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Die Idee der sympathischen, lebensklugen Denise von Schoenecker sucht ihresgleichen. Sophienlust wurde gegründet, das Kinderheim der glücklichen Waisenkinder. Denise formt mit glücklicher Hand aus Sophienlust einen fast paradiesischen Ort der Idylle, aber immer wieder wird diese Heimat schenkende Einrichtung auf eine Zerreißprobe gestellt. Diese beliebte Romanserie der großartigen Schriftstellerin Patricia Vandenberg überzeugt durch ihr klares Konzept und seine beiden Identifikationsfiguren. Denise von Schoenecker sah den Besucher aufmerksam an. Dr. med. Lars Constantin brachte eine Empfehlung von Jutta und Herbert Fischer mit. Eine gute Empfehlung, denn das Ehepaar Fischer war mit Sophienlust durch herzliche Beziehungen verbunden. Während Juttas schwerer Erkrankung waren die drei Kinder des Paares in Sophienlust gewesen. Später hatte sich die Mutter hier endgültig erholt.»Herr und Frau Fischer erteilten mir den Rat, mich an Sie zu wenden, verehrte gnädige Frau«, erklärte der Arzt etwas zögernd. »Ich weiß, dass ein Kind nirgends so gut aufgehoben sein kann wie in Sophienlust. Schon die ganze Vorgeschichte des Heims hat etwas Besonderes.Die schlanke dunkelhaarige Herrin von Sophienlust wies auf das große Gemälde an der Wand des im Biedermeierstil eingerichteten Zimmers, das eine alte Dame zeigte. »Das Testament Sophie von Wellentins?«, meinte sie lächelnd. »Sie hinterließ das Gut mit dem Herrenhaus meinem Sohn aus erster Ehe, ihrem Urenkel. Es war ihr Wunsch, dass daraus eine Zufluchtsstätte für in Not geratene Kinder werden solle.»Dass es eigentlich Ihrem Sohn gehört, wusste ich nicht«, warf der Arzt interessiert ein.»Nick war damals erst fünf Jahre alt«, versetzte Denise gedankenvoll. »Also fiel zunächst mir die Aufgabe zu, den Willen der alten Dame zu verwirklichen. Inzwischen sind viele Jahre vergangen. Nick geht jetzt ins Gymnasium und hat schon eine tiefe Stimme.
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Seitenzahl: 146
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Denise von Schoenecker sah den Besucher aufmerksam an. Dr. med. Lars Constantin brachte eine Empfehlung von Jutta und Herbert Fischer mit. Eine gute Empfehlung, denn das Ehepaar Fischer war mit Sophienlust durch herzliche Beziehungen verbunden. Während Juttas schwerer Erkrankung waren die drei Kinder des Paares in Sophienlust gewesen. Später hatte sich die Mutter hier endgültig erholt.
»Herr und Frau Fischer erteilten mir den Rat, mich an Sie zu wenden, verehrte gnädige Frau«, erklärte der Arzt etwas zögernd. »Ich weiß, dass ein Kind nirgends so gut aufgehoben sein kann wie in Sophienlust. Schon die ganze Vorgeschichte des Heims hat etwas Besonderes.«
Die schlanke dunkelhaarige Herrin von Sophienlust wies auf das große Gemälde an der Wand des im Biedermeierstil eingerichteten Zimmers, das eine alte Dame zeigte. »Das Testament Sophie von Wellentins?«, meinte sie lächelnd. »Sie hinterließ das Gut mit dem Herrenhaus meinem Sohn aus erster Ehe, ihrem Urenkel. Es war ihr Wunsch, dass daraus eine Zufluchtsstätte für in Not geratene Kinder werden solle. Vom ersten Tag an ruhte ihr Segen auf diesem Werk …«
»Dass es eigentlich Ihrem Sohn gehört, wusste ich nicht«, warf der Arzt interessiert ein.
»Nick war damals erst fünf Jahre alt«, versetzte Denise gedankenvoll. »Also fiel zunächst mir die Aufgabe zu, den Willen der alten Dame zu verwirklichen. Inzwischen sind viele Jahre vergangen. Nick geht jetzt ins Gymnasium und hat schon eine tiefe Stimme. Ich selbst fand hier noch einmal das Glück, auf das ich nach dem Tod meines ersten Mannes kaum mehr zu hoffen wagte.«
»Ja, davon sprachen die Fischers. Die Atmosphäre in Sophienlust sei von Ihrem harmonischen Familienleben stark geprägt, erzählten sie. Gerade das ermutigt mich, Sie darum zu bitten, meine kleine Effi für eine Weile bei sich aufzunehmen. Aber vielleicht haben Sie keinen Platz?« In den grauen Augen Dr. Constantins erwachte leichte Unruhe. Es schien ihm viel daran zu liegen, sein Töchterchen in Sophienlust unterzubringen.
Denise erwiderte seinen Blick mit Wärme. »Es ist immer ein schwerer Entschluss, wenn man sich von seinem Kind trennen soll, Dr. Constantin. Ich selbst war nach dem Tod meines ersten Mannes gezwungen, meinen Jungen in ein Heim zu geben. Es wurde eine schlimme Zeit, sowohl für mich als auch für Nick. Haben Sie keine Möglichkeit, Ihr kleines Mädchen weiterhin in Wiesbaden zu behalten? Es ist doch nun schon ein Jahr lang irgendwie weitergegangen.«
Nervös strich sich Lars Constantin übers Haar. »Anfangs war es nicht so – so kompliziert, Frau von Schoenecker. Erst allmählich wirkte sich der Tod meiner Frau spürbar aus. Während ihrer schweren Krankheit stand uns meine Schwägerin bei, die Ärztin ist. Auch in der ersten Zeit danach war sie da und kümmerte sich um Effi. Dann trat sie einen sehr arbeitsreichen Posten als Assistenzärztin an einer großen Klinik an. Es ist schließlich ihr Berufsziel, das auf dem Spiel steht. Ich konnte kaum erwarten, dass sie sich bis in alle Ewigkeit für uns aufopfert. Der Haushalt funktionierte einigermaßen, denn wir stellten schon während der Krankheit meiner Frau eine sehr zuverlässige Wirtschafterin ein.«
»Ich möchte vorausschicken, dass wir genügend Platz haben und Ihre Tochter herzlich gern aufnehmen wollen, Dr. Constantin. Trotzdem müssen Sie mir erlauben, dass ich die Dinge sozusagen im Interesse des Kindes betrachte. Deshalb frage ich mich, ob die Haushälterin nicht die Gewähr bieten würde, dass Effi sich daheim geborgen fühlt. Der Verlust der Mutter ist hart und einschneidend für ein Kind. Nun soll auch noch eine längere Trennung vom Vater erfolgen …«
»Nicht für alle Zeit, gnädige Frau. Ich dachte an eine Überbrückung bis zum Beginn meines Urlaubs. Dann möchte ich mit Effi eine schöne Reise unternehmen.«
»Und später?« Denise spürte undeutlich, dass der sympathische, gut aussehende Arzt ihr zwar vertraute, ihr jedoch nicht alles anvertrauen wollte, was ihn zu seinem Vorgehen bewog.
»Dann werde ich Effi hoffentlich wieder zu mir nach Wiesbaden nehmen können, Frau von Schoenecker«, antwortete Dr. Constantin etwas unbestimmt.
»Wie ist das Verhältnis zwischen der Haushälterin und Effi? Gibt es da Schwierigkeiten?«, erkundigte sich Denise teilnahmsvoll. »So etwas kommt vor und kann zum Problem werden.«
»Unsere gute Mathilde ist ein bisschen zu alt, fürchte ich«, erwiderte Lars Constantin leise. »Ich habe eine lebhafte Praxis und sehe Effi oft den ganzen Tag über nicht. Das Kind verkümmert, wenn es immer nur mit der alten Frau zusammenhockt. Ein Versuch, Effi in den Kindergarten zu geben, schlug leider fehl. Effi hockte stundenlang in einer Ecke und weinte, ohne sich an die übrigen Kinder anzuschließen. Ich verspreche mir von einem Aufenthalt hier bei Ihnen sehr viel. Wenn Effi ganz neue Eindrücke erhält, wird sie sicher wieder ein so fröhliches und unbeschwertes Kind sein wie früher.«
»Das also ist es«, stellte Denise aufatmend fest. »Die kleine Effi hat Ihnen Sorgen gemacht. Nun, ich gebe Ihnen recht. Unter diesen Umständen wird sich das Zusammenleben mit unseren Kindern möglicherweise günstig auswirken. Wie alt, sagten Sie, ist Effi?«
»Vier Jahre. Aber man könnte sie für fünf halten. Sie redet manchmal richtig altklug daher. Das hat sie von Mathilde, unserer Haushälterin, angenommen. Hier habe ich ein Foto. Die Aufnahme ist vor einigen Monaten gemacht worden. Meine Schwägerin hat sie aufgenommen.«
Das Bild zeigte ein niedliches blondes Mädchen, das betulich eine Puppe betreute. Denise betrachtete die Aufnahme eine ganze Weile, ehe sie sie dem Vater zurückreichte.
»Ein entzückendes Kind, Dr. Constantin. Sie sollten sich nicht zu lange von Effi trennen. Die Liebe eines Vaters können wir in Sophienlust nicht ersetzen, so heiter es auch bei uns zugehen mag.«
»Ja, das weiß ich. Trotzdem ist es im Augenblick sicherlich am besten für Effi. Ich möchte Sie herzlich bitten, mein Kind zu sich zu nehmen, gnädige Frau.«
Denise von Schoenecker warf unwillkürlich einen Blick auf das Bildnis Sophie von Wellentins. Ihr war dabei, als nicke die weißhaarige Dame ihr unmerklich zu. Denise hielt oft stumme Zwiesprache mit Nicks Urgroßmutter. Natürlich wusste sie, dass das Gemälde sich niemals veränderte. Es waren sozusagen ihre eigenen Gedanken und Überlegungen, die sie in das feingezeichnete Antlitz der alten Dame hineininterpretierte.
»Selbstverständlich, lieber Doktor. Sie können uns Effi jederzeit bringen. Wir werden uns Mühe geben, ihr eine schöne Zeit zu bereiten. Es gibt hier sehr viele Abwechslungen für die Kinder, unter anderem Ponys, auf denen geritten werden kann. Auch die Tiere in den Stallungen sind interessant für groß und klein. Hinzu kommen allerlei vierbeinige oder gefiederte Lieblinge unserer Heimbewohner. Außerdem gibt es drüben in Bachenau bei meiner Tochter Andrea ein richtiges Tierheim.«
»So einiges weiß ich schon durch die Fischers, Frau von Schoenecker. Ich bin ganz zuversichtlich, dass Effi sich bei Ihnen wohlfühlen wird. Die drei Fischerkinder wollen ja sogar die nächsten Ferien hier verbringen, wie ich hörte.«
»Ja, die Verbindung zwischen Sophienlust und den Kindern, die einmal hier waren, bleibt meistens bestehen. Das alte Haus ist so groß, dass wir auch zahlreichen Besuch unterbringen können, wenn es sich als nötig erweist.«
»Heutzutage baut man anders«, meinte der Arzt. »Dieses Haus hat etwas Besonderes. Das spürt man sofort.«
Denise reichte Dr. Constantin ein Blatt, auf dem die Grundausstattung aufgeführt war, die ein Kind nach Möglichkeit mitbringen sollte. Auch der Preis für die Unterbringung war aufgeführt. »Falls Sie nicht in der Lage sein sollten, voll zu bezahlen, Dr. Constantin, kann unsere Stiftung einen Teil der Kosten übernehmen.«
Lars Constantin lächelte matt. »Ein finanzielles Problem ist es nun wirklich nicht, liebe Frau von Schoenecker.«
Denise sah ihn ruhig an. »Ich erwähne das immer. Es macht unsere Arbeit so leicht und beglückend, dass wir in geldlicher Hinsicht unabhängig sind und stets helfen können.«
»Ja, das mag in manchen Fällen wichtig sein«, räumte der Doktor ein. »Ich gestehe, dass ich darüber gar nicht nachgedacht habe. Geld hat für mich noch nie eine wichtige Rolle gespielt.«
»Darf ich Ihnen eine Erfrischung anbieten? Möchten Sie sich das Haus ansehen?«
Dr. Constantin blickte auf seine Uhr. »Vielen Dank, gnädige Frau. Ich möchte lieber zurückfahren. Darf ich Effi dann am kommenden Samstag bringen?«
»Gern. Ich freue mich auf Ihr Töchterchen, Dr. Constantin. Werden Sie Effi sagen, dass sie später mit Ihnen verreisen soll? Das müsste ich wohl wissen, damit ich mich entsprechend verhalte.«
»Ja, ich sage es ihr. Dann fällt ihr der Abschied hoffentlich nicht gar zu schwer. Sie hängt an mir. Nun ja, ich habe sie halt auch sehr lieb.«
Denise reichte ihm die Hand. Sie war endgültig davon überzeugt, dass dieser Vater das Beste für das Kind wollte und in Sophienlust nicht etwa eine willkommene Gelegenheit erblickte, Effi für eine Weile loszuwerden. Denn auch solche Fälle gab es leider. Denise von Schoenecker hatte schon viele Erfahrungen gesammelt.
Dr. Lars Constantin verabschiedete sich. Er nahm von der schlanken Frau im Biedermeierzimmer des Herrenhauses von Sophienlust einen bleibenden Eindruck mit. Klugheit, Herzenswärme sowie eine starke persönliche Ausstrahlung gingen von ihr aus. Der Arzt fand, der Mann, der diese Frau sein eigen nannte, war zu beneiden.
Mit selbstverständlicher Liebenswürdigkeit begleitete Denise den Besucher zu seinem Wagen. Dr. Constantin warf einen letzten Blick an der stolzen, fast schlossartigen Fassade des Hauses empor. »Leben Sie wohl und vielen Dank«, sagte er herzlich. »Ich fahre sehr erleichtert zurück.«
Denise blickte dem schweren Wagen nach. Eine unbestimmte Traurigkeit wollte sie überfallen. Sie dachte an das kleine blonde Mädchen, das keine Mutter mehr hatte. Würde der Arzt sich eines Tages für eine andere Frau entscheiden? Würden dann wieder glückliche Zeiten für das Kind kommen?
*
Im Gasthof von Wildmoos saß eine Frau, die sich in der einfachen Umgebung recht seltsam ausnahm. Sie war zweifellos hübsch, wenn nicht sogar schön. Tiefdunkle Augen zu üppigem kastanienfarbenem Haar. Ein schmales Gesicht, eine feine stolze Nase. Dazu ein voller Mund, um den sich bereits eine Linie fest eingegraben hatte.
Die Fremde trug einen hautengen Rock, hohe Stiefel und einen leuchtenden Pulli. Ihre grellrot lackierten Fingernägel trommelten nervös auf der Tischplatte. Sie hatte ein geleertes Glas vor sich stehen und rauchte eine lange Zigarette.
Als draußen ein Wagen hörbar wurde, sprang sie auf und spähte durchs Fenster hinaus. Erleichtert atmete sie auf. »Endlich«, flüsterte sie.
Lars Constantin kam in die Gaststube. »Tut mir leid, schneller ging es nicht, Charly«, sagte er und zog die Hand der Frau an die Lippen.
»Wie war es? Wird es klappen, Lars?«, erkundigte sich Charly, die eigentlich Charlotte Arnim hieß, ihren Vornamen jedoch nicht leiden konnte.
»Frau von Schoenecker gefällt mir, Charly. Bei ihr ist Effi ganz gewiss gut aufgehoben. Dieses Kinderheim ist so ganz anders, als man sich so etwas vorstellt. Ich war zwar durch meine Bekannten schon darauf vorbereitet, trotzdem überraschte es mich. Eine Stiftung für Kinder, die in Not geraten sind. Ein ganzes Lebenswerk ist das!«
»Umso besser, wenn du einen günstigen Eindruck hast. Haben sie ein Bett frei für Effi? Kann sie sofort aufgenommen werden?«
»Ja. Wir haben ausgemacht, dass ich sie am Samstag hinbringe. Komm, wir können uns unterwegs darüber unterhalten. Ich möchte rechtzeitig zurück sein, denn ich habe noch einige Krankenbesuche zu machen.«
»Haben Ärzte eigentlich nie freie Zeit?«, seufzte die aparte Charly und schlug die Augen zur Decke empor.
Dr. Constantin rief den Wirt und beglich Charlys Zeche. Sie hatte nicht weniger als vier Steinhäger getrunken. Leider liebte sie die harten Sachen.
Im Wagen hockte sich Charly mit untergezogenen Füßen auf den Beifahrersitz und verschmähte den Sicherheitsgurt. »Das ist doch Blödsinn«, behauptete sie verächtlich, als Lars Constantin sich anschnallte und sie aufforderte, es gleichfalls zu tun. »Ich fühle mich wie im Gefängnis mit dem festen Gurt.«
»Zwingen kann ich dich nicht, Charly. Aber vernünftiger wäre es.«
»Dann bin ich eben unvernünftig. Vernünftige Leute finde ich sowieso entsetzlich langweilig und stur.«
Lars Constantin lachte. Seit er Charly Arnim kannte, hatte er das Lachen wieder gelernt. Es gab vieles, was ihn mit ihr verband – nicht zuletzt die Tatsache, dass sie verwitwet war, genau wie er.
»Mit dem Heim geht es also in Ordnung?«, kam Charly auf das entscheidende Thema zurück. »Schade, dass es ausgerechnet am Samstag sein muss. Ich wollte so gern mit dir zu der großen Modenschau gehen. Aber das ist wohl nicht zu ändern, fürchte ich.«
»Ich kann nicht schon am Freitag fahren. Gerade freitags ist die Praxis regelmäßig restlos überfüllt.«
»Dein Beruf bringt mich noch um«, seufzte Charly. »Stets sind die Patienten wichtiger als das Privatleben.«
»Das ist nun einmal bei einem Arzt so, Charly. Damit musst du dich abfinden.«
Sie blickte aus schmalen Augen auf die Landstraße.
»Du hast doch genügend Geld. Warum rackerst du dich immer noch ab? Oder nimm wenigstens einen Partner in die Praxis, damit du nicht ständig anwesend sein musst.«
Er lachte. »Dass man auch gern Arzt sein möchte, ist dir noch nicht in den Sinn gekommen?«, fragte er.
»Du verpasst das halbe Leben über deiner Plackerei. Dabei hast du doch nur eine ganz gewöhnliche Allgemeinpraxis. Wenn einmal ein interessanter Fall kommt, musst du ihn an einen Facharzt oder an eine Klinik abgeben. Das stelle ich mir ausgesprochen enttäuschend vor.«
»Nach und nach wirst du mich verstehen, Charly. Es ist gerade der Kontakt mit den Menschen, der mich reizt. Ich behandle ihre Krankheiten und sehe sie vor dem Hintergrund ihrer persönlichen Schicksale. Es sind ja nicht nur die Tabletten, die man verschreibt.«
»Ich kann mir vorstellen, dass du sehr nett und verständnisvoll als Arzt bist. Trotzdem – ich mag dich nicht gern mit diesen vielen Leuten teilen.«
»Ach, Charly, auf die Patienten brauchst du nun wirklich nicht eifersüchtig zu sein. Das siehst du falsch.«
»Und eines Tages kommt eine bildhübsche junge Frau zu dir … Du kannst mir nicht einreden, dass darin keine Versuchung liegt.«
»Ein Arzt hält das auseinander, Charly. Außerdem gibt es für mich keine Versuchungen, seit wir uns kennen. Das solltest du wissen.«
»Sicher ist man nie«, seufzte Charly. »Die Männer sind unberechenbar.«
»Woher willst du das wissen, Charly? Ich muss doch sehr bitten!«
»Ich habe eine Enttäuschung erlebt. Das war sehr bitter. Aber das ist nun vorbei und vergessen.«
»Du bist immer so lebensfroh. Man kann sich kaum vorstellen, dass du traurig sein könntest.«
»Als mein Mann starb, war ich halb verrückt vor Kummer, Lars. Ich brauchte lange, um mich einigermaßen zu fassen. So richtig glücklich bin ich erst wieder mit dir geworden.«
»Du hast mein Leben verändert, Charly. Daran gibt es keinen Zweifel. Nun gehe ich wieder gern aus und kann mich an Dingen erfreuen, die mir völlig gleichgültig geworden waren. Mich interessierte neben meiner beruflichen Arbeit nichts mehr.«
»Vielleicht musste es für uns beide so kommen. Es ist gut, dass die Kleine im Kinderheim sein wird. Dann haben wir endlich einmal richtig Zeit für uns.«
»Effi würde es vielleicht nicht verstehen, Charly. Es ist schade, dass du nicht viel mit ihr anfangen kannst. Später wird sich das gewiss bessern. Sie ist ein besonders liebevolles und zärtliches kleines Mädchen.«
»Ich bin sogar auf Effi eifersüchtig«, sagte Charly mit etwas rauer Stimme.
»Das ist doch Unsinn! Auf mein Kind?«
»Effi gehört zu deinem früheren Leben – zu deiner Frau. Natürlich mag ich die Kleine gern. Trotzdem darf sie nicht über dich und deine Zukunft bestimmen.«
»Tut sie das?« Lars Constantin war etwas befremdet. Der Vorschlag, Effi für eine gewisse Zeit in ein Heim zu geben, stammte nicht von Charly. Er selbst hatte diesen Entschluss gefasst. Er hatte eine Möglichkeit haben wollen, sich über seine Gefühle für Charly Arnim endgültig klar zu werden. Diese leidenschaftliche Frau hatte ihn völlig in ihren Bann geschlagen.
Es war eine Zufallsbegegnung gewesen. Charly hatte eine Panne mit ihrem kleinen Wagen gehabt und im Regen am Straßenrand gestanden, als er von einem späten Patientenbesuch heimgekehrt war. Er hatte sie bis zur nächsten Werkstatt mitgenommen, wo sie Ärger mit dem Besitzer bekommen hatte, der keine Lust gehabt hatte, so spät ihren Wagen abzuschleppen. Dr. Constantin hatte sich ins Mittel gelegt, und schließlich hatte sich der Mann doch bereit erklärt, zu helfen.
Am nächsten Tag hatte Charly bei ihm angerufen, um sich zu bedanken. Er hatte sie um ein Wiedersehen gebeten, ohne sich zu fragen, warum er das tat. Diese zierliche Frau mit den interessanten Augen und dem üppigen Haarschopf faszinierte ihn auf eine geheimnisvolle Weise. Seit dem Tod von Effis Mutter war es das erste Mal gewesen, dass ihm das widerfahren war. Inzwischen konnte er sich ein Leben ohne Charly kaum noch vorstellen. Charly rief zu den unmöglichen Zeiten an, Charly kam, ohne sich vorher anzumelden. Charly schleppte ihn ins Theater, in Jazz-Konzerte, zu Modenschauen oder sogar zum Pferderennen. Zwar kollidierten Charlys Wünsche häufig mit seinen Pflichten als Arzt, doch gelang es ihm am Ende immer, alles einigermaßen unter einen Hut zu bringen. Schließlich war er erst achtunddreißig und konnte sich nicht völlig in seiner Arbeit vergraben wie ein Maulwurf in der Erde.
In ihrer lebenslustigen Art hatte Charly ihn dazu gebracht, sein Schicksal mit anderen Augen zu sehen. Vielleicht lag noch ein wunderbares, von Glück erfülltes Wegstück vor ihm?
Charly hatte eine Weile geschwiegen, um die richtige Antwort zu finden. Jetzt berührte sie die Schläfe des Doktors leicht mit den Fingerspitzen und meinte sanft: »Effi ist dir wichtiger, als du selbst weißt, doch du musst bedenken, dass so ein Kind heranwächst und dann sehr schnell aus dem Hause strebt.«
»Sie ist vier«, wandte Lars ein.
»In zehn Jahren ist sie vierzehn, und in vierzehn Jahren ist sie achtzehn, also volljährig. Du darfst nicht nur an das Kind denken, sondern musst dein eigenes Leben wieder richtig in den Griff bekommen. Wenn Effi dich später verlässt, bist du plötzlich allein und findest dich nicht mehr zurecht. Die heutige Jugend nimmt sicherlich keine Rücksichten. Die jungen Leute machen, was sie wollen oder für richtig halten.«