Engel mit Krallen - John Gardner - E-Book

Engel mit Krallen E-Book

John Gardner

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Beschreibung

Rotes Haar und schwarze Seele – diese Mischung macht Boysie Oakes blind … Eigentlich hatte sich Oakes den Aufenthalt im Mädchenpensionat ganz anders vorgestellt. Doch statt mit hübschen jungen Damen zu flirten, sieht er sich einer Amazonentruppe gegenüber, die ihm übel mitspielt – sterbensübel ... (Dieser Text bezieht sich auf eine frühere Ausgabe.)

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John Gardner

Engel mit Krallen

Aus dem Englischen von M. F. Arnemann

FISCHER Digital

Inhalt

Prolog im Dunkel12345678910111213Blutrotes Postskriptum

Prolog im Dunkel

Die Klinge war genau 20,32 Zentimeter lang und maß an der breitesten Stelle – nahe dem Griff – 1,27 Zentimeter. Sie war über einer rußenden Kerzenflamme geschwärzt worden, so daß sie matt war und kein plötzliches Aufblitzen sie in der Dunkelheit verraten konnte.

Der Soldat erfaßte gar nicht, was geschah. Ein kurzer, heftiger Schmerz im Rücken, und alles war vorbei. Es hätte ebensogut ein Herzschlag sein können. Er hatte nicht einmal Zeit, einen Schrei auszustoßen.

Der Mann, der sich Phentos nannte, bedauerte es, den Soldaten töten zu müssen. Aber er hatte alles genau geplant und mit Absicht gerade die Nacht gewählt, in der dieser Mann Wache hatte. Der Soldat hatte hier viele Feinde und war bereits zur Versetzung aus dem durch scharfe Sicherheitsmaßnahmen abgeschirmten Sperrgebiet vorgesehen. Wenn man die Leiche am Morgen entdeckte, würde man seinen Tod irgendeiner internen Auseinandersetzung zuschreiben.

Phentos schleifte den Körper hinter die vorspringende Betonmauer des Bunkers. Die Mauer bot beiden Sichtschutz, dem Toten und dem Lebenden.

Die Nacht war schneidend kalt. Ein eisiger Ostwind heulte in den Stahlgerüsten des Raketenversuchsgeländes und pfiff über das flache, öde Land. Das Lied dieser Wildnis, das bis in die Stratosphäre drang, würde Phentos bis ans Ende seines Lebens verfolgen: das Heulen des Windes, ein klagender Sirenengesang. Phentos drückte sich gegen die kalte Betonmauer. In der Ferne, irgendwo zwischen den Gebäuden der Versuchsabteilung, brüllte ein Raketenmotor auf. Vermutlich ein durchgehender Nacht-Test. Das Biest würde bis in die Morgenstunden unter ohrenbetäubendem Lärm seinen gewaltigen Feuerstrahl gegen die Metallplatte speien, bis diese sich rotglühend färbte. Phentos sah auf seine Uhr. Elf Uhr fünfundfünfzig. Zeit, in den Bunker zu gehen. Langsam schob er sich um die Mauerecke. Ein leichter Schneeschauer traf sein Gesicht, scharf wie eine Handvoll Nadeln. Die Stufen hinunter, dann hinauf zu der Stahltür, die bis vor ein paar Minuten von dem Soldaten bewacht worden war. Er bewegte sich vorsichtig und mit der Präzision, die von stundenlangem Proben mit der Stoppuhr herrührte. Er mußte genau um elf Uhr achtundfünfzig durch diese Tür. Der Leuchtzeiger seiner Armbanduhr sprang auf die volle Minute. Phentos drückte den Griff hinunter und stemmte sich mit der Schulter gegen die Tür. Die große Metallplatte rührte sich nicht. Zwei Sekunden – dann gab sie lautlos unter seinem Gewicht nach. Die Haupttür des Beobachtungsraumes – am entferntesten Ende des Bunkers – war für die Wachablösung des Beobachtungspersonals geöffnet worden. Alle Türen des Bunkers wurden über denselben Schalter betätigt. Phentos hatte zwei Minuten Zeit. Für zwei Minuten, während der Wachablösung, waren alle elektronischen Sperren aufgehoben.

Den Gang hinunter und durch die Tür rechts. In die lange Zelle, das Programm-Depot. Er ging auf die eine Wand zu, die ganz mit metallenen Stellagen bedeckt war. Ein behandschuhter Finger glitt über die Schilder an den Fächern, verhielt bei einer bestimmten Serie. Dreißig Sekunden. Er verglich die Nummern. Fünfunddreißig Sekunden. Die Hand glitt in das Fach und ergriff die Metallspule. Vierzig Sekunden. Das Duplikat aus der Innentasche seiner Jacke, die Spulen vertauscht – fünfzig Sekunden.

Jetzt ans andere Ende des Raums. Die gleiche Prozedur mit einer anderen Seriennummer. Achtzig Sekunden. Mit einem raschen Griff vergewisserte er sich, daß die beiden gestohlenen Spulen sicher in der Geheimtasche seiner Jacke steckten. Fünfundachtzig Sekunden. Zur Tür zurück. Hinaus. Tür zu. Den Gang entlang. Hinaus. Zu. Gegen die Mauer gelehnt. Tief atmen. Durch die Nase. Selbst in der Kälte schwitzte er stark. Hinaus. Keine Sekunde zu verlieren. Einhundertfünfzehn Sekunden. Einhundertzwanzig. Ein Surren, als die elektronischen Schlösser einschnappten. Sicher einschnappten. Keine Alarmsirene. Im Beobachtungsraum ließ sich das neue Team vor seinen Radarschirmen und Computern nieder – für die Nacht sicher eingeschlossen.

Der Posten am Haupttor nickte, nahm seinen I.D.-Ausweis mit den Stanzzeichen und dem verborgenen Drahtmuster und steckte ihn in die Kontrollmaschine. Das grüne Licht flammte auf. In Ordnung. Der Posten kannte ihn gut genug, aber die strengen Sicherheitsvorschriften mußten in jedem Fall eingehalten werden.

»Gute Nacht, Major Phentos«, sagte der Posten.

Phentos nickte auf seine übliche selbstsichere Art. Der Posten sah dem untersetzten Mann nach, der den Weg zu den Offiziersunterkünften einschlug, und unterdrückte einen Fluch. Der Wind heulte in den Stahlgerüsten. Der Raketenmotor brüllte weiter. Und zwei Bandspulen von höchster Wichtigkeit befanden sich auf dem Weg ins Ausland.

1

Boysie Oakes trat auf die Kupplung, legte den zweiten Gang ein, ließ die Kupplung los und trat scharf auf die Bremse. Der 4,2-E-Typ stoppte so jäh, daß der Kühler – lang, weiß und sexy – fast die hintere Stoßstange eines grauen Ford-Lieferwagens berührte, der einem ungeheuer reichen Bond-Street-Couturier gehörte. Boysie spuckte Gift und Galle gegen den Verkehrsminister. Von rechts durchbohrte ihn ein Taxifahrer mit Blicken, die deutlich das Wort S-c-h-e-i-ß-k-a-p-i-t-a-l-i-s-t buchstabierten. Boysie wandte den Kopf nach links, wo eine junge Dame am Steuer eines blauen NSU-Sport-Prinz ihren Rückspiegel dazu benutzte, ihr Make-up zu überholen. Boysie sah in seinen eigenen Rückspiegel; der war ausgefüllt von einem schmutzigen Kühler, auf dem das Wort BEDFORD in Chrom glänzte.

Mostyn hatte recht. Nur ein dickköpfiger Idiot brachte es fertig, jeden Morgen und jeden Abend mit einem Jaguar von Chesham Place nach Whitehall und zurück zu fahren in diesem blödsinnigen Verkehr. Die dichte Phalanx von Fahrzeugen rückte um zwei Meter vor und kam wieder zum Stillstand.

»Nieder mit dem Minister!« knirschte Boysie. »Abtreten soll er!«

»He, Sportsfreund, schmeiß doch die Kiste weg und kauf dir einen Motorroller!« schrie der Taxifahrer.

Boysie stellte sich taub. So ging das nun schon seit sechs Monaten. Jeden Morgen und Abend eingeklemmt im Berufsverkehr, in seinem auffallenden Superwagen, mit Schirm und elegantem steifen Hut auf dem Beifahrersitz eine Zielscheibe der Pöbeleien schlechtgelaunter Verkehrsteilnehmer; und dazwischen den ganzen Tag den Schikanen Mostyns preisgegeben. Sechs Monate! Es war ein harter Winter gewesen. Es fiel Boysie schwer, zu entscheiden, was schlimmer war: die Tücken und Schrecken im gefahrvollen Einsatz für den Geheimdienst – oder die »ruhigen« Zeiten als persönlicher Assistent des stellvertretenden Chefs, der ihm ständig die Hölle heiß machte.

»Der Chef meint, es würde Ihnen guttun, mal eine Zeitlang hier im Hauptquartier des Departments zu arbeiten, mein lieber Boysie«, verkündete er, als Boysie sich aus dem Urlaub zurückmeldete.

»Als was?« murmelte Boysie argwöhnisch. »Als Ihr Auspeitscher vom Dienst?«

Mostyn lächelte kalt. »Seelische Folter wäre wohl eher mein Fall – das müßten Sie doch eigentlich inzwischen wissen.« Ein Satz makelloser Fingernägel lag auf Boysies anthrazitgrauem Flanellärmel. »Sie kommen zu mir. Als mein persönlicher Assistent. Ist das nicht nett?«

So begann der Winter. Allmorgendlich fuhr Boysie nun nach Whitehall. Es dauerte einen Monat, bis er einen ständigen Parkplatz gefunden hatte. Und selbst der war gut fünf Minuten zu Fuß von der schweren, zweiflügeligen Schwingtür entfernt, die in die häßliche, düstere Vorhalle führte. Die Vorhalle war in freudlosem Arbeitsministerium-Grün gestrichen, geschmackvoll mit Bedürfnisanstalt-Kacheln dekoriert und diente als Fassade für das Britische Department für Staatssicherheit.

Jeden Morgen das gleiche. Durch die scheußliche Vorhalle, mit einem Nicken den Pförtner begrüßt. In den Lift, an dem ständig das Schild »AUSSER BETRIEB« hing. Mit dem eigenen Schlüssel die Hintertür des Lifts aufgeschlossen. Hinaus in die eigentliche Empfangshalle des Departments – schwerer blauer Teppich, Chrom und Glas, ein abstraktes Bild von Paul Klee. Ein Nicken zum Empfang. In den Lift und hinauf – vorbei am ersten Stock mit dem Informationsraum, am zweiten mit der Einsatzzentrale, dem Nervenzentrum des Departments – bis zum dritten: den Büros der leitenden Beamten.

Mostyns persönlicher Assistent zu sein, das kam für Boysie einem ständigen Leben in der Todeszelle gleich. Kein ruhiger Augenblick mehr. Ängstliches Horchen auf die Schritte vor der Tür. Daß Mostyn in seinem Beruf Hervorragendes leistete, war nicht zu leugnen – aber ebensowenig, daß er eine sadistische Ader besaß. Und die ließ er mit Vorliebe an Boysie aus. Seit vielen Jahren war Boysie Oakes für ihn ein Alptraum – hauptsächlich wohl deshalb, weil Boysie zu den wenigen Menschen gehörte, denen es je gelungen war, Mostyn zu beunruhigen (wenn auch unbewußt und unbeabsichtigt).

Das war verständlich. Zur Zeit seiner Einstellung war Boysie das heißeste Eisen gewesen, das Mostyn je angefaßt hatte. Als das Department dringend jemand brauchte, um das Unkraut der Sicherheitsrisiken auszujäten, hatte Mostyn in seiner Allmacht Boysie aufgelesen, ihm in einer Art Schnellkursus etwas Bildung und gesellschaftlichen Schliff beibringen lassen und ihn dann als geheimen Henker losgeschickt, der Tod und Verderben in die Reihen der Staatsfeinde trug. Die unauffällige Liquidierung gefährlicher oder unbequemer Elemente war ursprünglich Boysies einzige Aufgabe – daher seine Deckchiffre »L«. Mostyn wußte genau, daß er selbst die alleinige Verantwortung für dieses seltsame Unternehmen trug und daß sein eigener Kopf unter die politische Guillotine geraten würde, wenn jemals Boysies wahre Tätigkeit bekannt würde. Der Chef würde, wenn etwas schiefging, jede Verantwortung ablehnen und ihm als der Nummer zwei den Schwarzen Peter zuschieben. In Boysie besaß Mostyn eine sehr nützliche tödliche Waffe – aber er besaß sie ohne offizielle Genehmigung, und sein Unbehagen über diesen Schönheitsfehler verstärkte sich mit den Jahren. Es gab Zeiten, in denen es ihm schwerfiel, zu glauben, daß dieser naive, unverschämte Boysie so leichtherzig und hemmungslos morden konnte. Für Mostyn war es daher eine Erleichterung, als es sich so ergab, daß er »L« vom Liquidierungseinsatz zurückziehen konnte.

Mostyn konnte nicht ahnen, daß niemand über diese Wendung glücklicher war als Boysie. Daß Boysie seinen Job haßte, kein Blut sehen konnte und sich einen Privatkiller hielt, der ihm diese lästige Arbeit abnahm. Seit man ihm dies schreckliche Amt aufgedrängt und ihn sozusagen zum Mörder ohne Portefeuille gemacht hatte, war es Boysies sehnlichster Wunsch gewesen, aus diesem Alptraum von Job wieder herauszukommen. Allerdings befreite ihn der Wechsel nicht von seiner persönlichen Angst vor Mostyn und seinem tiefverwurzelten Haß gegen seinen Entdecker, der sich immer noch als eine Art Puppenspieler und ihn als seine Marionette betrachtete.

Was Mostyn betraf, so war Boysie für ihn ein ewiger Stachel, der ihn nachts aus dem Schlaf schrecken ließ und ihm nervöse Störungen verursachte, wie er sie nie im Leben gekannt hatte. Boysie im Einsatz (selbst wenn es sich nur um den einfachsten Kurierauftrag handelte) war für Mostyn eine Quelle von Unruhe, Zweifeln und Kopfschmerzen.

Indem er Boysie in seiner Nähe hielt, sozusagen in Hör- und Sichtweite, hoffte er das Gespenst seines Verantwortungsgefühls gegenüber diesem Mann zu beschwichtigen. Aber Boysies Ernennung zum persönlichen Assistenten von Nummer zwei machte die Sache nur schlimmer. Der ständige Kontakt zwischen den beiden trieb ihre seltsame Haßliebe bald zu einem Höhepunkt. Innerhalb einer Woche begann Boysies bloße Gegenwart Mostyn bis zur Weißglut zu reizen. Er nörgelte und krittelte ständig an »L« herum, und Boysie seinerseits wurde störrisch und rächte sich durch kleine Bosheiten – zum Beispiel durch kleine Veränderungen in der Lage der Papiere und Gegenstände auf Mostyns pedantisch ordentlich gehaltenem Schreibtisch. Daraufhin wurde Nummer zwei massiv. Er fing jetzt an, Boysie regelrecht zu schikanieren, wobei er jeden Trick anwandte, den er kannte. Und Mostyns Vorrat an Tricks war unerschöpflich. Er galt als einer der besten Spezialisten auf dem Gebiet der Verhörtechnik.

Jeden Abend auf der Heimfahrt, eingeklemmt im Berufsverkehr, pflegte Boysie in seinem Jaguar die Ereignisse des Tages zu überdenken. Um seinen Ärger abzureagieren, griff er zu einem bewährten Mittel – methodisch bedachte er Mostyn mit den übelsten Flüchen und Beschimpfungen, die ihm zur Verfügung standen. Dieses Mittel versagte selten und erleichterte ihm die Last der Demütigungen, die Mostyn ihm im Lauf des Tages aufgebürdet hatte. Sobald er sich etwas besser fühlte, ging er dazu über, sich scharfe, treffende Antworten auf Mostyns zynische Bemerkungen auszudenken, die während der Bürozeit unbeantwortet geblieben waren.

Aber heute abend, eingekeilt zwischen dem spottsüchtigen Taxifahrer und der Dame mit dem Schmink-Komplex, wurde ihm plötzlich klar, daß dieser Tag anders gewesen war. Gestern war die Hölle los gewesen. Aber heute war das Leben fast idyllisch verlaufen.

Vielleicht, dachte Boysie, lag es am Frühling. Tatsächlich war der Tag wärmer gewesen. Die Büromädchen sahen vollbusiger aus. Die Säfte stiegen. In der Mittagspause bemerkte er, daß sich im St.-James-Park bereits die ersten Knospen zeigten. Vielleicht war Mostyn verliebt. Mostyns vielfältige Beziehungen zum anderen Geschlecht konnte man zwar schwerlich als Liebesbande bezeichnen – der Ausdruck »Liebeshändel« traf wohl eher die Natur dieser wechselnden Verbindungen. Immerhin war er, wie Boysie aus sicherer Quelle wußte, in letzter Zeit auffallend viel mit Janet Scampini, dem Mannequin zusammengewesen – und Janet Scampini konnte selbst einen Mann wie Colonel James George Mostyn in Atem halten.

Diese Überlegung lenkte Boysies Gedanken automatisch zu Elizabeth. Er lächelte. Elizabeth war der einzige Lichtblick in dieser harten Winterschlacht mit Mostyn gewesen. Aber Elizabeth war auch etwas Besonderes – und das wollte bei Boysie etwas heißen, denn in puncto Frauen war er maßlos verwöhnt. Seine Art der Lebensführung brachte ihn mit den verschiedensten Frauen in Berührung. Blonde, brünette, rothaarige, große und kleine, schlanke und üppige, naive und raffinierte, kluge und ausschließlich begehrenswerte – sie alle kamen und gingen, ungestüm oder still, singend, lachend oder weinend. Aber in den letzten zwei Jahren war er immer wieder zu Elizabeth zurückgekommen. Was immer er auch erlebte, Elizabeth war irgendwo im Hintergrund – knapp fünfundzwanzig, klein, stupsnasig, eine unbedeutende Stenotypistin ganz ohne geistige Ambitionen. Elizabeth war lebendig und natürlich, bei ihr brauchte er sich keinen Zwang anzutun. Im Sommer verbrachten sie ihre Wochenenden in den Cotswolds, zwischen Wäldern und Weizenfeldern. Wenn sie sich in London trafen, so mieden sie die glänzenden Bars und feudalen Hotelhallen, in denen Boysie sonst verkehrte; statt dessen entdeckten sie stille Plätze und einsame Winkel. Boysie betrachtete ihre Beziehung nicht als Liebe – eher als eine Reihe stillvergnügter, friedlicher Stunden, gewürzt durch Augenblicke rein körperlichen Hochgefühls. Was Elizabeth betraf, so betete sie Boysie an und kam wie ein Pfeil, sobald er sie rief. Diesmal war sie kurz vor Weihnachten gerufen worden.

Lautes Hupen weckte Boysie aus seinen Wachträumen. Der Wagenpulk kam wieder in Bewegung, und BEDFORD schien sich in den Doppelauspuff seines Jaguar bohren zu wollen. Der Jaguar schoß vorwärts, Chesham Place und Elizabeth entgegen.

Als Boysie seinen Yale-Schlüssel ins Schloß steckte, pfiff er den Anfang von Bartóks Dritter für Klavier und Orchester vor sich hin. Aus dem Plattenspieler erklangen Brubecks Impressionen aus Japan, und Bartók verlor nach Punkten. Elizabeth war in der Küche und kämpfte mit einem Kochrezept aus der Sonntagszeitung.

»Was soll’s denn werden?« fragte Boysie neckend.

Elizabeth las sorgfältig die Anweisung in der Zeitung, die aufgeschlagen neben dem Gasherd lag. »Nicht umrühren, bis der Reis gar und die Oberfläche gleichmäßig löchrig ist …« Sie seufzte. »Egal ob ich umrühre oder nicht, er wird doch immer matschig.«

»Schon wieder chinesisch?« Boysie vergrub seinen Mund in ihrem kurzen Haar und biß sie zärtlich in den Nacken. Elizabeths Gedanken waren bei ihrer Kocherei.

»Paella. Ich hab die Dose Krabbenfleisch aufgemacht, die im Schrank war.«

»Was! Mein schönes Bon Vivant Crab Newburg! Ich hatte es für eine besondere Gelegenheit aufgespart!« Er lachte und küßte sie. Große Reaktion. Dann befreite sie sich aus seinen Armen.

»Nicht. Ich muß mit dir reden, Boysie. Es ist wichtig.«

»Ja?«

Er ließ sich aus der Küche und zu der großen Couch im Wohnzimmer führen. Sie blieb vor ihm stehen.

»Es ist ziemlich ernst«, begann sie mit großen Augen und tragischem Tonfall.

»Schieß los.« Boysie setzte sein verständnisvollstes Lächeln auf.

»Die Sache ist die – ich glaube, ich bin schwanger.«

»Was! Schon wieder!?« Boysie stöhnte. »Du glaubst schon wieder, daß du schwanger bist? Das ist das drittemal in drei Monaten – und jedesmal blinder Alarm! Jeden Monat die gleiche Geschichte – und zwei Tage später: Liebling, ich hab mich geirrt, ich bin es doch nicht.«

»Hm.« Ein Schmollmund.

»Stimmt doch! Sei nicht albern, Liz. Du weißt doch, daß keiner vom Department sich je in so eine Klemme bringt. So was passiert einfach nicht. Ungeschriebenes Gesetz. Also laß den Quatsch und sieh zu, daß du deine Paella auf den Tisch bringst.«

Er stand auf, schob sie in Richtung Küche, gab ihr noch einen zärtlichen Klaps auf den Hintern und ließ sich dann wieder nieder, um über das Phänomen von Mostyns guter Laune nachzugrübeln, das ihm unheimlicher war als seine üblichen Ausfälle. Er kam zu dem Schluß, daß es weder Frühling noch Liebe war – wie er Mostyn kannte, steckte irgendeine böse Absicht dahinter.

Das Telefon läutete, als sie sich zum Essen setzten. Das Schrillen schien durchdringender als sonst. Boysie wußte, wer am anderen Ende der Leitung war, noch ehe er den Hörer nahm.

»L?« fragte Mostyn.

»Ja.«

»Sie haben sich heute abend etwas überstürzt davongemacht, alter Junge.«

Na also, dachte Boysie, es konnte ja nicht ewig dauern. Das war wieder der Mostyn, den er kannte.

»Sie sagten, Sie hätten eine Besprechung mit dem Chef«, versuchte er sich zu verteidigen. »Sie sagten, es würde spät werden …«

»Kein Grund für Sie, mit dem Glockenschlag davonzurennen. Ich hatte auch gehofft, das würde bis morgen Zeit haben, aber es eilt. Druck, alter Freund.«

Boysie verschlug es die Sprache. Es war lange her, seit er dieses Wort von Nummer zwei gehört hatte. Druck – das hieß, daß ein neuer Mord fällig war. »Aber – aber Sie haben doch versprochen …«, stammelte er endlich. »Sie haben gesagt, ich bräuchte so was nicht mehr zu tun. Nie mehr.«

»Nun fangen Sie bloß nicht wieder mit der alten Leier an. Ich habe gar nichts versprochen. Ich habe gesagt, ich hoffte, es würde nicht mehr nötig sein. Nach dem Schlamassel beim letztenmal, als Ihre Deckung aufflog. Ich möchte es auch gar nicht. Aber es geht nicht anders. Tut mir leid, wenn ich Ihre kleinen privaten Pläne stören muß, aber es geht um ein ›Rotes Ziel‹.« Das war das Kennwort für einen Einsatz von höchster Dringlichkeitsstufe.

»Und mein Nachfolger? Warum kann der das nicht machen? Sie haben mir neulich erst erzählt, wie zufrieden Sie mit ihm sind. Nur um mich zu ärgern. Ich habe so was seit zwei Jahren nicht mehr gemacht. Bin ganz aus der Übung. Nein, ich mache das nicht mehr mit.«

»Sie wollen doch wohl nicht Ihren Vertrag mit uns brechen, alter Freund? Sie wissen, was das heißt: Zuchthaus, häßliche, feuchte Zellen, tückische Wärter. Wenn Sie sich die ganze Zeit an Ihr vorgeschriebenes Trainingsprogramm gehalten hätten, statt Ihre Zeit mit Poussieren totzuschlagen, wäre Ihnen jetzt wohler. Und mir auch.«

Eine Weile war es still in der Leitung. Boysies Denkapparat lief auf Hochtouren, aber ohne Erfolg. Mostyn ergriff wieder das Wort.

»Übrigens hat Ihr Nachfolger Grippe. Hat sich vorige Woche in Schottland kalte Füße geholt. Als der arme kleine Marineattaché von der belgischen Botschaft beim Fischen baden ging – Sie haben es sicher in den Zeitungen gelesen. Dabei ist unser Mann auch naß geworden.« Dann wechselte Mostyn den Ton. »Hören Sie, Freundchen, wenn Sie nicht innerhalb der nächsten halben Stunde bei der Instruktion aufkreuzen, können Sie was erleben, verstanden? Denken Sie an Guy Fawkes – Sie wissen doch, was mit Guy Fawkes passiert ist.« Boysie wußte es, bis in die letzte grausame Einzelheit. Und er zweifelte nicht daran, daß Mostyn ihn der gleichen Behandlung unterwerfen würde, wenn er versuchen sollte, Schwierigkeiten zu machen.

»Ist das klar, L? Also los, an die Arbeit. Ihr Flugzeug startet morgen in aller Frühe.« Mit einem scharfen Klicken brach die Verbindung ab.

»O Gott!« stöhnte Boysie.

Elizabeth sah ihn an, ein Dutzend Fragen in den Augen.

»Jetzt fängt das wieder an!« sagte Boysie dumpf. »Bei meinem Pech würde es mich auch nicht wundern, wenn du wirklich schwanger wärst.«

»Du mußt wieder fort.« Eine Feststellung. Elizabeth war Kummer gewöhnt.

Boysie nickte. Seine Gedanken waren weit weg.

»Dann zieh ich wohl am besten wieder nach Hammersmith«, seufzte Elizabeth und starrte auf ihr unberührtes Reisgericht, das auf dem Teller zu einem farbenfrohen Klumpen erstarrte.

»Ja«, sagte er zerstreut. »Aber noch nicht heute. Ich muß jetzt weg. Aber ich komme noch mal zurück. Ich reise morgen.«

»Kannst du mir nicht sagen …?« Es war nur eine rhetorische Frage. Sie wußte, daß Boysie nie über seine berufliche Tätigkeit sprach, und sie neigte im allgemeinen nicht zur Neugier.

Er schüttelte den Kopf. »Mostyn!« Es klang wie ein lästerlicher Fluch.

»Dann rufe ich Sandy an und sage ihr, daß ich morgen komme«, sagte Elizabeth. Und mit einem etwas gekünstelten Lachen setzte sie hinzu: »So hat sie wenigstens noch die Nacht Zeit, meine Sachen zu waschen, die sie heimlich getragen hat.«

»Warte, zuerst muß ich telefonieren.« Er streckte die Hand aus, aber da begann der Apparat zu schrillen.

»Hallo?«

»Sind Sie noch nicht fort, Boysie? Los, Mann, ich bin schon unterwegs!« Mostyns Stimme klang scharf wie ein Rasiermesser.

Klick.

»O Gott!« Warum hatte er nicht den Mumm, Mostyn einfach die ganze Wahrheit ins Gesicht zu sagen? Wie oft hatte er sich das schon vorgenommen und es dann doch nicht gewagt. Er hätte wissen müssen, daß sie ihn eines Tages wieder drankriegen würden. Jetzt war es soweit. Und keiner fragte danach, ob er moralische Bedenken hatte. Die Zeit drängte. Er mußte etwas unternehmen.

»Bleibt nur der alte Trick«, murmelte er. Im Geist sah er plötzlich wie in Technicolor eine Duo-Nummer auf einer Varietébühne – Strohhüte, weiße Hosen, gestreifte Blazer und wirbelnde Spazierstöckchen – das Publikum tobt vor Begeisterung, und in der ersten Reihe sitzt Mostyn und klatscht wie besessen. Das Tanz-Duo verbeugt sich – die geistige Kamera erfaßt die Gesichter – Boysie und Griffin, die gute alte Duo-Nummer. Er mußte Griffin erreichen. Griffin, der seit Jahren gegen ein angemessenes Honorar diskret die Morde erledigte, die man von Boysie erwartete. Gebe Gott, daß er noch in der Branche ist! schoß es Boysie durch den Kopf. Wenn er bloß nicht die Adresse gewechselt hat!

Boysie hielt immer noch den Telefonhörer in der Hand. Sein Magen war wie eine Familienpackung Zitroneneis. So war es nach jedem »Druck«-Anruf. Und was jetzt kam, war die alte Routine: Griffin anrufen, ihn treffen, ihn ins Bild setzen, auf den Kunden zeigen – und ihm den grausigen Rest überlassen. Danach Auszahlung – und dann würde Griffin wieder aus seinem Gesichtskreis verschwinden. Das war die mörderische Duo-Nummer, die er seinerzeit ausgeheckt hatte, als man ihn zum heimlichen Henker des Departments gemacht hatte. Sein natürlicher Widerwille gegen Tod und Gewalt machte es ihm unmöglich, die Morde, die man ihm auftrug, wirklich auszuführen. Der Handel mit Griffin war seine einzige Rettung. Und niemand kannte dieses Geheimnis – nur er und Griffin.

Er wählte die vertraute Nummer. Eine Frauenstimme, die er nicht kannte, meldete sich.

»Mr. Griffin!« sagte Boysie. »Kann ich Mr. Griffin sprechen?«

»Nicht da. Wer spricht denn?«

Er überging die Frage. »Wann erwarten Sie ihn zurück? Es ist dringend.«

»Er kommt bestimmt bald. Soll ich was ausrichten?«

»Ja.« Für gewöhnlich hätte er es nicht riskiert, aber jetzt blieb ihm keine Wahl. »Sagen Sie ihm bitte, er möchte mich anrufen. Mr. Oakes – O-a-k-e-s. Er wird sich an mich erinnern. Sagen Sie ihm, es ist dringend. Ich muß ihn heute noch sprechen. Geschäftlich. Er kennt meine Telefonnummer. Ich muß jetzt weg, aber jemand wird hiersein und den Anruf entgegennehmen. Okay?«

»Klar. Werd’s schon ausrichten. Sonst noch was?«

»Das ist alles. Danke. Vielen Dank.«

»Möchte wissen, wo sich der Kerl herumtreibt«, brummte Boysie, nachdem er aufgelegt hatte. »Ich weiß ohnehin nicht, wo mir der Kopf steht. Dieser Mostyn ist ein …«

»Ich weiß, Boysie. Du hast mir oft genug gesagt, was er ist.«

»Ja.« Boysie stand auf.

»Soll ich dir deine Paella aufwärmen?«

Boysie hätte nicht einmal einen vorverdauten Diätzwieback hinunterwürgen können.

»Ich habe eigentlich gar keinen Hunger. Und überhaupt muß ich jetzt gehen. Für Königin und Vaterland, wie mein lieber Chef sagen würde.«

Er stapfte in den Flur hinaus und zog den schweren Wildledermantel mit dem Pelzkragen über.

»Du siehst fabelhaft aus, Liebling«, sagte Elizabeth und versuchte sich fröhlich und zärtlich zu geben. Aber Boysie war so mit seinem persönlichen Elend beschäftigt, daß er keinen Blick für sie hatte.

»Mußt du weit fort?«

»Keine Ahnung. Jedenfalls weiter, als mir lieb ist.«

»Wann? Heute oder morgen?«

»Morgen.«

»Ich werde auf dich warten, Boysie. In Hammersmith, meine ich. Ruf mich an, wenn du mich brauchst.«

Boysie legte die Arme um sie. »Klar, Liz. Sobald ich zurück bin. Aber wir sehen uns ja heute abend noch.«

»Es war so schön, Boysie. Die letzten Wochen.«

»Ja. Tut mir leid, Schätzchen. Mehr, als du ahnst. Also – bis nachher.«

Sie nickte und stellte sich auf die Zehen, um ihn zu küssen. Fünfundvierzig Sekunden beherrschter Erotik. Dann machte er sich etwas verwirrt los, holte tief Luft und verließ die Wohnung. Sekunden später war er wieder zurück.

»Menschenskind – jetzt hätte ich es beinahe vergessen!«

Sie kam an die Tür gelaufen.

»Hör zu, Liz. Wenn ein gewisser Griffin anruft, sag ihm, ich muß ihn unbedingt noch heute treffen. Ich werde auf der Waterloo-Bridge auf und ab fahren …« Er warf einen Blick auf die Uhr. Neunzehn Uhr zehn. »Sagen wir – zwischen zwölf und eins heute nacht. Ich muß ihn sprechen. Ich rufe dich zwischendurch an, um zu hören, ob er sich gemeldet hat, ja?«

»Gut. Aber das ist ja direkt – direkt dramatisch! Paßt gar nicht zu dir, Liebling.«

»Nein«, sagte Boysie grimmig. »Das paßt überhaupt nicht zu mir. Überhaupt nicht.«

2

Der Theaterverkehr hatte eingesetzt, und es begann zu regnen. In Plastik eingewickelte menschliche Pakete hasteten durch die Straßen und versuchten, vorbeiflitzende Taxis anzuhalten. Bei Liberty wurden die Schaufenster neu dekoriert, nackte, verstümmelte Puppen standen traurig und erniedrigt zwischen hochmütigen Damen und Herren herum. In der Oxford Street wurde der Verkehr dichter und der Regen heftiger. Marble Arch. Boysie bog rechts ab. Edgware Road. Lotus House. Ein Schaufenster mit alten Waffen und Rüstungen. Links Praed Street, Tor zum Westen. Rechts der kleine Zigarettenladen, hinter dem sich das Instruktionslokal des Departments befand. Daß Mostyn die Instruktion aus dem Hauptquartier in diesen geheimen Stützpunkt verlegt hatte, war ein Teil seiner Dezentralisierungspolitik, die dazu diente, die Gegenseite, aber auch andere Dienststellen des Geheimdienstes zu verwirren. Außerdem gab es der Alltagsroutine ein wenig von der Würze des Abenteuers, die mancher im Department seit dem Krieg schmerzlich vermißte.

Mostyns silbergrauer Bentley parkte gegenüber dem Zigarettenladen, zu dicht hinter einem scharlachroten Mini. Boysie setzte seinen Jaguar so knapp hinter den Bentley, daß die drei Wagen fast eine Einheit bildeten, und freute sich auf Mostyns Ärger, wenn er nicht aus der Lücke konnte. Er stellte den Motor ab, zündete sich eine Benson-and-Hedges-King-size-Filter an und stieg aus. Der Regen klatschte auf seinen Wildledermantel. Das Schaufenster war wenig einladend, eine dicke Staubschicht lag auf den ausgebreiteten Zigarettenpackungen. Unter ihnen bemerkte Boysie mehrere Marken, die es seit seiner Kindheit gar nicht mehr zu kaufen gab.

Blore, der Ladeninhaber, öffnete ihm.

»Ich habe keine Gold Flake mehr«, leitete er das Ritual ein.

»Ich will keine Gold Flake«, schnurrte Boysie die vorgeschriebene Parole herunter. »Ich möchte die Spezialmarke.«

»Nett, Sie wiederzusehen«, lächelte Blore ihm zu und schloß die Tür hinter ihm. Dann führte er ihn ins Hinterzimmer, das Instruktionslokal. Ein kleiner weißer Raum mit vier Stühlen, mit Klapptisch, metallenem Aktenschrank und einem blauen Telefon. Eine 40-Watt-Birne ohne Schirm hing von der Decke herab.

»Eines Tages wird ein gewiefter Polizist diese blödsinnige Zeremonie mitkriegen und uns das Rauschgiftdezernat auf den Hals hetzen«, brummte Boysie.

»Das soll nicht Ihre Sorge sein. Setzen Sie sich, wir haben eine Menge zu tun.«

Mostyn saß an dem Tisch, auf dem ein Eumig-Mark-S-Projektor und ein Dia-Betrachter bereitstanden, und wandte sich nicht um. Kurz, untersetzt, mit sehr kurz geschnittenem grauen Haar, die kleinen Hände flach auf die gelben Ordner gelegt, Verkörperung der herrschenden Klasse, die immer am Ruder blieb, trotz Wahlen und Kabinettswechseln.

Boysie setzte sich. Einer von Mostyns gesichtslosen Trabanten tauchte von irgendwoher auf und bezog Stellung an den Apparaten.

»Dia eins«, befahl Mostyn. Das Bild erschien auf der Leinwand.

»Kennen Sie ihn?«

Boysie runzelte angestrengt die Stirn. »Das Gesicht kommt mir bekannt vor, aber ich weiß nicht …«

»Natürlich nicht. Ich wünschte, Sie würden sich mehr für unsere Regierung interessieren, Boysie. Es ist Mr. William Penton, Mitglied des Parlaments.«

»Ach ja. Der Hecht im Karpfenteich.«

»Nicht gerade der Titel, der ihm zusteht, aber immerhin …«

»Der Daily Express nennt ihn so.«

»Na schön.« Sehr von oben herab. »Also: Rotes Ziel L 27 William Francis Penton. Geboren 1928. Studium in Oxford. Eine Zeitlang Dozent für Wirtschaftswissenschaft. Extrem links eingestellt. Durch brillante Ersatzwahltaktik 1953 in Bettlefield in die Politik gekommen. Ehrgeizig. Hatte unter der letzten Regierung große Chancen, ins Kabinett zu kommen. Glücklicherweise hat der Premierminister ausnahmsweise auf unsern Rat gehört. Gab natürlich großes Geschrei in der Linkspresse, mit der er immer unter einer Decke steckte.«

»Ich erinnere mich. Penton auf Abstellgleis geschoben.«

»So ähnlich. Sehr geschickter Publicity-Mann. Und ein Verräter. Wir beobachteten ihn schon eine ganze Zeit. Er hat regelmäßig Informationen weitergegeben – nichts Besonderes, hauptsächlich Wirtschaftssachen. Aber jetzt steht seine Berufung ins Kabinett unmittelbar bevor, und diesmal können wir sie nicht verhindern – daher die Eile. In den nächsten Tagen soll die Sache bekanntgegeben werden. Wir haben uns die Geschichte zu lange mit angesehen, und ich möchte nicht gerade jetzt mit seiner Akte im Foreign Office angetanzt kommen. Diese neuen Burschen glauben, sie wissen alles besser. Ich möchte es nicht drauf ankommen lassen.«

Boysie nickte verständnisvoll und drückte den Rest seiner Benson-and-Hedges in der Tabakbüchse aus, die als Aschenbecher diente.

»Hinzu kommt, daß irgendein Trottel ihm Zugang zu wirklich wichtigem Material verschafft hat. Noch ist nichts passiert, aber das macht die Sache um so dringender. Wollen Sie ihn sich mal ansehen?«

»Ob ich will, spielt ja wohl keine Rolle, oder? Sie werden mir den Film so und so zeigen.«

»Seien Sie nicht so, Boysie. Ich will Sie nur etwas mit seinen Gewohnheiten vertraut machen. Damit Sie sich überlegen können, wie Sie es am besten machen.«

Mostyn warf einen scharfen Blick auf Boysie, dessen Mund heftig nach links zuckte.

»Was ist los? Sind Sie nervös?«

»An meiner Stelle wären Sie auch nervös, verdammt noch mal! Sie sagten was von einem Flugzeug. Was hat das damit zu tun?«

»Alles der Reihe nach, mein Lieber. Sie werden alles zu seiner Zeit erfahren. Jetzt machen Sie sich’s gemütlich, und sehen Sie sich den hübschen Film an. Sie haben den teuersten Platz.«