Der ungeliebte Bruder - Aliza Korten - E-Book

Der ungeliebte Bruder E-Book

Aliza Korten

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Beschreibung

Der Sophienlust Bestseller darf als ein Höhepunkt dieser Erfolgsserie angesehen werden. Denise von Schoenecker ist eine Heldinnenfigur, die in diesen schönen Romanen so richtig zum Leben erwacht. Das Kinderheim Sophienlust erfreut sich einer großen Beliebtheit und weist in den verschiedenen Ausgaben der Serie auf einen langen Erfolgsweg zurück. Denise von Schoenecker verwaltet das Erbe ihres Sohnes Nick, dem später einmal, mit Erreichen seiner Volljährigkeit, das Kinderheim Sophienlust gehören wird. Dr. Hans-Joachim von Lehn nahm dem Buben, der sein Sprechzimmer betreten hatte, die Katze ab. »Was fehlt dir denn?«, fragte er freundlich. »Gar nichts«, antwortete der Junge. »Jemand hat sie ausgesetzt. Finden Sie das auch so gemein?« Die Kinderstimme zitterte vor Empörung. »Sehr gemein«, erwiderte der Tierarzt. »Hast du sie gefunden?« »Ja, aber leider – leider kann ich Heinrich nicht behalten. Meine Eltern erlauben es nicht.« Der Tierarzt betrachtete die junge Katze genauer. »Schade. Tiere passen eben nicht in jede Wohnung. Übrigens solltest du dir einen Mädchennamen für sie ausdenken. Es ist nämlich eine Katzendame.« Der Junge hob die Schultern.

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Sophienlust Bestseller – 155 –

Der ungeliebte Bruder

Aliza Korten

Dr. Hans-Joachim von Lehn nahm dem Buben, der sein Sprechzimmer betreten hatte, die Katze ab. »Was fehlt dir denn?«, fragte er freundlich.

»Gar nichts«, antwortete der Junge. »Jemand hat sie ausgesetzt. Finden Sie das auch so gemein?« Die Kinderstimme zitterte vor Empörung.

»Sehr gemein«, erwiderte der Tierarzt. »Hast du sie gefunden?«

»Ja, aber leider – leider kann ich Heinrich nicht behalten. Meine Eltern erlauben es nicht.«

Der Tierarzt betrachtete die junge Katze genauer. »Schade. Tiere passen eben nicht in jede Wohnung. Übrigens solltest du dir einen Mädchennamen für sie ausdenken. Es ist nämlich eine Katzendame.«

Der Junge hob die Schultern. »Mein Freund heißt Heinrich. Deshalb habe ich die Katze so genannt. Ich wollte fragen, ob sie ins Tierheim könnte – weil sie doch ausgesetzt worden ist. Jemand hat erzählt, dass bei Waldi & Co. heimatlose Tiere aufgenommen werden. Stimmt es, dass Waldi ein Dackel ist? Würde er meinem Heinrich auch nichts tun?«

»Waldi ist viel zu vernünftig, um einer jungen Katze etwas zuleide zu tun. Du musst mit meiner Frau sprechen. Ich untersuche die Katze inzwischen, damit wir genau wissen, ob sie gesund ist.«

Der Tierarzt wollte dem Jungen eben den Weg zum Hauptteil des Hauses beschreiben, da trat Andrea von Lehn ein. »Du kommst wie gerufen«, sagte er. »Dieses Katzenmädchen mit Namen Heinrich sucht Unterkunft bei Waldi & Co.«

Andrea nickte. Sie wandte sich an den Jungen und fragte ihn nach seinem Namen.

»Ich heiße Klaus Werner.« Der Junge war, wie er sagte, sieben Jahre alt, ein hübscher Bub mit klaren intelligenten Augen. Sein Gesicht wirkte ein wenig ernst. Ging ihm das Schicksal der kleinen Katze so nahe?

»Komm, Klaus, ich zeige dir das Tierheim«, sagte Andrea freundlich.

Die schwarze Dogge Severin gesellte sich zu den beiden. Sie wich kaum je von Andreas Seite. Nun erschien auch der Dackel Waldi und kläffte laut.

Klaus wurde von dem alten Tierpfleger Janosch freundlich begrüßt und durch das Tierheim geführt. Er streichelte die betagte Stute Fortuna, betrachtete den Esel Fridolin, den jungen Schimpansen Mogli und die übrigen Insassen dieses einmaligen Asyls für heimatlose und verlassene Tiere.

»Darf mein Heinrich hierbleiben?«, fragte er.

»Wenn du die Katze nicht behalten darfst, müssen wir sie wohl aufnehmen«, entgegnete Andrea lächelnd. »Willst du ihr nicht einen anderen Namen geben, weil sie doch ein Mädchen ist?«

»Macht es etwas aus, wenn sie trotzdem Heinrich heißt?«, fragte Klaus treuherzig. »Man sieht es doch nicht.«

»Recht hast du«, stimmte Andrea ihm zu. »Bei euch zu Hause ist also kein Platz für Heinrich?«

Klaus seufzte. »Platz wäre schon, aber meine Eltern mögen die Katze nicht. Jochen hat einen Goldhamster, drei Meerschweinchen und einen Hund.«

»Ist Jochen auch ein Freund von dir?«

»Nein, er ist mein Bruder.«

Der Gesichtsausdruck des Jungen ließ Andrea wachsam werden. Sie unterließ es, ihn mit weiteren Fragen zu bestürmen.

»Du kannst Heinrich gern hier besuchen«, sagte sie rasch. »Sie wird sich bestimmt bei uns nicht langweilen. Draußen im Freigehege ist auch noch Bambi, unser Reh. Und unsere Hunde tun ihr nichts. Auch Munko nicht.«

Munko, ein Schäferhund, der ein bisschen lahmte, drängte sich eben zärtlich an Andreas Bein.

Von der Praxis her kam jetzt Dr. von Lehn und übergab dem alten Janosch Heinrich das Katzenmädchen.

»Ich muss schnell einmal nach Peterle schauen«, rief Andrea.

»Ist das auch ein Tier?«, fragte Klaus neugierig.

Andrea und ihr Mann lachten. »Nein, Peterle ist unser Sohn«, erklärte Andrea heiter. »Er ist jetzt in einem Alter, wo er ständig Dummheiten macht. Er kann schon laufen, aber er kann noch nicht beurteilen, was für ihn gefährlich ist. Komm mit.«

Peterle war in der Küche bei Marianne, der tüchtigen Hausgehilfin der Familie. Mit strahlendem Gesicht lief er auf seine Mutter zu. Doch selbst der Anblick des fröhlichen Bübchens erhellte die Miene des fremden Jungen nicht.

»Ich kann dich heimbringen, Klaus«, bot Andrea ihm an. »Wo wohnst du denn?«

»Kastanienstraße vierzehn.«

Andrea verriet nicht, dass sie den Wunsch hatte, Näheres über die Familie Werner zu erfahren. Sie verstaute Klaus auf dem Rücksitz ihres kleinen Wagens und fuhr schwungvoll los. Nach dem Weg brauchte sie den Jungen nicht zu fragen, denn sie kannte sich in Bachenau aus.

In der Kastanienstraße standen nette Einfamilienhäuser. Nummer vierzehn erwies sich als kürzlich renoviert und sehr gepflegt. Schon dachte Andrea, dass ihre unbestimmte Sorge um Klaus unbegründet sei, als eine Bemerkung des Buben sie wieder hellhörig machte.

»Ich gehe lieber allein ins Haus. Mutti ist es vielleicht nicht recht, dass ich mit Ihnen gefahren bin.«

»Warum denn nicht? Deine Mutter wird sich doch sicher freuen, dass sich eine Unterkunft für dein Kätzchen gefunden hat.«

Andrea folgte ihrem Impuls und klingelte trotzdem.

Lilo Werner kam im adretten Hauskleid an die Tür und sah zunächst nur Klaus. »Wo steckst du denn?«, fuhr sie ihn unfreundlich an. »Schleppst du mir heute schon wieder die Katze ins Haus, oder bist du sie losgeworden?«

Andrea trat vor und lächelte besonders liebenswürdig. »Guten Tag, Frau Werner. Ich bin Andrea von Lehn. Klaus hat die Katze zu mir ins Tierheim gebracht.«

»Was ist ein Tierheim?« Lilo Werner war ein wenig aus dem Konzept gebracht. »Klaus sollte die Katze dorthin tragen, wo er sie gestern aufgelesen hat.«

»Da wäre das arme Kätzchen verhungert oder von einer Krähe geholt worden«, erwiderte Andrea ruhig. »Bei uns geht es ihm gut. Mein Mann ist Tierarzt.«

Lilo Werner wurde nun etwas verbindlicher. »Wollen Sie nicht hereinkommen, Frau von Lehn?«, forderte sie Andrea auf. »Ich bin froh, dass sich für die Katze ein Unterkommen gefunden hat. Bei uns ist es wirklich nicht möglich.«

Andrea dachte an die verschiedenen Tiere, die der andere Junge hatte, doch sie schwieg, während sie der Hausfrau in das geschmackvoll eingerichtete Wohnzimmer folgte. Vor allem die ausgezeichneten Bilder an den Wänden beeindruckten sie, sodass sie eine Bemerkung über die Bilder machte. Sofort wurde Lilo Werner lebhaft. »Wir sind Kunstliebhaber, Frau von Lehn. Wenn ich Zeit finde, stehe ich selber an der Staffelei. Vor meiner Ehe habe ich in Paris studiert.«

»Wie schön, dass Sie das Malen nicht aufgegeben haben.«

»Unser Jochen zeichnet und malt auch schon recht nett.« Bei der Erwähnung des anderen Sohnes wurde das Gesicht der Mutter weich und zärtlich. »Er hat zum Geburtstag eine Staffelei bekommen.«

»Malst du auch?«, wandte sich Andrea an Klaus.

Stumm schüttelte der Junge den Kopf.

»Klaus ist ein schwieriges Kind«, beklagte sich Lilo Werner, ohne Rücksicht darauf zu nehmen, dass der Bub zuhörte. »Bei Jochen gibt es nie Probleme. Klaus verliert seine Sachen, zerreißt die Hosen, macht sich schmutzig und bringt schlechte Zensuren heim. Bei Jochen ist es genau umgekehrt.«

Armer kleiner Klaus, dachte Andrea und äußerte rasch: »Ich würde mich freuen, wenn Klaus ab und an zu uns käme, um sein Kätzchen zu besuchen. Es ist sehr lobenswert, dass er das Tier zu uns brachte.«

Das Lächeln der Hausfrau wirkte erzwungen. »Nun ja, wir hätten die Katze wirklich nicht gebrauchen können. Jochens Tiere genügen mir.« Sie schien es ganz selbstverständlich zu finden, dass Jochen alles hatte und Klaus nichts.

Andrea verabschiedete sich und lud Lilo Werner ein, sich das Tierheim Waldi & Co. bei Gelegenheit einmal anzusehen. Sie nahm sich vor, Klaus keinesfalls aus den Augen zu verlieren. Denn irgendetwas schien in dieser Familie nicht zu stimmen.

*

Der breitschultrige, sonnengebräunte Mann, der in der Hotelhalle eine Zeitung durchblätterte, blickte auf und starrte die schlanke junge Dame, die eben vorüberging, entgeistert an. »Sie ist es – kein Zweifel«, murmelte er und erhob sich, um ihr in den Weg zu treten.

»Hallo, Gerda! Kennst du mich noch?«

Dr. Gerda Ahlsen war nicht weniger überrascht, als der Mann. »Klaus Magnus! Wo in aller Welt … Dumme Frage, du kommst natürlich aus Südafrika.«

»Stimmt. Ich bin erst seit ein paar Stunden in München. Und schon treffe ich dich. Das muss gefeiert werden.«

»Gern, Klaus. Ich bin allerdings ziemlich beschäftigt. Mein Instinkt hat mich nicht zum Vergnügen hierher zum Kongress geschickt.«

»Wie wichtig das klingt.« Klaus Magnus lachte. »Du warst schon immer ein superkluges Haus. Können wir heute Abend zusammen essen?«

»Ich werde es einrichten«, versprach Gerda.

»Fein, Gerda. Ich lasse einen Tisch für uns reservieren und warte ab acht Uhr hier auf dich.«

Sie reichte ihm die schmale feste Hand. Seine Blicke folgten ihr, als sie davonging.

Gerda Ahlsen – sie hatte sich kaum verändert. Nachbarskinder waren sie gewesen. Später hatten sie sich aus den Augen verloren. Immerhin erinnerte sich Klaus, dass Gerda Physik studiert,und sich stets leidenschaftlich für die Emanzipation der Frauen eingesetzt hatte. Auf keinen Fall hatte sie heiraten wollen. Ob sie immer noch so dachte?

Gleich darauf fragte er sich: Wird sie mir etwas von Gabi erzählen können? Denn es war nicht Gerda Ahlsen, der sein Interesse galt, sondern Gabi Renz, das Mädchen aus dem Haus gegenüber, das gleichfalls an ihren Kinderspielen teilgenommen hatte.

Klaus Magnus unternahm einen Stadtbummel, machte ein paar Einkäufe und wartete schließlich von halb acht Uhr an ungeduldig auf Gerda Ahlsen. Die Jugendfreundin erschien mit einiger Verspätung, da der Vortrag eines Professors aus Wien sehr lange gedauert hatte.

Klaus führte sie sofort ins Restaurant an den reservierten Tisch.

»Wie lange warst du weg?«, fragte Gerda.

»Acht Jahre, Gerda. Es ist mein erster Europabesuch. Mir blieb ja damals nichts anderes übrig, als mein Glück im Ausland zu versuchen.«

»Hast du es geschafft?«

»Ich habe einiges erreicht«, erwiderte er lächelnd. »Heute besitze ich mehrere tausend Schafe und dazu eine eigene Fabrik, in der die Felle eingefärbt werden.«

»Das klingt fantastisch. Ich gratuliere.«

Die Suppe wurde gebracht, und Klaus Magnus wechselte das Thema.

»Was ist eigentlich aus Gabi geworden?«, fragte er und bemühte sich, seine Spannung zu verbergen.

»Das hast du nicht erfahren?« Gerda sah plötzlich ernst aus. »Ich dachte …«

»Ja, ja, Gabi und ich, wir hatten einander gern. Am liebsten hätte ich sie mitgenommen, als ich auswanderte. Aber ich hatte kein Geld und keine Existenz. Gabis Vater gab mir das unzweideutig zu verstehen. Da er andere Pläne mit seiner Tochter hatte, habe ich Gabi dann nicht mehr geschrieben. Jetzt hat sie wahrscheinlich einen reichen Mann und denkt nicht mehr an mich.«

Gerda schüttelte den Kopf. »Gabi Renz lebt nicht mehr, Klaus. Es ist schon ziemlich lange her, dass sie starb. Sie muss krank gewesen sein. Zuerst war sie in der Schweiz. Ich erfuhr es von Lilo.«

»Tot? Davon hatte ich keine Ahnung. Weißt du mehr darüber?«

»Nein, ich war damals selten zu Hause, weil ich mich auf mein Examen vorbereiten musste.«

»Ich kann das einfach nicht glauben.«

»Hattest du gehofft, sie wiederzusehen?« Gerdas Stimme vibrierte ein wenig, als sie die Frage stellte.

»Ich wollte nur herausfinden, ob sie glücklich geworden ist, Gerda.«

»Arme Gabi. Ihr Leben war zu Ende, ehe es richtig begonnen hatte. Lilo hat übrigens noch vor Gabis Tod geheiratet.«

»Lilo studierte damals in Paris und wollte Malerin werden«, erinnerte sich Klaus.

»Wie das eben so geht. Die beiden Schwestern Renz waren temperamentvoll. Lilo verliebte sich in einen Kunststudenten – natürlich in Paris.«

»Eine Künstlerehe?«

»Keineswegs. Ihr Mann verlegte sich auf die Werbung und machte ein eigenes Unternehmen auf. Es soll den beiden gut gehen. Zwei Kinder haben sie. Meine Mutter schrieb es mir neulich.«

»Ist dir Lilos jetziger Name bekannt? Kennst du ihre Adresse? Ich möchte sie unbedingt aufsuchen und fragen, wie das mit Gabi war«, versetzte Klaus Magnus leise.

Gerda Ahlsen kramte in ihrer Handtasche. Sie fand ihr Adressbüchlein und schrieb die Anschrift von Lilo Werner auf ein Blatt Papier. »Hier – meine Mutter teilte mir die Adresse mit. Sie ist immer sehr genau.«

Gerdas Herz schlug sehr rasch. Niemand hatte jemals erfahren, dass sie damals Gabi Renz um die Liebe von Klaus Magnus beneidet hatte. Sie hatte von der Befreiung der Frauen geredet und sich in einsamen Nächten nach Liebe und Zärtlichkeit gesehnt. Als Klaus nach Südamerika gegangen war, hatte sie ihre Hoffnung endgültig begraben. Jetzt bekleidete sie eine wichtige Stellung, hatte ein hohes Einkommen und versuchte sich durch einen anspruchsvollen Lebensstil darüber hinwegzutäuschen, dass ihr Dasein als Frau unerfüllt geblieben war. Doch das Wiedersehen mit Klaus brachte ihre scheinbar so sicher gefügte Welt ins Wanken.

»Woran denkst du, Gerda?«

Seine Frage schreckte sie auf. »An früher«, gestand sie scheu. »Es ist, als wäre es gestern gewesen. Wirst du nach Hause fahren und deine Tante besuchen?«

»Ja, obgleich sie mir wahrscheinlich immer noch nicht verziehen hat, dass ich damals fortging.«

»Wir könnten uns treffen – zu Hause«, schlug Gerda zögernd vor. »Ich war seit Ewigkeiten nicht mehr bei meinen Eltern.«

»Eine gute Idee«, meinte er.

»Wann willst du fahren?«, fragte sie rasch.

»Ich habe noch keine Pläne gemacht. Ich habe viel Zeit.«

»Übernächstes Wochenende?« Gerdas Augen leuchteten.

»Warum nicht, Gerda? Ich werde mich bei deinen Eltern melden.«

»Sie freuen sich bestimmt, dich wiederzusehen, Klaus.«

Da sie ihm nichts Näheres über Gabi Renz zu erzählen vermochte, fragte er nach ihrer Arbeit. Sie berichtete lebhaft davon, und er tat, als höre er ihr aufmerksam zu. In Wirklichkeit aber dachte er darüber nach, wie es möglich war, dass Gabi gestorben war.

Als sie aufbrachen, erneuerte Gerda die Verabredung für das übernächste Wochenende.

»Bis dann also, Gerda«, sagte Klaus Magnus freundlich.

»Ja, Klaus.« Gerda rechnete die Tage bis zu diesem Wiedersehen aus und war unvernünftig glücklich an diesem Abend.

In seinem Hotelzimmer grübelte Klaus Magnus darüber nach, ob es richtig gewesen war, dass er nie an Gabi geschrieben hatte, obwohl er sie geliebt hatte. Nun war sie tot …

*

»Schaust du meine Rechenaufgaben durch, Mutti?«, bat Klaus schüchtern.

»Gib schon her.« Lilo Werner überflog die Aufgaben. »Es stimmt alles«, sagte sie und gab das Heft zurück. »Was macht Jochen?«

»Er malt.«

»Fein. Du kannst jetzt spielen. Oder nein, es wäre besser, wenn du zuerst den Käfig für die Meerschweinchen sauber machen würdest.«

»Aber es sind Jochens Meerschweinchen.«

Lilo rüttelte den Jungen am Arm. »Du tust, was ich dir sage«, fuhr sie ihn an. »Jochen ist jünger als du. Du musst für ihn sorgen.«

»Jochen ist auch schon sieben, genau wie ich. Ich habe nur im Oktober Geburtstag, und er im März darauf. Deshalb ist er auch später in die Schule gekommen.«

»Du sollst nicht ständig widersprechen.«

»Ich mache den Käfig schon sauber«, versicherte Klaus hastig. »Darf ich den Meerschweinchen ein paar Möhren geben?«

»Ja, tu das nur. Vielleicht hat Jochen es vergessen.«

Der Friede zwischen Mutter und Sohn schien wiederhergestellt zu sein. Doch an der Tür des Wohnzimmers zögerte Klaus.

»Du – Mutti?«

»Was gibt es denn schon wieder?«

»Wieso sind zwischen Jochens Geburtstag und meinem nur fünf Monate Unterschied? In der Schule haben wir gelernt, dass es neun Monate sein müssen.«

Lilo Werner warf dem Jungen einen seltsamen Blick zu. »So etwas kommt eben vor«, erklärte sie abweisend. »Außerdem sollen Kinder nicht ständig dumme Fragen stellen.«

Klaus kannte diesen Ton genau. Er verzog sich eilig. Doch die Sache ließ ihm keine Ruhe. Früher hatten Jochen und er manchmal darüber gelacht, dass die Leute sie für Zwillinge hielten. Das mit den neun Monaten hatte er damals natürlich noch nicht gewusst.

Sobald Klaus die Meerschweinchen versorgt hatte, ging er ins Kinderzimmer.

»Findest du es nicht auch komisch, dass wir beide sieben Jahre alt sind und trotzdem nicht in dieselbe Klasse gehen?«, fragte er seinen Bruder, der mit Fingerfarben ein kühnes Gemälde fabrizierte.

»Ich bin doch kleiner als du.«

»Wenn schon! Wir müssten eigentlich Zwillinge sein.«

»Wir sind aber keine. Mutti sagt, ich bin ihr Kleinster.«

»Sie mag dich lieber als mich. Warum bloß?«

»Das ist eben so.« Jochen, der verhätschelte Liebling, fand es ganz selbstverständlich, dass er bevorzugt wurde.

»Was sie mit der Katze für ein Theater gemacht hatte. Aber du hast die Meerschweinchen, den Goldhamster und Theobald.« Theobald war Jochens weißer Spitz.

»Sie denkt wohl, dass es jetzt genug Tiere sind. Bist du schon wieder im Tierheim Waldi & Co. gewesen?«

»Bis jetzt nicht. Aber ich gehe bestimmt wieder hin.«

»Mutti hat es verboten.«

»Ich gehe trotzdem. Frau von Lehn ist schrecklich nett. Ich will wissen, wie es Heinrich geht.«

Jochen rieb sich die Nase. Da er grüne Farbe am Finger hatte, bekam er eine grüne Nase.

»Ich möchte schon mitkommen. Das Tierheim muss große Klasse sein. Vielleicht merkt Mutti gar nichts.«

»Mir macht es nichts aus, wenn ich ausgeschimpft werde«, erklärte Klaus gleichmütig. »Morgen geht Vati auf eine Geschäftsreise. Wir gehen gleich nach dem Essen, wenn Mutti in der Küche ist«, schlug er vor.

Jochen war ängstlich. »Ich überlege es mir noch.«

*

Andrea von Lehn war nicht wenig erstaunt, als sie Klaus und Jochen Werner erblickte. Die beiden trugen gleiche Kleidung und sahen fast wie Zwillinge aus.

»Hallo«, begrüßte sie die Brüder. »Fein, dass ihr da seid. Heinrich geht es gut.«

»Jochen möchte gern das Tierheim sehen, Frau von Lehn«, erklärte Klaus höflich. »Geht das?«

»Natürlich geht es.«

»Wir sind nämlich heimlich gekommen«, platzte Jochen heraus. »Mutti will es nicht. Aber ich war so neugierig auf den Esel und den Schimpansen Mogli.«

Andrea hob den Finger. »Ausgerissen seid ihr also? Hoffentlich sorgt sich eure Mutti jetzt nicht um euch.«

»Wir gehen öfters ein bisschen weg. So klein sind wir nicht mehr«, versicherte Klaus.

»Ich bin auch schon sieben, genau wie Klaus«, verkündete Jochen stolz.

»Dann seid ihr also Zwillinge?«

Jochen lachte. »Das stimmt nicht. Ich bin jünger.«

Andrea wunderte sich. Doch sie stellte vorsichtshalber keine weiteren Fragen. Es fiel ihr jedoch auf, dass Jochen sich viel freier und selbstsicherer bewegte als Klaus.

»Geht nur zu Janosch«, sagte sie freundlich. »Er ist gerade im Freigehege, um nach Bambi zu sehen. Nachher könnt ihr euch bei Marianne in der Küche Limonade holen, wenn ihr mögt.«