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Eltern zu sein ist eine echte Herausforderung - ob man nun Kleinkinder hat oder mit Teenagern unter einem Dach lebt. Nicky und Sila Lee haben selbst vier Kinder großgezogen und durch ihre langjährige Seminararbeit mit tausenden von Eltern gesprochen. In diesem umfassenden Ratgeber vereinen sie frische Erkenntnisse mit seit langem bewährten Prinzipien und Werten. Das macht dieses Buch zu einem wertvollen Begleiter in der Erziehung von Kindern. Dabei geht es unter anderem um die Grundlagen eines gesunden Familienlebens und darum, wie die Bedürfnisse unserer Kinder erfüllt werden, wie Werte vermittelt und gute Entscheidungen fürs Leben getroffen werden können. "Eltern auf Kurs" ist ein umfassendes Nachschlagewerk, auf das Mütter und Väter immer wieder gern zurückgreifen werden.
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Seitenzahl: 526
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Über die Autoren
Nicky & Sila Lee sind seit über 30 Jahren verheiratet und haben vier Kinder. Sie gehören zum Mitarbeiter-Team der anglikanischen „Holy Trinity Brompton Church“ in London, der Kirchengemeinde, die Alpha entwickelt hat. In ihrer langjährigen Tätigkeit haben sie durch ihre Kurse Tausende Paare und Familien unterstützt. Sie sind Autoren und Gründer des Elternkurses, des Ehe-Kurses sowie des Ehe-Vorbereitungskurses.
Nicky und Sila Lee sind profilierte Eltern und leidenschaftliche Familien-Fans. Sie verpacken die Erfahrungen mit ihren vier Kindern in ein Grundlagenbuch zur Erziehung. Dieses lebt von der Mischung von persönlichen Erfahrungen und dem profunden Fachwissen der Autoren. Ehrlich, schnörkellos – und alltagstauglich für Eltern von Kindern bis ins Teenageralter!
Martin Gundlach
Redaktionsleiter Bundes-Verlag
Chefredakteur Family
Das ist das Buch, das ich gerne gehabt hätte, als unser erstes Kind geboren wurde und alles so neu und unbekannt war mit diesem kleinen Bündel Leben auf dem Arm. So vieles kam mir beim Lesen bekannt vor, jetzt nachdem wir bereits vier Kinder haben. Im Gegensatz zu vielen anderen Ratgebern ist es mit seinen Beispielen lebensnah und immer steht eines im Vordergrund: die Liebe und der Zusammenhalt in der Familie – etwas, das wir in der heutigen Zeit mehr denn je brauchen.
Birgit Kelle
Autorin und Publizistin
Noch ein weiterer Elternratgeber? Die Welt um uns herum verändert sich so schnell, dass der Sprung zwischen den Generationen immer größer wird. Entsprechend überfordert sind Eltern in der Aufgabe, ihren Nachwuchs in ein Leben zu begleiten, das sie selber nur bruchstückhaft kennen. Darum zielt das Buch von Nicky und Sila Lee nicht so sehr auf die neuesten Handlungsanweisungen, sondern viel mehr auf die Bildung des Herzens bei Müttern und Vätern. Eltern, die die Verbindung von Herz zu Herz über die Teenagerjahre hinaus halten können, machen einen guten Job. Dafür stehen die Autoren, die ich seit Jahren persönlich kenne und schätze. Nicky und Sila Lee verstehen es, mit ihrem Werk Eltern, ob als Paar oder alleinerziehend, Perspektive zu geben und sie in ihrem Alltag gelassener und sicherer zu machen. Vielen sind die beiden bekannt als die Gesichter des Ehe-Kurses, der auch in unseren deutschsprachigen Ländern weite Verbreitung gefunden hat. Was sie hier zum Thema Elternschaft vorlegen, begeistert mich noch mehr. Möge den dazugehörigen Elternkursen landauf, landab ein großer Erfolg beschieden sein!
Hansjörg Forster
FamilyLife, Schweiz
Wir müssen heute den jungen Menschen Antwort geben, die sich auf die Ehe vorbereiten und eine Familie im christlichen Geist führen möchten. Daher freut es mich besonders, dass das neue Elternbuch von Alpha International auch im deutschen Sprachraum erscheint. Das Elternbuch ist ein wichtiges Werkzeug, das Eltern wertvolle Hilfe bei Erziehungsfragen anbietet. Es ist ein guter Ratgeber zum Gelingen der Beziehungen zwischen Eltern und Kindern bzw. Eltern und Teenagern. Im Vertrauen auf die Hilfe und Liebe Gottes dürfen Eltern und Familien zuversichtlich sein, ein erfüllendes Familienglück zu finden. Das Elternbuch bietet dazu eine überaus wertvolle Hilfe und gibt überzeugende Anregungen und Hinweise, wie man auch in schwierigen oder scheinbar hoffnungslosen Situationen einen Ausweg findet.
Dr. Christoph Kardinal Schönborn
Erzbischof von Wien
Ein Ziel der Erziehung ist es, dass Kinder mutig den Sprung ins Leben schaffen, liebesfähig werden und wiederum Verantwortung übernehmen können. Dies lernen sie in einer normalen Familie mit Stärken und Schwächen. Da wird gespielt und gearbeitet, gestritten und verziehen, geredet und geschwiegen. Lees sind so eine Familie. Sie geben uns einen authentischen Einblick in ihre reichen Erfahrungen mit den nun erwachsenen Kindern. Sila und Nicky Lee wecken Freude, sich dem Erziehungsauftrag als Eltern zu stellen. Mit ihrem Buch „Eltern auf Kurs“ sind sie darin wertvolle Lehrmeister.
Käthi Zindel-Weber, Mutter von 4 erwachsenen Kindern, Leiterin der Beratungsstelle Rhynerhus und Leiterin Elterncoaching (Stiftung Gott hilft, Zizers, Schweiz).
Ein sensibles, praktisches Buch, das klare Erkenntnisse darüber enthält, wie man ein guter Vater bzw. eine gute Mutter sein kann – eine Rolle, die wir alle so gut wie möglich ausfüllen möchten.
Bear Grylls
Survival-Experte
„Eltern auf Kurs“ enthält viele nützliche Tipps und kluge Einsichten. Ich glaube, es kann dazu beitragen, Eltern ein unverzichtbares Werkzeug für die Erziehung ihrer Kinder an die Hand zu geben: Zuversicht! Genau das brauchen Eltern heute.
Rob Parsons
Care for the Family
Außerordentlich praktisch, unglaublich inspirierend, voll lustiger Geschichten und verblüffender Erkenntnisse – dieses Buch ist ein Muss für alle Eltern! Da ich selbst Vater bin, weiß ich schon jetzt, dass ich es im Lauf der Jahre immer wieder von Neuem lesen werde.
Tim Hughes
Musiker
Inhalt
Inhalt
Vorwort
Danksagung
Einleitung
Teil 1: Wie Familien funktionieren
Kapitel 1
Die Rolle der Familie
Kapitel 2
Grundlagen für ein gesundes Familienleben
Kapitel 3
Besondere Familienzeiten einrichten
Kapitel 4
Geschwisterbeziehungen fördern
Teil 2: Die Bedürfnisse unserer Kinder erfüllen
Kapitel 5
Die fünf Sprachen der Liebe
Kapitel 6
Bestätigende Worte
Kapitel 7
Ungeteilte Aufmerksamkeit
Kapitel 8
Körperliche Nähe, Geschenke und Hilfsbereitschaft
Teil 3: Grenzen setzen
Kapitel 9
Die Grundlage der Disziplin
Kapitel 10
Grenzen setzen bei Vorschulkindern (0 bis 5 Jahre)
Kapitel 11
Grenzen setzen bei 6- bis 10-Jährigen
Kapitel 12
Allmähliches Loslassen bei 11- bis 13-Jährigen
Kapitel 13
Teenager – Begleiten ohne Entfremdung
Teil 4: Gute Entscheidungen fürs Leben treffen
Kapitel 14
Mit Wut umgehen (mit unserer und ihrer)
Kapitel 15
Stress, Depressionen und Essstörungen
Kapitel 16
Sex und Sexualität
Kapitel 17
Alkohol und andere Drogen
Kapitel 18
Geld, Fernsehen und Internet
Teil 5: Unsere Überzeugungen und Werte vermitteln
Kapitel 19
Eine Familienidentität schaffen
Kapitel 20
Die großen Lebensfragen behandeln
Kapitel 21
Das geistliche Leben eines Kindes fördern
Epilog
Anhang
Vorwort
von Nicky Gumbel
Ich habe Nicky und Sila Lee jahrelang gedrängt, dieses Buch zu schreiben. Möchten Sie wissen, warum?
Nun, zunächst einmal sind sie selbst ganz wunderbare Eltern. Ihre vier Kinder strahlen so viel Freundlichkeit und Humor aus, dass jeder gerne in ihrer Nähe ist.
Zweitens haben Nicky und Sila vierzehn Jahre lang den „Elternkurs“ für Eltern von Kindern von 0 bis 10 Jahren und den gleichnamigen Kurs für Eltern von Teenagern von 11 bis 18 Jahren in der Holy Trinity Brompton Church durchgeführt und dabei sehr viel hilfreiches Material erarbeitet. Sie haben ihre eigenen Erfahrungen sorgfältig ausgewertet und so aufbereitet, dass alle Eltern, unabhängig von ihrer Situation und ihrem Hintergrund, davon profitieren können.
Drittens kann ich nur sagen: Die Welt braucht dieses Buch! Nicht nur bei uns in Großbritannien, sondern weltweit ist die Familie einem enormen Druck ausgesetzt, und deshalb sehnen sich viele Eltern nach ganz konkreter Unterstützung.
Ich hoffe und bete, dass zahlreiche Menschen durch die Lektüre dieses Buches ermutigt werden, so wie es bei meiner Frau und mir der Fall gewesen ist.
Nicky ist seit über dreißig Jahren mein bester Freund. Wir sind zusammen zur Schule und zur Uni gegangen, und es kam immer wieder vor, dass er mir ein wenig auf die Sprünge geholfen hat. Als er im Jahr 1974 Christ wurde, hat er mich zwei Tage später ebenfalls zu Christus geführt. Nicky und Sila heirateten 1976, Pippa und ich anderthalb Jahre später. Unsere Kinder sind ungefähr im gleichen Alter, und obwohl Nicky, Sila, Pippa und ich zusammenarbeiten und ganz nah beieinander wohnen, sind wir darüber hinaus auch noch häufig zusammen in Urlaub gefahren.
Ich habe Nicky und Sila in den letzten dreißig Jahren als Eltern erlebt, und mir ist deutlich bewusst geworden, dass sie etwas sehr Wertvolles weiterzugeben haben. Ihre Ehe und ihr Familienleben waren für uns ein Vorbild, und wir sind ihnen bis heute dankbar für ihren Rat und ihre Unterstützung bei der Erziehung unserer Kinder.
Nur wenige Faktoren wirken sich so positiv auf das Leben eines Menschen aus wie eine liebevolle, konsequente Erziehung. Gleichzeitig kann die Vernachlässigung von Kindern katastrophale Folgen haben, und zwar nicht nur für die betroffenen Personen, sondern auch für die Gesellschaft als Ganzes. In unserer heutigen Zeit sind sich beinahe sämtliche Stimmen darin einig, dass Kinder ein starkes elterliches Vorbild brauchen. Allerdings haben viele Eltern das Gefühl, dass sie diesem hohen Anspruch nicht gerecht werden. Sie sind frustriert angesichts ihrer Unfähigkeit, mit dem Verhalten und den Einstellungen ihrer Kinder richtig umzugehen.
Wie kommen wir aus diesem Dilemma heraus? Sind manche Leute einfach von Natur aus gute Eltern und andere nicht? Oder kann man es lernen, ein guter Vater bzw. eine gute Mutter zu sein?
Nicky und Sila Lee zeigen in diesem Buch, wie wir uns Schritt für Schritt die notwendigen Fertigkeiten aneignen können, die für ein harmonisches und erfüllendes Zusammenleben in der Familie erforderlich sind. Sie möchten Eltern dazu anspornen, intensiv und kreativ darüber nachzudenken, wie sie ihren Zielen ein Stück näher kommen können.
Ich bin davon überzeugt, dass die folgenden Seiten zahlreiche konstruktive Anregungen enthalten. Viele Eltern werden entdecken, dass sie mithilfe dieser Lektüre genau die Probleme vermeiden oder lösen können, mit denen sie gerade konfrontiert sind. Und diejenigen, die sich nicht so schwertun, werden feststellen, dass sich ihre gute Erziehung sogar noch ein wenig verbessern lässt.
Nicky Gumbel
Danksagung
Das Schreiben dieses Buches hat viel mehr Zeit in Anspruch genommen, als wir geplant hatten, und ohne die Ermutigung und Unterstützung durch eine ganze Reihe von Personen hätten wir es nie zu Ende gebracht. Deshalb möchten wir uns bei all denen bedanken, die während dieses langen Prozesses an unserer Seite waren und uns immer wieder angespornt haben, nicht aufzugeben. Ein besonderer Dank gilt Nicky und Pippa Gumbel, die uns davon überzeugt haben, dass wir anderen Eltern etwas zu geben hätten. Die langjährige Freundschaft zwischen unseren Familien war für uns und unsere Kinder eine enorme Unterstützung, und wir hatten jede Menge Spaß zusammen – zum Beispiel, als wir damals am Flughafen von Chicago wegen starken Schneefalls sechs Stunden lang mit sieben Kindern und einem Rugbyball festsaßen.
Unermüdlich wurden wir auch von unseren beiden Lektorinnen unterstützt: zunächst von Jo Glen, die später die Leitung einer Schule übernommen hat, und im Anschluss daran von Ali Briston, die das Projekt mit uns fertiggestellt hat. Danke für eure Kompetenz, eure Begeisterung und eure Kreativität, aber ganz besonders auch für all den Spaß, den wir zusammen bei dieser Arbeit hatten!
Wir danken Charlie Mackesy, der unsere Familie gut kennt, weil er mehrere Jahre bei uns gewohnt hat. Sein wunderbarer Humor und sein künstlerisches Talent, die in den Illustrationen zum Ausdruck kommen, sind einfach faszinierend.
Zahlreiche andere Personen haben auf unterschiedliche Weise zu diesem Buch beigetragen: Unser herzlicher Dank gilt allen Kindern (egal, ob sie noch Kinder oder mittlerweile schon Erwachsene sind), die uns von ihren persönlichen Erfahrungen berichtet haben. (In einigen Fällen haben wir ihre Namen geändert, um sie davor zu bewahren, womöglich irgendwann in der Zukunft in Verlegenheit zu geraten.) Und wir danken allen Eltern, die uns ihre persönliche Geschichte mit den Höhen und Tiefen der Kindererziehung erzählt haben – eure Offenheit wird viele Leser und Leserinnen motivieren.
Wir bedanken uns bei allen, die das Manuskript im Vorfeld gelesen und wichtige Veränderungen und Ergänzungen vorgeschlagen haben. Insbesondere möchten wir John und Diana Collins dafür danken, dass sie so unglaublich viel Zeit investiert haben, um dieses Buch Korrektur zu lesen. Eure Erfahrung und eure Weisheit waren äußerst hilfreich.
Katherine Boulter und Linda Van Tinteren schulden wir ebenfalls großen Dank, weil sie im Zuge dieser zahllosen Änderungen und Ergänzungen das Manuskript immer wieder geduldig von Neuem abgetippt haben – dieser Prozess hat tatsächlich so lange gedauert, dass sie inzwischen selbst verheiratet sind und Kinder haben!
Zwei abschließende Dankesworte möchten wir noch aussprechen, und zwar zunächst an unsere eigenen Eltern, die uns eine Kindheit voller Spaß, Liebe und Geborgenheit geschenkt haben. Ihr wart uns ein gutes Vorbild, als wir selbst Eltern wurden. Und schließlich danken wir unseren eigenen Kindern: Kirsty, Benj, Barny und Josh – ohne euch hätten wir dieses Buch ganz sicher nicht schreiben können. Wir sind so dankbar, dass ihr so wunderbare Erwachsene geworden seid (trotz all der Fehler, die wir in eurer Erziehung gemacht haben, und all der schlaflosen Nächte, die ihr uns als Babys und später als Teenager bereitet habt!). Zusätzlich möchten wir zwei weitere Personen erwähnen und ihnen danken: Rick und Tamsin, die durch ihre Heirat mit Kirsty und Benj nun ebenfalls zu unserer Familie gehören. Wir haben in euch einen neuen Sohn und eine neue Tochter bekommen, ohne dass wir uns die Mühe machen mussten, euch großzuziehen. Und wir freuen uns sehr darüber, dass eure Eltern in dieser Hinsicht so gute Arbeit geleistet haben!
Nicky und Sila Lee
Einleitung
Bevor ich heiratete, hatte ich sechs Theorien zur Kindererziehung. Jetzt habe ich sechs Kinder und keine Theorien.
John Wilmot, Earl of Rochester
Falten sind erblich. Eltern bekommen sie von ihren Kindern.
Doris Day, Schauspielerin
Wir treten einen völlig neuen Job an, ohne auch nur im Entferntesten darauf vorbereitet zu sein. Man muss keine Ausbildung absolvieren, um Mutter oder Vater sein zu können, und die wenigsten von uns bekommen vorher eine genaue Einweisung. Wie hoch der Lohn für diese Tätigkeit ist, möchten Sie wissen? Zurzeit erhält man in Deutschland ca. 180 € Kindergeld pro Monat.1
Spätestens in dem Moment, wenn wir mit einem neugeborenen Baby aus der Klinik nach Hause kommen, dämmert es den meisten von uns: Sich um dieses Kind zu kümmern, ist die wichtigste Aufgabe der Welt. Nur haben wir leider absolut keine Ahnung, wie wir sie bewältigen sollen.
Kinder bringen eine enorme Verantwortung mit sich. Uns wurde die bedeutungsvolle Aufgabe anvertraut, das Leben echter Menschen zu prägen – samt ihrem unglaublichen Potenzial, sich sowohl positiv als auch negativ zu entwickeln. Manchmal ist das sehr unbequem: Unsere Kinder stören unseren Schlaf, sie durchkreuzen unsere Pläne, und sie rufen manches schlummernde, unbewältigte Gefühl in uns wach. Doch während wir versuchen, ihnen Dinge beizubringen, bringen sie uns etwas bei. Sie lehren uns nämlich, was es heißt, unsere eigenen Wünsche zurückzustellen. Die völlige Abhängigkeit eines Babys, seine Unfähigkeit, sich irgendwie erkenntlich zu zeigen oder Danke zu sagen – all das führt dazu, dass wir weniger ichbezogen sind. Wir werden gezwungen, uns zu ändern, erwachsen zu werden, die Bedürfnisse anderer wahrzunehmen, Geduld zu entwickeln, mit unseren Unsicherheiten klarzukommen und ganzheitlicher zu werden. Kurz gesagt: Wir lernen, jemanden zu lieben.
Mutter oder Vater zu sein, ist eine höhere Berufung als die Suche nach dem eigenen Glück. Es kostet uns eine Menge: Müdigkeit, Sorgen und in manchen Fällen sogar den furchtbaren Schmerz, ein Kind hergeben zu müssen. Aber es beinhaltet auch eine unglaubliche Erfüllung: Wir spüren eine tiefe Liebe für unsere Kinder und empfinden es als großes Vorrecht, dass wir dazu beitragen dürfen, ihr Leben zu gestalten.
Im Grunde kann uns nichts und niemand darauf vorbereiten, wie sehr die Ankunft unseres ersten Kindes unser Leben erschüttern wird. Es mag Ausnahmen geben, doch wir selbst haben definitiv nicht zu dieser Minderheit gehört.
Nicky
Unsere Tochter Kirsty kam sechs Tage vor Ostern zur Welt. Als ich nach Hause fuhr, war der Himmel tiefblau, die Kirschbäume blühten in voller Pracht, und die Welt erschien mir schöner als je zuvor. Auf der Straße war kaum Verkehr, aber ich fuhr trotzdem vorsichtiger als sonst, denn ich spürte plötzlich eine enorme Verantwortung. Zum ersten Mal in meinem Leben war jemand voll und ganz von mir abhängig und ich wollte meine Tochter auf keinen Fall enttäuschen.
Es ist schwierig für frischgebackene Eltern, die komplexen Gefühle zu beschreiben, die sie nach der Geburt ihres ersten Kindes (oder der folgenden) befallen. In mir stieg eine überwältigende Freude auf, die sich mit Stolz, Erleichterung und sogar einem gewissen Erstaunen mischte: Auf einmal gab es dieses echte, atmende, lebendige kleine Wesen, bei dessen Erschaffung wir tatsächlich eine Rolle gespielt hatten.
So begann unsere Reise als Eltern, und während in den folgenden Jahren unsere vier Kinder aufgewachsen sind, haben wir mehr Aufregungen, Herausforderungen, Schmerzen, Freude und Begeisterung erlebt, als wir uns je hätten vorstellen können.
Kinder zu haben, ist wie Wildwasser-Rafting. Wir werden vorangetrieben, manchmal gerät unser Schlauchboot außer Kontrolle, doch wir haben keine Möglichkeit, anzuhalten und auszusteigen. Es gibt Zeiten, in denen uns die gewaltige Strömung Angst macht und wir damit rechnen, jeden Moment zu kentern. Wir fühlen uns den Herausforderungen nicht gewachsen und halten erschrocken die Luft an, wenn nach einer Flussbiegung plötzlich ein Wasserfall sichtbar wird. Und gelegentlich kommt es tatsächlich zum Schlimmsten: Wir gehen über Bord und müssen an Land schwimmen, bevor wir erneut durchstarten können. Manchmal genießen wir alle zusammen die Fahrt. Wir gleiten nur ganz gemächlich vorwärts, weil die Umgebung gleich bleibt, bis das Tempo dann plötzlich wieder anzieht. Im Gegensatz zum echten Wildwasser-Rafting haben wir jedoch keinen Experten an Bord, sondern sitzen selbst am Steuer und müssen die richtigen Kommandos geben, um unsere Familie sicher über jede einzelne Strecke des Flusses zu bringen. Und die Besatzung unseres Schlauchboots kann aus dankbaren Passagieren oder auch aus einer aufmüpfigen Crew bestehen.
Während wir dieses Buch schrieben, haben wir über die Höhen und Tiefen des Elternseins nachgedacht und uns an die schwierigen und die besonders lohnenden Augenblicke erinnert.
Der schwierigste Aspekt der Elternschaft
Sila
Die größte Herausforderung bestand für mich darin, mit meinen Schwächen konfrontiert zu werden: Ich habe immer wieder zu hart geurteilt und vorschnelle Schlüsse gezogen. Ich war ungeduldig und habe in Stresssituationen zu heftig reagiert. Anstatt aufmerksam zuzuhören, wenn eines unserer Kinder traurig oder wütend war, habe ich sie herumkommandiert. Kurz gesagt: Die Erziehung unserer Kinder hat mir einen Spiegel vorgehalten, der mir gezeigt hat, wie sehr ich an mir selbst arbeiten muss!
Nicky
Für mich bestand die größte Herausforderung des Vaterseins darin, regelmäßig Zeit für unsere Kinder zu finden. Ich bedaure all die Tage, an denen ich es zuließ, dass die Arbeit mir die Möglichkeit nahm, wenigstens eine Stunde mit meinen Kindern zu verbringen. Ich hätte bei ihnen am Tisch sitzen, mit ihnen spielen oder ihnen eine Geschichte vorlesen sollen.
Der erfüllendste Aspekt der Elternschaft
Sila
Der erfüllendste Aspekt des Mutterseins war für mich, zu sehen, wie jedes unserer Kinder zu einer einzigartigen Persönlichkeit mit einem einzigartigen Charakter und seinen besonderen Gaben und Interessen herangewachsen ist, während sich alle vier gleichzeitig sehr stark mit unserer Familie identifiziert haben. Außerdem fand ich es sehr schön, dass zwischen den Geschwistern enge Beziehungen entstanden sind, auch wenn das natürlich nicht immer der Fall gewesen ist!
Trotz aller Anstrengungen, die die Erziehung von Kindern mit sich bringt, habe ich es genossen, dass es in einer Familie nie langweilig wird. Zwar waren unsere gemeinsamen Mahlzeiten oft chaotisch, und ich war ständig damit beschäftigt, den Kindern grundlegende Tischmanieren beizubringen. Doch diese Zeiten haben dazu beigetragen, unsere Beziehungen untereinander zu festigen. Die Ferien – einschließlich der Grillfeste am Strand im Regen, die wir jedes Jahr erlebt haben – erforderten viel Energie und Kreativität, aber die Mühe hat sich immer gelohnt!
Nicky
Wenn ich die Müdigkeit, die Sorgen und das ständige Sich-Hinterfragen – Aspekte, die zum Elternsein dazugehören – einmal beiseitelasse, so muss ich sagen, dass ich das Vatersein als tiefe Erfüllung empfunden habe. Allerdings habe ich oft gedacht, die nächste Phase würde bestimmt schwieriger und problematischer werden: wenn sie erst einmal in die Schule gehen, auf eigene Faust etwas unternehmen und schließlich Teenager werden würden.
Ich habe dann jedoch genau das Gegenteil erlebt: Wir fanden es herrlich, Teenager im Haus zu haben, deren Freunde oft in ganzen Horden aufgetaucht sind. Und ich habe festgestellt, dass meine Beziehung zu jedem meiner Kinder immer tiefer geworden ist, je älter sie wurden. Es hat mir Freude gemacht, ihnen bei der Bewältigung der verschiedenen Phasen in ihrem Leben zu helfen. Ich konnte verschiedene Optionen mit ihnen diskutieren und sie ermutigen, wenn sie unter Druck standen oder begriffen, dass sie einen Fehler gemacht hatten.
Inzwischen sind sie erwachsen, und da sie immer wieder zu uns kommen, wächst die Beziehung zu jedem Einzelnen von ihnen auch weiterhin.
Die Sicht unserer Kinder
Jede Familie ist einzigartig und hat ihre ganz eigene Dynamik. Wir möchten Ihnen ein wenig von unserer Familie erzählen, um Ihnen den Hintergrund, vor dem wir dieses Buch geschrieben haben, vor Augen zu malen:
Nach Kirsty bekamen wir drei Jungs: Benj, Barny und Josh. Der Altersunterschied zwischen Kirsty und Josh beträgt sieben Jahre. Zuerst haben wir in Japan gelebt, dann im Nordosten Englands (dort kamen Benj und Barny zur Welt) und schließlich, in den letzten vierundzwanzig Jahren, im Zentrum von London. Wir haben dort eine Wohnung ohne Garten, die so wenig Platz bietet, dass wir häufig das Gefühl hatten, einander auf die Füße zu treten. Da unsere ganze Verwandtschaft in abgelegenen Gegenden Schottlands wohnt, konnten die Kinder während der Ferien jedoch auch das Landleben kennenlernen.
Bei uns sind die Männer in der Überzahl und alle drei Jungs waren von Anfang an begeisterte Sportler. In unserem Haus war immer etwas los – es war ganz normal, dass alle möglichen Leute unangemeldet bei uns hereinschneiten. Eine zentrale Rolle spielten die gemeinsamen Mahlzeiten, bei denen es sehr geräuschvoll zuging, weil jeder versuchte, sich irgendwie Gehör zu verschaffen.
Wir würden nie behaupten, als Eltern alles richtig gemacht zu haben. Ganz sicher nicht! Es gibt Dinge, die wir heute völlig anders anpacken würden, wenn wir das Rad der Zeit zurückdrehen könnten. Wir haben unsere Kinder gebeten – sie sind heute zwischen zwanzig und dreißig Jahre alt, und Kirsty und Benj sind bereits verheiratet –, uns von einigen Begebenheiten zu erzählen, bei denen uns Fehler unterlaufen sind.
Kirsty
Ich bin mit drei sportbegeisterten Brüdern aufgewachsen, und so wurde beim Abendessen oft über das letzte Rugby-Spiel geredet, an dem einer der drei beteiligt gewesen war. Alles „Mädchenhafte“ schien irgendwie zu kurz zu kommen, weil meine Brüder es natürlich langweilig gefunden hätten, über Kleider, Shoppen oder Make-up zu reden. Zwar war ich selbst gar nicht so übermäßig an diesen Dingen interessiert, aber ich wollte zumindest die Möglichkeit haben, mich mit solchen Themen zu beschäftigen. Und ich fand, dass Mama, als die einzige andere weibliche Person in unserer Familie, mich darin nicht genügend unterstützte. Das war einer der Gründe, warum ich so gern am Wochenende bei einer Freundin war, die nur eine Schwester hatte, denn dort sprachen wir über Sachen, die mich interessierten. Als ich älter wurde, schien meine Mutter zu merken, was mir fehlte, und daraufhin konnte ich bei ihr immer wieder mein Herz ausschütten.
Benj
Ich kann mich an eine Begebenheit im Urlaub erinnern, bei der Papa mir gegenüber ausgerastet ist. Und ausnahmsweise war es völlig ungerechtfertigt. Wir warteten im Auto auf Papa, um zum Surfen zu fahren, und Josh nervte uns unablässig. Barny und ich hatten uns die ganze Zeit beherrscht, aber als Papa ins Auto gestiegen war und Josh uns noch weiterärgerte, verlor ich die Geduld und boxte ihn. Daraufhin explodierte Papa, rief zornig: „Benjamin – steig aus! Du kommst nicht mit zum Strand!“, und zerrte mich aus dem Auto.
So wütend hatte ich ihn vorher noch nie erlebt, denn normalerweise hatte er sich immer unter Kontrolle, wenn er zu Recht mit uns schimpfte. Später gab Josh zu, was er getan hatte, und mein Vater hat sich bei mir entschuldigt.
Barny
Einmal hat Mama mich buchstäblich die Treppe hinuntergestoßen – natürlich nicht mit Absicht. Ich weiß nicht mehr, was ich getan hatte, aber wahrscheinlich hatte ich sie heftig provoziert. Es machte mir nämlich großen Spaß, sie zu nerven. Jedenfalls kam sie auf mich zu und ich flüchtete in mein Zimmer. Sie folgte mir – inzwischen war sie wirklich auf hundertachtzig! Mama ist ganz schön stark, und ich hielt mich an der Zimmertür fest, während sie versuchte, mich nach draußen zu ziehen.
Plötzlich ließ ich die Türklinke los, und da meine Mutter weiterhin mit aller Kraft an mir zog, flog ich die Treppe hinunter. Eigentlich war dies meine Rettung, denn obwohl mir nichts passiert war, erschrak Mama so sehr, dass ihre Wut augenblicklich verrauchte. Und dann entschuldigten wir uns beieinander.
Josh
Ich finde, meine Eltern hätten ein bisschen strenger mit mir sein sollen – beim vierten Kind waren sie wohl einfach zu nachsichtig. Sie waren ziemlich locker, was meine Prüfungen betraf, und sagten mir nicht, dass ich mehr lernen sollte. Wahrscheinlich lag es daran, dass Kirsty irgendwann eine große Prüfungsangst entwickelt hatte und sie das Gleiche nicht noch einmal erleben wollten. Doch sie hätten mich wirklich dazu anhalten sollen, härter zu arbeiten. Ich hätte mich wahrscheinlich geärgert, aber es wäre besser für mich gewesen. Damals war ich nämlich noch nicht reif genug, um selber den Durchblick zu haben.
Glücklicherweise können Kinder einiges verkraften! Wir hoffen, dass Sie beim Lesen dieses Buches die Zuversicht gewinnen, dass die Liebe eine Menge elterlicher Fehler zudeckt. Unser Ziel war immer, jedes Kind als eigenständige Persönlichkeit zu lieben und ihm zu vermitteln, dass es ein wertvoller und unverzichtbarer Teil unserer Familie ist. Solange wir uns mit unserer Familie identifizieren, können feste Beziehungen wachsen, die auch den unvermeidlichen Turbulenzen standhalten werden. Allerdings kann Ihr Weg natürlich ganz anders verlaufen als unserer.
Was wir mit diesem Buch bezwecken
Mutter oder Vater zu sein, war noch nie eine leichte Sache. Und seit wir selbst Eltern sind, haben wir beobachtet, wie unsere Kultur immer komplexer, anspruchsvoller und – für manche – sogar beängstigender geworden ist. Unsere Kinder wachsen in einer aufregenden, inspirierenden und teilweise verwirrenden Zeit auf. Auf dem Markt finden sich zahllose Bücher, die eine schwindelerregende Reihe von Ansätzen zum Thema Kindererziehung vorschlagen. Aber trotz aller neuen Technologien, der Globalisierung und des Internets gibt es auf diesem Gebiet einige Wahrheiten, die für alle Zeiten gültig sind. In diesem Buch möchten wir Ihnen einige grundlegende Erkenntnisse und lang erprobte Werte vermitteln, die leicht in Ihr Familienleben integriert werden können, auch wenn Ihre Familie vielleicht ganz anders ist als unsere. Unsere Erfahrungen aus den Elternkursen und unsere Gespräche mit Tausenden von Eltern und vielen Spezialisten lassen sich so zusammenfassen: Egal, in welcher Situation Sie sich befinden, es gibt bestimmte Dinge, die Sie tun können, um Ihr Familienleben zu verbessern. Die Ratschläge in diesem Buch beruhen zum Teil auf unseren eigenen Erfahrungen und zum Teil auf wertvollen, praktischen Tipps, die wir von anderen erhalten haben.
Wir selbst haben keine so schmerzhaften Krisen durchgemacht wie manche Eltern, die mit der Krankheit oder dem Tod eines Kindes, der Ablehnung durch ein Adoptivkind, Verhaltensstörungen oder der Drogenabhängigkeit ihres Kindes konfrontiert werden. Solche außergewöhnlichen Herausforderungen sind nicht Thema dieses Buches; wir haben jedoch am Schluss einige andere Bücher und Organisationen aufgelistet, die auf diesen Gebieten hilfreich sein könnten. Was alleinerziehende Mütter oder Väter betrifft, so ist uns klar, dass die Aufgabe hier doppelt so schwer sein kann, und wir hoffen, dass unsere Vorschläge für Sie eine Hilfe und Ermutigung sind.
Das Familienleben funktioniert selten (oder nie) so reibungslos, wie wir es uns wünschen. Wir wollen das Beste für unsere Kinder und schmieden lauter hübsche kleine Pläne, aber häufig weigern sich unsere Kinder einfach, mit uns zu kooperieren. Unsere Vorstellungen bezüglich ihrer Hausaufgaben, der Schlafenszeit oder einer möglichen beruflichen Karriere lassen sie völlig kalt. Und an manchen Tagen bringen sie uns an den Rand der Verzweiflung: Ihr aufmüpfiges Verhalten, ihr ständiges Argumentieren, die kontinuierliche Unordnung um sie herum, ihre unvernünftigen Forderungen, ihr merkwürdiger Geschmack hinsichtlich Kleidung und ihre nie endenden Bedürfnisse können uns völlig auslaugen. Mitunter denken wir sehnsüchtig an die Zeit zurück, als wir noch keine Kinder hatten, und fragen uns, womit wir uns damals eigentlich beschäftigt haben.
„Wer ist bloß auf die absurde Idee gekommen, Kinder großziehen zu wollen?“, überlegen wir erschöpft. Unsere guten Vorsätze lösen sich in Luft auf, und wir merken irgendwann, dass wir genauso unvernünftig werden wie unsere Kinder.
Gelegentlich erfordert es unsere ganze Energie, um nur so einigermaßen über die Runden zu kommen. An solchen Tagen sind wir frustriert, weil wir meinen, dass wir andere und uns selbst enttäuschen. Aber wir brauchen trotzdem Ideale, nach denen wir uns ausstrecken können, ohne uns jedes Mal selbst zu verurteilen, wenn wir versagt haben.
Für uns ist der christliche Glaube ein Faktor, der jeden Bereich unseres Lebens entscheidend beeinflusst hat – nicht zuletzt auch die Art und Weise, wie wir versucht haben, unsere Kinder zu erziehen. Doch Sie brauchen unseren Glauben nicht zu teilen, um von diesem Buch zu profitieren.
Ganz gleich, wo Sie sich gerade auf Ihrer Reise als Eltern befinden – ob Sie darauf warten, dass Ihr Baby geboren wird, ob Sie die Höhen und Tiefen im Umgang mit Kleinkindern erleben oder ob Sie schon Teenager im Haus haben – und welchen Herausforderungen Sie im Augenblick gegenüberstehen: Wir hoffen, dass Sie in diesem Buch einige hilfreiche Vorschläge und praktische Tipps finden werden, die Sie auf Ihre persönliche Situation anwenden können. Unser größtes Anliegen ist jedoch, dass Sie sich nicht schon von vornherein völlig unzulänglich und überfordert fühlen, sondern sich vielmehr ermutigen und inspirieren lassen. Wir wünschen uns, dass Sie eine ganz neue Vision für Ihre Familie bekommen.
Teil 1 Wie Familien funktionieren
Kapitel 1
Die Rolle der Familie
Familie ist: Musik hören und Mama,Papa, Bart und Fergus tanzen.
Fergus (3)
Die Familie ist ein Ort, an dem ich mich vollkommen sicher fühle und meine Schwächen zeigen kann, weil ich weiß, dass man mich trotzdem liebt.
Kirsty (28)
Ich soll das Wort Familie definieren?Das kann ich nicht, weil sie nie für mich da gewesen ist.
Rupak (22)
Die Familie ist der Grundbaustein der Gesellschaft und die Wurzel der Kultur. Sie stellt die erste Quelle dar, aus der ein Kind bedingungslose Liebe und Annahme schöpft, und ermöglicht ihm eine lebenslange Verbundenheit mit anderen. Die Familie ist der erste Ort, an dem Sozialisation stattfindet und ein Kind lernt, andere zu respektieren. Hier lernt es, Zuneigung zu zeigen, sich zu beherrschen und seine Spielsachen vom Boden aufzuheben.
Prof. Marianne E. Neifert, Kinderärztin
Jeder braucht eine Familie. Unsere Familie ist unser Zuhause; sie ist die Gemeinschaft, zu der wir immer gehören werden und an die wir uns wenden können, wenn wir Trost, Rat oder Hilfe nötig haben. Hier brauchen wir uns nicht zu verstellen, sondern können so sein, wie wir wirklich sind. Wir werden angenommen und geliebt, darum können wir zur Ruhe kommen und uns innerlich weiterentwickeln. Gleichzeitig gibt es aber auch viel zu lachen, weil keiner sich selbst zu wichtig nimmt. In der Familie lernen wir, sowohl auf unsere eigenen Bedürfnisse als auch auf die der anderen zu achten. Das wäre zumindest der Idealfall, oder nicht?
Nicky
An einem Freitagabend fuhren wir aus London heraus, als gerade der Feierabendverkehr tobte. Wir hatten unsere vier Kinder im Alter von vier bis elf Jahren dabei. Es war ein hektischer Tag gewesen, sodass ich an der roten Ampel noch rasch meine Post öffnete. Auf einem Umschlag stand „vertraulich“. Benj schaute mir über die Schulter und wollte wissen, was „vertraulich“ bedeutet. Ich überlegte, wie ich es ihm so erklären könnte, dass es für ihn verständlich wäre. Das Beste, was mir einfiel, war: „nur für dich“.
Ungefähr eine halbe Stunde später bestellten wir in einem McDonald’s-Restaurant etwas zu essen. Sila fragte die Kinder nacheinander nach ihren Wünschen, bis sie schließlich bei Josh, unserem Vierjährigen, angelangt war. Er antwortete entschieden: „Einen Big Mac und vertrauliche Pommes frites, bitte.“ In Anbetracht von drei Geschwistern und der ständigen Notwendigkeit, Dinge zu teilen, war dieses neue Wort eine nützliche Erweiterung seines Wortschatzes!
Eine Familie gründen
Das Familienleben musste im Lauf der Jahrhunderte den unterschiedlichsten Belastungen standhalten. Heutzutage leidet die Familie in den westlichen Ländern vor allem durch gestiegene soziale und wirtschaftliche Erwartungen, zerbrochene Beziehungen und den allgemeinen Zeitdruck. Für viele Kinder sind Fernsehen und Internet praktisch zu Ersatz-Eltern geworden, die zwar verlockend sind, im Allgemeinen aber nur unzureichende Vorbilder liefern.
Viele Eltern sind auf die eine oder andere Weise gestresst, manche sogar bis zur Schmerzgrenze. Und es ist ganz normal, dass wir von ständiger Sorge und dem Gefühl des Versagens geplagt werden. Rob Parsons, der Vorsitzende von Care for the Family, begann einmal eine Ansprache vor 200 Eltern mit den Worten: „Sie sind höchstwahrscheinlich viel bessere Eltern, als Sie selber meinen.“ Die Erleichterung, die sich daraufhin im Raum ausbreitete, war fast mit Händen zu greifen.
Es liegt nahe, dass wir uns mit anderen Eltern vergleichen. Wir betrachten andere Familien mit kritischem Blick und versuchen gleichzeitig verzweifelt, ein perfektes Bild unserer eigenen Familie zu präsentieren. Doch Vergleiche sind weder für uns noch für unsere Kinder hilfreich, weil jede Familie nun einmal einzigartig ist. Manche Kinder sind folgsam und leichter zu führen als andere, die einen starken Willen haben oder etwas komplizierter sind. Zwar können wir uns durchaus von anderen Leuten Tipps geben lassen, aber wir werden unsere Kinder trotzdem nicht genauso erziehen wie sie. Wir müssen den Mut haben, uns für unseren eigenen Ansatz zu entscheiden.
Eine Freundin von uns fand sich, nachdem ihr Mann sie verlassen hatte, als alleinerziehende Mutter von drei Kindern wieder. Sie sagte uns: „Als Alleinerziehende muss ich meinen Kindern besonders nachdrücklich vermitteln, dass wir eine richtige Familie sind. Zum Beispiel achte ich darauf, was wir an den Wochenenden unternehmen. Wir können zwar mit Familien zusammen sein, bei denen es Mutter und Vater gibt, denn dann sehen meine Kinder, wie solche Familien funktionieren. Aber ich muss ihnen unbedingt begreiflich machen, dass wir ebenfalls eine echte Familie sind.“
Es lohnt sich, eine langfristige Perspektive einzunehmen, wenn wir unsere Ziele festlegen, sonst werden wir von den momentanen Herausforderungen nur allzu leicht überrollt: Wir versuchen, ein Baby dazu zu bringen, eine Nacht durchzuschlafen; wir müssen eines unserer Kinder wiederholt ermahnen, weil es seinen Bruder oder seine Schwester schlägt; oder wir streiten uns mit einem Teenager, der sich an allen verfügbaren Körperteilen Piercings machen lassen will. Dabei können wir schnell unsere eigentliche Vision aus dem Auge verlieren: den Wunsch, dass unsere Kinder zu Erwachsenen mit einem gesunden Selbstvertrauen heranreifen, die ihr Potenzial verwirklichen und tragfähige Beziehungen zu uns und anderen Menschen aufbauen.
Bevor Sie weiterlesen, nehmen Sie sich doch bitte eine oder zwei Minuten Zeit, um Bilanz zu ziehen: Wo stehen Sie zurzeit, und wie schätzen Sie die Art und Weise ein, wie Sie Ihr Kind bzw. Ihre Kinder erziehen? (In diesem Buch sprechen wir der Einfachheit halber von „Kindern“, obwohl uns durchaus bewusst ist, dass Sie vielleicht ein einzelnes Kind oder aber ein oder mehrere Stiefkinder haben.)
Ganz gleich, zu welchen Schlüssen Sie kommen – wir hoffen, dass die folgenden Seiten Ihnen Mut machen werden und dass Sie herausfinden, welche Veränderungen Sie ganz leicht umsetzen können, um Ihr Familienleben zu stärken. Sie können nämlich selbst entscheiden, was Sie aus Ihrer Familie machen wollen. Vermutlich wollen Sie nicht alles genauso anpacken, wie Sie es in Ihrer eigenen Kindheit erlebt haben, doch glücklicherweise zwingt uns niemand, das Vergangene zu wiederholen. In einem heftigen Streit warf ein Teenager seinem Vater vor: „Du hast mir noch nie gesagt, dass du mich lieb hast.“ Daraufhin antwortete der Vater: „Mir hat das auch keiner gesagt.“ In dieser Sackgasse brauchen wir jedoch nicht stecken zu bleiben!
Unser Familienleben
Sehen Sie sich die unten stehenden Aussagen an: Welche sind für Sie wichtig und wie sehr treffen sie tatsächlich auf Ihr aktuelles Familienleben zu? Versuchen Sie, ehrlich zu sein!
• Wir gestalten mindestens einmal pro Woche eine besondere Familienzeit.
• Ich verbringe jede Woche mit jedem meiner Kinder eine gewisse Zeit, in der wir etwas tun, was ihm Spaß macht.
• Wir setzen uns mehrmals pro Woche gemeinsam als Familie zum Essen an den Tisch (ohne Fernsehen).
• Ich sage meinen Kindern regelmäßig, dass ich sie liebe, und ich gebe ihnen mehr Lob als Kritik.
• Ich weiß, wodurch sich meine Kinder geliebt fühlen.
• Ich begrenze die Zeit, die meine Kinder vor dem Fernseher, am Computer, mit Spielekonsolen oder ihrem Handy verbringen.
• Meine Kinder wissen, dass sie mit mir reden können und dass ich mich für ihre Anliegen interessiere.
• Ich kenne die Freunde meiner Kinder, und ich weiß, welches ihre Lieblingsfächer in der Schule sind und was sie am liebsten essen.
• Meine Kinder haben keine Scheu, mir zu sagen, ob und wann sie sich über mich geärgert haben.
• Ich habe mich unter Kontrolle, wenn ich meinen Kindern Grenzen setze.
• Ich kann mit meinem Partner über wichtige Erziehungsfragen sprechen und wir arbeiten an einem gemeinsamen Konzept.
• Meine Kinder kennen meine Werte und Überzeugungen, soweit es ihr jeweiliges Alter zulässt.
• Ich bete regelmäßig für meine Kinder und versuche, ihnen geistliche Werte zu vermitteln.
• Ich habe Freunde oder Verwandte, an die ich mich wenden kann, wenn ich mich in meiner Rolle als Vater/Mutter überfordert fühle.
Wir brauchen konkrete Ziele vor Augen, um uns nicht eines Tages irgendwo wiederzufinden, wo wir nie landen wollten. Aus diesem Grund hat sich unsere Familie in den vergangenen Jahren an den folgenden vier Grundsätzen orientiert. Zwar haben wir es leider nicht geschafft, sie immer und überall zu befolgen, aber sie sind trotzdem wichtige Wegweiser für uns gewesen. Vielleicht würden Sie in Ihrem Fall andere Schwerpunkte setzen.
1. Die Familie bietet Unterstützung
Wenn ich unglücklich war, hielten Mama oder Papa vor dem Schlafengehen immer einen kleinen Plausch mit mir. Das war manchmal etwas peinlich, aber ich fühlte mich hinterher jedes Mal viel besser.
Josh (21)
Die Familie ist unser erster Bezugspunkt, sie gibt uns unsere Identität. Der alte Spruch „Blut ist dicker als Wasser“ stimmt eben doch, ganz gleich, ob wir eine schöne oder eine weniger schöne Kindheit hatten.
Alle Kinder erleben auf die eine oder andere Weise Kummer und Enttäuschung. Da kleine Kinder schon sehr grausam zueinander sein können, fühlen manche sich schon früh von anderen abgelehnt: Sie werden zum Beispiel nicht zu einer Geburtstagsfeier eingeladen oder dürfen auf dem Schulhof nicht mitspielen. Später, als Teenager oder junge Erwachsene, werden sie womöglich in der Schule ausgegrenzt oder von einem Freund im Stich gelassen.
Irgendwann werden die meisten Kinder schließlich mit eigenem Versagen konfrontiert: durch eine Prüfung, die sie nicht bestanden haben, oder durch Probleme, in die sie sich selbst hineingeritten haben. Außerdem wird jeder Teenager an den Punkt kommen, an dem ihm klar wird, dass er weder seinen eigenen Erwartungen noch denen seiner Eltern gerecht geworden ist.
Unsere Kinder brauchen die Gewissheit, dass ihre Familie sie immer lieben wird, ganz egal, was passiert. Sie müssen fest davon überzeugt sein, dass wir ihnen in jedem Fall aufhelfen und sie ermutigen werden, vorwärtszugehen. Das Wissen, dass wir sie wertschätzen, sie so akzeptieren, wie sie sind, sie vermissen, wenn sie nicht da sind, und ihnen vergeben, wenn sie Mist gebaut haben, muss ganz tief in ihnen verankert sein.
2. Die Familie bietet Spaß
Wir haben als Familie immer viel miteinander gelacht. Die Jungs können echt witzig sein, und Mama und ich fanden es nie schlimm, wenn sie uns geneckt haben.
Kirsty (28)
Lachen ist gesund – Psychologen sagen, dass Lachen Endorphine im Gehirn freisetzt, Stress reduziert und unsere Laune verbessert. Lachen trägt dazu bei, unser Leben im Gleichgewicht zu halten. Wer mit jemandem lacht, fühlt sich mit ihm verbunden. Lachen baut Spannungen ab und schweißt uns regelrecht zusammen. Es hindert uns daran, uns selbst zu ernst zu nehmen, deshalb ist die Familie ein ideales Übungsfeld, auf dem wir lernen können, über uns selbst zu lachen. Es kann ein Zeichen von Zuneigung sein, wenn wir uns innerhalb der Familie gegenseitig aufziehen, allerdings muss man auf diesem Gebiet auch sehr vorsichtig sein. Jemanden zu necken, kann heißen: „Ich kenne dich in- und auswendig und ich mag deine lustigen Eigenarten.“ Aber wir sollten nie lieblos über unsere Kinder lachen, und wir müssen darauf vorbereitet sein, dass sie auch über uns lachen werden. Als wir unseren ältesten Sohn Benj einmal gefragt haben, wie er und seine Geschwister es eigentlich finden, uns als Eltern zu haben, hat er ohne Umschweife geantwortet: „Ihr seid echt zum Kringeln – wir lachen uns dauernd schlapp über euch.“ Woraufhin wir beschlossen haben, nicht weiter nachzuhaken.
Ein guter Sinn für Humor sorgt für Spaß und Verbundenheit in der Familie. Dabei muss man nicht unbedingt Geld ausgeben – man kann jede Menge Spaß haben, wenn man in Pfützen springt, Spiele macht, bei den gemeinsamen Mahlzeiten Geschichten erzählt oder etwas Schönes zusammen unternimmt.
Kinder wollen dort sein, wo es lustig zugeht, darum sollten wir als Eltern vielleicht öfter bereit sein, die Dinge auch mal von der komischen Seite zu betrachten. Und wir sollten gelegentlich unsere Prioritäten neu überdenken: Ist es nicht viel wichtiger, dass bei gemeinsamen Mahlzeiten unbefangen gelacht und geredet wird, als dass jedes Kind auch noch den letzten Krümel aufisst und grundsätzlich nur mit geschlossenem Mund kaut?
In unserem Familienleben sollte es immer wieder kleine Höhepunkte geben, bei denen wir Spaß haben und uns aneinander freuen. Wenn wir ab und zu ohne besonderen Grund ein Fest feiern – einfach, weil es so schön ist, dass wir alle zusammen zu Hause sind –, können unsere Kinder lernen, wie begeisternd und inspirierend eine gute Gemeinschaft ist.
Falls wir als Familie keinen Spaß miteinander haben, dann kann es passieren, dass unsere Kinder sich in sich selbst zurückziehen. Und sobald sie alt genug sind, um ihre eigenen Wege zu gehen, können sie sich ganz von uns entfernen. Wenn wir dagegen darauf achten, dass wir Aktivitäten den Vorrang geben, die sie mögen, anstatt immer nur das zu tun, was uns gefällt, und wenn wir dabei einen gemeinsamen Sinn für Humor entwickeln und mit ihnen und ihren Freunden lachen, dann wird unser Haus ein Ort sein, zu dem sie jetzt und auch später gern zurückkommen werden.
In Kapitel 3 finden Sie einige praktische Tipps, wie man als Familie Spaß haben kann.
3. Die Familie stellt einen Werte-Kompass bereit
Ich finde es gut, dass man mir beigebracht hat, in jedem und allem das Beste zu sehen und Menschen und Beziehungen den Vorrang vor materiellen Dingen zu geben.
Sam (31)
In der Familie lernen Kinder, was gutes und was schlechtes Verhalten ist. Hier werden ihnen Werte fürs Leben vermittelt: Sie lernen, dass Ehrlichkeit sehr wichtig und dass Freundlichkeit eine Tugend ist, dass man seine Wut unter Kontrolle halten muss, dass Großzügigkeit besser ist als Egoismus, dass Vergebung und Treue wichtige Bestandteile einer Beziehung sind, dass es gut ist, Autoritäten zu respektieren und sich selber zu beherrschen.
Diese Wertmaßstäbe entstehen nicht von selbst, sondern sie werden ausgebildet, während Kinder beobachten, wie sie befolgt werden. In erster Linie orientieren Kinder sich natürlich an ihren Eltern, aber sie lernen auch dadurch, dass sie Geschichten hören, in denen das Gute über das Böse siegt. Und indem wir ihnen beibringen, zwischen Recht und Unrecht zu unterscheiden, und ihnen die Möglichkeit geben, das Gelernte zunächst einmal im sicheren Rahmen der eigenen Familie umzusetzen. Wenn Kinder sehen, dass ihre Eltern aufrichtig und ehrlich sind, obwohl sie zugeben, dass es nicht immer leicht ist, die Wahrheit zu sagen (dass es sich auf lange Sicht aber auszahlt), dann werden sie sich wahrscheinlich zu ehrlichen und vertrauenswürdigen Persönlichkeiten entwickeln. Ohne Grenzen und Anleitung hingegen können sie schnell den Halt verlieren.
4. In der Familie lernen Kinder, Beziehungen aufzubauen
Meine Eltern haben mich stets dazu ermutigt, ihnen gegenüber offen zu sein und über alles mit ihnen zu reden. Sie haben dafür gesorgt, dass es bei uns zu Hause lustig zuging und dass andere sich willkommen fühlten.
Milly (23)
In allererster Linie ist die Familie der Ort, an dem wir lernen, andere zu lieben, und deshalb spielt die Familie in jeder Gesellschaft eine ganz entscheidende Rolle. Kinder lernen, Beziehungen zu anderen aufzubauen, indem sie in der Familie beobachten, erleben und einüben, wie man miteinander umgeht.
Falls Sie in Ihrer eigenen Kindheit solche engen familiären Bindungen vermisst haben, kann es hilfreich sein, mit jemandem darüber zu sprechen. Erzählen Sie doch einer anderen Person von Ihren Erfahrungen, und vergeben Sie ganz bewusst den Menschen, die Sie damals verletzt oder vernachlässigt haben. Zögern Sie nicht, professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen, damit Sie selbst nicht genau die gleichen Verhaltensmuster an Ihre Kinder weitergeben.
Im Folgenden werden wir uns auf drei Arten von Beziehungen konzentrieren. Zwar umfasst längst nicht jede Familie sämtliche drei Beziehungsebenen, aber auch an jeder einzelnen lässt sich demonstrieren, wie vertraute, liebevolle Beziehungen aufgebaut und gefestigt werden können.
1. Eltern – Kind
Unsere Fähigkeit, andere zu lieben, beruht auf dem Wissen, dass wir selbst geliebt sind. Erst die tiefe Überzeugung, dass wir ungeachtet unseres Aussehens, unserer Talente, unserer Fähigkeiten und unserer Leistungen geliebt werden, gibt uns das notwendige Selbstvertrauen, um uns anderen Menschen gegenüber zu öffnen. Es befähigt uns, sie an unseren Gedanken und Gefühlen, Hoffnungen und Ängsten teilhaben zu lassen. Wir machen uns verwundbar und können sogar das Risiko eingehen, von anderen abgelehnt zu werden.
Die bedingungslose Liebe der Eltern schenkt einem Kind das Gefühl der Sicherheit sowie das Bewusstsein, dass es wichtig und wertvoll ist – drei Elemente, die seine Entwicklung entscheidend beeinflussen. Ross Campbell, Professor für Kinderheilkunde und Psychiatrie und selbst Vater von vier Kindern, betont, dass wir darauf achten sollten, unsere Liebe nicht vom Verhalten unserer Kinder abhängig zu machen:
Wenn ich meine Kinder nur dann liebe oder meiner Liebe nur dann Ausdruck verleihe, wenn mir ihr Verhalten gefällt, werden sie sich nicht wirklich geliebt und sicher fühlen. Dadurch wird ihr Selbstwertgefühl beeinträchtigt, und sie werden daran gehindert, ein reiferes Verhalten und eine größere Selbstbeherrschung zu entwickeln.1
Das Bild, das wir von uns selber haben, wird schon ab den ersten Monaten unseres Lebens skizziert, und zwar anhand dessen, wie uns unsere Eltern – unserem Empfinden nach – sehen. Indem wir unseren Kindern bedingungslose Liebe schenken, ermöglichen wir es ihnen daher, gute Beziehungen zu anderen Menschen aufzubauen.
2. Mutter – Vater
Eines der größten Geschenke, das wir unseren Kindern machen können, ist die Bereitschaft, an unserer Beziehung als Paar zu arbeiten. Denn das Wissen, dass Mama und Papa alle Schwierigkeiten gemeinsam meistern und sich stets bemühen werden, Unstimmigkeiten beizulegen, vermittelt Kindern ein tiefes Gefühl der Sicherheit. Paare, die nur um der gemeinsamen Kinder willen zusammenbleiben, bringen oft große persönliche Opfer. Doch es reicht nicht, sich irgendwie miteinander zu arrangieren, weil jedes Kind, egal, ob es zwei oder zweiundzwanzig Jahre alt ist, möchte, dass seine Eltern einander lieb haben. Und unseren Kindern können wir nichts vormachen.
Sie beobachten nämlich genau, wie wir miteinander reden: ob wir einander zuhören oder Forderungen stellen, ob wir unhöflich oder respektvoll sind, ob wir einander wertschätzen oder uns ständig gegenseitig kritisieren. Sie bemerken, ob wir einander auch mal in den Arm nehmen oder ob wir Berühungen vermeiden. Sie sehen, wie wir unseren Ärger zum Ausdruck bringen und wie wir Konflikte bewältigen. Sie erkennen, ob wir uns beieinander entschuldigen oder ob wir nie zugeben, dass wir etwas falsch gemacht haben. Und sie spüren ganz deutlich, ob wir nachtragend sind oder einander vergeben.
Unsere Beziehung als Paar dient unseren Kindern als Vorbild. Dabei ist der Eindruck, den wir bei unseren Nachbarn, Arbeitskollegen oder Freunden hinterlassen, längst nicht so wichtig wie das Beispiel, das wir unseren Kindern geben, wenn niemand anders in der Nähe ist. Was sie in unserer Beziehung beobachten, beeinflusst ihre Fähigkeit, anderen Menschen zu vertrauen. Falls die Beziehung zu unserem Partner von Kritik und gegenseitiger Herabsetzung geprägt ist, wird es unseren Kindern schwerfallen, enge Freundschaften aufzubauen, und sie werden eher dazu neigen, andere auf Distanz zu halten.
In unseren „Elternkursen“ (für Kinder von 0 bis 11 und für Teenager von 11 bis 18 Jahre) motivieren wir Paare, die gemeinsam Kinder aufziehen (egal, ob sie verheiratet sind oder nicht), an einem Ehekurs2 teilzunehmen, um in ihre Beziehung zu investieren. Ein verheirateter Mann sagte uns bei einem dieser Kurse: „Mir ist klar geworden, dass es wirklich stimmt, was Sie hier behaupten: Die beste Art, meine Kinder zu lieben, besteht darin, meine Frau zu lieben.“
Kinder, deren Eltern getrennt oder geschieden sind, wünschen sich trotzdem noch aus tiefstem Herzen, dass Mama und Papa sich gut verstehen. Für ihr Glück und ihr Wohlergehen kann es deshalb von entscheidender Bedeutung sein, ob es den Eltern gelingt, an ihrer Beziehung zu arbeiten. Ein vierzehnjähriger Junge, dessen Eltern sich vier Jahre zuvor getrennt hatten, erzählte, wie viel es ihm bedeutete, dass seine Eltern gemeinsam zu einer Schulveranstaltung kamen: „Vor ein paar Monaten hatte ich Geburtstag und an diesem Tag spielte ich in unserer Fußballmannschaft. Ich wünschte mir so sehr, dass meine Eltern bei dem Spiel dabei sein könnten. Als sie dann tatsächlich beide aufgekreuzt sind, war das für mich einer der schönsten Tage meines Lebens.“
Falls Sie alleinerziehend sind, kann es hilfreich sein, wenn Sie auch mit Familien, in denen sowohl Mutter als auch Vater präsent sind, Zeit verbringen. Eine Mutter, deren Kinder ohne jeglichen Kontakt zum Vater aufgewachsen sind, sagte neulich zu uns: „Ich habe mich stets um Kontakt zu anderen Familien bemüht, um meinen Kindern gute Vorbilder zu verschaffen. Sie sollten sehen können, wie sich ein glückliches Paar verhält und wie engagierte Väter mit ihren Kindern spielen. Glücklicherweise hatten sie auch an der Ehe ihrer Großeltern ein wunderbares Vorbild.“
3. Geschwister
Beziehungen unter Geschwistern entstehen, während sie miteinander spielen, sich immer wieder streiten, alles Mögliche miteinander teilen, sich gegenseitig necken und lernen, sich umeinander zu kümmern. Zwar sind Geschwister nicht das einzige Übungsfeld, auf dem soziale Kompetenzen erworben werden können, doch sie sind eine große Hilfe.
Mit Streit unter Geschwistern richtig umzugehen, ist eine der häufigsten und größten Herausforderungen, vor die Eltern sich gestellt sehen. Die meisten Kinder möchten nicht immer und überall mit ihren Geschwistern zusammen sein, und darum ist der Prozess, in dem sie lernen, gut miteinander auszukommen, häufig von vielen Reibereien und Auseinandersetzungen geprägt. Solche Konflikte können die ganze Familie belasten, doch es ist wichtig für den Charakter unserer Kinder, dass sie lernen, in solchen Situationen richtig zu reagieren! Seine Freunde kann man sich aussuchen, aber seine Geschwister muss man nehmen, wie sie sind. Brüder und Schwestern, die in ihrer Kindheit gelernt haben, einander wertzuschätzen, profitieren jedoch häufig auch als Erwachsene noch von ihrer Freundschaft und unterstützen sich gegenseitig.
Schlussfolgerung
Natürlich ist keine Familie perfekt – noch nicht einmal annähernd! Doch ganz gleich, wie unsere persönliche Situation auch aussehen mag: Unsere Familie kann ein Ort bedingungsloser Liebe sein, an dem unsere Kinder lernen, worum es in Beziehungen eigentlich geht. Im alltäglichen Trubel des Familienlebens können sie erfahren, was Liebe ist und wie sie sich anfühlt. Und innnerhalb der Familie können Beziehungen wachsen, auf die sich jedes einzelne Mitglied in guten und in schlechten Zeiten verlassen kann.
Zum Nachdenken
• Was soll „Familie“ für Ihre Kinder bedeuten?
• Wenn Sie nur eine einzige Veränderung in Ihrer Erziehung vornehmen könnten, welche sollte das sein?
• Fühlen sich Ihre Kinder von Ihnen unterstützt, wenn sie traurig oder wütend sind?
• Lachen Sie regelmäßig als Familie zusammen?
• Welches sind die wichtigsten Werte, die Sie an Ihre Kinder weitergeben möchten?
• Was könnten Sie tun, um die Beziehung zu Ihrem Partner zu fördern?
• Falls Sie mehrere Kinder haben, gibt es Dinge, die Sie tun könnten, um Ihren Kindern dabei zu helfen, als gute Freunde aufzuwachsen?
Kapitel 2
Grundlagen für ein gesundes Familienleben
Ich habe das Gefühl, dass ich eine ausgeglichene Persönlichkeit bin. Meine Eltern haben mir nämlich das größte Geschenk gegeben, das Eltern ihren Kindern machen können: das Wissen, dass ich geliebt bin.
Thea (16)
Es gibt keine perfekte Familie, aber ich scheine meine eigene Familie immer mehr zu lieben, je weniger ich die Welt um mich herum durch eine rosarote Brille betrachte.
Tara (20)
Die Art und Weise, wie ich meine einjährige Tochter erziehen möchte, unterscheidet sich grundlegend von meinen eigenen Kindheitserfahrungen. Da ich meinen eigenen Eltern nicht nacheifern will, beobachte ich andere, versuche, so viel wie möglich von ihnen zu lernen, und denke intensiv darüber nach, wie ich mir ein gutes Familienleben vorstelle.
Mutter (30)
Enge Familienbeziehungen zu schaffen, erfordert langfristigen Einsatz. Es gibt keinen Trick, wie man schnell alles unter Kontrolle bekommen kann, sondern man muss sich auf mehreren Ebenen engagieren. Jeder von uns wünscht sich eine Familie, in der eine gesunde Atmosphäre herrscht und in der die heranwachsenden Kinder auf positive Weise gefördert und geprägt werden. Doch dazu ist eine Vision, viel Planung und harte Arbeit nötig.
Man könnte es mit dem Anlegen eines Gartens vergleichen, für den ebenfalls eine langfristige Vision erforderlich ist – auch wenn manche Fernsehsendungen etwas anderes behaupten. Wir müssen eine innere Vorstellung davon entwickeln, wie das noch unbebaute Gelände in zwanzig Jahren aussehen soll.
Der Gärtner muss die richtigen Bedingungen schaffen: Der Boden muss umgegraben und gedüngt werden; die Setzlinge müssen geschützt und das Unkraut im Zaum gehalten werden. Dabei sind die ersten Jahre besonders kritisch. Um schlechten Witterungseinflüssen standhalten zu können, müssen die Pflanzen nämlich fest im Boden verwurzelt sein. Dasselbe gilt in Bezug auf die Familie.
In diesem Kapitel wollen wir uns mit drei Voraussetzungen für ein gesundes Familienleben beschäftigen.
1. Auf ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Berufs- und Privatleben achten
Den Kindern „Quantitätszeit“ einräumen
Für Kinder wird Liebe folgendermaßen buchstabiert: Z-E-I-T. Frischgebackene Eltern merken zu ihrem großen Entsetzen, dass ihr Tag immer noch aus 24 Stunden besteht, obwohl sich die Ansprüche an ihre Zeit über Nacht vervielfältigt haben. Unsere Kinder fügen sich nicht automatisch in unseren bisherigen Tagesablauf ein, in dem wir uns eine gewisse Zeit für unsere persönlichen Interessen und die notwendige Entspannung reserviert hatten. Und merkwürdigerweise brennen sie auch keineswegs darauf, „still und brav“ in ihrem Zimmer zu spielen, damit wir in aller Ruhe duschen, die Post durchschauen oder das Essen kochen können.
Unsere Zeit gehört auch ihnen, und in den kommenden Jahren werden sie nur wenig Verständnis dafür aufbringen, dass wir auch mal unsere Ruhe brauchen. Sogar als Teenager werden sie vermutlich noch annehmen, dass wir ihnen rund um die Uhr zur Verfügung stehen, um ihre Wäsche zu waschen, ihren Chauffeur zu spielen oder sie auf irgendeine andere Weise zu unterstützen.
Unsere Kinder brauchen und wollen nicht nur Qualitäts-, sondern auch Quantitätszeit. Eine junge Mutter erzählte uns, wie sie ihre neue Aufgabe empfand:
Ich hatte keine Ahnung, wie unglaublich selbstlos man sein muss, um ein Baby zu versorgen. Mein zielstrebiges Leben kam abrupt zum Stillstand, denn plötzlich konnte ich nicht die kleinste Arbeit ohne Unterbrechung erledigen. Ich sehnte mich danach, irgendeiner langweiligen Tätigkeit im Haushalt nachgehen zu können, solange ich dabei bloß nicht gestört wurde. Und ich vermisste die Anerkennung und die Befriedigung, die das Berufsleben mit sich bringt und die sich so sehr von dem unscheinbaren Dasein einer Mutter unterscheiden. Gleichzeitig spürte ich jedoch eine überwältigende Liebe für meinen kleinen Sohn Alex – er war für mich das wundervollste Baby, das je zur Welt gekommen ist.
Unsere Kinder werden nur einige wenige Jahre bei uns sein. Zwar mag uns diese Zeit manchmal endlos erscheinen, doch der Augenblick, in dem sie flügge werden, wird ganz plötzlich kommen. Und dann können wir die Uhr nicht mehr zurückdrehen, wie es einem Vater schmerzhaft bewusst wurde:
Ich weiß nicht, ob der Preis, den ich zahlen musste, um dahin zu gelangen, wo ich jetzt bin, nicht viel zu hoch gewesen ist … Ich habe die Kindheit meiner Kinder verpasst. Ich war fast nie für sie da, und wenn ich doch einmal körperlich anwesend war, dann waren meine Gedanken mit anderen Dingen beschäftigt. Ich habe die Leiter des Erfolgs erklommen, und jetzt, wo ich beinahe die oberste Sprosse erreicht habe, wird mir klar, dass die Leiter an der falschen Wand lehnt.1
Es ist nicht nur die Arbeit, die uns davon abhält, unseren Kindern Zeit und Aufmerksamkeit zu schenken. Denn auch wenn wir als Mutter oder Vater zu Hause sind, kann sich unser Terminkalender nur allzu leicht mit allen möglichen Aktivitäten füllen. Vielleicht macht es uns mehr Spaß, Sport zu treiben oder einzukaufen, als kleine Kinder zu versorgen. Und so vertrauen wir sie regelmäßig jemand anderem an, damit er sie beaufsichtigt, ihnen zu essen gibt und sie abends ins Bett bringt. Doch gerade diese unzähligen Stunden, die mit der ganz alltäglichen Routine gefüllt sind, spielen in der Erziehung unserer Kinder eine große Rolle. Eine Mutter, die wir persönlich kennen, hat uns erzählt: „Ich habe gemerkt, dass es mir nicht wirklich Freude macht, mit einem Baby zu spielen. Also bete ich jeden Tag, dass ich Cara trotzdem das geben kann, was sie braucht. Ich muss mich täglich neu dazu aufraffen, sie nicht einfach einer anderen Person zu überlassen.“
Arbeiten gehen oder zu Hause bleiben?
In unseren westlichen Ländern wird heutzutage die Mutter, die ganz zu Hause bleibt, der in Vollzeit berufstätigen Mutter gegenübergestellt. Doch diese Polarisierung wird der sehr viel komplexeren Situation, in der sich die meisten Mütter befinden, keineswegs gerecht. Da häufig beide Elternteile in irgendeiner Form erwerbstätig sind, geht es nicht darum, ob sie ihr Kind in eine Betreuung geben, sondern darum, wie lange sie es einer Tagesmutter, einer Krippe, der Oma oder einer Bekannten anvertrauen. Die Pädagogin Sue Palmer befasst sich in ihrem Buch Toxic Childhood mit der Frage, welche Art der Betreuung für Kinder am besten ist:
Im ersten Lebensjahr sind vertraute Gesichter und ein vertrautes Umfeld von enormer Bedeutung. Diese Phase ist entscheidend für den Aufbau von Bindung und Vertrauen. Beruhigungs-, Schlaf- und Essgewohnheiten spielen sich ein, die Sprachentwicklung beginnt. Alle Entwicklungsexperten und Pädagogen, die ich getroffen habe, stimmen darin überein, dass die elterliche Fürsorge für ein Kind in den ersten achtzehn Lebensmonaten die beste Option ist. Der Entwicklungspsychologe John Bowlby führt in seiner Arbeit aus, dass die „innere Landkarte“ eines Kindes größtenteils durch die während dieser Zeit erlebten Beziehungen gestaltet wird.2
Häufig reicht das Einkommen einer einzigen Person nicht aus, um die Familie zu ernähren. Und manchmal sind beide Partner in eine berufliche Karriere eingebunden, die ihnen sehr viel bedeutet oder für die sie lange Jahre studiert haben. Einer alleinerziehenden Mutter oder einem alleinerziehenden Vater bleibt womöglich nichts anderes übrig, als in Vollzeit zu arbeiten, um den Lebensunterhalt für die Familie zu verdienen. Ein wenig flexibler Arbeitgeber übt dann vielleicht noch zusätzlichen Druck aus. Und es kann durchaus passieren, dass einer Mutter, die sich zu Hause rund um die Uhr um ihr Kind kümmert, diese Aufgabe über den Kopf wächst und sie dadurch depressiv wird. In jeder einzelnen Situation sollte genau abgewogen werden, wie sich die elterliche Fürsorge am besten durch zusätzliche Betreuung ergänzen lässt.
Mutter oder Vater zu sein, heißt, vollen Einsatz zu bringen. Uns sind viele Eltern begegnet, die sich mit Leib und Seele für ihre Kinder engagiert haben. Manche haben eine Karriere an den Nagel gehängt, auf ein größeres Haus verzichtet oder ihre persönliche Entfaltung hintangestellt, um dem Familienleben den ersten Platz einzuräumen. Andere haben weniger anspruchsvolle Jobs gewählt oder eine Teilzeitstelle angenommen, damit sie sich stärker ihren Kindern widmen konnten.
Wer solche Opfer gebracht hat, wird eines Tages nicht voller Entsetzen feststellen müssen, dass die Zeit, die er mit seinen Kindern hätte verbringen können, unwiderruflich vorbei ist. Natürlich lassen sich die vielfältigen Möglichkeiten der Kinderbetreuung nicht alle über einen Kamm scheren, doch normalerweise eignet sich kaum jemand besser als Mama und Papa.
Und ein Kind profitiert ganz gewaltig davon, wenn seine Bezugspersonen nicht ständig wechseln. Wird es nämlich täglich, wöchentlich oder monatlich jemand anderem anvertraut, dann muss es sich jedes Mal neu binden und wieder trennen, was sich negativ auf seine emotionale Entwicklung auswirken kann. Falls also beide Eltern in Vollzeit berufstätig sind, sollte eine Regelung gefunden werden, die dem Kind so viel Geborgenheit wie nur irgend möglich vermittelt.
Wir persönlich halten es für die beste Lösung, wenn in den ersten achtzehn Lebensmonaten entweder die Mutter oder der Vater die Hauptbezugsperson ist – also die Person, mit der das Kind am meisten Zeit verbringt. Ideal wäre es, wenn diese Form der Betreuung bestehen bliebe, bis das Kind in die Schule kommt. Manchmal lässt sich dieses Ziel erreichen, indem beide Partner flexible Arbeitszeiten aushandeln, sodass sich immer einer von beiden um das Kind kümmern kann.
Leider hält die Tatsache, dass Mutter- oder Vatersein im Allgemeinen extrem unterbewertet wird, manche Eltern davon ab, zu Hause bei ihren Kindern zu bleiben. Sue Palmer schreibt:
Die große Lehre, die die Industrieländer aus dem soziologischen Experiment der letzten fünfundzwanzig Jahre ziehen sollte, lautet: Es ist kein Teilzeit-Job oder eine Art Hobby, ein Kind aufzuziehen. Es ist eine echte Arbeit, die eine hohe Qualifikation verlangt, unsere volle Aufmerksamkeit beansprucht und die ganze Person fordert. Infolge des niedrigen Status, den Frauen in der Vergangenheit hatten, wurde dieser traditionelle Aspekt der „Frauenarbeit“ nie angemessen gewürdigt – und ein großer Teil der Industrieländer tut sich immer noch schwer, die Bedeutung dieser Arbeit zu begreifen.3
Sila
Wenn ich zurückschaue, bin ich sehr dankbar, dass ich zu Hause sein konnte, bis alle unsere Kinder in die Schule gekommen sind – auch wenn ich das damals nicht immer geschätzt habe! Als die Kinder älter wurden, habe ich nach und nach immer länger außer Haus gearbeitet. Dabei war es für uns als Familie von großem Vorteil, dass ich einen Teilzeitjob mit flexiblen Arbeitszeiten hatte. Nicky und ich hatten gemeinsam beschlossen, dass ich die feste Größe im Leben unserer Kinder sein sollte, solange sie noch klein waren. Das betraf insbesondere die allabendliche Routine: Abendessen, Baden, Zubettbringen und Gute-Nacht-Geschichte. Als die Kinder dann im Teenageralter waren, habe ich versucht, spätestens um 16:30 Uhr, wenn sie aus der Schule kamen, zu Hause zu sein.