Empire of Sins and Souls 3 - Das zerrissene Herz - Beril Kehribar - E-Book

Empire of Sins and Souls 3 - Das zerrissene Herz E-Book

Beril Kehribar

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Beschreibung

Jetzt das eBook zum Einführungspreis sichern! Wenn dich alle, die du liebst, verraten … Wem kannst du dann noch trauen? Enemies to lovers to enemies … to lovers? »Das zerrissene Herz« ist das epische Finale der »Empire of Sins and Souls«-Trilogie, in der die Heldin sich ein letztes Mal entscheiden muss – zwischen Graf und Prinz, zwischen sich selbst und Xanthia. Als Zoé Durand ihre Augen öffnet, ist da nur ein einziges Gefühl, das verheerend durch ihre Venen rauscht: Hass. Nach Kaspars Verrat musste sie eine Xathyr werden, um nicht im ewigen Höllenfeuer zu enden, nun schwört sie Rache. Noch ahnt Zoé nichts von Kas' Gründen, doch schon bald muss sie erkennen, dass es hier um weitaus mehr geht als ihr eigenes Leben. Das Geheimnis von Xanthia wird gelüftet und die Existenz aller Xathyr bedroht. Hielt Zoé Kas für den Bösewicht ihrer Geschichte, so muss sie sich nun eingestehen, dass sie nicht länger weiß, wer Freund und wer Feind ist. Erst recht nicht, als sie etwas über Alexei erfährt, das alles verändert. Von beiden Männern, denen sie einst vertraute, verraten, bleibt Zoé nichts anderes übrig, als sich mit ihnen zu verbünden, um sich ihrem gemeinsamen Schicksal zu stellen. Retten sie Xanthia oder das Leben eines Unschuldigen? Diese Tropes sind enthalten (Auswahl): - enemies to lovers to enemies – to lovers? - reverse harem vibes / Why choose? - He'd destroy the world for her - evil vs. evilBeril Kehribar ist die Bestseller-Autorin der düsteren Jugendbuch-Reihe »Schattenthron«. Mit »Empire of Sins and Souls« hat sie eine spicy gothic Fantasy geschrieben, die sich an eine erwachsene Zielgruppe richtet – für Leser*innen von Sarah J. Maas, Kerri Maniscalco oder Jennifer L. Armentrout. Dark Romantasy at it's best! »Düster, sinnlich, herzzerreißend. Ich konnte das Buch gar nicht aus der Hand legen.« – Carina Schnell über Empire of Sins & Souls 1 »Dieses Buch lebt von düsterer Romantik und einem tragisch-schönen Erzählton vor seiner bitterbösen Kulisse. Ich bin hoffnungslos verliebt!« – Juli Dorne über Empire of Sins & Souls 1 Diese Trilogie beinhaltet Themen, die bei manchen Menschen ungewollte Reaktionen auslösen können. Bitte achtet daher auf die Liste mit sensiblen Inhalten, die wir im Buch zur Verfügung stellen.

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Seitenzahl: 466

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Beril Kehribar

Empire of Sins and Souls 3

Das zerrissene Herz

Roman

Verlagsgruppe Droemer Knaur GmbH & Co. KG.

Über dieses Buch

Wenn dich alle, die du liebst, verraten … Wem kannst du dann noch trauen?

Enemies to lovers to enemies … to lovers? »Das zerrissene Herz« ist das epische Finale der »Empire of Sins and Souls«-Trilogie, in der die Heldin sich ein letztes Mal entscheiden muss – zwischen Graf und Prinz, zwischen sich selbst und Xanthia.

Als Zoé Durand ihre Augen öffnet, ist da nur ein einziges Gefühl, das verheerend durch ihre Venen rauscht: Hass. Nach Kaspars Verrat musste sie eine Xathyr werden, um nicht im ewigen Höllenfeuer zu enden, nun schwört sie Rache. Noch ahnt Zoé nichts von Kas‘ Gründen, doch schon bald muss sie erkennen, dass es hier um weitaus mehr geht als ihr eigenes Leben. Das Geheimnis von Xanthia wird gelüftet und die Existenz aller Xathyr bedroht. Hielt Zoé Kas für den Bösewicht ihrer Geschichte, so muss sie sich nun eingestehen, dass sie nicht länger weiß, wer Freund und wer Feind ist. Erst recht nicht, als Alexei mit einer Information herausrückt, die alles verändert. Von beiden Männern, denen sie einst vertraute, verraten, bleibt Zoé nichts anderes übrig, als sich mit ihnen zu verbünden, um sich ihrem gemeinsamen Schicksal zu stellen. Retten sie Xanthia oder das Leben eines Unschuldigen?

Diese Tropes sind enthalten (Auswahl):

• enemies to lovers to enemies – to lovers?

• reverse harem vibes / Why choose?

• He'd destroy the world for her

• evil vs. evil

 

Beril Kehribar ist die Bestseller-Autorin der düsteren Jugendbuch-Reihe »Schattenthron«. Mit »Empire of Sins and Souls« hat sie eine spicy gothic Fantasy geschrieben, die sich an eine erwachsene Zielgruppe richtet – für Leser*innen von Sarah J. Maas, Kerri Maniscalco oder Jennifer L. Armentrout. Dark Romantasy at it's best!

»Düster, sinnlich, herzzerreißend. Ich konnte das Buch gar nicht aus der Hand legen.« – Carina Schnell über Empire of Sins & Souls 1

»Dieses Buch lebt von düsterer Romantik und einem tragisch-schönen Erzählton vor seiner bitterbösen Kulisse. Ich bin hoffnungslos verliebt!« – Juli Dorne über Empire of Sins & Souls 1

Diese Trilogie beinhaltet Themen, die bei manchen Menschen ungewollte Reaktionen auslösen können. Bitte achtet daher auf die Liste mit sensiblen Inhalten, die wir im Buch zur Verfügung stellen.

 

 

Weitere Informationen finden Sie unter: www.droemer-knaur.de

Inhaltsübersicht

Widmung

Vorwort

Playlist

Zuvor

Prolog

Heute

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Eine Stunde zuvor

Kapitel 18

Jetzt

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Kapitel 35

Kapitel 36

Kapitel 37

Kapitel 38

Kapitel 39

Epilog

Nachwort

Danksagung

Glossar

Content Notes

Für mich.

 

Und für alle, die auch noch hier sind,

obwohl sich gehen manchmal verlockender anfühlt.

Vorwort

 

Liebe Leserinnen und Leser,

 

dies ist der dritte und letzte Band der Empire of Sins and Souls-Trilogie. Wie in den vorigen Teilen erwarten euch auch in diesem Buch möglicherweise triggernde Themen. Eine genaue Auflistung findet ihr am Ende des Buches, jedoch enthält sie potenzielle Spoiler für die Geschichte. Bitte passt auf euch und eure mentale Gesundheit auf.

 

Und nun heiße ich euch ein letztes Mal in Xanthia willkommen – seid ihr bereit für das Finale?

 

Eure Beril

Playlist

 

Born Alone Die Alone – Madalen Duke

My Soul’s Demise – Blackbriar

I’ll Make You Love Me – Kat Leon, Sam Tinnesz

My December – Linkin Park

Coffin – Black Veil Brides

ANYTHING > HUMAN – Bad Omens

Sweet Sacrifice – Evanescence

FU In My Head – Cloudy June

House of Mirrors – Arch Enemy

Tonight Is The Night I Die – Palaye Royale

I Disagree – Poppy

Blood – In This Moment

EVEN – Bad Omens

Sand – Dove Cameron

World Gone Mad – The Phantoms

It Had To Be You (Dark Version) – Tommee Profitt, Tiffany Ashton

TRASTEVERE – Måneskin

Tears Don’t Fall – Bullet for My Valentine

How Far Does The Dark Go? – Anya Marina

Dynasty – MIIA

LET THE WORLD BURN – Chris Grey

The Hell I Overcame – Bad Omens

Prequel – Falling in Reverse

Empire – Beth Crowley

Zuvor

Ein Kerker in Rivière in der République Adrasteau

Prolog

Zoé

 

Tag 2

Ich hörte drei aufeinanderfolgende Geräusche.

Erst zerschnitt etwas die Luft.

Dann platzte Haut auf.

Und ein gellender Schrei quälte sich aus meiner Kehle.

Drei ganz und gar unterschiedliche Laute, gefärbt von drei ganz und gar unterschiedlichen Arten von Emotionen.

Erst war da trübweiße Angst vor dem Unvermeidbaren.

Dann alles verzehrende blutrote Agonie.

Und schließlich brach der Schmerz in glühend schwarzen Wellen aus mir heraus, entfloh mir, wie ich ihm entfliehen wollte.

Ich ließ mich in die Ketten fallen, die von der Decke hingen und an meinen Handgelenken rissen. Meine Beine fühlten sich viel zu weich an, viel zu schwach, nachdem der Peitschenhieb auf ziemlich genau dieselbe Stelle eingeschlagen war wie der vorige.

»Steh auf!« Die Worte knallten wie weitere Hiebe. Ich hörte sie. Natürlich hörte ich sie, wo doch sonst nichts weiter als Stille in meinen Ohren brüllte.

Aber ich rührte mich nicht, konnte es nicht. Meine Knie waren aufgescheuert, Dreck klebte an den offenen Wunden und ließ sie glühen wie Feuer.

»Hoch!«, verlangte der Mann hinter mir.

UMDREHEN!, echote die niemals verblassende Erinnerung an die Stimme eines anderen Peinigers durch die Leere in meinem Schädel.

Nur einen röchelnden Atemzug später krallte sich eine fleischige Hand in mein Haar. Vergangenheit und Gegenwart schoben sich voreinander, dann ineinander, vermischten sich zu einem tödlichen Gebräu aus Schmerz und Wut und Scham und Hilflosigkeit.

Ich schrie gequält auf, als er an mir zerrte. Mein müder Körper bäumte sich unter Qualen auf, und die Ketten rasselten protestierend.

Meine Lider flatterten. Ich sammelte alle Kraft, die ich noch in mir trug, stellte mir vor, wie sie in meine Beine strömte und mich stärkte, damit ich mich irgendwie aufstemmen konnte. Weil er aufhören sollte. Er sollte aufhören, an meinen Haaren zu ziehen, als wäre ich eine Puppe, über die er bestimmen konnte. Es erinnerte mich viel zu sehr an das, was Raoul getan hatte. Es war vier Tage her, dass ich dem Bastard die Kehle aufgeschlitzt hatte, und noch immer verfolgten mich sein Gesicht, die wutverzerrten Augen.

Gerade hatte ich es geschafft, mich aufzurichten, meine Beine bebten unter mir, da fraß sich das Leder der Peitsche bereits siedend heiß in mein Fleisch und zwang mich ein weiteres Mal in die Knie.

Tag 4

Schmutziges Wasser floss durch meine ausgedörrte Kehle wie ein reißender Strom aus Lava, in der spitze Steine schwammen. Spitze Steine, die sich in meinen Rachen bohrten wie Dornen, die sich niemals herausziehen ließen.

Tag 5

Ich dachte an Raoul Vignaud. Ein Abbild seines Gesichts hatte sich mit siedend heißen Linien in mein Gedächtnis gebrannt.

Ich kroch tiefer in die kalte, dunkle Ecke, zog die Beine enger an meinen Körper, machte mich klein, immer kleiner. Meine rissigen Fingernägel klammerten sich um meine angezogenen Knie. Manchmal drückte ich sie besonders fest in mein Fleisch. Vor allem dann, wenn mich die Erinnerungen viel zu plötzlich überkamen. Wenn zu viele kleine Details seines Angriffs in meinen Gedanken aufblitzten. Dinge, die ich vergessen hatte. Verdrängt. Es genügten Kleinigkeiten wie die Farbe seines Gürtels, mit dem er mich geschlagen hatte.

Der unmittelbare Schmerz in meiner Haut lenkte mich für einen Moment von jenem ab, der in meiner Seele wohnte.

Heute dachte ich daran, wie ich Raoul zu der Kabine geführt hatte, in der alles begann. Hätte ich das nicht getan, wäre vieles anders verlaufen. Vielleicht wäre er jetzt nicht tot, und ich säße nicht hier in dieser Dreckszelle, verurteilt für etwas, das ich getan hatte, um mein Leben zu retten.

Welch Ironie.

Ich hatte überlebt, um hingerichtet zu werden.

Ich keuchte leise, als meine Fingernägel die Haut durchstießen.

Tag 9

Wieder wurde die Luft zerteilt.

Wieder wurde mir die Haut vom Körper gepeitscht.

Doch diesmal folgte kein gellender Schrei, nur ein stummes Krächzen, das meine Stimme nun endgültig ersetzt zu haben schien.

»Steh auf!«

Die Worte hatten sich in meinen Schädel eingraviert wie ein Fluch, den man in Knochen schnitzte.

»Los, steh auf!«

Nein, dachte ich. Liegen zu bleiben ist so viel einfacher. Hier und jetzt meine Augen zu schließen ist so viel einfacher. Elendig in einer Lache aus meinem Blut, meinen Tränen, meiner Pisse zu verrecken ist so viel einfacher.

Alles war einfacher, als aufzustehen und einen weiteren Hieb zu ertragen.

Tag 14

Ich konnte nicht atmen, während er mich an die Wand gedrückt hielt. Die Feuchtigkeit, die sich in den Rissen des Mauerwerks gesammelt hatte, stank nach Verwesung. Wenn er mit mir fertig war, würde mein Körper auch so riechen.

»Willst du nicht für mich winseln, kleine Sünderin?«

Ich schrie, ich schrie um mein Leben, aber kein Ton drang aus meinem Hals. Stattdessen fühlte ich seine rauen Finger, die über meine Schenkel strichen, über ihre Innenseiten, bis ich sie zwischen meinen Beinen spürte.

»Dann hast du deine Chance vertan, fürchte ich.«

Tränen zogen warme Spuren über mein Gesicht, als ich ihn dort liegen sah. Auf dem Boden. Den Dolch.

Woher war er gekommen? Hatte er die ganze Zeit über dort gelegen und er war mir bisher nur nicht aufgefallen? Oder ist er aus seiner Hose gerutscht, als er mich angriff?

Ich befreite mich aus Raouls Griff und packte die Waffe, die meinen Namen zu rufen schien. Blut spritzte auf, als ihre Klinge in den Bauch des Mannes drang, wieder und wieder. Ich stach auf ihn ein, konnte nicht aufhören, bis sich sein Gesicht vor meinen Augen veränderte. Eine schemenhafte Gestalt, umrissen von Rauch. Blaue Augen funkelten wie tödliche Saphire in der Finsternis.

Ich ließ den Dolch zu Boden fallen, stürzte aus der Kabine und sah Jean-Paul in einer Ecke des Bordells stehen. Er sprach mit jemandem, wahrscheinlich ein Kunde. Oder war es ein Gendarm?

»Hey!«, rief ich ihm zu, doch er hörte mich nicht. »Es ist etwas passiert! Jean-Paul!«

Ich stürmte auf die Männer zu, und ich wusste nicht, weshalb ich das tat, aber ich packte denjenigen, der mir den Rücken zugewandt hatte, am Arm, um ihn zu mir herumzudrehen.

Mir blieb der Atem in der Kehle stecken, und der Fluss meiner Tränen versiegte, als wäre da keine Kraft mehr in mir, von der er zehren konnte.

Das war kein Mann. Vielmehr verwandelte er sich vor meinen Augen in eine Frau. Eine Frau, die ich kannte und deren Iriden für einen Moment rot aufglühten.

 

Mein Herz raste wie verrückt, als ich die Lider aufriss. Müdigkeit klebte an mir, obwohl meine Sinne in Alarmbereitschaft waren.

War es noch immer Nacht? Alles war dunkel. Aber das war es hier unten zu jeder Zeit, in jeder Minute.

Mit jedem weiteren Blinzeln ließ der Albtraum ein Stück von mir ab und verflüchtigte sich, bis nur noch Schall und Rauch übrig blieben.

Tag 21

Jeder tonlose Laut aus meiner aufgerissenen Kehle begleitete die stummen Tränen, die aus meinen Augen quollen, als die Frau mit dem Schwamm über meinen Rücken scheuerte. Wie dumm von mir, dass ich wirklich gedacht hatte, ich könnte nicht mehr weinen.

Es war jetzt zwölf Tage her, seit der Mann mit der Peitsche das letzte Mal zu mir gekommen war. Die Krater in meiner Haut hatten angefangen, sich zusammenzuziehen, zusammenzuwachsen, als könnte der Schmerz dadurch rückgängig gemacht werden. Das eiskalte Wasser und der raue Schwamm schienen sie nun Stück für Stück wieder aufzureißen.

Es wäre ihre Aufgabe, mich zu säubern, bevor sie mich dem Urteil ihres Herrn übergab, hatte die Frau mürrisch erklärt. Im Angesicht Gottes müsste ich schließlich frei von Makeln sein. Es war selbsterklärend, dass sie nur von jenen sprach, die man mit dem bloßen Auge sehen konnte.

Ob es wirklich er war, der unsere Seelen nach dem Tod entgegennahm?

»Stell dich nicht so an, es ist ja gleich vorbei«, sagte sie. Ihre Stimme kratzte beinahe genauso unangenehm über meine Arme wie ihr beschissener Schwamm.

Als die Bedeutung ihrer Worte nach und nach in meinen Verstand tröpfelte, war es, als ginge doch noch ein weiterer Hieb auf mich nieder. Sie sprach nicht nur von diesem erniedrigenden Bad.

Ich zuckte so stark zusammen, dass meine Ketten klirrten.

»Halt still, verdammte Hure!«

Ihre nächste ruppige Bewegung zerrte ein gequältes Stöhnen aus mir heraus, dann legte sie den Schwamm auf den Rand des Zubers und zog mich aus dem Wasser, in dem samtrote Schlieren wirbelten.

»Abtrocknen.« Die Frau drückte mir ein Leinentuch in die Hand und griff nach einem weiteren Stück Stoff, das sie auseinanderfaltete.

Meine Finger, die sich in das Tuch krallten, als wäre es mein ganz persönlicher Anker, schmerzten. Selbst ohne die Eisenketten würde es mir nicht gelingen, mich abzutrocknen, doch mit ihnen brauchte ich es gar nicht erst versuchen. Meine Arme fühlten sich viel zu schwer an, um mir zu gehorchen. Also stand ich da, mein Körper gebeugt, meine Glieder zitternd, während abgestandene Luft über meine nasse Haut fuhr.

Die Frau drehte sich wieder zu mir um und rümpfte die gebogene Nase, was weitere Falten auf ihrem Gesicht erscheinen ließ wie ausgetrocknete Gräben in verbrannter Erde.

»Wie verdorben muss ein Weib sein, um sich selbst anzubieten?«, murrte sie.

Die richtige Frage wäre: Wie verzweifelt muss es sein?, dachte ich.

Ihr stechend blauer Blick fuhr urteilend über jeden nackten Zentimeter meines Körpers. Missbilligend schüttelte sie den Kopf, die mattgrauen Haarsträhnen bewegten sich mit.

»So jung und so verloren. Mögen die Flammen der Hölle die Sünden aus dir herausbrennen.«

Ich sog scharf die Luft ein, sie stach in meine Lungen wie eintausend Nadeln. Mein nächster Atemzug folgte, ehe ich meine Lungen geleert hatte, der nächste noch schneller. Meine Brust hob und senkte sich in viel zu raschen Zügen, Dunkelheit verschleierte meine Sicht, stieg wie Nebel in meinen Schädel. Ich versuchte mir einzureden, dass Gott nicht so grausam sein konnte, meine Seele in das Höllenfeuer zu werfen. Alles, was ich getan hatte, war aus meiner Not heraus geschehen.

Sicher?, hörte ich eine höhnende Stimme in meinem Kopf. Hättest du Raoul wirklich abschlachten müssen? Hätte eine einzelne Bauchwunde nicht gereicht, um ihn außer Gefecht zu setzen?

Nein, hätte sie nicht. Er hatte gewusst, wer ich war. Und Maman … Ich musste sie beschützen, um jeden Preis. Der Gedanke an sie schnürte meine Kehle zu, und ich musste mehrere Male blinzeln, um weitere Tränen zurückzuhalten. Was würde sie nur ohne mich tun? Was würde sie denken, wenn ich nicht mehr nach Hause kam?

Ich hatte nicht bemerkt, wie zwei Kerkerwärter hereingekommen waren, aber sie zerrten an meinen Eisenfesseln, bis sie mit einem lauten Geräusch auf den Steinboden fielen.

Im nächsten Moment spürte ich, wie mir etwas über den Kopf gezogen wurde. Ein schmerzhafter Schluchzer bebte in meiner Brust. Ich dachte an Marie, wie sie auf dem Schafott gestanden hatte. An den Sack, den sie ihr über den Kopf gestülpt hatten, bevor …

Noch ein Schluchzer.

Erst als jemand nach meinem Arm griff, realisierte ich, dass der Stoff kein Sack war, sondern ein Kleid. Die Frau, die mich gewaschen hatte, schob meinen rechten Arm durch den Ärmel, dann den anderen, bis das schmutzige Beige ohne Mühe über meine dünner gewordenen Hüften fiel.

Sofort legten mir die beiden Männer in ihren schwarzen Kutten die Eisenketten wieder an.

Dachten sie wirklich, ich würde sonst eine Bedrohung darstellen oder fliehen können, wo doch nichts weiter als Trümmer von mir übrig waren?

Die Wärter hielten mich an den Oberarmen gepackt, als sie mich durch das heruntergekommene Kerkergewölbe führten. Wir gingen schmale Gänge mit niedrigen Decken entlang, ehe wir eine Treppe hochstiegen. Bis gerade eben hatte außer unseren Schritten Stille geherrscht, doch mit jeder weiteren Stufe drangen mehr und mehr Geräusche an meine Ohren. Stimmen.

Mein Herzschlag fühlte sich an, als wollte er meine Adern und mein Trommelfell platzen lassen.

Ich bin Claire Moreau, und das hier bedeutet mir nichts.

Ich wiederholte die Worte in Gedanken, noch mal und noch mal. So lange, bis ich sie vielleicht irgendwann glaubte. Und ich hoffte, dass irgendwann kam, bevor sie mir den Kopf abschlugen.

Als wir das obere Stockwerk erreichten, hielten wir an. Wind scheuerte an meinen tränenfeuchten Wangen, und blinzelnd blickte ich hoch in den Himmel, in sein tiefes Blau, das ich seit einundzwanzig Tagen nicht mehr gesehen hatte. Die Illusion von Freiheit hielt nur eine flüchtige Sekunde, dann stellte sich einer der schwarz gekleideten Männer vor mich und ragte über mir auf wie ein unheildrohender Schatten. Mein Puls hämmerte durch meine Venen, als ich erkannte, was er in der Hand hatte. Einen Sack. Und nur einen Augenaufschlag später zog er ihn mir über den Kopf.

Sofort beschleunigte sich mein Atem, der Geruch von Staub und altem, mottenzerfressenem Stoff senkte sich in meine Lungen.

»Vorwärts!« Der Wärter schubste mich, und die Eisenketten um meine Handgelenke klirrten ein weiteres Mal auf.

Jetzt, wo ich meine Umgebung nicht mehr sehen konnte, schienen meine anderen Sinne geschärft. Unter meinen nackten Füßen fühlte ich rauen Stein. Seine beißende Kälte sank in meine Haut, als die Stimmen um mich herum immer lauter erklangen, mit jedem weiteren wackeligen Schritt.

»Lasst ihren Kopf rollen!«

»Dreckige Hure!«

»Mörderin!«

Ich wollte Luft holen, doch sie fühlte sich viel zu angeschwollen an, staute sich in meiner Kehle, wurde zu Stein, der mir das Schlucken erschwerte.

»Mörderin!«

»Hure!«

»Mörderin!«

»Pécheresse, Pécheresse, Pécheresse!«

Sünderin, Sünderin, Sünderin.

Die Rufe und das Grölen hallten in meinen Knochen wider, jedes Wort zerrte eine neue Träne über mein Gesicht, tränkte den dunklen Stoff, der mir die Sicht auf die Menschenmenge verwehrte. Pure Hilflosigkeit hielt mich in ihrem Würgegriff.

Ich bin Claire Moreau, und das hier bedeutet mir nichts.

Ich bin Claire Moreau, und das hier bedeutet mir nichts.

Ich bin Claire Moreau, und das hier bedeutet mir nichts.

Als wir stehen blieben, echote das dumpfe Poltern meines Herzens durch meine eingeschnürte Brust.

Das hier war es doch, was ich mir jeden einzelnen Tag in dieser Zelle gewünscht hatte.

Sterben.

Ein Tritt in meine Kniekehlen entriss mir ein Wimmern, und ich fiel auf die Knie. Mein ganzer Körper bebte unkontrolliert. Jemand griff nach dem Sack, ehe er mir vom Kopf gezogen wurde. Kurz fragte ich mich, warum man sich überhaupt die Mühe gemacht hatte, ihn mir überzustülpen. War das Teil der Präsentation? Steigerte es die Neugier der geifernden Menge?

Düstere Augen wie scharf geschliffener Obsidian sahen mir hinter einer schwarzen Maske entgegen.

Der Henker.

Mein Ende.

Aber …

Mein Blick fiel auf jemanden, der aus der Menge der Schaulustigen stach wie eine Säule aus Licht inmitten der Dunkelheit. Die Zeit blieb stehen, ich hielt sie in meiner Brust fest wie einen letzten verzweifelten Atemzug.

Die alte Frau spähte zu mir hoch, ihre Miene ungerührt zwischen all dem Chaos um sie herum. Sie neigte den Kopf, und ihr dunkles Haar schimmerte in einem kühlen Blau.

»Le plus précieux. Das ist der Name der Ausstellung«, hallten längst gesprochene Worte in mir nach, wirbelten meine Gedanken auf, ließen meinen Verstand taumeln.

Ich keuchte, als der Henker meinen Kopf zwischen den beiden hohen Pfosten der Guillotine platzierte, direkt unter dem Chapiteau. Alles an mir, vom Skelett bis zur Haut, spannte sich an. Panik hämmerte einer Trommel gleich in meiner Brust und schnitt mir die Luft ab, wie es gleich das Beil mit meinem Kopf tun würde.

Ich versuchte zu schlucken, suchte den Blick der Frau in der Menge der Zuschauenden, als wäre sie mein Rettungsboot, das mir Sicherheit im tiefen Meer meiner Angst versprach.

Aber irgendetwas in ihrem Gesicht ließ mich daran zweifeln, dass sie die Gute war. Beinahe sah es so aus, als verzog sie die Lippen zu einem Lächeln. Einem grotesken Lächeln, das nicht zu ihr passen wollte. In dem Moment hatte ich das Gefühl, sie bereits öfter gesehen zu haben. Sie hatte mich nicht nur auf die Ausstellung bei Aubervilliers aufmerksam gemacht und von den wertvollen Schätzen der Königinnen und Könige geschwärmt. Da war noch etwas … Etwas, das ich nicht greifen konnte.

Ich vergaß keine Gesichter.

Und in dem Augenblick dämmerte es mir.

Im nächsten zerschnitt ein sirrendes Geräusch die eiskalte Luft.

Heute

Der Blutdistrikt in Xanthia

Kapitel 1

Zoé

 

Tozkrejz iz zwoy adrekhov, dobli stuthit’ Xanthii. Kust’ ty dozhneth’ robli’mye adrekhi. Ich taufe dich Zoya, dhivoii.«

Alexeis volle Stimme schwängerte das Throngewölbe, kroch über die dunklen Wände und die Kalksteinsäulen, auf denen die Last der abgerundeten Decke ruhte. Und über meine Wirbelsäule.

Der Graf von Xanthia war gehüllt in die Farben der Nacht, während er die Worte sprach, die alles verändern würden.

Zoya, hallte es in meinen Gedanken nach. Ein Name, der einen Neuanfang symbolisierte. Ein Name, der alles Alte auslöschen sollte. Nicht nur all den Schmerz, sondern auch das andere. Das Gute. Auch wenn es davon nicht viel gab.

Maman.

Claire.

Marie.

Kas.

Mein Herz polterte, und mit ihm flackerten die Flammen von Abertausenden von Kerzen auf, warfen verzerrte Schatten, die durch das Gewölbe tanzten wie ruhelose Geister.

Nicht Kas, sondern Kaspar.

Prinz Kaspar. Er gehörte zu den Dingen, die ich für immer aus meinem Leben tilgen wollte. Alles von ihm. Jede Sekunde, die ich mit ihm verbracht hatte, jedes Wort, das er zu mir gesagt hatte, jedes Gefühl, das er mir gegeben hatte. All das musste sterben. Er musste sterben.

Wie Zoé ungebetene Gefühle hinter der Maske von Claire verborgen hatte, würde Zoya sie alle unter dem Schleier ihres neuen Xathyr-Daseins verstecken.

Ich war endlich stark, und ich würde stärker sein als meine Gefühle.

Alexei erhob sich von seinem Thron, ein weiterer Schatten an der hohen Wand. Ein Raunen ging durch die Menge der Zuschauenden, die zu dem Podest aufsahen, auf dem ich in einem blutroten Kleid vor ihrem Herrscher kniete. Das Geräusch vibrierte in meinen Knochen, während Bilder in mir aufblitzten, die nicht an diesen Ort gehörten. Da stand keine Menge aus grölenden Menschen. Es waren Hunderte Xathyr, die in den Schatten lauerten, ihre Augen groß und voller Neugier auf mich gerichtet.

Hier würde kein Fallbeil auf mich herabsausen.

Stattdessen war es Alexeis Hand, die mein Kinn umfasste und mich langsam auf die Beine zog. Sein weinfarbener Blick tauchte in meinen ein, seine Lippen nur wenige Zentimeter von meinen entfernt.

»Meine Gräfin«, raunte er, und jede Silbe jagte als Gänsehaut über meinen Körper. Es klang beinahe so, als würde er mich als ebenbürtig anerkennen. Kurz darauf traten finstere Schatten aus Alexeis Mund, formten sich zu Schlieren, die uns umschlossen, die über meine Arme fuhren, in mein Dekolleté wanderten, unter meinen Rock glitten und meine Schenkel entlangstrichen.

Ich konnte ein leises Aufseufzen nicht verhindern, und Alexei fing es mit seinem nächsten Atemzug auf, um es tief in seine Lungen zu ziehen.

»Zoya«, flüsterte er an meinen Lippen. »Meine Lebende. Mein Leben.«

Seine Schatten zogen sich zurück und verdichteten sich hinter ihm. Es war beinahe, als formten sie etwas.

Blinzelnd blickte ich an Alexei vorbei, sah dabei zu, wie sich die Schwaden lichteten. Lange schwarze Knochen ragten zwischen ihnen empor, wuchsen zusammen zu einem Gerüst, das aussah wie ein Abbild von Alexeis Thron.

Die Xathyr um uns herum begannen hinter vorgehaltener Hand aufgeregt zu tuscheln, beobachteten die Zeremonie aus gerundeten Augen, als wäre dies die erste Auferstehung, der sie beiwohnten. Die Luft war stickig, schwer vor Erwartung und uralten Traditionen, die ich kaum verstand. Mein Blick schoss zwischen den Xathyr hindurch, suchte nach etwas – nach Gesichtern, die ich kannte.

Maman.

Claire.

Marie.

Weiter hinten im Gewölbe erspähte ich Roman, der mir bedächtig zunickte. Obwohl wir uns nicht gut kannten und ich ihn wohl kaum als Freund bezeichnen konnte, fühlte ich mich ein wenig sicherer.

»Gud’ maim y gravi zyarom zo mnoia.«

Mein Kopf schnellte herum zu Alexei.

Sei die Meine und herrsche an meiner Seite.

Seit meiner Auferstehung als Xathyr verstand ich jedes einzelne Wort der einst fremdartigen Sprache, und doch brauchte ich einen Moment, bis ihre wahre Bedeutung bei mir ankam. Meine neue Zofe hatte mir beim Ankleiden erklärt, was die Auferstehungszeremonie bedeutete. Dass ich mein Leben als Xathyr beginnen würde, mit einem neuen Namen und einem Platz am Hofe von Alexei. Diese Ehre würde nicht jedem neugeborenen Xathyr zuteil, so hatte sie gesagt.

Und nun sprach Alexei davon, dass ich nicht nur ein Teil seines Hofes sein, sondern mit ihm herrschen sollte? War dieser neue Thron … War er für mich bestimmt?

Sag, dass ich dich lieben darf, Zoé. Sag, dass du bei mir bleibst.

Das war es, worum Alexei mich gebeten hatte, als ich vor der Entscheidung stand, die alles für immer veränderte.

Und ich war geblieben. War zur Xathyr geworden, statt mich in die Hölle ziehen zu lassen, nachdem … Dunkelblaue Augen. Nachdem diese dunkelblauen Augen mich verraten hatten.

Ich ballte meine Hände zu Fäusten, doch Alexei griff nach ihnen und löste meine Finger aus ihrer verkrampften Haltung, als wollte er mir meine Wut wegnehmen. Dann hob er sie an seinen Mund und hauchte Küsse auf jeden einzelnen meiner Knöchel.

»Dir wird nie wieder Leid widerfahren, meine Gräfin.«

Meine Gräfin.

Nannte er mich deshalb so? War diese Zeremonie … Bedeutete sie mehr, als ich angenommen hatte? Die Menge um uns herum war still geworden. Jede Bewegung, jedes Geräusch schien zu viel.

Nervös hielt ich Alexeis Blick fest, in dem verschiedene Emotionen wirbelten. Sie alle gruben sich mit ihrer Intensität in mein Herz. Ich sah ihn an, und ich glaubte ihm. Er würde jeden Schmerz von mir fernhalten. Er würde mich vor ihm verstecken.

Langsam neigte ich den Kopf zu einem Nicken, und ein Lächeln formte sich auf Alexeis perfektem Gesicht. Beinahe wirkte es … erleichtert? Dabei war Alexei kein unsicherer Mann.

Er hielt meine Hand und führte mich zum schwarzen Thron, der aus seinen Schatten geboren war.

»Die Macht, die du ab dem heutigen Tage haben sollst, verlangt Weisheit, Stärke und Loyalität«, sagte er, bevor er sich zu den Xathyr umdrehte, die uns noch immer still beobachteten. Noch während ich zu begreifen versuchte, was die Worte bedeuten konnten, sprach Alexei weiter, seine Stimme schwer von der Wichtigkeit, die sie trugen: »Bewohner von Xanthia, begrüßt eure neue Herrscherin!«

Herrscherin. Ich keuchte.

Auf Alexeis Worte folgte ein ohrenbetäubendes Grölen. Hunderte Xathyr schlugen sich mit ihrer Faust auf die Brust und verneigten sich.

Vor uns.

Vor mir.

Das Gewicht dieses Augenblicks lastete schwer auf mir, die Gefühle, die damit einhergingen, waren berauschend, und doch machten sie mir Angst. Alles an dieser Zeremonie fühlte sich so … endgültig an. Selbst das Kleid, das ich trug, wirkte mit einem Mal zu opulent, zu prunkvoll. Als gehörte es zu einer Rolle, die ich von nun an spielen sollte.

Alexei sah mich mit funkelnden Augen an und bedeutete mir, mich zu setzen. Er griff in die Schatten, und zwischen seinen Fingern blitzte ein filigranes Diadem auf, das ich schon einmal gesehen hatte. In Nastyas Gemächern, in ihrem Spiegelbild. Schwarze Edelsteine funkelten darin, edel und tödlich. Wie die Xathyr.

Als er es mir aufsetzte, kratzten Dornen auf der Innenseite über meine Haut.

Ich konnte nicht einmal so tun, als wäre das Diadem nicht da, denn ich spürte es mit jedem Atemzug. Und die Macht, die darin lag.

Alexei ließ sich auf seinem Thron nieder, der neben meinem stand, und schob seine Finger zwischen meine.

Vielleicht war es das, was ich brauchte. Endgültigkeit. Beständigkeit nach einundzwanzig Jahren des Chaos. Und vielleicht war es Alexei, der sie endlich in mein Leben brachte. Schließlich verdankte ich ihm mein neues Dasein. Ich verdankte ihm alles.

***

»Wie fühlt er sich an?«, fragte Alexei. »Dein Thron?«

Mondlicht fiel durch die Vorhänge und floss wie ein blutiger Wasserfall durch das hohe Gewölbe. Die Masse an Xathyr hatte sich aufgelöst, nur zwei von Alexeis Wachleuten flankierten den Torbogen mit wachsamen Mienen.

»Fremd«, gestand ich. Wenn ich genauer darüber nachdachte, war es absurd, dass ich hier saß. Ich, eine Ratte aus dem Trou, die doch nichts anderes kannte, als jeden Tag um ihr Überleben zu kämpfen. »Aber ich denke, ich könnte mich daran gewöhnen.«

Alexei erhob sich, und ich folgte seinen Bewegungen, bis er vor mir stehen blieb und zu mir herabsah, ein schelmisches Leuchten in den Rubinaugen.

»Wir könnten den Prozess beschleunigen.« Etwas Dunkles färbte seine Stimme und fuhr direkt in meinen Unterleib.

»Wie stellst du dir das vor?«, fragte ich, obwohl ich wusste, worauf das hier hinauslaufen würde. Wir hatten die letzten Tage nichts anderes getan. Es hatte mich abgelenkt von dem Krieg, der mein Herz zerriss.

Ich hielt seinen Blick fest, als der Graf von Xanthia sich zu mir herunterbeugte. Er stützte sich auf die Armlehnen des Throns links und rechts von mir, schob sein Gesicht direkt vor meines. Sein betörender Geruch hüllte mich ein, und ich hob den Kopf, bis unsere Lippen aufeinandertrafen.

Alexei knurrte heiser, als meine Zunge gegen seine stieß. Seit ich als Xathyr erwacht war, konnte ich nicht genug von ihm bekommen, und ihm erging es anscheinend nicht anders. Drei Tage und drei Nächte hatten wir in seinem Bett verbracht und schamlos miteinander gevögelt.

»Meine Gräfin«, hauchte er zwischen zwei Küssen. »Sag mir, was du brauchst.« Seine geschwollenen Lippen teilten sich zu einem Grinsen, das mein Herz zum Flattern brachte.

Ich lächelte zurück, konnte meinen Blick nicht von ihm lösen.

»Es gefällt mir, wenn du mich so nennst.«

Alexeis Augen waren lustgetränkt, und seine Fangzähne blitzten im Halbdunkel des flackernden Kerzenlichts.

»Und mir gefällt es, dir jeden Wunsch von den Lippen abzulesen.«

Mein Herz taumelte, mein Blut kribbelte. Seit ich mich verwandelt hatte, fühlte sich auch die Verbindung zu Alexei verändert an. Als wäre da ein unsichtbares Band, das sich um unsere Körper schlang, mit jedem Atemzug fester.

»Ich will, dass du auf die Knie gehst.«

Alexeis Grinsen wurde breiter, dann küsste er mich ein weiteres Mal, bevor er meinem Befehl Folge leistete.

Erregt rückte ich bis zum Rand des Throns vor, und Alexei schob den Saum meines Kleids über meine Knie, langsam, Zentimeter für Zentimeter. Dann hob er eine Hand, um seinen Wachschutz fortzuschicken. Kaum waren die beiden weg, verschwand Alexeis Kopf unter meinen Röcken.

Ich stöhnte laut auf, als seine spitzen Zähne sanft über die Haut an meinem Innenschenkel kratzten. Alexei ließ mir eine flüchtige Sekunde, um tief Luft zu holen, ehe er sie in mein Fleisch stieß.

Ich krallte die Finger um die Armlehnen des Throns und bäumte mich unter seinen Schlucken keuchend auf. Seine Zunge glitt heiß über die Einstichstellen, bevor er ein Stück weiter oben erneut zubiss. Näher an meiner Mitte.

Ich drückte mich ihm entgegen, spürte die feuchte Hitze zwischen meinen Beinen, die verzweifelt nach seiner Berührung verlangte.

»Alexei«, keuchte ich, und er verstand.

Während er von mir trank, schob Alexei einen Finger in mich, und mein Mund öffnete sich zu einem stummen Schrei. Er stöhnte mit jedem Schluck, den er von mir trank, während ich mich an seiner Hand bewegte. Sein Daumen fand meine empfindlichste Stelle, und ich schob meine Beine weiter auseinander.

Alexei leckte wieder über meine Haut, dann zog er seinen Finger aus mir heraus, nur um ihn durch seine Zunge zu ersetzen. Ich sog scharf die Luft ein, als Erinnerungen bruchstückhaft in mir aufflackerten. Bisher hatte sich nur ein Mann auf diese Art zwischen meine Schenkel gegraben.

Eilig schob ich ihn weg, verbarg ihn unter dem Schleier.

Alexei griff nach meinem linken Bein und hob es über seine Schulter, um tiefer in mich zu dringen. Ich ließ mich in den Thron sinken und lauschte unserem abgehackten Atem, dessen Echo durch das Gewölbe hallte. Sollten sie es doch alle hören, es kümmerte mich nicht.

Mein Körper begann, unter den Wogen meiner Lust zu zittern, meine Lider flatterten. Als ich sie aufschlug, hatte ich das Gefühl, das Throngewölbe würde sich verändern. Plötzlich waren da die holzvertäfelten Wände einer kleinen Hütte im Wald, alte gerahmte Bilder hingen an ihnen. Mein Blick schoss hinunter zu dem Mann, der zwischen meinen Beinen kniete, schwarze Linien wirbelten auf weißer Haut.

»Kas …« Sein Name rollte über meine Zunge wie ein Fluch, dazu gemacht, Leben zu zerstören. Allen voran das meine. Trotzdem rieb ich mich weiter an seiner Zunge, als wäre sie meine Heilung.

Bis das Gefühl, dem ich nachjagte, versiegte. Die Waldhütte verwandelte sich zurück in das Throngewölbe von Alexeis Schloss.

Und Alexei sah zu mir auf.

Alexei.

Verflucht.

In seinem Blick stand geschrieben, dass auch er bereit war, Leben auszulöschen.

»Du hast gesagt, du bist fertig mit ihm.« Alexeis Stimme offenbarte eine Verletztheit, die in direktem Kontrast zu seinem harten Blick stand.

»Das bin ich«, gab ich zurück, um Atem ringend. Noch immer rauschte Erregung durch meine Venen, pochte in meinem Unterleib. »Es sind nur Erinnerungen«, beteuerte ich.

»Dann sind dir Erinnerungen kostbarer als die Gegenwart?«

»Nein.« Ich schüttelte nachdrücklich den Kopf. »Aber ich dachte, gerade du würdest das verstehen.«

Ich wusste, dass Alexei begriff, wovon ich sprach. Es schien, als wäre seitdem ein halbes Leben vergangen, doch auch er hatte damals an seine Verflossene gedacht, im Rosengarten hinter dem Schloss, während er in meinem Mund gekommen war.

»Nastya ist tot«, erwiderte er ungerührt. Er wischte sich mit dem Handrücken über den Mund, als er sich erhob. »Ich kann sie nie mehr haben, selbst wenn ich wollte, ganz gleich, wie oft sie meine Gedanken streift. Das kannst du nicht miteinander vergleichen.«

»Willst du das denn?«, erwiderte ich schnippisch. Meine Finger krallten sich fester um die Armlehnen. »Sie haben?«

»Nein.«

Ich atmete aus, nicht sicher, ob ich Erleichterung darüber empfand. »Kaspar wird auch bald tot sein.« Ich schloss meine Beine und richtete mich auf. »Es gibt nichts, auf das du eifersüchtig sein müsstest.«

»Eifersüchtig?« Alexeis Kiefer knackte, dunkle Schatten zogen über sein Gesicht. »Du bist mein in Geist und Blute. Es gibt nichts, das dich von mir fortreißen könnte.«

Seine Worte ergossen sich über mich wie ein Wolkenbruch.

»Was soll das heißen?« Tausende Gedanken wirbelten durch meinen Verstand. Sprach er davon, dass er von meinem Blut getrunken hatte? Oder ich von seinem? Erst in der Nacht hatte ich meine Zähne in seine Halsschlagader gesenkt. Allein der Gedanke daran ließ erneut Hitze zwischen meinen Schenkeln erblühen. Plötzlich vernahm ich kaum mehr denn Alexeis pulsierenden Herzschlag, der in meinen Ohren dröhnte.

»Das soll heißen«, etwas Rohes, Wildes flackerte in seinen Augen, »dass du mir gehörst, Zoya.«

Der Klang des Namens war mir so fremd, dass ich einen Augenblick benötigte, um zu verstehen, dass seine Worte mir galten.

»Ich gehöre dir nicht«, gab ich zurück, mein Blick noch immer auf seinem pochenden Hals. »Ich gehöre niemandem.« Das war etwas, das nicht verhandelbar war. Wenn ich schon diese stärkere, diese bessere Version meiner selbst war, würde ich alles, was ich zuvor an mir gehasst hatte, nie wieder zulassen.

Und ich hatte lange genug jemandem gehört. Jede Nacht der vergangenen drei Jahre. Jede Nacht waren es andere Männer gewesen.

»Zoya –«, setzte er an, da fuhr ich hoch, überrascht von der Wut, die so plötzlich Besitz von mir ergriff. Der Name, der doch meinen Neuanfang bedeuten sollte, klang in diesem Moment mehr nach etwas, das Alexei Macht über mich gab.

Seine Hände schossen vor, und im ersten Moment zuckte ich zusammen. Doch alles, was er tat, war, sie vorsichtig an mein Gesicht zu legen. Fürsorge zeichnete seine Züge, und ich fühlte mich töricht, dass ich etwas anderes erwartet hatte.

»Ich schwöre dir, dass sich alles fügen wird. Du wirst dich an all das hier gewöhnen.« Sein Blick fuhr durch das Throngewölbe, bevor er zu mir zurückfand. »An dein neues Leben an meiner Seite. Ich werde dir alles geben, was du brauchst. Alles, was dich glücklich macht. Willst du das denn nicht?« Sein Daumen strich über meine Wange. »Glücklich sein?«

Der sanfte Ton in seiner Stimme glättete die Kanten meiner Wut.

»Doch, natürlich.«

Alexei ließ mich los und führte eine Hand an seinen Hals, Schatten formten sich zu Krallen, die ihm in die Haut schnitten. Der Geruch von Blut wob sich in die Luft, und Hunger kreischte in meiner Brust.

»Das ist es, was du jetzt brauchst, oder?«

»Ja«, wisperte ich, ohne den Blick von dem roten Rinnsal zu lösen, das über seine Haut lief.

»Vertraust du mir?«

»Ja«, sagte ich wieder. Dabei wusste ich, dass der letzte Mann, dem ich vertraut hatte, zu meinem Untergang geworden war.

Alexei neigte den Kopf zur Seite, und all meine Bedenken lösten sich in Luft auf, als ich meine Zähne in seine Halsbeuge grub.

Kapitel 2

Zoé

 

Meine liebe Zoé,

 

du bist noch jung, aber eines Tages wirst du diese Worte vielleicht lesen, und ich hoffe, dass sie dir Kraft geben, wenn du sie am meisten brauchst.

 

Heute habe ich dich zum ersten Mal laufen sehen. Du bist gestolpert, direkt in meine Arme. Dein Lachen war heller als alles, was ich je gehört habe. Ich habe dir zugesehen, wie du immer stärker wurdest, und du machst mich so stolz. Ich weiß, dass du eines Tages eine wunderbare junge Frau sein wirst.

 

Was auch immer in der Zwischenzeit passiert, ich hoffe, du wirst immer wissen, wie wertvoll du bist. Du wirst immer mein hellster Stern sein.

 

Ich liebe dich, Zoé.

 

Für immer,

Maman

 

Die Worte meiner Mutter waren verblasst, aber noch lesbar. Ich nahm den vertrauten Duft des alten Papiers auf, als wäre sie hier bei mir, ihre warme Hand auf meiner Schulter, ihr Lächeln vor meinen Augen.

Stattdessen fraß sich nur die Kälte des Steinbodens durch den Teppich und meine Kleidung direkt in meine Brust. Dabei brannten zahlreiche Kerzen, die Alexeis Gemächer erhellten.Aber ich spürte ihre Wärme nicht. Ich spürte nichts außer dieser Kälte.

Meine Finger klammerten sich zitternd an das zerknitterte Papier. Ich hatte die Zeilen jetzt vier oder fünf Mal gelesen, und doch war ich noch nicht bereit dazu, den Brief beiseitezulegen.

Neben mir auf dem Boden lagen weitere alte Umschläge, die ich nach meinem Besuch auf der Erde mit nach Xanthia genommen hatte. Sie waren vergilbt, die Kanten ausgefranst, als wären sie zu oft in unsicheren Händen gehalten worden.

Sie zu lesen, hüllte mich in die Illusion, ich könnte mit Maman sprechen. Und wenn ich sie alle gelesen hatte, wäre da nichts mehr, das ich von ihr bekommen konnte. Keine neuen Worte mehr. Ihr Gesicht würde ich ohnehin nie wieder sehen, ihre Stimme nie wieder hören. Ich hatte Angst, ihren Klang irgendwann zu vergessen. Ich hatte Angst, mich irgendwann nicht mehr daran erinnern zu können, wie sie meinen Namen sagte. Wie er sich aus ihrem Mund anhörte. Ich hatte Angst, dass ihr Gesicht vor meinen Augen irgendwann so verblassen würde wie diese Tinte auf dem Papier. Dass ich mit jedem weiteren Jahrzehnt ein Detail ihrer weichen Züge vergessen würde, bis da nur noch Umrisse waren und dann … nichts mehr.

Tränen schnürten mir die Kehle zu, aber ich musste sie unter meinem Schleier verstecken. Ich musste mich selbst zusammenhalten, wenn doch ohnehin schon alles andere um mich herum zerfiel wie eine getrocknete Blume, die zu großem Druck ausgesetzt wurde.

»Es tut mir leid, Maman. Bitte verzeih mir«, flüsterte ich in die Stille. »Ich habe dir versprochen, niemals wegzugehen. Und jetzt …«

Ich verstummte, als Schritte hinter der Tür erklangen, kurz bevor sie geöffnet wurde.

»Zoya«, erklang eine vertraute Stimme sanft hinter mir. Alexei. Seine Schritte verhallten, als er näher kam, bis er direkt neben mir stehen blieb. Seine Hand legte sich vorsichtig auf meine Schulter. »Ich habe dich sprechen hören. Du klangst traurig.«

Ich hob den Kopf und sah ihm ins Gesicht. Er hatte die Augenbrauen zusammengezogen, und ein bitterer Zug umspielte seinen Mund.

»Mach dir keine Sorgen«, sagte ich matt.

»Du sollst dich doch nicht so quälen.«

»Wie soll ich mich nicht quälen? Die letzten Tage, sie …« Ich stand auf, damit er nicht länger auf mich herabblickte. »Es ist alles so viel. Mal geht es mir gut, und dann fühlt es sich wieder so an, als würde alles auseinanderbrechen. Gestern krönst du mich zu deiner Gräfin, und ich fühle mich mächtig, und heute finde ich diese Briefe wieder.« Meine Stimme brach. »Ich bin … Ich fühle mich … zerrissen.«

Alexei streckte eine Hand nach mir aus und strich über meine Wange. Die Wärme überwältigte mich, und ich schmiegte mich in seine Berührung.

»Ich brauche meine Mutter«, flüsterte ich erstickt, noch immer gegen die Tränen ankämpfend.

Alexei nickte verständnisvoll. »Weißt du, es gibt Dinge, die jenseits deiner Vorstellungskraft liegen. Du magst nicht mehr in ihrer Welt sein, aber das bedeutet nicht, dass du sie verloren hast.«

Ich schluckte schwer und schüttelte den Kopf. »Das ändert nichts. Sie ist krank. Ich muss bei ihr sein, aber ich …«

Alexei hob seine andere Hand, strich mir eine lose Haarsträhne hinters Ohr und hielt meinen Blick mit seinen ruhigen, eindringlichen Augen fest.

»Zoya, glaub mir, ich verstehe deinen Schmerz.« Seine Stimme war weich, fast hypnotisch. »Und wenn ich sage, dass du sie nicht gänzlich verloren hast, dann meine ich das so. Es gibt eine Möglichkeit, wie du sie sehen kannst.«

»Was meinst du?« Die Worte klangen atemlos, ich hörte die Hoffnung, die sie tränkte.

Alexei lächelte, als hätte er auf diese Frage gewartet. »So, wie ich dich beobachtet habe, als du auf der Erde warst.«

»Spiegel«, wisperte ich, mein Herzschlag ein aufgeregtes Trommeln.

»Ich habe dir versprochen, dass ich dir alles geben werde, was du brauchst. Alles, was dich glücklich macht.« Er beugte sich vor, und seine Lippen berührten meine Stirn. »Versprich mir im Gegenzug nur eines, meine Liebste. Vergiss Kaspar.«

Ich hielt die Luft an.

»Vergiss deine Wut auf ihn. Ich werde ihn finden und mich um ihn kümmern, wenn die Zeit dafür gekommen ist.«

***

»Ihr müsst die Macht verstehen, die Euch geschenkt wurde.«

Der Raum war schummrig beleuchtet und die Luft schwer vom Geruch nach altem Pergament und Tinte. Die hohen Bücherregale, die die Wände säumten, ließen ihn anmuten wie eine Bibliothek, und der Mann, der vor mir stand, war ein Gelehrter. Ein alter Berater der Xathyr-Elite, einer, der verstand, was es hieß, am Hof zu leben.

»Xanthia besteht aus vielen Regionen, jede mit ihren eigenen Gesetzen und Regeln. Ihr seid nun Teil dieses Gefüges, ledi Zoya, und als Gräfin müsst Ihr begreifen, wie man es lenkt.« Seine hageren Finger tippten auf eine Karte von Xanthia, die vor uns auf dem schweren Tisch ausgebreitet lag. Den runden Kern bildete der Blutdistrikt, das Regierungsviertel, mit Alexeis schwarz-rotem Wappen. So viel wusste ich schon.

Um ihn herum fügten sich drei unförmige, aber nahezu gleich große Gebiete. Im Norden prangte das Wappen des Knochendistrikts in Dunkelblau und Gold. Östlich davon lag der Schattendistrikt, das Wappen darüber in tiefem Violett gehalten, das von glänzend silbernen Wirbeln durchzogen wurde. Im Westen Xanthias erstreckte sich der Aschedistrikt mit einem Wappen in Mattgrau und Smaragd.

»Ihr seid noch jung, gerade erst verwandelt«, fuhr Andrei fort, wobei er nun durch den Raum schritt, seine dunkle Robe hinter sich herwehend, »und viele werden Euch unterschätzen. Das ist Eure größte Schwäche, aber auch Eure größte Waffe. Ihr müsst lernen, wie man diese Annahmen gegen sie verwendet.«

Ich seufzte innerlich. Seit Tagen hatte ich nichts anderes getan, als diesen politischen Unterricht zu ertragen. Der Rat hatte entschieden, dass man mich auf meine Rolle als Gräfin vorbereiten musste – so schnell wie möglich, inmitten der andauernden Unruhen.

Die Politik dieser Welt war wie ein dichtes Netz aus Lügen und Halbwahrheiten, und ich fühlte mich gefangen darin. Alles drehte sich um Kontrolle, um Macht und das ewige Ringen darum, wer oben stand. Aber vermutlich sah das auf der Erde nicht anders aus.

»Moia ledi«, Andreis Stimme wurde weicher, und er strich sich langsam über den langen Bart. Hinter ihm flackerte eine Fackel an der Wand. »Ihr habt die Möglichkeit, Xanthia zu formen. Lasst Euch nicht von Euren Gefühlen leiten. Wenn Ihr überleben wollt, müsst Ihr Euch die Härte der Xathyr zu eigen machen.«

Ich dachte einen Moment über seine Worte nach und nickte dann. Das war alles, was ich wollte. Hart sein. Stark sein. Kas vergessen. Meine Wut.

Es war Alexeis Wunsch.

»Gut.« Andrei drehte sich um und nahm ein Buch aus dem Regal. »Das hier wird Euch helfen, mehr über die Machtverhältnisse in den einzelnen Regionen zu verstehen. Studiert es, aber vergesst nicht, dass Wissen allein nicht ausreicht. Ihr müsst auch lernen, wie Ihr es anwendet.«

Ich nahm das Buch entgegen, spürte das schwere Leder und den Druck der Zeit, die es durchlebt hatte. Es war alt, so wie alles in dieser Welt.

»Danke«, murmelte ich und stand auf, bereit, den Raum zu verlassen.

»Denkt immer daran, Gräfin«, rief er mir nach, als ich die Tür erreichte, »Vertrauen ist ein seltenes Gut in Xanthia. Und diejenigen, die Eures erbitten, sind oft die Gefährlichsten.«

Seine Worte hallten in meinem Kopf nach, als ich den langen Korridor zu Alexeis Gemächern entlangging. Die steinernen Wände warfen das leise Echo meiner Schritte zurück. Ich drückte das Buch fest an meine Brust, obwohl ich wusste, dass es mir nicht die Antworten geben würde, die ich brauchte. Alles, was ich hier tat, fühlte sich an wie eine aufgezwungene Ablenkung von dem, was ich wirklich tun wollte.

Prinz.

Kaspar.

Töten.

Vergiss Kaspar. Vergiss deine Wut auf ihn.

All diese Erwartungen. Diese verfluchten Erwartungen. Wie sollte ich ihnen gerecht werden? Wie sollte ich ihm gerecht werden? Alexei. Er verlangte zu viel von mir. Diese brodelnde Wut in mir war doch alles, woran ich mich festhalten konnte. Wenn ich sie aufgab, würde ich irgendwann im Nichts verschwinden.

Als ich Alexeis Gemächer erreichte, stand die Tür leicht offen. Warmes Licht schimmerte aus dem Raum, und ich trat leise ein. Er saß in seinem Sessel am Kamin, die Beine ausgestreckt, ein Buch in der Hand. Der Anblick war seltsam beruhigend. Als wäre Alexei die einzige Konstante in einer Welt, die sich mit jedem Atemzug falscher anfühlte.

Machte es ihn damit zum einzig Richtigen?

»Zoya«, sagte er sanft, ohne aufzublicken. »Wie war dein Tag?«

Ich ließ mich auf das Bett sinken, meine Beine fühlten sich schwer an.

»Anstrengend«, gab ich zu.

Alexei legte das Buch beiseite und stand auf. Für einen Moment wankte er, als wäre ihm schwindelig, doch er griff nach seinem Gehstock und fing sich schnell wieder. Ich hatte ihn lange nicht mehr damit gesehen.

»Was hast du?«

»Es ist nichts«, gab er zurück, wobei er versuchte, den gereizten Unterton in seiner Stimme zu verbergen. »Ich hatte nur ein unangenehmes Gespräch mit … jemandem.« Er kam auf mich zu und setzte sich neben mich. Seine Hand berührte meine, seine Finger waren kühl.

»Zurück zu dir«, sagte er. »Andrei berichtet, dass du Fortschritte machst. Fremde Politik in einer fremden Welt zu verstehen ist kein einfaches Gelingen. Aber du bist klug. Du wirst dich daran gewöhnen.« Er hob meine Hand an seine Lippen und küsste sie sanft. »Du bist stärker, als du denkst, Zoya. Du hast dich schon in Xanthia behauptet, als du noch ein Mensch warst.«

Seine Worte waren tröstend, und doch spürte ich das Gewicht ihrer Bedeutung. Alexei glaubte an mich. An die Version von mir, die er sah. Sehen wollte. Er formte mich wie ein Bildhauer den Ton, und tief im Innern fragte ich mich, ob er das tat, damit ich den Gefahren Xanthias standhielt, oder weil ich ihm so besser gefiel.

»Danke«, flüsterte ich und lehnte meinen Kopf an seine Schulter. Die Wärme des Feuers erfüllte den Raum, und für einen Moment war alles still. Zumindest um mich herum. In mir drin sah es anders aus.

»Du wirst lernen, wie man Macht nutzt«, sagte er leise, seine Stimme wie ein beruhigender Strom, der mich umfloss. »Und wenn du erst die wahre Kraft in dir entdeckst, wirst du verstehen, dass du keine Angst mehr haben musst. Nicht, solange ich an deiner Seite bin.«

Ich schloss die Augen und ließ seine Worte in mich einsinken. Wir legten uns hin, und bevor die Müdigkeit mich überrollte und ich in den Dämmerzustand verfiel, den mir der eine gezeigt hatte, an den ich nicht länger denken durfte, erwischte ich mich bei dem Gedanken, ob das wirklich stimmte. Ob ich wirklich Alexei brauchte, um keine Angst mehr zu haben.

Kapitel 3

Zoé

 

Am nächsten Morgen war ich allein. Die schweren Vorhänge ließen nur einen schmalen Streifen Licht durch, der den steinernen Boden und die dunkel polierten Möbel streifte. Ein klickendes Geräusch ließ mich aufhorchen.

Die Tür öffnete sich, und meine Zofe trat lautlos ein, ein Tablett in den schlanken Händen. Ohne ein Wort stellte sie es auf dem kleinen Tisch neben dem Bett ab und verneigte sich tief.

»Euer Frühstück, meine Herrin.«

Ich nickte, noch immer müde von dem schlafähnlichen Zustand, in dem ich mich befunden hatte. Die Zofe trat zurück und wartete an der Tür. Ich hatte mir ihren Namen nicht nennen lassen, denn meine Erfahrung mit Zofen war ohnehin, dass sie nie lange in meinem Leben blieben, und noch einen Verlust würde ich nicht ertragen. Sie war eine stille Erscheinung, hatte nicht dieselbe Präsenz, wie Mikayla sie gehabt hatte. Ihr Gesicht war weich und sanft, mit feinen Zügen, blassen Lippen und Augen in der Farbe von Bernstein.

Ich griff nach dem Becher mit heißem Tee und spürte seine Wärme an meinen Handflächen. Der Duft von Kräutern stieg mir in die Nase, erinnerte mich an die Nachmittage mit meiner Mutter aus einer längst vergangenen Zeit.

»Meine Herrin?« Die Stimme der Zofe riss mich aus meinen Gedanken. Sie schob sich nervös eine flachsblonde Haarsträhne hinters Ohr.

Ich nahm einen Schluck und stellte den Becher zurück. »Ich muss mich beeilen, nicht wahr?«

»Ja, moia ledi. Die Delegationen erwarten Euch. Ich werde Euch beim Ankleiden helfen, sobald Ihr mit Eurem Frühstück fertig seid.«

Ich sah zum goldverzierten Teller und entdeckte zwei Scheiben Butterbrot, gesalzenen Fisch, Schinken, getrocknete Feigen und Datteln sowie eine Handvoll Nüsse. Dinge, von denen ich in meinem alten Leben nur hatte träumen können.

Heute lösten sie Übelkeit in mir aus. Das, was ich brauchte, war kein Brot, kein Fisch oder Fleisch. Mein Blick schoss hoch, fuhr die pochende Vene am Hals der Zofe entlang. Es war nur ein schmaler Streifen Haut, der über dem Kragen ihres schwarzen Leinenkleids hervorlugte, und das war alles, was es brauchte, um ein unstillbares Verlangen in mir auszulösen.

Aber sie war eine Xathyr. Ihr Blut würde meinen Hunger nicht stillen, mich nur für den Moment befriedigen.

»Ich möchte nicht essen«, sagte ich.

Die Frau nickte und geleitete mich zum Spiegel. Sie löste den Gürtel meines Nachtgewands und half mir, in ein Kleid aus dunklem Stoff zu schlüpfen, verziert mit goldenen und burgunderfarbenen Stickereien. Ein Umhang aus schwerem Brokat lag bereit, den sie über meine Schultern legte. Ihre Finger waren flink und geschickt, ihre Stimme ruhig. Ein Hauch von Vorsicht schwang darin mit.

»Ihr seht erhaben aus, moia ledi.«

Ich warf einen flüchtigen Blick in den Spiegel, doch die Person, die mir entgegenblickte, kam mir noch immer fremd vor. Der Schmuck an meinem Hals, das Diadem aus Silber und schwarzen Steinen auf meiner Stirn.

»Danke«, sagte ich leise und strich den Umhang glatt. »Ich bin so weit.«

Die Zofe führte mich durch die gewundenen Gänge der Festung, ihre Schritte kaum hörbar auf dem steinernen Boden. Draußen lag Xanthia im Nebel, der Himmel in ein blasses Rot gefärbt, als wäre die Sonne für immer hinter einem Schleier verborgen wie meine Gefühle.

Als wir das Throngewölbe erreichten, warteten bereits die ersten Xathyr. Inmitten der unzähligen Kalksteinsäulen erhob sich mein Thron neben dem von Alexei. Seiner würde heute leer bleiben. Für einen Moment hatte ich Sorge, dass er tatsächlich nach Kas suchte, wie er es mir versprochen hatte. Dass er mir zuvorkam. Dass er mir meine Rache wegnahm.

Ich setzte mich und warf einen prüfenden Blick auf die versammelten Bittsteller, um meine Gedanken zum Verstummen zu bringen.

Der Erste, der sich vorstellte, war ein Mann mittleren Alters mit müden Augen und tiefen Falten im Gesicht. Er trug einfache Kleidung, und seine knorrigen Hände zeugten von harter Arbeit.

»Meine Herrin«, begann er und verbeugte sich tief. »Ich komme aus der Grenzregion zum Schattendistrikt. Wir haben dort schon seit Wochen Streitigkeiten mit unseren Nachbarn, die immer wieder unser Land beanspruchen. Die Grenzen sind unklar, und es kommt oft zu Auseinandersetzungen. Wir haben versucht, es selbst zu regeln, aber … es wird schlimmer. Die Leute haben Angst. Meine Familie hat Angst. Wir fürchten, dass es bald zu Ausschreitungen kommt wie schon im Rest des Distrikts.«

Ich nickte langsam und überlegte fieberhaft. Der Schattendistrikt von Baron Miron hatte Alexei – und damit auch unweigerlich mir – den Krieg erklärt. Streitigkeiten um Land waren in Xanthia nicht ungewöhnlich, hatte Andrei beteuert, aber hier handelte es sich um eine Region, die mir besonders gefährlich erschien. Doch dieser Mann und seine Familie lebten dort, gefangen zwischen ihrer Heimat und einer feindlichen Region.

»Ihr habt versucht, die Sache friedlich zu lösen?«, fragte ich.

»Ja, moia ledi, aber …« Er seufzte. »Unsere Nachbarn hören nicht zu. Sie glauben, das Land gehöre ihnen, und sie wollen uns vertreiben.«

Ich lehnte mich zurück, fühlte das Gewicht des Diadems auf meinem Kopf. Es wäre leicht, einen Trupp Wachen zu entsenden, um die Angelegenheit gewaltsam zu beenden. Aber das war nicht der Weg, den ich gehen wollte. Nicht jetzt, nicht so früh in meiner neuen Rolle.

»Ich werde Abgesandte schicken«, sagte ich schließlich. »Sie sollen die Grenzen neu verhandeln und sicherstellen, dass beide Seiten zu einer friedlichen Lösung kommen. Doch wenn es weitere Aggressionen gibt, werde ich keine andere Wahl haben, als Gewalt anzuwenden.«

Der Mann verbeugte sich erneut, tief und dankbar.

»Vielen Dank, meine Herrin. Eure Weisheit wird den Frieden bringen.«

Der nächste Bittsteller trat vor, um sein Anliegen kundzutun, dann ein weiterer.

Hinter den Fenstern sah ich, wie sich der Himmel dunkler färbte, während sich das Throngewölbe allmählich leerte, bis die schweren Türen von den letzten Mitgliedern der Delegation geschlossen wurden. Ihre Anliegen waren besprochen, ihre Forderungen abgeklärt.

Doch statt Erleichterung spürte ich nur Erschöpfung. Und mit ihr krochen die Gedanken hinter dem Schleier hervor.

Vergiss Kaspar. Vergiss deine Wut auf ihn.

Die kühle Stille des Saals breitete sich aus, kaum unterbrochen vom Flackern der Fackeln und dem entfernten Murmeln der Bediensteten in den Fluren. Mein Kopf schmerzte, überladen von den Stimmen der vielen Bittsteller, die sich zu einem endlosen Durcheinander verhedderten, in das sich immer wieder Alexeis Worte mischten.

Vergiss Kaspar. Vergiss deine Wut auf ihn.

Doch je mehr ich versuchte, die Wut zu unterdrücken, desto mehr hatte ich das Gefühl, dass sie versuchte, aus mir herauszuplatzen. Ich brauchte dringend ein Ventil.

Ich lehnte mich zurück, schloss die Augen und ließ einen tiefen Atemzug in meine Brust strömen.

Alle Geräusche verstummten.

Alle, bis auf …

Ein Rauschen.

Kaum hörbar, doch mein neues, so viel schärferes Gehör fing es auf wie einen Schrei in der Stille.

Ein pochender Puls.

Langsam, stetig, ein leises Klopfen, das wie ein unaufhörlicher Herzschlag in meinen Ohren widerhallte.

Ich öffnete die Augen und sah ihn.

Ein Mann, gekleidet in ein einfaches Hemd und dreckige Hosen, stand unsicher an einer der Säulen im hinteren Teil des Gewölbes. Er wirkte fehl am Platz, wie eine verirrte Seele, die den Ausgang nicht fand. Sein Blick war gesenkt, und er trat nervös von einem Fuß auf den anderen.

Ein Sklave.

Das Pochen seines Herzens füllte den Raum, verdrängte alles andere. Der Rhythmus wurde schneller, lauter, und mit jedem Schlag breitete sich ein Gefühl in mir aus, das ich seit meiner Verwandlung nur zu gut kannte.

Hunger.

Er kroch durch meinen Körper wie ein lebendes Wesen, versengte meine Adern mit einem brennenden Verlangen. Der Hunger war unaufhaltsam, ein unstillbarer Drang, der alles andere überschattete.

Meine Gedanken, meine Vernunft, meine Moral.

Nur ein Gefühl in mir schrie laut auf und schlug seine Krallen in mich.

Wut. Sie war mit aller Macht zurückgekommen.

Und ich hatte mein Ventil gefunden.

Ich stand auf, beinahe mechanisch, ohne darüber nachzudenken. Meine Schritte waren lautlos auf dem harten Steinboden, und mein Ziel war klar.