Engelssturm - Gabriel - Heather Killough-Walden - E-Book

Engelssturm - Gabriel E-Book

Heather Killough-Walden

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Beschreibung

Glamourös, sexy, leidenschaftlich – die Erzengel sind zurück!

Seit zweitausend Jahren wandelt der ehemalige Botenengel Gabriel auf Erden, stets auf der Suche nach der Einen, die für ihn bestimmt ist. Bisher war seine Suche vergeblich … Als Gabriel in einem schottischen Pub der bezaubernden Juliette begegnet, sprühen sofort die Funken zwischen den beiden, dennoch bleibt Juliette misstrauisch. Eigentlich will sie nur ihre Doktorarbeit abschließen, und der sexy Engel mit seinen betörenden Augen ist eine höchst unwillkommene Ablenkung. Doch als Juliette ins Visier der höllischen Mächte gerät, ist Gabriel der Einzige, bei dem sie sicher ist.

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Seitenzahl: 487

Veröffentlichungsjahr: 2013

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HEATHER KILLOUGH-WALDEN

ENGELS-

STURM

GABRIEL

Roman

WILHELM HEYNE VERLAG

MÜNCHEN

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.
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Titel der amerikanischen OriginalausgabeMESSENGER’S ANGELDeutsche Übersetzung von Eva Malsch
Copyright © 2012 by Heather Killough-WaldenCopyright © 2013 der deutschsprachigen Ausgabe und der Übersetzung by Wilhelm Heyne Verlag, München,in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München. Covergestaltung: Nele Schütz Design, MünchenRedaktion: Uta DahnkeSatz: Christine Roithner Verlagsservice, BreitenaichISBN: 978-3-641-08626-8V003
www.twitter.com/HeyneFantasySF@HeyneFantasySF www.heyne.de

Das Buch

Einst wurden vier weibliche Engel geschaffen, um den Erzengeln in Liebe und Treue zur Seite zu stehen – Sternenengel. Die Folge davon waren Neid, Missgunst und Eifersucht in den himmlischen Gefilden. Um die Zwietracht zwischen den Engeln zu beenden, schickte der Schöpfer die Sternenengel zur Erde, woraufhin die vier Erzengel beschlossen, vom Himmel herabzusteigen, um ihre Geliebten zurückzuholen. Jahrtausende der Suche blieben jedoch erfolglos – bis jetzt: Als der ehemalige Botenengel Gabriel in einem schottischen Pub der bezaubernden Juliette begegnet, ist er sich sofort sicher, dass sie die Eine ist, die am Anbeginn der Zeit für ihn geschaffen wurde. Und auch Juliette ist magisch von Gabriel angezogen, dennoch bleibt sie misstrauisch. Eigentlich ist sie nur nach Schottland gekommen, um ihre Doktorarbeit abzuschließen, und der sexy Engel mit seinen betörenden Augen ist da eine höchst unwillkommene Ablenkung. Doch als Juliette ins Visier höllischer Mächte gerät, ist Gabriel der Einzige, bei dem sie sicher ist …

»Eine mitreißende Geschichte, tolle Charaktere und prickelnde Erotik machen Engelssturm zu einem unvergesslichen Lesevergnügen!«

Romantic Times Book Review

Die Autorin

Heather Killough-Walden wurde in Kalifornien geboren. Sie studierte Jura, Religionswissenschaften und Archäologie und bereiste die Welt, bevor sie beschloss, sich ganz dem Schreiben zu widmen. Die Autorin lebt mit ihrer Familie in Texas.

Weitere Informationen zu Autorin und Werk erhalten Sie unter:

www.killough-walden.com

Ein Hoch auf die Worte, die uns Hoffnung geben!

Vor langer Zeit versammelte der Alte Mann seine vier liebsten Erzengel, Michael, Gabriel, Uriel und Azrael. Er zeigte auf vier Sterne am Himmel, die heller leuchteten als alle anderen. Er wollte sie für ihre Loyalität belohnen und hatte Seelengefährtinnen für sie geschaffen. Vier perfekte weibliche Wesen – Sternenengel.

Doch bevor die Erzengel sich mit ihren Gefährtinnen vereinen konnten, verschwanden die vier Sternenengel. Sie wurden in alle Winde zerstreut, jenseits ihrer Gefilde und unerreichbar. Die Erzengel trafen die Entscheidung, ihre eigene Welt zu verlassen, auf die Erde zu kommen und ihre Gefährtinnen zu suchen.

Über zweitausend Jahre haben die Erzengel seither gesucht. Und sie waren mit ihrer Suche nicht allein.

Denn sie sind nicht die Einzigen, die ihr Gefilde verlassen haben und auf der Erde wandeln, um die Sternenengel ausfindig zu machen. Jemand ist ihnen gefolgt …

1

Juliette wich auf dem mächtigen Himmelbett langsam zurück, denn noch immer wollte sie einesteils flüchten. Aber der Engel grinste dreist, kam wie ein großer Kater über sie, geschmeidig und gefährlich, und sie gelangte nicht weit.

Kraftvoll umfasste er ihre Handgelenke, ehe sie auch nur blinzeln konnte. Ihre Atemzüge beschleunigten sich, und sie starrte die starken Muskeln an seinen Armen und seiner Brust an. Dann schweifte ihr kühner Blick über seine glatte gebräunte Haut zu der Stelle, wo sein Körper in seiner aufgeknöpften Bluejeans verschwand.

Ihr Mund fühlte sich heiß und trocken an. Wie rasend schlug ihr Herz. Ihre Hände bebten unter seinen, die sie wie Schraubstöcke umschlossen. Ringsum ragten die Wände des Schlosses empor, am Rand ihres Blickfelds, kahl und doch schützend, uralt und neu zugleich. Zerbröckelnde Grundmauern, verhüllt von Erinnerungen an die Gobelins und Wandleuchter, die sie einst geschmückt hatten.

In dem gigantischen steinernen Kamin knisterten Flammen, die das Gemach des Herrschers wärmten, und von der See her strömte ein kalter Wind durch die leeren Fensteröffnungen herein und fegte durch den in Trümmern liegenden Raum.

Das Schloss war ein Skelett, ein Gespenst, bis auf die Knochen entblößt, umgeben von den Erinnerungen an seine Vergangenheit.

Der Engel jedoch war warm, kein Geist, sein Körper hart und beharrlich und sehr, sehr real. Jetzt senkte er den Kopf und betrachtete Juliettes schlanke Gestalt. Als er sich bewegte, sah sie wieder die großen schwarzsilbernen Flügel an seinem Rücken. Irisierend schimmerten die Federn in den Mondstrahlen, die durch die Fenster hereindrangen und den Schauplatz ihres heimlichen Liebesspiels erhellten.

So schön, dachte sie geistesabwesend.

Er begegnete ihrem Blick, und sie verlor sich im seltsamen Silberlicht seiner Augen. Sie glühen, dachte sie ehrfürchtig.

Mit diesem Blick fesselte er sie an das Bett, beanspruchte sie, nahm sie in Besitz. Kein Mann auf der Welt hatte sie jemals so angesehen wie dieser Engel.

Juliette spürte, wie sie errötete, wie ihre Wangen glühten, wie ihre Brüste anschwollen, wie der Stoff ihrer Bluse über die schmerzhaft verhärteten Brustwarzen rieb. Plötzlich fiel ihr das Atmen schwer. Sie wollte sich unter dem Engel aufbäumen, den Abstand zwischen den beiden Körpern überwinden und ihn berühren. Noch nie hatte sie sich etwas so brennend gewünscht.

Endlos lange starrte er sie an, beobachtete sie, prägte sich ihren Anblick ein, schien sie mit seinen Augen zu verschlingen. Ihre Brust verengte sich. Das ertrug sie nicht, seine absolute Kontrolle über ihren Körper. Zwischen ihren Schenkeln fühlte sie eine feuchte Wärme. Hatte er das mit seiner Willenskraft bewirkt? Leise lachte er, als würde er ihre Gedanken erraten. Wie eine Liebkosung glitt sein Gelächter über ihre Haut, tief und köstlich lasterhaft. Sie erschauerte, schloss die Augen und bekämpfte den Drang, sich unter ihm zu winden. Fast hielt sie es nicht mehr aus. Fast hätte sie ihn angefleht, sie zu nehmen.

Irgendetwas stimmt mit mir nicht, dachte sie. Das passte nicht zu ihr.

Niemals gab sie sich leichtfertig hin. Sie besaß normalerweise einen eisernen Willen. Was war geschehen? Wieso hatte sie diesen Engel in ihr Bett gelassen? War sie ihm nicht eben erst begegnet?

Nicht einmal seinen Namen kenne ich.

Als sie seine weichen Lippen wie Schmetterlingsflügel auf ihren spürte, riss sie die Augen auf. Da hob er herausfordernd den Kopf und musterte sie wieder mit seinem übermenschlichen Blick. Kein Wort sagte er. Aber ein fast grausames Lächeln entblößte seine ebenmäßigen, schneeweißen Zähne, erschien ihr raubtierhaft in seinem viel zu attraktiven Gesicht. Und dann umfasste er ihre Handgelenke mit nur einer Hand. Mit der anderen packte er ihre Bluse.

Der Stoff spannte sich, schabte über ihre empfindlichen Brustwarzen, und sie rang nach Luft. Langsam, beinahe bedrohlich, riss er die Knöpfe ab, einen nach dem anderen, und entblößte ihren Oberkörper.

Jetzt stöhnte sie. Der Wind wehte über ihre nackte Haut, leckte hungrig an den Spitzen ihrer Brüste, die sich noch schmerzhafter aufrichteten.

Er wird mich verschlingen, dachte sie, und es störte sie nicht.

Anmutig senkte er seine Flügel an den Seiten des Betts herab, so dass die schwarzsilbernen Federn sie vor dem Wind schützten. Dann neigte er sich zu ihr, und sie spürte seinen heißen Atem – im intensiven Kontrast zu der Kälte – auf ihrer rechten Brust. Sie spannte sich an, wehrte sich gegen den Griff, der ihre Handgelenke fesselte. Doch der Engel hielt sie mühelos fest, seine Zunge streifte ihre Brustwarze. Schreiend zuckte Juliette zusammen, und wieder glitt sein Gelächter über ihre Haut wie ein sanftes Donnergrollen.

»Bitte«, keuchte sie und wusste nicht einmal, worum sie flehte. Es war einfach zu viel. Zu sonderbar, zu perfekt. Engel durften Menschen nicht quälen, oder?

Und dann sank er auf sie herab, presste seine harte Brust an ihren Busen, und ihr stockte der Atem. Aber er lenkte sie ab, indem er mit seiner freien Hand die Volants ihres Minirocks an ihrem schlanken Schenkel hochschob. Voller Sehnsucht stöhnte sie wieder, als er ihre Hinterbacken streichelte. Sie trug keinen Slip …

An ihrem Ohr spürte sie seinen Atem, eine Gänsehaut am ganzen Körper. »Das tu ich doch gern«, flüsterte er, und seine Hand wanderte nach vorn.

»… klappen Sie die Tische zurück und stellen Sie die Rückenlehnen senkrecht …«

Als der Pilot die Landung ankündigte, schreckte Juliette aus ihrem Schlaf hoch. Der Mann an ihrer Seite warf ihr einen wissenden Blick zu. Zutiefst verlegen unterdrückte sie ein Seufzen und starrte aus dem Fenster. Ihr Spiegelbild starrte zurück – lange, dichte braune Locken, haselnussbraune Augen, in diesem Moment eher grün, gerötete Wangen und Lippen, Folgen ihres Traums.

Nicht zum ersten Mal hatte sie von verfallenen Schlössern und gespenstischen Gestalten geträumt. In manchen Nächten wanderte sie über einen uralten schottischen Friedhof, dessen Grabsteine unleserlich, windschief, zum Teil gar umgefallen waren und zugleich frisch errichtet und jüngst behauen. In anderen Nächten ging sie durch ein Schloss, so wie in diesem letzten Traum. Lauter Ruinen – und trotzdem sah sie, wie sie einst ausgesehen hatten, als hielten sich in ihr hartnäckige Erinnerungen an ihren längst verblassten Glanz.

Immer wieder geriet sie in solche Träume, die Vergangenheit und Gegenwart auf melancholische Weise vermischten. Das zählte zu den Gründen, die sie bewogen hatten, Anthropologie zu studieren. Geschichten aus der Vergangenheit faszinierten sie. Ja, sie schrien geradezu nach ihr.

Aber in diesem Traum war zum ersten Mal ein Mann erschienen. Ein Engel.

»Guten Tag, meine Damen und Herren, hier spricht Ihr Kapitän.« Erneut erwachte die Sprechanlage zum Leben, Störgeräusche durchbrachen die Worte, Musikfetzen aus diversen Filmen, die im Jet liefen. Juliette sah sich um und beobachtete, wie Passagiere zusammenzuckten und hastig ihre Kopfhörer abnahmen. »Unsere bisherige Flugzeit beträgt sechs Stunden und achtunddreißig Minuten. In dreiundzwanzig Minuten werden wir Edinburgh erreichen. Ein kühler Märztag, einundvierzig Grad Fahrenheit, vier Grad Celsius, Nordwestwind, fünfzehn Meilen pro Stunde …«

Juliette verdrängte die Stimme des Piloten aus ihrem Bewusstsein und betrachtete durch das Fenster die grünschwarze Landschaft. In letzter Zeit verreiste sie sehr oft. Während des Vorjahrs hatte sie in Australien dank eines Übersee-Forschungsprogramms studiert und Neuseeland besucht. Sie war zu beiden Küsten der USA geflogen. Jetzt würde sie mehrere Wochen in Schottland verbringen und an ihrer Dissertation arbeiten, finanziert durch ein Forschungsstipendium der Carnegie Mellon University in Pittsburgh.

Aus zwei Gründen war Schottland für sie etwas Besonderes. Zum einen hatte sie schon als kleines Mädchen hierherkommen wollen, denn ihre Eltern stammten aus Schottland. Ihre Mutter war eine MacDonald, ihr Vater ein Anderson, und so lag ihr Schottland gewissermaßen im Blut.

Der zweite Grund hing mit einer neuen Entwicklung zusammen. So oder so hatte sie ethnologische Studien auf den Äußeren Hebriden geplant, der Heimat ihrer Familie väterlicherseits, da hatte ihr Studienberater ihr erklärt, Samuel Lambent, der berühmte, reiche Medienmogul, würde ihr einen Deal anbieten. Er würde ihr ein beträchtliches Honorar und ihren verlängerten Aufenthalt zahlen, wenn er ihre Forschungsergebnisse für eine TV-Miniserie über die Legenden entlegener schottischer Gebiete verwenden dürfte.

Völlig verblüfft hatte Juliette nicht einmal gefragt, warum Lambents Wahl ausgerechnet auf sie gefallen war, obwohl sich Studenten in aller Welt mit Schottland befassten und einige sicher fundiertere Kenntnisse besaßen.

Nur zu gern nutzte sie diese einzigartige Chance. Aber natürlich stellte Lambent gewisse Bedingungen. Er brauchte Material, das er dem TV-Publikum ›verkaufen‹ konnte, und außerdem musste sie jede Woche einen seiner Leute treffen und ihn über ihre Fortschritte informieren.

Sie hatte das Gefühl, dies alles wäre ein Traum, zu fantastisch, um wahr zu sein. Allzu viel Geld hatte sie nie besessen. Ihre Eltern waren Professoren. Diesen Beruf strebte sie ebenfalls an. Doch die Fachgebiete der beiden gehörten zu den finanziell vernachlässigten im akademischen Spektrum. Und zudem besaß Juliette, was jeder Buchhalter als ›die ziemlich unangenehme Angewohnheit, ständig ihr Geld zu verschenken‹ bezeichnet hätte. Sie war einfach zu emotional, konnte niemanden leiden sehen, und wann immer sie das Los unglücklicher Menschen zu lindern vermochte, zögerte sie nicht.

Deshalb führte sie ein sehr bescheidenes Leben.

Aber nun konnte sie sich fast alles leisten, was sie wollte. Für eine Villa in Beverly Hills würde das Geld natürlich nicht reichen. Doch das interessierte sie auch gar nicht. Und falls die Fernsehserie erfolgreich wäre, würde diese Villa für sie ja eines Tages vielleicht sogar dennoch finanzierbar sein.

Ja, es glich wirklich einem Traum. Vor dem Angebot hatte sie an sich selbst und ihrem Verstand gezweifelt. Monatelang war sie fast mittellos gewesen, überarbeitet, hin- und hergerissen zwischen ihrer Dissertation und diversen Gelegenheitsjobs. Und einem Zusammenbruch nahe – wegen eines Ereignisses in Australien …

Allein an einem Strand, hatte sie ein paar kostbare erholsame Minuten genossen und das Meer beobachtet. Plötzlich hatte sie einen Surfer versinken und nicht mehr auftauchen sehen. Irgendwie war es ihr trotz ihrer zierlichen Figur gelungen, den bewusstlosen Mann an Land zu ziehen. Sie hatte seine Kopfverletzung entdeckt und erkannt, in welch bedenklichem Zustand er sich befand. Und dann hatte sie etwas Unbegreifliches getan: Sie hatte ihre Hand auf seine Brust gelegt und sich vorgestellt, sie würde ihn heilen.

Im Nachhinein hatte sie zu wissen geglaubt, was geschehen war. Sie hatte eine Halluzination gehabt. Das war die einzig logische Erklärung. Offenbar war zu viel auf sie eingestürmt – die Reise, der Studienstress, der verantwortungsvolle Job in dem örtlichen Kinderheim. Vermutlich hatte der Mann den Unfall nur überlebt, weil sie nach der imaginären ›Heilung‹ zum nächsten bewachten Strandabschnitt gelaufen war und die Rettungsschwimmer alarmiert hatte.

Tage- und nächtelang hatte sie an jene seltsamen surrealistischen Minuten gedacht und überlegt, was mit ihr passiert sein mochte. Welche Art von Zusammenbruch hatte die Illusion bewirken können, sie würde Heilkräfte besitzen? Sie hatte sogar erwogen, aus dem Forschungsprogramm auszusteigen, den Job im Kinderheim aufzugeben und ihren Eltern zu gestehen, dass sie das alles nicht mehr ertragen würde.

Und dann hatte Samuel Lambent, als Lebensretter und Schutzengel, ihr dieses fabelhafte Angebot gemacht. Als der Vertrag per FedEx eintraf, hatte sie ihn unterschrieben, ohne ihn genau zu lesen, und ihr Stresspegel war sofort gesunken. Eine schwere Last war ihr von der Seele genommen, und sie hätte diesen Mann am liebsten geküsst.

Sie konnte es kaum erwarten, ihre Forschungsarbeit zu beginnen. Für die Dauer ihrer Abwesenheit würde ihre beste Freundin Juliettes Mietwohnung in Pittsburgh beziehen und den Garten pflegen. Was Sophie ihrem eigenen winzigen Apartment zweifellos vorzog. Juliette, genannt Jules, wusste ihre gute Freundin zu schätzen. Auch Soph hatte es nicht leicht im Leben, hatte aber keine Sekunde gezögert und sofort ihre Hilfsbereitschaft bekundet. Sofern sie Jules um die wunderbare Forschungsreise beneidete, hatte sie es nicht gezeigt.

Lächelnd beschloss Juliette, in Edinburgh ein besonderes Geschenk für Sophie zu kaufen. Oder vielleicht in Glasgow. Sie freute sich nicht sonderlich darauf, ein Auto zu mieten und auf der falschen Straßenseite zu fahren. Aber alles andere in ihrem Leben erschien ihr derzeit geradezu perfekt.

O nein, nicht schon wieder. »Verdammt«, murmelte Gabriel. Unfassbar, dass es schon wieder so weit war. Dabei hielt er sich erst seit ein paar Monaten neuerlich hier in Rodel, in Schottland, auf.

»Holt die Nüsse!«, schrie jemand im Pub, und einige seiner Kumpel lachten. »Schürt das verflixte Feuer!«, rief ein anderer.

Gabriel fuhr sich mit der Hand übers Gesicht und versuchte, angemessene Verlegenheit zu mimen. Aber es fiel ihm schwer, denn er war eher frustriert und wütend als verlegen. Dass es diesmal so weit kommen würde, hatte er wirklich nicht beabsichtigt. Zugegeben, früher war er durchaus stolz gewesen, wenn es dazu kam. Jetzt hingegen war es für ihn nur mehr eine ermüdende Prozedur, sinnlos und manchmal sogar schmerzhaft.

»Leider bist du zu weit gegangen, Black.« Stuart beugte sich über den Tisch und sprach leise, mit starkem Akzent, wie es normal war für jemanden, der sein ganzes Leben auf den Inseln verbracht hatte. »Nun hat Dougal dich aber am Wickel. Was los sein wird, falls die blöden Nüsse nicht gleichzeitig hochgehen, will ich mir gar nicht vorstellen.«

»Werden sie nicht, Stuart«, erwiderte Gabriel genauso leise. »Tun sie nie.«

Stuart Burns war über siebzig, ein harter Muskelprotz. Etwas anderes als Fischen hatte er nie getan, und das war auf den Äußeren Hebriden kein einfacher Job. Entweder brachte es einen Mann um, oder es machte ihn stärker. Für Stuart galt beides. Deshalb war Gabriel ihm begegnet. Bei einem Bootsunfall hatte er ihn aus der eisigen See gezogen. Damals war Stuart noch sehr jung gewesen. In jenen Wellen war seine weichere Seite gestorben und ein hartgesottener, strenger Charakter übrig geblieben. Aber er hatte sich stets als guter, verlässlicher Freund erwiesen – der einzige Mensch, der Gabriels Geheimnis kannte. In ganz Schottland wusste nur er, dass Gabriel Black nicht, wie alle anderen glaubten, Duncan Blacks Sohn war, sondern Duncan Black selbst. Weil jedes männliche Mitglied dieser Familie ein und derselbe war. Ja, im Grunde gab es weder Duncan Black noch Gabriel Black – sondern nur Gabriel, den mächtigen Erzengel, den Boten, einen der vier berühmten erhabenen Erzengel.

Im Lauf der Jahrhunderte hatte er viel Zeit in Schottland verbracht. Manche Epochen waren angenehm gewesen, andere weniger. Europa hatte die Inquisition, die Pest und zahllose Kriege durchlitten, der Teppich der schottischen Geschichte war aus Dornenfäden gewebt, und trotzdem liebte Gabriel sein schönes Kaledonien.

Da er nicht alterte, durfte er an keinem Ort je zu lange bleiben. Sonst hätten sich die Leute gefragt, warum ein Fünfzig- oder Sechzigjähriger immer noch wie ein Dreißigjähriger aussah. Bevor es dazu kam, zog er also jeweils anderswohin. Zwanzig oder dreißig Jahre später kehrte er dann nach Schottland zurück und gab sich als Sohn des Mannes aus, der er früher gewesen war.

Seine Erklärungen blieben stets die gleichen. Sein ›Vater‹ war mit einer Frau aus einem anderen Dorf durchgebrannt und er, Gabriel, das Resultat dieser Beziehung. So machte er es immer wieder, denn nichts konnte ihn allzu lange von Schottland fernhalten.

Diesmal hatte er der Rückkehr besonders ungeduldig entgegengefiebert. Denn neuerdings war das Leben in dem Herrenhaus in den Vereinigten Staaten, das er mit seinen drei Brüdern teilte, einfach zu unwirklich geworden. Vor Kurzem hatte Uriel seinen Sternenengel gefunden und mit ihr jenes wahre Glück, das die anderen Erzengel schon so lange ersehnten. Gut zweitausend Jahre lang hatte der einstige Racheengel den weiblichen Engel gesucht, der eigens für ihn vom Alten Mann erschaffen wurde. Und vor einigen Monaten war er der Frau endlich begegnet. Er war der erste der vier Brüder, der dieses Ziel erreicht hatte.

Doch nicht nur von den Erzengeln wurden die Sternenengel geschätzt, sondern auch von den Adarianern, einer älteren, furchterregenden und mächtigen Erzengelrasse. Wegen der ungewöhnlichen Heilkunst der Sternenengel wollten die Adarianer sie in ihre Gewalt bringen. Zur gleichen Zeit wie Uriel hatte auch der Anführer der Adarianer die schöne Eleanore aufgespürt. Nach einigen physischen und mentalen Kämpfen hatten die vier Erzengel mehr oder weniger gesiegt. Nun lebten Uriel und Eleanore glücklich verheiratet in den USA.

Gabriel freute sich für seinen Bruder. Und die Gewissheit, dass diese Zweisamkeit möglich war und die Sternenengel tatsächlich existierten, erfüllte ihn mit neuer Hoffnung, nachdem er seine eigene jahrhundertelange Suche nach seiner Seelengefährtin schon fast aufgegeben hatte.

Andererseits war es schwierig, Uriel und Eleanore vereint zu sehen, ohne sich zu fragen, ob er noch eine Woche würde warten müssen, bis sein Sternenengel endlich auftauchte, oder weitere zweitausend Jahre. Ob sich seine Brüder Michael, der Krieger, und Azrael, der Todesengel, das auch fragten?

Den Gedanken an lange Jahrhunderte in öder Einsamkeit ertrug er kaum. Und so war er nach Schottland zurückgekehrt und von seiner Heimat mit offenen Armen aufgenommen worden.

Jetzt unterdrückte er ein Stöhnen, als zwei große Haselnüsse aus der Küche des Pubs geholt wurden.

»Verdammt«, murmelte er.

Es war eine alte Tradition auf den Äußeren Hebriden, normalerweise nur während des Samhain-Festes gepflegt, das man anderswo Halloween nannte. Doch die Bevölkerung der Insel Harris war von diesem Termin schon öfter abgewichen, wegen eines gewissen Duncan Black, eines faszinierend schönen Mannes mit silbernen Augen und schwarzem Haar, der zu seiner Zeit ziemlich viele Haselnüsse gebraucht hatte.

Dieser Tradition gemäß mussten zwei Haselnüsse ins Feuer geworfen werden, eine für den Mann und eine für die Frau. Sobald sie sich erhitzten, sprangen sie hoch. Wenn sie gleichzeitig emporhüpften, durfte sich das Paar auf eine glückliche Zukunft freuen und heiratete in der Regel bald darauf. Wenn nicht, sollte es sich besser möglichst schnell trennen.

Zu Gabriels Leidwesen war der verstorbene Duncan Black sehr beliebt bei den jungen Frauen gewesen, um es milde auszudrücken. Doch keine von Duncans Nüssen war jemals gemeinsam mit einer anderen hochgesprungen. Und hätten sie es auch nur versucht, hätte er sie mittels seiner telekinetischen Begabung zurückgehalten. Natürlich hatte er die Bedürfnisse eines gesunden Mannes. Aber das Schicksal hatte keine der Frauen, mit denen er zusammen gewesen war, zu seiner Braut bestimmt.

Das wusste er besser als jeder sonst, zumal, seit Uriel seinen Sternenengel gefunden hatte.

Und so bedauerte er es zutiefst, dass er nun schon, nachdem er nur einige Monate wieder in seiner schottischen Heimat gewohnt hatte, in Duncan Blacks Fußstapfen steckte. Offenbar verstanden es die Blacks, die Frauen verrückt zu machen und in den Männern rasende Eifersucht zu wecken.

Aber diesmal fühlte Gabriel sich nicht mehr so schuldig wie früher. Dass Edeen Angus’ Schwester war, hatte er nicht gewusst, aber viele Geschichten über Angus Dougal gehört. In der ersten Nacht nach seiner Rückkehr auf die Insel Harris, als er den Vertrag für die Teilzeitarbeit auf Stuarts Boot unterzeichnet hatte, war Edeen zu ihm gekommen. Sie hatte erklärt, sie habe zwar Familie auf der Insel, sei jedoch ungebunden. Natürlich hatte er nicht Nein gesagt. Immerhin war sie eine Schönheit mit schulterlangem flachsblondem Haar und grünen Augen. Also hatte er getan, was jeder andere heißblütige Mann auch getan hätte, und deshalb plagten ihn keine Gewissensbisse.

Auf der anderen Seite des Pubs lachte Edeen, und Gabriel hörte den perlenden Klang. Sie saß mit zwei Freundinnen an einem runden Tisch beim Fenster. Als er den Kopf hob und ihrem Blick begegnete, zwinkerte sie ihm zu und lächelte kokett. Das tröstete ihn, denn es bedeutete, dass sie die Situation komisch fand und nicht ernst nahm.

Er nickte. Sehr gut. Nur ihr Bruder würde enttäuscht sein. Gabriel spähte zu ihm hinüber.

Und Angus schaute zurück, mit harten grünen Augen in einem Gesicht, das manche Frauen fast so attraktiv fanden wie Blacks Züge. Wie Gabe vermutete, hing das teilweise mit Angus’ Zorn zusammen. Und der rührte natürlich jetzt daher, dass seine Schwester mit Gabriel geschlafen hatte. Dies war eine tiefreligiöse, abergläubische Gemeinde. Im Allgemeinen hurten die Leute nicht herum, schon gar nicht mit der Schwester eines der gefährlichsten Männer im Dorf.

Angus war groß und so muskulös wie Stuart. Und er hatte ein Problem. Wenn die Haselnüsse nicht zusammen hochflogen, würde er versuchen, Gabe irgendwas zu beweisen.

Was kein gutes Ende nehmen würde. Denn auf der ganzen Erde gab es keinen einzigen Menschen, der Gabriel in einem Kampf besiegen konnte. Und einen Schotten zu verletzen, war das Letzte, was der Erzengel wollte, nur vier Monate nach seiner Rückkehr auf die Insel, zumal dieser Schotte zufällig ein Polizist war.

»Bring mich hier raus«, flüsterte er Stuart zu. Sein schottischer Akzent unterschied sich kaum von dem seines Freundes.

Als Stuart lachte, klang es wie das Rascheln welker Herbstblätter, von einem Windstoß durcheinandergewirbelt. »Da hast du dich selber reingeritten, Black. Sieh allein zu, wie du rauskommst.«

Gabriel warf ihm einen kurzen Blick zu und holte tief Luft. Dann beschloss er, aufzustehen und zu verkünden, er würde die Haselnüsse nicht so benutzen, wie es sein Vater, sein Großvater und sein Urgroßvater getan hatten. Doch in diesem Moment sprang Edeen auf, hob eine Hand, und das Stimmengewirr verstummte.

»Hört mir zu!« Sie stieg auf ihren Stuhl. »Ihr alle hattet euren Spaß!« Ihre Hände in die Hüften gestemmt, starrte sie die Männer der Reihe nach an. »Jetzt reicht’s! Das ist eine Samhain-Tradition, keine März-Tradition. Und ich lasse mich nicht von euch zwingen, jemanden zu heiraten, nur weil’s zwei verdammte Nüsse so wollen!«

Lautes Gelächter erfüllte das ganze Pub. Teilweise klang es nervös, denn auf den Äußeren Hebriden pflegten die Frauen nicht zu fluchen. Aber Edeen Dougal hatte einen gewissen Status erworben, und so wurde es akzeptiert.

Angus Dougal bahnte sich einen Weg durch die Menge und blieb vor ihr stehen. Immer noch auf dem Stuhl stehend, überragte sie ihren Bruder um Haupteslänge. Herausfordernd musterte sie ihn.

»Steig da runter und misch dich nicht ein …«, begann er.

»Ach, halt den Mund, du bist nicht mein Dad«, unterbrach sie ihn verächtlich und verdrehte die Augen. »Hau bloß ab!« Sie sprang vom Stuhl herunter, schlenderte zur Tür und warf ihr blondes Haar über die Schulter zurück. »Bei diesem Unsinn mach ich nicht mit.« An die Allgemeinheit gewandt, fügte sie hinzu: »Findet ihr nicht, dass ihr alle ein bisschen kindisch seid?«

Ihre Freundinnen folgten ihr. Die eine zog sich noch ihre Jacke über, die andere rückte den Riemen ihrer Handtasche zurecht. Belustigt und leicht verlegen seufzten sie beide. An Edeens Eigenwilligkeit waren sie längst gewöhnt.

Zum Abschied nickte sie dem Barkeeper zu, der wissend lächelte. Und dann verschwand Edeen Dougal mit ihren Begleiterinnen.

Vor lauter Erleichterung hätte Gabriel fast geweint.

»Nun bist du gerettet, Black.« Stuart lachte wieder und schüttelte den Kopf. »Und das von einem Mädchen!«

»Aye.« Gabriel hob sein Glas, ein schiefes Grinsen auf seinem attraktiven Gesicht. »Möge der Allmächtige die Frauen segnen …«

2

»Was glaubst du, wie die anderen Sternenengel aussehen?« Eleanore saß auf Uriels Schoß, wickelte sich eine Strähne ihres langen blauschwarzen Haars um den Finger und beobachtete das Kaminfeuer im geräumigen Wohnzimmer des Erzengelhauses.

»Keine Ahnung. Jedenfalls siehst du genauso aus, wie ich’s mir immer vorgestellt habe. Also nehme ich an, die anderen gleichen den Fantasiebildern meiner Brüder.«

Eleanore wandte sich ihrem Ehemann zu. Mit seinen eisgrünen Augen und den braunen Locken erschien er ihr so wunderbar wie immer. Trotzdem runzelte sie die Stirn, verärgert über seinen Kommentar. Warum sollte das Aussehen einer Frau von den Wünschen eines Mannes abhängen?

Als hätte Uriel ihren Unmut gespürt, schenkte er ihr sein umwerfendes Lächeln und lachte leise. »Sicher ist es auch andersherum möglich. Die äußere Erscheinung der Sternenengel könnte ebenso gut unsere Träume und Erwartungen beeinflussen.«

Nun, das gefiel ihr etwas besser, und sie erwiderte sein Lächeln. Sie musterte sein dichtes Haar, die markanten Züge, die betörenden grünen Augen. Gewiss, auch er entsprach ihrer Vorstellung von vollkommener Schönheit. Schon seit sie ihn zum erstem Mal auf dem Plakat für den Film Ausgleichende Gerechtigkeit gesehen hatte, in dem er die Hauptrolle spielte, einen Vampir namens Jonathan Brakes.

Wie Gabriel besaßen auch alle seine Brüder eine menschliche Identität, wobei sie unterschiedlich im Rampenlicht standen. Uriel, ein Hollywoodstar, hieß Christopher Daniels.

Langsam fuhr sie mit ihrem Daumen über seine Bartstoppeln, und er verengte die Augen. »Eins werde ich stets vermissen, seit Sam mich mit dem Vampirfluch belegt hat«, sagte er sanft, »die Fähigkeit, deine Gedanken zu lesen. Ein Penny für alles, was dir gerade durch den Kopf geht?«

Lachend schüttelte Eleanore den Kopf. »Ich weiß, du kannst alles in diesem Raum zu Gold verwandeln. Mit einem Penny kommst du nicht weit, junger Mann.«

Auch Uriel lachte. »Jung bin ich nun wirklich nicht.«

Das stimmte. Genaugenommen war er sogar älter als die Zeit. Ebenso wie seine Brüder lebte er seit über zweitausend Jahren auf der Erde. Aber vorher hatte er in anderen Gefilden existiert.

»Verrätst du mir, woran du denkst?« Seine grünen Augen funkelten. »Oder muss ich es dir entlocken?« Seine Hand glitt unter ihre Bluse und berührte aufreizend den Spitzenstoff ihres BHs.

Sofort pochte Ellies Herz schneller, ihre Temperatur stieg um einige Grade. Die Lippen leicht geöffnet, beobachtete sie, wie sich die Pupillen ihres Mannes weiteten und seine Leidenschaft bezeugten. Als würde er ihre Reaktion spüren, wurde sein Lächeln breiter, fast bedrohlich.

Da beschloss sie, die Qual zu verlängern. »Soeben dachte ich, solange sich die Adarianer und Sam irgendwo dort draußen herumtreiben, wird es ein Kampf werden für die anderen«, sagte sie wahrheitsgemäß. Sie sorgte sich um die anderen Sternenengel, nachdem sie selbst ein hartes Leben geführt hatte. Von Kindesbeinen an war sie vor den Adarianern geflohen – seit deren Anführer gesehen hatte, wie ein verletztes Kind unter ihren Händen genesen war. Nicht zuletzt wegen der anderen Sternenengel war sie mit Uriel auf der Erde geblieben, nachdem sich vor vier Monaten ihre Seelen vereint und sie sich ihre Flügel buchstäblich verdient hatten. Damals hätten sie die Erde verlassen und in Uriels Heimatgefilde ziehen können. Doch sie hatten die Menschenwelt vorgezogen.

Sein Lächeln erlosch nicht. Zweifellos wusste er, dass sie erregt war und ihn hinhielt. Bereitwillig spielte er mit. »Die anderen Sternenengel?«, fragte er, und sie nickte.

Irgendwo auf der Welt lebten drei Frauen, die ihr glichen. Jede von ihnen besaß übernatürliche Fähigkeiten, und eine jede war einem der drei anderen Lieblingserzengel des Alten Mannes zur Seelengefährtin bestimmt. Aber für Uriel und Eleanore war die Vereinigung nicht einfach gewesen. Die Adarianer – zwölf mächtige Erzengel, vom Alten Mann auf die Erde verbannt – wollten einen Sternenengel in ihre Gewalt bringen, in der Hoffnung, dessen Heilkunst absorbieren zu können. Und Samael …

Bei diesem Gedanken verebbte Eleanores sinnliche Erregung. »Was glaubst du, was Sam plant?«, fragte sie leise. Samael erschien ihr rätselhaft. Einst der Lieblingserzengel des Alten Mannes, war er von Michael verdrängt worden. Und er war auch der dreizehnte Adarianer, doch im Gegensatz zu den anderen zwölfen war er vom Alten Mann nicht aus dem Himmel auf die Erde verbannt worden, sondern erst zusammen mit den vier Günstlingen des Alten Mannes auf die Erde übergesiedelt, um die Sternenengel seinerseits zu suchen. Oder zumindest glaubten das Uriel und seine Brüder.

Was Sam tatsächlich beabsichtigte, wussten sie nicht.

Ohne jeden Zweifel war er stärker als die vier Favoriten, was er ihnen im Lauf der Zeit auf schmerzliche Weise bewiesen hatte. Bei jeder sich bietenden Gelegenheit machte er ihnen das Leben zur Hölle. Vor vier Monaten hatte er Uriel mit List und Tücke veranlasst, einen Vertrag zu unterzeichnen, der dazu führte, dass Uriel sich in den Vampir verwandelte, den er in dem Film dargestellt hatte. Der Fluch hätte ihn beinahe von Ellie getrennt, nachdem sie eben erst ein Paar geworden und bestrebt gewesen waren, einander noch näher zu kommen.

Warum hat Samael das nur getan, fragten sich die vier Erzengel. Er behauptete, auch einen Sternenengel für sich haben zu wollen – aus seinen eigenen Gründen. Aber letzten Endes blieb er seinem rätselhaften Wesen treu und half Ellie und den Brüdern, die Adarianer in einer grauenhaften Schlacht in Texas zu besiegen. Er war ebenso geheimnisvoll wie gefährlich. Nun, vielleicht nicht ganz im gleichen Maße.

Denn er war sehr, sehr gefährlich.

»Wer weiß?«, beantwortete Uriel die Frage seiner Frau. Er seufzte, enttäuscht über die Wende, die das Gespräch genommen hatte. Dann umschlang er ihre Taille und sank mit ihr tiefer in die Polster der Couch. »Allmählich glaube ich, er existiert nur, damit ich mich versucht fühle, ihn zu töten.«

Den Kopf schräg gelegt, schaute sie ihren Mann mit schmalen Augen an. »Ach ja?« Sie sah seine zusammengepressten Lippen, spürte die unbewusste besitzergreifende Forderung in seinen angespannten Muskeln. Anscheinend ärgerte er sich, weil sie Sam erwähnt hatte. In diesem Moment hätte sie nicht mal an Sam denken sollen. »Eifersüchtig?«, flüsterte sie.

Da kehrte sein Lächeln zurück, und er schob eine Hand unter ihren BH. »Immer.«

General Kevin Trenton, der Anführer der Adarianer, war ein hochgewachsener, kräftig gebauter Mann mit schulterlangem schwarzem Haar und eisblauen Augen. In übernatürlichen Kreisen kannte man auch seinen ursprünglichen Namen: Abraxos. Aus verschiedenen Gründen hatte er seinen offiziellen Namen im Lauf der Jahre mehrmals geändert. Die meisten seiner Männer nannten ihn einfach nur ›General‹.

Jetzt stand er vor einem Waschbecken in einem der zahlreichen Räume des Hauptquartiers der Adarianer in Texas und sah vor sich im Spiegel einen großen Mann, der den Türrahmen hinter ihm vollends ausfüllte. »Komm herein, Ely.«

Elyon, ein Schwarzer, zählte zu Kevins besten Kämpfern. Wie der aller Adarianer war auch sein Name während der letzten Jahrtausende abgekürzt worden. Seine adarianischen Fähigkeiten hatten sich schon oft als besonders grausam und effektiv erwiesen. Zum Beispiel konnte er einen Menschen mit einer einzigen Berührung auf ein Skelett reduzieren, indem er das lebenswichtige Wasser aus den Zellen entfernte. Nach wenigen Sekunden sanken Elys Opfer zu Boden, leblos und verschrumpelt wie altes Pergament.

Ely nickte und trat scheinbar lässig ein. Aber Kevin bemerkte den raschen, nervösen Blick, den der Kämpfer auf den gefesselten Menschen in der Ecke warf. An einem Stuhl festgebunden, litt der Gefangene offensichtlich unter der Einwirkung von Drogen. Mit halb geschlossenen Augen starrte er blicklos vor sich hin. Als er von den Männern des Generals hereingebracht worden war, hatte er sich heftig gewehrt. Seine zerrissene Hose klebte an blutigen Wunden. Auch das elegante Hemd sah recht mitgenommen aus und war ursprünglich zweifellos unter einem Jackett und mit einer Krawatte getragen worden.

»Achte nicht auf ihn«, befahl Kevin dem Soldaten. Er ergriff das Rasiermesser und das leere Glas, das er auf dem Beckenrand bereitgestellt hatte, und wandte sich zu dem Adarianer um.

Angesichts der scharfen Klinge zeigten Elys bernsteinfarbene Augen plötzlich ein angstvolles Glitzern. Aber seine attraktiven dunklen Züge blieben ausdruckslos, was dem General imponierte, wie er sich eingestehen musste. Schon immer war Ely unglaublich stark gewesen, sogar nach adarianischen Maßstäben. Deshalb hatte Kevin ihn für diesen Test ausgewählt.

»Entblöße ein Handgelenk, Ely.«

Nur für den Bruchteil einer Sekunde zögerte der Schwarze, bevor er seinen Arm hob, den Hemdsärmel hochkrempelte und das Handgelenk dem General hinhielt. Sein Körper erstarrte zur Statue.

Nach einem flinken, sauberen Schnitt quoll Blut aus den Adern, das Kevin in dem Glas auffing.

Während der karmesinrote Strom das Glas füllte, schaute Ely zur Seite und betrachtete die Wand. Dann schloss er die Augen und schluckte.

»Du siehst ein bisschen blass aus, Ely«, scherzte Kevin, denn es fiel dem Schwarzen schwer, überhaupt zu erbleichen. Allerhöchstens färbten sich seine Wangen aschgrau.

Offenbar nicht amüsiert, schwieg Ely. Er fand es besser, nichts zu sagen, solange ihm keine netten Worte einfielen.

Als das Glas zu drei Viertel gefüllt war, nahm Kevin einen Verband aus einem Regal, wickelte ihn um Elys Handgelenk und presste einen Finger auf die Wunde, bis das Blut die Gaze nicht mehr tränkte. »Iss Protein«, befahl er in ruhigem Ton. »Und dann komm zurück.«

Ely war sichtlich verwirrt und schien neugierig zu überlegen, was der General mit dem Blut planen mochte. Doch er war dazu ausgebildet, Anweisungen fraglos zu befolgen. Das tat er seit einigen Jahrtausenden. Und so nickte er, sagte: »Ja, Sir«, und verließ den Raum.

Lautlos schloss er die Tür hinter sich, und Kevin ging zu dem gefesselten Mann.

»Falls Sie ein letztes Mal beten wollen, sollten Sie es jetzt tun. Nicht, dass irgendwer zuhören würde.«

Der Gefangene versuchte gar nicht erst, durch den Knebel zu sprechen, der in seinem Mund steckte, sondern starrte den General nur an. Dann ließ er den Kopf schwer gegen die Rückenlehne des Stuhls sinken.

Kevin schloss die Augen, hielt das Glas mit dem adarianischen Blut an seine Lippen und begann zu trinken, zunächst zögernd und unsicher. Dies war nur ein Experiment, basierend auf einer Ahnung. Und Blut schmeckte widerwärtig, mochte es Engelsblut sein oder nicht.

Aber nach den ersten Schlucken konnte er mehr trinken. Er leerte das Glas und stellte es in ein Regalfach über dem Kopf des Gefesselten, neigte sich zu ihm und presste dem Mann eine Hand auf die Brust. Dabei suchte er nach der neuen Fähigkeit in sich selbst, so wie er stets seine eigenen Talente heraufbeschwor, versuchte den vertrauten Kanal in seinem Innern zu öffnen, durch den die Macht in seinen Körper, in die Welt hinaus und in den Gefangenen fließen würde.

Was er tun wollte, wusste er.

Zunächst geschah nichts. Doch die endlosen Jahrtausende hatten ihn Geduld gelehrt. Und so wartete er, seine Hand auf der Brust des Mannes, der langsam die Lider hob und ihn verwirrt anschaute, mit glanzlosen, hasserfüllten Augen.

Diesen Blick ignorierte Kevin. Bald las er etwas anderes darin: Schmerz, leicht zu erkennen. Hinter dem Knebel versuchte der Mann zu schreien. Die Stimme klang gedämpft und schwach. Instinktiv drückte der General seine Hand noch fester auf die bebende Brust und lächelte. Unter der Berührung bäumte sich der Gefangene auf, kreischte durch den Knebel und versuchte trotz der Drogen in seinem Körper die Fesseln zu zerreißen.

Doch er würde ihm nicht entkommen. Kevin beobachtete, wie das Experiment funktionierte, wie sich die Haut des Menschen grün färbte. Dann grau. Sie trocknete, wurde rissig und krümelte am Haaransatz. Überall breiteten sich die Risse aus, bis der Mann verstummte und regungslos dasaß, aller Flüssigkeit in seinem Körper beraubt.

Nach der Vollendung seiner grausamen Tat, nahm Kevin seine Hand mit einem seltsamen knisternden, saugenden Geräusch von der Brust des Opfers und trat zurück. Die Leiche, am Stuhl festgebunden, war nur mehr eine Mumie, und der General glaubte, wenn er sie noch einmal anfasste, würde sie zu Staub zerfallen. Nachdenklich inspizierte er seine Finger. Was war soeben geschehen?

Jahrhundertelang hatte er nach Möglichkeiten gesucht, sich selbst und seinen Männern Heilkräfte zu verschaffen. Die Adarianer lebten seit vielen tausend Jahren auf der Erde. In dieser Zeit hatten sie zahllose Feinde bekämpft, zumeist Wesen mit übernatürlichen Kräften. Der Alte Mann benutzte diese Welt gewissermaßen als Abfallhaufen für all die unvollkommenen Kreaturen, die er seit Äonen erschaffen hatte. Mittlerweile versteckten sich fast alle, denn sie hatten herausgefunden, dass sie in diesen Schlachten nur ihre eigene Vernichtung riskierten. Und so existierten viele in den Schatten, gaben sich teilweise als Menschen aus und ließen einander in Ruhe. Trotzdem waren immer wieder schwere Kämpfe ausgebrochen. Der General und seine Leute hatten unzählige Verletzungen erlitten, und die wertvolle Heilkunst gehörte nicht zu ihren Talenten. Gewiss, die Adarianer waren schwer umzubringen. Denn selbst Wunden, an denen Menschen gestorben wären, konnten ihnen nichts anhaben, doch heilten sie fast so langsam wie beim Menschen, und das bedeutete über die Jahrtausende eine ganze Menge Schmerzen für jeden der Adarianer.

Eines Tages, vor ungefähr zwanzig Jahren, war Kevin einem Kind begegnet, das jemanden mittels einer leichten Berührung geheilt hatte. Dieses Mädchen verfolgte er seither. Inzwischen war es zu einer schönen Frau mit glänzendem schwarzen Haar und leuchtenden blauen Augen herangewachsen. Sie hieß Eleanore. Und sie war ein Sternenengel.

Alles hatte er präzise geplant. Er wollte sie kennenlernen, ihr Vertrauen gewinnen. Dann würde sie sich den Adarianern anschließen und ihnen bereitwillig ihre Heilkunst beibringen. Zu seinen Fähigkeiten zählte die Gabe, seine Gestalt zu verändern. Als Eleanore fünfzehn Jahre alt war, trat er ihr in einer Teenager-Version seiner selbst gegenüber. Sie verliebte sich in ihn. Aber ehe er nahe genug an sie herankam, witterte sie ebenso wie ihre Familie die Gefahr, und sie verschwanden. Immer wieder tauchten die Grangers auf diese Weise unter und zogen von einem Ort zum anderen, um Eleanore und ihr erstaunliches Talent zu schützen. Dies war der schlimmste Misserfolg in Kevins qualvoll langer Existenz. Denn mittlerweile begehrte er die Frau nicht mehr nur wegen ihrer Begabung.

Unglücklicherweise, trotz aller sorgsamer Planung, machte sich auch Uriel an sie heran – und erkannte in ihr seinen Sternenengel. Das führte zu einer grauenvollen Schlacht in einem Windpark in Texas, in der Nähe von Dallas, und zu einer Niederlage der Adarianer.

Um sich einen entscheidenden Vorteil zu verschaffen, hatte Uriel seine Vampirzähne in den Hals eines Adarianers gegraben, ihm das Blut ausgesaugt und sich die Kräfte des Feindes angeeignet.

Seit jener Schlacht hatten Kevin und seine Männer nichts mehr unternommen. Nun schmiedete er Pläne, fasste neue Ziele ins Auge und überdachte, was Uriel erreicht hatte.

Und er dachte an den fünften Erzengel. Zumindest vermutete er, das müsste der Mann sein. Der war nicht aufzuhalten gewesen – und dem General seltsam vertraut erschienen.

Uriels Verwandlung und die unerwartete Ankunft des Fremden machten jedenfalls monatelange Vorbereitungen erforderlich, ehe die Adarianer weitere Angriffe auf die Erzengel und deren kostbare, unersetzliche Sternenengel wagen konnten.

Doch in diesem Moment sah Kevin verheißungsvolle Möglichkeiten, denn das kleine Experiment hatte seine Vermutung bestätigt. Wie Uriel konnte er die Macht eines anderen Adarianers absorbieren, indem er dessen Blut trank. Schon jetzt allerdings spürte er die Kräfte schwinden, die er Ely entzogen hatte. Also wirkten sie nur vorübergehend. Das ergab einen Sinn, weil Ely der eigentliche Eigner dieser Macht war und noch lebte. Deshalb regenerierten sich diese Kräfte nicht, sondern waren nur eine Leihgabe. Und nachdem ich sie benutzt habe, kehren sie zum rechtmäßigen Eigentümer zurück, dachte der General.

Er schaute zur Tür, durch die Ely davongegangen war. Auf dem Schlachtfeld in Texas waren drei Adarianer gestorben und neun übrig geblieben, Kevin inklusive. Hinter dieser Tür warteten acht auf ihn. Er erinnerte sich an ihre individuellen Fähigkeiten, analysierte die Bedeutung des gelungenen Experiments und fragte sich …

Sorgfältig breitete er ein einfaches weißes Laken über die Leiche. Wenig später kehrte Ely zurück, und Kevin befahl ihm: »Bring Xathaniel zu mir.«

Der Schwarze nickte und verschwand wieder. Im Kreis der Adarianer wurde Xathaniel auch Daniel genannt. Der General hielt ihn für den Schwächsten seiner Gruppe, da der Mann nur ein einziges Talent besaß – er konnte sich unsichtbar machen. Zeitweise war es zweifellos nützlich, unsichtbar zu sein. Aber Kevin interessierte sich mehr für aggressive, im Kampf vorteilhafte Kräfte. Über die verfügte Daniel nicht.

Trotzdem war er für Kevins Vorhaben brauchbar. Wenn Kevin die Fähigkeit eines Adarianers temporär absorbieren konnte, indem er dessen Blut trank, was würde dann geschehen, wenn er den Mann anschließend tötete? Würde er die Gabe seines Opfers für immer besitzen?

»Sir, Daniel ist nicht in seinem Zimmer. Offenbar hat er das Hauptquartier verlassen.«

Der General drehte sich zu Ely um, dessen breitschultrige Gestalt die Tür erneut ausfüllte. »Hm.« Kevin dachte kurz nach. Wahrscheinlich war Daniel einen Kaffee oder ein Bier trinken gegangen, oder er trieb es mit einer Frau. Auch die Adarianer hatten gewisse Bedürfnisse. »Bring ihn her, wenn er zurückkommt.«

Wieder nickte Ely und ging davon.

Während der General wartete, dachte er über Daniels Unsichtbarkeit nach. Falls das kleine Experiment funktionierte, würde Kevin sich unsichtbar machen können. Und Daniel wäre tot.

Samuel Lambent hütete viele Geheimnisse. Zum Beispiel lautete sein richtiger Name nicht Samuel, und es war keineswegs ein Fulltime-Job, der reichste, mächtigste Medienmogul der Welt zu sein.

In Wirklichkeit hieß er Samael und war der unglaublich schöne, hochgewachsene weißblonde Erzengel mit den anthrazitfarbenen Augen, den manche als den Gefallenen kannten. In diesem Moment starrte der berüchtigte Erzengel ein Foto an, das ihm einer seiner zahllosen, rund um den Globus tätigen Mitarbeiter gegeben hatte. Es zeigte Juliette Anderson, den zweiten Sternenengel. Auf dem Bild neigte sie sich über einen Bewusstlosen, den sie soeben nach einem Surfunfall aus dem Meer gezogen hatte. Dass sie dabei geknipst worden war, ahnte sie nicht. Genauso wenig wusste sie, wie leicht ihr kleines Geheimnis in die falschen Hände geraten konnte, und deshalb schwebte sie in großer Gefahr.

Dieser überaus wertvolle Sternenengel konnte Verletzte mit einer einzigen Berührung heilen, Wetter und Feuer beeinflussen und mittels Gedanken Gegenstände bewegen. Ob Juliette das ganze Ausmaß ihrer Talente kannte, war unklar.

Monatelang hatte Samael überlegt, was er mit der kleinen Juliette machen würde. Die nur einen Meter sechzig große Frau eröffnete ihm mehrere Möglichkeiten, und alles hing von seiner Entscheidung ab. Sollte er sie erobern? So etwas fiel ihm niemals schwer. Außerdem war sie unschuldig, und er hätte ihr einiges zu bieten. Ihr Bankkonto war fast immer leer. Und ihre Eltern – Universitätsprofessoren auf schlecht bezahlten Fachgebieten – vergeudeten ihr Geld mit Rucksacktrips und Campingreisen. Wie man sparte, wussten sie nicht, und Juliette bat sie daher längst nicht mehr um finanzielle Unterstützung.

Genau da würde er ansetzen können. Samael lebte schon lange genug unter den Menschen. Er kannte die Macht von Geld und Sex und wusste, dass Geld die stärkere Lockung darstellte – die Wurzel allen Übels.

Juliette war bildschön mit ihrer glatten, gesunden, gebräunten Haut, die normale Menschen nicht besaßen. Ihre Sternenengelseele konnte sie ebenso wenig verbergen wie Eleanore Granger. Wenn Juliette provoziert wurde, färbten sich ihre hellbraunen Augen grün, wie die Fotos bewiesen. Ihre Lippen waren voll und rosig, die Zähne ebenmäßig und schneeweiß, das lockige dunkle Haar glänzte so fantastisch, wie Samael es bisher nur ein einziges Mal gesehen hatte – bei dem ersten Sternenengel.

Noch wussten die vier Lieblingserzengel des Alten Mannes nichts von Juliettes Existenz. Wenn Samael sie für sich gewann, würde er zumindest einen der Brüder um seine Seelengefährtin bringen. Ein verführerischer Gedanke … und natürlich reizten ihn auch die Wärme und die Freude, die er mit ihr im Bett erleben würde.

Aber nein.

Sam hatte andere, umfassendere Pläne, die sich bereits dem Erfolg näherten. Denn er verstand es, die Ereignisse hinter den Kulissen zu manipulieren. Genaugenommen war Juliette Anderson nicht der Sternenengel, auf den er es derzeit abgesehen hatte. Sollte sie trotzdem in seinem Bett landen, würde er sich allerdings nicht beklagen.

3

»Na, großartig.« Finster betrachtete Juliette den dunklen Himmel durch die Windschutzscheibe. »Einfach großartig.« Mit geschürzten Lippen umklammerte sie das Lenkrad immer fester, bis ihre Fingerknöchel weiß hervortraten. Es war schon schwierig genug, die Entfernung zwischen den Autoreifen und dem Straßenrand abzuschätzen, wenn man auf der rechten Seite saß, und der Verkehr, Stoßstange an Stoßstange, zerrte zusätzlich an ihren Nerven. Ringsum fühlte sich das Vehikel wie schäbiges Plastik an, und sie saß allein auf einer fremden Straße fest. In absehbarer Zeit würde sie das Hotel wohl kaum erreichen.

Falls sie es überhaupt fand. Dabei half ihr zum Glück das Navi am Armaturenbrett. Wenn sie die falsche Richtung einschlug, würde ihr eine ganz reizende britische Stimme Bescheid geben.

Juliette riskierte wieder einen Blick nach oben. Erstaunt sah sie das grelle Netz eines Blitzes am Himmel. Zwei Sekunden später krachte ein Donnerschlag.

Normalerweise genoss sie heftige Gewitter. Was dies dem Verkehr antat, gefiel ihr nicht so gut. Die Straßen waren ohnehin schon furchtbar, viel zu schmal, voller Straßenschilder und parkender Autos. Und es gab einfach zu viele Fahrzeuge auf diesem Straßennetz, das die Schotten vor tausend Jahren angelegt hatten. Auf regennassem Asphalt geriet man in eine gewaltige Schlange, die im Schneckentempo dahinkroch.

Bis zu Juliettes Ankunft im Radisson Blu würden noch Stunden verstreichen. Sie seufzte erleichtert, weil eine britische Tankfüllung für tausend Meilen reichte. Seit sie den Flughafen verlassen hatte, war keine einzige Tankstelle aufgetaucht.

O Gott, wie schlecht du gelaunt bist, Jules, dachte sie und rieb sich die Augen, als der Wagen vor ihr wieder einmal stehen blieb. Nur Mut. Du bist sicher und unversehrt gelandet, alles andere ist unwichtig. Aber die blöde Fluglinie hatte ihr Gepäck verschlampt, ihre rechte Hinterbacke war gefühllos vom langen Sitzen, und sie fürchtete, ein Autounfall würde sie noch vor dem Ende des Tages hinter Gitter bringen.

Hinter ihr erklang eine Hupe, und Juliette spähte in den Rückspiegel. Neben ihren braunen Haaren und den haselnussbraunen Augen sah sie den Fahrer eines BMW. Mittleren Alters, soweit sie das erkennen konnte. Goldene Armbanduhr? Vielleicht Silber – schwer zu sagen in diesem schwachen Licht. Ein bebrillter Glatzkopf. An seinem rechten Ohr klebte ein Handy. Juliette runzelte die Stirn.

Warum zum Teufel hupte er?

Die Autoschlange kroch weiter, und Jules kam bis auf gute fünf Stundenmeilen, bevor der Verkehr erneut stockte. Seufzend verdrehte sie die Augen, als der Typ hinter ihr wieder hupte. Diesmal pausenlos. Juliette warf ihm im Rückspiegel einen vernichtenden Blick zu. Unbeeindruckt hupte er. Was zum Teufel … Glaubt der, ich könnte die dreihundert Autos vor mir zu einem schnelleren Tempo zwingen? Oder bildet er sich ein, ich könnte mich in Luft auflösen?

Über den Highway rollte ein Donnergrollen hinweg, ließ die Autofenster klirren und die BMW-Hupe für eine kleine Weile verstummen. Ein Blitz flammte rechts von Juliettes Wagen auf, nicht weit entfernt, und sie begann die Sekunden zu zählen. Noch ehe sie bei zwei war, ertönte ein gewaltiges Krachen. Sie zuckte zusammen, instinktiv duckte sie sich. Irgendwo auf dem grünen Hügel zwischen den Vorstädten heulten Sirenen.

Juliette schaltete das Radio ein, hörte aber nur ein Rauschen. Als sie zu schlucken versuchte, fühlte sich ihre Kehle staubtrocken an. Ihr Kopf schmerzte, ihre Arme und der Nacken spannten sich an.

Jetzt steckte ihr Auto unter einer Überführung fest. Der feuchte graue Zement war von mindestens zehn Gangs geschmückt worden. Während sie die Augen zusammenkniff und die Graffiti musterte, kam ein Mann hinter einem der Stützpfeiler hervor. Seine Schuhe waren löchrig, und er hielt einen Hut mit ein paar Münzen in der Hand. Automatisch kramte Juliette in ihrem Rucksack auf dem Beifahrersitz des Mietwagens. In einer der Außentaschen verwahrte sie immer ein bisschen Kleingeld. Sie tastete danach und schaute durch die Windschutzscheibe. Vorerst bewegte sich der Verkehr nicht weiter. Sobald sie die Münzen gefunden hatte, kurbelte sie das Seitenfenster herunter und rief nach dem Mann, der sie nicht zu hören schien. Es donnerte erneut.

Auf den dritten Ruf reagierte der Mann und sah sie an – strahlend blaue Augen in einem geröteten Gesicht. Sie winkte ihn zu sich, und er hinkte herbei. Als er das Geld entgegennahm, verzogen sich seine rissigen Lippen zu einem dankbaren Grinsen.

Hinter ihr hupte Mr. BMW wieder. Ihre Augen weiteten sich, sie hob den Kopf und schaute in den Rückspiegel. Durchdringend starrte er sie an. In ihren Ohren rauschte das Blut. Die Lider halb geschlossen, erwiderte sie seinen Blick. Normalerweise ließ sie sich nicht so leicht provozieren. Aber dieser Typ ging wirklich zu weit.

Und jetzt zeigte er ihr auch noch, auf britische Art, einen Vogel!

Plötzlich sprühten weiße Funken aus seiner Motorhaube, ein blendender Blitz schoss hindurch. Was nun geschah, beobachtete Juliette wie im Zeitlupentempo. Millionen winziger elektrischer Teilchen flogen empor und erinnerten sie an die Glaskugeln, innerhalb derer Blitze entstanden, die sich, wenn man das Glas berührte, auf die eigene Handfläche richteten.

Der ohrenbetäubende Lärm glich dem einer Bombendetonation und übertönte alles andere. Aber Juliette wusste, dass um sie herum auch Sirenen und Hupen schrillten und die Leute aus ihren Autos stiegen.

Für Juliette indes existierten nur die Zeitlupe und der Mann, der sein Handy nun tatsächlich nicht mehr loslassen konnte, da die Elektrizität des Blitzes durch den BMW schoss, ins Innere des Wagens. Die Brille des Fahrers wurde zerstört, seine Brauen versengt, seine Armbanduhr schmolz.

Das habe ich bewirkt, dachte sie plötzlich. Jetzt schrie Mr. BMW. Doch sie hörte es nicht, so klangen ihr die Ohren. Er umklammerte seinen Arm, tastete nach dem Türgriff, und sie konnte nur verstört zuschauen.

In der Tiefe ihrer Seele kannte sie die Wahrheit. Sie war so unleugbar wie die Tatsache, dass die Sonne jeden Tag im Osten aufging und dass man mit dem Gehirn dachte. Sie selbst hatte den Blitz in das Auto dieses Mannes gelenkt.

In gewissen Momenten eines Lebens scheint die Zeit stillzustehen. Denn wie alles andere ist auch die Zeit relativ. Es dauerte eine halbe Ewigkeit, bis Mr. BMW zur Besinnung kam und den geschmolzenen Türgriff umfasste, den Wagenschlag öffnete und heraustaumelte. Und es dauerte weitere Jahre, bis Juliette ihre Autotür aufstieß.

Von qualvollen Schuldgefühlen getrieben, stürmte sie durch das nachlassende Unwetter zu dem bewusstlosen Mann, sah ihre Finger an seinem Hals, die den Puls suchten. Stunden später – so kam es ihr zumindest vor – beugte sie sich zu ihm hinab und hoffte seinen Atem zu hören.

Ja, Gott sei Dank … Sie kauerte sich auf die Fersen und betrachtete die geschmolzene Armbanduhr, die Brandmale, die sie auf der Haut des Mannes hinterlassen hatte. Und dann, ohne zu überlegen, schloss sie die Augen und berührte seine Brust.

So etwas hatte sie auch in Australien getan. Doch sie fand keine Zeit, um über diesen Wahnsinn nachzudenken, ihr Körper agierte aus eigenem Antrieb.

Ringsum mischten sich gellende Stimmen, jemand schrie, man müsse einen Krankenwagen rufen, eine andere Person erwiderte, der würde niemals durch den Stau kommen. Es donnerte immer noch, aber nicht mehr so laut. Ganz in der Nähe knisterte ein Feuer, und Juliette registrierte, dass der BMW ausbrannte. Dieses Geräusch erfüllte sie mit einer beklemmenden Angst. Sie fürchtete sich nicht vor Flammen, wenn sie im Kamin eines gemütlichen Wohnzimmers loderten. Aber aus eigener Kraft entfacht, entwickelten sie eine unberechenbare Energie, die alles auf ihrem Weg verzehrte.

Da hörte sie Regen herabprasseln. Bald würde das Feuer erlöschen. Durchnässt und fröstelnd spürte sie, wie die vertraute Wärme unter ihrer Hand entstand, in ihren Arm und in den ohnmächtigen Mann drang.

Das passiert nicht wirklich, dachte sie, während eine seltsame Schwäche ihren Körper erfasste. Mr. BMW bewegte sich, die Brandmale verblassten. Ich kann heilen, und ich kann Blitze vom Himmel herabrufen. Es war ein flüchtiger Gedanke, eine Flüsterstimme in ihrem Gehirn. Und eine Wahrheit, so eindeutig, dass sie nicht ignoriert werden konnte.

Juliette öffnete die Augen und sah den Mann, dem sie die Münzen gegeben hatte, gegenüber am Straßenrand stehen. Schweigend schaute er sie an. Plötzlich raste ihr Herz, und sie fühlte sich so gelähmt wie ein Reh im Scheinwerferlicht eines Autos.

Unter ihrer Handfläche drehte sich Mr. BMW ein wenig zur Seite und hob die Lider. Juliette beobachtete ihn und blinzelte. Dann zog sie hastig ihre Hand zurück.

Sie war völlig erschöpft. So wie damals, nachdem sie den Surfer in Australien gerettet hatte. Das passiert wirklich. Auch was ich dort getan habe, war real. Keine Halluzination.

Nun blickte der Mann zu ihr auf, zwinkerte und hob einen Arm, um sein Gesicht vor dem Regen zu schützen. Dann runzelte er die Stirn. »He, was ist los?«, stieß er angewidert hervor, mit starkem schottischem Akzent. »Bestehlen Sie mich oder was?«

Das würde sie sich nicht gefallen lassen, trotz der unglaublichen Situation. Heller Zorn stieg in ihr auf. Nur zu gut erinnerte sie sich an sein unverschämtes Benehmen und starrte ihn verächtlich an. »Sie sind ohnmächtig geworden. Wie ein kleines Mädchen. Und ich wollte Ihnen nur helfen.«

Zu ihrer Verblüffung verzog sich sein Gesicht zu einem breiten Grinsen, und er begann zu lachen. Ein nettes Lachen, tief und aufrichtig. »Ah, das passt zusammen. Endlich hab ich was aus meiner Scheidung rausgeholt, was sich lohnt, nämlich das Vehikel, und der Allmächtige nimmt’s mir wieder weg. Offenbar mag er meine Ex lieber als mich.«

Er versuchte sich aufzusetzen, und Juliette half ihm unwillkürlich.

»Sie sehen genau so aus wie sie«, fügte er hinzu, »als sie ein junges Mädchen war.« Seufzend strich er sich über die Glatze und wischte die Regentropfen weg. »Für mich war sie zu gut. Das hätte sie wissen müssen. Und ich auch.« Er schüttelte den Kopf. »Tut mir leid, dass ich so ein Arschloch bin.«

Juliette blinzelte wieder. Hatte er deshalb gehupt, bis sie ausgeflippt war? Wow, das muss eine grässliche Scheidung gewesen sein. Sie fuhr sich mit der Zunge über die Lippen und schmeckte den Regen. Was sollte sie dazu sagen? Obwohl sie vor Kälte zitterte, gelang es ihr zu lächeln. »Schon gut.«

Hilflos zuckte er die Achseln. »Sie sehen wirklich wie meine Ex aus – jetzt, da ich meine Brille nicht mehr habe und alles verschwimmt.« Er suchte den Boden ab, fand nichts und schien es aufzugeben. »Übrigens, ich bin Albert«, stellte er sich vor und streckte seine Hand aus.

Nach kurzem Zögern ergriff sie diese. Von einem schlaffen Händedruck hielt sie nichts, ganz egal, unter welchen Umständen. »Ich bin Juliette.« Dann musterte sie die Fahrzeuge ringsum. In der Ferne ertönten Sirenen, etwa zwanzig Autos weiter vorn stritten zwei Leute wegen eines verbeulten Kotflügels. Inzwischen hatten Mr. BMW und Juliette auch ein beachtliches Publikum angelockt.

»He, ist mit euch alles in Ordnung?« Zwei Jungs spähten um den Wagen hinter dem schwelenden BMW herum, ihre Sorge wirkte echt. »Braucht ihr einen Notarzt?«

»Da ist schon einer unterwegs, James«, sagte der andere.

»Hörst du’s nicht?«

Das Gespräch wurde fortgesetzt. Aber Juliette ignorierte die beiden und neigte sich näher zu Albert. »Können Sie aufstehen?«

»Ja, ich glaube schon. Ich dachte, der Blitz hätte mich erwischt.« Prüfend berührte er seine Arme und sein Gesicht. »War wohl ein Irrtum. Nicht mal meine Ohren dröhnen.«

Warum nicht, wusste Juliette. Während das Gewitter abzog und damit ihre Emotionen widerspiegelte, hämmerte diese Erkenntnis gegen die Tür ihres Bewusstseins und behauptete sich geradezu unverfroren. Der Blitz hatte Albert schwer verletzt. Daran war sie schuld, nicht irgendeine Naturgewalt. Und seine Genesung verdankte er ihr. So lautete die reine Wahrheit. Doch sie erwiderte nur: »Vielleicht mag der Allmächtige Ihre Ex gar nicht lieber.«

Albert quittierte ihr ironisches Lächeln mit einem schiefen Grinsen, und sie half ihm auf die Beine.

Zwanzig Minuten später traf die Polizei ein und scheuchte alle Leute in ihre Autos, natürlich abgesehen von Albert, der in einen Krankenwagen verfrachtet wurde, weil ihn ja in seinem Wagen der Blitz getroffen hatte.

Juliette sah ihn zum Abschied nicken und nickte zurück. Dann stieg sie, von der Polizei gedrängt, in ihren Mietwagen. Immer noch zitternd, schaute sie über das Lenkrad nach vorn – in leuchtend blaue Augen. Der Mann, dem sie das Geld gegeben hatte. Den hatte sie ganz vergessen. Wusste er, dass sie Albert geheilt hatte?

Mühsam schluckte sie, und er hielt die Münzen hoch, die er von ihr bekommen hatte. Er nickte, als wollte er ihr bedeuten: Ich verstehe. Und … danke. Nachdem er das Geld in den Hut zurückgeworfen hatte, ging er davon und verschwand hinter einem der Stützpfeiler …

Ein paar Minuten später setzte sich die Autoschlange wieder in Bewegung, und Juliette fuhr los. Es regnete nicht mehr. Zwischen grauen Wolken kam die Sonne hervor.

Und Juliette überlegte, ob sie an ihrem Verstand zweifeln musste. Nun gab es nichts mehr, das ihr gesichert erschien.

Daniel wusste, dass die Zeit drängte. Sein Plan hatte ihn aus dem Hauptquartier der Adarianer über den Atlantik und dorthin geführt, wo der zweite Sternenengel soeben gelandet war. Es war ein riskanter Plan, nicht leicht zu verwirklichen.

Aber sein Leben hing davon ab.

Denn Abraxos würde einen seiner Männer töten. Der große, attraktive adarianische General mit dem rabenschwarzen Haar und den blauen Augen war der erste Erzengel gewesen, der Kommandant des Adarianer-Heeres, das der Alte Mann vor Äonen aus seinem Reich verjagt hatte. Deshalb waren die Soldaten gezwungen gewesen, sich auf dem Abfallhaufen, den die Menschen Erde nannten, ein neues Leben aufzubauen.

Und jetzt, da der General von der Existenz der Sternenengel und ihrer Heilkunst wusste, hatte er einen schrecklichen Plan geschmiedet. Er wollte alle Sternenengel kidnappen und ermorden, damit er zusammen mit einigen auserkorenen Adarianern für den Rest seines ewigen Lebens die Heilkraft des Sternenengelblutes genießen konnte.

Nur wenige würden das Blut trinken. Und Daniel würde nicht zu ihnen gehören. Wäre er im Hauptquartier der Adarianer geblieben, hätte Kevin ihn bereits getötet. Denn dessen Meinung nach besaß Daniel nur ein einziges Talent – sich unsichtbar zu machen. Und das genügte offenbar nicht, um ihn am Leben zu lassen. Der General brauchte ein Versuchskaninchen. Für diese tödliche Aufgabe hatte er Daniel ausgesucht.

Doch er irrte sich – Daniel konnte außerdem in die Zukunft blicken. Diese zweite Fähigkeit hatte er stets verheimlicht, denn sie war nicht leicht zu nutzen, mochte sie auch noch so wertvoll sein. Wann immer er sie anwandte, litt er höllische Schmerzen, war geschwächt und erschöpft, und nicht einmal Morphium konnte diese übernatürlichen Qualen lindern.