Endstation Schlager - Jörg Mandt - E-Book

Endstation Schlager E-Book

Jörg Mandt

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Beschreibung

SCHLAGER sind für viele Menschen Songs, die ihnen die Welt bedeuten. Eskapismus pur. Eingängig gesungene Geschichten, die sie für ein paar Stunden alle Alltagssorgen und Ängste vergessen lassen. Für andere verachtet, verhasst und eine musikalische Bankrotterklärung. Für die meisten aber ein Buch mit sieben Siegeln, eine unverstandene Parallelwelt. Dieses Buch erzählt in einem autofiktionalen Roman die Lebensgeschichte vom "König der Schlagermanager" Jack le Baron. Eine emotionale Achterbahnfahrt durch ein Musikgenre, das von Liebe, Gänsehaut und Leidenschaft erzählt. Aber hinter den Kulissen in Wirklichkeit keine Nächstenliebe kennt, denn hier haben die Gefühle Schweigepflicht! Eine aufregende Reise durch Ton- und TV-Studios, zu Live-Konzerten, den Popschlager-Helden im Ruhrpott, ein Besuch beim Plattenlabel, dem großen Opening von Mallorcas Party-Szene und zu den Newcomern und großen Stars. Immer kämpft Jack, genannt "j.B.", gegen seinen wachsenden inneren Konflikt. Denn er möchte aus dem verachteten Genre ein geachtetes Genre machen. Ob ihm das wirklich gelingt?

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Zu diesem Buch

SCHLAGER sind für viele Menschen Songs, die ihnen die Welt bedeuten. Eskapismus pur. Eingängig gesungene Geschichten, die sie für ein paar Stunden alle Alltagssorgen und Ängste vergessen lassen. Für andere verachtet, verhasst und eine musikalische Bankrotterklärung. Für die meisten aber ein Buch mit sieben Siegeln, eine unverstandene Parallelwelt. Dieses Buch erzählt in einem autofiktionalen Roman die Lebensgeschichte vom „König der Schlagermanager“ Jack le Baron.

Eine emotionale Achterbahnfahrt durch ein Musikgenre, das von Liebe, Gänsehaut und Leidenschaft erzählt. Aber hinter den Kulissen in Wirklichkeit keine Nächstenliebe kennt, denn hier haben die Gefühle Schweigepflicht!

Eine aufregende Reise durch Ton- und TV-Studios, zu Live-Konzerten, den Popschlagerhelden im Ruhrpott, ein Besuch beim Plattenlabel, dem großen Opening von Mallorcas Party-Szene und zu den Newcomern und großen Stars. Immer kämpft Jack, genannt „J.B.“, gegen seinen wachsenden inneren Konflikt. Denn er möchte aus dem verachteten Genre ein geachtetes Genre machen. Ob ihm das wirklich gelingt?

INHALT

3,2,1 Intro & Vorwort

Wir weinen vor Glück und tanzen in den berühmten siebten Himmel

Der König der Manager lebt! Willkommen an meinem Hof

Der Flying-Hirsch Vorfall und die große Liebe am Ballermann

Die TV-Show: von Riesa nach Rust

Im Tonstudio: digital vs. analog und meine Ex nervt mich total

Der Ruhrpott: Seele des Schlagers, Insolvenz & Toiletten in Weiß-Gold

Die junge Volksmusik: Unter dem Dirndl wird wieder gejodelt

Die Fans: Unsere Diamanten und manchmal leider auch Gold-Esel

Das Finale: Der wirklich emotionalste Auftritt meines Lebens

...

16 Monate später– ein Nachruf

Soundtrack des Lebens: Jacks persönliche Playlisten

„ ...Mag sein, dass man sich selber

oft viel zu wichtig nimmt.

Verzweifelt auf ein Feuer hofft.

Wo es nur noch glimmt.

Wenn uns so was auch sehr weh tun kann.

Man stirbt nicht gleich daran.

Nein, sorg dich nicht um mich.

Du weißt, ich liebe das Leben.

Und weine ich manchmal noch um dich.

Das geht vorüber sicherlich ...“

„Ich liebe das Leben“ von Vicky Leandros

3,2,1 – Intro & Vorwort

ENDSTATION SCHLAGER – was dieses Buch nicht ist! Eine schonungslose Enthüllung über ein seit Generationen heiß diskutiertes, aber unzweifelbar, erfolgreiches Musikgenre und ihre handelnden Personen. Eine Freude für literarische Feuilletonisten und Menschen, die auf eine herablassende „Schlager-Comedy“ oder menschenfeindliche, zerstörende „Schlagerleaks“ warten. Auf den nächsten Seiten erwartet euch ein autofiktionaler Roman aus der Sicht eines alternden Schlagermanagers. Vieles davon ist frei erfunden und ausgedacht, einiges aber real und so selbst unzensiert erlebt. Nun dürfen die Leser raten, wer ist wer in diesem Jahrmarkt der Eitelkeiten. Denn dieses Künstlervolk ist einzigartig: Sie lächeln noch, wenn ihnen das Wasser bis zum Halse steht.

Der sympathische, aber etwas grobschlächtige Manager „Jack le Baron“ (genannt J.B.) beschreibt seinen Auf- und Abstieg in einer Szene, die in ihren Songs, Geschichten von Liebe und Herzschmerz erzählt. Aber hinter den Kulissen keine Nächstenliebe kennt. Man liebt ausschließlich sich selbst und die Gefühle haben Schweigepflicht!

Jedes Wochenende feiert Deutschland auf hunderten Konzerten und Partys quer durch die Republik den Schlager. Für Millionen ist diese wahnsinnige Parallelwelt unbegreiflich peinlich, für viele Hunderttausende ist sie aber auch die Flucht aus dem trostlosen Alltag und das glückserfüllte Wegträumen in eine bessere Welt. Typische Gänsehautmomente mit den Händen greifbar statt die bleischwere Depression blass und ausdrucksloser täglicher Job-, Familien- und Eheroutinen.

Unser Protagonist J.B. spielt nach außen den coolen selbstbewussten Manager, wird aber immer wieder von seinen neurotischen Ängsten und Selbstzweifeln eingeholt. Manchmal lustig, manchmal traurig und manchmal ganz schön real. Genau wie die Songs eines Schlageralbums soll dieser Roman die Leser unterhalten - nicht mehr, aber auch nicht weniger.

Die Welt des Schlagers ist wie ein schwarzes Loch, das manchmal schnell und emotionslos Stars und aufgehende Sternchen einfach verschluckt. Wir hören nie wieder etwas von ihnen, nicht einmal in den bunten Klatschblättchen für die 70+ Generation, vor den Kassen in den Discountermärkten. Der Fleischer, der Bäcker, der Lebensmittelhändler, der Büroangestellte, der Bänker und selbst der Blogger – sie alle sind insgeheim unglückliche Männer, die zwar Lohn für ihre Arbeit bekommen, aber keinen Applaus. Wie gerne würden sie ihre Jobs an den Nagel hängen, wenn sie nur irgendetwas mit dem Schaugeschäft zu tun hätten! Warum? Frank Sinatra wusste es: „There‘s No Business Like Showbusiness.“

Schlager und die heile Welt ist sowas wie die Antimaterie zur Pop-Musik, bisher jedenfalls. Denn die Schubladengrenze, die Mauer in den Köpfen, zwischen dem neuen, modernen Schlager und der Pop-Musik ist längst gefallen. Die Antimaterie Schlager ist auch ein beinahe unerschöpflicher Energielieferant und Raketenantrieb für seine Hörer und Macher, hochexplosiver Sprengstoff also mit gewaltiger Zerstörungskraft aber auch ein Musik-Genre, das in seiner Geschichte die Fantasie der Menschen anregt und Gefühle freisetzt.

Bei manchen Schlagerstars bleibt hinter der glänzenden Fassade leider keine Substanz, das erinnert an die Glaspaläste im Frankfurter Bankenviertel. Mehr Show als Sein. Die Pressemitteilung über Schlagerstars und ihre Alben lesen sich inzwischen emotionslos wie Bekanntmachungen aus dem Bundeskanzleramt. Dieser seit Jahren einseitige Verkündungsjournalismus im Schlager erreicht mit seiner „Haltung“ nur das Gegenteil dessen, was er bezweckt. Er bekehrt ja niemanden zum Schlager-Genre. Im Gegenteil, er stößt Interessierte und noch Schwankende mit seiner Plumpheit ab. J.B. ist diesen Weg nie gegangen. Denn Jack le Baron hat Eier, würde ein bekannter Extorwart jetzt sagen. Auch wenn seine Gegner im Geschäft ständig versuchen, ihm diese abzuklemmen, manchmal schmerzt das sehr. Quält, malträtiert das Hirn und nagt an Seele und dem so nötigen Selbstbewusstsein. Aber J.B. steht für die neue Ehrlichkeit und Authentizität in der Branche.

Das ist auch eine Art von Zeitenwende und sicher die neue Währung in diesem Geschäft. Denn J.B. ist immer noch ein König im Geschäft. Und wenn du der König unter den Schlager-Managern sein willst. Dann reicht es nicht, sich wie ein König zu benehmen, du musst auch der König sein. Und daran darf bei keinem auch nur der Hauch eines Zweifels aufkommen. Denn Zweifel führen nur zum Chaos und zum eigenen Untergang.

J.B. erzählt uns seinen persönlichen Lebens- und Leidensweg bis zur „Endstation Schlager“. Erlebe, wie er eine junge Nachwuchssängerin im roten Ledermini das erste Mal auf der Bühne singen hört. Eine einsame Rose im knochentrockenen Dornengestrüpp.

Jack le Baron ist der tragische Held unserer Geschichte.

Denn sein Lebensmotto ist: „Barfuß oder Lackschuh“

Unser Antagonist und der Gegenspieler von J.B. ist ein Mann aus dem Ruhrpott, dem Schmelztiegel der Kulturen und der selbsternannten Schlager-Glücksritter. In der Szene ist dieser Manager auch bekannt als „XEROX der Kopierer“. Er klaut die Ideen anderer, von denen übrigens viele auch schon einmal geklaut wurden. So ist das einfache Grundgesetz im Schlagermetier. Das hat jeder hier jeder als DNA mit im Blut.

Die Drama-Queen Janina. Sie ist sowas wie die Schweiz des Schlagers. Neutral und als weiblicher Manager in der Szene anerkannt und gefürchtet. Frauen stehen gewöhnlich im Schlager in sexy Outfits oder bestenfalls im Dirndl auf der Bühne. Manche sind zu schön für den Schlager, werden aber gerne genau deshalb in TV-Shows besetzt. Denn schließlich muss nach dem Ende des „Deutschen Fernsehballett“ der Zuschauer neben Schlager zu seiner Unterhaltung auch Bein und nackte Haut präsentiert bekommen.

Die Drama-Queen Janina ist eine Diva, die im Sommer an der Playa von Mallorca, auf Ibiza und Sylt immer einen perfekten Auftritt hinlegt wie im Winter in Sankt Moritz am Matterhorn. Im berühmt berüchtigten „Billionaire’s Club“ von Flavio Briatore im Küstenörtchen Porto Cervo auf der italienischen Insel Sardinien tanzt sie mit dem Geldadel aus Italien, Schweiz, Schweden, Deutschland oder Großbritannien. Nie aber mit dem aus Russland.

Und es gibt natürlich noch viele Nebendarsteller in diesem Buch. Da ist zum Beispiel „Napoleon“ aus Hamburg. In Frankreich ist es bei Strafe verboten, ein Schwein "Napoleon" zu nennen, in der Schlagerbranche darf man das schon. Manager und Eventveranstalter „Napoleon“ Siggi aus Hamburg war Soldat, ist deshalb zackig in seinen Anweisungen, lässt eigentlich keine anderen Meinungen als die Eigene zu. Ein Schlager-Söldner durch und durch. Der Mann trägt seine Anzüge wie eine Uniform. Er ist immer ganz in Schwarz gekleidet, als würde er gerade von der Beerdigung seiner verhassten Schwiegermutter kommen. Wirklich, der trägt zum schwarzen Hemd eine noch schwärzere Krawatte. Was uns tief in seine Seele blicken lässt. Siggi glaubt, er trägt die Mode der Philosophen, der großen Denker. Existenzialisten-Style oder zumindest die eines alternden Free-Jazz Trompeters.

Vor jedem Auftritt seiner Künstler klopft oder vielmehr schlägt sich Siggi am Bühnenaufgang auf seine Oberschenkel und schreit lauthals: „Los gehts. Primetime!“ Um es frei mit den Worten von Hunter S. Thomsen zu sagen: „Das Schlagergeschäft ist eine hirnlose und grausame Branche, da laufen Diebe und Zuhälter frei herum. Und gute Menschen gehen vor die Hunde. Aber es hat auch seine negativen Seiten....“

Dann ist da noch die naive Yefalina aus Köln, die ihren Künstlernamen nach einer isländischen Elfe benannt hat. Sie singt eigentlich gewöhnlichen Pop-Schlager, nennt das aber ganz mystisch Eso-Pop. Trägt bunte, Batik ähnliche lange Gewänder im Ibiza-Stil der 80er Jahre und tritt nur barfuß auf. Was ihr schon mehrere Holzsplitter in den Fuß eingebracht und in den Krankenhäusern der Umgebung zumindest für personalisierte Autogrammkarten an zahlreiche Ärzte und aufopfernde Krankenschwestern gesorgt hat. Yefalina ist eine bedingungslose Fachfrau im Social Media Bereich, postet gerne Wandtattoo-Sprüche wie „Folge nicht deinem Alltag, sondern deinen Träumen“.

Und vergessen wir bitte nicht Jonas. Der Mittzwanziger aus Berlin wäre lieber Pop-Star, aber dafür hat sein musikalisches Talent nicht wirklich gereicht. Ein Typ zum Pferdestehlen, gutgläubig und er wechselt seine Manager wie andere die Geschirrhandtücher. Denn verspricht ihn den heiligen Schlager-Gral, den neuen, einzigartigen, ultimativen Hit-Sound. Also, viel Musik und schweißwenig Kohle. Denn Manager verdienen zwischen 15 und 20 Prozent vom Umsatz ihrer Künstler. Nur die Könige nehmen 30 Prozent auf alles. Und wie gesagt Jack le Baron ist der König der Manager. Hier ist dein persönlicher Backstagepass für die einzigartige Schlagerwelt - viel Spaß!

„ ...Ich schau' nach vorn.

Frag' mich was bleibt von mir,

es geht nichts verloren.

Ich lass ' meine Liebe hier.

Die Lieder, die ich schreib'.

Das Leben ist jetzt. Das Leben ist jetzt... “

Das Leben ist jetzt

Thomas Anders

Wir weinen vor Glück und tanzen in den berühmten siebten Himmel

„Lebe im Hier und Jetzt, das ist dein Moment, genieße deinen Augenblick.“ Das alles sind bekannte Texte aus Schlagersongs mit mehr oder minder gelungener Lyrik über die Reflexion der Gegenwärtigkeit. Denn Schlager erschaffen für die Hörer Welten der Illusionen und Fantasie. Kleine Fluchten aus dem Alltagstrott.

Für mich aber erschließt sich mein Leben im Hier und Jetzt, ausschließlich mit einem Rückblick auf das Vergangene. Denn nur wenn ich aus Entscheidungen in meinem Leben, ganz gleich ob positiv oder negativ, die richtigen Schlüsse ziehen kann, wird das auch Einfluss auf mein jetziges und zukünftiges Leben haben. Deshalb lebe ich nicht nur im Augenblick, sondern beziehe in allen Entscheidungen auch meine Erfahrungen und meine Planung für die Zukunft mit ein. Das mach‘ ja Old School sein, ist aber so.

Diese Denkweise hat mich dorthin gebracht, wo ich heute stehe. Mitten in der Hamburger Hafencity, vor einem historischen rot geklinkten Speichergebäude, das inzwischen zu einem schmucken Varieté-Theater umfunktioniert wurde. Im Schatten der berühmten Elbphilharmonie, wo die Elbe in der Hansestadt hier einen kleinen Bogen macht und in leuchtenden Schleifen Richtung Nordsee davon zieht. Weit hinten mit dem Horizont verschmilzt und schließlich dem Auge des Betrachters verloren geht.

Die Sonne geht langsam hinter dem neuen, futuristisch anmutenden Hamburger Wahrzeichen unter, taucht den Hafen in ein warmes orange-goldenes Licht. Der Geruch von Salzwasser, Fisch und Diesel hängt in der Luft, während die mächtigen Containerschiffe gegenüber am Kai anlegen und entladen werden. Die roten Klinkerbauten der Speicherstadt ragen immer noch majestätisch in den Himmel und erinnern mich an vergangene Zeiten, als hier der Handel mit Kaffee, Tee und Teppichen blühte. Die Hochzeit der Hamburger Pfeffersäcke...

Die im bunten Scheinwerferlicht getauchte Speicher-Fassade, mit ihren vielen märchenhaften Dachtürmchen und zahllosen verschnörkelten Bögen werfen wie Lanzen aus Licht glitzernde Schatten auf das Wasser in den Kanälen. Der alte Hafenspeicher sieht so aus, als seien heute alle Diamanten der Welt über seine Klinkerfassade ausgestreut worden. Ich wusste bisher nicht, dass ein Industriedenkmal solch ein Schmuck sein kann. Wenn ich auf die Elbe blicke, überkommt mich immer noch dieses „Junge komm bald wieder“ Fernweh mit „Haifischbar“ und „Eier Carl“ unten am Fischmarkt.

Auf Hochglanz polierte Luxuslimousinen fahren vor und entladen die geballte Schlager-High-Society des Jahres. Die alternde Diva, den Grandseigneur der Liebesschnulzen, die angesagte Newcomerin, deren Schlitz in ihrem atemberaubenden Glitzerkleid dem Betrachter endlose Beine freigibt und damit von ihrer Piepsstimme ablenkt. Ein paar Sekunden später fährt der Blender vor, ein Managertyp, der durch juristisch feinjustierte Knebelverträge zu großem Reichtum und wenig Ansehen gekommen ist.

Es folgt ein Ballermannsänger mit dem One Hit Wonder im goldfarbenen Smoking und das ewige Talent. Ein smarter Popschlagersänger aus dem Ruhrgebiet, der sich auch noch in zehn Jahren als das „Talent des Jahres“ in den Medien feiern lässt. Für ihn ist immer das Hier und Jetzt. Und schließlich der „Angsthase“, er ist genau das Gegenteil einer Rampensau. Natürlich kommt er im Anzug von der Stange, freundlich lächelnd, nur keinen Fehler machen und die Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Der Mann hat zwar eine tolle Stimme, wäre aber besser in die Politik nach Berlin gegangen. Dort wäre seine Parteikarriere besser verlaufen als im Moment sein Vorwärtskommen in der Welt des Schlagers. Die sich der breiten Öffentlichkeit immer noch mehr künstlich als intelligent präsentiert. Ich habe mich schon lange keiner Aussicht mehr erfreut, die solch einen heiteren und befriedigenden Zauber gewährte, wie diese Momente der Selbstdarstellung auf dem berühmten Teppich, der für ein paar Sekunden die faserige Verbindung zwischen, Star, Medien und den Fans da draußen perfektioniert. Noch in der Nacht wird der Teppich auf den Müll geworfen, wie manche Schlagerkarriere, die so vielversprechend als „Talent des Jahres“ begonnen hatte.

In diesen Momenten betrachte ich mein Leben wie durch ein Fernrohr. Denn unser kleiner Schlagerkosmos, der sich heute hier versammelt hat, ist und bleibt für viele Menschen ein anderer Planet. Oft verrufen, abgestempelt und in eine untere Schublade der deutschen Kultur verstaut. Aber genau diese einseitige Betrachtungsweise ist seit Anfang an mein innerer Konflikt. Ich möchte mit meinem Leben und meiner Arbeit als Schlagermanager aus einem geächteten Genre ein geachtetes Genre machen. Das ist mein Traum, für den ich zumindest bisher gelebt habe.

„Zeitenwende“ ist das viel zitierte Wort des Jahres, warum gibt es eigentlich noch keinen Schlager mit dem Titel „Zeitenwende“. Nicht politisch interpretiert, sondern die uns im Moment alles beherrschenden Alltagssituationen aufgreifend und Mut machend. Augen zu und leugnen, ist das Rezept von zahlreichen Sängern und Sängerinnen nebst ihren Managements.

Ja, die Cancel-Culture, das neue Maß der Dinge, hat auch unsere Branche erreicht, da wird jetzt nicht mehr „Cowboy und Indianer“ gespielt und wenn die Fans noch so viele Lassos rausholen. Jede Harmlosigkeit wird zum Hochverrat am Genderismus aufgeblasen. Es ist ein gespenstisches Ritual der Zerstörung immer neuer Lebensbereiche, selbst unsere heile und rosarote Schlagermärchenwelt hat dabei canyontiefe Risse bekommen. Newcomer der Branche, Booker und immer mehr Veranstalter fighten den täglichen Kampf ums Überleben. Unsere Fans haben Ängste vor Krankheit, Krieg, Preisexplosionen bei Lebensmitteln, steigenden Klima- und Energiekosten. Sie stecken fest in einer Phase der Fassungslosigkeit. Für das anstehende Schlagerkonzert ihre Lieblingsstars bleibt das Portemonnaie dann eben mal zu. Das noch vor ein paar Jahren so stabile Geld ist verschwunden in einem Tsunami aus Staatsverschuldung und Gelddruckerei. Die Marktwirtschaft wird durch immer neue Verbote und Vorschriften bei Produktion und Finanzierung schrittweise außer Kraft gesetzt. Und während überall neue Opernpaläste in citynahen Toplagen mit Millionen Steuergeldern als Kultur-Kathedralen aufgebaut werden, wird der deutsche Schlager weiterhin mit keinem Euro subventioniert.

„RUMMS“, ein lauter Knall holt mich zurück in die Wirklichkeit. Ein Scheinwerfer alter Bauart, noch nicht mit nachhaltiger, energiesparender LED-Technik hergestellt, ist soeben unüberhörbar explodiert. Ein kleiner Stich im linken Brustkorb versetzt mich zurück in die Gegenwart. Das Leben ist jetzt. Nur der bekannte Volksmusikstar aus dem Alpental, in bestickter Hirschlederhose und schwarzgrünem Trachtenjanker mit den ausgeleierten Hirschhornknöpfen, zieht genüsslich weiter an seinem selbstgedrehten Joint und nickt anerkennend zu mir herüber.

In ein paar Minuten werden wir alle gleich wieder vor Glück weinen, in den siebten Himmel tanzen und uns gegenseitig unser Gänsehautfeeling beschreiben. Bevor also die große Show und der Jahrmarkt der Eitelkeiten auf der Bühne und im Theatersaal beginnt, möchte ich euch jetzt mitnehmen auf eine Achterbahnfahrt durch mein Leben als Schlagermanager. Zurück in eine Zeit der ausschweifenden Partys, hemmungslosem Sex und tragischen Insolvenzen: ENDSTATION SCHLAGER.

Dialog mit einem Taxifahrer von Gelsenkirchen-Mitte zur Arena Oberhausen: „Hömma! Willste etwa auch zu dieser Pop-Schlagerparty? Da habe ich gerade vier aufgedonnerte Wendler-Schabracken hingefahren ...“

„Und wurdest du ausgeraubt?“

„Nee, cash bezahlt, sogar mit ‘nem Fünfer

Trinkgeld!“

„Na also!“

Der König der Manager! Willkommen an meinem Hofe

Mein Name ist „Jack le Baron“, ich bin von Beruf Schlager-Manager oder sagen wir lieber von Berufung, denn Arbeit nur um der Arbeit willen, ist gegen jede menschliche Natur. Und Schlager-Manager sind eben auch nur Menschen. Und JA, das ist ein verdammter Künstlername! In der Schlagerszene werde ich von allen seit 30 Jahren nur J. B. („Jai Bee“) genannt. Natürlich ist dieser Terminus, wie so vieles andere an mir auch ein Fake, denn in meinem Ausweis steht unter Name: „Horst Strankowski“. Mit dieser Anrede kann man vielleicht noch eine mittlere Polit-Karriere in Berlin oder bei der EU in Brüssel beginnen oder eine Beamtenlaufbahn im Finanzamt Wuppertal, aber in der Schlagerbranche, die in etwa so authentisch ist, wie ein pinkfarbenes Einhorn in den Straßen von Berlin-Neukölln, bist du als so einfacher Horst für immer chancenlos.

Ja, ich habe sie alle gehabt – und damit meine ich nicht den hemmungslosen Sex – die Jungfriseurinnen, Zahnarzthelferinnen, Barkeeper und Tresenaushilfen, Abiturienten, Automechaniker und Schaufensterdekorateure, Versicherungsvertreter und natürlich die Schönen und Hässlichen von Beruf Tochter oder Sohn, die alle keinen geraden Ton singen können, aber einen Kleinkredit auf das Walmdachhäuschen ihrer Oma aus Wanne-Eickel erbetteln, um die Rechnungen für die Produktion ihrer ersten eigenen Schlager-CD bei einem „Hit-Produzenten“ bezahlen zu können.

Die gelangweilten (sie waren wirklich die Ehrgeizigsten auf der Bühne und im Bett) und die engagierten Hausfrauen, die sich zwischen der Neuanpflanzung eines Kräuterbeets mit Frucht-Salbei, Thai-Koriander und Zitronenverbene im Kleingarten und dem sonntäglichen Kochen von Rotkohl, Kartoffelklößen und klassischem Rinderbraten mit extra viel Soße für ihren alten Spießer daheim zu Tode langweilen. Um sich dann gegen die innere Leere mit Anfang 40 keinen jungen Loverboy ins frischgemachte Ehebett zu holen, wie viele andere gutgestellte Frauen es in ihrer „Midlife Krise“ machen. Sie fühlen sich noch immer jung und gleichzeitig zum ersten Mal alt. Nein, diese Frauen wollen auf ihrem Lebensweg einfach noch mehr - eine Schlagerkarriere mit allem Drum und Dran. Ein bisschen Spaß muss sein!

Plattenvertrag, die eigene CD mit Fanpaket, Radio Airplaycharts, die große Samstag-Abend-Show im Fernsehen und Hochglanz Doppelseiten in Bunte und Gala oder zumindest in Freizeit Revue, dem goldenen Blatt oder Frau mit Herz. Ich habe ihnen das alles besorgt, ihre Wünsche und Träume erfüllt, denn ich bin der König der Schlager-Manager. Und Schlager ist seit einigen Jahren sowas, wie der heilige Pfad in Richtung Santiago de Compostela. Auch hier ist aus einem kleinen Weg der „Selbstfindung“ inzwischen eine dreispurige Autobahn geworden, voller als das Kamener Kreuz an der A1 im Osterreiseverkehr.

Seitdem der Superstar Helene F ganze Fußball-Stadien füllt, ist ein wahrhaftiger „Schlager-Rausch“ in Deutschland ausgebrochen. Ein Schlager-Boom, wie einst der Goldrausch am Klondike bei Dawson. Und daran hat selbst dieses verdammte Corona-Virus nichts geändert. Die vieldiskutierten Lookdowns haben uns zurückgeworfen, aber nicht umgebracht. Der Schlager überlebt alles, auch eine üble Corona-Pandemie. Was viele der musikalischen Glücksritter in ihrer Adrenalin-Ekstase allerdings vergessen ist, dass die meisten bei der Goldsuche in am Klondike in Kanada ihr Leben gelassen oder zumindest schwere gesundheitliche Schäden davongetragen haben. Vom Alkohol ist da noch keine Rede. Heute sind die Goldnuggets von damals, die ewige Suche nach dem ganz großen Hit. Diese Gier nach dem Erfolg wird dann oftmals teuer mit einer langjährigen Privatinsolvenz bezahlt. Warum nur hast du nicht nein gesagt?

Für den schnellen Erfolg wird fleißig Geld investiert. Natürlich nicht in wöchentlichen Gesangsunterricht und einem Musiklehrer, der den „Shooting-Stars von morgen“ zumindest den Unterschied zwischen Moll und Dur beibringt. In der Schlagerbranche ist übrigens fast jeder laut seiner schlecht zusammengeschusterten Kurzbiografie ein „Newcomer des Jahres“, ein „Senkrechtstarter“, ein „Chartstürmer“ oder hatte bisher nur „Hits“. Nein, Hairstylisten, Personaltrainer, Boutiquebesitzerinnen und angesagte Schönheitschirurgen sind die großen finanziellen Gewinner des aktuellen Schlagerbooms. Alles für das beste Selfie bei Facebook, Instagram oder TikTok. Atemlos!

Bei der, vor dem Schlafzimmer-Ganzkörperspiegel sauber einstudierten Liveperformance ihres Schlagers, mag ja noch alles ganz geschmeidig aussehen. Wenn Freundinnen bei der dritten Flasche „Veuve Monsigny“ Rosé-Champagner von ALDI Süd, Kinder und Ehemann im Wohnzimmer freundlich wohlwollend applaudieren. Aber auf der Live-Bühne vor dem Publikum, mit Halbplayback, klingt die neue Schlager-Diva dann wie ein Drache auf Hämorriden. Nach den ersten Pfiffen und Buh-Rufen aus dem gnadenlosen Publikum vergisst sie auch noch ihre sorgfältig vor dem Spiegel eingeübte Tanz-Choreografie. Dann wird plötzlich nur noch mit den Armen gerudert, wie bei Deplhinschwimmversuchen für das Seepferdchen-Abzeichen und der „Star von morgen“ zuckt so plötzlich wie eine Epileptikerin auf einer Stroboskopen-Tagung. Schachmatt...

Da ist der Manager dann als Psychologe gefordert, um die „Künstlerin“ wieder mental aufzubauen. Manager im Schlagergeschäft, das ist übrigens ein „Hybrid-Beruf“, eine Mischung aus Ratgeber, Psychologe, gnadenloser Geldeintreiber, Kreditinstitut, Anwalt, Pressesprecher und Reisebüro, in den seltensten Fällen ist er auch ein guter Freund. Ich habe als Manager viele Aufgaben, aber Ehrlichkeit fällt nicht darunter.

„Hör mal zu Mädchen, das war doch gar nicht so schlecht. Wird schon, die Technik war sowieso das Allerletzte und der Light-Jocky war zum Pinkeln vor der Tür. Beim nächsten Auftritt auf dem Straßenfest in Dinslaken wird dann alles besser. Da sind nur Top-Leute hinter der Bühne am Start. Und an die Choreo gehst du bitte nochmal ran. Und beim nächsten Auftritt mehr ins Publikum fragen: ,Wo sind eure Hände?‘, dann bringe ich dich ins Fernsehen...“, Sätze die jede Newcomerin oder jeder Newcomer schon tausendmal gehört hat. Und am nächsten Wochenende in Dinslaken trifft sie dann dieselben Gesichter. Aber das hat Marion, Chantal oder die schöne Yefalina aus Köln schon wieder vergessen.

„Super J. B., Wahnsinn - das war doch diesmal echt der Hammer und geklatscht haben die auch. Schlagersängerin, das ist genau mein Ding“, freut sich besagte Newcomerin im Backstagebereich vor der Neuntor-Galerie.

„Jetzt muss ich doch bald zum Florian Silbereisen in seine Samstagabend-Show oder mindestens zu Kiwi in den Fernsehgarten beim ZDF. Du hast doch da einen Draht nach Mainz-Lerchenberg - oder! “

„Klar machen wir schon, nun trink erst einmal eine Coke Zero. Dann stelle ich dir den Typen dahinten im Muskelshirt und Uncle Sam Jogger vor. Das ist Tom, der macht die City-Feste in Duisburg. Der steht auf dich, sei nett zu ihm, gibt dort auch 50 Euro mehr auf die Hand...“, antworte ich im ruhigen Vaterton. Dann drehe ich mich um, gehe zum Glaskühlschrank des bekannten Energydrink-Herstellers mit dem roten Bullen im Logo und mache Augen wie ein Mainzelmännchen auf Ketamin...

Das Erste, was ein Schlagerkünstler oder eine Künstlerin für den Auftritt lernen müssen ist die Frage an ihr Publikum: „Wo sind die Hände?“. Am besten im Tonfall des Drillsergeant aus „Full Metal Jacket“. Denn diese Frage hören die Fans bei jedem Schlager-Event hunderte Mal am Abend. Ich warte immer noch auf den Zeitpunkt, dass die Fans vor der Bühne zurück schreien: „An unseren Armen..“.

Leider läuft die Karriere in der Schlagerbranche nicht immer so geradlinig ab wie beispielsweise bei einer klassischen Beamtenlaufbahn, mit Gummibaum und Katzenkalender auf dem Schreibtisch, der obligatorischen Beförderung alle paar Jahre bis zur frühzeitigen Pension mit 56 Jahren, inklusive Krankenkasse.

Obwohl die Macher an den Entscheidungshebeln hinter ihren Designerschreibtischen über das Top oder Flop eines Künstlers gerne in Schubladen denken, verläuft nichts einfach mal so gerade von A nach B. Schlager, das ist wie ein chinesisches Puzzle, wie ein komplizierter Schnittmusterbogen. Da müssen die Künstler schon mal über P, X, Y und Z gehen, um dann endlich am Ziel bei Punkt B anzukommen. Und X, Y, Z sind dann die Karnevals-Party und Stadtfeste zwischen Dortmund und Duisburg und rechts und links von der Autobahn A40, der Hauptschlagader des Schlagers im Ruhrpott.

Die Träume der Newcomer erinnern mich manchmal an New York, wo alle Menschen gen Himmel streben. Das ewige „Up“ ist ihr großes Ziel, eine Loftwohnung im obersten Stockwerk eines Wolkenkratzers, am besten Uptown. Leben und Statussymbole wie die Upperclass. Aber das Leben beginnt hier für die meisten talentierten Künstler im „Down“. Also Downtown mit vielen Jobs um das Überleben kämpfen, jede Menge Asphalt schlucken, bis es dann nur einige nach oben in den ersehnten Show-Himmel schaffen. Downtown das ist auch Essen-Zentrum, Bochum, Bottrop und Wanne-Eickel.

Im emotionalen Schlagerbusiness möchte jeder Künstler, aber genauso jeder Manager die große Bühne in einer Arena bespielen. Hamburg, Köln, München oder Berlin, mit mitreißender Lasershow, meterhohen LED-Wänden, einer Soundanlage wie bei den legendären Rolling Stones oder zumindest Take That. Einen Top-Choreografen aus New York, London oder Berlin, dazu coole Tänzer und Tänzerinnen, die sich genauso gut als Models auf den Titelseiten von internationalen Hochglanzmodemagazinen machen würden oder in der nächsten Victoria Secret Show.

Die Realität ist allerdings anders. Da fängt jeder erst einmal ganz „Down Under“ an, Stadt-, Schützen- und Zeltfeste im Vorprogramm von B- und C-Stars bei der Jahreshauptversammlung vom örtlichen Taubenzüchterverein, dem Dackelclub von Norderney, dem idyllischen Datschenfest in Leipzig-Süd oder einem Auftritt beim „berühmten“ Kohlkopfanstich in Dithmarschen-Nordfriesland. Damit man auch mal über den Tellerrand Ruhrpott den großen nationalen Showduft schnuppern darf.

Die Bühne oftmals nicht größer als ein paar zusammengeschobene Bierbänke. Die Musikanlage für das Halbplayback klingt nach Blecheimer und der Farbwechsel von Rot auf Grün bei der Lichtanlage mit vier Scheinwerfern wird mit einem Fußpedal noch höchstpersönlich geregelt. Luxus sind da schon ein paar verstaubte Trockenblumen rechts und links und das obligatorische Rollup-Poster, das die neue CD ankündigt, die man nach der Show für 10 Euro mit seinem Autogramm im sogenannten „Stageverkauf“ erwerben kann.

Glaubet mir, auch das ist der Schlager, wie er auf hunderten Veranstaltungen jedes Wochenende lebt. Und fast jeder große Künstler an der Spitze der Deutschen Charts hat so oder ähnlich angefangen. Ich Jack le Baron habe das selber live erlebt. Solange man Träume noch leben kann...

Aber selbst bei so einem lausigen Bühnenambiente kommt für jeden dann irgendwann dieser Moment. Es kann eine Textzeile sein, ein Refrain oder eine einfache Melodie. Die Menschen vor der Bühne gucken auf, stellen ihr schalgezapftes Bier beiseite, die Gespräche werden eingestellt, die Blicke suchen den Künstler, der sich vorne auf der Bühne abmüht wie ein Zehnkämpfer in der Wüste Gobi. Und dann plötzlich klatschen erst einige und dann wie bei einer Epidemie das ganze Zelt, der ganze Saal euphorisch mit. Immer schön im Rhythmus auf eins und drei - das ist der „Gänsehautmoment“, in dem der Künstler sein „Publikum hat“, der Moment, den er nie mehr vergessen wird. Der Anfang eines beseelten Traumes, für den der Schlagerkünstler alle Sicherheiten im Leben aufgibt. Der Moment, für den er in den nächsten Jahren (über)leben will. Tausend Träume werden plötzlich geträumt.

Eine lateinische Lebensweisheit sagt: „Gloriam qui spreverit, veram habebit“. Was in etwa so viel bedeutet wie: “Wer eitlen Ruhm verachtet, wird echten gewinnen.“

Für die Schlagerbranche gilt das nicht! Und die zahlreichen eitlen Narzissen in diesem Musik-Genre haben eines mit dem schönen Sohn des Flussgottes Kephissos aus der griechischen Mythologie gemeinsam, sie weisen die Liebe anderer zurück, weil sie in ihr eigenes Spiegelbild verliebt sind. Ich würde sogar noch anfügen: In ihre eigene Stimme.

Und es sind wahrlich nicht nur die Frauen, die auf die Schlagerbühnen dieser Welt oder besser zwischen Flensburg und Konstanz strömen. Auf 10 Frauen kommen inzwischen fünf Männer, die versuchen die Spitze der Charts zu erobern oder zumindest als Pop-Schlager-Papst oder Prinz so richtig „durchzustarten“.

Es werden im Moment immer mehr Männer. Selbst bei DSDS gewinnt iein Ramon Roselly mit Schlager im Oldschool-Stil. Das macht vielen Mut. Sie alle tragen weiße Sneakers in den großen TV-Shows. Der neue Standard ist „all white“. Es soll am Schuh also kein Teil mehr sein, der nicht Weiß ist. Sohle, Schaft, Obermaterial, Senkel - alles in Weiß! So ist es dann auch der Ehrgeiz oder vielmehr die Hoffnung der Träger, das sie bei den Zuschauern in Weiß und damit unschuldig sauber strahlen mögen.

Mein Name ist „Jack le Baron“ und auch ich, J. B gehöre zu dieser wahnsinnigen Branche und das mit ganzem Herzen. Ich lebe Schlager, rund um die Uhr, 365 Tage im Jahr – das müssen Sie mir glauben. Denn ich verdiene mein Geld, meine nimmersatte Selbstbestätigung, meine Miete für ein kleines Penthaus in einem Hamburger Nobelviertel, meinen Sex, meinen Lifestyle, meine Rente in dieser Branche. Nicht auf der Bühne, sondern dahinter, denn ich bin der König der Manager! Ein Geschöpf wie eine Schlange, keine Ausbildung, keine Ohren aber eine gespaltene Zunge.

Mein „Schlachtfeld“ ist der Cateringraum im Backstagebereich. Hier wird mit einer eiskalten Cola Zero aus der Flache in der einen und einem Mettbrötchen in der anderen Hand um jeden Zentimeter auf der Karriereleiter gekämpft. Immer schön aus dem gesicherten Hinterhalt und so skrupellos und gnadenlos wie die schottischen Highlander beim Jakobitenaufstand. Ich habe den Auf- und Abstieg von Künstlern, das ganz große Comeback und dann die erbarmungslose Verbannung in das Schlager-Exil nach Sachsen-Anhalt persönlich erlebt.

Das alles innerhalb weniger Jahre in einer Musik-Szene, die in ihren Songs, Geschichten von Liebe, großen Gefühlen, von unendlicher Treue und ganz viel Herzschmerz erzählt. Aber hinter den Kulissen keine Nächstenliebe kennt. Hölle und ewiges Fegefeuer statt siebter Himmel. Man liebt ausschließlich sich selbst und es stimmt wirklich: Die Gefühle haben Schweigepflicht!

Wenn man dann mal wieder ganz unten ist, weil kein Künstler, den du am Start hast, es wirklich bringt. Dann fragst du dich: Was wollt ihr noch? Ihr habt mir doch schon alles genommen: mein Leben, meine Freiheit, mein Glück und die zwei Ehefrauen und das Finanzamt mein Geld. Plötzlich lebst du nicht mehr, existierst nur noch. In einem Mal ist da nichts mehr, nicht einmal die Angst vor der nächsten Pleite. Es ist schwer, dieses Gefühl zu beschreiben, die völlige Ohnmacht und die Verzweiflung darin. Wollt ihr mich noch töten. Warum? Ich bin doch schon tot. Geht doch zurück. Der natürliche Lebensraum für alle Heuchler in dieser Branche ist München, Sylt oder die noble Königsallee in Düsseldorf. Geht dahin zurück. Oh Schlager: Verdammt ich lieb dich, ich lieb dich nicht!

„Jeder ist ein Mond und hat eine dunkle Seite, die er niemandem zeigt“ ist eine meiner Lebensweisheiten, die ich bei Mark Twain nachgelesen habe. Aber ich versichere euch, geht mal zu einer typischen Schlager-Party nach Oberhausen, dem Herzen des Ruhrgebiets. Das ist wie das Wacken der mittleren Büroangestellten, da werden keine Gefangenen gemacht. Das ganz große „Jenseits von Eden“ des Schlager-Business. Wenn da ein „Schlager-Gott“ in hautenger zerrissener Jeans, bekleckstem Designer-Shirt, Secondhand-Lederjacke, um den Hals ein silbernes Andreaskreuz, auf der Bühne der Turbinenhalle im Vollplayback seinen aktuellen „Pop-Schlagerhit“ raushaut, dann zeigt er den tausenden Fans die dunkelste aller seiner Seiten und schwitzt dabei wie eine Prostituierte im Petersdom vom Vatikan. Ein ganz besonderer Hingucker sind seine bunten Cowboyboots aus blau-rotem Schlangenlederimitat. Mit dem gleichen Zeug hat er auch seinen Mikrofonständer, seine Visitenkarten und die Sitze seines Diesel-SUV überzogen. Und wie ich gehört habe auch seine Sitzecke im heimischen Wohnzimmer. Ein Corporate Design ist eben auch in unserer Schlagerbranche inzwischen sehr wichtig.

Heimat, in diesem Geschäft ist der Begriff genauso angesagt wie Sterne, Sonne, Himmel, Liebe, Gänsehaut und seit neuem auch der woke Regenbogen. Meine Heimat war eine miefige Kleinstadt in Niedersachsen, Klinker-Rathaus, ein Heimatmuseum, zwei Kirchen, Marktplatz, sieben Dönerbuden, 12 Spielhallen, Burgerkette, Discounter, Baumarkt. Neben der Autobahnausfahrt und noch eine Großraumdisco mit drei Dancefloors. Auf einem wird seit jeher Schlager gespielt, tanzbarer Disco-Fox. Nach dem Motto: Eins, zwei Tep - das kann jeder Depp.

Meine Heimat das war der Stadtrand in einer Arbeitersiedlung, die eine 1:1 Kopie von Dahlhausen im Norden Bochums sein könnte. Hermann-Hesse-Straße 7. Hinter den fein aufgereihten kleinen Häuschen mit ihren weißen Spritzbetonfassaden war der Umgangston rau, aber herzlich. Mein Vater Hans-Georg arbeitete als Elektriker. In unserer Siedlung hatte er den Spitznamen „100 Millionen Volt Mann“. Hinterm Haus im Garten stand ein selbstgebauter Taubenschlag, darunter Kisten mit fein säuberlich aufgereihten, leeren Bierflaschen.

„Junge, Ordnung muss sein!“, war sein Lieblingsspruch neben dem unabänderlichen „Solange du deine Füße unter meinen Tisch stellst...“

Brieftauben waren neben Feldhandball sein geliebtes Hobby. Im Sommer warteten wir an den Wochenenden gemeinsam in weißgerippten Unterhemden auf die Rückkehr der Tauben von einem regionalen Flugwettbewerb. Auf dem himmelblauen Resopal-Campingtisch vor dem Taubenschlag stand immer eine halbvolle Flasche Hardenberger Korn. Die mit dem Keilerkopf und die gekühlten 0,3 Liter Bier-Knollen zum Nachspülen. Ich durfte dann höchstpersönlich die nummerierten Gummiringe der Tauben in eine verplombte Holzuhr stecken, die die Ankunft der „Luftboliden“ minutiös auf einer kleinen Papierrolle festhalten.

Vorne im Haus schuftete meine Mutter Inge am Gasherd in der Küche, mit der Brokat bespannten Eckbank war das der gefühlte Mittelpunkt unseres Lebens. Nur am Sonntag durften wir in der „guten Stube“ essen. Auf dem Wohnzimmertisch mit Chromfuß und seitlicher Kurbel zum Verstellen der Höhe servierte uns Inge Woche für Woche reichlich Fleisch und Braten mit ordentlich Salzkartoffeln. Veganer waren noch nicht geboren. Im Kofferradio „Transista“ von Nordmende spielte der Norddeutschen Rundfunk noch Schlagerhits von Rex Gildo, Roy Black, Roland Kaiser, Rocco Granata und Connie Francis. Es war die Zeit Anfang der 70er Jahre und Themen wie sexuelle Revolution, Studentenunruhen und politischen Wandel wurde hinter unserer heimischen Spritzbetonfassade einfach nicht diskutiert.

Als ich einmal in einem roten T-Shirt mit Che Guevara Aufdruck von Ennos Plattenladen unten an der Ecke stolz nach Hause kam, schüttelte mein Vater mit dem Kopf. Während er sich ein Stück vom wabbeligen Bauchfleisch in den Mund schob, muffelte er: „Mit dem Kommunistenkram gehst du mir nicht auf die Straße, wir sind hier nicht das Parteibüro der DKP. Und solange du deine Füße unter meinen Tisch stellst... “

Einer meiner Helden war Little Joe von Bonanza und mein Onkel Jürgen. Letzterer fuhr zur See, das war für mich das große Abenteuer, wenn er uns von seinen fernen Reisen „Schrumpfköpfe“ und ausgestopfte Minikrokodile als Andenken mitbrachte. „Political- und die neue Nature-Correctness“ kannten wir ja noch nicht, wie gesagt, es waren die 70er! Mein Onkel Jürgen war für mich sowas wie der Freddy Quinn der Familie, ein Abenteurer, ein Vagabund und Weltenbummler. Ganz besonders wenn im Nebenhaus meiner „Tante“ Elvira nach Onkel Jürgens Abreise auf einem Bananenfrachter Richtung Südamerika tagelang „Junge, komm bald wieder“ von Freddy auf ihrer frischpolierten Musiktruhe in der Endlosschleife dudelte. Ob zwischen den beiden was lief, habe ich leider nie erfahren...