefrau unterhalten.«

»Es muss ja nicht gleich eine Ehefrau sein.«

»Und damit wären wir wieder beim Thema Diskretion.« Philipp lachte. Danach sprachen sie wenig, genossen nur einfach das Beieinandersein an diesem schönen Frühsommertag und die Vorfreude auf die nächsten Wochen.

Erst später kehrten der Graf und die Gräfin in Begleitung einer weiteren Dame zurück.

Artig begrüßte Philipp die Eltern seines Freundes und ihre Begleiterin, die ihm als ältere Schwester des Gastgebers, Freifrau Berthe von Lauterbach, vorgestellt wurde. Tatsächlich sah die Dame dem Grafen sehr ähnlich mit ihrem stahlgrauen Haar und den ausgeprägten Gesichtszügen. Sie war eine beeindruckende Persönlichkeit, stellte Philipp fest, und sie hatte einen Blick, der ihm bis ins Innerste zu dringen schien – nicht unbedingt ein angenehmes Gefühl.

Da widmete er seine Aufmerksamkeit doch lieber der Gräfin. Friederike von Freyberg war deutlich jünger als ihr Mann und hatte ein reizendes Lächeln, das in ihren Wangen kleine Grübchen erscheinen ließ. Sie plauderte aufs Angenehmste und bat Philipp, sich während seines Aufenthalts ganz zu Hause zu fühlen.

»Wo sind deine Schwestern?«, wandte sie sich dann an Franz.

»Mit Anna und Fräulein Lehmann promenieren, zum Glück«, gab der Auskunft.

»Gut, dann steht zu hoffen, dass die Mädchen sich bis zum Abendessen ein wenig ausgetobt haben, damit sie still sitzen«, bemerkte der Graf mit einem Augenzwinkern.

»Theodor!« Die Gräfin warf ihrem Mann einen missbilligenden Blick zu. »Unser Gast bekommt bei deinen Worten einen völlig falschen Eindruck von unseren Töchtern. Tatsächlich sind Amélie und Josephine noch fast Kinder, aber Elise ist im vergangenen Jahr eine reizende junge Dame geworden. Franz hat Ihnen sicher erzählt, dass sie in diesem Sommer in die Gesellschaft eingeführt wird?«

»Das hat er.«

»Sie werden also in Bälde Gelegenheit haben, sich von Elises Charme und von ihren Tanzkünsten selbst zu überzeugen.«

Ein kalter Schauer überlief Philipp. Erwartete man am Ende, dass er Franz’ Schwester ritterlich zur Seite stand? Er hatte keineswegs die Absicht, sich auf irgendeine Weise um eine standesgemäße junge Dame zu bemühen!

»Nun schauen Sie nicht so erschrocken.« Die Gräfin lachte. »Wir zählen keinesfalls darauf, dass Sie um unsere Elise werben! Gewiss wird sich ein passender Heiratskandidat finden, wenn nicht in diesem, dann im nächsten Jahr. Oder im übernächsten. Ich behalte meine liebe Tochter sehr gerne noch ein Weilchen im Schoße der Familie.«

Ihr Seitenblick zu ihrem Mann verriet Philipp, dass der Graf das wohl etwas anders sah.

Philipp nickte und lächelte höflich. Natürlich war er dem weiblichen Geschlecht nicht abgeneigt, er liebte es durchaus, zu tanzen und ein wenig mit den Damen zu tändeln, aber allzu bald eine feste Verbindung einzugehen – das würde er zu verhindern wissen.

~ ~ ~

Zum Abendessen fand sich die Familie mit ihrem Gast im Speisezimmer ein. Dafür, dass die Gräfin von einer formlosen Angelegenheit gesprochen hatte, waren der prächtig gedeckte Tisch und die üppige Speisenfolge mehr, als Philipp erwartet hatte. Doch tatsächlich ging es wenig förmlich zu, die Sitzordnung schien nach Lust und Laune entstanden zu sein, und auch die jüngeren Töchter nahmen am Essen teil.

Man hatte ihn als Gast zwischen die Gräfin und Franz gesetzt. Der plauderte zu seiner Linken angeregt mit seiner Tante, die den Platz am Fuß der Tafel eingenommen hatte. Der Graf am Kopf des Tisches widmete sich ausschließlich seiner Mahlzeit, während seine Töchter Philipp auf der Längsseite gegenübersaßen, sodass er sie unauffällig betrachten konnte.

Sie waren alle drei recht hübsch, vor allem die jüngste, Josephine, hatte ein reizendes Lächeln, das die gleichen Wangengrübchen hervorlockte, wie sie ihre Mutter zeigte. Amélie sah auf den ersten Blick fast aus wie ihr Zwilling, wirkte jedoch eher ein wenig scheu und verträumt, sodass er nicht beurteilen konnte, ob sie ebenfalls Grübchen hatte.

Von Elise war Philipp ehrlich enttäuscht. Ja, die Comtesse hatte ihn sehr freundlich begrüßt, und sie hatte zum Glück nicht dabei gekichert wie ihre jüngeren Schwestern. Es war auch nicht, dass sie hässlich gewesen wäre mit ihrem hellbraunen, sorgsam frisierten Haar und den braunen Augen, doch immer wieder runzelte sie ihre Stirn auf unkleidsame Weise, wenn sie allzu ernst mit ihrer Tante sprach.

Nun, zum Glück würde er mit Franz’ Schwester kaum etwas zu tun haben. Für den morgigen Tag hatte sein Freund bereits einen Ausritt mit ihm geplant, um ihm ein wenig die Umgebung zu zeigen. Natürlich würden sie alle bald dem ersten Ball der Saison im Conversationshaus beiwohnen, und sicher würde er aus Höflichkeit einmal mit der Comtesse tanzen, aber ansonsten war es Philipp herzlich egal, wie sie ihre Zeit verbrachte und mit wem sie ernste Gespräche führte.

Er war wild entschlossen, sich von Franz alles zeigen zu lassen, was es hier an Amüsements gab – von Konzerten bis zu Ausflügen in den Schwarzwald. Das gräfliche Sommerpalais wies zudem eine erstaunlich gut bestückte Bibliothek auf, wie er bei Franz’ Führung durch das Haus erfreut festgestellt hatte. So konnte er, wenn er sich anderweitig langweilen sollte, auch einmal im Garten in der Sonne sitzen und lesen. Das Wetter versprach, schön zu bleiben, und nach den Monaten des ernsthaften Studiums der Rechtswissenschaften, das er gerade erfolgreich abgeschlossen hatte, würde ihm diesen Sommer ein wenig Müßiggang guttun.

3

Tante Berthe schwor auf die Wirksamkeit des Badener Thermalwassers, das sie innerlich wie äußerlich anwandte und ihren Nichten dringend ans Herz legte. Und tatsächlich musste Elise zugeben, dass ihre Tante trotz ihrer sechzig Jahre und des grauen Haars immer noch eine ausnehmend elegante und vitale Erscheinung war.

Dennoch schloss sich Elise am nächsten Morgen nicht ihrer Familie an, um zum Brunnen zu spazieren, sondern entschuldigte sich nur allzu gerne mit dem Besuch ihrer Freundin Anna. Sie hatten sich so viel zu erzählen!

»Also gut«, stimmte ihre Mutter zu. »Du kannst heute hierbleiben, doch ab morgen erwarten dein Vater und ich, dass du dich dem gesellschaftlichen Leben anpasst und, soweit sich keine anderen Verpflichtungen ergeben, täglich mit uns zur Trinkhalle gehst.«

Elise bedankte sich mit einem kleinen Knicks. Sie war äußerst zufrieden. Franz und sein Besucher waren gleich nach dem Frühstück zu einem längeren Ausritt aufgebrochen, und so war das Haus in den nächsten Stunden bis auf die Bediensteten leer.

»Keiner kann uns stören!«, verkündete Elise diese erfreuliche Nachricht sofort, als ihre Freundin eintraf. »Alle sind zum Brunnen gegangen, um dieses scheußliche Wasser zu trinken.«

»Du weißt schon, dass es dabei nicht so sehr um das Wasser als vielmehr um das Sehen und Gesehenwerden geht?«, fragte Anna und folgte Elise in den kleinen Musiksalon, den die Gräfin mit viel Geschmack in warmen Gold- und Gelbtönen dekoriert und mit einem Gesteck bunter Sommerblumen zusätzlich geschmückt hatte.

Elise zuckte mit den Achseln. »Egal. Morgen ist auch noch ein Tag. Ich will mich lieber mit dir unterhalten. Sollen wir hinausgehen?«

Sie wies auf die doppelflügelige Fenstertür, die in den Garten führte.

Anna zögerte. »Es ist ein wenig kühl, finde ich. Und wolltest du mir nicht zuerst noch das Buch zeigen, von dem du gesprochen hast? Außerdem musst du mir von eurem Besucher erzählen, Franz’ Freund. Wie ist er so? Sieht er gut aus? Sind Franz und er auch zur Trinkhalle gegangen?«

»Nein, was denkst du denn! Du kennst doch Franz, und sein Freund ist gewiss nicht besser. Die beiden sind irgendwohin ausgeritten. Und was diesen Philipp von Hohenhorn betrifft …« Elise legte den Kopf schief und verzog kritisch den Mund. Anna sah sie auffordernd an.

»Ich weiß nicht«, sagte Elise schließlich. »Er ist groß, noch etwas größer als Franz, schlank, hm, ja, sein Haar ist dunkelbraun und ein wenig lockig. Er hat einen kleinen Schnurrbart und Favoris. Ach ja, und seine Augen sind braun, aber eher ein bisschen dunkler als meine, glaube ich.«

»Das klingt ansehnlich, wenn ich persönlich auch diese langen Koteletten nicht so mag.«

»Ja, als unabhängige Betrachterin würde man wohl sagen, dass der Freiherr von Hohenhorn gewiss nicht schlecht aussieht«, gab Elise zu.

»Aber du bist keine unabhängige Betrachterin?«

Elise hob die Brauen. »Wie sollte ich? Der junge Herr ist so von sich eingenommen, dass er die Schwestern seines Freundes kaum eines Blickes würdigt, geschweige denn bereit ist, einen vernünftigen Satz mit mir zu wechseln.«

Anna lachte.

In diesem Moment beschloss Elise, Anna besser nicht zu erzählen, dass sie von Franz’ Gast zunächst sehr beeindruckt gewesen war. Ihr Herz hatte durchaus ein wenig schneller geschlagen, als er gestern Abend im Speisezimmer schräg gegenüber von ihr Platz genommen hatte, und in ihrer Magengrube hatte sie eine Art Zittern verspürt. Im Gegensatz zu Anna gefielen ihr seine Koteletten nämlich sehr gut. Und noch viel besser hatten ihr sein schön geformter Mund und seine langen schlanken Finger gefallen, die ihr sofort bei seinem Eintreten ins Auge gesprungen waren. Doch sein anschließendes Verhalten war so überheblich gewesen, dass sie ihren ersten Impuls, ihn zu mögen, umgehend bereut und ihr Urteil revidiert hatte.

»Nun gut, dann erzähl mir eben von dem romantischen Herrn in deinem Buch.«

»Gerne, setz dich doch.« Elise deutete auf das zweisitzige, gestreifte Kanapee und zog für sich selbst einen passenden Fauteuil näher.

»Also hör zu: Das Buch spielt in alten Zeiten, als es noch Ritter gab. Der Ritter, um den es in der Geschichte geht, ist ein gewisser Armand de Trouville, und seine Dame ist Armandine …«

»Sehr originell«, unterbrach Anna und rümpfte die Nase. »Da ist dem Verfasser des Romans wohl kein weiterer Name eingefallen.«

Elise runzelte die Stirn. »Meinst du? Ich habe das eher so verstanden, dass der Autor damit ausdrücken wollte, dass die beiden füreinander bestimmt sind, zwei Seelen, die zueinander gehören.«

Anna seufzte tief. »Dann haben wir beide aber Pech. Es gibt weder für Anna noch für Elise eine männliche Form, über die wir die zu uns gehörenden Seelen finden werden. Was für ein Glück für Franz – der könnte nach einer Franziska Ausschau halten. Und Josephine nach einem Josef.«

Elise schüttelte den Kopf und schnaubte ob der Unterbrechung. »Willst du jetzt wissen, was passiert, oder nicht?«

»Ja, erzähl.« Anna lehnte sich bequem auf dem Kanapee zurück, statt sittsam gerade zu sitzen und den Rücken durchzudrücken. Schließlich waren die Freundinnen unter sich. »Mein Vater lässt mich solche Romane ja nicht lesen. Er sagt, sie verderben das Denken junger Mädchen.«

»Das sagt mein Vater auch«, gestand Elise. »Ich muss mir die Bücher von unserem Dienstmädchen ins Haus schmuggeln lassen.«

»Du liest sie heimlich? Fällt das nicht auf?«

Elise schüttelte den Kopf. »Ich lese einfach immer noch ein Buch, das die Billigung meiner Eltern hat. Dann kann ich darüber sprechen, wenn sie nach meiner derzeitigen Lektüre fragen.«

»Du liest wirklich zwei Bücher gleichzeitig? Ich habe manchmal nicht mal Lust auf ein einziges! In diesem Sommer wirst du sowieso wenig Gelegenheit dafür haben, wenn wir jeden Tag in Gesellschaft sind und auf Bälle gehen und zu Konzerten. Und vielleicht gibt es sogar einmal einen Maskenball?«

Noch während sie schwärmte, sprang Anna auf, breitete die Arme aus und begann, sich zu drehen.

»Warte!«, rief Elise und eilte zum Flügel. Er war noch von ihrem morgendlichen Spiel aufgeklappt, die Noten standen bereit, und so konnte sie sofort ihre Finger über die Tasten tanzen lassen und einen fröhlichen Walzer hervorlocken.

Lachend wirbelte Anna durch den Salon, bis sie neben Elise stehen blieb, keuchte und sich die Seite hielt.

»Das ist hübsch«, brachte sie schließlich heraus. »Kenn ich noch gar nicht.«

»Ein neuer Wiener Walzer von Joseph Lanner«, gab Elise Auskunft. »Tante Berthe hat mir die Noten mitgebracht, sie war kürzlich wieder einmal in Wien und hat sie dort für mich gekauft.«

»Ist sie nicht gestern erst in Baden angekommen? Sag bloß, du hast dieses Stück an einem einzigen Tag zu spielen gelernt?«

»Vorgestern. Und es ist nicht besonders schwer.«

»Du bist halt begabt. Ich wollte, ich könnte das auch.« Anna beugte sich über Elises Schulter, blickte auf die Noten und schüttelte den Kopf.

Elise lächelte. »Ich musiziere einfach jeden Tag, da ist das leicht. Auf Schloss Freyberg gibt es im Winter ohnehin nicht viel mehr zu tun, als zu lesen und Klavier zu spielen.«

»Hast du noch ein anderes Stück?«

Elise stand auf und blätterte die Notenblätter durch, die auf der Anrichte lagen. Tante Berthe hatte ein Dutzend neuer Klavierstücke aus Wien mitgebracht, die meisten davon hatte Elise allerdings noch nicht gespielt und konnte nicht sagen, ob sie ihr gefielen. Wo war denn nur …

»Hier, das wird dir Vergnügen bereiten. Ein Galopp!«

Anna lachte. »Na, dann los!«

Elise setzte sich wieder an den Flügel, schlug sanft den ersten Akkord an und wartete, bis Anna an einem Ende des Salons bereitstand. Endlich begann sie zu spielen.

Es war nicht schwer, die schnellen, hüpfenden Galoppschritte auch alleine auszuführen, waren es doch nur rasche seitliche Nachstellschritte, mit denen sich normalerweise eine ganze Reihe von Paaren in Tanzhaltung in eine Richtung bewegte und dann wieder zurück.

Nachdem Anna einige Male durch den Salon galoppiert war, sank sie auf das Kanapee und schnappte heftig nach Luft.

Elise beendete ihr Stück mit einem Glissando und erhob sich. »Du willst nicht zufällig tauschen und jetzt für mich spielen?«

»Ich? Bevor ich auch nur ein Lied auf dem Pianoforte klimpern kann, habe ich dir ein neues Umschlagtuch gehäkelt! Mit einer ganz dünnen Nadel und in einem Spitzenmuster.«

Elise lachte laut.

»Ein Umschlagtuch habe ich schon von dir – das bunte mit der Blumenkante. Das liebe ich! Aber nun komm, lass uns hinauf in mein Schlafzimmer gehen. Ich lese dir ein Stück aus dem Ritterroman vor. Ich habe ihn in der Frisierkommode versteckt. Du wirst sehen – die Szene, in der sich die Liebenden erstmals begegnen, ist wirklich ergreifend.«

Anna wedelte mit ihrer Hand. »Einen Moment noch. Ich habe gleich wieder Luft.«

Elise nickte und blieb mitten im Salon stehen, um Anna Zeit zu geben, Atem zu schöpfen. Ein plötzliches Geräusch und Männerstimmen vor der geschlossenen Tür ließen sie aufhorchen.

»Pst. Ich glaube, Franz und sein Freund sind schon zurückgekehrt.«

»O nein! Was ist, wenn sie hier hereinkommen?« Anna setzte sich sofort aufrecht hin und zupfte die Korkenzieherlocken über ihren Ohren zurecht.

»Lass uns einfach ganz ruhig in mein Schlafzimmer entschwinden. Wir müssen nur mit kurzem Gruß an ihnen vorbeigehen und die Treppe hinaufschreiten«, schlug Elise vor, doch da ging auch schon die Tür auf, und Franz sah herein.

»Elise, ich wusste nicht, dass du … Anna!« Franz schien völlig überrascht, sie beide hier vorzufinden. Sicher hatte er damit gerechnet, dass sie die Eltern beim Ausflug zur Trinkhalle begleiteten.

»Ihr seid schon wieder hier?«, erkundigte sich Elise höflich nach dem Offensichtlichen.

»Es hat begonnen zu regnen, da mussten wir früher zurückkehren. Und jetzt brauchen wir etwas zum Aufwärmen.«

Unwillkürlich warf Elise einen kurzen Blick hinaus in den Garten. Wie erstaunlich – Anna und sie hatten vor lauter Musik und Tanz gar nicht gemerkt, dass das Wetter umgeschlagen war.

Tatsächlich war Franz ziemlich nass geworden, selbst das Haar, das doch eigentlich vom Hut hätte geschützt werden sollen. Aber wahrscheinlich war er wieder einmal ohne Hut ausgeritten.

Auch Philipp von Hohenhorn, der halb verborgen hinter ihm stand, war offensichtlich durchnässt; schwarz und glänzend fielen ihm die Locken ins Gesicht. Augenblicklich wurde Elise heiß. Ihn so derangiert zu sehen, fühlte sich irgendwie intim und verboten an. Sie schluckte. Es gelang ihr nur schwer, den Blick von ihm zu lösen.

»Willst du nicht so höflich sein und Anna deinen Freund vorstellen?«, riss sie sich schließlich zusammen.

»Selbstverständlich.« Franz trat einen Schritt zur Seite und gab die vollständige Sicht auf Philipp von Hohenhorn frei.

Anna war näher gekommen und schaute Franz aufmerksam und abwartend an. Doch Elise sah ihr an, dass sie angesichts der völlig durchnässten Herren nur mit Mühe ein Grinsen unterdrücken konnte.

»Anna, darf ich dir meinen Gast für den Sommer vorstellen?«, begann Franz und deutete auf seinen Freund. »Dies ist der Freiherr von Hohenhorn. Und Philipp, dies ist unsere Cousine und Elises beste Freundin, Baronesse Anna von Krebern.«

»Es ist mir ein Vergnügen, Baronesse«, sagte Franz’ Freund höflich und verbeugte sich.

»Sehr erfreut, Baron«, erwiderte Anna. Sie griff schnell nach Elises Arm. »Leider müssen wir nun …« Der Rest ihres Satzes ging in Gemurmel über.

Elise erkannte die Gefahr. Wenn sie nicht schleunigst hier wegkamen, würde Anna in einen ihrer berüchtigten Lachanfälle ausbrechen.

Sie dirigierte ihre Freundin also rasch hinaus aus dem Salon. Mit einigermaßen gemessenen, eleganten Schritten entschwanden die beiden jungen Frauen aus dem Blickfeld der Herren und brachen glücklicherweise erst außer Hörweite in schallendes Gelächter aus.

4

»Hier, dein Cognac. Der wärmt.« Franz drückte Philipp einen großzügig gefüllten Schwenker in die Hand und goss sich selbst aus der Karaffe ein, die neben den Gläsern in der schmalen Vitrine in der Ecke bereitstand.

»Danke. Ich denke allerdings, dass trockene Kleidung noch besser wärmen würde. Ich hätte gleich hinaufgehen sollen und …«

»Ach, sei nicht so umständlich, mein Freund. Man kann nicht immer nur vernünftig sein.«

Philipp hob die Brauen. »Immer« und »vernünftig« waren keineswegs Worte, die ihm im Zusammenhang mit Franz als erste einfallen würden. Sein Studienfreund war amüsant, aber er hatte einwandfrei eine leichtsinnige Ader. So, wie er das Pferd auf dem steilen Weg angetrieben hatte, hatte er Glück gehabt, dass der Ausritt ohne Sturz abgegangen war.

Und dann hatte unerwartet und auf einen Schlag der Regen eingesetzt. Wobei Franz ihn angesichts seiner Verwunderung aufgeklärt hatte, dass bei Westwind ein plötzlicher Wetterumschwung aus Richtung der Vogesen durchaus nicht selten war. Statt jedoch ein Gasthaus oder zumindest einen Ort zum Unterstellen zu suchen, hatte Franz darauf bestanden, dass sie unverzüglich zurückritten. Das war ein Fehler gewesen.

Nicht, weil sie auf dem Weg durch und durch nass geworden waren, sondern weil Franz in diesem Zustand unbedingt in den Salon hatte gehen wollen und sie dabei unversehens auf die Comtesse und ihre Freundin gestoßen waren.

Immerhin war alles sehr gesittet vor sich gegangen, und die beiden Mädchen hatten glücklicherweise umgehend den Salon verlassen, um … Ja, was eigentlich? Was machten junge Mädchen, wenn sie so zusammenkamen? Stickten sie und plauderten über das Wetter? Oder über die neueste Mode? Spielten sie Murmeln wie seine kleinen Cousinen? Oder Karten? Für Puppen waren sie wohl zu erwachsen.

»Woran denkst du?«, fragte Franz.

Philipp ignorierte die Frage und nahm einen großen Schluck.

»Dieser Cognac ist ausgezeichnet«, lobte er.

»Ja, nicht wahr? Mein Vater hat seit Kurzem einen neuen Lieferanten.«

»Dennoch würde ich mich gerne umkleiden, damit ich wieder präsentabel bin, wenn deine Eltern zurückkommen.« Philipp stellte das leere Glas auf dem Tischchen neben der Vitrine ab.

»Ach, das kann noch dauern, und wir erfahren rechtzeitig davon. Sie werden sicher jemanden nach einer der Kutschen schicken und sich abholen lassen.« Franz schwenkte den Cognac in seinem Glas, bevor er genüsslich den nächsten Schluck nahm.

»Und bis dahin soll ich hier in nassen Reitkleidern ausharren?«

Franz lachte. »Wenn du es so sagst, klingt es wirklich absurd.«

»Eben.«

»Na gut, dann lass uns hinaufgehen und etwas Trockenes anziehen. Brauchst du Hilfe? Einen Kammerdiener oder so? Ich kann dir jemanden schicken.«

»Nein danke, ich bin durchaus imstande, mich alleine an- und auszuziehen.«

»Gut. Dann treffen wir uns anschließend im Herrenzimmer. Weißt du noch, wo das ist?«

Philipp nickte. »Ich habe einen ausgezeichneten Orientierungssinn.«

»Sehr gut. Dort sind wir nämlich am sichersten vor den Mädchen.« Franz lachte. »Das Herrenzimmer ist ihnen verboten, Vater wollte irgendwo einen ruhigen Ort für sich haben. Obwohl Elise und Anna inzwischen vielleicht nicht mehr überall im Haus Verstecken spielen.«

Nun, das hoffte Philipp sehr. Solch kindische Vergnügungen waren einer Debütantin schließlich nicht angemessen. Und die Vorstellung, dass die Comtesse am Ende mit ernsten Augen und gerunzelter Stirn in seinem Zimmer hinter dem Vorhang lauern könnte, war eine äußerst unangenehme.

Er machte sich auf den Weg in sein Schlafzimmer. Man hatte ihn auf seinen Wunsch in einem der Gästezimmer im Stockwerk über den Schlafräumen der Familie untergebracht, obwohl Franz ihn gerne im Zimmer seines Bruders Julius gesehen hätte, das direkt neben seinem eigenen lag. Aber Philipp war nicht Franz’ Bruder, und dessen Platz so mitten in der Familie einzunehmen, fühlte sich falsch an. Ein wenig Abstand war besser.

Und auch wenn das Gästezimmer deutlich kleiner war als Julius’ großzügiger Raum, so war alles luxuriös ausgestattet, das Bett breit und bequem, und die beiden Fenster boten einen hübschen Blick ins Grün des Gartens. Hier konnte er ein wenig für sich sein, und der Schreibtisch vor einem der Fenster war hervorragend geeignet, um an ihm seine Korrespondenz zu erledigen.

Philipp hatte seiner verwitweten Mutter versprochen, ihr mindestens zwei Briefe in der Woche zu schreiben und ihr alles über das Leben in der Kurstadt zu berichten. Die Arme hatte mit seinen kleinen Brüdern Gregor und Leo und ihrer eigenen kränkelnden Schwester zu Hause mehr als genug zu tun und würde sich an abwechslungsreichen Schilderungen seiner Erlebnisse in Baden-Baden erfreuen.

Am besten machte er gleich einmal ein paar kurze Notizen über den verregneten Ausflug. Dann konnte er sich heute nach dem Abendessen zurückziehen und den Brief in Ruhe ausformulieren. Zusammen mit den ersten Eindrücken von der gräflichen Familie würde dies ausreichen, seine Mutter zu unterhalten: der strenge und doch immer wieder gedankenabwesende Graf, die charmante Gräfin, die energische Tante, die drei Töchter, von denen ausgerechnet die fadeste debütieren sollte, und sein amüsanter Freund, der sicher inzwischen eine neue Unternehmung ausheckte.

5

»Er sieht tatsächlich stattlich aus, dieser Freiherr von Hohenhorn.« Anna, die auf Elises Bettrand saß, seufzte. »So könnte ich mir den Ritter Armand vorstellen. Wie gut du es hast, liebste Elise!«

»Ich soll es gut haben?« Elise hielt eines ihrer neuen Nachmittagskleider aus zartrosa Seide vor sich und betrachtete sich in dem langen Spiegel, den man für sie in diesem Jahr neu in der Ecke des Zimmers aufgestellt hatte.

»Du hast zwei ältere Brüder und kannst somit anderen jungen Männern viel leichter begegnen als ich.«

Elise versuchte, den Rock des knöchellangen Kleides ein wenig weiter auszubreiten, um besser beurteilen zu können, wie es ihr gefiel. »Du hast ebenfalls zwei ältere Brüder. Und zwei ältere Schwestern.«

»Ja, aber die sind alle längst verheiratet und haben Kinder und sind ganz schrecklich langweilig geworden. Oh, sag, meinst du, wir werden auch so langweilig, wenn wir verheiratet sind?«

»Möglich. Denk doch nur, wie wir bereits jetzt als junge Damen völlig andere Interessen haben als Amélie und Josephine. Josi hat mir kürzlich vorgeworfen, ich sei öde, nur weil ich nicht mit ihr Mühle spielen wollte.«

»Wirklich?«

Elise zuckte mit den Achseln und ließ das Kleid sinken. »Meinst du, dieser Farbton steht mir? Es ist Mamans Lieblingsfarbe, aber ich bin nicht sicher, ob sie die richtige für mich ist. Ich fürchte, ich schlage mehr nach Papas Familie. Macht dieses Rosé nicht einen leicht gelbstichigen Teint?«

»Nein, nein. Das Kleid ist bezaubernd. Die kleinen seidenen Röschen am Dekolleté sind wunderhübsch. Aber das sieht ziemlich tief aus.« Anna kicherte.

Elise nickte zufrieden. »Man muss den Herren ja schließlich etwas zeigen, das hat auch die Schneiderin beim Anpassen gesagt.«

»Du könntest das Kleid anziehen und an Franz’ Freiherrn vorbeispazieren. Dann siehst du gleich, ob es eine Wirkung hat.«

»Oder ich kann dir das Kleid leihen und dir den Freiherrn dazuschenken«, erwiderte Elise sofort.

»Das wird nicht gehen.« Anna seufzte. »Ich bin viel zu klein für das Kleid. Überall.«

Nun lachte Elise. Tatsächlich war Anna einen guten halben Kopf kleiner als sie und sehr zierlich.

»Dann lass uns ganz was anderes tun«, schlug sie vor. »Wir gehen in die Bibliothek und spielen das Titel-Spiel! Solange es regnet, müssen wir uns ohnehin im Haus beschäftigen.«

Begeistert stimmte Anna zu, und kurz darauf betraten sie die Bibliothek.

Eigentlich war der Name angesichts der Größe des eher bescheidenen Raumes ein wenig übertrieben, fand Elise. Doch da drei Wände des Raums von oben bis unten mit Büchern bestückt waren, war er dennoch angemessen. Zwei alte Louis-XV.-Sessel mit Petit-Point-Stickerei auf den leicht abgewetzten Bezügen und passende Fußhocker warteten in einer Ecke auf Lesende. Eine Holzbank stand vor dem Fenster mit dem breiten Fensterbrett, das als Ablagetisch diente.

»Wer fängt an?«, fragte Anna.

»Wer zuerst etwas mit P findet.«

Eilig nahm sich jede der jungen Frauen ein Bücherregal vor und suchte nach einem passenden Titel.

»Hier: Predigten über den christlichen Hausstand!«, rief Anna.

Elise grinste. »Dann predige mir also mal etwas über den christlichen Hausstand. Ich bin gespannt.«

Elise und Anna hatten das Spiel vor zwei Jahren an einem Regennachmittag wie diesem erfunden. Es war lustig, der Fantasie freien Lauf zu lassen und ein zufällig gefundenes Buch so vorzustellen, als hätte man es gelesen.

Anna grübelte.

»Na gut«, sagte sie schließlich. Sie stellte sich aufrecht in die Mitte des Raumes und drückte das Buch an ihre Brust wie ein Pfarrer seine Bibel.

»Und ich sage euch, meine lieben Kinder«, tönte sie mit verstellter tiefer Stimme. »Der Hausstand sollte auf jeden Fall christlich sein, denn nur ein christlicher Hausstand bringt einem Hausstand Segen, um … Ach, parbleu, ich habe keine Ahnung von solchen Predigten! Und was soll man schon über einen christlichen Hausstand verkünden?«

Elise ließ sich in einen der Sessel fallen. »Hörst du sonntags in der Kirche genauso wenig zu wie ich?«

»Offenbar. Es ist ja doch immer nur die Rede von Sünde und Vergeltung und Fegefeuer und so was. Wenn ich da zuhören würde, könnte ich gar nicht mehr froh werden. Jetzt bist du dran: C.«

Elise sprang auf, ihre Augen glitten über die Buchrücken, bis sie an einem Titel hängen blieben. »Clarissa. Die Geschichte eines vornehmen Frauenzimmers.«

»Oh, das klingt gut«, sagte Anna. »Also, wovon könnte es handeln?«

»Ganz einfach: Es ist die tragische Geschichte einer jungen Frau, die von einem gewissenlosen Mann umworben wird. Er überredet sie, mit ihm wegzulaufen, und später gibt er ihr ein Mittel, um sie willenlos zu machen, und dann tut er ihr Gewalt an.« Anna riss erschrocken die Augen auf, doch Elise fuhr ungerührt fort: »Clarissa lässt sich dennoch nicht von ihm zwingen, ihn zu heiraten, und flieht. Um ihre innere Tugend nicht zu verlieren, indem sie ihm irgendwann nachgibt, wird sie krank und stirbt schließlich mit dem Wissen um ein besseres Leben nach dem Tode. Der Verführer aber wird in einem Duell getötet.«

Mit einer ausladenden Handbewegung beendete Elise ihren Vortrag und verbeugte sich.

»Wie schrecklich! Wie kannst du dir so etwas ausdenken!«, hauchte Anna mit aufgerissenen Augen.

Elise setzte sich wieder. »Das habe ich mir nicht ausgedacht«, gab sie zu. »Ich habe das Buch im letzten Sommer gelesen. Es passiert natürlich noch alles Mögliche mehr, das ist ein elend langer Roman, der in lauter Briefen erzählt wird.«

»Und hat er dir gefallen?« Annas Stimme klang skeptisch.

Elise wiegte den Kopf hin und her. »Ja und nein. Er war sehr spannend zu lesen, aber ich finde es nicht richtig, dass die arme Clarissa am Ende sterben muss, obwohl sie eigentlich gar nichts verbrochen hat. Das ist so ungerecht. Ich bevorzuge bei einem Roman einen glücklichen Schluss. Aber ich schätze, mit einer solchen Geschichte sollen junge Mädchen davon abgehalten werden, mit dem nächstbesten Mann davonzulaufen.« Sie runzelte die Stirn. »Das Buch ist außerdem schon alt und spielt noch dazu in England, heutzutage würde doch keine von uns daran denken, einem solchen Schurken zu vertrauen und sich ins Elend stürzen zu lassen.«

»Nein, gewiss nicht. Sollen wir weiterspielen? Aber du darfst keine Bücher mehr nehmen, die du schon kennst.«

»Ja, ja, einverstanden. Du bist dran. L!«

Anna begann sofort, nach einem passenden Titel zu suchen.

»Hier! Liebes… Ich kann es nicht richtig lesen. Ist nur ein dünnes Büchlein.« Mit etwas Mühe zog Anna den Band zwischen zwei dickeren Büchern hervor. »Liebesschwüre! Gedichte.« Triumphierend hielt sie Elise das Bändchen entgegen und begann zu reimen:

»Ich bin Dein und du bist Mein.

Heute Mittag gibt es Schwein.

Ach hör’s!

Ich schwör’s!«

Elise begann schallend zu lachen. Sie griff nach dem Büchlein, doch rutschte es ihr aus der Hand und fiel zu Boden. Ein Blatt löste sich daraus und glitt über den Parkettboden.

»Jetzt hast du es kaputt gemacht!«, warf Anna ihr vor und hob es auf.

»Wieso ich?« Elise bückte sich nach dem einzelnen Blatt. »Die Seite war bestimmt schon vorher lose.«

Doch es war keine Buchseite, die sie zwischen ihren Fingern hielt. Es war ein Brief. Oder vielmehr eine Seite eines Briefes. Das Ende. Der Anfang fehlte.

»Was hast du gefunden?«, fragte Anna neugierig und sah Elise an.

»Einen Brief«, antwortete diese »Es muss eine zweite lose Seite geben, kannst du mal schauen?«, fragte Elise sofort.

Anna blätterte das Büchlein durch und drehte es schließlich so um, dass alles, was darinlag, zu Boden fallen musste.

Nichts.

»Hör zu«, flüsterte Elise, »ich les ihn dir vor:

… sehne mich nach Deinen Küssen. Meine heißen Lippen drücke ich an die eisigen Fensterscheiben, um die Sehnsucht zu zügeln – würde ich doch am liebsten loslaufen zu Dir.

Und wenn es auch nicht sein darf, so ist doch mein Herz allzeit bei Dir, mon amour, und sobald ich des Nachts die Augen schließe, träume ich von unserem heimlichen Tun.«

»Oho!« Anna grinste verschmitzt. »Heimliches Tun? Das klingt ja verheißungsvoll.«

»Es geht noch weiter:

Komm bald zurück, wir werden einen Weg finden, sobald wir nur zusammen sind. Ich kenne einen Ort, wo wir ungestört sein werden. Schon beim Gedanken daran, Deine Lippen an meinem Hals, auf meiner Brust, auf dem kleinen Leberfleck an meiner Hüfte zu spüren und zu wissen, dass Du gleich …

Ach, ich vergehe in der Erwartung, Deinen heißen Atem an all den Stellen zu fühlen, die ich sonst verberge. In der Hoffnung auf Deine Küsse.

Der Schnee liegt hoch dieser Tage, man klagt allenthalben über die Kälte. Doch ich weiß, dass darunter der Frühling harrt, so wie sich unter Deinem einst ach so kühlen Äußeren das Feuer unserer Leidenschaft entzündet hat.

Komm wieder, mon amour. Komm bald.

Es wartet auf Dich

Deine Minou«

»Minou … Kennst du eine Minou?«, fragte Anna.

»Es könnte ein Kosename sein«, schlug Elise vor. »Aber hör weiter, es gibt noch ein Postskript:

Ende der Leseprobe