Mistletoe Moments. Ein Adventskalender. Lovestorys für 24 Tage plus Silvester-Special (Romantische Kurzgeschichten für jeden Tag bis Weihnachten) - Alexandra Flint - E-Book

Mistletoe Moments. Ein Adventskalender. Lovestorys für 24 Tage plus Silvester-Special (Romantische Kurzgeschichten für jeden Tag bis Weihnachten) E-Book

Alexandra Flint

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Beschreibung

Adventszeit in New York! Glitzernde Schaufenster, Schlittschuhlaufen im Central Park, prickelnde Gefühle am Times Square – kein Ort der Welt lässt das Herz im Dezember höherschlagen als New York. Lass dich in die weihnachtlich geschmückte Stadt entführen, denn was könnte schöner sein, als sich die Vorweihnachtszeit mit romantischen Geschichten zu versüßen? Die Lovestorys in "Mistletoe Moments" zeigen dir New York von seiner gefühlvollsten Seite, mit unwiderstehlichen Dates und atemberaubenden Küssen … *** Shortstorys aus New York für 24 Tage plus ein Silvester-Special deiner deutschsprachigen Lieblingsautor*innen ***

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Seitenzahl: 560

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Als Ravensburger E-Book erschienen 2024 Die Print-Ausgabe erscheint im Ravensburger Verlag © 2024 Ravensburger Verlag

1. & 2. Dezember: Greta Milán, © Foto: Réne Limbecker 3. & 4. Dezember: Jana Schäfer, © Foto: privat 5. Dezember: Rebekka Weiler, © Foto: privat 6. Dezember: Stella Tack, © Foto: Gabriele Schwab 7. & 8. Dezember: Saskia Louis, © Foto: Lukas Nuxoll 9. & 10. Dezember: P. J. Ried, © Foto: Emily Bähr 11. Dezember: Anne Lück, © Foto: privat 12. & 13. Dezember: Marius Schaefers, © Foto: Picture People 14. & 15. Dezember: Sarah Saxx, © Foto: privat 16. Dezember: Stefanie Lasthaus, © Foto: privat 17. & 18. Dezember: Jennifer Alice Jager, © Foto: Jennifer Alice Jager 19. & 20. Dezember: Sandra Grauer, © Foto: privat 21. Dezember: Kim Nina Ocker, © Foto: Tarik Güven 22. & 23. Dezember: Nina MacKay, © Foto: Sarah Kastner 24. Dezember: Alexandra Flint, © Foto: Maximilian J. Dreher 31. Dezember: Sabine Schoder, © Foto: privat

Cover- und Innengestaltung: unter Verwendung von Fotos von © Vodoleyka von Adobe Stock

Alle Rechte dieses E-Books vorbehalten durch Ravensburger Verlag GmbH, Postfach 2460, D-88194 Ravensburg.

ISBN 978-3-473-51237-9

ravensburger.com

1 Christmas Cookie Crush I

Aufgeregt drückte ich meine Nase gegen die eiskalte Fensterscheibe und spähte hinab auf die 10th Avenue. Mein winziges Apartment lag im achten Stock eines Mehrfamilienhauses in Chelsea auf der Westseite von Manhattan. Ohne meine Brille konnte ich auf die Entfernung nicht viel erkennen, trotzdem versuchte ich, auf der belebten Straße unter mir eine vertraute Gestalt auszumachen.

Bisher hatte es noch nicht geschneit, allerdings war ich zuversichtlich, dass es nicht mehr lange dauern würde, bis New York unter einer weißen Decke verschwand. Auch die Vorweihnachtsstimmung griff immer mehr um sich. Die Wintermärkte hatten seit Kurzem geöffnet. Überall schmückten bunte Lichterketten die kahlen Bäume, herrlich kitschige Weihnachtsdekorationen zierten nahezu jedes Schaufenster und am vergangenen Mittwoch war der berühmte Weihnachtsbaum am Rockefeller Center während der alljährlichen Lighting Show erstrahlt.

Meine Lippen verzogen sich zu einem Lächeln. Vor vier Jahren hatten meine Freunde und ich bei eben jener Show beschlossen, mit einer eigenen Tradition zu beginnen. Seither feierten wir an jedem ersten Dezember unsere ganz private Christmas Cookie Party, bei der es am Ende sogar einen Preis für die leckersten Cookies gab.

In den letzten beiden Jahren hatte Laney das Rennen gemacht und ich ging jede Wette ein, dass sie uns auch dieses Mal alt aussehen ließ. Aber das war okay – solange wir nur endlich wieder zusammen waren.

Laney, Sadie, Braxton, Curtis und ich hatten im Herbst unseren Abschluss an der NYU gemacht, und obwohl wir einander geschworen hatten, uns weiterhin regelmäßig zu treffen, hatte uns der Ernst des Lebens schnell einen Strich durch die Rechnung gemacht. Anfangs hatten wir das kleine Wunder, dass wir alle innerhalb kürzester Zeit Jobs in der begehrten Journalismusbranche gefunden hatten, exzessiv gefeiert. Aber wie sich herausgestellt hatte, musste selbst eine kleine Praktikantin wie ich mindestens fünfzig Stunden pro Woche ackern, wenn sie es bei der New York Times jemals zu etwas bringen wollte.

Und genau das wollte ich.

Das war der einzige Punkt, bei dem ich genauso ehrgeizig war wie Laney. Ich träumte schon mein ganzes Leben davon, eines Tages bahnbrechende Storys als Investigativjournalistin zu schreiben. Aber bis dahin war es noch ein weiter Weg.

Die Klingel schrillte so laut, dass ich vor Schreck zusammenzuckte. Eilig durchquerte ich das Wohnzimmer, das aufgrund der geringen Größe vielleicht ein klein wenig mit Dekoration überfrachtet war. Auf dem Sofa lag eine kunterbunte Steppdecke mit Rentierprint. Mein Fernseher wurde von zahlreichen Weihnachtsengeln flankiert, die beinahe von dem schmalen Sideboard purzelten, und auf den Fensterbänken brannten Kerzen in allen Formen und Farben. Lichterketten hingen an jeder Wand – und selbstverständlich baumelte ein Mistelzweig am Türrahmen.

Ich stürmte darunter hindurch in den kleinen Eingangsbereich und aktivierte die Gegensprechanlage. »Hallo?«

»Christmas Cookie Party Time!«, schallte es im Chor.

Lachend drückte ich den Summer und begrüßte drei Minuten später zwei meiner vier besten Freunde.

»Amazing Grace!« Curtis trat mit ausgebreiteten Armen aus dem Fahrstuhl und riss mich sogleich an sich. »Ist das schön, dich zu sehen!«

Ich gab einen erstickten Laut von mir.

»Wenn du weiter so fest zudrückst, siehst du sie gleich bewusstlos am Boden«, bemerkte Laney spöttisch und zerrte an seinem Arm, damit er mich wieder auf die Füße stellte.

Ihre Begrüßung fiel wesentlich sanfter aus. »Hey, Gracie.«

Mir stiegen Tränen in die Augen, weil ich mich so sehr freute, die beiden zu sehen. »Schön, dass ihr da seid.«

Ich trat beiseite, um meine Freunde einzulassen.

»Sind wir die Ersten?«, fragte Laney, während sie sich die Pudelmütze vom Kopf zog. Ihr schwarzes Haar ergoss sich über ihre Schultern.

»Ja, aber Sadie und Braxton müssten auch gleich da sein.«

»Ich fasse es nicht, dass beide zugesagt haben.« Curtis schob sich die schweren Boots von den Füßen. »Ich hätte gewettet, dass mindestens einer von ihnen absagt.«

Offen gestanden hatte ich das auch befürchtet.

Laney und Braxton waren das Traumpaar unserer Clique gewesen. Wie Ross und Rachel. Chuck und Blair oder – was Laney mit ihrem Faible für Vampire stets behauptete – wie Elena und Damon. Und dann, kurz nach dem Abschluss, war es plötzlich aus und vorbei gewesen. Der Schock hing uns immer noch in den Knochen und ziemlich sicher war das auch einer der Gründe, weshalb wir uns seither nicht mehr zu fünft getroffen hatten.

»Glaubt ihr, Sadie kommt klar?«, fragte Laney, nachdem sie ihren Mantel aufgehängt hatte. »Sie hat mir zwar versichert, alles wäre wunderbar. Aber es fällt mir schwer, das zu glauben.«

»Ich habe sie extra gefragt, ob es für sie in Ordnung ist, Braxton einzuladen«, erwiderte ich nachdenklich. »Sie meinte, sie wäre über ihn hinweg.«

Curtis schnaufte. »Und wer sagt, dass Brax über sie hinweg ist?«

Laney und ich schauten ihn irritiert an.

»Na ja, er hat sich immerhin von ihr getrennt«, wandte ich ein und musterte Curtis nachdenklich, der meinem Blick jedoch auswich.

Mein Bauchgefühl sagte mir, dass er mehr wusste als wir. Allerdings kam ich nicht dazu nachzuhaken, weil sich die Fahrstuhltüren in diesem Moment erneut öffneten.

Braxton trat aus der Kabine und kam in einem edlen Herrenmantel auf uns zu. Sein blondes Haar war vom Wind zerzaust und seine Mundwinkel hoben sich zu einem verhaltenen Lächeln, fast so, als wäre er nicht sicher, ob er überhaupt willkommen war.

»Hey, Mann!«, begrüßte Curtis ihn fröhlich, während ich auf Braxton zuging, um ihn zu umarmen. Immerhin hatte ich ihn ebenfalls vermisst.

»Hey.«

»Hallo, Gracie.« Er drückte mich kurz an sich. »Danke für die Einladung.«

»Ich freue mich, dass du gekommen bist.«

»Traditionen sollte man wahren«, erwiderte er leise.

»So ist es«, stimmte Laney ihm zu und begrüßte ihn ebenfalls voller Euphorie.

Nachdem alle ihre Winterklamotten abgelegt hatten, gingen wir ins Wohnzimmer, wo meine Freunde natürlich über meine Deko herzogen, was ich kichernd über mich ergehen ließ.

Die offene Küche befand sich am hinteren Ende des Raumes und wurde nur durch eine frei stehende Kücheninsel vom Wohnbereich getrennt. Ich hatte sie extra leer geräumt, damit wir Platz zum Backen hatten.

Laney zog eine grüne Schachtel mit einer goldenen Schleife aus ihrer Umhängetasche und stellte sie auf die Arbeitsfläche. »Hier haben wir schon mal den Hauptpreis.« Sie grinste breit, ehe sie selbstgefällig hinzufügte: »Den ich sehr wahrscheinlich wieder mit nach Hause nehmen werde.«

»Nicht dieses Jahr«, widersprach Curtis feixend und streckte die Hand aus, um den Deckel zu heben. Doch Laney klopfte ihm auf die Finger. Er jaulte gespielt auf und wir lachten.

Laney schüttelte belustigt den Kopf. »Sei nicht so ein Baby.«

Curtis gluckste. »Ich werde dich später zitieren, wenn du mir heulend diese hübsche Schachtel überreichst.«

»Es sei denn, ihr zieht beide den Kürzeren«, mischte ich mich ein und war froh über die gelöste, vorfreudige Stimmung. Es war genau wie früher.

Da landete eine Plastiktüte mit einem Platschen auf der Arbeitsfläche. »Nicht, wenn ich auch noch ein Wort mitzureden habe.«

Entgeistert betrachteten wir den Teig, der durch die Folie schimmerte. Die Färbung reichte von Royalblau bis Burgunderrot, dazwischen funkelten weiße Schokosplitter wie Sterne in einer Galaxie.

»Was ist das?«, stieß Laney schockiert aus.

»Blue Velvet Cookies.« Braxtons Mundwinkel zuckten. Allmählich schien er sich ebenfalls zu entspannen. »Ich dachte, ich probiere es mal mit einer eigenen Kreation.«

»Beeindruckend.« Curtis bückte sich, öffnete seinen Rucksack und holte eine Plastikbox hervor. Doch bevor er sie öffnen konnte, klingelte es erneut.

»Noch nicht zeigen!«, befahl ich und eilte hinaus, um Sadie zu öffnen.

Während ich darauf wartete, dass der Fahrstuhl meine Freundin raufbrachte, betete ich zu den Weihnachtsengeln, dass sie die Wahrheit gesagt hatte. Ich wollte auf keinen Fall, dass sie sich wegen Braxton schlecht fühlte. Aber ohne ihn wäre unsere Christmas Cookie Party einfach nicht dieselbe gewesen.

Wir fünf waren schon im ersten Semester zu einer festen Clique zusammengewachsen, hatten nächtelang gebüffelt, gefeiert und uns in allen Lebenslagen gegenseitig unterstützt. Für mich war es schrecklich, dass wir in den letzten Monaten nur noch per Chat oder Telefon kommuniziert hatten. Deshalb setzte ich große Hoffnungen in diesen Abend, und bisher lief es ja ganz gut.

Das Pling erklang und ich richtete mich freudig auf. Doch als Sadie aus der Kabine trat, senkten sich meine Mundwinkel im selben Tempo, wie mir der Magen in die Kniekehlen rutschte – denn hinter ihr erschien ein junger Mann, der sie ganz offensichtlich begleitete.

Grundsätzlich hatte ich natürlich kein Problem damit, wenn meine besten Freunde jemanden zu unseren Verabredungen mitbrachten. Ganz im Gegenteil. Ich lernte immer gern neue Leute kennen. Aber ausgerechnet heute Abend konnte ich mir kaum etwas Schlimmeres vorstellen.

Sadie schien das nicht so zu sehen. Sie kam strahlend auf mich zu und umarmte mich. »Hi, Gracie.«

Ich konnte mir einen misstrauischen Blick über ihre Schulter beim besten Willen nicht verkneifen. Der Kerl war hinter Sadie stehen geblieben. Braunes Haar fiel ihm in die Stirn und touchierte seine dunklen Brauen. Seine Augen waren so dunkelgrün wie der Mistelzweig, der ein Stück hinter mir hing. Als sich seine Lippen zu einem Lächeln hoben, bohrten sich zwei Grübchen in seine Wangen.

Verdammt! Er war süß, richtig sympathisch …

Curtis’ Worte kamen mir in den Sinn. Er hatte angedeutet, dass Braxton noch immer unter der Trennung litt. Wenn das stimmte, könnte sich dieser Abend in eine völlig falsche Richtung entwickeln.

Panik machte sich in mir breit. Doch meine Freundin wirkte diesbezüglich recht unbekümmert. Sie winkte ihren Begleiter zu sich. »Grace, das ist Ren. Ren – Grace.«

»Hi.« Der Typ reichte mir die Hand und schüttelte sie mit sanftem Druck. Seine Finger waren trotz der Eiseskälte warm. »Freut mich, Grace.«

»Mich auch«, presste ich hervor, weil ich nicht unhöflich sein wollte. Es war ja schließlich nicht seine Schuld, dass das Timing derart mies war. Ich bat die beiden herein und wartete, bis sie ihre Jacken ausgezogen hatten, während ich Sadie mit nonverbaler Kommunikation zu verstehen gab, wie daneben ich diese Aktion fand.

Sie zuckte nur mit den Schultern, warf ihren geflochtenen Zopf zurück und stolzierte ins Wohnzimmer. Dort erklang gerade Curtis’ Lachen, das jedoch abrupt verstummte, sobald er Ren entdeckte. Laney schnappte nach Luft. Ich wagte es kaum, zu Braxton zu schauen, der Ren mit versteinerter Miene musterte.

Sadie ließ sich von diesen Reaktionen nicht aus dem Konzept bringen, sondern zog Ren einfach mit sich. Bei den anderen angekommen, ließ sie ihn los und wirbelte um unsere Freunde herum. Sie drückte jedem – auch Braxton – ein Küsschen auf die Wange, bevor sie Ren vorstellte.

»Wir sind zusammen beim New Yorker«, erklärte sie dann und tät­schelte Rens überraschend kräftigen Oberarm. »Ren ist Programmierer und für die Qualitätssicherung der Onlineartikel zuständig.«

Sadie war die Einzige von uns, die nicht bei einer Tageszeitung, sondern bei einem Kulturmagazin arbeitete, da Entertainment ihr Spezialgebiet war. Sie war sogar so gut darin, dass sie jetzt schon eigene Texte publizieren durfte, während wir anderen uns noch mit Recherchen und Backgroundchecks abstrampelten.

Selbst Braxton, der dank seiner familiären Verbindungen beim Wallstreet Journal angestellt war, hatte es noch nicht geschafft, einen Beitrag im auflagenstärksten Blatt des Landes zu platzieren. Dabei war er ein wandelndes Wirtschaftslexikon.

»Dann seid ihr nur Kollegen?«, hakte Laney nach und machte sich keine Mühe, ihre Erleichterung zu verbergen.

Zum ersten Mal blitzte Verärgerung in Sadies Augen auf, ehe sie sich dichter an Ren lehnte. Ihre Lippen verzogen sich spöttisch. »Wir sind schon ein bisschen mehr als das. Nicht wahr, Babe?«

»Jepp.« Belustigung tanzte in Rens Augen, während er den Arm um sie legte. »Aber wir halten nichts von Definitionen.«

Braxton biss die Zähne zusammen, der Rest von uns war schlichtweg fassungslos. Das war nicht die Sadie, die wir kannten. Unsere Sadie hätte sich nie auf eine lockere Affäre eingelassen.

»Ich brauche einen Drink«, murmelte Curtis.

Das ging uns allen so.

Sofort setzte ich mich in Bewegung. »Wer will Eggnog?«

Auf dem Herd stand ein Topf mit Eierpunsch, den ich selbst zubereitet hatte. Als ich umrührte, brannte der scharfe Duft des Whiskeys kurz in meiner Nase, bevor er von der Süße des Vanillearomas verdrängt wurde. Fünf Gläser standen schon bereit. Ich holte ein weiteres für unseren spontanen Gast aus dem Schrank und schenkte den Punsch ein. Anschließend dekorierte ich unser traditionelles Getränk mit Zimtstangen und Muskat.

Laney half mir, die Gläser zu verteilen und wir tranken in angespanntem Schweigen. Mir wurde ganz elend zumute, weil ich das Ende einer Ära auf uns zurollen sah. Aber noch war ich nicht bereit aufzugeben.

Schwungvoll knallte ich mein Glas auf die Kücheninsel. »Also dann! Legen wir los.«

Curtis warf mir einen kurzen Blick zu, dann atmete er tief durch und machte eine Riesenshow daraus, den Deckel seiner Plastikbox zu heben. Er wollte Zimtsterne backen.

»Uh, wie avantgardistisch«, meinte Laney amüsiert.

Natürlich ließ Curtis sich nicht von ihrer Bemerkung aus dem Konzept bringen. Er zwinkerte ihr zu. »Back to the roots schien mir dieses Jahr ein gutes Motto zu sein. Ich habe euch vermisst, Leute.«

»Aaawwww«, seufzte Sadie und wuschelte ihm durch die Haare. »Ich habe dich auch vermisst.«

»Echt?« Curtis, der sonst eigentlich für jeden Spaß zu haben war, zog eine Braue hoch. »Das hat man aber nicht gemerkt.«

»Glaub ihr ruhig«, mischte Ren sich zu unserer Überraschung ein und lächelte freundlich. »Sie redet die ganze Zeit von euch. Ich hab das Gefühl, euch längst zu kennen.«

Braxton schnaubte, was Ren jedoch ignorierte. Stattdessen musterte er mich neugierig. »New York Times. Echt beeindruckend.«

Ich blinzelte verdutzt. »Danke, aber im Moment ist es bloß ein Praktikum. Mal schauen, wie es danach weitergeht.«

»Ich würde mir an deiner Stelle nicht zu viele Sorgen machen«, erwiderte Ren sanft. »Ich habe ein paar deiner Artikel in der Studentenzeitschrift der NYU gelesen. Sie waren verdammt gut. Die Times wäre dämlich, dich wieder gehen zu lassen.«

Seine Worte gingen runter wie Öl, das konnte ich nicht leugnen. Hitze stieg mir in die Wangen, während Laney sich interessiert vorbeugte. »Hast du von uns allen Artikel gelesen?«

Ren nickte, führte seine Meinung aber nicht weiter aus.

Laney wollte gerade nachhaken, als Sadie einen in Frischhaltefolie eingewickelten Klumpen Teig aus ihrer Handtasche zog. Sie zupfte vorsichtig die Folie ab und schon kitzelte der frische Duft von Pfefferminze in meiner Nase. »Hier ist unser Beitrag zur Party: Peppermint Snowballs.«

Laney schnalzte mit der Zunge. »Nicht schlecht! Und was hast du zu bieten, Gracie?«

»Ich habe mein Rezept vom letzten Jahr verfeinert«, erklärte ich und holte eine Schüssel mit klassischem Mürbeteig aus dem Kühlschrank, weil mein liebster Teil des Backens darin bestand, die Formen auszustechen.

Jetzt fehlte nur noch Laneys Keksteig.

Sie öffnete eine Tupperdose, in der sich nicht ein Teigklumpen, sondern zwei verschiedene befanden. »Seht her und weint, liebe Freunde. Ich präsentiere: Pecan-Mocca-Chocolate-Bombs. Die werden euch umhauen.«

»Nun denn.« Curtis verschränkte die Arme. »Möge der Beste gewinnen.«

»Oder die Beste«, zwitscherte Laney und streckte die Hand aus, um etwas rohen Teig zu mopsen. Für sie war das der beste Teil der Party. Sie liebte Cookie Dough.

Diesmal klopfte Curtis ihr belustigt auf die Finger.

Wir fingen mit meinem Teig an, da das Ausstechen die meiste Zeit in Anspruch nahm. Während wir Herzen, Blumen und Tannenbäume auf das Backblech legten, erzählte Curtis uns von seinem Job bei der DailyNews. Er wollte Sportjournalist werden und begleitete seinen Vorgesetzten derzeit zu allen möglichen Spielen. Es störte ihn nicht mal, dass dieser Kerl Curtis’ Zusammenfassungen als seine eigenen ausgab.

Leider schenkte ihm abgesehen von Laney und mir niemand Beachtung, denn Sadie flirtete lieber mit Ren, während sich Braxtons Miene zunehmend verfinsterte.

Als Sadie sich entschuldigte, um ins Bad zu gehen, zögerte ich keine Sekunde und folgte ihr.

»Was zur Hölle tust du da?«, fragte ich, sobald ich die Tür hinter mir geschlossen hatte.

Unbeeindruckt von meinem scharfen Tonfall wusch Sadie sich die Hände. »Ich habe Spaß. Ist das nicht das Ziel dieser Party?«

»Natürlich sollst du dich amüsieren.« Missmutig verschränkte ich die Arme. »Aber muss es ausschließlich mit Ren sein?«

Sadies Lippen hoben sich zu einem Grinsen. »Er ist süß, nicht?«

Ich nahm an, dass die Frage rhetorisch gemeint war. Deshalb ging ich gar nicht erst darauf ein. »Wenn du Braxton eifersüchtig machen wolltest, ist dir das gelungen. Kannst du jetzt bitte mit dieser Show aufhören?«

Sadie schnaubte. »Ich weiß nicht, wovon du redest.«

Blödsinn! Sie wusste es ganz genau. Unglücklich verzog ich das Gesicht. »Muss das wirklich sein? Wir haben uns ewig nicht gesehen. Können wir nicht einfach den Abend genießen?«

Genervt verdrehte Sadie die Augen, während sie ihr Aussehen im Spiegel prüfte. »Hör auf, mir ein schlechtes Gewissen zu machen, Grace. Braxton hat mir das Herz gebrochen. Ich habe seinetwegen monatelang gelitten. Jetzt kann er mal sehen, wie sich das anfühlt.«

»Aber er hat dir nicht mit Absicht wehgetan«, wandte ich zögerlich ein.

Jede Emotion wich aus dem Gesicht meiner Freundin, als sie mich ansah. Doch ihre Augen verrieten ihren Schmerz. »Ich habe diesen Mann über alles geliebt und wollte mir mit ihm eine Zukunft aufbauen. Und was hat er gemacht?«

Mein Magen verkrampfte sich. »Er hat kalte Füße gekriegt.«

Zumindest sprach sehr viel dafür, dass es so war, denn einen richtigen Grund für die Trennung kannte ich bis heute nicht.

»Korrekt.« Sadies Lächeln wurde bitter. »Wenn es ihm nicht passt, dass ich mich mit einem anderen Mann amüsiere, ist das sein Problem. Ich mag Ren. Er ist klug, witzig und verflucht heiß. Ich lasse es gern auf einen Versuch mit ihm ankommen. Von dir hätte ich allerdings etwas mehr Rückendeckung erwartet. Schließlich bist du meine Freundin.«

Ja, aber ich war auch Braxtons Freundin.

Meine Schultern sanken herab. Ich hatte gehofft, heute Abend eine Erneuerung unserer Freundschaft zu feiern. Stattdessen schien Sadie unsere traditionelle Christmas Cookie Party für ihren persönlichen Rachefeldzug nutzen zu wollen.

»Bitte, Sadie«, sagte ich leise. »Du wirst dich danach nicht besser fühlen.«

»Das werden wir ja sehen.«

Bevor ich noch etwas erwidern konnte, marschierte sie an mir vorbei und verließ das Bad. Frustriert ging ich ihr nach.

Inzwischen waren die ersten Cookies im Ofen und ein köstlicher Duft hatte sich in der ganzen Wohnung ausgebreitet. Aus meiner Anlage dudelte leise Weihnachtsmusik. Die Kulisse hätte nicht perfekter sein können. Wäre die Stimmung nicht derart angespannt gewesen.

Laney und Curtis stritten inzwischen darüber, wie dick der Teig für die Zimtsterne ausgerollt werden musste. Sadie ignorierte Braxton, der Ren mit Blicken erdolchte – und Ren sah mich an.

Ich war nicht sicher, was er in meiner Miene las, aber etwas wie Mitgefühl flackerte in seinen grünen Augen auf, bevor Sadie sich ihm an den Hals warf.

»Du machst das ganz falsch«, schimpfte Laney und schnappte Curtis die Teigrolle weg. »So werden die Zimtsterne viel zu dünn.«

»Ist doch egal.« Curtis versuchte, die Rolle wieder an sich zu nehmen. »Dann werden es eben knusprige Sterne.«

Laney schnaubte. »O mein Gott! Das ist so typisch für dich. Nie kannst du etwas ernst nehmen.«

»Und du nimmst alles viel zu ernst«, widersprach Curtis genervt.

Trotzig funkelte Laney ihn an. »Wenigstens besitze ich einen gewissen Ehrgeiz und lasse mich nicht als Ghostwriter ausnutzen.«

Curtis stöhnte. »Ich wusste, dass du das nicht verstehen würdest. Genau deshalb wollte ich es gar nicht erst erzählen.«

»Natürlich nicht.« Mit einem abfälligen Lachen schüttelte Laney den Kopf. »Sonst könnte noch jemand auf die Idee kommen, dass mal nicht alles in deinem Leben easy peasy ist.«

»Leute!«, ging ich dazwischen und fischte die Teigrolle aus Laneys Hand. »Hört auf zu streiten.«

»Grace hat recht.« Sadie ließ von Ren ab und trat an die Küchen­insel. »Das hier soll doch Spaß machen.«

»Und wie wir alle mitbekommen haben, amüsierst du dich prächtig«, warf Braxton mit kalter Stimme ein.

Sadie warf ihm einen mörderischen Blick zu. »Wenn dir das nicht passt, kannst du gern gehen.«

Entgeistert klappte ich den Mund auf, kam aber nicht mehr dazu, irgendetwas zu sagen, denn Braxton sprang sofort auf den Spruch an.

»Willst du, dass ich gehe?«, fragte er schroff.

»Nein!«, rief ich aus. Verzweiflung packte mich. »Niemand will, dass du gehst. Du gehörst doch zu uns.«

Sadie schnaubte. »Zu mir gehört er nicht.«

»Dann ist es wohl besser, wenn ich verschwinde«, stieß Braxton aus, drehte sich um und ging davon.

Curtis fluchte. »Braxton, warte!«

Schon war Curtis ebenfalls verschwunden. Die Wohnungstür fiel krachend hinter den beiden ins Schloss.

Frustriert krallte ich die Finger um die Teigrolle in meiner Hand und schaute meine Freundin an. Sadie war aschfahl geworden. Ihre Unterlippe zitterte. Sie stieß ein herzzerreißendes Schluchzen aus und stürzte ins Badezimmer.

Laney seufzte. »Ich rede mit ihr.«

Mit gesenktem Kopf ging sie unserer weinenden Freundin nach und bevor ich kapierte, was passierte, blieb ich allein mit Ren in der Küche zurück.

Wie paralysiert stand ich da. Ich konnte nicht glauben, dass sich dieser Abend innerhalb einer Stunde zu diesem Desaster entwickelt hatte. Dabei hatten wir uns so sehr auf das Wiedersehen gefreut.

Zumindest hatte ich das angenommen. Aber vielleicht lag ich ja falsch. Vielleicht war ich die Einzige, die sich an die guten alten Zeiten klammerte, während sich die anderen in eine komplett andere Richtung entwickelt hatten.

Der Gedanke schnürte mir die Kehle zu und meine Augen begannen zu brennen.

»Shit!« Plötzlich eilte Ren um die Kücheninsel herum und zog die Ofentür auf.

Eine dunkle Rauchwolke stieg empor.

Entsetzt warf ich die Teigrolle beiseite und griff nach dem Blech – was sich ohne Handschuh als verdammt bescheuerte Idee herausstellte.

Ich schrie auf und riss die Hand zurück.

Ren fluchte abermals, schnappte sich ein Geschirrtuch und zerrte das Blech mit den verbrannten Cookies aus dem Ofen, bevor er die Ofentür mit dem Fuß zustieß. Er stellte das heiße Blech auf dem Herd ab, warf das Geschirrtuch beiseite und schaute mich besorgt an.

»Du musst das kühlen.« Zögerlich umfasste er meinen Unterarm und dirigierte mich zur Spüle. Dort drehte er lauwarmes Wasser auf, hielt meine Hand darunter und umschloss mit der anderen Hand meine nassen Finger.

Seine Berührung war unendlich sanft, und obwohl es absolut unangemessen war, schoss ein Kribbeln durch meinen Magen. Ich zuckte zusammen.

Ren hielt sofort inne. »Hab ich dir wehgetan?«

»Nein.« Weil die Situation seltsam intim war, zog ich meine Hand weg und nahm das Geschirrtuch. »Ist halb so wild, ehrlich.«

»Okay.« Ren stemmte die nassen Hände in die Hüfte. Er schien gar nicht zu bemerken, dass er seinen Pullover durchweichte, während er die verkokelten Kekse betrachtete. »Tja, schätze, die sind hin.«

Ich nickte beklommen. »Nicht nur die.«

So recht wusste ich selbst nicht, warum ich das sagte. Ren hatte einfach diese ruhige, stoische Art an sich. Obwohl wir uns überhaupt nicht kannten, war seine Nähe irgendwie … angenehm.

»Dieser Abend ist bisher nicht so gut gelaufen«, stimmte er mir zu, bevor ein sanftes Lächeln seine Lippen hob. »Aber eure Freundschaft wird das aushalten.«

Gott! Ich wünschte, ich könnte ihm glauben. »Wie kannst du dir da so sicher sein?«

»Weil ich Sadies Geschichten über euch kenne.« Er nickte zu den vier verbliebenen Teigklumpen auf dem Küchenblock. »Und weil ihr alle Teil dieser besonderen Clique seid. Keiner will diese Verbindung verlieren.«

Seufzend schaute ich auf meine Hand. Zum Glück waren meine Fingerspitzen nur leicht gerötet, auch wenn sie noch etwas brannten. »Vielleicht habe ich einfach zu viel von diesem Abend erwartet.«

»Vielleicht habt ihr das alle«, wandte Ren ein und lehnte sich gegen die Küchenzeile. »Es ist hart, wenn man sich nicht mehr jeden Tag sieht. Man lebt sich auseinander, da sind Spannungen ganz normal. Jeder geht anders mit dieser Veränderung um.«

Neugier flackerte in mir auf. »Sprichst du aus Erfahrung?«

»Klar.« Er lachte leise. »Nach dem College sind zwei meiner engsten Freunde an die Westküste gezogen, weil sie dort richtig gute Jobs ergattert haben. Jetzt sehen wir uns nur noch online oder an den Feiertagen.«

Ich schnitt eine Grimasse. »Das klingt furchtbar.«

Ren schüttelte den Kopf. »Überhaupt nicht! Wir haben uns damit arrangiert und sind weiterhin füreinander da, nur eben auf andere Weise. Man spürt, wer einem wichtig ist.« Erneut deutete er auf die Teigklumpen. »Stell dir vor, wie ihr alle in den letzten Tagen Rezepte rausgesucht habt, wie ihr losgezogen seid, um die Zutaten zu besorgen, und dann den halben Morgen in der Küche verbracht habt, um den Teig zusammenzumischen, immer mit der Vorfreude auf das Wiedersehen im Hinterkopf. Wer sich lediglich dazu verpflichtet fühlt, gibt sich niemals solche Mühe.«

Rens Worte spendeten mir unverhofft Trost. Aber so ganz halfen sie mir leider nicht über die missglückte Party hinweg.

Das schien er ebenfalls zu erkennen, denn er schenkte mir ein zuversichtliches Lächeln. »Der Abend ist noch nicht gelaufen, Grace. Hab ein bisschen Vertrauen in deine Freunde. Sie kommen wieder.«

Skeptisch verschränkte ich die Arme. »Und wenn nicht?«

Ren grinste. »Dann werden sich die Jungs den Hintern in der Kälte abfrieren. Sie haben nämlich ihr ganzes Zeug hiergelassen.«

Erst jetzt fiel mir auf, dass er recht hatte. Curtis’ Rucksack stand immer noch auf dem Boden und die Tür war so schnell zugeflogen, dass sie kaum die Zeit gehabt haben dürften, ihre Schuhe anzuziehen, geschweige denn, auf Anhieb ihre Jacken zu finden. »Du meinst also, ich soll einfach abwarten, bis sich alle wieder beruhigt haben?«

»Genau.«

»Ich weiß nicht recht.« Mein Blick wanderte zur Tür. »Vielleicht sollte ich wenigstens nach Sadie schauen.«

Ren schüttelte den Kopf. »So, wie ich das sehe, hast du dir echt Mühe gegeben, damit sich alle wohlfühlen. Jetzt sind sie am Zug. Ich glaube nicht, dass einer von den vieren so abgebrüht ist, dich hängen zu lassen. Du scheinst mir ohnehin die gute Seele dieser Clique zu sein.« Er zwinkerte mir zu. »Mit dir will es sich bestimmt niemand verscherzen.«

Entgeistert starrte ich ihn an. »Findest du nicht, dass du ein bisschen vorschnell urteilst?«

»Absolut nicht.« Er warf mir einen Blick zu, der mich nicht unberührt ließ. »Du bist genau so, wie Sadie dich beschrieben hat.«

Erneut wurden meine Wangen heiß. Offenbar stand ich viel mehr neben mir, als ich dachte, wenn mir die Worte von Sadies Begleiter derart unter die Haut gingen.

»Dafür weiß ich fast nichts über dich«, erwiderte ich, um von mir abzulenken.

Ren legte den Kopf schief. »Das könnten wir ändern.«

Mein Puls schnellte in die Höhe. Ich wollte ihn wirklich gern besser kennenlernen. Aber vermutlich war das keine gute Idee. »Du bist mit meiner besten Freundin hier.«

»Ein Grund mehr, mir auf den Zahn zu fühlen, denkst du nicht?«

So gesehen hatte er vermutlich recht.

»Na gut.« Da es für mich nicht infrage kam, die Kekse ohne die anderen zu backen, und ich dringend eine Beschäftigung brauchte, öffnete ich den Küchenschrank. »Du hast noch keinen Beitrag zu dieser grauenvollen Party geleistet. Deshalb schlage ich vor, du holst das nach.«

Wenig begeistert spähte Ren auf die Backzutaten. »Und was machst du in der Zwischenzeit?«

»Na, was wohl?« Zum ersten Mal, seit dieser Abend eskaliert war, spürte ich etwas wie Freude in mir aufsteigen. »Ich nerve dich mit blöden Kommentaren und neugierigen Fragen.«

Plötzlich begannen Rens Mundwinkel zu zucken. »Du schreibst doch später keinen Enthüllungsbericht über mich, oder?«

Mein Grinsen wurde breiter. »Das hängt ganz von deinen Antworten ab.«

2 Christmas Cookie Crush II

Es gab zwei Dinge, die ich sehr schnell über Ren lernte: Erstens hatte er ein wahnsinnig ansteckendes Lachen und zweitens konnte er kein bisschen backen.

Ehrlich! Es fiel mir schwer, mich nicht über ihn lustig zu machen, während seine Hände in klebrigem Teig steckten. Er gab sich Mühe, seinen Gesichtsausdruck neutral zu halten, aber es war ihm trotzdem anzusehen, dass Teig zu kneten nicht ganz oben auf der Liste seiner Lieblingsbeschäftigungen stand.

Als ein seltsames Schmatzen erklang, zuckte er zusammen und es kostete mich einige Anstrengung, nicht laut loszulachen.

»Ich bemühe mich hier wirklich, Eindruck zu schinden«, murmelte er, während er unbeholfen versuchte, seine Finger von der zähen Masse zu befreien. Dabei hielt er seinen Blick konzentriert auf die Schüssel gerichtet, als hätte er Angst, sie jeden Moment von der Kücheninsel zu fegen. »Aber das ist nicht gerade leicht, wenn du mich die ganze Zeit beobachtest.«

»Keine Sorge! Ich bin bloß dabei, noch mehr Fakten über dich zusammenzutragen.« Fasziniert betrachtete ich die Haarsträhne, die ihm tief in die Stirn gefallen war. Es juckte mich in den Fingern, sie zu berühren. Doch ich ignorierte diesen seltsamen Wunsch und hob stattdessen die Schultern. »Du weißt schon. Details, die eher zwischen den Zeilen stehen.«

Als wir die Zutaten für Gingerbiscuits zusammengesucht hatten, hatte er mir erzählt, dass er eigentlich aus Jersey stammte und Softwareentwicklung an der Columbia University studiert hatte. Seither arbeitete er in der IT-Abteilung vom New Yorker. Er mochte den Job, kam gut mit seinen Kollegen klar und spielte zweimal in der Woche Basketball, was wohl auch seine sportliche Figur erklärte.

Meine Aufmerksamkeit richtete sich auf die Muskelstränge an seinen Unterarmen, die gut sichtbar waren, seit er die Pulloverärmel bis zu den Ellenbogen hochgeschoben hatte. Auch seine Oberarme wölbten sich, wann immer er seine Hände kraftvoll in den Teig stieß. Mir wurde heiß und Ren hielt inne, als könnte er spüren, wie mein Körper auf seinen Anblick reagierte.

»Und was steht da?«, fragte er. Seine Stimme klang plötzlich ein bisschen heiser.

Ich blinzelte. »Was?«

»Zwischen den Zeilen«, präzisierte er, schaute mich aber immer noch nicht an, als fürchtete er sich vor meinem Urteil – was mir irgendwie absurd erschien, denn bedauerlicherweise hatte ich während unserer Unterhaltung ausschließlich Hinweise darauf gefunden, dass er klug, witzig und aufmerksam war.

Genau wie Sadie gesagt hatte.

Ich hatte meine Freundin noch nie um etwas beneidet. Nicht um ihr Talent, nicht um ihr Selbstbewusstsein, nicht um ihr Glück bei der Jobsuche und auch nicht um die erfüllte Beziehung, die sie – zumindest bis vor Kurzem – mit Braxton geführt hatte. Aber während ich Ren nun betrachtete, stellte ich fest, dass es diesmal anders war. Und das ging gar nicht!

Ruckartig richtete ich mich auf. »Da steht, dass du genehmigt bist. Sadie kann sich glücklich schätzen. Apropos, ich werde mal nach ihr sehen. Bin gleich zurück.«

Irritiert drehte Ren den Kopf in meine Richtung, aber ich wich seinem Blick aus und rannte praktisch aus der Küche, während ich mir im Geiste eine Kopfnuss verpasste, weil ich mich dazu hatte hinreißen lassen, das Date meiner Freundin anzuschmachten.

Von wegen gute Seele.

Die Tür zum Badezimmer war nur angelehnt, deshalb konnte ich die Stimmen meiner Freundinnen viel deutlicher hören, als mir lieb war.

»Vielleicht ist es einfach zu früh für etwas Neues«, sagte Laney sanft, woraufhin Sadie sofort ein energisches »Nein!« ausstieß.

Sie putzte sich geräuschvoll die Nase. »Ren ist großartig. Ich mag ihn wirklich richtig gern.«

Obwohl sie mehr danach klang, als wünschte sie sich, ihn auf diese besondere Weise zu mögen, anstatt es tatsächlich zu tun, rutschte mir das Herz in die Hose.

Streng genommen hatte ich gar nichts getan, trotzdem fühlte ich mich mies, weil ich diese Gedanken über Ren gehabt hatte.

Vorsichtig schob ich die Tür auf und betrachtete meine unglückliche Freundin. Sie saß auf dem Wannenrand, während Laney vor ihr auf dem kalten Fliesenboden kniete und ihr beruhigend über den Oberschenkel rieb. Als sie mich bemerkten, traten sofort neue Tränen in Sadies Augen.

»Es tut mir so leid, Gracie«, sagte sie mit zitternder Stimme. »Ich wollte die Party nicht versauen.«

Laney verzog schuldbewusst das Gesicht. »Ich auch nicht.«

Obwohl mir im Grunde nicht danach zumute war, lächelte ich. »Das weiß ich doch.«

»Trotzdem haben wir es vermasselt.« Sadie tupfte sich mit dem Taschentuch über die geröteten Wangen. »Ich glaube nicht, dass dieser Abend noch zu retten ist.«

»Wir können es ja wenigstens versuchen«, schlug ich vor.

Laney zeigte auf ihr Handy, das gleich neben ihr auf dem Regal lag. »Ich hab den Jungs vor zehn Minuten eine Nachricht geschickt und sie gebeten umzukehren. Aber bisher gab es keine Reaktion.«

Ausgerechnet jetzt kamen mir Rens Worte in den Sinn, nicht das Vertrauen in meine Clique zu verlieren. »Geben wir ihnen noch ein bisschen Zeit. Dann versuchen wir es noch mal.«

»Ist gut.« Mit einem Ächzen kam Laney auf die Beine und strich ihr schwarzes Haar glatt. »Ich könnte noch einen Drink vertragen.«

Sadie schniefte. »Ich auch.«

»Dann los.« Froh, dass sich zumindest meine Freundin einigermaßen gefangen hatte, schob ich die Badezimmertür auf. »Ren wird sich freuen, wenn er nicht mehr allein Teig kneten muss.«

Sofort hielt Sadie inne. »Er macht was?«

»Er knetet Teig«, wiederholte ich. »Wir wussten nicht, was wir sonst ohne euch machen sollten, und da er keinen hatte …«

Ich verstummte, weil Sadie mich anstarrte, als hätte ich ihr gerade erklärt, dass Ren sich in meiner Küche in einen Weihnachtself verwandelt hatte. »Ich fasse es nicht.«

»Was denn?«, fragte ich, doch ich erhielt keine Antwort mehr, denn Sadie war bereits losmarschiert.

Laney schien genauso irritiert zu sein. Wir folgten Sadie in die Küche, wo Ren gerade mit unverhohlenem Stolz einen unförmigen Batzen Teig in die Höhe hielt.

»Du kannst ja doch backen!«, rief Sadie, wobei sie nicht vorwurfsvoll, sondern eher belustigt klang.

Verlegen schüttelte Ren den Kopf und präsentierte erneut seine niedlichen Grübchen. »Eigentlich habe ich eher als Gracies persönlicher Teigkneter fungiert. Sie hat die Zutaten zusammengeworfen.«

Dass er meinen Spitznamen benutzte, löste eine ganze Reihe von unterschiedlichen Gefühlen in mir aus, die jedoch sofort verpufften, als Sorge in Rens Augen trat. Er musterte Sadie aufmerksam. »Bist du okay?«

Ihre Schultern sanken herab. »Nein. Aber irgendwann werde ich es hoffentlich wieder sein.«

»Ganz bestimmt.« Da lagen so viel Wärme und Verständnis in seinen Augen – und dann wanderte seine Aufmerksamkeit zu mir.

Mein Magen erwachte flatternd zum Leben. Mir war klar, dass ich unseren Blickkontakt unterbrechen sollte. Immerhin war er mit meiner Freundin hier, auch wenn sie gerade wegen ihres Ex-Freundes geweint hatte. Aber ich konnte einfach nicht wegsehen. Seine grünen Augen hielten mich quer durch das Wohnzimmer gefangen und ich spürte eine irritierende Traurigkeit, weil dieser Mann jetzt und für alle Zeit tabu für mich war. Freundinnenkodex und so.

Nicht nur dieses Wort, das durch meinen Geist huschte, sondern auch die Türklingel zerrissen das Band zwischen uns und ich wandte mich ab.

Jemand hämmerte gegen meine Wohnungstür.

»Gracie?«, hörte ich Curtis rufen. »Wir sind’s.«

Erleichterung durchflutete mich, als ich öffnete. Curtis und Braxton hatten in der Eile zwar ihre Schuhe angezogen, standen jedoch nur in ihren Pullovern da. Mir wurde klar, dass sie das Apartmenthaus gar nicht verlassen hatten. Zumindest sahen sie nicht ansatzweise so durchgefroren aus, wie sie es bei den Außentemperaturen sein sollten.

Braxton raufte sich die Haare. »Tut mir leid, Gracie.«

»Ist schon gut«, sagte ich schnell und winkte die beiden herein. »Ich bin froh, dass ihr wieder hier seid. Wir haben auf euch gewartet.«

Mit einem Seufzen schüttelte Braxton den Kopf. »Ich werde lieber gehen. Ich bin bloß hier, um meine Sachen zu holen.«

Die Enttäuschung riss mich fast von den Füßen. »Was?«

Curtis warf mir einen bedeutungsvollen Blick zu, mit dem er mir versicherte, dass er alles versucht hatte, um unseren Freund zum Bleiben zu überreden. Doch Braxton schien fest entschlossen zu sein.

Tieftraurig rieb er sich über das Gesicht. »Ich kann das nicht, Grace. Vielleicht …« Er schluckte schwer. »Vielleicht beim nächsten Mal, wenn etwas Gras über die Sache gewachsen ist.«

In all den Jahren hatte ich Braxton noch nie so gebrochen erlebt. Es tat mir im Herzen weh, ihn derart leiden zu sehen. Ich verstand beim besten Willen nicht, warum er sich überhaupt von Sadie getrennt hatte, da er offensichtlich noch immer etwas für sie empfand.

»Okay«, sagte ich leise, weil ich einsah, dass es keinen Zweck hatte, ihn weiter zu bedrängen. »Willst du dich noch von den anderen verabschieden?«

»Nein, aber sag Laney, dass ich sie morgen anrufe.« Er beugte sich vor und gab mir einen Kuss auf die Wange. »Bis bald, okay?«

»Versprochen?«

Er nickte. »Lass uns nächste Woche zusammen essen gehen.«

»Ist gut.« Ich drehte mich weg, um seinen Mantel zu suchen und gleichzeitig meine Tränen zu verbergen. Diese Party würde ohne ihn nicht dieselbe sein. Aber ich verstand, warum er lieber gehen wollte. Alles andere wäre nur Quälerei für ihn.

»Brax?« Sadies leise Stimme ließ uns alle erstarren. Während sie nervös ihre Hände knetete, trat sie langsam näher. Ihre Augen waren immer noch glasig und gerötet. Sie sah genauso unglücklich aus wie Braxton. Warum musste es manchmal so schwierig sein? »Können wir kurz reden?«

Ich wartete nicht ab, bis Braxton sich entschieden hatte, sondern ließ seinen Mantel fallen, schnappte mir Curtis’ Hand und zog ihn hinter mir her aus dem Eingangsbereich, damit die beiden ungestört waren.

Sobald wir ins Wohnzimmer kamen, schoss Laney auf uns zu. Ich schaffte es gerade noch, ihr auszuweichen, als sie sich auch schon in Curtis’ Arme warf. Mit einem überraschten Keuchen fing er sie auf.

Hinter ihnen lehnte Ren entspannt an der Küchenzeile und nippte an seinem Eierpunsch. Obwohl er keinen Ton von sich gab, war die Message klar, als sich unsere Blicke trafen: Was hab ich dir gesagt?

Meine Lippen hoben sich zu einem Lächeln.

»Ich bin eine dumme Kuh!«, jammerte Laney, die immer noch mit ihrem schlechten Gewissen rang. »Entschuldige, dass ich dir vorgeworfen habe, du wärst nichts weiter als ein blöder Ghostwriter.«

Curtis gluckste. »Blöd hast du eigentlich nicht gesagt.«

»Aber ich habe gesagt, dass dir nichts wichtig ist. Dabei weiß ich, dass das nicht stimmt.« Sie ließ ihn los und schaute zu ihm auf. »Wir sind dir wichtig.«

Er lächelte sanft. »Stimmt, das seid ihr.«

»Und das Schreiben auch«, fügte Laney hinzu. »Du hast so viel Talent. Ich will nur nicht, dass dich jemand ausnutzt. Es würde mir das Herz brechen, wenn du irgendwann deine Begeisterung verlierst.«

»Das wird nicht passieren.« Liebevoll wuschelte Curtis ihr durch die Haare, was sie zum Lachen brachte. »Schließlich habe ich dich und du trittst mir ja regelmäßig in den Hintern.«

Laney salutierte. »Stets zu Diensten, mein Freund.«

»Das dachte ich mir.« Belustigt legte Curtis einen Arm um Laney. »Na los, du Nervensäge. Stechen wir ein paar Zimtsterne aus.«

Laney nickte eifrig.

»Und damit du gleich Bescheid weißt«, meinte Curtis, während sie das Wohnzimmer durchquerten. »Für extraknusprige Zimtsterne gibt’s auch Extrapunkte.«

»Ha!«, rief Laney aus. »Von wegen.«

»Tja, ich fürchte, der Preis für die krossesten Cookies geht heute an keinen von euch.« Ich ging zum Herd und hob das Blech mit den verbrannten Keksen hoch.

»Ach du Schande!« Curtis brach in schallendes Gelächter aus, als er die verkohlten Reste sah. »Die probiere ich auf keinen Fall.«

Das konnte ich ihm nicht verübeln. Ich rümpfte die Nase. »Ich hätte noch ein Blech gebacken, aber irgendjemand hat meinen ganzen Teig aufgefuttert. Es ist nichts mehr übrig.«

Laney machte ein unschuldiges Gesicht. »Ich war das nicht.«

Spöttisch hob Curtis eine Braue. »Du hast doch nicht etwa Gracies Beitrag sabotiert.«

»Nein.« Laney legte sich die Hand auf die Brust. »Ich schwöre, so etwas Gemeines würde ich nie tun.«

Niemand zweifelte daran, trotzdem machte es Spaß, sie damit aufzuziehen.

»Also ich habe gesehen, wie sie heimlich deinen Teig geklaut hat«, sagte Ren, während ich mich neben ihn an die Küchenzeile lehnte.

Empört schnappte Laney nach Luft.

»Das hatte ich schon befürchtet.« Ich sah Laney an und tippte auf meinen Mundwinkel. »Du hast da übrigens noch ein paar Krümel.«

Natürlich sprang sie darauf an und wischte sich hektisch über das Gesicht, woraufhin wir alle lachten.

»Was ist denn so lustig?«, fragte Braxton.

Freude flutete mein Herz, als er an Sadies Seite ins Wohnzimmer trat. Beide wirkten weniger angespannt, auch wenn sie Abstand zueinander wahrten. Vielleicht war es nicht das, was sie sich insgeheim wünschten, aber zumindest schienen sie sich wieder angenähert zu haben.

»Meine Cookies sind meinem Höllenofen zum Opfer gefallen. Aber hier ist noch mehr als genug Teig.« Vielsagend deutete ich auf die fünf Teigklumpen, die auf der Arbeitsfläche der Kücheninsel lagen. »Wir könnten einfach noch mal von vorn anfangen.«

Braxton lächelte mich an. »Das klingt nach einem guten Plan.«

»Dann lasst uns loslegen«, entschied Curtis.

Und dann backten wir.

Alle zusammen.

Genau wie ich es mir gewünscht hatte. Nur mit dem Unterschied, dass da eine weitere Person in der Gruppe herumwirbelte.

Ich wusste nicht, was Sadie und Braxton im Eingangsbereich besprochen hatten, aber von jetzt auf gleich hatte meine Freundin jeden Flirt mit Ren eingestellt. Sie alberte zwar immer noch mit ihm herum, aber das fand nur auf rein freundschaftlicher Ebene statt. Da war kein Knistern zu spüren, keine Anziehung.

Was ich von mir selbst leider nicht behaupten konnte.

Ob ich es wollte oder nicht, meine gesamte Aufmerksamkeit blieb bei Ren. Ich lauschte seinen Gesprächen und beobachtete ihn aus dem Augenwinkel, wobei er mich mehr als einmal ertappte. Meine Wangen gingen jedes Mal in Flammen auf, wenn sich unsere Blicke begegneten, und das lag nicht etwa daran, dass die Temperatur in meinem Apartment nach mehreren Stunden Ofenbetrieb auf Tropenniveau angestiegen war.

Als wir das letzte Blech in den Ofen schoben, war es weit nach Mitternacht. Wir hatten längst unsere warmen Pullover ausgezogen und trugen Oberteile, die eher für den Hochsommer geeignet waren.

In meiner Küche sah es aus, als hätte eine Mehlbombe eingeschlagen. Alles war weiß überzogen und unsere Socken klebten bei jedem Schritt am Boden fest.

Aber all das störte uns nicht.

Vielleicht lag es daran, dass uns der Abend zu Beginn fast aus den Händen geglitten wäre und unsere Angst, einander zu verlieren, wieder deutlicher in unser Bewusstsein gerückt war, jedenfalls passten wir alle auf, niemanden mit einem unbedachten Kommentar vor den Kopf zu stoßen. Was nicht hieß, dass wir uns nicht gnadenlos gegenseitig aufzogen. Wir bewarfen uns mit Schokodrops, mit denen wir eigentlich die Cookies dekorieren wollten, tanzten zu den beliebtesten Weihnachtshits um die Kücheninsel und lachten, bis uns der Bauch wehtat. Selbst Sadie und Braxton hatten hin und wieder Momente, in denen sie ein ehrliches Lächeln teilten – was auch dazu führte, dass Braxton seine Reserviertheit Ren gegenüber deutlich zurückschraubte.

Ren fand sich erstaunlich schnell in unserer Clique zurecht. Ich hatte keine Ahnung, wie er das machte, aber dafür, dass er im Grunde neu war, fügte er sich schockierend mühelos in unsere Dynamik ein. Er diskutierte mit Curtis über Basketball, amüsierte sich mit Braxton über meine Weihnachtsdeko und ließ sich von uns veralbern, weil er grottenschlecht darin war, gleichmäßige Teigkugeln zu rollen.

Schließlich wurde es Zeit für die Siegerehrung. Wir hatten alle Kekse auf Teller geschichtet, und obwohl ich inzwischen kiloweise Plätzchenteig genascht hatte, lief mir beim Anblick all der Köstlichkeiten schon wieder das Wasser im Mund zusammen.

Curtis schien es ähnlich zu gehen. »Das wird ein knappes Rennen.«

Aufgeregt klatschte Laney in die Hände. »Mit welchen fangen wir an?«

»Einen Moment noch«, sagte Braxton und klang plötzlich wieder seltsam angespannt.

Irritiert hob ich den Kopf und stellte fest, dass Sadie und Ren sich etwas von uns abgesetzt hatten und miteinander tuschelten. Das Leuchten war in Sadies Augen zurückgekehrt, während sie Ren anlächelte.

Die beiden derart vertraut miteinander zu erleben, sorgte dafür, dass erneut ein Stich der Enttäuschung durch meine Eingeweide schoss.

Curtis stieß einen ungeduldigen Pfiff aus, woraufhin die beiden zu uns schauten.

Sofort fing Ren meinen Blick auf, doch diesmal fiel es mir nicht schwer, mich abzuwenden. Zum einen, weil ich nicht wollte, dass jemand meine eigene Zerrissenheit bemerkte, zum anderen, weil es ohnehin nichts geändert hätte.

»Los, kommt her«, befahl Laney. »Wir wollen abstimmen.«

Aus dem Augenwinkel sah ich, wie die beiden näher traten.

»Ich will kein Spielverderber sein, aber für mich steht der Gewinner bereits fest«, erklärte Sadie gut gelaunt und tippte auf Braxtons Blue Velvet Cookies.

Jegliche Anspannung wich aus seinem Körper und seine Lippen hoben sich zu einem erfreuten Lächeln. Offenbar hatte er nicht damit gerechnet, dass sie für ihn stimmen würde.

»Ach, kommt schon, Leute.« Curtis klopfte auf den Teller mit den Zimtsternen. »So schmeckt Weihnachten.«

»Für mich auch«, pflichtete ich ihm bei, woraufhin er die Hand hob, um mit mir abzuklatschen.

Der Reihe nach probierten wir die Cookies durch und musterten nachdenklich unsere Resultate.

»Hmm«, machte Laney schließlich und tippte auf den Teller in der Mitte. »Ich finde es ja ein bisschen ätzend, das zuzugeben, aber diese Gingerbiscuits sind der Hammer.«

Tatsächlich waren die goldgelben Ingwerkekse von Ren geradezu lächerlich perfekt gelungen. Sie waren knusprig am Rand, weich in der Mitte und die Verbindung des würzigen Ingwers mit der Süße des Vanillezuckers gab eine Wahnsinnskombination ab. Da konnten weder Sadies Peppermint Snowballs, die für meinen Geschmack ein bisschen zu scharf waren, noch Laneys herbe Pecan-Mocca-Chocolate-Bombs mithalten, auch wenn die ebenfalls sehr lecker waren.

Curtis schnappte sich ein Gingerbiscuit, biss hinein – und stöhnte. »Ach, verdammt!«

Wir lachten, während Laney ihm tröstend auf den Rücken klopfte. »Dann eben nächstes Jahr.«

»Also haben wir einen Gewinner?«, fragte ich, woraufhin alle mit vollen Mündern nickten.

Sofort huschte Laney davon und holte die Geschenkschachtel, um Ren den Preis mit einer feierlichen Geste zu überreichen. Der war sichtlich überrascht, schüttelte aber sogleich den Kopf. »Das kann ich nicht annehmen. Der Preis gebührt Grace. Schließlich ist es ihr Rezept.«

Laney zwinkerte ihm zu. »Dann teilt den Gewinn.«

»Was genau ist da überhaupt drin?«, fragte Braxton, während Ren dicht neben mich trat und damit meinen Puls in die Höhe trieb.

Die Grübchen kehrten zurück, als er mich anlächelte. »Sehen wir nach?«

»Klar.«

Vorsichtig zog Ren die Schleife ab und schob mir die Schachtel zu, damit ich den Deckel anheben konnte. Ich riss die Augen auf. »O mein Gott! Was ist das?«

Kichernd zog Laney einen quietschbunt gestreiften Wollschal aus der Schachtel. Er war so lang, dass sie ihn mir mehrmals um den Hals wickeln konnte. Gleich darauf nahm sie die passende Mütze aus der Schachtel und stülpte sie Ren über den Kopf. »Ladies and Gentlemen, unsere diesjährigen Christmas-Cookie-Party-Champions.«

Meine liebreizenden Freunde brachen in Jubel aus, während ich noch immer reichlich fassungslos zu Ren aufschaute.

Er grinste von einem Ohr zum anderen, weshalb ich ebenfalls lachen musste. Wahrscheinlich sahen wir beide total seltsam aus, wie wir mit den dicken Wollsachen über unserer leichten Kleidung in der tropisch heißen Küche standen.

Ren ergriff meine Hand und trat einen Schritt zurück, damit wir uns unter tosendem Applaus vor der Jury verneigen konnten. Dann lehnte er sich zu mir herüber. »Du musst eine Rede halten.«

Ich war inzwischen so aufgekratzt, dass ich seiner Aufforderung umgehend nachkam.

»Vielen, vielen Dank!« Als hätte ich gerade einen Oscar gewonnen, legte ich mir gerührt die freie Hand aufs Herz. »Ich träume schon mein ganzes Leben lang von dieser besonderen Ehre. Ich danke der Academy und natürlich meinem persönlichen Teigkneter sowie meinem infernalischen Ofen, ohne den all das nicht möglich gewesen wäre. Danke. Vielen Dank!«

Meine Freunde bogen sich vor Lachen, während Ren meinen Arm in die Höhe zog.

»Danke schön!«, rief er und drückte sanft meine Hand. »Und fröhliche Weihnachten!«

»Noch haben wir ja ein paar Tage Zeit bis zum Fest«, warf Curtis amüsiert ein.

Ren zuckte mit den Schultern. »Aber Vorfreude ist ja bekanntlich die schönste Freude.«

Erst jetzt fiel mir auf, dass wir uns immer noch an den Händen hielten. Deshalb ließ ich Ren los und zupfte mir den Schal vom Hals. »Ich krieg gleich einen Hitzschlag.«

»Das wollen wir natürlich nicht«, erwiderte Laney spöttisch. »Aber die Sachen stehen euch echt gut.«

Lächelnd strich ich über die weiche Wolle. Mir gefiel das Muster sehr. Ich mochte Farben, vor allem im Winter, wenn sonst alles eher trist war.

Sadie gähnte hinter vorgehaltener Hand und verzog sogleich ertappt das Gesicht. »Sorry, ich bin todmüde.«

Nach all der Aufregung an diesem Abend konnte ich ihr das nicht verdenken. Außerdem war es tatsächlich schon recht spät.

Gemeinsam beseitigten wir das gröbste Chaos in der Küche.

»Hey, Leute, habt ihr eigentlich schon Pläne für Silvester?«, fragte Laney, während sie unsere Weihnachtskekse auf kleine Papiertüten verteilte.

Curtis, der gerade den Besen schwang, hielt inne. »Im Central Park gibt’s ein Silvesterkonzert mit lauter coolen Newcomer-Bands. Wie wäre es damit?«

»Das klingt super«, erwiderte ich und freute mich, dass unser nächstes Treffen diesmal nicht in allzu weiter Zukunft lag. »Also, ich wäre dabei.«

Braxton und Sadie sagten ebenfalls zu. Nur Ren schwieg. Vielleicht, weil er nicht sicher war, wie sich die Dinge bis dahin entwickeln würden.

Beklommen wischte ich mit einem feuchten Lappen über die verklebte Arbeitsfläche der Kücheninsel. Ich wusste nicht, welche Vorstellung mir mehr zusetzte: Ren nie wieder zu sehen oder schon bald an der Seite meiner Freundin.

Beides fühlte sich irgendwie verkehrt an.

»Okay, wir sind fertig«, verkündete Sadie, die zusammen mit ihm das schmutzige Geschirr gespült und abgetrocknet hatte. Sie warf einen prüfenden Blick über die Schulter. »Sieht ja fast wieder aus wie neu hier.«

Braxton stellte die Kehrschaufel zurück in den Schrank. »Brauchst du sonst noch Hilfe?«

Mit einem schwachen Lächeln schüttelte ich den Kopf. Im Grunde musste ich nur noch den Boden wischen. Aber das ging schneller, wenn mir keine zehn Füße im Weg waren.

Ich wollte nicht, dass der Abend endete. Den anderen schien es ähnlich zu gehen. Trotzdem machten sie sich wenig später auf den Heimweg. Braxton, Curtis und Laney gingen vor, um den Fahrstuhl zu rufen, während Sadie mich in eine Umarmung zog. »Danke für alles, Gracie.«

»Ich fand es schön, dass ihr da wart.«

»Bis zum nächsten Mal wird es nicht so lange dauern, versprochen.«

Ich nickte. »Wir telefonieren bald, ja?«

»Definitiv! Übrigens, zwischen Ren und mir ist nie etwas gelaufen. Ich finde, er passt viel besser zu dir«, flüsterte sie und küsste mich auf die Wange, ehe sie mich losließ und Ren zuzwinkerte, der noch immer hinter mir stand. Dann machte sie auf dem Absatz kehrt und eilte zum Fahrstuhl.

Laney und Curtis waren bereits in der Kabine verschwunden, aber Braxton hielt die Tür offen und wartete auf Sadie. Er lächelte sie an, bevor sie gemeinsam aus meinem Blickfeld verschwanden und der Fahrstuhl davonfuhr.

Irritiert drehte ich mich zu Ren um. »Was …?«

Er trat von einem Fuß auf den anderen, wirkte plötzlich nervös. »Ich habe Sadie gebeten, schon vorauszugehen. Ich hoffe, das ist okay.«

Verdattert schüttelte ich den Kopf. »Aber ihr hattet doch ein Date.«

Ren seufzte. »Ich denke nicht, dass es je ein echtes Date war. Außerdem wissen wir alle, wem Sadies Herz gehört. Und so, wie Braxton jeden ihrer Schritte verfolgt hat, beruht das wohl auf Gegenseitigkeit.«

Zumindest war es offensichtlich, dass sie noch nicht über Braxton hinweg war. Ren war das also auch nicht entgangen. »Das tut mir leid.«

Ren runzelte die Stirn. »Echt?«

Ja. Nein. Keine Ahnung.

Leicht überfordert schaute ich ihn an. »Falls du von dem verpatzten Abend enttäuscht bist, dann ja.«

»Mir tut das alles kein bisschen leid, Grace. Ich hatte viel Spaß und ich …« Ren stieß ein zittriges Lachen aus. »Na ja, ich mag dich. Sehr sogar.«

Mein Herz setzte einen Moment aus, nur um dann mit doppelter Geschwindigkeit in meiner Brust herumzuhüpfen. Das war nun wirklich das Letzte, womit ich gerechnet hatte.

Den ganzen Abend über hatte ich mir immer wieder gesagt, dass ich meiner Freundin niemals in die Quere kommen würde. Aber Sadie schien keinerlei Probleme damit zu haben, dass Ren blieb.

Himmel! Sie hatte mir gerade praktisch ihren Segen gegeben.

Erneut verlagerte Ren das Gewicht. »Du hast vorhin gesagt, ich bin genehmigt. Deshalb hatte ich gehofft, du hast vielleicht Lust, deine Recherchen zu vertiefen.«

Ich presste die Lippen zusammen, um nicht zu lachen, während eine tiefe Falte zwischen seinen Augenbrauen erschien.

»Das klang jetzt irgendwie seltsam«, stellte er fest. »Was ich meinte, war …«

»Möchtest du noch etwas trinken?«, unterbrach ich ihn grinsend. »Der Eierpunsch ist leider alle, aber ich hätte noch Wein da.«

»Ja.« Er strahlte mich an. »Sehr gern.«

»Okay.« Ich ging auf ihn zu und mein Blick flatterte kurz zu dem Mistelzweig, der über ihm am Türrahmen baumelte.

Irritiert hob Ren den Kopf und jeder Muskel in seinem Körper schien sich anzuspannen, als er den Mistelzweig ebenfalls bemerkte.

»Es gibt da diese alte nordische Legende«, sagte ich und blieb unmittelbar vor ihm stehen.

Langsam senkte er den Kopf und sah mich abwartend an. Ich war mir nicht sicher, ob er überhaupt noch atmete. Was unerwartet süß war.

»Darin heißt es, dass Frigga, die Göttin der Liebe, ihren Sohn verlor, weil er von einem Mistelzweig getötet wurde.«

Rens Brauen schossen in die Höhe. »Das klingt ja nicht sehr romantisch.«

»Na ja«, fuhr ich schmunzelnd fort. »Sie war darüber so traurig, dass sie Tränen über den Mistelbeeren vergoss. Daraufhin erwachte ihr Sohn wieder zum Leben. Vor lauter Freude segnete die Göttin den Mistelzweig. Es heißt, wer darunter geküsst wird, dem soll niemals ein Leid geschehen.«

Seine Mundwinkel zuckten. »Das hört sich schon besser an.«

»Ich dachte mir, dass dir das gefällt.«

Bevor ich es mir anders überlegen konnte, reckte ich mich auf die Zehenspitzen und küsste ihn sanft auf die Wange.

Sein Atem stockte.

Pures Glück rauschte durch meine Adern und ich war versucht, ihn noch einmal zu küssen.

Aber wozu die Eile?

Wir hatten Zeit – und wie er selbst gesagt hatte, war Vorfreude besonders schön. Deshalb zog ich mich lächelnd zurück und schlenderte weiter ins Wohnzimmer, in dem Wissen, dass er mir in mein Weihnachtswunderland folgen würde.

Dabei dachte ich an die andere Interpretation der alten Legende, die ich irgendwann mal aufgeschnappt hatte. Sie besagte, wer sich unter einem Mistelzweig küsste, fand die Liebe – und ich war voller Hoffnung, dass das stimmte.

3 Elaine & Jacob I

Manchmal war ich fest davon überzeugt, dass das Universum mit mir spielte. Irgendjemand da oben amüsierte sich prächtig auf meine Kosten. Anders konnte ich es mir nicht erklären, dass ich mit Jacob Hiller für das Fotoprojekt zusammengesteckt worden war. Ausgerechnet mit dem Kerl, der mir seit Beginn des Studiums auf die Nerven ging. Der mit mir in sämtlichen Kursen saß und versuchte, mich mit seinen Kunstwerken und Ideen zu übertrumpfen. Dass er zu den beliebtesten Studierenden zählte und mit seinem Charme selbst die Lehrkräfte scheinbar mühelos um den Finger wickelte, machte die Sache nicht gerade besser. Ganz im Gegenteil.

»Du Glückliche …« Christine sah mich mit einem Blick an, der beinahe als neidisch durchgehen könnte.

»Soll das ein Witz sein?«, flüsterte ich, damit die anderen mich nicht hörten. Wir hatten die Liste mit der Aufteilung gerade erst von unserem Dozenten Luke erhalten. Christine und ich saßen in der hintersten Reihe des Seminarraums. Der Kurs Grundlagen der Fotografie hatte mit dem neuen Semester begonnen und gehörte zu meinen absoluten Lieblingskursen.

Zumindest bis jetzt.

»Die Präsentation findet in einer Woche statt, das ist wenig Zeit, ich weiß. Aber bei diesem Projekt ist es mir wichtig, dass ihr euch nicht in Perfektionismus verliert. Geht mit offenen Augen durch die Stadt, verschafft euch einen eigenen Eindruck vom winterlichen New York. Romantisiert es oder zeigt seine hässlichen Seiten, ganz wie ihr wollt. Wichtig ist mir nur, dass ihr winterliche Motive findet, die euren persönlichen Blick auf die Stadt widerspiegeln.« Luke sah uns der Reihe nach mit diesem motivierten Ausdruck an, der so typisch für ihn war. Es gab auch andere Lehrkräfte, die mit deutlich weniger Euphorie bei der Sache waren – wie Linda, die mit ihrer distanzierten, kühlen Strenge nie ganz zu greifen war. Luke kam dagegen zu jedem Kurstermin mit einem begeisterten Leuchten in den Augen und schaffte es immer, alle mitzureißen.

Verstohlen warf ich einen Blick in die erste Reihe. Natürlich saß Jacob ganz vorn, wo auch sonst.

»Nur eine Woche?«, wisperte Christine. »Und das mit Cole? Das bedeutet Stress pur.« Sie hatte den absoluten Musterstudenten unseres Jahrgangs als Projektpartner zugewiesen bekommen, der von nichts anderem als übermäßigem Ehrgeiz angetrieben wurde. Wenn ich könnte, würde ich dennoch, ohne zu zögern, mit ihr tauschen. Aber ich kannte Luke gut genug. Mir war klar, dass an seiner Aufteilung nicht zu rütteln war.

»In welcher Form soll die Präsentation erfolgen?« Jacobs warme, tiefe Stimme füllte den ganzen Raum aus und ich musste nicht zu Christine sehen, um zu wissen, dass sie ihn mit einem verliebten Blick anschmachtete. Hätte es nicht jemand anderes sein können? Wir waren vierundzwanzig Leute in diesem Kurs, verdammt! Die Aussicht, mit Jacob in den nächsten Tagen für mehrere Stunden intensiv an einem Projekt zu arbeiten, verursachte mir Kopfschmerzen. Das Studium und die Kurse waren einfach zu wichtig, um eine Aufgabe wegen einer unglücklichen Partnerwahl zu vermasseln. Hoffentlich sah er das genau­­so und wir schafften es trotz der Spannungen, die stets zwischen uns herrschten, gut zusammenzuarbeiten. So oder so – ich war froh, wenn ich die ganze Aktion hinter mir hatte.

»Ihr sollt euch auf zwei Motive einigen – eins, das eurer Meinung nach am gelungensten ist, und eins, das für euch besonders herausfordernd war. Ich will von jedem von euch ein paar kurze Sätze dazu, mit einer Begründung für eure Wahl.«

»In Ordnung.« Jacob nickte, ohne sich umzudrehen.

Ich starrte auf seine braun gelockten Haare und fragte mich, ob er genauso wenig begeistert war wie ich. Vermutlich legte er sich bereits einen Plan zurecht, wie wir die Aufgabe in möglichst kurzer Zeit mit möglichst wenig Aufwand hinter uns bringen konnten. Aber wenn er glaubte, dass ich mich mit einer halbherzigen Aktion begnügen würde, hatte er sich geschnitten. Außerdem war die Aufgabenstellung eigentlich ganz cool. Ich hatte mich mit dem – zugegeben sehr hochgesteckten – Ziel an der Academy of Art beworben, eines Tages in meiner eigenen Kunst- und Fotoausstellung zu stehen, und mir bei der Zusage geschworen, mich ab nun richtig reinzuhängen. Es war eine hart umkämpfte Branche und das Beste zu geben reichte oft nicht aus. Das zu akzeptieren war schwer genug, aber ich würde meine Prinzipien nicht über den Haufen werfen, nur weil ich gezwungen war, mit meinem größten Rivalen zusammenzuarbeiten.

»In Ordnung.« Luke klatschte in die Hände. »Es sind noch fünfzehn Minuten bis zum Kursende. Ich schlage vor, ihr tut euch mit euren Projektpartnerinnen und Partnern zusammen und plant euer weiteres Vorgehen.«

Sofort setzte ein geschäftiges Murmeln ein. Stühle wurden quietschend zurückgeschoben und Köpfe eifrig zusammengesteckt.

Abwartend sah ich nach vorn, aber Jacob machte keine Anstalten, von seinem Platz aufzustehen. Natürlich nicht. Seufzend erhob ich mich und schlängelte mich zu ihm durch. Als hätte er mein Näherkommen gespürt, drehte er sich auf seinem Stuhl zu mir um.

»Tja …« Ich setzte mich auf die Kante des Tischs ihm gegenüber und strich mir eine Haarsträhne, die aus meinem Zopf gerutscht war, hinters Ohr. »Sieht so aus, als müssten wir ein Team bilden.«

Seine Augenbrauen hoben sich und die Andeutung eines Lächelns umspielte seine Lippen. »Sieht so aus …«

Bildete ich es mir nur ein oder machte er sich über die Situation lustig?

Ich kniff die Augen zusammen. »Hör mal, wenn du das Projekt nicht ernst nimmst, ist das deine Sache, aber ich habe nicht vor, es zu vermasseln.«

Seine Augenbrauen wanderten noch ein Stück höher und sein dunkler Blick lag unverwandt auf mir. Für einen schwachen Moment verstand ich, was Christine und so viele andere sahen. Jacobs markante Gesichtszüge, die nicht zu der Weichheit seines Lächelns passen wollten, ließen sein Gesicht besonders interessant wirken, und da war etwas in seinen Augen, eine unerwartete Tiefe, die es einem schwer machte, sich abzuwenden.

»Wer sagt, dass ich mich nicht genauso reinknien will wie du? Schon klar, ich bin nicht die Miss Perfect des Kurses, aber das heißt nicht, dass ich nicht auch mein Bestes geben werde.«

»Hast du … Nenn mich nicht Miss Perfect.«

Himmel, das war jetzt schon eine Katastrophe! Während unsere Mitstudierenden sich angeregt über mögliche Motive und Spots zum Fotografieren austauschten, schafften wir es nicht einmal, normal miteinander zu kommunizieren. Keine Ahnung, warum ich mich von ihm provoziert fühlte, aber etwas an seinem halb angedeuteten Grinsen machte mich wahnsinnig.

Er seufzte und das Lächeln verschwand. Wenigstens sah er jetzt nicht mehr so amüsiert aus. »Na schön, Elaine. Wie willst du vorgehen?«