Emerdale 1: Two Sides of the Dark - Alexandra Flint - E-Book
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Emerdale 1: Two Sides of the Dark E-Book

Alexandra Flint

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Beschreibung

»Eine packende Mischung aus rasanter Action und gefühlvoller Liebesgeschichte, die in einem Moment deinen Atem stocken lässt und im nächsten dein Herz berührt. Ich kann euch nur raten: Lest dieses Buch!«

Lena Kiefer, Spiegel-Bestseller-Autorin


Ein Mädchen auf der Flucht. Ein gefallener Hollywood-Star. Eine unmögliche Liebe.  

Als Taylor in Los Angeles auf Jo trifft, fühlen sie sich vom ersten Moment an zueinander hingezogen: Jo, der gescheiterte Schauspieler, der bei einem Unfall ein Bein verloren hat, und Taylor, aufgewachsen in Emerdale, einem auf Genmanipulation spezialisierten Forschungslabor, und nun auf der Flucht. Beide wollen ihre Vergangenheit hinter sich lassen und ein neues Leben beginnen. Doch je näher sich Taylor und Jo kommen, desto größer wird auch die Gefahr, in der sie beide schweben. Denn Emerdale ist Taylor dicht auf den Fersen und will nicht nur sie vernichten, sondern auch alle, die sie liebt …

//Dies ist der erste Band der »Emerdale«-Reihe. Alle Romane der mitreißenden Dilogie im Planet!-Verlag:

Band 1: Two Sides of the Dark

Band 2: One Side of the Light//

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Das Buch

Als Taylor in Los Angeles auf Jo trifft, fühlen sie sich vom ersten Moment an zueinander hingezogen: Jo, der gescheiterte Schauspieler, der bei einem Unfall ein Bein verloren hat, und Taylor, aufgewachsen in Emerdale, einem auf Genmanipulation spezialisierten Forschungslabor, und nun auf der Flucht. Beide wollen ihre Vergangenheit hinter sich lassen und ein neues Leben beginnen. Doch je näher sich Taylor und Jo kommen, desto größer wird auch die Gefahr, in der sie beide schweben. Denn Emerdale ist Taylor dicht auf den Fersen und will nicht nur sie vernichten, sondern auch alle, die sie liebt …

»Eine packende Mischung aus rasanter Action und gefühlvoller Liebesgeschichte, die in einem Moment deinen Atem stocken lässt und im nächsten dein Herz berührt. Ich kann euch nur raten: Lest dieses Buch!«Lena Kiefer, Spiegel-Bestseller-Autorin

Die Autorin

© Maximilian J. Dreher

Alexandra Flint veröffentlichte unter dem Namen Alexandra Stückler-Wede bereits mehrere Romane und wurde 1996 in der Nähe von Hannover geboren. Die Autorin lebt mit ihrem Mann im Herzen von München, wo sie Elektro- und Informationstechnik studierte und sich seit 2021 ganz der Literatur widmet. Ihre ersten Geschichten verfasste Alexandra bereits mit sieben Jahren. Neben dem Schreiben bloggt sie als @alexandra_nordwest auf Instagram über Bücher und das Autorenleben oder reist mit Rucksack und Zelt um die Welt.Zu ihren liebsten Genres gehört alles, was mit fantastischen Welten, tiefen Gefühlen, Spannung und Magie zu tun hat. Genauso wie ihr Herz an dunklen Geheimnissen, verworrenen Schicksalen und Charakteren hängt, die immer wieder über sich hinauswachsen.

Mehr über Alexandra Flint:www.alexandraflint.de

Der Verlag

Du liebst Geschichten? Wir bei Planet! auch!Wir wählen unsere Geschichten sorgfältig aus, überarbeiten sie gründlich mit Autor*innen und Übersetzer*innen, gestalten sie gemeinsam mit Illustrator*innen und produzieren sie als Bücher in bester Qualität für euch.

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Viel Spaß beim Lesen!

Für Maxi, weil du an mich geglaubt hast,als ich es selbst nicht mehr getan habe.

Undfür die wundervollen Menschen,die diesen Weg mit mir gehen.Ihr seid der Grund,warum ich nicht stehen bleibe.Ihr seid meine Augenblicke.

PLAYLIST

Jedes Kapitel hat seinen eigenen Song, den ich extra dafür ausgewählt habe. Nicht nur der Text und die tiefere Bedeutung darin, sondern auch die Melodie und Stimmung der Musik drücken aus, was Jo und Taylor in den jeweiligen Situationen durchleben, fühlen und denken.

What I’ve Done – Linkin Park

Good Girls Gone Wild – Klaas

Shine A Little Light – The Black Keys

Flames (with ZAYN) – R3HAB, ZAYN, Jungleboi

I Believe – Foreign Air

WHAT YOU GONNA DO – Bastille, Graham Coxon

Horns – Bryce Fox

Oh My Dear Lord – The Unlikely Candidates

Astronomia (Never Go Home) – Tony Igy

High Road (feat. John Legend) – Fort Minor, John Legend

Paris – Sabrina Carpenter

Wherever You Are – Kodaline

Control – Zoe Wees

Wicked Game – Ursine Vulpine, Annaca

Bad Liar (Stripped) – Imagine Dragons

Zombie (Acoustic Version) – The Cranberries

Hangin’ – Bastille

Cooler Than Me – Lucky Luke

Play With Fire (feat. Yacht Money) – Sam Tinnesz,

Yacht Money

You Mean The World To Me – Freya Ridings

Scars – Boy Epic

Renegades (Stash Konig Remix) – X Ambassadors

Live Like Legends – Ruelle

The Driver – Bastille

you broke me first – Tate McRae

Numb – Linkin Park

Bravado – Lorde

Waiting Game – BANKS

Cinderella Man – Eminem

Survivor – 2WEI, Edda Hayes

Helium – Sia

War Of Hearts – Ruelle

PROLOG

TAYLOR

What I’ve Done – Linkin Park

»Ich wette mit euch, sie werden mich wieder gegen Avan antreten lassen. Weil es ja so revolutionär ist, Wasser und Feuer zusammen in den Ring zu schicken, um zu schauen, welches Element das stärkere ist.« Meine beste Freundin Samira pustete sich eine Strähne ihrer roten Haare aus dem Gesicht und griff lustlos nach ihrem Vollkornbrot. »Dabei wissen sie längst, was dabei rauskommt. Ich schlage ihn jedes Mal um Längen.«

Avan schenkte ihr einen genervten Blick. »Du hast sie nicht mehr alle, Sam.«

Mit einem schiefen Grinsen schlug ich unter dem Tisch mit Sam ein und ließ die fünf bewaffneten Aufseher, die unserer Gruppe zugeteilt waren, keine Sekunde aus den Augen. Jeglicher nicht regelkonformer Körperkontakt war untersagt und ich war nicht besonders scharf darauf, als Bestrafung für ein paar Stunden ausgeknockt zu werden.

»Du hast nur Schiss«, erwiderte Sam und verengte ihre smaragdgrünen Augen, woraufhin der Orangensaft auf ihrem Tablett gefährlich zu blubbern begann.

Einer der Aufseher, ein bulliger Typ mit Sturmmaske und schwarzer Uniform, legte warnend eine Hand auf die Schnellschusswaffe an seiner Seite und machte einen Schritt in Richtung unseres Tischs. Der unerlaubte Einsatz unserer Fähigkeiten war genauso verboten wie Händchenhalten oder sonstiges Aus-der-Reihe-Tanzen.

Ich versetzte Samira einen leichten Tritt gegen ihr Schienbein, was sie ruckartig zu mir schauen ließ. »Der Gorilla, Sam. Neun Uhr«, flüsterte ich und hob warnend die Augenbrauen.

»Spielverderber«, brummte sie und atmete aus.

Der Orangensaft beruhigte sich wieder.

Quinn, der links von Sam saß, und ich sahen uns vielsagend an. In letzter Zeit schien es unsere Freundin geradezu darauf anzulegen, ausgeschaltet zu werden. Als hätte sie ungesunden Gefallen daran gefunden, mit dem Feuer zu spielen.

Keine gute Entwicklung.

Die Unterlippe zwischen die Zähne gezogen, legte ich meinen Apfel zurück und fuhr mir unwillkürlich über den linken Unterarm. Dort, wo der Tracker mit dem Deaktor, einem speziell für uns entwickelten Nervengift, unter meiner Haut saß, bereit, mich bei dem kleinsten Vergehen unschädlich zu machen. Beinahe wie eine tickende Zeitbombe, deren Zünder nicht in meinen Händen lag.

»Wo ist eigentlich Hayden? Er lässt sich doch sonst kein Frühstück entgehen. Haben sie ihn wieder auf eine Sondermission geschickt?« Sam schaute von mir zu Quinn und zurück, ehe sie ihren Blick einmal über den Speisesaal gleiten ließ.

Sechs Tische für sechs Generationen Emerdale in perfekten Reihen angeordnet. Neununddreißig Probanden, sogenannte Dales, ruhiggestellt und diszipliniert. Dreiundzwanzig schwer bewaffnete Soldaten und Aufseher, keine Fenster, eine gesicherte Tür und eine Essensausgabe. Dazu nackte Betonwände und fünfzehn sichtbare Kameras, die jeden Winkel des Saals überwachten.

Aber kein Hayden.

»Er hat mir von keiner weiteren Mission erzählt«, meinte Quinn und runzelte die Stirn. Seine dunkle Haut bot einen starken Kontrast zu unserer einheitlichen hellgrauen Kleidung. »Aber dir hat er sicherlich was gesagt, oder Tay?«

Ich presste die Lippen zu einer schmalen Linie zusammen.

Ja, Hayden hatte mir etwas gesagt. Von den scheinbar unmöglichen Dingen, die sie von ihm verlangten. Von den Schmerzen, dem Druck, den Mitteln und Experimenten, die ihn langsam, aber sicher zerstörten. Ich kannte diese Tests und Versuchsreihen – wusste, was sie mit einem anstellten. Und dass sie einen früher oder später umbrachten.

Ich schluckte und ballte die Hände im Schoß zu Fäusten.

Wir alle besaßen spezielle Fähigkeiten, die uns einzigartig, die uns zu Waffen machten – aber Hayden und ich, wir waren anders. Unsere Fähigkeiten reichten weiter.

»Tay?« Quinns warme, beinahe sanfte Stimme ließ mich das Kinn heben.

»Er müsste jeden Moment hier sein«, gab ich schließlich zurück und zwang mich zu einem dünnen Lächeln. »Nur eine Routineuntersuchung, nichts weiter.«

Sam machte den Mund auf, vermutlich um meine jämmerliche Lüge zu entlarven, als sich die breite Tür zischend öffnete und Hayden, flankiert von zwei Soldaten, in den Speisesaal geführt wurde. Köpfe wandten sich in seine Richtung und dann wieder, weil wir darauf gedrillt worden waren und so etwas Teil unseres Alltags war, ab. Niemand stellte Fragen, niemand sagte etwas. Bis auf ein leises Wispern war es so still wie in einem verfluchten Grab.

Haydens Tracker wurde gescannt, dann lief er durch die Tischreihen bis zu unserem Platz, den Blick fest auf etwas geheftet, das nur er zu sehen schien. Seine Schultern waren gestrafft, seine Haltung aufrecht und jede Bewegung präzise und entschlossen. Aber auch wenn er sich alle Mühe gab, sich zusammenzureißen, konnte ich ihm ansehen, dass jeder einzelne Schritt eine Qual für seinen geschundenen Körper war.

Die anderen mochten es geflissentlich übersehen oder gar nicht erst bemerken, doch mich konnte er nicht täuschen, dafür kannte ich ihn zu gut.

Dunkle Ringe lagen unter seinen hellbraunen Augen, denen ihr üblicher Glanz fehlte, und seine schwarzen Haare fielen ihm in die feuchte Stirn. Seine sonst gebräunte Haut wirkte fahl und die feine Narbe, die sich durch seine Unterlippe zog, hob sich jetzt unnatürlich stark von seinem Gesicht ab. Er wirkte, als würde er jeden Moment umkippen. Beinahe lautlos ließ er sich auf den freien Stuhl neben mir nieder und starrte dann mit gefurchter Stirn auf das Tablett vor ihm.

»Morgen«, murmelte er und fuhr sich durch die Haare. »Sehe ich so scheiße aus?«

»Darauf willst du keine ernsthafte Antwort«, sagte Quinn, doch seiner Stimme fehlte die übliche Leichtigkeit. »Was war es dieses Mal?«

»Russland.« Hayden sprach das eine Wort mit einer solchen Heftigkeit aus, als wäre es sein ganz persönlicher Fluch. »Russland mit zwei Lkw.«

Ich sah ihn von der Seite an und zog die Augenbrauen zusammen. Sie hatten schon viel von Hayden verlangt, aber das? Das hätte ihn umbringen können. Zähneknirschend krallte ich die Nägel in den Stoff meiner Hose, als ich spürte, wie sich mein Magen verkrampfte. »Diese –«

Hayden legte eine kühle Hand auf meine erhitzten Finger und drückte sie. »Nicht, Tay. Das ist es nicht wert.«

Hilflos sah ich ihn an. Vielleicht hatte es ihn dieses Mal nicht getötet, aber was wäre beim nächsten Testlauf? Wenn es nicht zwei Lkw wären, sondern drei oder vier? Oder gleich ein verdammter Güterzug, mit dem er sich auf den Mond teleportieren sollte?

Der Griff um meine Finger wurde fester, warnender. »Tay, alles ist gut. Ich bin nur erschöpft, nichts, das nicht wieder wird. Beruhige dich«, flüsterte Hayden nah an meinem Ohr. »Wir reden später, okay?«

Zögerlich löste ich meine Fingernägel aus dem Stoff und nickte abgehackt. »Okay.«

Unsere Blicke begegneten sich für einen Atemzug, ehe Hayden den Kopf zur Seite wandte und seine Hand zurückzog. »Habe ich etwas verpasst?«, wollte er dann in gespielter Unbeschwertheit wissen, als hätte es seinen Auftritt gerade nicht gegeben. Als hätten sie ihn nicht ein weiteres Mal weit über seine Grenzen hinausgebracht.

Weil das das einzige Verhalten war, was wir kannten. Weitermachen. Keine Fragen stellen. Sich fügen. Am Leben bleiben.

Quinn räusperte sich und drehte seinen Löffel in den Händen. »Sam plant ihren nächsten Kriegszug gegen unseren Feuerteufel Avan.«

»Halt die Klappe, Quinn!«, brummte Avan und schoss einen finsteren Blick in seine Richtung, der unter anderen Umständen tödlich gewesen wäre.

»Ruhe, Generation 5!«, bellte der Aufpasser, der uns am nächsten war, und schlug auf die glänzende Oberfläche unseres Tisches. Sams Orangensaft kippte um und ergoss sich über die zerrupften Reste ihres Vollkornbrots.

»Was für eine Sauerei«, murmelte Quinn kopfschüttelnd.

Der Aufpasser legte drohend eine Hand an seine Waffe und setzte zu einer schneidenden Antwort an. »Das ist die letzte –«

Doch was auch immer er hatte sagen wollen, verließ nie seinen Mund, denn in diesem Moment wurde die Tür ein weiteres Mal aufgerissen und ein Arzt in weißem, wehendem Kittel und mit hochrotem Gesicht stürmte in den Saal. Ich erkannte ihn als Prof. Theodore Kellish wieder, den Arzt, der für unsere Generation verantwortlich und selbst unter großem Druck normalerweise die Ruhe in Person war. Ich konnte mich an keine Situation erinnern, in der er die Stimme erhoben hatte und jetzt … wirkte er, als wollte er die Cafeteria in Schutt und Asche legen.

Ein ungutes Gefühl machte sich in mir breit.

»Sir, Sie können hier nicht durch«, hielt ihn einer der Soldaten zurück und hob eine Hand.

Kellish deutete wütend auf sein Klemmbrett. Für einen irrationalen Augenblick glaubte ich, er würde dem Soldaten damit eins überziehen.

»Und ich sage Ihnen, Sie gehen mir jetzt sofort aus dem Weg. Es handelt sich um einen Notfall. Eine Anomalie.«

Leise Stimmen erhoben sich um mich herum und ich hielt unwillkürlich den Atem an.

Eine Anomalie war übel. Wirklich übel.

Sie war das Todesurteil desjenigen, der sie besaß. Das hatten wir schon oft genug mitbekommen.

Der Aufseher nahm das Klemmbrett entgegen und überflog es, nickte knapp. Mit ernster Miene gab er eine wortlose Anweisung, woraufhin sich Soldaten neu positionierten, so, dass ihre Läufe auf unseren Tisch gerichtet waren.

Es ist einer von uns. Einer aus der fünften Generation.

Quinns Löffel fiel mit einem leisen Klappern auf das Tablett, als ihm dasselbe nur einen Sekundenbruchteil später klar wurde. Mein Blick zuckte über die vierzehn Jugendlichen, die mit mir am Tisch saßen. Vierzehn Gesichter, die mich schon mein ganzes Leben lang begleiteten. Meine Familie, meine Freunde.

Dann sah ich auf – direkt in Kellishs Augen.

Und da wusste ich es.

»C8. Herkommen.«

Ich nahm die harsche, tiefe Stimme des Soldaten kaum wahr. Hörte kaum, wie meine Kennung durch den Speisesaal hallte, merkte nicht, wie ich ungewollt zum Zentrum der Aufmerksamkeit wurde.

Anomalie. Ich werde sterben. Anomalie. Ich werde sterben.

Die beiden Sätze kreisten wenig hilfreich in meinem sonst so intelligenten Kopf umher, besetzten jede denkfähige Synapse, lähmten mich. Mein Herz schien stehen zu bleiben.

»Tay …« Haydens Blick fand meinen. In diesem Moment wirkten seine Iriden beinahe wie flüssiger Bernstein. »Tay, ich …«

Unnachgiebige Hände rissen mich von meinem Platz hoch, sodass mein Stuhl mit einem lauten Scheppern nach hinten fiel, schleppten mich durch die Tischreihen bis vor Professor Kellish, der soeben mein Todesurteil verkündet hatte.

Das durfte nicht wahr sein. Das konnte nicht real sein. Nicht ich. Nicht heute.

»Ich werde sie in Trakt 9 bringen«, ließ er die Soldaten, die mich schraubstockartig zwischen sich hielten, wissen.

Trakt 9 war nur die offizielle Bezeichnung des Bereichs, den wir untereinander den Todestrakt nannten.

»Mit Verlaub, Sir, aber wir sollten Sie begleiten, wenn wir es mit einer derartigen Anomalie zu tun haben«, entgegnete der Aufseher, der ihn zuvor zurückgehalten hatte.

Kellish schob das Kinn vor. »Vergessen Sie nicht, wo Ihr Platz ist, Tanner. Ich werde C8 nach oben bringen, Sie werden hier bleiben und für Ruhe sorgen. Wir halten uns an das Protokoll. Habe ich mich klar ausgedrückt?« Der Arzt musste seine Stimme nicht einmal heben, die Kälte darin reichte voll und ganz, um Tanner sofort erstarren zu lassen. »Und jetzt übergeben Sie mir C8, wir haben auch so schon zu viel Zeit verloren. Mr Haes wartet nicht gerne. Schon gar nicht, wenn sich sein erfolgreichstes Experiment als Enttäuschung herausstellt.«

Unter der Wucht seiner Worte zuckte ich merklich zusammen. Enttäuschung.

»Sicher«, beeilte sich der Aufseher – Tanner – zu sagen. Die Soldaten ließen von mir ab und ich hätte beinahe das Gleichgewicht verloren, hätte nicht Kellish nach meinem Oberarm gegriffen und mich zur Tür geschleift. Seine Finger gruben sich in meine Haut, doch ich spürte es kaum.

Mein Tracker wurde gescannt, dann verließen wir den Speisesaal durch die Schleuse, die sich zischend hinter uns schloss.

Ich sah nicht einmal zurück.

Kellish schlug ein schnelles Tempo an, wir passierten Schleusen, liefen durch schier endlose Gänge aus nacktem Beton, vorbei an Türen, anderen Fluren, Treppenhäusern. Stiegen Stufen hinauf, mieden die automatisch gesteuerten Fahrstühle.

Und bei jeder einzelnen Schleuse scannte er seinen Ausweis, nicht aber meinen Tracker.

Dieses kleine Detail schaffte es schließlich durch den Nebel meiner rasenden Gedanken und brachte mein Gehirn endlich wieder zum Arbeiten.

Wir bewegten uns nach oben, nicht nach unten. Wir waren nicht auf dem Weg zu Trakt 9.

Abrupt blieb ich stehen. »Wohin gehen wir?«

»Ich habe dir nicht die Erlaubnis gegeben, zu sprechen, C8.« Kellishs Griff um meinen Arm wurde fester, sodass die dort sitzenden Nerven unangenehm zu prickeln begannen, als er mich unnachgiebig weiterzog.

Wieder eine Abzweigung. Wir hielten uns links, nicht rechts, was der logische Weg zurück zum zentralen Treppenhaus gewesen wäre. Stattdessen betraten wir einen Bereich, in dem ich noch nie gewesen war.

Das ungute Gefühl in meinem Bauch wurde drängender.

»Professor Kellish, was ist hier los?«, fragte ich noch einmal. »Was ist das für eine Anomalie?«

Wir traten durch eine weitere Tür, die Kellish zusätzlich mit einem elektronischen Schloss hinter uns sicherte. Ich starrte auf das Schloss – das war keine der Standardsicherungen.

Im nächsten Moment drehte mich Kellish ruckartig zu sich herum und packte mich an den Schultern. Sein Blick bohrte sich geradezu in meinen. »Hör mir jetzt ganz genau zu, hast du verstanden? Und tu exakt das, was ich dir sage.« Verwirrt runzelte ich die Stirn und nickte. »Die Führungsebene von Emerdale wird heute um Punkt zwölf Uhr den gesamten Komplex vernichten. Inklusive aller Dales und Forschungsergebnisse.«

Ich schüttelte entgegen aller Vernunft den Kopf. »Was zum … Das ist unmöglich.«

»Du weißt längst, dass es möglich ist«, fuhr er mich barsch an. »Sie werden die Selbstzerstörungssequenz in wenigen Stunden einleiten und alles hochgehen lassen. Es ist zu viel schiefgelaufen. Zu viele unangenehme Fragen sind aufgekommen. Die Regierung fordert, dass gehandelt wird.«

Ich riss die Augen auf. »Wir müssen die anderen warnen. Evakuieren und –«

»Nein!«, unterbrach mich Kellish scharf und drückte seine Nägel fester in meine Haut. »Dafür bleibt keine Zeit. Wir haben nur diese eine Chance und das Zeitfenster schließt sich bereits. In sechsundachtzig Sekunden wird der Alarm losgehen und dann ist hier die Hölle los. Horch auf mein Stimmmuster, ich lüge nicht. Du musst mir vertrauen und tun, was ich sage.«

Nein, er log nicht. Er sagte die verfluchte Wahrheit.

Meine Freunde erschienen vor meinem inneren Auge, das einzige Leben, das ich kannte.

Hayden – ausgelöscht. Alles vernichtet, als hätte es niemals existiert. Ich sah mich selbst inmitten eines rauchenden Trümmerhaufens und um mich herum nichts als Zerstörung.

»Taylor, hast du verstanden?« Kellish schüttelte mich, bis ich wieder zu mir kam.

Taylor – er hatte meinen Namen verwendet. Nicht meine Kennung. Den Namen, den mir Hayden und Sam gegeben hatten.

Ich biss die Zähne zusammen und schob jegliche Emotionen beiseite. Dafür war jetzt kein Platz. Kellish hatte recht, ich wusste längst, dass er die Wahrheit sagte. Dass Emerdales Vernichtung nicht nur möglich war, sondern dass sie unausweichlich bevorstand. Und dass unsere Überlebenschance mit jeder Sekunde sank.

Ich musste funktionieren.

»Taylor?!«

Ich nickte knapp und ballte die Hände zu Fäusten.

»Gut«, gab er zurück, zog eine Spritze aus seinem Kittel und rammte sie mir ohne Vorwarnung in den Oberarm. »Das Mittel wird das Nervengift aus dem Tracker neutralisieren, sollten sie ihn aktivieren. Damit hast du Handlungsfreiheit und die werden wir weiß Gott brauchen.«

Mit einem stummen Fluch sank ich auf die Knie und umfasste meinen pochenden Arm. Scheiße, tat das weh. Ein Zittern glitt durch mich hindurch, kalter Schweiß trat mir auf die Stirn. Kleine bunte Punkte begannen vor meinen Augen zu tanzen.

Nicht gut.

»Sobald wir draußen sind, entferne ich den Tracker, aber jetzt haben wir dafür keine Zeit.« Noch immer halb benebelt verfolgte ich, wie Kellish mit schnellen Handgriffen einen schmalen Koffer aus einem Spalt zwischen zwei Aktenschränken zog.

»Steh auf, ich brauche dich voll einsatzfähig, sonst kommen wir hier nicht lebend raus.«

»Dann hätten Sie mich vielleicht vor der Spritze warnen sollen«, stieß ich ungehalten hervor und kämpfte mich mühsam zurück auf die Beine. Meine Nervenenden begannen gefährlich zu prickeln, als sich mein Puls beschleunigte, heißes Blut viel zu schnell durch meinen Körper gepumpt wurde und ich das Gefühl hatte, jeden Moment die Kontrolle zu verlieren. Meine sorgsam weggeschlossene Telekinese rüttelte an ihren Fesseln und ließ das Regal links von mir bedenklich zittern. Die Gläser darin schlugen wie Todesglocken aneinander. Ich biss die Zähne zusammen. »Und noch mal: Ich glaube Ihnen, dass Emerdale zerstört wird, aber ich gehe nicht ohne die anderen. Ich lasse nicht zu, dass sie sie einfach auslöschen, als hätten sie niemals existiert. Sie werden meine Freunde umbringen!«

»Das werden sie und weißt du was? Wir können nichts dagegen unternehmen. Rein gar nichts. Und wenn wir uns nicht endlich in Bewegung setzen, werden sie uns genauso töten«, gab Professor Kellish tonlos zurück und entriegelte eine schmale Tür auf der gegenüberliegenden Seite des dämmrigen Raums, in dem wir uns befanden. Ein leises Piepen erklang, dann war sie offen. »Du bist zu klug, um dich irrational zu verhalten.«

»Sagen Sie mir nicht, wie ich mich verhalten soll!« Einige der Gläser schossen aus dem Regal und zersprangen mit einem hellen Klirren auf dem Boden und an den Wänden. Hörbar stieß ich meinen Atem aus und ballte die Hände zu Fäusten. Ich hatte meine ganz persönliche Grenze erreicht.

Von irgendwoher drangen gedämpft schwere Schritte und gebellte Befehle zu uns.

»Zehn Sekunden.« Kellishs unruhiger Blick zuckte von den Scherben zu mir und zurück. »Beruhige dich, Taylor.«

»Warum?«, feuerte ich zurück. »Warum ich?« Tränen stiegen mir in die Augen, brannten, als hätte man mir Säure hineingegeben. Das war zu viel. Viel zu viel. Überfordert fuhr ich mir mit bebenden Fingern über meine verschwitzte Stirn.

»Weil du der Schlüssel bist. Weil du das bist, was Emerdale immer zu erreichen versucht hat, und weil sie das niemals erfahren dürfen. Du bist die Stärkste von ihnen, die Gefährlichste und genau aus diesem Grund musst du überleben. Für alle anderen.«

Das ergab keinen Sinn. Seine Worte –

Mein Gedanke wurde von einer schrillen Sirene unterbrochen, die in diesem Moment ohrenbetäubend laut ansprang und rote, blinkende Lichter aktivierte.

»Es hat begonnen«, verkündete Kellish unheilvoll und versetzte mir einen Stoß. »Beweg dich oder wir sind beide tot.«

Verriegelungsprotokoll Alpha-Drei-Drei in Kraft. Flüchtige Personen in Sektor 3. Verriegelungsprotokoll Alpha-Drei-Drei in Kraft. Flüchtige Personen in Sektor 3. Verr…

Die monotone Stimme durchbrach den schrecklichen Lärm und weckte in mir den Wunsch, mir die Ohren zuzuhalten, während sich die Worte immer weiter in mein Gehirn fraßen.

Kellish fluchte, schlug die Tür hinter uns zu und hielt sich nicht lange damit auf, sie zu verriegeln, sondern trieb mich weiter voran.

»Sektor 3 abriegeln!«, brüllte irgendjemand. Die harte Stimme war viel zu nah. Dann zerriss ein erster Schuss die Luft – er schlug keine zwei Meter vor mir in einen Pfeiler ein.

Verfluchte Scheiße!

Mein Herz schlug mir bis zum Hals, trommelte gegen meine Rippen, als wollte es mir die Brust zertrümmern, und ich legte noch einen Gang zu. Meine Füße klatschten im selben hektischen Rhythmus wie mein Herzschlag auf den dunklen Asphalt. Der Geruch von Benzin und Gummi drang in meine Nase. Eine Garage. Wir waren in einer Garage, dem Fuhrpark von Emerdale.

Projektile flogen an uns vorbei. Prallten von den Fahrzeugen um uns herum ab, zertrümmerten Fensterscheiben, die in Glasregen explodierten und im Lärm der Sirene untergingen.

Das war Wahnsinn. Das, was Kellish hier versuchte, war Wahnsinn.

»In den Wagen!«

Mit einem unterdrückten Fluch beschleunigte ich, schlitterte über das Heck eines alten Wagens und kam knapp neben dem Arzt zum Stehen. Blut lief aus einer Schusswunde an seiner rechten Schulter und färbte seinen weißen Kittel scharlachrot.

Wortlos drängte er mich auf den Beifahrersitz eines schwarzen Humvee, ehe er hinter das Lenkrad sprang und den Schlüssel in die Zündung rammte.

»Schnall dich an und halte dich bereit!«

Der Motor erwachte mit einem tiefen Brummen zum Leben, dann raste Kellish auch schon mit quietschenden Reifen aus der Parklücke.

Unzählige Soldaten lösten sich überall um uns herum aus den Schatten, richteten ihre Gewehre auf uns. Kleine rote Laserpunkte tanzten durch die Garage und fokussierten unseren Wagen. Ich stieß ein Keuchen aus und krallte mich an den Türgriff, während Kellish den Soldaten mit wilden Manövern auswich und hochschaltete. Wenn nicht die Kugeln, dann würde uns diese Fahrt umbringen.

Auf so etwas hatten sie uns in all den Jahren des harten Trainings und der Kämpfe nicht vorbereitet. Das hier war der reinste Albtraum.

»Schalte sie aus, Taylor.« Seine kalte, emotionslose Stimme ließ mich herumfahren.

Ein direkter Befehl.

Das erste Projektil schlug gegen die Panzerung des Wagens und ließ mich zusammenzucken.

»Taylor!«, presste Kellish angespannt hervor und raste um die Kurve. Vor uns tauchten weitere Soldaten von Emerdale auf.

Soldaten, die zuließen, dass man uns nach all den Jahren beseitigte wie Abfall.

Soldaten, die uns, ohne zu zögern, erschießen würden.

Soldaten, die keinen Finger rühren würden, um Hayden und all die anderen zu retten.

Und mehr brauchte es nicht.

Heiße Wut rauschte als rote Wolke durch meinen Körper, putschte mich in Sekundenbruchteilen auf und sorgte dafür, dass ich meine sorgsam kontrollierte Beherrschung zum Teufel schickte. Ein einziger Gedanke – ein einziger, scharfer Gedanke meinerseits reichte aus, um die Soldaten außerhalb des Wagens durch die Luft zu schleudern. Um sie gegen die Betonwände zu schmettern, als wären sie winzige Spielfiguren, und ihnen damit jeden einzelnen Knochen zu brechen.

Meine Telekinese brach aus mir heraus wie ein wildes Tier, wütete und zerfleischte. Kellish hatte recht gehabt, ich war die Stärkste, die Gefährlichste.

Ich konnte mit einem einzigen Gedanken töten.

Eine Träne rann über meine Wange, brannte sich in meine Haut, während Kellish den Humvee ungebremst durch die Garage jagte – direkt auf das geschlossene Tor zu. Sekundenbruchteile, bevor wir kollidieren konnten, sprengte ich es mit meinen Fähigkeiten auf und ließ es, kaum dass wir durchgerast waren, wieder einrasten. Schnitt unseren Verfolgern den Weg ab.

Nevadas Sonne blendete uns, als wir aus dem Untergrund schossen, hinein in grelles Licht, das mich blinzelnd die Hand gegen den makellos blauen Himmel heben ließ. Rötlicher Staub wirbelte um uns herum auf, als Kellish den Wagen gnadenlos über die unbefestigte Straße in Richtung Haupttor trieb. Unser Ausweg.

»Kellish!«, rief ich und deutete auf die gut ein Dutzend Fahrzeuge, deren Motoren gerade gestartet wurden.

»Nur ein paar Störenfriede.«

Das war die Untertreibung des Tages.

Waffen wurden entsichert und auf uns gerichtet. Soldaten kamen aus den drei zugehörigen Baracken gestürmt, Gewehre und Pistolen im Anschlag. Eine ganze verdammte Armee von Emerdales Soldaten formierte sich, um uns den Weg zu versperren.

Und dann eröffneten sie das Feuer.

Schüsse knallten schneller, als ich zählen konnte, gegen den Humvee, schlugen krachend gegen die Scheiben, explodierten im Boden um uns herum, wie kleine Handgranaten. Das würde die Panzerung nicht mehr lange durchhalten.

»Verschaff uns Zeit, Taylor. Wir passieren das Tor. Du verriegelst es hinter uns. Dann sind wir raus«, wies mich Kellish mit abgehackten Worten an. Schweiß glänzte auf seiner Stirn und die Knöchel traten an seinen Händen weiß hervor, so fest hielt er das Lenkrad umklammert. Noch immer sickerte purpurnes Blut aus seiner Schusswunde. Es war ein Wunder, dass er noch bei Bewusstsein war.

»Verstanden«, gab ich knapp zurück und hob den Blick.

Adrenalin rauschte in einer einzigen, heißen Welle durch mich hindurch, als ich das unsichtbare, tödliche Feuer auf unsere Gegner eröffnete und das Wenige zurückließ, das mich zu einem fühlenden Wesen machte. Ich wurde zu dem Monster, das Emerdale erschaffen hatte.

Und als sich ihre eigenen Waffen plötzlich gegen sie wendeten, hatten sie keine Chance.

Als der große Tank in der Nähe der Soldatenformation in einer flammenden Explosion hochging und unzählige von ihnen in den Tod riss.

Als die Motoren ihrer Fahrzeuge implodierten.

Als ich den geparkten Helikopter in die Luft jagte.

Ich vernichtete jeden Einzelnen von ihnen, ohne darüber nachzudenken. Zerstörte jedes Fluchtmittel. Verschaffte uns Zeit. Es war zu leicht, dabei hätte es nicht so einfach sein dürfen. Oder?

Die große Schleuse, die in die mit Stacheldraht und elektrischen Sicherungen bewehrte Mauer eingelassen war, tauchte vor uns auf, öffnete sich ruckartig, als ich kurzen Prozess mit der Verriegelung machte und damit das letzte Hindernis ausschaltete.

Und dann waren wir draußen.

»Gut gemacht«, sagte Kellish mit tonloser Stimme und drückte das Gaspedal durch. Am liebsten hätte ich ihn gefragt, was gut an so viel Verwüstung und Tod war. Was gut daran war, ein Monster zu sein.

Als hätte er meine bitteren Gedanken gehört, warf er mir im nächsten Moment einen kurzen Blick zu. »Du hast um dein Leben gekämpft, Taylor. Verurteile dich nicht dafür und schau nicht zurück. Das ist Emerdale nicht wert.«

Ich tat es trotzdem. Weil sie es wert waren. Meine Freunde, meine Familie, das, was bisher mein Leben gewesen war. Ich sah in den Rückspiegel, wo das unscheinbare, graue Gebäude, unter dem sich der Komplex von Emerdale befand, immer kleiner wurde und schließlich ganz verschwand.

Als hätte es nie wirklich existiert.

Als hätten all die Leben, meine Freunde, keine Rolle gespielt.

Niemand würde sich an sie erinnern.

Ich krallte meine zittrigen Hände in meine Oberschenkel, bis ich die Nägel durch den Stoff hindurch spürte. Stumme Tränen liefen mir über die Wangen.

Ich würde es tun.

Ich würde mich erinnern und nichts von alledem vergessen. Nicht den Schmerz, nicht die Freude. Nicht das Leid. Nicht das Monster, das in mir tobte.

Nicht eine einzelne, verdammte Sekunde davon.

KAPITEL 1

TAYLOR

Good Girls Gone Wild – Klaas

Drei Wochen später.

Eine Hand am Geländer verharrte ich auf der ausladenden Treppe, die im Takt der tiefen Bässe vibrierte und mich direkt auf den Main Floor das Nachtclubs bringen würde. Unzählige junge Erwachsene rekelten sich dort zu der lauten Musik, die der DJ bis zur Schmerzgrenze aufgedreht hatte, und verschmolzen zu einer einzigen wabernden Masse. Es war unmöglich zu sagen, wo der eine begann und der andere Körper aufhörte – und doch fand ich beinahe sofort, wonach ich gesucht hatte. Als würde mich die Gefahr magisch anziehen und meinen Namen rufen.

Hab ich dich.

Mit einem schiefen Lächeln überwand ich die letzten Treppenstufen, betrat die Tanzfläche, ließ mich von der Musik führen und wurde zu einem Teil der Menge. Die drei Drinks, die ich mir bereits gegönnt hatte, zeigten endlich Wirkung und ich wollte jede einzelne Sekunde dieses Segens in vollen Zügen genießen – so kurz er auch anhalten würde –, ehe ich mich meiner Aufgabe widmen würde. So viel Zeit musste sein.

Der Song wechselte geschmeidig in den nächsten, der Bass wurde hochgedreht und verband sich direkt mit meinem Herzschlag. Es war wie im Rausch. Nur noch bunte Lichter, dröhnend laute Musik, stickige Luft, die nach Gras, Alkohol und einer wilden Mischung aus billigen Parfüms und Aftershaves roch.

Es war genau der richtige Ort. Die richtige Zeit. Und ich war mittendrin.

Die Menge um mich herum begann im Takt zu springen, auf und ab und auf. Arme wurden in die Höhe gerissen, es wurde gejubelt und geschrien, als der Song seinen Höhepunkt erreichte. Der Bass droppte, brachte den Boden zum Beben und die Luft zum Schwingen. Und mit jeder Schwingung drückte sich die Realität mehr durch den Rausch. Die Hitze verzog sich langsam aus meinen Gliedern, das taube Gefühl, das sich über meinen Verstand gelegt hatte, verschwand. Ich öffnete die Augen und stieß den Atem aus. Wie lange war das jetzt gewesen? Vier Minuten, fünf vielleicht?

Mein Körper hatte fünf Minuten gebraucht, um das, was andere in meinem Alter für Stunden ausknockte und zu einem heftigen Kater führte, abzubauen. Nun, ich war nicht wie die anderen und meine süße Gnadenfrist damit offensichtlich beendet.

Mit einem Seufzen strich ich mir die verschwitzten Strähnen meiner dunkelblonden, schulterlangen Haare aus der Stirn und bewegte mich im Takt durch die Menge.

Mein Ziel lag auf drei Uhr, zwei Meter entfernt und war augenscheinlich auf der Suche nach seinem nächsten Opfer.

Nicht heute, Romeo.

Unwillkürlich beschleunigte ich meine Schritte, quetschte mich schneller zwischen den Menschen um mich herum durch – bis mich jemand unsanft anstieß.

»Sorry!«, brüllte mir der Kerl mit den rotbraunen Haaren ins Ohr, fuhr zu mir herum und verstummte dann abrupt. Sein benebelter Blick schien kurz klar zu werden, als hätte er einen Geist gesehen. »Scar?« Er streckte eine Hand nach mir aus, nur um sie im nächsten Moment wieder fallen zu lassen. »Ich dachte, du wärst in Vegas?«

Vegas? Was zum …?

Ich zog die Augenbrauen zusammen und schüttelte den Kopf, ehe ich mich ruppig an ihm vorbeischob und wieder auf meine eigentliche Aufgabe konzentrierte. Meine Zielperson schickte sich gerade an, die Tanzfläche zu verlassen und hatte sich ganz offensichtlich für ihr heutiges Opfer entschieden. Das wiederum bedeutete, dass ich definitiv keine Zeit für verwirrte Idioten und schräge Verwechslungen hatte.

Die Hände zu Fäusten geballt, schlängelte ich mich am DJ-Pult vorbei, ignorierte die anzüglichen Kommentare eines Typen mit grünem Irokesenschnitt und erreichte endlich das Ende des Main Floors. Dort durchzukommen hatte sich angefühlt, als würde man gegen einen stinkenden Oktopus ankämpfen, der einen mit aller Macht an Ort und Stelle zu halten versuchte. Keine besonders angenehme Erfahrung. Suchend ließ ich meinen Blick durch den breiten Gang vor mir schweifen, der zu den Toiletten, der Lounge und dem Notausgang führte. Das grüne Schild, das über der zerbeulten Metalltür hing, schwang noch leicht hin und her.

Bingo.

Ich zupfte am kurzen Saum meines schwarzen Kleides, fasste mein Haar im Nacken zusammen und schob mich entschlossen an einigen Paaren vorbei, die definitiv die Lounge wählen sollten, anstatt den Flur zu belegen. Dann erreichte ich den Notausgang.

Eine Welle Adrenalin rauschte durch meinen Körper und ließ meine Nervenenden vibrieren. Genau deswegen war ich hier. Weil ich diese Art des Rausches liebte und brauchte.

Weil er mir verdammt noch mal das Gefühl gab, am Leben zu sein.

Und weil ich das aus einer ganzen Reihe von Gründen tun musste.

Mit zusammengebissenen Zähnen stieß ich die Tür auf, die quietschend gegen die Wand krachte, und trat in die frische Nachtluft. Unwillkürlich stellten sich die feinen Härchen in meinem Nacken auf. Die kleine Gasse war beengt, Müllcontainer standen an den besprayten Mauern, Dreck lag in den Ecken und mittendrin stand mein Romeo mit seinem Opfer.

Beide fuhren erschrocken herum, als die Tür hinter mir mit einem lauten Knall zurück ins Schloss fiel. Die Augen des Kerls weiteten sich merklich, als hätte er nicht mit einer Unterbrechung gerechnet, während das offenkundig zugedröhnte Mädchen scheinbar durch mich hindurchsah. Romeo – ich hatte keine Ahnung, wie er wirklich hieß – packte den Arm seines Opfers fester und funkelte mich an. »Zieh Leine, wenn du nicht mitmachen willst, Püppchen.«

Ich verdrehte die Augen und kam die zwei Stufen, die in die Gasse hinabführten, runter, als wäre das hier mein Hinterhof und ich die verdammte Königin. Der Typ hatte vor zwei Abenden eine ähnliche Show mit einem anderen Mädchen abgezogen. Ich wusste, was er vorhatte und wie es ausgehen würde. Letztes Mal war ich zu langsam gewesen, hatte gezögert, doch jetzt war ich hier und würde dafür sorgen, dass er so etwas niemals wieder tun würde. Ich würde dieses Mädchen retten, weil ich es retten konnte.

Weil ich nicht wieder weglaufe.

»Was ist mit der Letzten passiert?«, fragte ich und verschränkte lässig die Arme vor der Brust. »Die kleine Blonde?«

»Was redest du? Hau ab!«

Langsam schüttelte ich den Kopf und lächelte nachsichtig. »Ich helfe deinem Erinnerungsvermögen mal auf die Sprünge: Du hast sie ins Krankenhaus befördert, nachdem sie deinen Ansprüchen nicht genügt hat und den Fehler begangen hat, dir etwas abzuschlagen.«

Das Mädchen, das er noch immer mit seinen Pranken an sich gedrückt hielt, drehte erschrocken den Kopf und zerrte an Romeos Hand. »Wer ist das, Kyle? Stimmt das, was sie sagt?«

Kyle. So hieß er also. Romeo gefiel mir besser. Ich mochte die düstere Ironie darin.

»Nur eine Tussi, die nicht weiß, wann sie besser ’nen Abflug machen sollte.« Romeos – Kyles – Griff um den Arm des Mädchens lockerte sich ein wenig, als er einen drohenden Schritt in meine Richtung machte. »Du solltest besser gehen. Jetzt.«

Das hättest du wohl gerne, aber ich werde nicht gehen. Ich renne nicht noch einmal weg. Werde nicht noch einmal abhauen, statt das Richtige zu tun.

Zähneknirschend drückte ich den Rücken durch. »Neuer Vorschlag. Du lässt sie gehen und im Gegenzug unterhalten wir uns ein wenig«, erwiderte ich und hob eine Augenbraue, die, über der die lange, weiße Narbe prangte, die mir Hayden im Training verpasst hatte.

Hayden.

Resolut schob ich die aufkommenden Gefühle und Gedanken, die alleine durch seinen Namen aus mir herauszubrechen drohten, zurück und öffnete und schloss rastlos meine Fäuste. Was war heute nur los mit mir? Sonst schaffte ich es doch auch, meine Dämonen zurückzuhalten.

»Bist du lebensmüde?«

»Nein, nur genervt.«

Kyle ließ endlich von dem Mädchen ab und schob provokant sein breites Kinn, auf dem helle Bartstoppeln und ein paar Pickel sprossen, nach vorne. Seine braunen Augen funkelten angriffslustig, als er seine Finger knacken ließ. »Weißt du, was mich nervt, Püppchen? Frauen, die nicht wissen, wann sie die Klappe halten müssen, und vergessen, wo ihr Platz im Leben ist.«

Wenn ich noch einen Beweis dafür gebraucht hätte, dass Kyle ein Arschloch war, hier hatte ich ihn auf einem Silbertablett serviert bekommen.

Ohne den Mistkerl aus den Augen zu lassen, sagte ich an das Mädchen gewandt: »Verschwinde von hier. Geh zurück zu deinen Freunden und halte dich von solchen Idioten fern.«

Verwirrt drängte sich das Mädchen gegen die Mauer in ihrem Rücken und fuhr sich über die rabenschwarzen Haare. Ihre Finger zitterten. »W-was?«

»Geh«, stieß ich schärfer hervor und wich nach links aus, als Kyle einen ungeschickten Versuch startete, mir eine Ohrfeige zu verpassen.

Das schien auszureichen, um dem Mädchen endlich Beine zu machen. Hastig stieß es sich von der Wand ab und floh zurück in den Club.

Kluges Mädchen.

»Du hast einen Riesenfehler gemacht, Püppchen«, spuckte Kyle aus.

Darauf erwiderte ich erst gar nichts, sondern drehte mich geschmeidig zur Seite, um seinem nächsten Angriff auszuweichen, ehe ich ihm meine gekrümmten Finger in den Solarplexus rammte und mich zurückzog.

Hustend griff er sich an die Brust und schoss einen todbringenden Blick in meine Richtung. »Miststück.«

Ich sah auf ihn herab und pustete mir eine lose Strähne aus den Augen. »Kreativ. Nennst du deine Opfer auch so, nachdem du sie verletzt und zurückgelassen hast?«

»Die wollen das.«

»Sicher«, gab ich augenrollend zurück. »Weißt du, was das Problem mit solchen Typen wie dir ist? Ihr seid so verkommen, ihr merkt nicht einmal, was für kranke Vorstellungen ihr eigentlich habt.«

Kyle stieß ein wütendes Knurren aus und stürzte sich auf mich. Doch noch bevor er mich erreichen – und ich ihn endgültig zu Boden befördern – konnte, trat ein breitschultriger Kerl zwischen uns und schubste Kyle zurück.

»Es reicht, Kyle. Du hast seit Monaten Hausverbot, wenn ich mich recht entsinne. Ich schlage also vor, du verpisst dich oder ich rufe die Polizei«, brummte der Typ, dessen muskulöse Statur mir die Sicht auf Kyle versperrte. Kyle murmelte etwas Unverständliches, das verdächtig nach einer nicht jugendfreien Verwünschung klang, und zog tatsächlich Leine.

Beinahe enttäuscht seufzte ich und lockerte meine Haltung. Da ging er hin, mein perfekter Mittwochabend. Meine einzige Möglichkeit, etwas von dem Druck in meinem Inneren loszuwerden, etwas von der Dunkelheit und dieser schrecklichen Leere.

»Und was dich angeht: Hast du den Verstand verloren?!«

Warum fragte mich das heute eigentlich jeder? Ich runzelte die Stirn und musterte den Kerl. Militärisch kurzer, blonder Haarschnitt, ein schwarzes T-Shirt, das über seiner breiten Brust spannte, ein Army-Tattoo am Oberarm.

»Ich hatte alles im Griff und du hast mir eben gerade meinen Abend versaut«, antwortete ich tonlos und leckte mir über die Unterlippe. »Aber danke der Nachfrage.«

Seine braunen Augen verengten sich merklich, als würde er sich fragen, ob ich wirklich nicht mehr alle Latten am Zaun hätte. »Wie bitte?«

»Vergiss es.« Ich winkte ab und zog mein Handy hervor. Kurz vor Mitternacht. Teddy würde austicken.

Achselzuckend fuhr der Typ sich über das markante Kinn. »Ich habe keine Ahnung, was bei dir schiefläuft, Kleines, aber wenn du dich unbedingt prügeln willst, dann such dir einen Karateverein. Oder geh ins Zenit. Da suchen sie immer Leute, die irre genug sind, und du scheinst mir … na ja, irre genug.«

»Werde ich mir merken«, gab ich zurück, tippte an meine Schläfe und zwinkerte ihm zu, ehe ich mich abwandte und den Ausgang der Gasse ansteuerte. Meine Nacht war gelaufen. Im wahrsten Sinne des Wortes.

»Völlig durchgeknallt«, hörte ich Rambo hinter mir murmeln.

Und vielleicht war ich das ja wirklich.

Das Brummen der italienischen Kaffeemaschine begrüßte mich, als ich die gewundene Treppe ins erste Geschoss hinunterlief, wo unsere Küche, das Wohnzimmer und der Essbereich lagen. Genau wie die meisten Strandhäuser in Malibu hatte es zwei Stockwerke und ein Erdgeschoss, das als weitläufiger Keller diente. Die vordere Hälfte des Hauses stand auf Stelzen direkt über dem Strand, der Rest schmiegte sich an die Klippen. Es gab unzählige, große Glasfronten, statt normalen Wänden, Balkone oder Dachterrassen und kaum einen abgeschlossenen Raum. Die gesamte Architektur war so offen geschnitten, dass es quasi unmöglich war, irgendwo so etwas wie Privatsphäre zu finden. Von den Badezimmern einmal abgesehen.

»Morgen, Teddy«, murmelte ich, durchquerte das Esszimmer und schnappte mir die Tasse Kaffee, die er sich gerade eingegossen hatte. »Hattest du gestern noch einen Durchbruch?«

Teddy – Professor Dr. med. Theodore Kellish – verfolgte mit gerunzelter Stirn, wie ich mich mit seinem Kaffee auf einen der Hocker an der Kücheninsel gleiten ließ, und stützte sich dann auf die marmorne Arbeitsplatte. »Viel interessanter ist doch, was du gestern Abend getrieben hast. Wo bist du gewesen?«

Ich nahm einen Schluck und verbrannte mir prompt die Zunge. »Wüsste nicht, was dich das angeht.«

Seit drei Wochen spielten Teddy und ich schon dieses Spiel. Hielten mit aller Macht diese billige Maskerade aufrecht, gaben uns den wenigen Menschen gegenüber, mit denen wir überhaupt zu tun hatten, als Vater und Tochter aus. Dabei wusste keiner von uns, was das eigentlich bedeutete: Vater und Tochter. Es war nicht mehr als eine Fassade, die uns als Versicherung und Möglichkeit unterzutauchen diente. Ein Spiel, eine Lüge zum Zweck, nicht mehr und nicht weniger.

Ich hatte nicht vergessen, was Teddy getan hatte. Weder unsere Flucht vor drei Wochen, bei der wir alles hinter uns gelassen hatten, noch die vielen Dinge, die er in Emerdale verbrochen hatte.

Unwillkürlich zog ich die Schultern hoch, als mich bei der Erinnung an Emerdale ein Schauer überlief.

Theodore mochte vieles sein, aber ganz sicher kein Freund und schon gar nicht mein Vater. Im Augenblick war er nicht mehr als eine Chance, am Leben zu bleiben, bis ich eine bessere gefunden hatte.

»Es geht mich sehr wohl etwas an, wenn du dir mit deinen Aktionen eine Zielscheibe auf den Rücken klebst. Wir sind vielleicht nicht mehr in Emerdale, Taylor, aber wir sind nicht aus der Welt. Sie werden nach uns suchen und jeden Stein zweimal umdrehen. Und du machst es ihnen zu einfach, wenn du Nacht für Nacht losziehst, um eine selbstauferlegte, blödsinnige Mission zu verfolgen.«

Als ob ich das nicht wüsste. Wütend funkelte ich den Becher vor mir an. »Was verstehst du schon davon?«

»Ich verstehe, dass du dich schuldig fühlst, aber deinen Hals für nichts und wieder nichts zu riskieren, wird nichts daran ändern.«

Teddy irrte sich, er hatte keinen blassen Schimmer davon, wie es sich anfühlte. Wie sehr die Erinnerungen brannten und dass nur das Adrenalin, das Gefühl, irgendjemandem zu helfen, mir ein wenig Linderung verschaffte. Ein wenig von dieser dunklen Leere nahm.

»Taylor, wir haben eine Vision. Einen Plan. Und du weißt, wie riskant jede Abweichung davon ist. Das ist es nicht wert. Es geht um etwas Größeres.«

Kopfschüttelnd umfasste ich die warme Tasse fester. »Das ist dein Plan, nicht unserer«, gab ich finster zurück und begegnete ungerührt seinem stechenden Blick. »Ich habe überhaupt keinen Plan.«

Teddy seufzte tief, ließ sich einen neuen Kaffee raus und lehnte sich mir gegenüber an die Theke. »Darüber haben wir schon gesprochen, Taylor, ich weiß gar nicht, wie oft in den vergangenen zwanzig Tagen.«

»Einundzwanzig«, korrigierte ich und biss die Zähne aufeinander. Einundzwanzig Tage, sieben Stunden, achtunddreißig Minuten und zwölf Sekunden war es her, dass der Komplex von Emerdale in die Luft gegangen war. Und mit ihm meine Freunde. Mein Leben.

Dass ich davongelaufen war.

»Hör zu, mir ist bewusst, dass –«

»Nein, du weißt gar nichts. Versteh mich nicht falsch. Ich bin dir dankbar, dass du mich rausgeholt hast, aber …«

… vielleicht wäre es besser gewesen, wenn ich mit Emerdale untergegangen wäre. Als Teil davon, gemeinsam mit meinen Freunden.

Ich sprach es nicht laut aus, aber ich war mir ziemlich sicher, dass Teddy auch so ahnte, was in mir vorging. Er wusste, dass ich nachts unterwegs war, um meine überschüssige Energie loszuwerden – mich ein bisschen mehr wie ich selbst zu fühlen. Um meine Schuldgefühle zu mindern, auch wenn es absolut sinnlos war. So, als würde man gegen eine Tsunamiwelle anschwimmen wollen. Sie riss einen so oder so mit sich.

Und Teddy wusste auch, dass ich mit diesem Leben, in das er mich geworfen hatte, überfordert war. Ich konnte die kompliziertesten Gleichungen lösen, beherrschte sieben Sprachen fließend und akzentfrei und hatte einen IQ von 191. Ich war im Umgang mit unzähligen Waffen, meiner Telekinese und dem Nahkampf vertraut. Aber mit diesem Ort, der Last, die ich mit mir herumschleppte, all den neuen Eindrücken und Regeln, selbst dem dämlichen Privatcollege, auf das mich Teddy schickte, war ich schlichtweg überfordert.

»Ich habe dir erklärt, warum ich es tun musste«, sagte er beinahe sanft und fuhr sich unbewusst über die Stelle, wo er bei unserer Flucht getroffen worden war. Ich sah das Blut noch immer vor mir.

Ich atmete leise aus und erwiderte dann etwas ruhiger: »Ja, das hast du.« Und ich verstand es. Mein rationaler, logischer Teil konnte es voll und ganz nachvollziehen. Es war eine schlüssige Handlung gewesen, mich aus dem Komplex zu retten, weil sich in meiner DNA der Grundstein der gesamten Forschung von Emerdale befand, aber mein verkorkster, emotionaler Teil … der drehte völlig am Rad. Theodore meinte, dass es gut für mich wäre, das College und die Kurse dort zu besuchen. Normale Jugendliche in meinem Alter zu treffen, mich mit ihnen anzufreunden und von ihnen zu lernen. Seiner Meinung nach könnte ich dadurch einen Weg finden, die schmerzhafte Vergangenheit hinter mir zu lassen.

Nur hatte ich das Gefühl, dass es alles noch schlimmer machte.

Jeden Tag führten mir die Studenten am College vor Augen, was meine Freunde und ich uns in Emerdale in unseren absurden Tagträumen ausgemalt hatten: Studieren, Partys, sich verabreden und sorglos Cappuccinos in Studentencafés schlürfen. Wir hatten darüber diskutiert, wie es wohl wirklich an einem College zugehen würde und gestritten, welche Kurse interessant wären und welche absolut überflüssig. Hatten uns ein imaginäres Leben aufgebaut, während sich unser eigentliches Leben zwischen unerbittlichen Trainingsstunden, Unterricht und medizinischen Tests und Experimenten abgespielt hatte.

Nun war ich Teil dieses Tagtraums, bloß fühlte es sich ganz und gar nicht wie ein Traum an. Vielmehr wie ein Albtraum. Ich musste mich verstellen, sah mich Fremden gegenüber, die nicht ansatzweise verstanden, wer oder was ich war und jeder schien von mir zu verlangen, dass ich mich perfekt integrierte. Ohne meine Freunde und mit dem Wissen, dass ich sie im Stich gelassen hatte und geflohen war. Diese Gedanken lasteten wie mehrere Tonnen Ballast auf meinen Schultern. Ich hatte das Gefühl, mich mit jedem Tag, der verging, mehr zu verlieren.

Theodore nahm einen Schluck von seinem frischen Kaffee und sah mich dann mit gefurchter Stirn über den Rand seiner Tasse hinweg an. »Hast du über meinen Vorschlag nachgedacht?«, wechselte er das Thema und beförderte mich damit zurück in die Gegenwart. Wir waren in den vergangenen Tagen zu wahren Meistern darin geworden, heikle Themen zu vermeiden und geschickt zu umschiffen. Und ich war ihm dankbar dafür, denn ich war weiß Gott noch nicht bereit, mich damit auseinanderzusetzen, was in meinen dunkelsten Ecken lauerte.

Vielleicht wäre ich das nie.

»Ehrlich gesagt, nein.«

»Meinst du nicht, dass es dir eine Perspektive geben würde? Etwas, auf das du hinarbeiten kannst? Ich denke, dass das im Augenblick sehr wichtig für dich ist und die UCLA bietet ein unglaubliches Studienprogramm an. Es wäre eine Chance für einen Neuanfang. Wir könnten gemeinsam an etwas Großem arbeiten.«

Ich leerte meinen Becher, stellte ihn hörbar ab und ließ dann eine der Orangen zu mir fliegen. Teddy warf mir einen strafenden Blick zu – eine unserer obersten Regeln lautete, dass ich meine Fähigkeiten auf keinen Fall im Alltag einsetzen durfte.

»Das ist definitiv kein Thema für einen Donnerstagmorgen nach einer viel zu kurzen Nacht. Frag mich morgen noch mal.« Achselzuckend begann ich, die Orange zu schälen. »Infinitesimalrechnung wartet.«

Kopfschüttelnd verschränkte Teddy die Arme vor der Brust. »Taylor …«

Ich hob abwehrend die Hände und sprang vom Hocker. »Hey, du wolltest, dass ich zum College gehe, okay? War nicht meine Idee.«

Teddy murmelte einige Worte, die verdächtig nach einem Stoßgebet klangen, und fuhr sich über das Gesicht. »Wir fahren in zehn Minuten los.«

Kurz darauf saßen wir in seinem dunkelgrauen Geländewagen und befanden uns auf dem Weg nach Santa Monica. Besser gesagt zum St. James Privatcollege, das ich seit knapp einer Woche besuchte und dem ich absolut nichts abgewinnen konnte. Es war so exklusiv, dass kaum einer die Namensliste der Studenten kannte und es ein überdimensioniertes Sicherheitstor gab, das den einzigen Zugang zu dem hochmodernen Komplex darstelle.

Ich hatte ehrlich gesagt keine Ahnung, wie Teddy es geschafft hatte, mich dort einzuschleusen, aber nachgefragt hatte ich auch nicht. Im Augenblick musste ich mich mit ganz anderen Dingen auseinandersetzen.

Das belebte Santa Monica flog an uns vorbei. Selbst für die frühe Tageszeit war erstaunlich viel auf den Straßen los. Cafés stellten ihre Stühle und Tische raus, Straßenstände wurden aufgebaut und Läden geöffnet. Die ersten Touristen und Strandgänger mit großen Sonnenhüten und Badebekleidung schlenderten an der Promenade entlang und immer wieder mussten wir halten, weil Fahrradfahrer oder Kinder mit Inlineskates die Straße überquerten.

Ich betrachtete die Welt außerhalb des Wagens mit gemischten Gefühlen. Fasziniert von diesem fremden Leben, das ich so nie kennengelernt hatte, gleichzeitig aber auch abgestoßen von der Leichtigkeit dieser Menschen, die keine Ahnung davon hatten, was Schmerz und Leid bedeuteten.

»Wir sollten heute Nachmittag, oder spätestens am Wochenende eine neue Untersuchung starten. Ich möchte sicherstellen, dass alle deine Werte im grünen Bereich sind und dein Organismus problemlos mit den veränderten Bedingungen zurechtkommt.«

»Sicher«, antwortete ich nur, weil wir das schon vor Tagen besprochen hatten und ich wusste, dass Teddy bloß die Stille im Wagen füllen wollte. Gedankenverloren zupfte ich an einem losen Faden herum und zählte stumm die Palmen, an denen wir vorbeikamen.

Den restlichen Weg bis zum St. James legten wir in einvernehmlichem Schweigen zurück. Es war immer noch ungewohnt, mit dem Arzt, der in Emerdale Experimente und Untersuchungen an mir durchgeführt hatte, nun in einem Wagen in Los Angeles zu sitzen und um jeden Preis zu versuchen, etwas vorzutäuschen, was ich nicht war. Ein einfaches Mädchen, das ein College besuchte und von seinem Vater zur Vorlesung gefahren wurde. Wäre die Lage nicht so tragisch, hätte ich über die Absurdität darin gelacht.

Nur hing mein verdammtes Leben jetzt davon ab, eine gute Show abzuliefern, die mir jeder abkaufte. Nicht zum ersten Mal fragte ich mich, wie lange ich das durchhalten würde, ehe ich einfach explodierte.

Das große Tor des Colleges tauchte vor uns auf, Teddy wies sich und mich mit unseren gefälschten Ausweisen aus und Sekunden später öffnete sich die Büchse der Pandora. Ein weiterer bedeutungsloser Tag in einer Reihe von bedeutungslosen Tagen.

»Ich habe heute ein Bewerbungsgespräch im örtlichen Krankenhaus«, sagte Teddy, als er direkt vor dem gepflasterten Weg hielt, der zum Haupteingang des Colleges führte. »Ist eine gute Stelle.«

Ich zog den Rock der Uniform über meine Knie und sah ihn von der Seite an. »Eine riskante noch dazu. Was ist, wenn sie deine Papiere sehen wollen? Deine Lizenzen und Zulassungen? Meinst du nicht, dass die Regierung dort zuerst nach dir suchen wird?«

»Umgekehrte Psychologie, Taylor. Niemand von denen wird vermuten, dass ich wieder als Arzt arbeiten werde. Außerdem sind meine Unterlagen wasserdicht.«

Skeptisch runzelte ich die Stirn und hob meine karierte Kuriertasche auf den Schoß. »Darauf würde ich mich nicht unbedingt verlassen.«

Teddy überging meine gemurmelte Antwort geflissentlich. »Hast du das Notfallhandy? Den Deaktor?«

»Ja, Teddy«, gab ich augenverdrehend zurück. Dann schnallte ich mich ab und öffnete die Beifahrertür. Warme, trockene Luft kam mir entgegen und ließ mich die dicke Uniform ein weiteres Mal verfluchen. Die steife weiße Bluse klebte mir sofort auf der Haut, der dunkelblaue Pullover darüber, der dicke gleichfarbige Faltenrock und die schweren schwarzen Lederschuhe taten ihr Übriges. Ganz zu schweigen von den weißen Kniestrümpfen und der dunkelgrünen Krawatte, die war wirklich der Abschuss.

Als mich Teddy das erste Mal so gesehen hatte, hatte er doch tatsächlich gesagt, dass ich niedlich darin aussehen würde. Er hatte zu einer ausgebildeten Elitesoldatin mit übernatürlichen Fähigkeiten gesagt, sie sei niedlich. Ich hatte ihm daraufhin nur mehrere Bücher an den Kopf geworfen. Mit meiner übernatürlichen Fähigkeit.

»Taylor?« Teddys Stimme, die wieder jenen besonderen, sanften Klang angenommen hatte, ließ mich an der Beifahrertür verharren. Dieser Tonfall machte jedes Mal etwas mit mir, das ich nicht in Worte zu fassen vermochte.

»Ja?«

Er beugte sich weiter vor, sodass er mich besser im Auge hatte. »Hab einen schönen Tag und stell keine Dummheiten an. Und such dir Freunde.«

Auf den letzten Satz ging ich erst gar nicht ein. Er wusste auch so, was ich davon hielt, und konnte es mir vermutlich nur zu genau an der Nasenspitze ablesen. »Dasselbe könnte ich dir auch raten«, murmelte ich bloß und schenkte ihm ein halbherziges Grinsen.

Mit einem Zwinkern startete er den Motor und rauschte, kaum dass ich die Tür hinter mir zugeschlagen hatte, aus der Parklücke.

Einige Atemzüge lang sah ich ihm nach, ehe ich mich abwandte und den Riemen meiner Tasche weiter über meine Schulter zog. Das moderne College funkelte im strahlenden Sonnenschein des neuen Morgens, der mich mit seinem absurd blauen Himmel geradezu zu verspotten schien.

Fabelhalft.

Seufzend beobachtete ich, wie Studenten von ihren schicken Sportwagen und blitzenden Cabrios in Richtung des Gebäudes schlenderten. Ihre ungezwungenen Gespräche, das leise Lachen und die aufgeregten Ausrufe wehten zu mir, während sie sich unterhakten und Freunde begrüßten. Ich sah sie an, folgte ihren sorglosen Bewegungen mit dem Blick und spürte, wie sich in mir etwas zusammenzog. Wir mochten auf dasselbe College gehen, in denselben Hörsälen sitzen, doch zwischen ihnen und mir lagen buchstäblich Welten. Ich war nicht wie sie und würde es vermutlich auch niemals sein. Dafür hatte ich zu viel erlebt, gesehen, getan. Dafür saß mir zu viel im Nacken. Ich war eine verdammte, tickende Zeitbombe. Und irgendwann würde ich hochgehen.

Die Lippen fest aufeinandergepresst, rang ich mich endlich dazu durch, dem Strom aus Studenten ins Gebäude zu folgen. Ich hätte nie geglaubt, dass man sich inmitten einer großen Menge so einsam fühlen konnte.

KAPITEL 2

JONATHAN

Shine A Little Light – The Black Keys

Die dröhnend laute Musik verstummte abrupt, als ich den Motor abstellte und den Schlüssel abzog. Die Stille im Inneren meines Wagens breitete sich aus und wurde zäh und dickflüssig, bis ich das Gefühl hatte, sie würde mir den Atem rauben. Ruckartig stieß ich die Tür auf, um Luft hereinzulassen, und hätte dabei beinahe eine Delle in Olivias Porsche gehauen.

Verdammt.

Die frische Brise Santa Monicas fuhr ins Auto und durch meine dunkelblonden Haare und holte mich zurück auf den Boden der Tatsachen. Ich verzögerte, zumindest würde das mein Psychologe Dr. Martin jetzt sagen, für den meine Eltern ein Vermögen hinblätterten. Etwas, das ich seit jenem schicksalhaften Tag ständig tat, um der Realität zu entfliehen und sei es auch nur für ein paar wertvolle Sekunden, die ich länger in meinem Schätzchen sitzen und mir vorstellen konnte, ich wäre auf dem Weg zu einem Filmset, anstatt auf ein beschissenes College zu gehen.

Aber auch diese wertvollen Sekunden fanden irgendwann ihr viel zu rasches Ende. In diesem Fall durch das durchdringende Läuten der Glocken, das mir nur allzu deutlich vor Augen führte, dass ich – wieder einmal – zu spät kommen würde.

Und dass ich ein feiger Versager war.

Ein Feigling, der sich davor fürchtete, sich seinem Leben zu stellen, oder dem, was davon noch übrig war.

Ich stieß einen Seufzer aus und zog dann meinen Rucksack und die Krücken vom Beifahrersitz. In meinem anderen Leben hatten dort Freunde, Bekannte oder meine Ex Mel gesessen. Er war nie leer gewesen. Meine Lippen verzogen sich ganz von selbst zu einem freudlosen Lächeln. Jetzt hockte dort nur noch ein kläglicher Rest, der mir jeden Tag aufs Neue vor Augen führte, was ich einmal gehabt hatte und wie wenig mir noch geblieben war. Wie leer so vieles geworden war.

Du hast solches Glück, dass du noch lebst. Das ist ein Wunder. Sei dankbar, Jonathan, du hättest tot sein können.

Die imaginäre Stimme meiner Mutter ließ mich die Zähne zusammenbeißen. Ja, ich hatte wirklich wahnsinniges Glück gehabt.

Mühsam wuchtete ich mich aus dem umgebauten Automatik-Wagen – einem Audi R8 – und richtete mich dann mithilfe meiner schwarzen Carbonkrücken auf. Mein Physiotherapeut hatte mir unzählige Male geraten, genauso wie Mum und der Rest der Welt, dass ich mir einen höhergelegten Wagen zulegen sollte – und einen Fahrer am besten gleich noch dazu –, aber glücklicherweise hatte ich da auch noch ein Wörtchen mitzureden.

Ich hatte so viel verloren. Meine Karriere, mein glorreiches, geniales Leben, ein halbes Bein. Da würde ich einen Teufel tun und auch noch meinen glänzenden R8 abgeben. Nur über meine verfluchte Leiche.

Schließlich stand ich wackelig auf meinem mir noch verbliebenen Bein und den beiden Krücken, hängte mir den Rucksack über die Schultern und schlug die Tür hinter mir zu.

Der Parkplatz um mich herum war verlassen, alle anderen waren längst in ihren Kursen, lauschten den Vorlesungen, lernten für ihren Abschluss. Es war lächerlich. Vermutlich hatten Mum und Dr. Martin gehofft, durch einen Besuch des privaten St. James College würde ich wieder zu mir selbst finden, mein neues Leben akzeptieren lernen.

Was für ein Bullshit.

Eigentlich hatten sie genau das Gegenteil erreicht. Ich verabscheute mein Leben mehr denn je, nur hatte ich, dank eines richterlichen Beschlusses und meiner Mutter, keine andere Wahl. Ich stand wieder unter Mums – und Dads, wenn er sich denn mal blicken ließ – Fuchtel. Alles hörte auf ihr Kommando. Ende der Geschichte.

Grimmig zog ich mir die Kapuze meines dünnen, schwarzen Hoodies über den Kopf, den ich über der absurden einheitlichen Kleidung trug, und trat meinen entsetzlich langsamen Weg zu dem hochmodernen Gebäudekomplex an. Die Sonne brannte vom wolkenlosen, blauen Himmel und ließ mich nach kürzester Zeit schwitzen. Es war mir ein Rätsel, warum wir in Santa Monica lange dunkelblaue Hosen und langärmelige Hemden mit Krawatte und Jackett tragen mussten, während es über dreißig Grad waren. Ein weiterer Punkt auf meiner schier endlosen Liste, warum eigentlich alles zum Kotzen war.

Nach einer Ewigkeit erreichte ich die doppelflügelige Tür, die in eine riesige Glasfront eingelassen worden war. Dahinter lag das Foyer mit einer gewaltigen, scheinbar schwebenden Treppe, die sich helixförmig nach oben und unten schraubte. Helles Tageslicht fiel durch die gigantische Kuppel, zu der sich die hohe Decke oberhalb der Treppe wölbte und ließ das Metall der Stufen funkeln.