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Die Idee der sympathischen, lebensklugen Denise von Schoenecker sucht ihresgleichen. Sophienlust wurde gegründet, das Kinderheim der glücklichen Waisenkinder. Denise formt mit glücklicher Hand aus Sophienlust einen fast paradiesischen Ort der Idylle, aber immer wieder wird diese Heimat schenkende Einrichtung auf eine Zerreißprobe gestellt. Diese beliebte Romanserie der großartigen Schriftstellerin Patricia Vandenberg überzeugt durch ihr klares Konzept und seine beiden Identifikationsfiguren. Die Überschwemmung war über Nacht gekommen. Niemand hatte damit gerechnet, dass das Wasser den Campingplatz erreichen würde. Doch die schweren Regenfälle hatten die Flüsse innerhalb weniger Stunden anschwellen lassen. Urlaubsfreuden hatten sich in Angst und Not gewandelt. »Müssen wir ertrinken, Onkel Luchs?«, fragte die kleine Peggy mit entsetztem Gesichtchen, als sie vorsichtig zum Fenster des geräumigen Wohnwagens hinausspähte. »Es ist wie mitten im Meer.« Eugen Luchs, Schriftsteller und Märchenonkel, ein etwas untersetzter Mann mit mächtigem rötlichem Vollbart, streichelte Peggy, sein dunkelhäutiges Pflegekind aus Swasiland, beruhigend. »So ein Hochwasser geht schnell vorüber, Peggy. Wir sind hier noch ganz gut dran, weil der Campingplatz etwas höher liegt. Im Dorf mag es übel aussehen.« Peggy kuschelte sich verschüchtert zusammen. Sie fürchtete sich, wollte das aber nicht eingestehen. Die Freude an der schönen Reise nach Kärnten war ihr gründlich vergangen. Indessen versuchte Eugen Luchs sich über Peggys schwarzen Krauskopf hinweg ein wenig zu orientieren. Er sah, dass andere Wagen über die gut befestigte Anfahrt des Campingplatzes zur erhöhten Landstraße gelangten. Sofort entschloss er sich, das ebenfalls zu versuchen, denn ein weiteres Verbleiben auf dem überschwemmten Campingplatz erschien ihm sinnlos. Es war eben acht Uhr, und der Schriftsteller schaltete das Radio ein, um sich zunächst über das Ausmaß der Katastrophe zu informieren. Peggy lauschte den Worten des Sprechers nicht weniger aufmerksam als ihr Pflegevater. Schließlich sagte sie bestürzt: »Überall sind die Flüsse so wild geworden wie hier, Onkel Luchs. Wie kommen wir jetzt hier weg?« »Wir werden versuchen, das Überschwemmungsgebiet zu umfahren, Peggy. Das ist die einzige Möglichkeit. Du brauchst keine Angst
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Die Überschwemmung war über Nacht gekommen. Niemand hatte damit gerechnet, dass das Wasser den Campingplatz erreichen würde. Doch die schweren Regenfälle hatten die Flüsse innerhalb weniger Stunden anschwellen lassen. Urlaubsfreuden hatten sich in Angst und Not gewandelt.
»Müssen wir ertrinken, Onkel Luchs?«, fragte die kleine Peggy mit entsetztem Gesichtchen, als sie vorsichtig zum Fenster des geräumigen Wohnwagens hinausspähte. »Es ist wie mitten im Meer.«
Eugen Luchs, Schriftsteller und Märchenonkel, ein etwas untersetzter Mann mit mächtigem rötlichem Vollbart, streichelte Peggy, sein dunkelhäutiges Pflegekind aus Swasiland, beruhigend.
»So ein Hochwasser geht schnell vorüber, Peggy. Wir sind hier noch ganz gut dran, weil der Campingplatz etwas höher liegt. Im Dorf mag es übel aussehen.«
Peggy kuschelte sich verschüchtert zusammen. Sie fürchtete sich, wollte das aber nicht eingestehen. Die Freude an der schönen Reise nach Kärnten war ihr gründlich vergangen.
Indessen versuchte Eugen Luchs sich über Peggys schwarzen Krauskopf hinweg ein wenig zu orientieren. Er sah, dass andere Wagen über die gut befestigte Anfahrt des Campingplatzes zur erhöhten Landstraße gelangten. Sofort entschloss er sich, das ebenfalls zu versuchen, denn ein weiteres Verbleiben auf dem überschwemmten Campingplatz erschien ihm sinnlos.
Es war eben acht Uhr, und der Schriftsteller schaltete das Radio ein, um sich zunächst über das Ausmaß der Katastrophe zu informieren. Peggy lauschte den Worten des Sprechers nicht weniger aufmerksam als ihr Pflegevater. Schließlich sagte sie bestürzt: »Überall sind die Flüsse so wild geworden wie hier, Onkel Luchs. Wie kommen wir jetzt hier weg?«
»Wir werden versuchen, das Überschwemmungsgebiet zu umfahren, Peggy. Das ist die einzige Möglichkeit. Du brauchst keine Angst zu haben. Schau mal, die anderen Wagen schaffen es auch bis zur Landstraße.«
Tatsächlich fuhren immer mehr Autos mit Anhängern sowie Campingwagen vom überfluteten Platz auf die Straße hinauf. Viel mehr als nasse Füße hatte sich hier offenbar keiner geholt. Doch der Rundfunk hatte berichtet, dass andernorts Menschen in ernste Gefahr geraten waren.
»Ob sie in Sophienlust jetzt denken, dass wir schon tot sind?«, fragte Peggy mit runden Kinderaugen.
»Ich hoffe, sie machen sich keine Sorgen um uns, Peggylein. Aber wir werden ihnen vielleicht ein Telegramm schicken, falls wir an einem Postamt vorüberkommen.«
Eugen Luchs richtete das Innere des Wohnwagens für die Weiterfahrt her und versorgte Peggy und sich selbst mit Frühstück. Auch Balthasar, Peggys kleiner Collie, bekam etwas.
Schließlich stapfte Eugen Luchs in hohen Gummistiefeln einmal um seinen Wohnwagen herum und überzeugte sich, dass alles in Ordnung war. Ein Blick unter die Motorhaube wirkte recht beruhigend. Die Wassermassen hatten keinen Schaden angerichtet.
Der Schriftsteller, das Kind aus dem fernen Afrika und der kleine Hund setzten sich nun auf die Vordersitze. Willig sprang der Motor an. Trotzdem erwies es sich als schwierige Aufgabe, den schweren Wagen im Wasser auf dem schlammigen Wiesengrund zu wenden und zur befestigten Anfahrt zu lenken. Erst nach mehrmaligen vergeblichen Versuchen hatten sie festeren Boden unter den Rädern und erreichten endlich die höher gelegene Landstraße. Dort warteten andere Feriengäste, die vom Unwetter überrascht worden waren. Man tauschte Erfahrungen und Ratschläge aus. Doch Genaueres war nicht zu erfahren.
Eugen Luchs zog seine Karte zu Rate und beschloss, sich zunächst nach Westen zu wenden, um das mutmaßliche überschwemmte Gebiet in weitem Bogen zu umgehen.
Peggy schöpfte wieder Mut, sobald sie ein Stück gefahren waren. Im nahegelegenen Dorf sah es wider Erwarten gar nicht so schlimm aus. Einige Häuser am Fluss waren in Mitleidenschaft gezogen und standen im Wasser. Doch die Bewohner hatten sich rechtzeitig in Sicherheit bringen können. Niemand sei zu Schaden gekommen, hieß es.
Im Postamt gab Eugen Luchs ein Telegramm auf. Es war an Frau Denise von Schoenecker, Kinderheim Sophienlust, adressiert.
»In zwei bis drei Stunden weiß Tante Isi, dass uns nichts passiert ist«, sagte er zu Peggy, die brav im Wagen gewartet hatte.
»Das ist gut«, meinte die kleine Schwarze. »Sie würden sich bestimmt ängstigen. Und Henrik natürlich auch.«
»Die anderen Kinder nicht?«, fragte Eugen Luchs lächelnd.
»Alle, das ist doch klar, Onkel Luchs. Aber Henrik ganz besonders, weil er mein bester Freund ist.«
»Schon gut, Peggylein. Fahren wir weiter. Angeblich soll es weiter flussabwärts schlimmer sein mit dem Hochwasser. Wir werden es erleben.«
»Balthasar, einsteigen, wir fahren weiter«, rief Peggy dem entzückenden Collie zu, der ein bisschen auf der Dorfstraße herumgetollt hatte.
Nur ungern kehrte der kleine Hund in den Wagen zurück. Zwar liebte er Peggy abgöttisch und wollte sich um keinen Preis von ihr trennen, doch waren lange Wagenfahrten nicht unbedingt nach seinem Hundegeschmack.
Weiter ging’s. Leider stellte sich schon nach wenigen Kilometern heraus, dass sie nun erst richtig ins Hochwassergebiet hineinkamen. Zudem öffnete der Himmel unversehens erneut seine Schleusen und ließ nochmals riesige Wassermassen herab. Man konnte kaum noch etwas sehen. Aber an eine Umkehr war auf der verhältnismäßig schmalen Uferstraße auch nicht zu denken.
Eugen Luchs hielt an einer etwas geschützten Stelle an. Ringsum war plötzlich eine Wasserwüste. Im Fluss neben der Straße trieben Holzstücke und Bäume in rasendem Tempo vorbei. Mit Besorgnis stellte der Schriftsteller fest, dass das Wasser ständig stieg, und zwar sehr rasch. Er konnte sich ausrechnen, dass die Uferstraße bald überschwemmt sein würde. War es ein Fehler gewesen, dass er weitergefahren war?
Im fast undurchdringlichen Regen wurden jetzt die Umrisse eines Personenwagens sichtbar, der unmittelbar hinter dem Wohnwagen des Schriftstellers hielt. Eine verängstigte Familie saß in dem Wagen. Eugen Luchs stieg aus und verständigte sich mit dem Fahrer, der Mühe hatte, seine Frau und seine beiden Kinder zu beruhigen. Man beschloss, zunächst einmal abzuwarten.
Nass, aber zufrieden, kehrte Eugen Luchs zu Peggy und Balthasar zurück. Er gab Peggy einen Apfel und sagte ermunternd: »Jedenfalls kannst du später in Sophienlust erzählen, dass wir ein richtiges Abenteuer erlebt haben.«
»Ist das ein Abenteuer?«
»Das kann man wohl sagen. Wir sind regelrecht vom Wasser abgeschnitten. Die Straße führt dort hinten bergab und mitten hinein ins Wasser. Schau, jetzt kommen schon ein paar Wellen bis zu uns herauf.«
»So ein Wohnwagen müsste schwimmen können«, piepste Peggy besorgt.
»Seetüchtig sind wir leider nicht. Aber es ist anzunehmen, dass wir hier keine nassen Füße bekommen werden. Wir müssen nur Geduld haben.«
Peggy schwieg. Sie war nicht ganz getröstet.
Nach etwa zwei Stunden war die Straße völlig überflutet. Eugen Luchs betrachtete das gelblich-schmutzige Wasser des sonst so harmlos wirkenden Flüsschens mit gerunzelter Stirn und strich nachdenklich über seinen Vollbart. »Ich rede noch einmal mit dem Herrn im Auto da hinten, Peggy. Versprich mir, dass du dich nicht von der Stelle rührst.«
»Kommst du auch gleich wieder?«, fragte Peggy unsicher. »Ich bleibe nicht gern allein.«
»Balthasar ist ja bei dir. Es dauert auch nur ein paar Minuten, dann bin ich wieder da.«
»Okay, Onkel Luchs. Aber bestimmt nur ein paar Minuten. Sonst habe ich nämlich Angst – wegen des Wassers. Es wird immer mehr.«
Damit hatte die kleine schwarze Peggy wirklich recht. Eugen Luchs wollte nicht zugeben, dass auch ihm das ständig steigende Wasser bereits unheimlich wurde. Vorsichtig öffnete er die Seitentür des Wagens, um auszusteigen. Doch er hatte dabei nicht auf den kleinen Collie geachtet, der sich eingeschlossen fühlte und ausgerechnet in diesem ungeeigneten Augenblick einen unwiderstehlichen Drang nach Freiheit verspürte. Der Hund schlüpfte, ohne die Gefahr zu erkennen, ins Freie und wurde sofort vom Wasser weggerissen.
»Balthasar!«, schrie Peggy so laut, dass Eugen Luchs zusammenfuhr. Schon wollte sie ihrem Liebling nachspringen, um ihn zu retten. Doch dem Schriftsteller gelang es, sie zurückzuhalten. Peggy wehrte sich und strampelte wild um sich. »Lass mich, ich muss Balthasar retten«, keuchte sie. »Er ertrinkt.«
Eugen Luchs hatte Mühe, sein Pflegetöchterchen zu bändigen. »Du willst wohl auch weggeschwemmt werden, du Dummchen?«, schalt er liebevoll. »Das Wasser ist gefährlich. Nur hier im Wagen bist du sicher.«
»Sehe ich Balthasar nie wieder?«, schluchzte Peggy verzweifelt. »Ich habe ihn doch lieb. Du darfst ihn nicht ertrinken lassen.«
»Ich will alles versuchen, Peggy. Aber ich fürchte, jede Hilfe kommt für unseren kleinen Freund schon zu spät. Erst einmal musst du vernünftig sein und mir dein Ehrenwort geben, dass du im Wagen bleibst.«
Peggy beruhigte sich. »Gut, ich bleibe hier. Schau mal, da ist er!«, die scharfen Augen des Naturkindes aus Afrika hatten den Collie erspäht. Der Hund klammerte sich ein Stück flussabwärts an einen Baum, der vom Wasser schon teilweise entwurzelt war.
Eugen Luchs platzierte zunächst Peggy sicher auf dem Vordersitz und ergriff ihre braune Patschhand.
»Ehrenwort – du rührst dich nicht von der Stelle?«
»Großes Ehrenwort, Onkel Luchs. Mach bloß schnell, sonst kann sich Balthasar nicht mehr halten.«
Das Missgeschick des Hundes war auch vom anderen Wagen aus beobachtet worden. Gleichzeitig mit Eugen Luchs schickte sich der Vater der beiden Kinder an, einen Rettungsversuch zu unternehmen, obwohl seine Frau ihn zurückzuhalten versuchte.
Atemlos vor Spannung und Angst verfolgte Peggy das Manöver. Ihr geliebter Onkel Luchs und der Fremde arbeiteten sich Schritt für Schritt durch das Wasser vorwärts, das ihnen bis über die Waden reichte. Sie mussten äußerst vorsichtig sein, um nicht am Rande der schmalen Uferstraße ins tiefe Wasser zu geraten. Deshalb hielten sie sich ganz dicht am Hang und fassten einander bei den Händen um jedes Risiko auszuschalten.
Peggy hatte das Fenster heruntergekurbelt. »Halte dich fest, Balthasar. Es dauert nicht mehr lange«, rief sie ihrem kleinen Hund zu.
Endlich konnte Eugen Luchs das zitternde Tier in die Arme nehmen und den Rückweg antreten. »Dummer kleiner Balthasar«, schalt er mit seiner tiefen Stimme. »Das hättest du dir und uns ersparen können.«
Der Collie winselte leise. Wahrscheinlich sollte das heißen, dass es ihm leid tue.
Nun, da der Hund in Sicherheit war, spähten die beiden Männer über die tosende Wasserwüste. Man sah jetzt nicht nur Möbelstücke flussabwärts treiben, sondern auch Teile eines Daches. Das waren Anzeichen einer Katastrophe, die flussaufwärts im Gange sein musste.
Kurz vor dem Wohnwagen verhielt Eugen Luchs plötzlich den Schritt. »Da sehen Sie, ein Kind!«, rief er erregt aus.
In unmittelbarer Nähe des Ufers trieb ein großes Brett, an das sich voller Angst ein kleines Kind festklammerte.
Die beiden Männer verstanden einander auch ohne Worte. Keiner kannte vom anderen den Namen, aber beide wussten, dass sie das Kind retten mussten, koste es, was es wolle.
»Pass auf, Peggy!« Eugen Luchs öffnete die Tür des Wohnwagens und stieß den Hund hinein. Dann wandte er seine volle Aufmerksamkeit dem Kind im Wasser zu.
Die beiden Männer mussten sich beeilen, damit das Brett nicht vorübertrieb. Ohne zu zögern verließ der Schriftsteller die noch einigermaßen sichere Straße und trat auf die tiefer liegende Uferwiese, die zu diesem Zeitpunkt schon mit zum Flussbett gehörte. Der Fremde folgte ihm.
Wieder hielten die beiden Männer sich bei den Händen. Glücklicherweise verloren sie nicht den Boden unter den Füßen. Mit vereinten Kräften gelang es ihnen, das Brett zu fassen, als es herantrieb. Es drehte sich zunächst ein paarmal und drohte in die Mitte des Flusses gewirbelt zu werden, kam aber schließlich wie durch ein Wunder genau auf Eugen Luchs zu, der es mit beiden Händen packte, ohne auf seine eigene Sicherheit zu achten.
Der Fremde griff ebenfalls sofort zu. Das Kind, ein kleines Mädchen, war durchnäßt und vor Angst oder Kälte völlig erstarrt. Es war ein hartes Stück Arbeit für die beiden Männer, mit dem Kind zu den beiden Wagen zurückzukehren.
»Welch ein Segen«, flüsterte die Frau des unbekannten Helfers. »Ich habe gezittert. Sie schwebten beide in Lebensgefahr. Doch nun ist das Kind gerettet.«
Fürsorglich und liebevoll nahm sie sich des kleinen Mädchens an. Ihre Kinder halfen ihr dabei. Das kleine Mädchen wurde entkleidet, trockengerieben und in eine Decke eingewickelt, die Eugen Luchs brachte. Da im Wohnwagen mehr Platz war, legten sie das Kind auf Peggys Bett, wo es teilnahmslos, mit geschlossenen Augen vor sich hin dämmerte.
Nun endlich ergab sich die Gelegenheit einer gegenseitigen Vorstellung. »Ich bin Arzt«, sagte der Fremde. »Mein Name ist Dr. Henseler.«
»Eugen Luchs«, entgegnete der Schriftsteller und machte dazu eine kleine Verbeugung. »Wollen Sie die Kleine untersuchen? Sie gefällt mir nicht. Wasser hat sie nicht geschluckt. Aber so, wie sie da liegt …«
Dr. Henseler beugte sich über das schmale Bett. Er fühlte den Puls des Kindes, tastete den kleinen Körper nach Verletzungen ab und prüfte einige Reflexe.
»Wie heißt du?« fragte er freundlich. »Dir ist nichts passiert. Du brauchst jetzt auch keine Angst mehr zu haben. Schau nur, der Regen hat aufgehört. Sobald wir durchkommen können, bringen wir dich nach Hause.«
Das Kind starrte ihn nur an und schwieg. Es weinte nicht einmal.
Der Arzt stellte einige weitere Untersuchungen an und deckte die Kleine schließlich wieder sorgsam zu. »Setz dich zu ihr«, wandte er sich an Peggy. »Es tut ihr sicher gut, wenn jemand recht freundlich mit ihr spricht. Sie fürchtet sich.«
»Warum denn?«, wunderte sich Peggy, die Balthasar trockengerubbelt hatte und ihn nun zärtlich an sich drückte. »Balthasar ist schon wieder ganz lustig. Sie kann sich doch freuen, dass sie aus dem Wasser heraus ist.«
Dr. Henseler strich über Peggys Krauskopf, aber erst draußen sagte er zu Eugen Luchs: »Sie hat einen Schock erlitten. Es muss schrecklich für sie gewesen sein, so hilflos im Wasser zu treiben. Wir wollen sie jetzt nicht unnötig mit Fragen quälen.«
»Du musst endlich etwas Trockenes anziehen«, drängte Frau Henseler ihren Mann.
Da besann sich auch Eugen Luchs, dass er bis auf die Haut durchnäßt war und obendrein einen seiner schönen Gummistiefel verloren hatte. Dennoch war er glücklich. Er sagte sich, dass sie das kleine Mädchen ohne Balthasars waghalsigen Ausflug möglicherweise nicht bemerkt hätten. Was wogen ein paar nasse Kleidungsstücke und ein verlorener Stiefel schon gegen die Rettung eines Kindes?
Er blickte zum Himmel empor. Zwischen den jagenden Wolkenfetzen zeigte sich ein erster Sonnenstrahl. In ein paar Stunden würden sie es wagen können, zum nächsten Ort zu fahren, sofern die Uferstraße nicht an irgendeiner Stelle weggerissen worden war.
In der Abgeschiedenheit der Wasserwüste entstand von selbst eine freundschaftliche Gemeinschaft. Frau Henseler teilte Vorräte aus, und Eugen Luchs steuerte aus seinem Proviant etwas bei. Die Kinder bewunderten Balthasar, der jedoch jetzt nicht mehr dazu zu bewegen war, den sicheren Wohnwagen zu verlassen.
»Das Wetter wird besser«, stellte Dr. Henseler fest. »Es kommt mir vor, als fange das Wasser schon an zu fallen.«
Eugen Luchs nickte. »Das geht rasch hier. Ehe man sich’s versieht, ist man vom Hochwasser eingeschlossen, aber fast ebenso schnell verschwindet der Spuk wieder. Trotzdem richtet ein solches Unwetter oft viel Unheil an. Wer weiß, was aus den Eltern des kleinen Mädchens geworden ist, das wir gerettet haben.«
Es dauerte dennoch bis zum frühen Abend, ehe sie vorsichtig die Weiterfahrt antreten konnten, ständig darauf gefasst, von einem Hindernis aufgehalten zu werden.
Peggy kauerte auf dem Fußboden des Wohnwagens neben dem Bett und flüsterte auf das fremde Kind ein, das etwa drei oder vier Jahre alt sein mochte.
Mit Dr. Henseler verständigte sich Eugen Luchs durch laute Zurufe. Einmal blieb der Personenwagen im Schlamm stecken. Die beiden Männer schoben ihn wieder an, während Frau Henseler am Steuer saß. Eine Vergnügungsfahrt war es nicht, und sie brauchten zu den sieben Kilometern anderthalb Stunden. Es war wie eine Erlösung, als das erste Haus auftauchte, ziemlich hoch am Hang gelegen und vom Hochwasser unberührt. Sie hielten an und erkundigten sich, was im Dorf geschehen war.
Nur die alte Großmutter war daheim. Alle anderen Hausbewohner waren ins Dorf geeilt, um zu helfen. Die Großmutter berichtete, dass es Tote und Verletzte gegeben habe. Einige Häuser seien völlig zerstört worden. Auch Vieh sei ertrunken.
Bedrückt setzten sie die Fahrt fort. Im Ort wandten sie sich sogleich an die Polizei, um die Rettung des Kindes zu melden.
»Der Name?«, fragte der Beamte.
»Das Kind hat ihn uns bis jetzt nicht genannt«, erwiderte Eugen Luchs. »Aber es muss ja aus der Gegend hier sein. Wahrscheinlich aus einer der kleinen Ortschaften flussabwärts.«
»Das ist richtig. Vielleicht kann jemand die Kleine erst einmal aufnehmen. Mit den Personalien beschäftigen wir uns später. Es gibt Wichtigeres zu tun. Sie können sowieso nicht weiterfahren.«
»Wieso nicht?«, fragte Eugen Luchs betroffen.
»Die Brücke ist weggerissen worden. Ein paar Tage werden Sie wohl hierbleiben müssen. Bis dahin dürfte sich auch herausstellen, wem das Kind gehört.«
Eugen Luchs kehrte zu den Henselers und zu Peggy zurück.
»Ja, ich habe schon gehört, dass man nicht weiterfahren kann«, sagte der Doktor. »Außerdem fehlt hier dringend ein Arzt. Ich habe mich zur Verfügung gestellt. Wir können glücklicherweise ein Zimmer im Gasthof bekommen. In allen übrigen Zimmern wohnen bereits Obdachlose. Genügt Ihnen Ihr Wohnwagen? Sonst bringen wir Sie und die beiden Kinder eben auch noch in dem einen Raum unter. Es sind Notzeiten.«
»Danke, Doktor. Wir sind daran gewöhnt, im Wagen zu übernachten. Sie werden es zu viert gerade eng genug haben. Selbstverständlich helfe ich gern bei den Aufräumungsarbeiten, falls man mich brauchen kann.«
»Fragen Sie den Bürgermeister. Er leitet den gesamten Einsatz. Es ist erstaunlich, wie umsichtig und besonnen diese Katastrophe hier gemeistert wird.«
So mussten sie zunächst in dem kleinen Ort am Fluss ausharren. Eugen Luchs stellte den Wohnwagen neben dem Gasthof ab. Das gerettete Kind bekam Kleider aus dem Dorf. Es ließ sich ankleiden wie ein Püppchen. Doch nach einer Weile begann es leise vor sich hin zu weinen.
»Kümmere dich um sie, Peggy«, flüsterte der Schriftsteller der kleinen Schwarzen ins Ohr. »Ich muss im Dorf helfen. Es ist allerlei passiert.«
Peggy nickte ernsthaft. Sie kam sich sehr wichtig vor.
»Musst nicht weinen«, sagte sie zu der Kleinen. »Schau, Balthasar mag dich.«
Der Collie schnupperte am Beinchen des Kindes.
»Mutti«, schluchzte die Kleine auf. »Wo ist meine Mutti?«
Peggy legte das Krausköpfchen schief. »Weiß ich nicht«, gestand sie freimütig. »Ich kenne sie doch gar nicht.«
»Mutti«, wiederholte das Kind kläglich.
»Onkel Luchs findet deine Mutti vielleicht. Er ist furchtbar klug und kann beinahe alles. Als ich niemanden mehr hatte, ist er einfach gekommen und hat mich aus Afrika nach Deutschland mitgenommen. Kannst du dir das vorstellen?«
Das Kind schüttelte den Kopf. Es war ein hübsches kleines Mädchen mit langem Blondhaar. Aber es sah erbärmlich traurig aus, weil es sich nach seiner Mutter sehnte.