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Band 2 Aufgrund seiner Gefühle für den Staatsanwalt Alec DiCaprio steht der junge Eishockey-Star Vigo Sinetti zwischen den Fronten. Einerseits weiß er, dass Alecs Ermittlungen gegen seinen Vater, den Industriekriminellen Royce Sinetti, berechtigt sind, andererseits will er sich nicht gegen seine Familie stellen. Noch dazu können weder er noch Alec das Risiko eingehen, dass ihre Beziehung öffentlich wird. Allein die Gerüchte um eine mögliche Liaison zu einem Mann bringen Vigo einen schwierigen Stand im Team der Dallas Stars ein. Alec wiederum könnte es den Job kosten, wenn herauskommt, dass er sich ausgerechnet auf den Sohn des Mannes eingelassen hat, den er hinter Gitter bringen soll. Dennoch halten Vigo und Alec an ihren Gefühlen füreinander fest. Erst ein Attentat macht ihnen klar, dass weit mehr auf dem Spiel steht als ihr Ansehen oder ihre Jobs
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Seitenzahl: 457
Tanya Carpenter
Endgame
Hard Rules II
Gay Romance – Erotic & Crime
Tanya Carpenter
Endgame
Hard Rules II
Gay Romance – Erotic & Crime
ELYSION-BOOKS
1. Auflage: September 2022
VOLLSTÄNDIGE AUSGABE
ORIGINALAUSGABE
© 2022 BY ELYSION BOOKS, LEIPZIG
ALL RIGHTS RESERVED
UMSCHLAGGESTALTUNG & COVER: Ulrike Kleinert
www.dreamaddiction.de
ISBN (vollständiges Buch): 978-3-96000-228-4
ISBN (ebook): 978-3-96000-229-1
www.Elysion-Books.com
Die Geschichte von Vigo und Alec hat mich vor etwa sieben Jahren wie aus dem Nichts überfallen. Relativ schnell hatte ich etwa ein Drittel geschrieben, danach lag die Geschichte allerdings auf Eis. Es gab einfach zu viele Projekte, die vertraglich gebunden waren und geschrieben werden mussten, sodass ich für die beiden schlicht keine Zeit mehr hatte. Als ich die Arbeit nun im letzten Jahr wieder aufgenommen habe, hatten sich meine Figuren derart verändert und weiterentwickelt, dass einiges aus der Urfassung bei der Überarbeitung entfallen ist. Die Hauptthemen sind dabei aber konstant geblieben. Zum einen geht es um das Coming-out in einem teils homophoben Umfeld. Zum anderen um den Konflikt einer Liebe, bei der die beiden Protagonisten auf verschiedenen Seiten des Gesetzes stehen. Darüber hinaus entspricht die Konstellation von Vigo und Alec aufgrund des Altersunterschiedes einem Age Gap.
Hard Rules war ursprünglich als Einzelband gedacht, aufgrund der Dynamik der Geschichte während des Schreibens hat es sich jedoch zu einem Zweiteiler entwickelt und ich bin froh, dass der Verlag diese Entwicklung mitgegangen ist.
Content Notes:
Der Roman beinhaltet einige Themen, die triggern könnten. Bedingt durch das Umfeld der Figuren spielen Gewalt, Kriminalität, Homophobie, Alkoholismus, Drogen, und Mord eine Rolle. Ebenfalls Erwähnung, jedoch ohne konkrete Ausführung, finden die Themen Missbrauch und Menschenhandel (teils auch an Kindern).
Was bisher geschah ...
Als Alec DiCaprio die Stelle des Oberstaatsanwaltes von Dallas angeboten bekommt, nimmt er dies zum Anlass, seine ohnehin gescheiterte Beziehung zu beenden und in seiner Geburtsstadt noch einmal neu anzufangen. Sein Ziel ist es, den Industriekriminellen Royce Sinetti zu Fall zu bringen, der die Stadt seit mehr als zwanzig Jahren mit eiserner Hand regiert und sich dabei immer wieder der Justiz entzieht.
Gemeinsam mit Jack Bovers, dem leitenden Inspektor des Dallas Police Department, sucht Alec nach einer Schwachstelle im Sinetti-Imperium, an der er ansetzen kann. Am aussichtsreichsten scheint dafür Sinettis jüngster Sohn Vigo zu sein, der gerade vom College in Boston zurückkehrt und als Profispieler beim Eishockeyteam der Dallas Stars durchstartet. Allem Anschein nach strebt Sinetti danach, Vigo in seine kriminellen Geschäfte einzubinden.
Alec hofft, den Jungen auf seine Seite ziehen und als Spitzel einsetzen zu können. Doch Vigo hat kein Interesse am Familienunternehmen oder gar daran, mit den Machenschaften seines Vaters konfrontiert zu werden, von denen er nur am Rande ahnt, wie kriminell sie sind. Stattdessen pflegt er seinen Ruf als Frauenheld und Spitzenspieler und setzt alles daran, im kommenden Jahr in die kanadische Eishockey-Liga wechseln zu können.
Die erste Begegnung der beiden ungleichen Männer sorgt für Zündstoff, denn Vigo ist alles andere als ein Junge, sondern ein attraktiver Mann Anfang Zwanzig, der genau in Alecs Beuteschema passt. Wären da nicht der Altersunterschied von sechzehn Jahren und die Tatsache, dass sie – vermeintlich – auf verschiedenen Seiten des Gesetzes stehen. Für Vigo wäre es nicht auszudenken, wie seine Mitspieler reagieren würden, wenn sie wüssten, dass er neuerdings von einem Mann fantasiert. Und auch Alec gibt sich zunächst Mühe, innerlich Abstand zu wahren, weil schlimmstenfalls sein Job auf dem Spiel steht. Doch als Vigo von zwei Widersachern seines Vaters angegriffen wird, kommt ausgerechnet Alec ihm zur Hilfe. Damit kommt der Stein zwischen den beiden endgültig ins Rollen.
Die Erkenntnis, einen Mann zu begehren, stellt Vigos Welt auf den Kopf, und auch Alec hat mit den möglichen Folgen seiner Gefühle zu kämpfen. Für ein Zurück ist es allerdings zu spät, denn zwischen Vigo und Alec herrscht eine nahezu magnetische Anziehungskraft. Behutsam nähern sich die beiden einander an und mit jedem Treffen, jedem Kuss und jeder Berührung brennt die Leidenschaft heißer, wird es immer schwerer, zu beenden, was eigentlich nicht sein darf.
Als Alecs Informant Gabriel ermordet wird, kurz nachdem er ihm einen Stick mit Fotos und die Daten für eine illegale Geschäftstransaktion hat zukommen lassen, fällt der Verdacht sofort auf Sinetti. Doch Alec fehlen die Beweise. Stattdessen verdichten sich die Hinweise, dass es einen Maulwurf im Departement gibt.
Obwohl sich Alec über die Ermittlungen ausschweigt und alles dafür tut, Vigo nicht in den Fall hineinzuziehen, ahnt der allmählich, dass Alecs Ermittlungen nicht grundlos sind. Als Vigo selbst Zeuge davon wird, wie sein Vater die beiden Männer, die ihn angegriffen haben, foltern lässt, begreift er, dass sein ganzes Leben eine Lüge und dass ihr Vermögen schmutziges Geld ist.
Zerrissen zwischen der Loyalität für seine Familie, seiner Liebe zu Alec und dem Schock über die wahren Geschäfte seines Vaters, muss Vigo eine Entscheidung treffen. Wenn er Alec nicht verlieren will, muss er ihm beweisen, dass er auf der richtigen Seite des Gesetzes steht.
Alec
»Ist nicht wirklich was Brauchbares dabei, oder?« Vigo klingt, als hätte er ein schlechtes Gewissen. Gemeinsam haben wir uns in seinem Hotelzimmer auf dem Bett sitzend die Handyaufnahme angehört, die er heimlich von dem Gespräch seines Vaters mit dessen neuem Geschäftspartner mitgeschnitten hat. Er wollte mir damit beweisen, dass er auf meiner Seite steht. Deshalb gibt es auch überhaupt keinen Grund für ihn, sich schuldig zu fühlen. Er kann nichts dafür, was besprochen wurde und was nicht. Ich bin ebenso wie er davon überzeugt, dass es künftig um illegale Geschäfte gehen wird, doch beim gemeinsamen Abendessen mit Vigo haben sowohl Royce als auch der Gastgeber, ein gewisser Howard Deacon, tunlichst darauf geachtet, nicht konkret über dergleichen zu sprechen.
Immerhin fiel mehrmals Nguyens Name, weil der vermeintliche Textilhändler, zu dem Vigos Bruder Lloyd kürzlich Geschäftsbeziehungen aufgenommen hat, die Lieferungen koordinieren soll. Was konkret bedeutet, dass er seine Container mit Stoffen und Kleidung gleichzeitig für weitere Güter zur Verfügung stellt, um die teuren Transportwege effizient zu nutzen. Es ist eine schwache Spur, aber eine Spur.
»Dad traut mir nicht. Wird er vermutlich nie.« Niedergeschlagen lässt Vigo die Schultern hängen. Ich hingegen wäre sogar froh darüber, wenn Royce zu der Erkenntnis käme, dass sein jüngerer Sohn nicht für dieses Geschäft taugt.
»Fuck, ich wusste ja, dass mein Vater kein Heiliger ist, aber dass er zu echten Verbrechen fähig ist, hab ich wirklich nicht geahnt, das musst du mir glauben.«
Beruhigend lege ich meine Hand auf Vigos Arm. »Alles gut. Ich glaube dir.«
Das tue ich absolut. Es ändert nur nichts. Wir stehen im Grunde immer noch auf unterschiedlichen Seiten, weil er niemals bei der Polizei oder gar vor Gericht sagen wird, was er weiß. Nicht einmal das, was er vor Kurzem im Wochenendhaus seiner Eltern beobachtet hat.
Er ist Zeuge eines Verbrechens – und mit seinem Schweigen macht er sich mitschuldig. Genau wie ich. Aber was haben wir für eine Wahl? Wir hätten beide nicht dort sein dürfen, und zumindest was mich angeht, darf auch niemand erfahren, dass ich es war.
»Ich werde das an Bovers weitergeben«, sage ich und schalte das Handy aus, lege es auf das kleine Schränkchen neben dem Bett. »Mal sehen, was unsere Experten damit anfangen.« Ich versuche, mir meine Enttäuschung nicht anmerken zu lassen, damit Vigo nicht noch mehr hadert. Natürlich hatte ich gehofft, dass bei diesem Treffen eine konkretere Spur zutage treten würde. Immerhin kennen wir jetzt den Namen des Kerls, mit dem Royce künftig Geschäfte machen will.
Wir werden Deacon gründlich durchleuchten. Vielleicht war er früher schon in illegale Geschäfte verstrickt, obwohl ich das nicht glaube. Sinetti sucht sich seine Geschäftspartner sorgfältig aus.
»Habt ihr denn sonst keine Anhaltspunkte?«, fragt Vigo vorsichtig und entlockt mir ein Seufzen.
»Keine, mit denen sich etwas anfangen lässt. Wie ich dir schon gesagt habe, dein Vater ist schlau.«
Er nickt nachdenklich, stockt dann und sieht mich an, als wäre ihm gerade eine Idee gekommen. »Was ist denn mit Patrick? Er hat ziemlichen Ärger wegen dem Geschäft, dass er mit mir abschließen wollte, oder? Kann man ihm nicht einen Deal anbieten oder sowas?«
Sein Ansatz ist niedlich, aber leider vollkommen sinnlos.
»Patrick wird nicht reden. Und Copper auch nicht. Das ist bei allen aus dem Dunstkreis deines Vaters so, die wir festnehmen. Er schiebt die Schuld auf sie und sie nehmen es hin. Bovers hat beiden Männern einen Deal angeboten, ohne Erfolg. Und letztlich gibt es auch keine Beweise. Keine Dokumente, die deinen Vater mit irgendwelchen illegalen Absichten in Verbindung bringen. Um ehrlich zu sein haben wir bei Copper und seinem Schwiegersohn noch weniger als bei diesen Aufnahmen hier.«
Zusammen mit meinem Mikrosender lege ich das Handy beiseite und wende mich Vigo wieder zu. Nehme seine Hände in meine und drücke sie sanft.
»Mach dir nicht so viele Gedanken. Ich bin vor allem froh darüber, wie du dich entschieden hast.«
Er nickt, aber meidet meinen Blick. Ich kann fühlen, wie sehr es ihn bedrückt, dass praktisch sein Leben infrage gestellt wird. Er es selbst infrage stellen muss, jetzt, wo er weiß, worin sein Vater verstrickt ist. Dabei hat er nach wie vor nur an der Oberfläche gekratzt.
»Können wir das für heute abhaken?« Vigo schaut mich mit großen, verletzlichen Augen an. »Ich will nicht den ganzen Abend über meinen Dad reden. Das soll nicht heißen, ich würde es ignorieren, aber wir müssen nicht ständig davon sprechen, oder?«
Nein, das müssen wir nicht. Zumal Vigo ohnehin klargemacht hat, dass er keine weiteren Informationen liefern wird. Mir drängt sich die Frage auf, wie ich gewährleisten soll, dass er bei den Ermittlungen außen vor bleibt. Insbesondere sobald das FBI sich einschaltet, denn die werden keine Rücksicht nehmen und sich von mir auch nicht einbremsen lassen, so wie Bovers. Und fuck, zurecht, ob es mir passt oder nicht. Mir wird bewusst, dass ich Vigo nicht immer aus allem raushalten kann und dass unsere Beziehung für uns beide zunehmend gefährlicher wird, mit jedem Schritt, den ich seinen Vater weiter in die Enge treibe. Es ist eine verfahrene Situation, die meine Gefühle für ihn in diesem Moment aber nur noch stärker macht. Wortlos ziehe ich Vigo in meine Arme und halte ihn fest, weil es nichts gibt, was ich sagen kann. Alles wären Lügen, leere Versprechungen – oder eben eine Wahrheit, die wir beide nicht wollen.
Eine Weile hält er still, dann gehen seine Hände auf Wanderschaft. Seine Lippen suchen und finden die meinen. Es ist ein süßer Kuss, nicht drängend, aber voller Sehnsucht. Er zerstreut meine Zweifel für den Augenblick. Ich will ihm einfach nur nahe sein, ihn Haut an Haut spüren und für ein paar Stunden so tun, als wären wir ein vollkommen normales Paar.
Stück für Stück küsst Vigo sich tiefer, öffnet Knopf um Knopf an meinem Hemd, bis er es von meinen Schultern streifen kann. Mit geschlossenen Augen lehne ich mich zurück und lasse ihn gewähren. Genieße, was er tut und wo auch immer es hinführt.
»Irgendwann«, raunt er gegen meinen Bauch und sein Atem lässt mich schaudern, »will ich, dass du mich fickst, während du einen dieser heißen Anzüge trägst.«
»Was?« Keuchend reiße ich die Augen wieder auf und starre auf ihn hinab. In sein Gesicht, auf dem sich ein lüsternes Grinsen breitmacht.
»Du siehst sexy aus als souveräner Anwalt. Seit ich dich kenne, fahr ich total auf Anzüge und Uniformen ab. Aber letzteres wirst du wohl nicht besitzen.«
Ich schlucke, gehe meinen Kleiderschrank gedanklich durch, ob sich darin etwas finden lässt, das auch nur annähernd in diese Richtung geht, denn die Fantasie heizt auch mir ziemlich ein. Ich schaffe es nur nicht, meine Gedanken lange zu fokussieren, weil Vigo beim Bund meiner Hose angekommen ist und an deren Rand entlang leckt, während er den Reißverschluss nach unten zieht. Er drückt sein Gesicht gegen meinen Schritt, saugt durch den Stoff meiner Boxerbriefs an meinem halbsteifen Schwanz. Irgendwann hat er gesagt. Nicht heute. Aber ja, irgendwann ganz sicher.
Sein Speichel tränkt den dünnen Stoff. Mit der Zunge fährt er die Konturen meines Schaftes nach. Mein Herz schlägt hart gegen meine Rippen. Ich will Vigo und mir die Klamotten vom Leib reißen und ihn vollkommen vereinnahmen. Gleichzeitig will ich seine süßen, anheizenden Neckereien einfach nur genießen und abwarten, was er alles mit mir anstellen wird.
Mein Handy klingelt und stoppt jeden erotischen Gedanken. Nichts könnte meine Libido besser töten als dieser Klingelton. »Fuck!« Warum hab ich das Ding auch nicht ausgeschaltet? Vermutlich soll das der Wink vom Schicksal sein, dass wir nicht jetzt und nicht hier rummachen sollten. Nicht dranzugehen, ist jedenfalls keine Option. Es wäre vielleicht eine, wenn ich nicht Wochen mit einem Anruf überfällig wäre. Ich rolle mich zur Seite, entziehe mich Vigo und greife, seinen verblüfften Blick ignorierend, nach dem Smartphone.
»Hi, Mom.«
Vigos Verwirrung weicht binnen Sekunden Belustigung. Mom?, formt er fragend und tonlos mit seinen Lippen, woraufhin ich zerknirscht nickte. Sein breites Grinsen mündet in lautlosem Gelächter, als ich eine Entschuldigung hervorwürge, weil ich mich auf keinen ihrer Anrufe gemeldet habe. Ja, ich weiß selbst, dass ich mich wie ein kleiner Junge benehme, aber das mit mir und meiner Mutter ist leider nicht ganz einfach. Sie ist entrüstet, dass ich ihr nichts über meine Trennung von Richard gesagt habe, und will wissen, wie es für mich ist, wieder in Dallas zu leben. Gerade vor Vigo möchte ich ungern über meine Vergangenheit reden und winde mich, was ihn nur noch mehr amüsiert. Er hat ja auch keine Ahnung von den Hintergründen. Inzwischen gluckst er bereits hörbar, und weil ich unbedingt verhindern möchte, dass meine Mutter mitbekommt, dass ich nicht allein bin, schnappe ich mir ein Kissen, um damit nach ihm zu schlagen. Er weicht geschickt aus und krümmt sich fast vor Lachen, während ich leicht stotternd meiner Mutter Rede und Antwort stehe und dabei ins Schwitzen gerate, weil sie nichts von Vigo wissen darf und er nichts von dem, was mich vor Jahren aus Dallas vertrieben hat.
»Mom, es ist gerade wirklich ungünstig.«
Vigo richtet sich auf, setzt sich im Schneidersitz und mit verschränkten Armen neben mich aufs Bett und beobachtet mich neugierig. Ich hasse ihn.
»Wieso?«, lenkt meine Mom mich wieder ab. »Bist du etwa noch im Büro? Hast du immer noch nicht gelernt, auch mal Feierabend zu machen?«
»Nein, Mom. Ich bin nicht im Büro. Ich bin momentan nicht einmal in Dallas.«
»Wo bist du denn dann? Ich dachte, du wärst nach Dallas gezogen. Aber ich dachte ja auch, zusammen mit Richard.«
Ich seufze und verdrehe innerlich die Augen.
»Richard ist glücklich, Mom.«
Bei der Erwähnung meines Ex treffen mich feurige Blicke von Vigo. Seine spontane Eifersucht lässt mich trotz des unangenehmen Telefonats schmunzeln.
»Ich weiß, ich habe schließlich mit ihm telefoniert«, gibt meine Mutter pikiert zurück. »Und wo bist du jetzt?«
»Ich bin momentan in Miami.«
»Miami?! Machst du Urlaub? Wird ja auch Zeit, du hast seit Jahren keinen Urlaub mehr gehabt. Das hat eurer Beziehung auch nicht gutgetan.«
Himmel, ich will auch nicht über Rich reden.
»Mom, das ist kein Urlaub, ich arbeite hier.«
»Also bist du jetzt nach Miami gezogen?«
»Natürlich nicht, ich … Herrgott, du weißt, dass ich nicht über meinen Job rede. Ich ermittle hier, mehr kann und werde ich dir nicht sagen.«
»Ermittlungen? Es ist doch aber hoffentlich nicht gefährlich.«
In ihrer Stimme schwingt echte Sorge mit, und weil ich die Gründe dafür kenne, auch wenn ich sie nur bedingt nachvollziehen kann, tut es mir leid, sie zu beunruhigen.
»Mach dir keine Sorgen, es ist reine Routine. Hör mal, ich ruf dich an, wenn ich zurück bin, okay?«
Ich muss sie abwürgen, auch wenn mich das schlechte Gewissen quält. Ich kann nicht in Vigos Beisein mit ihr sprechen, weil ich nicht klar denken kann, wenn ich in beide Richtungen aufpassen muss, was ich sage und was sie mitbekommen.
»Du versprichst es, ja? Schieb es nicht wieder Wochen vor dir her.«
»Ja. Ja, ich verspreche es hoch und heilig.«
»Na gut. Pass auf dich auf, mein Junge. Ich hab dich lieb.«
»Ich hab dich auch lieb, Mom. Bis bald.«
Ich klicke das Gespräch weg und werfe Vigo, der sich mittlerweile den Bauch hält vor unterdrücktem Lachen, einen finsteren Blick zu.
»Das ist nicht witzig«, fauche ich.
»Doch, das ist es«, japst er. »Du bist sowas von ihr kleiner Junge.«
Mit einem Boxhieb gegen die Schulter bestrafe ich diese freche Bemerkung. Er lässt sich aufs Bett fallen und kichert immer noch. »Was denn? Sei mal ehrlich, wir kneifen beide vor unseren Eltern den Schwanz ein beim Gedanken, dass sie uns zusammen erwischen.«
Dieser Feststellung kann ich nicht widersprechen, aber dafür gibt es schließlich Gründe. Und leider bringt die Erinnerung an die letzte ähnlich geartete Unterbrechung auch die Bilder aus dem Wochenendhaus zurück. Das wird Vigo offenbar ebenfalls klar, denn sein Lachen erlischt. Stattdessen starrt er resigniert an die Decke und seufzt.
»Es wäre so oder so schon scheiße kompliziert, dass ich mit einem Kerl ficke.«
Aber in unserer Konstellation eben noch ein bisschen mehr. Er spricht es nicht aus, muss es auch nicht. Für heute steht mir der Sinn jedenfalls nicht mehr nach amourösen Eskapaden.
»Komm her«, fordere ich sanft und breite meine Arme ein wenig aus. Er zögert nicht, schmiegt sich sofort hinein und wir lassen uns gemeinsam aufs Bett zurücksinken. Mit einem wohligen Laut reibt er seine Wange an meiner nackten Brust. So liegen wir da, lauschen unserem Atem.
»Bedeutet sie dir viel?«, fragt Vigo mich schließlich.
»Meine Mom?«
»Mhm.«
Puh. Diese Frage ist gar nicht leicht zu beantworten. Ich liebe meine Mom, aber wir sind in vielem eben nicht einer Meinung. Vor allem kann ich bestimmte Entscheidungen von ihr noch immer nicht gutheißen. Aber das ist kein Thema, über das ich reden will.
»Wir kommen miteinander aus«, antworte ich ausweichend, und merke selbst, wie lieblos das klingt. Also hole ich tief Luft und versuche es erneut. »Sie ist kein einfacher Mensch, aber sie war für mich da und ich für sie. Ja, sie bedeutet mir viel, obwohl wir manches unterschiedlich sehen.«
»Aber sie weiß, dass du schwul bist.«
Ich gebe einen zustimmenden Laut von mir. »Sie stellt es zumindest nicht infrage. Aber sie versucht auch, möglichst nicht allzu konkret darüber nachzudenken.«
Das ist nett umschrieben. Sie hat nicht wirklich Probleme mit meiner Sexualität an sich, aber es ist ihr unangenehm, darüber zu reden. Nicht über meine Beziehungen mit Männern, da ist sie noch relativ offen. Aber sobald es körperlich wird, hört das auf. Keine Ahnung, ob es auch so wäre, wenn ich Frauen daten würde. Ich verspüre ganz sicher nicht den Wunsch, mit meiner Mom über mein Sexleben zu reden, es ist eben nur auffällig, dass ihr schon ein Kuss zwischen zwei Männern unangenehm ist.
»Ich weiß nicht, was meine Mom dazu sagen würde«, meint Vigo nachdenklich. »Ist eher unwahrscheinlich, dass ich es ihr sage. Vermutlich würde sie es in ihrem Zustand sowieso nicht raffen.« Er stößt hart den Atem aus. »Sie war nicht immer so, weißt du? Ich kann mich zwar kaum noch daran erinnern, aber als ich ein kleiner Junge war, hatte sie für mich immer dieses Leuchten. Ich weiß nicht, was passiert ist. Vermutlich hat die Kälte zu Hause mit der Zeit einfach Spuren hinterlassen. Jeder sucht sich seine Flucht.«
Ich kann den Schmerz in seinen Worten regelrecht körperlich fühlen. Er wirkt unglaublich verletzlich und es ist nicht schwer zu erkennen, dass ihm seine Mutter sehr wohl viel bedeutet, auch wenn das Verhältnis an sich recht kühl zu sein scheint. »Sie hat ein Problem mit Alkohol, oder?«
»Alkohol, Tabletten, Psychopharmaka. Die ganze Palette an Substanzen, die einem die Wirklichkeit rosarot malen. Ich kann es ihr nicht mal verdenken.«
Unvermittelt richtet Vigo sich auf und sieht auf mich herab. In seinen Augen wieder dieser Hauch von tief verborgenem Schmerz, der mir schon bei unserer allerersten Begegnung aufgefallen ist. Instinktiv strecke ich meine Hand aus und streichle sanft über seinen Arm.
»Weißt du, alle denken, ich hätte das megatolle Leben. Reich, berühmt, sexy. Der Typ, der sich alles kaufen kann und jedes Mädchen ins Bett kriegt. Der mit dem schicken Sportflitzer durch die Gegend heizt, in der Prunkvilla oder jetzt eben dem noblen Penthouse wohnt. Der Typ der einen 1A Studienabschluss hat und den sie auf dem Eishockeyfeld frenetisch feiern, scheißegal ob nun gekauft oder nicht. Die meisten gehen wohl eh von ersterem aus. Was kann so jemandem schon fehlen?« Er hebt in einer hilflosen Geste die Schultern. »Das war immer schon so. Nur die vier Jahre in Boston nicht, weil ich es nicht zugelassen hab. Aber zu denken, ich könnte nach Dallas zurückkommen und es würde weiterhin funktionieren, war wohl so ziemlich das Idiotischste, was ich mir je überlegt habe.«
Mit hängendem Kopf sitzt Vigo auf dem Bett und ich weiß nicht, wie ich ihn trösten soll. Ich verstehe ihn sehr gut, auch wenn ich nie in derselben Situation war. Ich hatte andere Probleme. Aber es ist immer ein Scheißgefühl, wenn man auf den Background seiner Eltern reduziert wird und die Leute sich eine vorgefertigte Meinung über einen bilden, die nie wieder hinterfragt wird. Und der man verzweifelt versucht, gerecht zu werden.
»Du bist mehr als Royce Sinettis Sohn. Das darfst du nie vergessen. Egal, was die anderen sagen oder denken. Darauf kommt es nicht an.«
Ein schiefes Grinsen erscheint auf seinem Gesicht. »Komisch, sowas ähnliches hab ich erst kürzlich einem Mädchen gesagt.«
Ich grinse ebenfalls, auch wenn es mich ein wenig sticht, dass er von einer seiner Liebschaften spricht. Aber das war vor uns und geht mich nichts an. Ich kenne seinen Ruf.
»Na dann weißt du ja im Grunde Bescheid.«
Er nickt langsam und bedächtig. »Ich vermisse meine Mom. Also so, wie sie früher mal war. Klingt das blöd?«
Ich schüttele den Kopf. »Nein, überhaupt nicht.«
Er öffnet den Mund, als wolle er noch mehr sagen, aber dann sinkt er einfach nur wieder auf meine Brust und bleibt still liegen. Sein Atem wird irgendwann ruhig und gleichmäßig. Ich hingegen liege noch lange wach und grüble darüber nach, was außer den kriminellen Machenschaften in dieser Familie wohl noch schiefgelaufen ist.
Vigo
Ich bedaure, nicht mit Alec frühstücken zu können, aber mein Dad erwartet mich und danach haben wir noch einen Pressetermin mit dem Team. Beim Frühstück mit meinem Vater bin ich still. Weiß nicht, was ich sagen soll oder ob er irgendein Feedback von mir zu diesem Geschäftsessen erwartet. Gestern hat er sich noch einmal allein mit Deacon getroffen, und ich werde das Gefühl nicht los, dass dies der eigentliche Termin war. Dass er mich auf die Probe gestellt hat. Es ist mir scheißegal, ob ich bestanden habe oder nicht, mich quält etwas anderes. Das Ausmaß der Kriminalität in meiner Familie nur erahnen zu können, es aber nicht zu kennen, macht mich wahnsinnig. Dennoch versuche ich, es mir nicht anmerken zu lassen. Vor Dad nicht, aber auch nicht vor Alec.
Mir ist durchaus bewusst, wie schwierig die ganze Situation für ihn ist, auch wenn er das offenbar nicht glaubt. Aber ich weiß, was für ihn auf dem Spiel steht, und ich will ihn nicht auch noch mit meinen Sorgen belasten.
Seit dem Vorfall im Wochenendhaus werde ich die ungute Ahnung nicht mehr los, dass der Sumpf, in dem mein Vater wie ein Alligator auf Beute lauert, verdammt tief ist. Ein schräger Vergleich, der mir vielleicht nur deshalb kommt, weil ich so viele dieser Echsen in den Glades gehört und ihre Bewegungen erahnt habe, während wir bei Deacon auf der Veranda saßen und gegessen haben. Wobei ich kaum einen Bissen runterbekommen habe.
Mein Vater bleibt ebenfalls stumm. Kein Wort über sein Treffen, keine Fragen zu meinem Spiel gestern. Natürlich war er nicht da, um es sich anzusehen. Sowas ist für ihn Zeitverschwendung. Vielleicht hatte er sogar noch weitere geschäftliche Termine, über die er nicht mit mir spricht. Wundern würde mich das nicht. Das nagende Gefühl seiner Missbilligung verdirbt mir trotzdem den Appetit.
»Ich bin fertig. Hast du irgendwelche Pläne für heute?«, erkundige ich mich höflich, ehe ich aufstehe und unseren Tisch verlasse. Dabei bete ich, dass er mich nicht zu noch irgendeinem Essen oder was auch immer verpflichtet. Ich habe keine Ahnung, was für Pläne Alec hat, hoffe aber, dass wir etwas zusammen unternehmen können. Dabei plagt mich wiederum das schlechte Gewissen, weil die Jungs später sicher ebenfalls auf den Putz hauen wollen, bevor wir in ein paar Tagen zurückfliegen. Ich sollte mit ihnen ausgehen, schon Scott zuliebe, immerhin ist er mein bester Freund, doch Alec ist mir wichtiger.
Auf dem Weg zu den Treppen sehe ich Alec gerade noch aus der Tür treten und draußen einen Mann in etwa seinem Alter freundlich begrüßen. Die beiden scheinen verabredet zu sein. Sofort kocht wieder Eifersucht in mir hoch, für die ich mich Sekunden später selbst schelte. Alec gehört mir schließlich nicht. Dennoch bin ich enttäuscht, dass er mir nichts von einer Verabredung gesagt hat. Wer ist der Kerl? Jemand, den Alec kennt, so vertraut wie sie miteinander umgehen, denn der andere legt gerade seine Hand auf Alecs Rücken und deutet die Straße entlang. Sekunden später entschwinden sie meinen Blicken.
Mir juckt es in den Fingern, ihm eine WhatsApp zu schicken, was ich natürlich nicht tue. Wie albern wäre das denn? Vielleicht erzählt er mir später, mit wem er sich hier zum Frühstück getroffen hat. Zwischen uns war vorhin jedenfalls noch alles in Ordnung, auch wenn Alec müde gewirkt hat. In meinem Zimmer blicke ich auf das ungemachte Bett. Es ist nichts passiert diesmal und es hätte sich nach gestern Abend auch falsch angefühlt. Mir liegen unsere letzten Worte schwer im Magen. Keine Ahnung, warum ich überhaupt damit angefangen habe. In letzter Zeit denke ich viel zu oft an früher. An eine Zeit, die nur noch diffus in meinem Kopf vorhanden ist, nichtsdestotrotz aber zunehmend präsenter wird, was ich nicht verstehe.
»Bist du so weit, Vice?« Scotts Stimme erklingt vor meiner Tür.
»Ja, gleich«, rufe ich nach draußen, besinne mich dann aber und öffne, um ihn nicht im Flur stehenzulassen.
»Hey!« Er umarmt mich kumpelhaft und schaut sich flüchtig im Zimmer um. Automatisch scannt auch mein Blick das Bett und den Boden, aber es gibt nichts, was darauf hindeuten könnte, dass ich die Nacht mit einem anderen Mann hier verbracht habe.
»Wir haben dich gestern vermisst.«
»Ja, sorry, war ziemlich k.o. Das Geschäftsessen vorgestern hat lange gedauert und dann das Spiel. Die Panther kämpfen ganz schön hart.«
»Oh ja.« Ein trockenes Lachen kommt Scott über die Lippen. »Aber das Spiel war trotzdem gut. Auch wenn wir sie nicht besiegen konnten.«
»Man kann eben nicht immer gewinnen.« Ich schnappe mir meine Tasche und den Zimmerschlüssel und deute zur Tür. »Wollen wir? Sonst reißt uns Mitch den Arsch auf, wenn wir zu spät kommen.«
Scott winkt ab. »Hab ihn vorhin noch in seinem Zimmer rumoren gehört. Er schläft direkt neben mir.«
»Ah. Unter Beobachtung, ja?«, feixe ich. Scott schnaubt lediglich und erklärt damit die Zimmerverteilung für abgehakt.
»Heute kommst du aber mit, oder? Erik und Bruce haben da irgendeinen angesagten Club im Auge, wo ziemlich was los sein soll.«
»Hm, mal sehen«, antworte ich ausweichend, was meinen Kumpel die Stirn runzeln lässt.
»Du kneifst doch nicht schon wieder? Was ist denn los mit dir Vice?«
»Nichts!«, fauche ich heftiger als beabsichtigt, was mir sofort wieder leidtut. »Sorry, ich bin einfach derzeit müde und gestresst.«
»Mhm, das merke ich. Ich erkenn dich gar nicht wieder. In Boston sind wir ständig durch die Clubs gezogen und haben Bräute aufgerissen. Dein Ruf kommt ja nicht von ungefähr. Aber in letzter Zeit … Die anderen machen schon blöde Sprüche.«
Jetzt bin ich irritiert. »Sprüche?«
»Na ja, dass du wohl was Besseres zu tun hast, als mit uns abzuhängen.«
Für einen Moment wird mir heiß und kalt. Es hat doch hoffentlich niemand was mitbekommen. Mich mit Alec gesehen oder so.
»Ich hab ihnen schon gesagt, dass du auf deine Familie scheißt, aber so ein bisschen komisch wirkt es schon, wenn du nie mit dem Team losziehst. Höchstens auf diese Schicki-Micki-Partys gehst.«
Innerlich atme ich auf, dass es nur um den Sinetti-Status geht.
»Ich hab halt leider ein paar Verpflichtungen wegen Dads Firma. Er ist eh schon angepisst, dass ich nicht einsteigen will. Außerdem hab ich auch schon mit allen gefeiert.«
»Einmal. Und darauf, dass wir beide mal wieder was machen, warte ich nun auch schon seit Wochen.«
Er klingt verletzt. Traurig. Mein schlechtes Gewisses liegt wie ein Stein in meinem Magen, weil mir bewusst ich, wie oft ich ihm in letzter Zeit Versprechungen gemacht und dann einen Korb gegeben habe.
»Nächstes Wochenende, ja? Da steht nichts an. Nur wir zwei.«
Sofort breitet sich ein Grinsen auf Scotts Gesicht aus. »Wehe, du kneifst wieder.«
»Ganz sicher nicht.« Auch wenn ich mir jetzt schon Gedanken darüber mache, wie ich so einen Abend überstehen soll, denn eines steht fest. Ich werde mir keine Braut mit nach Hause nehmen. Und allein das wird Scott nicht verstehen.
Alec
Das Frühstück mit Derek verläuft sehr angenehm und zieht sich bis in den Nachmittag hinein. Wir plaudern über Privates. Meine Trennung von Richard tut ihm leid. Auf seine Frage, ob ich in Dallas ein Auge auf jemanden geworfen habe, weiche ich aus und lenke das Thema geschickt auf alte Zeiten und was wir während unserer Studienzeit für verrückte Sachen angestellt haben. Auch Jura-Studenten haben Flausen im Kopf. Und wir beide nicht zu knapp. Es funktioniert, Derek steigt darauf ein und wir sprechen über durchgemachte Nächte, verzweifelte Lernmarathons und idealistische Streiche.
»Ich werde nie vergessen, wie du Mr. Townsends Auto in ein Dutzend Pride-Flaggen eingewickelt hast. Er war aber auch ein homophober Arsch.«
Ich nicke grinsend und nehme einen Schluck von meinem Moccachino. Unser Prof. hat nie herausgefunden, wer der Übeltäter war. Auf der Uni war ich nur im engsten Freundeskreis out. Vermutlich hätte man mich auch von der Uni geschmissen, wenn rausgekommen wäre, dass ich die Fahnen mit Montagekleber am Auto befestigt hatte. Aber der Kerl hatte es verdient. Wenn es nach ihm gegangen wäre, hätte man alle Nicht-Heteros in Umerziehungslager gesteckt. Mit der Aktion hatte ich damals einen unserer Mitschüler rächen wollen, der nach Townsends ständiger Drangsalierung in die Psychiatrie gekommen war, weil er versucht hatte, sich das Leben zu nehmen. Bei sowas verstehe ich damals wie heute keinen Spaß. Nur meine Methoden sind nicht mehr so unreif wie damals.
»Tja, waren verrückte Zeiten damals«, gebe ich nachdenklich zurück.
Auch Derek wird ernst. »Sind sie das nicht immer noch. Nur anders eben.«
Wir nicken beide, und das ist auch eine gute Überleitung.
»Ich kann dir leider nicht viel über das Treffen von Royce Sinetti sagen. Er und sein neuer Geschäftspartner, Howard Deacon, haben sich sehr zurückgehalten und praktisch nur über antike Waffen gesprochen, mit denen Deacon wohl handelt. Ich vermute legal.«
Derek schürzt die Lippen. »Deacon? Er ist kein unbeschriebenes Blatt, Alec. Eigentlich hätte ich es ahnen können. Howard Deacon ist schon lange im Geschäft und schon mehrfach ins Visier der Miami Dade Police geraten. Aber seine Anwälte haben ihn bisher jedes Mal wieder rausgeboxt. Beweise lösen sich in Luft auf. Zeugen leiden an spontanem Gedächtnisverlust.«
Er macht eine vage Geste, und ich verstehe, was er meint. Genau wie bei Sinetti. Viele Verdachtsmomente, aber nie etwas, was man ihm wirklich nachweisen kann. Ganz Royce‘ Beuteschema also.
Es passt zusammen und schürt meine Vermutung, dass es auch vorgestern nur scheinbar um antike Waffen gegangen ist. Aber wie passt das mit den Fotos zusammen, die Gabe auf dem Stick gespeichert hat? Wollen Sie Waffen an Guerilla-Kämpfer verkaufen? Oder an Drogenbarone, die diese armen Menschen auf den Bildern dazu zwingen, für sie zu arbeiten? Letzteres kann ich direkt ausschließen. So, wie Royce auf die Sache mit Farlane reagiert hat, als Vigo im Wagen von dessen Sohn mit Kokain erwischt wurde, würde er keine Drogenhändler beliefern. Nicht mal mit Plastiktüten zum Transport. Er hat sofort sämtliche Verbindungen zu den Farlanes gekappt. Vielleicht will auch Deacon seine Geschäfte ausweiten und breiter streuen und sucht in Sinetti einen Investor. Antiquitäten eignen sich durchaus, um andere Waren ins Land zu schmuggeln.
Derek und ich sind uns einig, dass er Deacon weiterhin im Auge behält und ich Sinetti. Wir werden uns regelmäßig austauschen. Vielleicht können wir uns dann bald gemeinsam ans FBI wenden.
Gegen drei Uhr verabschieden wir uns. Zum Hotel fahre ich allein zurück.
Vigo hatte heute einen Pressetermin mit der Mannschaft, der aber inzwischen vorbei sein sollte. Es ist bereits kurz vor vier, als ich ins Hotel zurückkomme. Zugegeben, ich habe die Zeit vergessen, weil es einfach guttat, Derek wiederzusehen. Aber warum sollte ich allein im Hotel sitzen, während Vigo seinen Verpflichtungen nachkommt? Für heute Abend habe ich jedenfalls schon interessante Pläne geschmiedet und bin gespannt, was er davon hält.
An meiner Zimmertür stocke ich. Was tue ich da überhaupt? Wäre es nicht viel logischer, dass er mit seinen Teamkameraden ausgeht? Natürlich ist er ihnen zu nichts verpflichtet, mir aber ebenso wenig. Ich verplane ihn, ohne überhaupt mit ihm gesprochen zu haben. Das sollte ich dringend ablegen.
Als ich ihn anrufe, behalte ich meine Idee daher zunächst noch für mich.
»Wie war euer Pressetermin?«
»Ganz okay.« Bilde ich es mir ein oder klingt er tatsächlich kühl?
»Das klingt nicht gerade begeistert.«
»Es war ein Pressetermin. Die sind selten aufregend. Das meiste hat sowieso Mitch gesagt. Wir waren eher wegen der Fotos da.«
Mir ist klar, dass er die Situation gerade herunterspielt, denn die Journalisten werden auch ans Team etliche Fragen gehabt haben. Aber ich hake nicht weiter nach, da er offenbar keine Lust hat, darüber zu reden. Warum auch immer.
»Da war mein Tag vermutlich ereignisreicher. Ich habe mich mit einem alten Studienkollegen getroffen.« Das wollte ich Vigo eigentlich schon heute früh sagen, aber wir waren ohnehin spät dran und er mit seinem Vater verabredet. Ich schwanke allerdings noch, ob ich ihm sage, wer Derek ist.
»Ja, ich hab dich gesehen, als du mit ihm weggegangen bist.«
Ein Schmunzeln ziept an meinen Lippen. Ist er etwa schon wieder eifersüchtig? Oder kennt er Derek und seine Funktion als mein Pendant hier in Miami, weshalb er ahnt, warum ich mich mit ihm getroffen habe? Die Möglichkeit besteht natürlich. Mein Lächeln gefriert, als mir wieder einmal bewusst wird, wie schwierig unsere Beziehung ist.
»Ich kann dir später gern davon erzählen, wenn es dich interessiert.«
»Mhm. Ja, vielleicht.«
Ich habe das Gefühl, dass er eher noch mehr zumacht, und verstehe es nicht. Was ist seit heute früh passiert? Oder hat er einfach tatsächlich Pläne für den Abend und weiß nicht, wie er es mir sagen soll? Ich könnte verstehen, wenn er mit den anderen losziehen will, und würde ihm ganz sicher keine Szene deswegen machen. Im Gegenteil. Mir ist durchaus klar, wie jung Vigo noch ist und dass ich das nicht aus dem Blick verlieren darf.
»Hast du denn schon was vor? Für heute Abend meine ich.«
Das Schweigen am anderen Ende der Leitung zieht sich gefühlt ewig hin, bis er endlich antwortet.
»Nicht so richtig. Scott hat zwar gefragt, aber ich habe noch nicht zugesagt. Ich dachte eigentlich … aber ich wusste auch nicht, ob du wieder zurück sein würdest.«
Ich kann ihn buchstäblich vor mir sehen, wie er seine Unterlippe links zwischen die Zähne zieht und mit den Fingern durch die blonden Haare fährt. Unsicher – nicht mal wegen meiner Reaktion, sondern weil er selbst nicht weiß, was er machen soll.
»Es ist in Ordnung, wenn du mit ihnen ausgehst. Das weißt du, oder?«
Ich klinge, als wäre ich sein Vater. Gott bewahre.
»Ja, ich weiß. Ist aber gerade nicht so einfach. Aus mehreren Gründen. Ich glaube, wenn wir zurück in Dallas sind, muss ich mir mal mehr Zeit für sowas nehmen. Vor allem für Scott.«
Scott ist der Afroamerikaner, der ebenfalls neu im Team ist. Er ist zusammen mit Vigo aus Boston gekommen, also vermutlich sein Freund. Ich könnte mir in den Hintern treten, dass ich über sowas bisher gar nicht nachgedacht habe. Mein Fokus war wohl zu sehr eingeschränkt. Die einzigen Probleme, die ich gesehen habe, waren die mit seiner Familie, weil das mit meinen Ermittlungen zusammenhängt. Für Vigo gibt es aber noch eine ganze Reihe weiterer Schwierigkeiten, die ich kaum bis gar nicht bedacht habe. Da ist das ausstehende Coming out noch das geringste.
»Sag einfach, was du möchtest.«
Ein Seufzen erklingt. »Heute Abend wäre ich gerne bei dir. Und tut mir leid, ich war heut früh schon wieder sauer wegen diesem Kerl.«
Ich gluckse leise. »Eifersüchtig, hm? Musst du nicht. Auf niemanden. Ich erzähl dir von Derek, kein Problem.« Nachdem er sich entschieden hat, mache ich ihm den Vorschlag, den ich ursprünglich im Sinn hatte.
»Am South Beach steigt heute Abend eine queere Silvester-Strandparty. Ich hab mich gefragt, ob du zu sowas Lust hättest.«
Vigo holt scharf Atem und sagt erst mal gar nichts. Mir ist klar, dass das ein entscheidender Schritt für ihn ist. Zum einen, weil es queer ist, zum anderen, weil er sich das erste Mal ganz offen mit mir zeigen würde. Der Vorteil hier in Miami wäre, dass uns praktisch niemand kennt. Mich sowieso nicht, und auch er ist derzeit noch nicht so berühmt als Eishockey-Spieler, dass ihn gleich jeder nach einem Autogramm fragen würde. In ein paar Monaten wird das anders sein. Mir gefällt der Gedanke an ein wenig Normalität, aber letztlich ist es Vigos Entscheidung.
»Okay«, kommt es schließlich von ihm. In seiner Stimme keine Unsicherheit, kein Zögern. Er hat darüber nachgedacht, ja, aber es schreckt ihn nicht ab.
»Prima. Wird ja auch irgendwie mal Zeit, dass du unters Volk kommst«, necke ich ihn und hoffe, er versteht es nicht falsch. Tut er nicht, wie ich an seinem Lachen erkenne.
»Ich bin sehr gespannt. Muss ich mir was in Rosa anziehen?«
»Spinner.«
Wir verabreden uns für halb sechs in der Tiefgarage. Ich warte bereits im Wagen, als Vigo auftaucht. Nein, er trägt kein Rosa, sondern ein verdammt heißes Shirt in dunkelblau, das eine leichte Transparenz aufweist, sodass man seine Brustwarzen erahnen kann. Dazu helle Jeans. Ich komme mir in meinem schwarzen Kurzarmhemd und den dunklen Hosen hingegen fast bieder vor.
Schnell gleitet er zu mir ins Auto, blickt sich kurz um und presst dann seine Lippen für einen kurzen, harten Kuss auf meine. Als er danach eine XXL-Sonnenbrille aufsetzt, muss ich lachen. Mister Inkognito. Als ob das was bringen würde.
»Ich hoffe, deine Mannschaftskollegen sind nicht allzu enttäuscht.«
Er verzieht scheinbar gleichmütig das Gesicht, doch ich erkenne den Hauch von schlechtem Gewissen sogar aus den Augenwinkeln. Vielleicht wäre es doch besser gewesen, ihn mit ihnen ziehen zu lassen, aber ich bin zu glücklich darüber, den Abend mit ihm zu verbringen, als dass ich jetzt noch in diese Richtung intervenieren würde.
»Wo genau fahren wir hin?«, will er wissen.
»South Beach, wie schon gesagt. Im April findet dort die Miami Pride statt, aber heute feiern sie dort Silvester mit einer riesigen queeren Strandparty. Miami ist sehr offen, was das angeht. Ich denke, es wird dir gefallen. Die Clubs haben geöffnet und am Strand sind Bars aufgebaut. Bands spielen Livemusik. Und um Mitternacht gibt es ein Feuerwerk.«
Er nickt und sieht dann aus dem Fenster. Keine Frage, dass er unsicher ist. Toleranz ist eine Sache, Farbe bekennen eine andere.
Ich parke ein ganzes Stück vom Strand weg und wir gehen zu Fuß Richtung Promenade. Schon von weitem hört man die Musik. Die Sonne ist beinah schon am Horizont im Meer versunken, doch ihre letzten Strahlen tauchen alles in ein wunderschön sanftes Licht. Ganz plötzlich fühle ich seine Finger, die sich in meine schieben. Mein Herz macht einen Hüpfer. Ich drücke sacht zu, schiele zu ihm hinüber. Unsere Blicke verhaken sich kurz und wir lächeln beide. Sehen synchron auf unsere miteinander verschränken Hände hinunter und dann wieder nach vorn. Es fühlt sich warm, normal und fast schon kitschig romantisch an.
Am Strand sind mehrere Cocktailbars und Essensstände aufgebaut. Zusätzlich zu den festen Etablissements, die hier stehen. Von überall her erklingt Musik, die sich teilweise miteinander vermischt, was ungewöhnlich klingt, aber das stört niemanden. Die Leute tanzen, feiern, reden und knutschen. Eine bunte Schar, die mal mehr mal weniger die bekannten Klischees bedient. Wieder sehe ich Vigo von der Seite an, aber er ist lediglich fasziniert. Lässt sich rasch mitreißen. Wir gönnen uns einen dreifarbigen Cocktail und mischen uns unters Volk. Er wirkt kein bisschen, als würde er hier nicht hergehören, sondern vielmehr, als wäre es längst überfällig.
»Komm, lass uns tanzen«, fordert er mich auf, zieht mich in Richtung einer Gruppe, die zu Reggae-Musik grooven. Damit habe ich nun nicht gerechnet, aber die Rhythmen gehen ins Blut und nachdem wir eine Weile solo getanzt haben, schlingt Vigo schließlich seine Arme um mich und geht auf Tuchfühlung. Ich habe nichts dagegen, könnte stattdessen mein Glück hinausschreien, weil es so schön ist, mich frei und sorglos mit ihm zu zeigen. Unwahrscheinlich, dass irgendjemand von seinen Teamkameraden uns hier entdeckt und sein Vater noch viel weniger.
Inzwischen ist es dunkel, überall werden Fackeln entzündet. Das Meeresrauschen im Hintergrund vermischt sich mit den vielschichtigen Klängen, trägt mich oder vielmehr meine Hochstimmung wie auf Wolken. Es war eine gute Idee, hierherzukommen.
Als wir Hunger bekommen, holen wir uns Fleischspieße und Wedges an einem der Stände und setzen uns etwas abseits in den Sand, um zu essen.
»Danke«, sagt Vigo und strahlt mich an.
»Ich bin froh, dass es dir gefällt.«
Er nickt und schiebt sich eine Kartoffelspalte in den Mund.
»Ich hab mich seit meiner Rückkehr aus Boston nicht mehr so unbeschwert gefühlt«, gesteht er, nachdem er den Mund wieder leer hat.
Ich betrachte ihn, wie zufrieden und entspannt er hier neben mir im Sand sitzt und an dem Fleischspieß knabbert. Kein Vergleich zu dem angespannten jungen Mann von gestern Abend. Bewundernswert, wie er es immer wieder schafft, zumindest für eine Weile die Schatten beiseitezudrängen, die uns umgeben. Vor allem ihn. Mein Herz puckert in einem gleichmäßigen ruhigen Rhythmus, während sich jede Faser meines Körpers mit Zuneigung füllt.
»Also?«, unterbricht Vigo meine Gedanken. »Was war das jetzt für ein Kerl, mit dem du frühstücken warst.«
Ich muss leise lachen. War klar, dass er das so schnell nicht vergisst oder unter den Teppich fallen lässt. Habe ich heute Morgen auch noch überlegt, wie viel ich ihm von Derek erzählen soll und was ich lieber für mich behalte, ist das in diesem Moment keine Frage mehr.
»Derek ist ein alter Studienkollege von mir.«
Vigo verdreht die Augen.
»Wenn du sowas sagst, hab ich immer das Gefühl, du könntest mein Opa sein.«
»Na ja, dein Daddy käme zumindest hin«, necke ich und warte ab, ob er versteht, worauf ich anspiele. Er tut es und prustet halb entrüstet, halb amüsiert. Wir vertiefen das Thema aber nicht. Jedenfalls nicht jetzt und hier.
»Er ist mein Pendant hier in Miami.«
Jetzt stockt Vigo, sein Blick wird wieder unsicherer und er schluckt hart an dem Brocken Fleisch, den er gerade noch im Mund hatte. »Dann ermittelt er also ebenfalls gegen Dad?«
Ich schüttele den Kopf. »Nein, nicht direkt. Aber er hat diesen neuen Geschäftskontakt von euch im Visier.«
»Du wirst mir nicht sagen, mit welchem Ergebnis, oder?«
Ich lächle nur wehmütig, was ihm Antwort genug ist. Angestrengt stößt er den Atem aus. »O Mann.«
»Um dein Angebot anzunehmen, also deinen Dad bei diesem Treffen zu beobachten, brauchte ich Dereks Einverständnis. Es versteht sich von selbst, dass ich nicht eigenmächtig in seinem Revier agiere.«
»Und im Gegenzug bekommt er ebenfalls die Aufnahmen, hm?«
Ich nicke schweigend. Es ist Vigo nicht anzusehen, wie er darüber denkt, und er sagt auch nichts mehr dazu.
Nachdem wir mit dem Essen fertig sind, gehen wir zurück zu den Feiernden. Eine Weile schlendern wir am Strand entlang, von einem Club zum nächsten. Ein paar Typen versuchen, Vigo anzuflirten, was er nicht einmal bemerkt, so sehr ist er in seine Grübeleien versunken. Als ich seine Hand ergreife, zieht er sich nicht zurück, was mich hoffen lässt. Schließlich bleibt er stehen, wendet sich mir zu und schmiegt sich in meine Arme.
»Halt mich einfach fest, okay?«, flüstert er. Beinah zu leise gegen die Musik um uns herum, aber ich verstehe ihn.
»Immer«, gebe ich zurück. Hauche einen Kuss auf seinen Scheitel.
Wir sind in unserer eigenen Welt, obwohl um uns herum hunderte Menschen sind. Ich fühle mich ihm näher seit gestern Abend und doch lauert da so viel in den Schatten, was uns jederzeit entzweien könnte. Es ist alles zu fragil, längst noch nicht gefestigt und vielleicht auch einfach zu schnell vorangeprescht. Zuckende Lichter tanzen über uns. Irgendjemand scheint hier wohl die Discokugel aktiviert zu haben. Es ist mir egal. Hauptsache wir sind zusammen.
Tastend bewegen sich Vigos Hände über meinen Körper, gleiten unter mein Hemd. Seine Lippen küssen sich über meinen Hals hinauf zu meinem Mund, pressen sich fest darauf, ehe seine Zunge vorschnellt und wir uns leidenschaftlich küssen. Die Welt kann uns mal. Es ist unser erster Kuss in der Öffentlichkeit. Der erste, bei dem wir nicht allein und unbeobachtet sind, uns nicht verstecken. Mein Herz schlägt Purzelbäume. Ich streichle Vigos Rücken hinunter bis zu seinem Arsch, ziehe ihn fester an mich, spüre seine beginnende Erregung, die meiner nicht nachsteht. Nach einer Weile macht sich allerdings meine Blase bemerkbar, und auch wenn ich ungern die Intimität des Moments zerstöre, mache ich mich widerstrebend von Vigo los, der mit fragendem Blick zu mir aufblickt.
»Ich müsste mal ein Klo aufsuchen«, lasse ich ihn mit einem entschuldigenden Grinsen wissen.
Er kichert, nickt dann verständnisvoll. »Klar, kein Problem. Ich warte hier, okay?«
»Okay.« Noch ein Kuss auf seine Stirn, ein weiterer auf seinen Mund. »Nicht weglaufen. Und halte fest, was auch immer du gerade für Gedanken hattest. Die lassen sich sicher vertiefen.«
Er zwinkert, während ich ihn von mir schiebe und mit dem Kopf Richtung eines Clubs deute, in dem ich gleich darauf verschwinde.
Es dauert eine Weile, sich durch die feiernden Menschen zu manövrieren, aber schließlich erreiche ich die sanitären Anlagen, auch wenn mir unterwegs ein recht zweideutiges Angebot unterbreitet wird. Danke, kein Bedarf. Ich möchte ein paar Minuten für mich, daher wähle ich eine Kabine, obwohl es das Pissoir auch getan hätte. Die Beats des Clubs lassen sich auch von den Türen nicht gänzlich aussperren. Mir ist leicht schwindlig, was ich auf die süßen Cocktails schiebe, in denen man den Alkohol einfach viel zu schnell unterschätzt.
Ein Blick auf meine Uhr zeigt, dass wir schon bald Mitternacht haben. Erstaunlich, wie die Zeit verfliegt. Ich wünschte, es könnte immer so sein mit Vigo und mir. Keine Vorsicht. Nähe ohne schlechtes Gewissen. Aber allein das kurze Gespräch über Derek hat mir gezeigt, dass wir noch meilenweit davon entfernt sind.
Ich nehme es als Ansporn, den Fall so schnell wie möglich zu klären, damit wir das hinter uns lassen können. Die Frage, ob es unsere Beziehung letztlich belasten wird, wenn ich Royce ins Gefängnis bringe, schiebe ich weit von mir. Vigo hat begriffen, dass sein Vater gegen das Gesetz verstößt. Er wird es also verstehen. Hoffe ich.
Auf dem Weg nach draußen höre ich bereits, dass draußen Tumult herrscht und etwas nicht in Ordnung ist. Wieder so ein homophobes Arschloch, das gezielt für Ärger sorgen will? Sowas lässt sich nie ausschließen. Doch als ich vor die Tür des Clubs trete, stockt mir der Atem. Es sind zwei Männer, die – umringt von mehreren Dutzend Leuten – miteinander rangeln, und einer davon ist Vigo. Er hat den anderen im Schwitzkasten und holt mit der freien Hand gerade die Chipkarte aus dessen Kamera. Was zur Hölle ist hier los? Ich höre Polizeisirenen näherkommen, will auf Vigo zugehen und mit ihm zusammen von hier verschwinden. Er sieht mich, schüttelt hastig den Kopf und wendet sich dann ab. Ich verstehe die stumme Geste, und auch wenn mir nicht wohl dabei ist, ziehe ich mich zurück. Kann nur ahnen, was gerade vor sich geht. Offenbar hat dieser fremde Kerl Fotos gemacht. Möglich, dass er Vigo erkannt hat, und was es für ihn bedeutet, wenn solche Bilder von ihm auf einer queeren Strandparty an die Presse gehen, zieht mir den Magen zusammen. Vor allem, wenn wir beide darauf zu sehen wären. Am Ende noch vorhin, als wir uns geküsst haben.
Fuck! Die vermeintliche Discokugel.
Ich bleibe noch einmal stehen, hadere mit mir, ob ich nicht zurückgehen soll. Es ist meine Schuld, dass wir hier sind. Ich sollte … Ja, was? Was könnte ich der Polizei sagen? Ich hab ja nicht mal mitbekommen, wie es zu der Konfrontation kam. Und wenn ich mich hier für Vigo einsetze, wird das mehr Staub aufwirbeln, als ihm nutzen. Ich überlege, Derek anzurufen, aber auch das macht die Sache nur komplizierter. Ich fühle ich mich hilflos, feige und wie ein Versager. Fühle mich schuldig, weil ich Vigo etwas alleine ausbaden lasse, dass ich zu verantworten habe. Hoffentlich kann er ebenfalls abhauen, bevor die Polizei da ist.
Vigo
»Ich verstehe dich nicht!« Die Stimme meines Vaters ist wie Donner. Nach außen ungerührt, lasse ich es über mich ergehen, auch wenn ich innerlich bebe. »Ich kenne dich überhaupt nicht mehr. Mein Sohn in einer Schwulenbar. Und dann lässt du dich auch noch von so einem Klatschreporter fotografieren.«
»Es war eine Strandparty, Dad. Ich hatte keine Ahnung, dass die meisten Leute dort schwul oder lesbisch waren.«
Mein Dad schnauft und sieht mich an, als hätte ich den Verstand verloren. Okay, besonders glaubwürdig ist es nicht, wenn man bedenkt, dass es South Beach war und wie die Pärchen dort miteinander rumgemacht haben.
»Ich wollte ja auch wieder gehen, weil mir das komisch vorkam, aber da hatte der Typ schon seine Kamera gezückt. Also musste ich was tun.«
»Und ihn zusammenschlagen, damit du möglichst viel Aufmerksamkeit auf uns ziehst? Gerade jetzt, wo DiCaprio mich wie ein Bluthund jagt. So etwas regelt man anders. Dezent. Mit Geld. Oder so, dass es niemand mitbekommt.«
Ich schlucke. Dass es niemand mitbekommt? Das klingt … Fuck, nein, es klingt nicht nur so. Ich kann nicht länger die Augen vor dem verschließen, was mein Vater tut, wozu er fähig ist. Hätte ich dem Reporter in einer Gasse auflauern sollen? Ich bin eher für direkt und offen. Wenn er mir die Kamera einfach gegeben hätte, wäre auch nichts weiter passiert. Aber er hatte Fotos von mir und Alec, die durften unter keinen Umständen in falsche Hände geraten. Gut, dass ich die Chipkarte in eins der Strandfeuer werfen konnte, bevor die Polizei aufgekreuzt ist. Soll mich der Kerl doch wegen Körperverletzung anzeigen. Notfalls rechtfertige ich es damit, angetrunken gewesen zu sein. Das wird zumindest meinem Ruf auf dem Eis nicht nennenswert schaden. Auch Bruce und Malcom waren schon privat in Schlägereien verwickelt.
»Was habe ich da nur für eine Brut in die Welt gesetzt?«, poltert mein Vater weiter. »Du treibst dich hier mit Schwuchteln herum und dein Bruder lässt sich in Dallas einbuchten.«
»Lloyd ist im Gefängnis?«, frage ich überrascht, woraufhin mein Dad verbittert den Mund verzieht. »Wie es aussieht, ja. Miller kümmert sich darum. Ich kann nicht begreifen, wie ihr beide so unvorsichtig sein könnt. Man meint fast, ihr würdet es darauf anlegen, DiCaprios Aufmerksamkeit zu erhaschen.«
Was mich angeht, stimmt das sogar. Nur eben völlig anders, als Dad denkt.
»Das Schlimmste daran ist, dass ihr auch meine neuen Geschäftspartner damit in Gefahr bringt. Ich frage mich, wie verdammt noch mal dieser Bastard von Staatsanwalt an die Informationen über unsere Lagerhallen gekommen ist. Ich dachte, ich hätte das Leck in der Firma beseitigt, aber offenbar hat DiCaprio noch andere Quellen.«
Der Schock lässt mich zusammenzucken. Auch wenn mein Vater es nicht wortwörtlich benennt, habe ich doch sofort das Bild eines toten Jungen vor Augen. Dann ist es also wahr. Er hat Gabriel umbringen lassen, damit der keine Informationen mehr für Alec beschaffen konnte. Mir wird eiskalt, mein Gesicht taub. Alles in mir drin wehrt sich dagegen, das zu glauben, aber eine immer lauter werdende Stimme ruft mir zu, dass ich die Wahrheit nicht länger ausblenden darf.
Ich muss Gewissheit haben, und es gibt nur einen, der sie mir geben kann.
»Geh mir aus den Augen, Vigo. Für heute will ich dich nicht mehr sehen. Ich muss darüber nachdenken, wie ich das wieder geradebiege und dafür sorgen, dass unser Ruf nicht beschmutzt wird.«
Nichts, was ich gerade lieber täte, als aus dem Zimmer meines Dads zu verschwinden. Ich bin noch nicht an meiner eigenen Tür angekommen, da hab ich schon das Handy in der Hand und wähle Judes Nummer. Ich vertraue meinem Bodyguard, egal, was er getan hat, sonst hätte ich ihm auch nicht von mir und Alec erzählt. Er wird mich nicht anlügen, daran glaube ich fest, und ich brauche jetzt Antworten, sonst drehe ich durch.
»Vigo?« Er klingt überrascht.
Meine Hand zittert, als ich die Karte durch den Schlitz ziehe, um meine Zimmertür aufzusperren. Ich kann Jude nicht antworten, solange ich noch draußen im Flur stehe und jemand etwas mitbekommen könnte. Kaum fällt die Tür ins Schloss, presse ich die Frage durch meine enge Kehle.
»Hat mein Vater diesen Jungen töten lassen?«
Sekundenlange Stille. »Vigo …«, kommt es dann leise und viel zu resigniert von Jude. Also weiß er genau, wovon ich rede.
»Sag es mir«, verlange ich. »Ich muss es wissen. Hat mein Vater einen Mord in Auftrag gegeben, weil er Angst hatte, jemand könnte Alec Informationen zuspielen?«
»Du solltest dich da raushalten, Vigo. Frag nicht und denk auch nicht darüber nach.« Jude klingt flehend, fast schon verzweifelt, aber ich will Antworten.
»Verdammt, Jude, nun spuck es aus. Gabriel war Alecs Freund.«
»Ich weiß.«
Es ist nur geflüstert, dennoch hallt es in meinen Ohren wie ein Schrei. Langsam, kalt und ätzend wie Säure fressen sich diese beiden Worte in meinen Verstand. Sie sagen nichts und doch alles.
»Dann ist es also wahr.«
»Vigo, nicht«, bittet Jude noch einmal, doch dafür ist es zu spät. Ich fühle, wie mir Tränen über die Wangen laufen. Mir wird schwindlig und ich muss mich an der Wand festhalten, um nicht zu fallen.
»Warst du es?« Die Vorstellung ist fast genauso grausam wie der sinnlose Tod selbst. »Hast du Gabriel umgebracht?«
»Nein.«
»Sicher? Verdammt, Jude, ich hab gesehen, wie du jemanden gefoltert hast.«
»Das war etwas anderes, Vigo. Diese Typen hatten es verdient. Ich würde nie einem Unschuldigen etwas antun.«
»Wer dann?«
»Hör auf, Vigo. Lass es gut sein und halte dich da raus. Lass dich nicht zum Mitwisser machen.«
Als wäre ich das nicht schon längst.
»Lorenz! Es war Lorenz, oder? Er hat ihn auch weggeschafft. Darum ging es doch.«
Den Müll beseitigen.
Gott, mir wird schlecht. Mit einem Mal will ich gar nichts mehr hören, ist es einfach zu grausam, um es zu ertragen. Das Handy gleitet mir aus der Hand, fällt scheppernd zu Boden und ich taumele ins Bad, wo ich vor der Kloschüssel auf die Knie gehe. Mein ganzer Körper krampft und wehrt sich, aber ich werde das Begreifen nicht mehr los, das sich wie Gift in meine Seele frisst. Und ich habe keine Ahnung, wie ich Alec mit diesem Wissen noch unter die Augen treten soll.
***