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Gibt es den falschen Zeitpunkt für die große Liebe? Der 8. Roman von Bestseller-Autorin Paige Toon – aufregend romantisch und absolut berührend. Als Bronte und Alex sich in London bei einem Junggesellenabschied kennenlernen, ist es Liebe auf den ersten Blick. Sie verbringen eine atemberaubende Nacht miteinander, doch Bronte wird wenige Tage später nach Australien zurückfliegen, wo sie als Bildredakteurin bei einem Magazin arbeitet, und Alex wird sich mit Zara verloben, mit der er schon seit Jahren zusammen ist. Aber diese eine Nacht können sie beide nicht vergessen. Über ein Jahre später nimmt Bronte einen Job in London an. Gleich am ersten Tag trifft sie auf ihren neuen Kollegen – Alex. Bronte spürt sofort, dass da noch etwas ist. Aber Alex tut so, als sei nichts. Um sich abzulenken, nimmt Bronte Aufträge als Hochzeitsfotografin an. Zwölfmal ist sie dabei, als sich glückliche Paare das Jawort geben. Doch dann kommt Auftrag Nummer 13: die Hochzeit von Alex! Paige Toon feierte große Erfolge mit folgenden Romanen und E-Novellas: ›Lucy in the sky‹, ›Sommer für immer‹, ›Du bist mein Stern‹, ›Einmal rund ums Glück‹, ›Diesmal für immer‹, ›Immer wieder du‹, ›Ohne dich fehlt mir was‹, ›Johnnys kleines Geheimnis‹ und ›Ohne dich keine Weihnacht‹.
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Seitenzahl: 563
Paige Toon
Roman
Als Bronte und Alex sich in London bei einem Junggesellenabschied kennenlernen, ist es Liebe auf den ersten Blick. Sie verbringen eine atemberaubende Nacht miteinander, doch Bronte wird wenige Tage später nach Australien zurückfliegen, wo sie als Bildredakteurin bei einem Magazin arbeitet, und Alex wird sich mit Zara verloben, mit der er schon seit Jahren zusammen ist. Aber diese eine Nacht können sie beide nicht vergessen.
Über ein Jahre später nimmt Bronte einen Job in London an. Gleich am ersten Tag trifft sie auf ihren neuen Kollegen – Alex. Bronte spürt sofort, dass da noch etwas ist. Aber Alex tut so, als sei nichts. Um sich abzulenken, nimmt Bronte Aufträge als Hochzeitsfotografin an. Zwölfmal ist sie dabei, als sich glückliche Paare das Jawort geben. Doch dann kommt Auftrag Nummer 13: die Hochzeit von Alex!
Der achte Roman von Bestseller-Autorin Paige Toon – aufregend romantisch und absolut berührend.
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Als Tochter eines australischen Rennfahrers wuchs Paige Toon in Australien, England und Amerika auf. Nach ihrem Studium arbeitete sie zuerst bei verschiedenen Zeitschriften und anschließend sieben Jahre lang als Redakteurin beim Magazin »Heat«. Paige Toon schreibt inzwischen hauptberuflich und lebt mit ihrer Familie – sie ist verheiratet und hat zwei Kinder – in Cambridgeshire.
Für meinen Mann [...]
Prolog
Eineinhalb Jahre später
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Kapitel 29
Die dreizehnte Hochzeit
Kapitel 30
Kapitel 31
Epilog
Leseprobe
Prolog
Kapitel 1
Für meinen Mann Greg.
Bronte mag zwar nicht an die Ehe glauben, aber ich tue es.
Für mich bist du Nathan/Johnny/Luis/Ben/Joe/Leo in einem!
Ich bin nicht annähernd betrunken genug. Lustlos starre ich auf das Meer dauergewellter Möchtegern-achtziger-Jahre-Madonnas in neonfarbenen Tutus unten auf der Tanzfläche, die bereits völlig außer Kontrolle sind. Ein DJ verteilt flauschige weiße Haarreifen an eine beängstigend hohe Anzahl künftiger Bräute und heizt die Stimmung noch weiter an.
»WERFEIERTHIERSONSTNOCHJUNGGESELLINNENABSCHIED?«, schreit er, und als hinter mir lautes Kreischen ertönt, krümme ich mich innerlich.
»HIER! HIEROBEN!«, brüllt Michelle, so laut sie kann, und scheucht eine errötete, lachende Polly an mir vorbei zur Treppe. Wir sind gerade erst angekommen und noch auf der oberen Ebene.
»VIELGLÜCK, LADYS! GENIESSTDENABEND!«, schreit der DJ, und dann werden die grellen Scheinwerfer über der Tanzfläche gedimmt, und die Musik wird aufgedreht. Michelle stöhnt, weil sie nicht rechtzeitig nach unten gekommen sind, aber Polly übertönt sie mit einem entzückten Kreischen: Sie hat den Song erkannt, der jetzt läuft.
»DASISTKYLIE!«
Aufgeregt packt sie meine Hand und zerrt mich auf die Tanzfläche, wo ich ein Grinsen aufsetze und widerwillig einen Locomotion mit meiner Landsmännin tanze. Wann kann ich mich wohl endlich auf meinen Jetlag berufen und den Abend beenden?
»Ich wünschte, wir hätten uns verkleidet!«, jammert Michelle, als ein Olivia-Newton-John-Verschnitt in Legwarmern hüftschwingend vorbeitanzt.
Michelle und ich sind nicht so richtig auf einer Wellenlänge.
Ich kenne sie nicht. Jedenfalls kannte ich sie bis heute Abend nicht. Auch Kelly, Bridget und Maria war ich noch nie begegnet. Polly hingegen kenne ich gut. Aber im Augenblick wünschte ich fast, ich würde sie nicht kennen.
Wir sind seit unserer Highschoolzeit in Australien befreundet. Vor zweieinhalb Jahren ging sie wegen ihres Jobs nach Großbritannien und verlobte sich prompt mit einem Teetrinker. Nächste Woche ist nun die Hochzeit, aber an der Planung des Junggesellinnenabschieds war ich leider nicht beteiligt, sonst hätte ich nämlich dafür gesorgt, dass wir erst ordentlich vorglühen, bevor ich den ganzen Haufen zu einer Achtziger-Jahre-Party schleppe.
»Wer hat Lust auf einen Shot?«, brüllt Bridget, bevor der Song vorbei ist.
»ICH!«, erwidere ich und flüchte von der Tanzfläche. »Ich helfe dir tragen.«
Wir gehen an die Bar. »Sollen wir Tequila oder Wodka nehmen?«, schreit sie mir über die Schulter zu.
»Was hochprozentiger ist!«, schreie ich zurück und ernte einen Blick von einem Mann in unserer Nähe. Ich grinse ihn an. Er zuckt resigniert die Achseln. Hmm, ein echtes Sahneschnittchen. Die dunklen, oben ein wenig längeren Haare sind nach hinten gekämmt, und er trägt ein helles Hemd mit hochgekrempelten Ärmeln zu schwarzen Jeans.
»Bitte schön!«, schreit Bridget und reicht mir ein Glas. Wow, das ging aber schnell. »Cheers!«
»Wollen wir denn nicht auf die anderen warten?«, frage ich.
Offenbar nicht: Sie kippt ihren Shot und verzieht das Gesicht. Ich hebe die Augenbrauen und tue es ihr gleich. Bäh. Wodka pur. Der Barkeeper hat sechs weitere Gläser aufgereiht und schenkt ein. »Ich glaube, du und ich, wir brauchen zusätzliche Munition.« Bridget grinst verschwörerisch. Sie schiebt mir drei Gläser zu und nickt in Richtung der anderen.
Ich werfe noch einen Blick auf das Sahneschnittchen, aber der Mann starrt vor sich hin und wirkt zutiefst gelangweilt. Wir kehren zu den anderen zurück und verteilen die Shots. Zwei der Mädels scheinen nicht so wild auf ihren Shot zu sein, aber sie trinken ihn trotzdem, und dann läuft Take On Me von a-ha. Vielleicht liegt es am Wodka, vielleicht auch daran, dass ich diesen Song sehr mag oder dass es in diesem Laden wenigstens einen gutaussehenden Mann gibt; jedenfalls habe ich das Gefühl, dass es mit diesem Abend bergauf geht.
Und dann drängt sich ein Cowboy in unseren Kreis hinein und tanzt Michelle an. Und sie – oh mein Gott! – lässt ihn gewähren.
Bridget und ich wechseln einen vielsagenden Blick: Was soll das denn werden? Ich blicke mich um. Jungs sind Mangelware, aber ich entdecke immerhin zwei Michael Jacksons aus Thriller und einen Michael J. Fox aus Ein Werwolf kommt selten allein mit gelber Bomberjacke und beeindruckend haarigen Werwolfhandschuhen. Ganz in der Nähe tanzt eine Budweiser-Dose hingebungsvoll mit Batman und Robin. Das Gesicht des Mannes, das auch im Kostüm steckt, ist erhitzt und schweißnass.
Aus heiterem Himmel vermisse ich Jason. Und das will ich nun wirklich nicht.
Unwillkürlich sehe ich mich nach dem Mann in der Nähe der Bar um. Er steht noch immer dort, an eine Säule gelehnt, die Füße lässig gekreuzt, und spielt mit seinem iPhone. Er wirkt völlig fehl am Platze. Was der wohl hier macht? Ich wette, er ist nicht freiwillig da.
Plötzlich taucht Batman vor mir auf, und ich erschrecke mich fast zu Tode. Den unmaskierten unteren Teil seines Gesichts zu einem absurden Zahnpastalächeln verzogen, fängt er an, vor mir zu tanzen.
Ich glaube nicht, Kumpel … Ich ducke mich weg und wende mich an Bridget. Sie vollführt die universelle Geste für: »Noch einen?«, und ich nicke begierig.
»Noch jemand was zu trinken?«, frage ich die anderen.
Polly und Maria entscheiden sich für Cocktails, aber Kelly und Michelle lehnen dankend ab.
Bridget und ich gehen wieder an die Bar.
»Die gehen auf mich«, sage ich zu Bridget, als sie versucht, den Barkeeper heranzuwinken. Außer uns warten noch ein paar andere Leute darauf, bedient zu werden, aber insgesamt ist erstaunlich wenig los an der Bar. »Willst du zu dem Shot auch einen Cocktail?«, frage ich Bridget.
»Klar. Ich nehme das Gleiche wie du.«
»Und woher kennst du Polly?«, frage ich sie.
»Von der Arbeit.«
»Was machst du denn?«
»Ich bin Reiseschriftstellerin.« Sie wirft die welligen, halblangen dunkelbraunen Haare nach hinten. »Ich habe letztes Jahr eines der Häuser ihrer Hotelkette in Barcelona besprochen. Seitdem schanzt sie mir schon mal ein paar Gratisübernachtungen zu.«
»Cool.«
»Was darf’s sein?«
Der Barkeeper steht vor uns. Ich lehne mich über die Theke und gebe unsere Bestellung auf.
»Angry Birds?«, höre ich Bridget rufen und sehe mich um: Sie hat dem Sahneschnittchen einfach das Handy aus der Hand genommen. Er reagiert mit diesem resignierten Achselzucken, das ich sehr süß finde, und sie reicht ihm das Telefon mit gespieltem Abscheu zurück.
»Hauptsache, die Zeit vergeht«, antwortet er mit tiefer Stimme und leicht sarkastischem Unterton.
»Was machst du hier?«, fragt Bridget.
»Junggesellenabschied.«
»Wo ist der Bräutigam?«, mische ich mich ein und reiche Bridget ihren Shot.
Er deutet mit dem Telefon auf die Tanzfläche. »Irgendwo da drüben.«
»Und du hast keine Lust zu tanzen?«, frage ich ihn, während Bridget ihren Shot kippt.
»Nicht betrunken genug«, erwidert er.
»Das können wir beheben«, sagt Bridget vorlaut und beugt sich an mir vorbei zum Barkeeper vor, der gerade wild seinen silbernen Cocktailshaker schüttelt.
»Ich bin nie betrunken genug«, murmelt er mir zu.
»Ich bin Bronte«, stelle ich mich vor, kippe meinen Shot und verziehe das Gesicht. »Bäh.«
»Alex«, entgegnet er amüsiert. Seine Augen sind blau, glaube ich, aber bei diesem dämmrigen Licht ist das schwer zu sagen.
»Wir feiern einen Junggesellinnenabschied«, erzähle ich ihm. »Meine Freundin Polly heiratet nächste Woche.« Ich zeige sie ihm. »Die Blonde mit dem Pferdeschwanz.«
»Bist du Australierin?«, fragt er.
»Bingo.« Da hat er mich mal wieder verraten, mein Akzent. »Ich bin wegen der Hochzeit hier.«
»Woher kommst du?«
»Aus Sydney.«
»Bitte schön.« Bridget hält drei weitere Shots hoch.
Wenn das so weitergeht, bin ich bald hinüber. Kling! Und runter damit.
Der Barkeeper muss noch bezahlt werden, also begleiche ich unsere Schulden; in meinem Kopf dreht sich schon alles.
Ich höre Bridget lachen, während ich versuche, die vier Cocktailgläser zu balancieren. Schließlich gebe ich auf und reiche ihr eines.
»Bis später«, sagt sie zu Alex und wendet sich zu mir; ich lächele ihn nochmals an.
»Wow!«, formt sie mit den Lippen. Wir gehen zurück zu den anderen. »Der ist ja schnuckelig. Bist du vergeben?«
»Nein.« Nicht mehr. »Und du?«
»Ich habe gerade was mit jemandem angefangen«, erwidert sie bedauernd, »leider, sonst würde ich heute Abend jemanden aufreißen. Schnapp du ihn dir.«
Ich reiche Polly und Maria ihre Cocktails. »Ich bezweifle, dass er Single ist«, sage ich, damit sie Ruhe gibt, aber selbst wenn er Single wäre und obendrein an mir interessiert, wäre es mir noch zu früh – nach Jason.
Jetzt läuft She Drives Me Crazy von den Fine Young Canibals, und ich will tanzen. Meine Fußsohlen beginnen zu brennen. Ich wusste, ich hätte meine bewährten Cowboystiefel tragen sollen, aber ich habe mir heute stahlblaue Highheels gekauft und konnte einfach nicht widerstehen. Obendrein ist es dummerweise richtig heiß für einen Septembertag in Großbritannien. Ich weiß gar nicht, warum Polly immer über das Wetter jammert. Ich trage ein kurzes, enganliegendes schwarzes Kleid, und meine langen hellbraunen Haare habe ich zu einem lockeren Fischgrätenzopf geflochten, den ich über die linke Schulter drapiert habe. Mein Lidschatten ist dunkelgrün mit Glitzer darin und wahrscheinlich verschmiert, und vom Lippenstift ist bestimmt längst nichts mehr zu sehen.
Der Bierdosenmann rempelt mich an, und ich stoße ihn nicht einmal zurück. Der Alkohol in meinem Blut wirkt sich wohl besänftigend auf mich aus. Aber o-oh, schon kommt Batman wieder auf dumme Gedanken. Breit grinsend schiebt er seinen verschwitzten, in blaues Lycra gehüllten Körper auf mich zu. Zum Glück zieht Polly mich in diesem Moment zwischen den Leuten hindurch zu sich und rettet mich.
»Ich freue mich so, dass du gekommen bist!«, quietscht sie mir ins Ohr und schlingt mir den Arm um den Hals.
»Ich mich auch.« Ich hoffe, das klingt überzeugend.
»Besonders, wo du Hochzeiten gar nicht magst.« Sie schüttelt mich liebevoll – wenn auch ein bisschen ungestüm –, als wollte sie mich zur Vernunft bringen.
»So schlimm finde ich sie gar nicht«, lüge ich. Wenigstens heiratet sie nur standesamtlich. »Jedenfalls konnte ich deine ja wohl schlecht verpassen.«
»Dann hätte ich dich umgebracht!«
Das glaube ich sofort.
»Nicht zu fassen, dass ich schon zweieinhalb Jahre hier bin«, nuschelt sie. Ich konnte sie schon immer unter den Tisch trinken, denke ich amüsiert. »Wurde auch Zeit, dass mich mal jemand besuchen kommt«, fügt sie hinzu.
Jemand, nicht notwendigerweise ich.
»Kommt mir gar nicht so lange vor«, stimme ich ihr zu und trinke einen Schluck von meinem Seabreeze – Wodka mit Cranberry- und Grapefruitsaft. Wenn ich ehrlich bin, erkenne ich sie kaum wieder. Sie hat seit ihrer Verlobung vor acht Monaten über zwölf Kilo abgenommen. Ich war ein bisschen erschrocken, als ich sie wiedersah. Sie sah sich gar nicht mehr ähnlich.
»Wie läuft’s bei der Arbeit?«, schreit Polly mir ins Ohr. »Ich habe das Gefühl, wir konnten uns kaum unterhalten, seit du angekommen bist.«
»Gut«, sage ich unverbindlich. Ich wurde vor kurzem zur stellvertretenden Bildredakteurin bei einer wöchentlich erscheinenden Frauenzeitschrift namens Hebe – benannt nach der griechischen Göttin der Jugend – befördert. Davor war ich bei einem Lifestylemagazin für Männer namens Marbles, aber mein dortiger Chef in der Bildredaktion schien auf seinem Posten zu kleben, daher musste ich etwas verändern, um weiterzukommen.
»Macht es dir wirklich nichts aus, im Hotel zu übernachten?«, fragt Polly mich zum soundsovielten Mal, das ungewohnt schmale Gesicht sorgenvoll verzogen.
»Überhaupt nichts!«, versichere ich ihr.
Ich kam gestern bei Tagesanbruch an. Polly traf ich zum Mittagessen – sie ist Managerin in meinem Hotel in der Nähe der St. Paul’s Cathedral, von hier aus nur ein Stück die Straße rauf. Den gestrigen Nachmittag verschlief ich, um meinen Jetlag zu überwinden, und gestern Abend waren wir dann mit ihrem Verlobten, Grant, einem Bauingenieur, essen. Er ist ein lustiger Typ. Scheint meine Freundin wirklich zu lieben, und vor allem kann er mit ihrer manchmal ziemlich dominanten Persönlichkeit umgehen, was nur gut sein kann. Sie sind gerade erst zusammen in eine kleine Wohnung in einem Neubau in Flussnähe gezogen. Polly hatte zwar angeboten, ich könne auf ihrem Schlafsofa übernachten, aber ich wollte ihnen nicht zur Last fallen. Im Augenblick haben sie auch so schon genug um die Ohren. So kann ich die nächsten Tage nutzen, um London zu erkunden; allerdings wünschte ich, ich hätte mehr Zeit, denn ich bin zum ersten Mal hier. Am Mittwoch fahre ich mit Polly und Grant nach Brighton zu Grants Eltern, die die Hochzeit ausrichten, damit ich bei den letzten Vorbereitungen helfen und ein wenig Zeit mit meiner alten Freundin verbringen kann. Ich habe ihr noch nicht einmal von der Sache mit Jason erzählt. Sie wird so enttäuscht sein. Seit einer Ewigkeit liegt sie mir in den Ohren, ich solle mich endlich fest binden.
Vor ein paar Monaten zog der Mann, mit dem ich ein Jahr zusammen war, wegen seines Jobs nach Westaustralien. Er bat mich mitzukommen. Er bat mich um einiges. Aber das mit uns sollte wohl nicht sein. Vor drei Wochen haben wir Schluss gemacht.
Na toll. Jetzt bin ich nicht einmal mehr in Stimmung für Footloose.
»Ich gehe nur eben aufs Klo«, sage ich Polly, bevor sie noch merkt, dass etwas nicht in Ordnung ist. Ich drängele mich durch die Menge auf der Tanzfläche und komme vergleichsweise unversehrt am anderen Ende an. Rasch sehe ich zur Bar, aber der Platz an der Säule ist verlassen. Na ja.
Als ich mit schrecklich schmerzenden Füßen zurückkehre, stehen Polly und die anderen an der Bar und machen eine Pause. Ich muss mich dringend hinsetzen.
»Bronte!« Polly winkt mich zu sich. »Was willst du trinken?«
»Ich nehme noch einen Seabreeze, bitte.« Der Alkohol wird die Schmerzen in meinen Füßen hoffentlich betäuben. Plötzlich legt sich ein Arm um mich. Ich zucke zurück, aber der schwitzende, rotgesichtige Kerl, zu dem der Arm gehört, grinst nur betrunken und klammert sich an mich, als ginge es um sein Leben.
»Mein bester Kumpel heiratet nächste Woche«, erzählt er mir nuschelnd. »Der hier.« Er legt den anderen Arm um einen Typen links von ihm und zieht ihn an sich. »Er ist … der beste. Freund. Der Welt.«
»Wow. Glückwunsch«, sage ich mit ausdrucksloser Miene und löse mich aus seinem Klammergriff, ehe er mich noch zu Boden reißt.
»Ich bin Nigel«, sagt der Betrunkene und bemüht sich, seriös und nüchtern zu klingen – ohne Erfolg.
»Wir feiern einen Junggesellinnenabschied!«, mischt Michelle sich ein.
Ermutige ihn nicht noch, du dumme Kuh!
Nigel reißt erstaunt die Augen auf, obwohl das in diesem Laden nun wirklich keine Überraschung sein kann. »Im Ernst? Wer ist die Braut?«
»Ich!«, sagt Polly kichernd und reicht mir mein Getränk.
»Wie heißt du?«, fragt Nigel sie und taumelt gegen seinen Kumpel.
»Polly«, erwidert sie fröhlich. Maria, Kelly und Bridget stellen sich zu uns. Ich nippe an meinem Drink und sehe resigniert zu, wie alle sich einander vorstellen. Die Jungs sind zu viert, und der Bräutigam heißt Brian, aber danach klinke ich mich gedanklich aus.
»ALEX!«, schreit Nigel mir plötzlich ins Ohr. Ich schlage mir die Hand aufs Ohr und forme mit den Lippen: »Aua!« Dann taucht Alex – DER Alex – neben mir auf. Verdutzt beobachte ich, wie Nigel ihm den Arm um den Hals legt. »Wo warst du, Mann?«, fragt er fassungslos und schwankt dabei hin und her, vor und zurück. Alex ist anzusehen, wie anstrengend es ist, Nigel zu stützen.
»Du erwürgst mich«, sagt Alex erstickt zu ihm. Brian hilft ihm, sich von Nigels Arm zu befreien. Nigel erinnert mich an eines dieser Souvenirs: ein kleines braunes Koalafigürchen, das sich an einen Stamm klammert.
»Das ist Alex«, stellt Brian, der nur geringfügig nüchterner wirkt als Nigel, ihn vor. Ich sehe Kelly und Michelle einen anerkennenden Blick wechseln.
»Poppy heiratet nächste Woche«, mischt Nigel sich ein und deutet auf die errötende zukünftige Braut.
»POLLY!«, berichtigen Michelle und Kelly ihn lachend.
»Ah, klar, cool«, sagt Alex mit geheucheltem Interesse, an niemand Bestimmtes gerichtet. Verstohlen sieht er auf die Uhr, während seine Freunde um Polly und die anderen herumscharwenzeln.
»Ertappt.« Sanft stupse ich ihn mit dem Ellbogen an. Er blickt verlegen. »Der Shot hat nicht geholfen?«
»Nein«, erwidert er mit einem, wie ich glaube, aufrichtigen Lächeln, das jedoch sofort wieder erlischt. »Ich fürchte, ich bräuchte noch zehn von denen.«
»Dein Wunsch ist ihr Befehl«, kommentiere ich trocken, als ich sehe, wie der Barmann in Bridgets Auftrag Shotgläser aufreiht. Alex wirkt skeptisch. »Warum bist du denn so im Rückstand?«, frage ich neugierig. »Deine Kumpel sind sternhagelvoll.«
»Ich bin erst später dazugekommen.« Pause. »Musste noch arbeiten«, fügt er hinzu.
»An einem Samstag? Was machst du denn?«
»Ich, ähm, musste zu einem Fotoshooting.« Ich merke, dass er mir das nur widerwillig erzählt, aber natürlich muss ich jetzt fragen, was der Anlass war. »Ähm, das war für ein Magazin«, gesteht er verlegen.
»Echt? Ich arbeite auch bei einem Magazin. Ich bin stellvertretende Chefin der Bildredaktion.«
»Ach?« Sofort entspannt er sich wieder. Ich verstehe ihn nur zu gut. Manche Leute sind nicht mehr zu halten, wenn man ihnen erzählt, dass man in der Medienbranche arbeitet.
An diesem Punkt unterbrechen uns die anderen, denn es ist »Zeit für den nächsten Shot«. Ich brauche eigentlich keinen mehr, aber ich stoße trotzdem mit Alex an und tausche dann verstohlen mein volles gegen sein leeres Glas, sobald er ausgetrunken hat.
»Du willst nicht mehr?«, fragt er.
»Ich hatte schon mehr als genug«, erwidere ich.
Er zuckt die Achseln und kippt den Shot runter, und dann plärrt Girls Just Want To Have Fun aus den Lautsprechern.
»LASSTUNSTANZEN!«, schreit Michelle und zerrt Polly und Brian mit sich. Die anderen folgen ihnen anscheinend gern, aber Alex und ich bleiben zurück. »Immer noch nicht betrunken genug?«, frage ich ihn.
»Nein, aber lass dich von mir nicht abhalten«, sagt er.
»Ich muss mich hinsetzen. Meine Füße bringen mich um.«
Er deutet auf eine Bank neben der Tanzfläche, und das hebt meine Laune beträchtlich. Ich folge ihm und betrachte dabei seinen Hinterkopf. Seine dunklen Haare locken sich im Nacken. Er ist ganz anders als seine Freunde. Sie wirken so … gewöhnlich. Ich frage mich, woher er sie kennt. Er lässt sich auf die mit schwarzem Samt gepolsterte Bank plumpsen und lehnt den Kopf an die Wand. Ich setze mich neben ihn und schlage die Beine übereinander.
»Batman ist schon wieder zugange«, kommentiere ich, als der Möchtegern-Superheld und eine Frau in einem Minirock mit Leopardenmuster sich ein paar Schritte von uns entfernt sehr nahekommen. Sie wirkt ziemlich betrunken, aber das ist ihm sicher nur recht.
»Meine Güte«, murmelt Alex. Gerade klaubt die Frau einen Eiswürfel aus ihrem Glas und leckt aufreizend daran.
Mit großen Augen beobachte ich, wie Batman die Zunge rausstreckt und die Frau mit dem Eiswürfel darüberreibt. Ich kichere. »Das ist der ideale Laden für notgeile Männer. Auf einen Mann kommen bestimmt zehn Frauen.«
»Hm-hm«, stimmt er zu.
»Und woher kennst du Brian?«, frage ich, um ein Gespräch in Gang zu bringen.
»Er heiratet meine kleine Schwester.«
»Oh«, sage ich vielsagend. »Verstehe.«
Er sieht mich an. »Wie meinst du das?«
»Ich hätte dich nicht mit ihnen in Verbindung gebracht«, erkläre ich ihm, wobei mir ein wenig zu spät klar wird, dass er das als extrem unhöflich aufnehmen könnte, aber schon fahre ich fort: »Sie kommen mir nicht wie Leute vor, mit denen du Zeit verbringen würdest.« Huch. »Hoppla, entschuldige, das ist der Alkohol, der da aus mir spricht.«
Er grinst. »Ich bin immer noch nicht betrunken genug.«
»Dann hol dir noch einen Shot.«
»Ich weiß nicht, wie lange ich noch bleibe«, gesteht er und schiebt einen herabgerutschten Ärmel wieder bis über den Ellbogen hoch.
»Na, danke«, sage ich gespielt eingeschnappt. »Lass mich ruhig allein, nur zu. Wahrscheinlich habe ich gleich einen Werwolf an mir kleben, aber mach ruhig. Lass ihn einfach auf mich los.«
Er grinst mich an und macht Anstalten aufzustehen. »Ich gehe an die Bar.«
»So ist’s recht.« Yeah!
»Willst du noch einen?«
»Ich hätte gern noch einen Seabreeze. Ich glaube, wenn ich bei Wodka-Cocktails bleibe, habe ich bessere Chancen, nachher nicht umzukippen.«
Er blickt amüsiert und geht zur Bar. Ein bisschen aufgeregt sehe ich ihm hinterher, aber dann werde ich von Batman abgelenkt, der der Frau gerade den Eiswürfel unter den Minirock schiebt. Entgeistert schaue ich zu. Igitt, das ist ja widerlich. Jetzt hält er ihr den Eiswürfel wieder an den Mund, und sie saugt ihn zwischen ihre Lippen.
Als Alex nach ein paar Minuten zurückkehrt, merke ich es kaum, so gebannt bin ich von den neuesten Entwicklungen.
»Was ist los?« Er sieht mich fragend an und setzt sich wieder neben mich.
»Da«, zische ich. »Guck doch!«
Batman drückt sich von vorn an die Frau und Robin von hinten, eine Art Superhelden-Sandwich. Sie dreht den Kopf und schenkt Robin ein Lächeln, das sie sicher für verführerisch hält. Dann greift sie nach hinten, nimmt ihm die Spielzeugpistole aus der Hand, steckt sie sich in den Mund und tut so, als würde sie ihr einen blasen. Batman hat einen Ständer, fällt mir auf.
Ich werfe Alex einen ungläubigen Blick zu. Seine Kinnlade berührt beinahe den Boden, und das sieht so ulkig aus, dass ich lachen muss. Er sieht mir in die Augen.
»Leck mich«, sagt er fassungslos.
»Tut sie bestimmt, wenn du sie lieb bittest«, frotzele ich. Ich sehe wieder zu den Superhelden. Die Frau hat sich von ihnen gelöst und geht im Zickzack von der Tanzfläche in Richtung Toiletten. Batman und Robin klatschen sich ab, und mit einem Mal finde ich das Schauspiel nicht mehr amüsant, sondern abstoßend.
»Hoffentlich geht sie nach Hause«, sage ich, während Batman seinen Schritt zurechtrückt. »Igitt, das ist so peinlich …«
Angewidert wendet Alex den Blick ab und sieht mich an. Ich erwidere seinen Blick und halte mir dabei die Hand ans Gesicht, um uns vor Blicken abzuschirmen. Er lächelt verschmitzt. Als ich ihm so in die Augen sehe, schlägt mein Herz schneller. Ich lasse die Hand sinken und sehe wieder zur Tanzfläche. Da entdecke ich Polly. Sie steht stocksteif da und starrt mich finster an. Dann stürmt sie auf mich zu, und ich versteife mich: Polly kann verdammt unangenehm werden, wenn sie betrunken ist. Wie konnte ich das bloß vergessen?
»Was tust du da?«, will sie wissen.
Ich seufze innerlich. »Meine Füße bringen mich um.« Ich strecke einen Fuß im stahlblauen Stöckelschuh vor, doch sie zieht mich schon hoch. »Was ist mit Jason?«, blafft sie mir ins Ohr und blickt Alex finster an.
»Wir haben uns getrennt«, erzähle ich ihr gelassen. Zunächst wirkt sie betroffen, aber gleich darauf fragt sie vorwurfsvoll: »Warum? Herrgott, Bronte, ich dachte, er wäre der Richtige. Warum hast du mir das nicht erzählt?« Zum Glück wollte ich sowieso kein Mitgefühl.
»Ich wollte es dir nach heute Abend erzählen«, erwidere ich. »Jedenfalls ist es keine große Sache«, versuche ich sie zu beschwichtigen. »Aber ich brauche wirklich eine Verschnaufpause. Die Highheels waren keine gute Idee.« Sie wirft einen kurzen Blick auf meine Füße. Dann sieht sie mir wieder ins Gesicht, und ich bin nicht so sicher, ob sie jetzt Ruhe gibt. Aber da läuft Never Gonna Stop Us Now von Starship an, und Michelle – meine nichtsahnende Retterin – kommt und zieht Polly zurück auf die Tanzfläche. Ernüchtert setze ich mich wieder neben Alex.
»Worum ging’s da?«, fragt er.
Trübsinnig nippe ich an meinem Cocktail. »Ich hatte ihr nicht erzählt, dass ich mich von meinem Freund getrennt habe.«
Schweigen. »Oh.«
»Ich hasse es, wenn sie betrunken ist. Ich kann dir gar nicht sagen, wie viele Abende damit geendet haben, dass sie im Suff völlig die Beherrschung verloren hat, als wir noch beide in Australien waren«, schimpfe ich. »Ich dachte, das hätte sie mittlerweile überwunden.«
»Wann hast du sie denn zum letzten Mal gesehen?«, fragt er.
»Vor zweieinhalb Jahren, bevor sie hierherzog.«
»Oh.«
»Sie ist zwar nicht meine beste Freundin«, lasse ich weiter Dampf ab, »aber ich kenne sie schon seit ewig und drei Tagen. Sie hat mich nicht mal gebeten, eine ihrer blöden Brautjungfern zu sein.«
»Oh, verstehe.«
»Wobei ich gar keine Brautjungfer sein will.«
»Nicht?«
»Nein. Ich finde Heiraten überflüssig und Hochzeiten total unerträglich, und das weiß sie.«
»Verstehe.«
»Entschuldige, ich quatsche dich voll.«
Er lächelt. »Schon gut.«
»Ich bin schon still.«
Wir schweigen eine Weile.
»Wann hast du dich von deinem Freund getrennt?«
Hm, interessant, dass er das fragt …
»Vor ein paar Wochen.« Tapfer drehe ich den Spieß um. »Was ist mit dir? Bist du mit jemandem zusammen?«
Er sieht weg. »Nein«, antwortet er knapp. Ich befürchte schon, das sei das Ende unserer Unterhaltung, doch da erklärt er: »Ich habe mich auch vor ein paar Wochen von meiner Freundin getrennt.«
»Oh. Das tut mir leid.«
Er zuckt die Achseln, sieht mir aber nicht in die Augen. »Schon gut. O-oh.«
»Was?«
Er deutet auf die Tanzfläche. »Die Frau ist wieder da.«
Ich sehe zur Tanzfläche, wo die Frau im Leopardenrock wieder auf Batman und Robin zusteuert, aber die beiden tanzen jetzt mit zwei nett und einigermaßen nüchtern wirkenden Frauen. Wenn die wüssten, was die scheinbar so harmlosen Superhelden noch vor kurzem mit einem Eiswürfel angestellt haben, würden sie das Weite suchen. Ich beobachte, wie die betrunkene Frau sich wieder an die Jungs heranmacht, und schäme mich fremd. Die beiden tun so, als sähen sie sie nicht.
»Hat sie denn keine Freundinnen, die sie nach Hause bringen können?«, frage ich besorgt. Wir sehen zu, wie die beiden anderen Frauen einen argwöhnischen Blick wechseln und dann in einer anderen Ecke weitertanzen. Als Batman und Robin begreifen, dass sie bei den beiden keine Chance mehr haben, kehren sie zu ihrem ursprünglichen Plan zurück und klemmen die betrunkene Frau erneut zwischen sich ein. Es ist, als würde man einen Autounfall beobachten: Man kann den Blick einfach nicht abwenden.
Plötzlich habe ich Alex’ Glas in der Hand, und er steht. Eilig geht er zu Batman, packt ihn am Arm und zieht ihn energisch von der Frau weg. Batman ist so überrumpelt, dass er kurz stolpert. Ich kann Alex’ Gesicht nicht sehen, aber Batman wirkt beschämt. Dann nickt er und klopft Robin auf den Arm. Als die beiden notgeilen Superhelden von der betrunkenen Frau ablassen, schwankt sie. Alex sagt etwas zu ihr, und sie runzelt die Stirn, als versuchte sie, seinen Worten einen Sinn abzugewinnen. Schließlich sieht sie sich um und deutet zur oberen Ebene, wo wir den Club betreten haben. Alex nimmt ihren Ellbogen und führt sie von der Tanzfläche.
Wow. Jetzt bin ich doch ziemlich beeindruckt.
Neben mir macht es plumps, und als ich mich erschrocken umdrehe, sitzt Bridget auf Alex’ Platz.
»Polly ist ziemlich sauer auf dich«, sagt sie locker.
»Ach?« Mir rutscht das Herz in die Hose.
»Vielleicht sollten wir sie allmählich nach Hause bringen.«
»Viel Glück«, erwidere ich trocken.
»Das klingt, als hättest du das schon mal erlebt.« Sie legt den Kopf schräg und trinkt durch einen Strohhalm von ihrem Cocktail.
»Nicht nur einmal.« Ich seufze und stehe auf. »Wir müssen sie aber zuerst ein bisschen ausnüchtern.«
Ich mache mich auf den Weg zur Bar, um Polly eine Limonade mit Limettensaft zu holen. Wodka Lemon mit Limettensaft ist ihr Lieblingscocktail, aber jetzt merkt sie bestimmt nicht mehr, dass der Alkohol fehlt.
»He!« Ich spüre eine Hand auf dem Arm, fahre herum und sehe, dass sie Alex gehört. »Wirst du mir etwa untreu?«, fragt er vorwurfsvoll. »Da lässt man dich nur eine Minute allein …«
»Ich hole Polly bloß eine Limo«, erkläre ich ihm lächelnd. Er lässt die Hand sinken. »Wo ist die Frau?«
»Ich habe sie nach oben zu ihren Freundinnen gebracht. Sie wollten gerade gehen.«
»Gutes Timing. Das war wirklich nett von dir«, sage ich aufrichtig. Er wirkt, als wäre ihm das Lob peinlich. »Bin gleich wieder da«, verspreche ich.
Als ich zur Bank zurückkehre, sitzt Polly dort zwischen Alex und Bridget.
»Ich habe dir noch einen Drink geholt«, sage ich munter.
»Was ist das?« Polly beäugt den Drink misstrauisch.
»Wodka Lemon mit Limettensaft«, lüge ich.
Sie wirkt beschwichtigt. »Gut.« Bridget und Alex grinsen mich an.
»Warum hast du dich von Jason getrennt?«, ruft Polly aus heiterem Himmel. Unwillkürlich zuckt mein Blick zu Alex.
»Wann lässt du dich endlich auf was Festes ein? Ich dachte, es lief richtig gut«, fügt sie barsch hinzu.
»Tja, na ja, so was kann sich schon mal ändern.« Ich kann mir einen gekränkten Unterton nicht verkneifen.
»Ich glaube nicht, dass Bronte jetzt darüber reden möchte«, wirft Bridget vernünftig ein.
»Woher zum Teufel willst du das wissen? Du hast sie doch gerade erst kennengelernt!«, fällt Polly über sie her.
»Okay, Zeit, nach Hause zu gehen«, faucht Bridget, springt auf und zieht Polly mit hoch.
»Was? Warum? Ich will aber noch nicht!«, stammelt Polly.
»Doch, du willst. Es ist gleich ein Uhr, Grant wartet zu Hause auf dich und ist bestimmt total begeistert, wenn du euren neuen Teppich vollkotzt.« Zu meiner Verwunderung widerspricht Polly nicht. Bedeutet das, der Abend ist vorbei? Widerwillig stehe ich auf und bin eigenartig enttäuscht.
»Bleib«, sagt Bridget energisch. »Trink erst mal aus. Ich bringe sie nach Hause.«
»Was? Nein«, entgegne ich überrascht. »Ich komme mit.«
»Mach dich nicht lächerlich.« Sie winkt ab. »Dein Hotel liegt doch hier um die Ecke. Ich muss sowieso ein Taxi nehmen und fahre bei ihr vorbei.« Sie blickt an mir vorbei zu Alex, dann sieht sie mich vielsagend an. »Bleib«, wiederholt sie eindringlich. Aus dem Augenwinkel sehe ich, dass Alex sich vorbeugt und die Ellbogen auf die Knie stützt.
Mittlerweile sind auch die anderen Mädels bei uns. Maria und Kelly wollen ebenfalls noch bleiben, aber Michelle möchte mit Bridget und Polly zusammen ein Taxi nach Hause nehmen. Sie ist Pollys einzige Brautjungfer: eine Freundin von der Arbeit.
»Soll ich dich nach Hause bringen?«, frage ich Polly mit schlechtem Gewissen.
»Nein!«, ruft sie. »Geh zurück ins Hotel.« Sie grinst und schwankt ein bisschen. »Ich habe den Zimmermädchen gesagt, sie sollen dir mehr Schokolade aufs Kopfkissen legen. Und außerdem …« – sie schiebt mich ein bisschen von sich, dann packt sie mein Handgelenk – »… will Grant heute Nacht Sex.« Sie lässt mich los und wendet sich Michelle zu.
So genau wollte ich es gar nicht wissen.
»Bist du sicher?«, frage ich Bridget.
»Völlig.« Sie ist noch ziemlich fit, wenn man bedenkt, was sie alles getrunken hat.
Wir verabschieden uns voneinander, und dann gehen Maria und Kelly wieder auf die Tanzfläche, während ich mich nach Alex umsehe. Zum Glück ist er noch da. Als ich mich wieder neben ihn setze, blickt er hoch.
»Du bleibst noch?«, fragt er.
»Ich wollte dich nicht auf Gedeih und Verderb Batman und Co. ausliefern.«
»Mit denen werde ich fertig, keine Sorge«, gibt er zurück. Wenn er den Mund da mal nicht zu voll nimmt. Er betrachtet das Gedränge auf der Tanzfläche. »Ich habe meine Kumpel schon eine Weile nicht mehr gesehen.«
Oh. Sucht er nach einem Vorwand, um sich zu verdrücken? »Mach dir meinetwegen keine Sorgen, geh ruhig, wenn du sie suchen möchtest.«
»Nein, nein«, sagt er hastig. »Ein schlechtes Gewissen habe ich allerdings schon.« Er sieht mich an und hebt eine Augenbraue. »Aber so schlecht auch wieder nicht.«
Ich kneife die Augen zusammen und spähe in die Menge. »Sind sie das da hinten?« Ich zeige ihm die Leute, die ich meine, und er hält den Kopf dicht neben meinen, um meinem ausgestreckten Zeigefinger mit dem Blick folgen zu können. Wir sind uns so nahe, dass ich sein Aftershave riechen kann. Mmmm, Moschus.
»O ja, das sind sie.«
»Also … Brian, richtig?«
»Genau. Er heiratet meine kleine Schwester Jo.«
»Und haben sie deinen Segen?«
Er zuckt die Achseln. »Er ist in Ordnung.«
»Na, das ist ja mal ein überschwängliches Lob.«
Er lacht. »Nein, er ist wirklich in Ordnung. Ein feiner Kerl. So gut kenne ich ihn gar nicht.«
»Heute Abend wäre deine Gelegenheit, ihn besser kennenzulernen.« Ich weiß nicht, warum ich ihn darauf hinweise und ihn gewissermaßen ermuntere zu gehen.
Er zögert. »Na ja, er ist ziemlich hinüber. Ich weiß nicht, ob ich ihn gerade von seiner besten Seite erlebe.« Er trinkt aus. »Ich hole den Jungs was zu trinken, als kleine Wiedergutmachung.« Er steht auf.
»Damit sie noch betrunkener werden?«
»Wodka Lemon ohne Wodka wie für Polly?«, neckt er mich.
Eine Zeit lang sitze ich allein da und beobachte die Leute. Zu I’m Holding Out For A Hero wippe ich ein bisschen mit und warte – passend zum Song – auf meinen Helden. Womit ich logischerweise Alex meine und nicht etwa Batman und Robin. Leider setzen sich nach einer Weile Michael Jackson und Michael J. Fox neben mich.
»Bist du allein hier?«, fragt M. J. mit lüsternem Blick.
»Nein. Mein Freund holt mir gerade was zu trinken.« Leider nicht ganz die Wahrheit.
»Bist du Australierin?«, fragt Fox.
»Richtig.«
»Warum bist du nicht als Kylie gekommen?«, will M. J. wissen.
»Mir war nicht danach.« Sie verstehen den Wink nicht. Ich bin nicht interessiert.
»Warum nicht? Mit blonden Haaren würdest du viel schärfer aussehen.« Fox streicht mir mit seinem haarigen Werwolfhandschuh über die Haare.
»Lass das.« Ich schlage seine Hand weg, aber er lacht völlig ungerührt. Idiot. Ich stehe auf und pralle gegen Alex.
»Hoppla!« Er hält unsere Drinks in die Höhe, um möglichst wenig zu verschütten.
»Entschuldige!« Unsere Körper berühren sich, und mir wird ganz schummrig.
»Alles in Ordnung?« Er tritt einen winzigen Schritt zurück und blickt die Kerle auf der Bank hinter mir finster an.
»Ja, alles in Ordnung.« Ich deute mit dem Kopf nach links. Er folgt mir in eine Ecke neben der Tanzfläche und reicht mir einen vertraut wirkenden Cocktail. »Seabreeze«, schreit er mir ins Ohr. »Und ja, da ist Wodka drin.«
Ich stupse ihn fröhlich an. »Danke.«
»Sind die Kerle aufdringlich geworden?« Hier sitzen wir näher an den Lautsprechern, und er muss mir direkt ins Ohr sprechen, damit ich ihn verstehen kann.
»Nein, sie waren nur nervig. Sie fanden, ich hätte als Kylie kommen sollen, und mit blonden Haaren würde ich besser aussehen.«
Empört schüttelt er den Kopf. »Würdest du nicht.«
Ich lache. »Nein?«
»Eindeutig nicht.« Er hebt den Zipfel meines Zopfes in die Höhe, lässt ihn wieder auf mein Schlüsselbein fallen und stützt den Ellbogen auf das Regal hinter ihm an der Wand. Sein Hemd steht oben ein Stück offen, und ich kann seine glatte Brust sehen. Er schaut mich an, und ich wende hastig den Blick ab. Plötzlich fällt mir auf, dass mir die Füße nicht mehr weh tun.
»Wann bist du angekommen?«, fragt er.
»Gestern. Ich wohne in einem Hotel ein Stück die Straße rauf.«
»Ah, verstehe.« Seine Augenbrauen gehen in die Höhe. »Keine Hetze zur letzten U-Bahn also.«
»Wo wohnst du?«
Kurz wirkt er genervt. »Ich habe in Shoreditch gewohnt, aber jetzt wohne ich vorübergehend bei meinen Eltern in Crouch End.«
Ich kenne weder die eine noch die andere Gegend.
»Ostlondon und Nordlondon«, erklärt er, als er meinen fragenden Blick sieht.
Ich habe eine Vermutung. »Hast du vorher mit deiner Freundin zusammengewohnt?«
»Genau«, erwidert er kurz angebunden.
Ich weiß nicht, ob er darüber reden möchte, aber ich bin neugierig. »Warum habt ihr euch getrennt?«
»Warum habt ihr euch getrennt, du und dein Freund?«, kontert er.
Wenn er es so haben will – von mir aus. »Er ist wegen eines Jobs nach Westaustralien gezogen. Er ist Wartungstechniker bei einer großen Bergwerksgesellschaft. Die Fernbeziehung hat bei uns nicht funktioniert.«
»Hast du nicht mal drüber nachgedacht, ihn zu begleiten?«, fragt er.
»Nein. Ich habe einen guten Job in Sydney.«
»Klingt, als hätte es nicht sein sollen.«
»Stimmt. Sonst hätten wir es hinbekommen. Aber wir waren auch nur ein Jahr zusammen.«
»Versuch’s mal mit acht«, antwortet er trocken.
»Acht? So lange warst du mit deiner Freundin zusammen?«
»Ja. Wir haben uns im letzten Jahr an der Uni kennengelernt.«
»Wie alt bist du?«
»Gerade dreißig geworden. Und du?«
»Achtundzwanzig.«
Er fährt sich mit der Hand durch die Haare und stützt den Ellbogen wieder aufs Regal. Seine Wimpern sind lang und dunkel. Wie seine Augen wohl bei Tageslicht aussehen? Sie sind entweder grün oder blau.
»Und warum habt ihr euch nun getrennt?«, frage ich. »Du bist dran«, erinnere ich ihn lächelnd.
Er zuckt die Achseln. »Wie das eben so läuft.« Er geht nicht weiter ins Detail.
»Unfair«, beschwere ich mich.
»Wir hatten uns seit einer ganzen Weile auseinandergelebt«, verrät er mir schließlich. »Ich glaube, sie steht auf jemanden bei der Arbeit.«
»Hat sie dich betrogen?«, frage ich stirnrunzelnd.
»Ich glaube nicht«, erwidert er. »Aber sie wollte, glaube ich. Jetzt kann sie tun und lassen, was sie will.« Er presst die Lippen aufeinander; dann trinkt er einen Schluck Bier. »Allerdings haben wir eigentlich nur eine Auszeit«, fügt er düster hinzu.
»Was soll das denn heißen – Auszeit?«, frage ich gereizt. »Habt ihr euch nun getrennt oder nicht?«
Er verdreht die Augen. »Mir gefällt diese Bezeichnung auch nicht. In Wirklichkeit möchte sie sehen, was sonst noch im Angebot ist, während ich brav auf sie warte. Danach will sie darüber nachdenken, ob sie eine Familie gründet.« Wütend trinkt er noch einen Schluck Bier.
»Dann warte eben nicht«, sage ich. »Mach einfach dasselbe.«
Sein Blick begegnet meinem und hält ihn fest. Mein Puls beginnt zu rasen. Plötzlich ruft jemand seinen Namen. Ich zucke zusammen und drehe mich um: Nigel kommt mit der Zielstrebigkeit der Betrunkenen auf uns zu. »Wir dachten, du wärst schon nach Hause gegangen!«, ruft er verwundert. Ich sehe an ihm vorbei und entdecke Brian, der mit … Kelly und Maria tanzt? Die übrigen beiden Junggesellenabschiedler scheinen gegangen zu sein.
»Komm, tanz mit uns!«, schreit Maria und winkt mich aufgeregt zu sich.
Ihre dunklen Haare schwingen um ihr olivfarbenes Gesicht, glänzend und anscheinend völlig unverschwitzt. Sie ist professionelle Hairstylistin und Visagistin und wird Polly für die Hochzeit zurechtmachen, also kennt sie garantiert alle Tricks.
»Jetzt kommt schon!«, drängt Nigel, packt meinen Arm mit seiner heißen, verschwitzten Pranke und zerrt mich zu den anderen.
Alex bleibt nichts anderes übrig, als uns zu folgen.
»Jetzt betrunken genug?«, frage ich ihn grinsend, als wir bei den anderen ankommen. Offenbar sind wir beide betrunken genug, denn als Red Red Wine aus den Lautsprechern dröhnt, beginnen wir ebenfalls zu tanzen. Ich wende mich ihm zu, halte mein Glas in die Höhe und singe mit, weil man kaum anders kann. Es ist ein erotischer, lässiger Song. Alex grinst mich an und legt mir die Hand auf die Hüfte. Ich glaube, mein Herz bleibt stehen. Dann rücke ich instinktiv näher an ihn heran. Meine Augen sind auf einer Höhe mit seinen Lippen, und die sind perfekt: nicht zu dünn, nicht zu voll.
»Wann fliegst du wieder nach Hause?«, brüllt er mir ins Ohr.
»In knapp zwei Wochen.«
Er rückt ein Stück ab und reißt die Augen auf. »Langer Flug für so kurze Zeit.«
»Ich habe nicht länger freibekommen. Meine Chefin ist eine kleine Sklaventreiberin.«
»Was?« Er runzelt die Stirn, legt mir die Hand an den Kopf und zieht mich näher zu sich, damit er mich besser hören kann.
Ich spüre, wie die Hitze seines Körpers in mich hineinsickert, und bekomme eine Gänsehaut. »Nach der Hochzeit fahre ich nach Italien.«
»Allein?«
»Ja. Rom, Florenz, Venedig, falls die Zeit reicht.«
Er legt mir wieder die Hand auf die Hüfte, und wir tanzen weiter. Red Red Wine geht zu Ende, und danach läuft ärgerlicherweise The Only Way Is Up von Yazz. Das war’s mit dem Engtanz.
»Möchtest du noch was zu trinken?«, frage ich ihn.
Als wir an Maria vorbeigehen, zwinkert sie mir zu. »Möchtet ihr noch was?«, erkundige ich mich bei ihr und Kelly.
»Nein, danke. Ich glaube, wir gehen bald.« Sie deutet mit dem Daumen auf Alex, der schon zur Bar vorgeht. »Der ist aber ein Schnuckelchen.«
»Wem sagst du das«, schreie ich ihr ins Ohr.
»Prost.« An der Bar stoße ich mit ihm an, trinke einen Schluck und blicke dabei kokett zu ihm auf. Er steht ganz dicht vor mir, meine Highheels kuscheln zwischen seinen Converse-Sneakers, und plötzlich habe ich lauter Schmetterlinge im Bauch.
»Bis dann, Bronte!«, unterbricht uns Maria. Alex tritt einen Schritt zurück, und sie und Kelly umarmen mich zum Abschied.
»Fährst du am Freitag zu Grants Eltern?«, frage ich Maria.
»Am späten Nachmittag«, erwidert sie. »Ach, das wollte ich dich noch fragen: Soll ich dir für die Hochzeit die Haare machen und dich schminken?«
Sie macht das für Pollys engsten Kreis, aber mir war nicht klar, dass ich dazugehöre.
»Wirklich? Bist du sicher?«
»Ja. Polly bat mich, dich zu fragen.«
Also bin ich ihr doch wichtig, auch wenn sie mich nicht gebeten hat, ihre Brautjungfer zu sein. »Das wäre toll.« Ich lächele sie an, dann füge ich trocken hinzu: »Ich wette, im Augenblick sehe ich fürchterlich aus.«
»Quatsch, du siehst großartig aus.« Aber dann reibt sie mit den Daumen unter meinen Augen entlang – offenbar kann sie nicht anders. »Jetzt siehst du perfekt aus. Bis Freitag.« Zu Alex sagt sie fröhlich: »Bis dann!«.
»Ich dachte, mir stünde ein beschissener Abend bevor.« Erleichtert schüttelt Alex den Kopf. »Ich bin froh, dass ich dich kennengelernt habe.«
»Ich bin auch froh, dass ich dich kennengelernt habe«, entgegne ich lächelnd. Er sieht mir lange in die Augen.
»Welche Farbe haben deine Augen?«, frage ich neugierig. Ich kann sie immer noch nicht richtig erkennen.
»Blau. Und deine?«
»Grün.«
Plötzlich taumelt er gegen mich, denn Brian stolpert mit Nigel an ihm vorbei.
»Er hat gerade auf die Tanzfläche gekotzt«, erzählt Brian keuchend und versucht, Nigel aufrecht zu halten.
Erst mit leichter Verzögerung nehme ich Alex’ Hand an meinem Bauch wahr.
»Ich bringe ihn nach Hause«, sagt Brian.
»Warte kurz«, sagt Alex zu mir. »Ich setze die beiden nur schnell ins Taxi.«
Ich nutze die Gelegenheit und gehe zur Toilette. Mein Make-up sieht gar nicht so übel aus. Maria muss Perfektionistin sein. Ich lege frischen Lippenstift auf und kehre an die Bar zurück. Alex ist nirgends zu sehen. Als er nach ein paar Minuten immer noch nicht wieder da ist, befürchte ich schon, dass er gar nicht mehr kommt. Und überhaupt, was mache ich hier eigentlich? Wie soll dieser Abend enden? Ich hatte noch nie einen One-Night-Stand, und ich werde jetzt nicht damit anfangen. Wenigstens glaube ich das. Oder doch? Ob ich einfach gehen sollte?
Aus dem Augenwinkel sehe ich blaues Lycra, und schon steht Batman mit seinem schmierigen Grinsen vor mir.
»Hey, meine Schöne.« Mittlerweile ist er noch betrunkener.
»Kein Interesse«, antworte ich in gelangweiltem Ton.
»Du weißt doch noch gar nicht, was ich sagen will«, sagt er und streichelt meinen Arm.
»Fass mich nicht an!«, rufe ich und schlage seine Hand weg. Ich weiß ja, wo seine Finger heute Abend schon waren. Er lacht bloß. Dann stolpert er rückwärts, und Alex steht zwischen mir und ihm, die Hand auf Batmans Brust.
»Verpiss dich bloß!«, höre ich Alex brüllen.
Batman hebt beschwichtigend die Hände und weicht zurück. Alex dreht sich zu mir um, und der Zorn in seinem wunderschönen Gesicht lässt mir den Atem stocken. Er tritt zu mir, zögert nur eine Sekunde, aber die Zeit scheint langsamer zu vergehen, und dann liegen seine Hände in meinen Haaren und seine Lippen auf meinen.
Oh, wow, das fühlt sich unglaublich gut an. Wenn ich bedenke, dass ich um ein Haar einfach gegangen wäre … Unser Kuss wird leidenschaftlicher, und Schauer der Erregung laufen durch meinen Körper. Dann löst er sich von mir. Nein, nein, nein, nicht aufhören! Er sieht mir direkt in die Augen und ist mir noch immer so nahe, dass ich spüre, wie seine Brust sich heftig hebt und senkt. Ich lege ihm den Arm um die Taille, ziehe ihn noch enger an mich und spüre durch den dünnen Stoff seines Hemds seinen warmen Körper. Dann küsst er mich erneut, und alles um mich herum verschwimmt. Er küsst so anders als Jason. Jasons Lippen waren voller, seine Küsse waren feuchter und nicht immer nur angenehm. Alex dagegen … Alex könnte ich stundenlang küssen.
Irgendwann höre ich Pfiffe und Händeklatschen, und als wir uns widerstrebend voneinander lösen, stellen wir fest, dass der Club hell erleuchtet ist. Es läuft keine Musik mehr, die letzten Gäste gehen gerade, und zwei Typen grinsen uns im Vorbeigehen anzüglich an.
Ein wenig verlegen tritt Alex einen Schritt zurück. Ich seufze und lächele ihn zaghaft an. Der Club schließt, und ausgerechnet wir sind die letzten Mohikaner, obwohl wir beide ursprünglich gar nicht hier sein wollten.
Wir schließen uns den anderen Leuten an, die sich die Treppe hinaufschieben und aus dem Club in die kühle Nacht hinausströmen. Alex sieht auf die Uhr.
»Wie kommst du nach Hause?«, frage ich. Zu meiner Ernüchterung blickt er suchend die Straße entlang.
»Für die U-Bahn ist es zu spät«, erwidert er. »Mit dem Taxi, falls ich eins bekomme. Aber zuerst bringe ich dich zu deinem Hotel.«
»Hier lang.« Ich deute nach links, und wir machen uns auf den Weg. Als wir um eine Ecke biegen, erblicken wir ein Stück vor uns zwei einsame Gestalten, die ein Taxi heranwinken.
Batman und Robin.
»Jetzt haben sie sich solche Mühe gegeben und sind trotzdem bei keiner gelandet.«
Alex geht weiter, die Schultern hochgezogen. Es ist kalt. Ich verschränke die Arme vor der Brust und eile ihm hinterher. Jetzt spüre ich auch meine schmerzenden Füße wieder. Aus einem Impuls heraus hake ich mich bei Alex unter. Nach kurzem Zögern nimmt er die Hand aus der Tasche und legt den Arm um mich.
»Was machst du morgen?«, fragt er, während ich mich an ihn schmiege.
»Ich wollte mir ein bisschen die Stadt ansehen, den Tower of London und so. Zum Mittagessen treffe ich mich mit Polly, wenn sie nicht zu verkatert ist. Und du?«
»Meine Mutter macht einen Braten.«
»Das ist doch nett.« Ich kichere. »Muss ja auch Vorteile haben, wenn man zu Hause wohnt, was? Macht sie auch deine Wäsche?«
Er lacht. »Ja, das macht sie tatsächlich.«
»Noch ein Bonus.« Ich grinse ihn an, aber er blickt nach vorn.
»Ist es das?«, fragt er.
Ich folge seinem Blick und entdecke das Hotelvordach und die großen Blumentöpfe auf dem Bürgersteig davor, in warmes Licht getaucht, das durch die Glastür nach draußen fällt. »Ja«, erwidere ich niedergeschlagen.
Den Rest des Weges legen wir schweigend zurück. Wo die Dunkelheit auf das Licht trifft, bleiben wir zögernd stehen und wenden uns einander zu. Er sieht mich lange an. Schließlich trete ich auf ihn zu, greife in die lockigen Haare in seinem Nacken und hebe den Kopf. Sein Mund kommt mir entgegen. Ich erwidere seinen Kuss leidenschaftlich, will jede Sekunde ganz und gar auskosten. Er legt mir die Hand auf den Rücken und zieht mich an sich. Verlangen durchzuckt mich, und ich schnappe nach Luft, atemlos, schwindelig vor Sauerstoffmangel. Er löst sich von mir; seine Pupillen sind groß und dunkel.
»Komm mit mir rein«, flüstere ich – mein Herz lässt es mich aussprechen, bevor mein Verstand Schritt halten und möglicherweise intervenieren kann.
Er nickt, und dann liegt meine Hand in seiner, wir betreten gemeinsam die Hotellobby, und er drückt den Aufzugknopf. Ich blicke stur auf den Aufzug und sehe mich nicht zur Rezeption um, aus Angst, eine von Pollys Kolleginnen könnte mich erkennen und ihr morgen Bericht erstatten. Die Aufzugtür öffnet sich, und wir treten ein. Ich drücke den Knopf für den dritten Stock, und schon küssen wir uns wieder. Ich bin eingezwängt zwischen Aufzugwand und seinem festen Körper – eine köstliche Falle.
Während wir über den Flur zu meinem Zimmer gehen, suche ich schon in der Handtasche nach dem Schlüssel. Das Herz klopft mir bis zum Hals, aber nun beschleichen mich Zweifel.
Will ich mich wirklich auf den ersten One-Night-Stand meines Lebens einlassen?
Das grüne Lämpchen am Kartenleser leuchtet auf, und ein Klicken ertönt. Ich drücke die Tür auf und drehe mich zu Alex um. Das Zimmer liegt im Dunkeln, und meine Willensstärke verbirgt sich in irgendeiner schattigen Ecke. Ich will jetzt nicht aufhören. Unsere Küsse werden sanfter. Ich lasse die Hände unter sein Hemd gleiten und streiche über seine weiche Haut, die feste Muskeln umschließt. Als ich mit der Hand unter den Bund seiner Jeans fahre und mit dem Daumen über die Haare oberhalb des Nabels streiche, seufzt er. Ich öffne seine Gürtelschnalle, und unsere Küsse werden fiebriger. Er findet den Reißverschluss an der Rückseite meines Kleides und zieht ihn herab. Ich lasse das Kleid von den Schultern gleiten und danke einer wohlmeinenden Vorsehung dafür, dass ich heute hübsche Unterwäsche trage. Schnell haben wir uns bis auf die Unterwäsche ausgezogen, lassen uns aufs Bett fallen und küssen uns, während unsere Glieder sich umeinander schlingen.
Es knistert auf dem Kopfkissen. »Was ist das denn?«, murmelt Alex.
»Schokolade.« Ich greife hinter mich und fege mindestens ein halbes Dutzend kleine Täfelchen zu Boden.
»Du bist offenbar beliebt bei den Zimmermädchen«, flüstert er, während er meinen BH aufhakt. Dann findet sein Mund eine meiner Brustwarzen, und ich bin sprachlos vor Verlangen. Seine Lippen kehren zu meinem Mund zurück, und ich schlinge die Beine um ihn. Oh, wow, er will mich wirklich. Und mir geht es genauso. Plötzlich erstarrt er. »Was ist?«, stoße ich hervor. Bitte hör jetzt nicht auf!
»Ich habe nichts dabei«, sagt er leise. »Ich meine, ich habe nicht damit gerechnet …«
Mist! Kondome. »Nein, ich auch nicht«, gebe ich zu und könnte mich dafür treten. »Ich habe das noch nie gemacht.«
Wir keuchen beide.
»Ich … ich nehme die Pille«, sage ich zögernd. »Ich war mit niemandem mehr zusammen seit … Ich meine, ich weiß, dass ich nichts habe …«
»Ich auch nicht. Ich hatte niemanden seit …«
Keiner von uns spricht den Namen des Expartners aus.
Ich hebe den Kopf und küsse ihn sanft auf den Mund. Er erwidert den Kuss, aber dann löst er sich von mir.
»Bist du sicher?«, fragt er leise. »Wir müssen nicht.«
»Ich möchte aber«, flüstere ich. »Du nicht?«
Es ist so dunkel, dass ich nicht viel sehen kann, aber ich bilde mir ein, hören zu können, dass er lächelt. »Klar, natürlich.«
Was kann schlecht daran sein, eine leidenschaftliche Nacht mit einem schönen Mann zu verbringen? Ich fahre mit den Fingernägeln über seinen Rücken und ziehe ihn in mich, ohne dass unsere Lippen sich voneinander lösen. Das Gefühl ist so intensiv, dass es mir den Atem nimmt.
Als ich aufwache, habe ich keine Ahnung, wie spät es ist. Mit dumpf pochendem Kopf drehe mich auf die andere Seite und blicke Alex an, der neben mir tief und fest schläft. Ich betrachte ihn ausgiebig: Die hinreißenden dunklen Wimpern sind wie Minifächer geschwungen. Im Schlaf sieht er sehr friedvoll aus. Am Kinn hat er einen Bartschatten, und seine schwarzen Haare sind unheimlich sexy. Durch einen Spalt zwischen den Vorhängen fällt Sonnenlicht auf sein Gesicht. Ich stütze mich auf den Ellbogen und beobachte die silbrigen Staubkörnchen, die in den hellen Sonnenstrahlen tanzen.
Alex murmelt etwas, und ich sehe ihn an.
»Wow, deine Augen sind aber richtig blau«, sage ich überrascht. Meine Stimme klingt rauchiger als sonst.
Schläfrig lächelt er mich an. »Wie spät ist es?« Auch seine Stimme klingt anders, ist belegt vom Schlaf und dem Alkohol.
»Ich weiß nicht. Ich glaube, es ist später Vormittag, dem Sonnenlicht nach zu urteilen.« Ich sehe zum Fenster. »Sieh dir den Sonnenstrahl an. Die Staubkörnchen darin sind wie Feenstaub. Zauberhaft.«
Er runzelt die Stirn. »Wovon redest du?«
»Siehst du die Staubkörnchen nicht?«
»Nein.«
»Vielleicht musst du das Gesicht aus dem Sonnenstrahl raushalten, um zu sehen, wie schön das ist.«
»Du bist schön.« Er streicht mir eine Haarsträhne hinters Ohr.
Ich grinse ihn an. »He, hast du mir da gerade ein richtig kitschiges Kompliment gemacht?«
Träge zuckt er die Achseln. »Möglich.« Er umfasst meinen Kopf und zieht mich zu sich herab, um mich zu küssen. Ich küsse ihn kurz, widerstehe aber der Versuchung, weiterzugehen.
»Lass mich nur eben die Zähne putzen.«
Ich schlüpfe aus dem Bett und bin verunsichert, weil ich so nackt bin, wie der liebe Gott mich schuf.
»Kannst du mir mein Handy zuwerfen? In der hinteren Hosentasche«, bittet er, ohne etwas von meiner Verlegenheit zu ahnen. »Ich sollte meinen Eltern lieber eine SMS schicken, damit sie wissen, dass ich noch lebe.« Er betrachtet mich, und ich spüre, wie ich rot werde, während ich die Taschen seiner Jeans durchsuche. Ich werfe ihm das Handy zu, und er zieht amüsiert eine Augenbraue hoch. Dann flüchte ich ins Bad und stehe vor meinem Spiegelbild. Ich sehe aus wie ein Panda mit Dreadlocks. Ich löse den Zopf, bürste die völlig zerzausten Haare aus und entferne das Make-up unter meinen Augen. Dann putze ich mir die Zähne, gehe aufs Klo, ziehe den Bademantel an, der an der Tür hängt, und kehre ins Schlafzimmer zurück.
Alex sitzt im Bett und starrt sein Telefon an. Er blickt hoch, und sein Gesichtsausdruck lässt mich wie angewurzelt stehen bleiben.
»Was ist los?«, frage ich beklommen.
Er fährt sich mit der Hand durch die verstrubbelten Haare und blickt wieder aufs Telefon. Ich sehe, dass seine Hand schwach zittert. Er wirkt geschockt.
»Was ist los?«, frage ich noch einmal.
»Zara …«, krächzt er. »Meine … Meine Freundin … Exfreundin …«
So heißt sie also. »Ja?« Ich nicke ungeduldig und warte darauf, dass er es ausspuckt.
»Sie will heute Mittag mit mir essen gehen.«
»Oh.« Ich setze mich aufs Bett, das ein bisschen nachfedert.
Er reibt sich über den Mund, sieht mich aber nicht an.
»Liebst du sie noch?«, frage ich sanft, drehe mich um und lege mich bäuchlings aufs Bett, das Gesicht ihm zugewandt.
»Ich glaube schon, doch«, sagt er leise und sieht mich an. Seine Augen glänzen feucht. Mit einem Mal fühle ich mich schrecklich.
»Also gehst du?«
Er schüttelt den Kopf, hält inne, schüttelt erneut den Kopf. »Ich weiß nicht.«
»Was steht sonst noch in der SMS?«
Er reicht mir das Handy und seufzt tief, während ich lese.
Ich glaube, ich habe einen Fehler gemacht. Ich vermisse dich. Isst du mit mir zu Mittag?
Ich atme zittrig ein und reiche ihm das Telefon zurück.
»Was meinst du?«, fragt er.
»Was ich meine?«, frage ich bestürzt zurück.
»Entschuldige, ich weiß nicht, warum ich das gefragt habe.« Er reibt sich mit beiden Händen übers Gesicht. »Scheiße.«
Sofort bekomme ich Mitleid. »Tja …«, setze ich an.
Hoffnungsvoll blickt er auf, als erwarte er eine Perle der Weisheit von mir.
»Ich fliege in knapp zwei Wochen wieder nach Hause. Es ist also nicht so, als würden wir uns noch mal wiedersehen«, sage ich angespannt.
Er sieht mir in die Augen, und ich habe keine Ahnung, was ihm durch den Kopf geht, aber dann wird seine Miene weich, und er schüttelt noch einmal den Kopf und sieht weg.
»Du hast recht. Natürlich hast du recht.«
Er steht auf, und ich wende den Blick ab, während er seine Boxershorts und die Jeans anzieht. Dann sehe ich traurig zu, wie er sein Hemd zuknöpft. Schließlich setzt er sich neben mich aufs Bett, um Socken und Schuhe anzuziehen. Ich bin völlig fertig.
Er sieht mich an, und ich bin mir ziemlich sicher, dass es ihm genauso geht. »Es war schön, dich kennenzulernen«, sage ich und lächele zaghaft.
Er zieht mich an sich und lehnt seine Stirn an meine. Es ist so eine zärtliche Geste, dass ich mich zurückhalten muss, um ihn nicht zu küssen, als er sich langsam wieder von mir löst. Er drückt meinen Arm, steht auf und fährt sich frustriert mit den Fingern durch die Haare. Dann verschränkt er die Hände hinter dem Kopf. »Das ist so verrückt.«
Ich zwinge mich zu einem lässigen Lachen. »Ja, ein bisschen schon.«
Er schüttelt den Kopf, lässt die Arme sinken und tritt einen Schritt vor. Als ich zu ihm hochblicke, berührt er mit dem Daumen meine Wange und runzelt die Stirn.
»Ich mag dich wirklich«, sagt er mutlos, »ich kann nicht glauben, dass ich dich nie wiedersehen werde.«
Ich seufze, stehe auf und lege ihm die Arme um den Hals. Er vergräbt das Gesicht an meinem Hals und drückt mich an sich.
»Geh lieber.« Sein Hemd dämpft meine Stimme.
Ich spüre ihn nicken. Schließlich löst er sich von mir und geht zur Tür. »Mach’s gut«, sagt er und wirft mir einen letzten Blick aus seinen sehr blauen Augen zu. Dann geht er.
Vergeblich versuche ich, den dicken Kloß herunterzuschlucken, den ich im Hals habe. Ich setze mich aufs Bett, vergrabe das Gesicht in den Händen und kämpfe mit den Tränen. Für One-Night-Stands bin ich offenbar wirklich nicht geschaffen.
»Argh! Verdammter Mist …«
»Was?«
»Scheiße, Scheiße, Scheiße!«, erliege ich dem Drang, kräftig zu fluchen, und bleibe wie angewurzelt auf dem kalten grauen Bürgersteig vor dem Centre Point, einem Hochhaus im Zentrum Londons, stehen.
»Was ist denn?«
Ich funkele Bridget an, die mich ihrerseits völlig verdutzt ansieht. Normalerweise fluche ich nicht so.
»Ich wusste, dass ich was vergessen habe!«
Bridget seufzt. »Was hast du denn vergessen?«
»Diese verdammten Dinger … Mist!«
Ich mache auf dem Absatz kehrt und stürme davon.
»Soll ich Simon dann Bescheid geben, dass du zu spät kommst?«, ruft sie mir hinterher.
»Ja, bitte!«, rufe ich zurück, unfassbar wütend auf mich selbst. Verdammte bescheuerte Dingsdas – mir fällt nicht einmal ein, wie die Dinger heißen, aber ich brauche sie für das Fotoshooting heute Vormittag. Ich sehe auf die Uhr. Ich werde so was von zu spät kommen.
Ich gehe noch schneller, haste die Treppe hinab in die U-Bahn-Station Tottenham Court Road und versuche, mich nicht von der menschlichen Flut, die sich mir entgegenwälzt, umreißen zu lassen. Werde ich mich je an die ungeheuren Menschenmassen in dieser Stadt gewöhnen? Es ist Rushhour, und alle wollen in die Londoner Innenstadt rein und nicht raus. Ich knalle mein Ticket auf den Kartenleser, gehe durchs Drehkreuz und betrete die Rolltreppe. Warum ich zur anderen Rolltreppe sehe – zu der, die aufwärts fährt –, weiß ich gar nicht, aber ich mache es jedenfalls. Und mir bleibt fast das Herz stehen. Da ist Alex.
Ich erstarre und blicke ungläubig in seine blauen Augen. Er begegnet meinem Blick und reißt die Augen auf. Viel zu schnell tragen die Rolltreppen uns aneinander vorbei in die falsche Richtung. Mit klopfendem Herzen hebe ich die Hand: eine stumme Bitte, oben auf mich zu warten. Anscheinend völlig fassungslos wendet er den Blick ab und sieht wieder nach vorn. Ich laufe die restlichen Stufen bis nach unten und schließe mich den Massen an, die sich am Fuß der Rolltreppe nach oben drängen. Ach, was soll’s? Ich drängele mich einfach vor, schiebe und schlängele mich durch die Leute bis ganz vorn und auf die Rolltreppe nach oben, die mir gerade wie die längste Rolltreppe der Welt vorkommt. Mit schmerzenden Beinen und völlig außer Atem komme ich oben an und sehe mich hektisch nach ihm um. Jemand prallt von hinten gegen mich, aber ich nehme es kaum wahr. Noch jemand stößt gegen mich. »Passen Sie doch auf!«
Ich bin wie betäubt. Wo ist er hin? Ich lasse den Blick über Dutzende und Aberdutzende von Pendlern wandern, aber Alex sehe ich nirgends.