Sophienlust 105 – Familienroman - Aliza Korten - E-Book

Sophienlust 105 – Familienroman E-Book

Aliza Korten

5,0

Beschreibung

Denise von Schoenecker verwaltet das Erbe ihres Sohnes Nick, dem später einmal, das Kinderheim Sophienlust gehören wird. Die beiden sind echte Identifikationsfiguren. Dieses klare Konzept mit seinen beiden Helden hat die zu Tränen rührende Romanserie auf ihren Erfolgsweg gebracht. "Warum weinen Sie denn?" Pünktchen war rein zufällig an dem kleinen Raum vorbeigekommen, in dem Besen, Schrubber und Bohnermaschine verwahrt wurden. Sie hatte im Musikzimmer ihre Federtasche vergessen und war rasch über die Seitentreppe der Schule gelaufen, weil sie damit den Weg abkürzte. Dabei hatte sie die weinende Maria Cortez entdeckt. Sämtliche Schüler des Gymnasiums in Maibach hatten die hübsche und sonst immer fröhliche Spanierin mit den dunklen Augen gern. Deshalb war Pünktchen auch ganz entsetzt, sie in Tränen zu finden. "Ich weiß nicht, was ich machen soll, Angelina." Pünktchen hieß mit vollem Namen Angelina Dommin. Aber es gab nur wenige Leute, die sie so nannten. Maria Cortez tat es, weil ihr der Name Angelina gut gefiel.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern

Seitenzahl: 150

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
5,0 (1 Bewertung)
1
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Sophienlust –105–

Mutterherz in Not!

Roman von Aliza Korten

»Warum weinen Sie denn?« Pünktchen war rein zufällig an dem kleinen Raum vorbeigekommen, in dem Besen, Schrubber und Bohnermaschine verwahrt wurden. Sie hatte im Musikzimmer ihre Federtasche vergessen und war rasch über die Seitentreppe der Schule gelaufen, weil sie damit den Weg abkürzte. Dabei hatte sie die weinende Maria Cortez entdeckt. Sämtliche Schüler des Gymnasiums in Maibach hatten die hübsche und sonst immer fröhliche Spanierin mit den dunklen Augen gern. Deshalb war Pünktchen auch ganz entsetzt, sie in Tränen zu finden.

»Ich weiß nicht, was ich machen soll, Angelina.«

Pünktchen hieß mit vollem Namen Angelina Dommin. Aber es gab nur wenige Leute, die sie so nannten. Maria Cortez tat es, weil ihr der Name Angelina gut gefiel. Außerdem konnte sie als Spanierin das Wort Pünktchen nicht gut aussprechen, obwohl sie die deutsche Sprache schon recht gut beherrschte.

»Ist etwas passiert?«, erkundigte sich Pünktchen mitleidig. »Sind Sie etwa krank?«

»Ich nicht, aber mein Mann.« Maria Cortez, die mit ihrem Mann auf der Suche nach Arbeit aus Spanien nach Deutschland gekommen war, sah verzweifelt aus.

»Dann muss er ins Krankenhaus«, erklärte Pünktchen resolut. »Es nützt bestimmt nichts, wenn Sie hier herumsitzen und weinen.«

»Er liegt ja im Krankenhaus. Aber in Barcelona.«

»Ach so, und jetzt möchten Sie schnell hinfahren und haben kein Geld? Wir könnten für Sie sammeln, Frau Cortez.«

»Nein, Angelina, am Geld liegt es nicht. Dafür haben wir genug auf dem Sparbuch. Es ist wegen Manuela, unserer kleinen Tochter. Ich habe ein Telegramm bekommen, dass ich sofort abreisen soll, weil es sehr schlecht steht mit meinem Mann. Aber ich kann Manuela nicht allein lassen. Sie ist ja noch nicht einmal vier Jahre alt.« Maria Cortez schluchzte auf. Die Angst um ihren Mann und die Unmöglichkeit, zu ihm zu fahren, schüttelte sie.

Pünktchen, die ihren Namen den vielen lustigen Sommersprossen auf ihrer Nase verdankte, stemmte die Arme in die Hüften. »Aber, Frau Cortez, das ist doch gar kein Problem. Manuela kommt nach Sophienlust, und Sie reisen ab.«

Maria Cortez hörte vor Schreck auf zu weinen. »Sophienlust ist ein Schloss für feine reiche Kinder, Angelina. Meine Manuela ist ein armes Mädchen. Das geht nicht.«

Pünktchen schnaufte ein bisschen, denn sie war über so viel Unwissenheit regelrecht empört. »Denken Sie vielleicht, ich wäre ein feines reiches Kind?«, fragte sie. »Von der Straße hat Nick mich aufgelesen und nach Sophienlust gebracht. Wer Hilfe braucht oder in Not ist, kann immer zu Tante Isi kommen. Tante Isi ist Nicks Mutti. Warten Sie mal, ich hole Nick rasch. Wir haben ja noch Pause.«

Pünktchen trabte davon. Sie entdeckte Dominik von Schoenecker, einen lang aufgeschossenen Buben mit sehr dunklem Haar und ebensolchen Augen, im Gespräch mit Irmela, die gleichfalls ein Sophienluster Kind war. Temperamentvoll und mit sich überstürzenden Worten berichtete Pünktchen, in welcher Situation sich die nette Spanierin befand. Sofort schlossen sich Nick und Irmela ihr an.

»Sie glaubt nicht, dass Manuela bei uns bleiben kann«, seufzte Pünktchen. »Vielleicht kannst du es ihr klarmachen, Nick.«

Maria Cortez erschrak ein wenig, als nun gleich drei Kinder erschienen. Was Nick ihr erklärte, erschien ihr vollkommen unglaubhaft, obwohl sie sich nicht vorstellen konnte, dass der sympathische Junge so faustdick schwindeln sollte.

»Sophienlust gehört mir, Frau Cortez«, versicherte Nick. »Meine Urgroßmutter hat es mir vererbt. Es ist für Kinder bestimmt, die in Not sind. Auch Erwachsene werden in Sophienlust aufgenommen. Wer kein Geld hat, braucht nicht zu bezahlen, denn es gehört ein großes Vermögen und ein Landgut zu dem Haus. Wenn Sie wollen, rufen wir meine Mutti an. Es wäre am einfachsten, wenn wir Ihre kleine Manuela gleich im Schulbus mit nach Sophienlust nehmen würden.«

Maria Cortez war nicht so leicht zu überzeugen. »Ihr meint es gut und wollt mir helfen. Aber das geht nicht. Meine Manuela passt nicht in ein Schloss.«

Die Schulglocke, die die nächste Stunde ankündigte, machte der fruchtlosen Unterhaltung zunächst ein Ende. Und nach Schulschluss hielten Nick, Pünktchen und Irmela vergeblich nach Maria Cortez Ausschau. Die Putzfrau war nach Hause gegangen.

»So was Dummes«, ärgerte sich Nick.

»Wir wollen uns vom Hausmeister ihre Adresse geben lassen«, schlug die praktische Irmela vor. »Anrufen kann man sie wahrscheinlich nicht. Aber es muss ja etwas geschehen, damit sie zu ihrem Mann kann.«

»Sonnenklar, dass etwas geschehen muss«, bestätigte Pünktchen. »Ich spritze zum Hausmeister. Sagt dem Chauffeur Bescheid, damit er nicht ohne mich abfährt.«

Fünf Minuten später brauste der knallrote Schulbus mit der Aufschrift »Kinderheim Sophienlust« davon. Jeden Tag brachte er die größeren Kinder nach Maibach zum Gymnasium. Ein zweiter Bus transportierte die jüngeren Kinder zur Grundschule in Wildmoos.

Allzu lange dauerte die Fahrt nach Sophienlust nicht. Wer das schöne alte Herrenhaus zum ersten Mal erblickte, hatte tatsächlich den Eindruck, dass es sich um ein Schloss handeln müsse. Insofern waren die Vorstellungen der jungen Spanierin nicht verwunderlich.

Kaum hielt der Bus, stieg Nick auch schon aus und begab sich im Dauerlauf ins Haus. Er klopfte an die Tür des Zimmers, das als Büro diente, und seufzte erleichtert auf, als er Frau Rennert, die Heimleiterin, darin vorfand.

»Was gibt’s denn, Nick? Du bist ja ganz außer Atem.«

»Ich muss mit Mutti sprechen, Tante Ma. Da ist ein kleines Mädchen aus Spanien, das wir sofort nach Sophienlust holen müssen. Es ist sehr eilig.«

Frau Rennert, von den Kindern liebevoll Tante Ma genannt, war sofort bei der Sache. Ein Kinderschicksal war in diesem Hause immer wichtig.

»Deine Mutti ist in Schoeneich, Nick. Ihr sollt zum Essen nach Hause kommen. Ich glaube, es ist Besuch da.«

Nick schilderte in kurzen Worten, worum es ging. »Wir haben die Adresse gleich mitgebracht«, fügte er hinzu. »Das war Irmelas Idee.«

»Natürlich nehmen wir die kleine Manuela auf«, bestätigte Frau Rennert. »Die arme Frau tut mir leid. Wer weiß, was ihr noch alles bevorsteht. Sprich mit deiner Mutti darüber. Jemand muss am Nachmittag nach Maibach fahren, um mit Manuelas Mutter zu reden.«

»Wenn sie nicht so stur gewesen wäre, hätten wir die Kleine gleich im Schulbus mitgebracht«, äußerte Nick.

»Stur ist nicht das rechte Wort, Nick. Wahrscheinlich ist die arme Frau zu bescheiden.«

In der Halle ertönte der Gong, der die Kinder zum Essen rief. Frau Rennert, die am Schreibtisch gesessen hatte, stand auf. »Du wirst deiner Mutti ja gleich alles erzählen, Nick. Da brauche ich nicht erst zu telefonieren. Rufe Henrik und beeilt euch. Der Chauffeur weiß Bescheid.«

»Ja, Tante Ma.«

Draußen wartete der Wagen Denise von Schoeneckers. Leider gab es noch einen kurzen Aufenthalt, weil Nicks jüngerer Bruder Henrik erst nach längerem Suchen bei der Köchin Magda in der Küche gefunden wurde, wo er mit unschuldsvollem Gesicht Pudding naschte.

»Fresssack«, schimpfte Nick. »Los, wir haben’s eilig.«

Die Entfernung von Sophienlust nach Schoeneich, dem Wohnsitz der Familie von Schoenecker, war nur kurz. Auf einer schmalen gepflegten Privatstraße, die Nicks Großvater vor einigen Jahren hatte bauen lassen, erreichte man das andere Gut.

Eine Viertelstunde später saßen die beiden Jungen mit ihren Eltern am Esstisch. Der Besuch, von dem Frau Rennert gesprochen hatte, war kein anderer als Sascha von Schoenecker, der große Bruder, der bereits in Heidelberg studierte. Die Überraschung war gelungen. Nick und Henrik stimmten ein freudiges Indianergeheul an, als sie Sascha erblickten.

Dann aber kam Nick sofort auf Manuela zu sprechen.

»Schade«, meinte Alexander von Schoenecker mit gutmütigem Lächeln. »Nun werde ich dich heute Nachmittag wohl entbehren müssen, Isi.«

Denise von Schoenecker legte die Hand auf die ihres geliebten Mannes. »Ist es nicht unsere Pflicht zu helfen, Alexander? Stell dir vor, du und ich, wir wären getrennt, und einer von uns wäre schwerkrank …«

»Ich weiß, Isi. Wahrscheinlich hätten wir alle dich nicht so lieb, wenn du anders dächtest.«

*

Sascha bot sich als Fahrer an, was Denise gern annahm, obwohl sie ihren Wagen auch oft selbst steuerte.

»Da kannst du mir unterwegs von dir erzählen, Sascha«, meinte sie fröhlich. »Wir haben jetzt doch so wenig von dir.«

Sascha stammte aus der ersten Ehe Alexander von Schoeneckers. Doch das Verhältnis zwischen ihm und Denise war nicht anders als zwischen Mutter und Sohn. Mit Andrea, ihrer bereits verheirateten Stieftochter, fühlte sich Denise ebenfalls innig verbunden. Andererseits erblickte Dominik, Denises Sohn aus ihrer kurzen Ehe mit Dietmar von Wellentin, in Alexander von Schoen­ecker durchaus seinen Vater. Und Henrik, der blonde Benjamin der glücklichen Familie, bildete sozusagen das Bindeglied zwischen allen. Er war Alexander und Denise in ihrer von tiefer Liebe erfüllten Ehe geschenkt worden.

Sascha setzte sich ans Steuer und betrachtete seine schöne dunkelhaarige Mutter mit beinahe verliebtem Blick. »Du wirst immer jünger, Mutti. Wie machst du das nur? Dabei bist du von früh bis spät auf den Beinen und arbeitest mehr als manche Frauen, die von sich behaupten, dass sie berufstätig seien.«

»Mach mir keine Komplimente«, meinte Denise lachend. »Wahrscheinlich bleibt man auch äußerlich jung, wenn man sich ein junges Herz bewahrt. Erzähle mir lieber von Heidelberg.«

Sascha berichtete von seinem Studium, und Denise hörte aufmerksam zu. Sie hielten in einer schmalen Straße. Das Haus war altmodisch und nicht sonderlich gepflegt. An der Tür waren verschiedene Karten mit ausländischen Namen befestigt.

»Ich komme lieber mit«, beschloss Sascha. »Wer weiß, wie es da drinnen aussieht.«

Doch sie sollten angenehm überrascht werden. Auf ihr Klingeln öffnete ein Kind mit bildschönen kohlschwarzen Augen.

»Zu Frau Cortez wollen Sie?«, fragte es in tadellosem Deutsch. »Das ist ganz oben links.«

Das Treppenhaus war kahl, aber sauber. Oben klopften sie an eine Tür und betraten ein ziemlich kleines Zimmer, das mit viel Liebe und Sorgfalt ein­gerichtet war. Maria Cortez war eben dabei, einen Koffer zu packen. Der ein­zige Schrank im Zimmer stand offen. Denise stellte auf den ersten Blick fest, dass darin mustergültige Ordnung herrschte. Der einfache Fußboden des Zimmers, in dem nicht einmal ein Teppich lag, war spiegelblank.

Denise von Schoenecker hatte eine eigene Art, das Vertrauen der Menschen zu gewinnen.

»Grüß Gott, Frau Cortez«, sagte sie herzlich. »Ich bin Nicks Mutter. Und das hier ist mein ältester Sohn Sascha. Wir sind hier, um Manuela nach Sophienlust einzuladen.«

»Dann hat Dominik es Ihnen also erzählt«, flüsterte die Spanierin. »Wollen Sie sich nicht setzen? Ich habe meine Bekannten hier im Haus gefragt, ob sie Manuela aufnehmen könnten. Aber es ist nicht möglich, weil sie alle arbeiten und nicht die Zeit haben, für ein fremdes Kind zu sorgen. Aber Manuela ist noch klein. Sie kann sich mittags nicht selbst etwas zu essen machen.« Maria Cortez seufzte.

»Es ist schlimm genug, dass Ihr Mann krank ist, Frau Cortez. Sie müssen selbstverständlich sofort abreisen. In Sophienlust ist genug Platz für Ihr Töchterchen. Wo steckt es denn?«

»Manuela spielt irgendwo im Haus oder draußen.«

»Uns hat ein Kind die Tür aufgemacht …«

»Das muss Manuela gewesen sein. Es ist alles so schwierig«, meinte Maria Cortez mutlos. »Wir wollten alle gemeinsam nach Spanien fahren, weil die Schwester meines Mannes heiratete. Mein Schwiegervater ist tot. Deshalb sollte wenigstens mein Mann da sein, um die Braut zum Altar zu führen. Aber zwei Tage vor der geplanten Abreise bekam Manuela eine böse Halsentzündung. Der Arzt sagte, die Reise sei zu anstrengend für das Kind. Deshalb bin ich hier geblieben. Und nun dieses Unglück. Mein Mann wollte in ein paar Tagen zurückkommen.« Sie wischte sich hastig eine Träne aus dem Augenwinkel. »Ich weiß nicht einmal, was ihm fehlt.«

Denise nickte ihr ermutigend zu. »Ihr Mann ist doch noch jung wie Sie, Frau Cortez. Wir wollen den Mut nicht sinken lassen.«

»Sie sprechen sehr gut deutsch«, wunderte sich Sascha.

»Wir sind schon seit fünf Jahren hier. Manuela ist hier geboren. In Spanien hatte mein Mann keine Arbeit. Hier können wir beide verdienen. Wenn wir genug gespart haben, gehen wir zurück und kaufen uns ein kleines Haus und ein Stück Land. Aber das dauert noch ein Weilchen.«

»Haben Sie genug Geld für die ­Reise?«, fragte Denise rasch. »Ich helfe Ihnen gern aus. Sophienlust ver­fügt über ein Konto für solche Zwecke.«

»Danke, Frau von Schoenecker. Wir haben unser Erspartes. Das Reise­­geld war schon beiseite gelegt. Ich brauche nichts. Was kostet es, wenn Sie Manuela in Sophienlust aufnehmen?« Diese Frage klang ein wenig ängstlich, denn Maria Cortez rechnete mit jedem Cent.

»Manuela ist eingeladen«, antwortete Denise freundlich. »Das sagte ich doch schon. Wenn Sie zurückkommen, schauen Sie sich unser liebes Sophienlust einmal an. Dann werden Sie verstehen, dass Manuela uns nicht arm essen kann. Gefallen wird es ihr auch bei uns, denke ich. Wir haben viele Tiere. Vor allem Ponys zum Reiten für die Kinder. Sie brauchen sich um Manuela gewiss keine Sorge zu machen.«

»Die Kinder aus Sophienlust, die ins Gymnasium gehen, sind sehr freundlich. Das habe ich längst gemerkt«, versetzte Maria Cortez. »Darf ich denn Ihre Einladung für das Kind wirklich annehmen?«

»Wenn Sie mir Manuela anvertrauen wollen, liebe Frau Cortez?«

Maria Cortez lächelte scheu. »Ja, ich spüre, dass Sie gut zu ihr sein werden, Frau von Schoenecker.«

Denise stieß einen heimlichen Seufzer der Erleichterung aus. Es war geschafft. Sascha nickte ihr verstohlen zu.

Nun gab es keinen unnötigen Aufenthalt mehr. Die praktische Denise half, Manuelas Sachen zu packen. Sie konnte sich nun selbst davon überzeugen, wie sauber und ordentlich die bescheidene Frau alles hielt.

Maria Cortez verließ das kleine Zimmer und kam mit dem Kind zurück, das den Besuchern die Haustür geöffnet hatte. Denise beugte sich nieder und streckte dem kleinen Mädchen die Hand hin.

»Grüß dich, Manuela. Deine Mutti hat erlaubt, dass du mit uns nach Sophienlust fährst, weil sie zu deinem Vater fahren muss.«

»Papa ist krank«, antwortete Manuela leise. »Deshalb weint Mutti.«

»Wir wollen hoffen, dass er bald gesund wird, Manuela. Hast du Lust, mit uns zu fahren?«

»Wohin?«, fragte Manuela und sah dabei ziemlich ängstlich aus.

»Zu vielen Kindern, mit denen du spielen kannst.«

»Das möchte ich schon«, überlegte das Kind halblaut. »Aber ich werde mich nach Papa und Mutti sehnen.«

»Du möchtest doch sicher deiner lieben Mutti helfen, damit sie zu deinem Papa reisen kann, nicht wahr?«

»Ja, das schon, aber …«

Sascha hob die kleine Person hoch in die Luft. »Du brauchst dich nicht zu fürchten, Manuela«, versicherte er. »Es ist wunderschön in Sophienlust. Wenn du willst, darfst du auf unseren kleinen Pferden reiten oder bei Magda in der Küche die Kuchenschüssel ausschlecken.«

Das Kind lächelte. »Kuchenteig mag ich. Ich glaube, ich komme mit.«

Maria Cortez überschüttete Manuela sofort mit einer Flut von Ermahnungen, dass sie immer brav sein müsse. Doch Denise legte ihr die Hand auf die Schulter.

»Halt, halt«, bat sie. »Da bekommt Manuela ja Angst. Wichtig ist, dass sie gern bei uns ist. Mein Sohn Nick nennt Sophienlust das Haus der glücklichen Kinder.«

»Das klingt wie ein Märchen«, ­flüsterte Maria Cortez und kämpfte schon wieder mit den Tränen. »Ich weiß gar nicht, wie ich Ihnen danken soll.«

»Sie brauchen mir nicht zu danken, Frau Cortez. Sophienlust ist ein Vermächtnis einer alten Dame, die längst unter der Erde schlummert. Wenn wir Manuela jetzt für eine Weile aufnehmen, tun wir nichts als unsere Pflicht.«

»Wie leicht Sie es mir machen, Frau von Schoenecker.«

Denise nahm eine Visitenkarte aus ihrer Tasche und reichte sie der Spanierin. »Hier ist unsere Adresse, damit Sie wissen, wie Sie Ihr Kind erreichen können, Frau Cortez. Ich glaube, damit ist alles geordnet, und wir sollten jetzt abfahren, damit Sie in Ruhe Ihre eigenen Reisevorbereitungen treffen können. Ich wünsche Ihnen eine gute Fahrt und dass es Ihrem Mann bei Ihrer Ankunft schon ein wenig besser gehen möge.«

Maria umarmte ihr Kind. Manuela ließ sich küssen, drängte sich dann jedoch an Denise, weil die weinende Mutter ihr etwas unheimlich war.

»Du kannst mich Tante Isi nennen«, sagte Denise, als sie Hand in Hand mit dem Kind die Treppe hinunterstieg. »Willst du?«

»Ja, Tante Isi.«

Hinter den beiden ging Sascha. Er trug Manuelas Gepäck. »Du wirst staunen, Manuela«, rief er dem kleinen Mädchen zu. »In Sophienlust gibt es nämlich sogar einen Papagei, der sprechen kann.«

»Was ist das, ein Papagei?«

»Ein großer bunter Vogel.«

»Gibt es das, Tante Isi? Oder macht er bloß Spaß?«

»Wenn wir da sind, kannst du dir Habakuk anschauen, Manuela. Er redet wie ein Mensch, und er ist ziemlich frech.«

Als sie ins Auto stiegen, spähten aus einigen Fenstern neugierige Gesichter. Maria Cortez aber ließ sich nicht mehr blicken. Denise dachte voller Mitleid an sie. Was würde die tapfere fleißige Frau am Ziel erwarten?

*

Es war ein warmer, strahlend schöner Frühsommersonntag. Denise und Alexander von Schoenecker saßen auf der Terrasse in Schoeneich und genossen dankbar den Frieden, der sie umgab. Nick und Henrik waren mit den Rädern nach Sophienlust gefahren, Sascha hatte sich mit seinen Lehrbüchern in einen stillen Winkel des Parks zurückgezogen, um sich auf eine wichtige Klausurarbeit vorzubereiten.

»Vielleicht sollten wir für ein Stündchen nach Bachenau zu Andrea fahren«, schlug der Gutsherr vor. »Während der Woche hat Hans-Joachim ja doch nie Zeit.«

Andrea hatte von der Schulbank weg den jungen Tierarzt Dr. Hans-Joachim von Lehn geheiratet und war nun schon stolze Mutter eines Buben. Die junge Familie lebte im unweit gelegenen Städtchen Bachenau.

»Wenn du meinst …« Denise zögerte ein wenig, denn es kam selten genug vor, dass sie mit ihrem Mann wirklich allein und ungestört blieb. Zwar liebte sie ihre Stieftochter innig und vergötterte den kleinen Peterle, doch sie hatte sich auf diesen Nachmittag mit Alexander nun einmal gefreut.

Alexander hob jetzt lauschend den Kopf.

»Da kommt ein Wagen, Isi. Möglich, dass Andrea und Hans-Joachim die gleiche Idee hatten wie wir.«

Doch es war weder der schwere Wagen des Tierarztes noch das kleine Auto seiner jungen Frau. Viel zu schnell bog ein fremder Wagen auf die Einfahrt ein und hielt mit schleifenden Rädern vor dem Haus. Hinter dem Steuer saß eine junge Frau, der das schwarze Haar wirr in die Stirn hing. Sie stieg nicht etwa aus, sondern ließ den Kopf schwer vornüberfallen, wobei sie mit der Stirn hart auf das Lenkrad aufschlug. Doch das schien sie gar nicht zu spüren.

Alexander und Denise sprangen gleichzeitig auf und eilten zu dem Auto, dessen Motor noch lief.

»Reni«, rief Denise bestürzt aus. »Was hast du?«

Nun erkannte auch Alexander die Fahrerin. Sie wirkte so fremd und verändert, dass er zutiefst erschrak. Reni und Bodo von Hellendorf lebten nicht allzu weit von Schoeneich entfernt auf dem Gut Hellendorf, das sich seit Generationen im Besitz der Familie befand.