Entführung nach Marokko - Barbara Cartland - E-Book

Entführung nach Marokko E-Book

Barbara Cartland

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Beschreibung

Tyrone Strome, ein attraktiver und sportlicher Junggeselle, der häufig für die britische Regierung geheime Aufträge in aller Welt erledigt, erlebt wie sein Neffe, der junge Lord David Merrill von Clarissa van Arden, einer sehr schönen jungen Multimillionärin bei seinen Liebeserklärungen grausam zurückgewiesen wird. Der junge Lord Merrill will sich selbst das Leben nehmen, woran Tyrone Strome ihn rechtzeitig hindern kann. Um der verwöhnten jungen Dame, die keine Rücksicht auf die Gefühle anderer nimmt, will er ihr eine Lektion erteilen, und entführt er sie in eine entlegene Ecke Marokkos. Die Reise ist nicht immer einfach und Clarissa muss lernen, für sich selbst zu sorgen. Wird Clarissa sich selbst finden und lernen, anderen Menschen Rücksicht und Gefühle entgegenzubringen und nicht nur Befehle zu geben? Wird sie die Abenteuer, die sie mit Tyrone erlebt gut überstehen und sich und Tyrone beweisen, dass sie kein 'Biest' ist wie er sie nannte?

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DIE HAUPTPERSONEN DIESES ROMANS

Clarissa van Arden

Amerikanische Multimillionärin. Sie ist ein verwöhntes kleines Biest und spielt erbarmungslos mit den Herzen ihrer Verehrer.

Lord David Merrill

Junger Oxford-Student - ist unglücklich in Clarissa verliebt.

Tyrone Strome

Onkel von Lord Merrill, reist als geheimnisumwitterter Beamter der Britischen Spionageabwehr durch die Welt. Er will Clarissa einmal gründlich die Leviten lesen.

Die Autorin über diesen Roman

Ein Geheimauftrag führt unseren Tyrone Strome in die bunte marokkanische Hafenstadt Agadir, die damals nur den Oberen Zehntausend vorbehalten war. Aber er erlebt nicht nur die Sonnenseite dieser schon damals so beliebten Stadt. Aus der Nähe bekommt er die Schrecken eines Erdbebens zu spüren.

Immer wieder bebte dort die Erde, ohne jedoch größere Schäden anzurichten. Bis dann 1960 die große Katastrophe eintrat. Zwei aufeinanderfolgende schwere Erdbeben zerstörten diese herrliche Stadt. Etwa 12 000 Menschen kamen ums Leben. Augenzeugen berichteten: „Die Häuser liegen in Schutt und Asche. Die Kasbah, das Eingeborenenviertel, ist völlig vernichtet.“ Agadir, die Stadt mit dem Beinamen du Schöne, war tot.

Aber diese lebensfrohe Stadt wurde neu errichtet und ist heute wieder wie eh und je Ziel vieler abenteuerlustiger Touristen.

Erstes Kapitel ~ 1903

Vor der Villa hielt eine offene, von zwei Pferden gezogene Kutsche, und ein Gentleman stieg aus. Während er den Kutscher, der ihn vom Bahnhof in Cannes hierhergebracht hatte, bezahlte, hörte er Musik und sah, dass der Garten mit chinesischen Lampions geschmückt war.

Sein Lederkoffer wurde von einem herbeieilenden Diener die Stufen hinauf ins Haus getragen. Der Kutscher grüßte, bedankte sich für das großzügige Trinkgeld und fuhr davon.

Einen Augenblick lang versank der Gentleman in den Anblick des Mittelmeeres, das weit hinter den dunklen Zypressen im Mondschein glitzerte. Es war ein bezaubernder Anblick, und die Musik im Hintergrund steigerte den romantischen Eindruck der Stunde. Er wandte sich ab und stieg die Eingangsstufen zur Halle hinauf, wo der Butler ihn erwartete.

„Guten Abend, Mr. Tyrone“, sagte dieser mit dem breiten Willkommenslächeln eines alten Gefolgsmannes, „wir hatten Sie schon gestern erwartet, Sir.“

„Ja, ich weiß, Ronaldson, aber die Züge aus dem Osten sind ewig unpünktlich. In Paris verpasste ich dadurch den Anschlusszug.“

„Die gnädige Frau wird sich sehr freuen, dass Sie gut angekommen sind.“

„Sagen Sie ihr bitte noch nichts, bevor ich mich nicht gewaschen und umgezogen habe“, antwortete Tyrone Strome. „Wird eine Party gefeiert?“

„Ja, Mr. Tyrone. Ein Tanzabend für die jungen Leute.“

Die Geringschätzung, die in der Antwort des Butlers mitklang, brachte Tyrone Strome zum Lachen. Es war deutlich zu spüren, wie wenig Ronaldson, der seit vielen Jahren in den Diensten seiner Schwester war, für sogenannte formlose Anlässe übrighatte.

„Zeigen Sie mir, wo ich untergebracht bin, Ronaldson. Ich fürchte, ich habe in meinem Handgepäck nichts Geeignetes, um elegant genug auf der Party erscheinen zu können.“

„Da ich annahm, dass Sie kommen würden, habe ich vorsorglich einen Koffer mit Ihrer Abendgarderobe aus London mitgebracht, Sir.“

Tyrone Strome lächelte.

„Ich bin Ihnen dankbar, Ronaldson, Sie könnten mich nicht besser umsorgen. Ich wollte, ich könnte Sie auf meinen Reisen mitnehmen.“

„Gott bewahre, Mr. Tyrone!“ rief der Butler. „Als junger Mann hätte ich gern Ihr abenteuerliches Leben geteilt, Sir, aber jetzt bin ich zu alt dafür.“

Tyrone Strome lächelte belustigt und folgte Ronaldson, der langsam und beinahe feierlich einen Korridor entlangschritt, vorbei an den verschiedenen Salons im Erdgeschoß der Villa. Seine Schwester hatte ihm auch diesmal die Zimmer zugedacht, die er gewöhnlich bewohnte, wenn er sie hier besuchte.

Da sein Kommen und Gehen meist nicht vorherzusagen war, erwartete er keine besonderen Aufmerksamkeiten. Nur Ronaldson hätte es als beleidigend empfunden, wenn er nicht stilvoll untergebracht worden wäre.

Sie gelangten durch eine überdachte Galerie in die Räume, die außerhalb der Villa lagen. Der frühere Besitzer, ein Schriftsteller, hatte sich ein abgelegenes, kleines Chalet gebaut, das ihm den Wunsch nach Alleinsein erfüllte. Auf einem Felsvorsprung gebaut, hatte das Häuschen am Tage eine atemberaubende Sicht über das Meer und die Küste.

Lady Merrills Villa hatte eine unübertreffliche Lage hoch oben in den Bergen, und doch schien Tyrone Strome das kleine Chalet, das er immer als sein eigenes betrachtete, noch schöner gelegen als das Hauptgebäude.

„Es ist alles bereit für Sie, Sir“, sagte der Butler mit sichtlicher Zufriedenheit. „Ich werde gleich einen Diener schicken, der Ihnen beim Auspacken behilflich sein wird. Er ist zwar Franzose, aber er versteht seine Pflichten.“

„Danke, Ronaldson. Ich habe jetzt nur leichtes Gepäck bei mir, aber meine Yacht sollte inzwischen unten im Hafen liegen, und so kann ich mir morgen alles Notwendige kommen lassen.“

„Ich denke, Sir, dass Sie alles vorfinden werden, was Sie heute Abend benötigen.“

„Davon bin ich überzeugt.“

Die letzten Worte sagte Tyrone Strome, während er die schmale Treppe vom Wohnzimmer in das darüberliegende Schlafzimmer stieg. In dem schönen, in Weiß gehaltenen Zimmer fand er seinen Frack und ein gestärktes Hemd. Er verzog das Gesicht beim Gedanken, seine legere Kleidung, die er in den letzten drei Monaten getragen hatte, gegen den steifen Abendanzug tauschen zu müssen.

Er hatte einen Geheimauftrag im Nahen Osten zu Ende geführt, der zeitweise gefährlich verlaufen war und ihn gezwungen hatte, mit einem falschen Pass zu reisen, um unerkannt zu bleiben. Nachdem er in Paris seinen Bericht abgeschickt hatte, für den er fast die ganze Nacht gebraucht hatte, wusste er, dass gewisse Leute in London äußerst zufrieden über das Ergebnis sein würden.

Tyrone Strome war für seine Zeitgenossen und auch für seine Freunde ein geheimnisumwitterter Mann. Ja, sogar für seine Schwester, die ihn vergötterte.

Er hatte einige Jahre im Außenministerium gearbeitet, bis er plötzlich, ohne weitere Erklärung für seine Freunde, Reisen in abgelegene, unbekannte Gebiete der Welt unternahm, über die er auch nach seiner Rückkehr kaum oder gar nicht berichtete.

Manche hielten ihn einfach für einen leidenschaftlichen Weltenbummler. In einer bestimmten Abteilung des Außenministeriums aber wurde der Name Tyrone Strome mit größtem Respekt und tiefer Bewunderung ausgesprochen.

Jetzt, da die Spannung, in der er während der vergangenen Monate gearbeitet und gelebt hatte, abklang, überkam ihn Müdigkeit. Er wusste aus Erfahrung, dass es die Erleichterung war, nicht mehr ständig auf der Hut sein zu müssen, sich nicht in jedem Zimmer, das er betrat, vergewissern zu müssen, dass niemand hinter der Tür lauerte, nicht jedes Wort, das er sprach, genau wählen oder abwägen zu müssen.

Es ist geschafft, dachte er, es ist überstanden. Er hatte den festen Vorsatz, sich im Hause seiner Schwester Helene zu entspannen und keine Pläne für die Zukunft zu machen, bis sie ihm erneut aufgezwungen wurden.

Er fing an, sich zu entkleiden, als es an der Tür klopfte und der Diener, den ihm Ronaldson geschickt hatte, eintrat.

„Ich soll Ihnen beim Auspacken helfen, Monsieur“, sagte er auf Französisch.

„Danke. Ich habe nur diesen Koffer.“

Tyrone Strome zeigte auf den Koffer, den der erste Diener neben dem Schrank abgestellt hatte. Dann warf er seine Jacke über einen Stuhl und ging ins Badezimmer.

Die modern eingerichteten Badezimmer im Hause seiner Schwester empfand er als besonders angenehm. Sie waren eine Seltenheit in Europa. Die Amerikaner dagegen, dachte er, ähnelten den alten Römern in ihrem Wunsch, oft zu baden, und installierten mit Selbstverständlichkeit luxuriöse Badezimmer in ihren Häusern.

In Europa, und besonders in England, hatte man im allgemeinen die Wahl zwischen einem Sitzbad, das im Schlafzimmer aufgestellt wurde, wofür mühsam Eimer und Kannen voll warmen Wassers über unzählige Treppen von schwitzenden Hausmädchen hinaufgeschleppt werden mussten, und einem Badezimmer am Ende eines langen, kalten Korridors, wo die Wasserleitung Stunden brauchte, um schließlich so etwas wie lauwarmes Wasser zu produzieren.

Als Tyrone jetzt im warmen, erholsamen Bad lag, das ihm hier in Südfrankreich zur Verfügung stand, wähnte er nicht nur den Staub seiner letzten Reise weggewaschen, sondern auch die Gefahren, die sein letztes Unternehmen zu einem haarsträubenden Abenteuer gemacht hatten.

Es war einer der schwierigsten Aufträge gewesen, den er jemals ausgeführt hatte, und er sagte sich, dass sein Erfolg ihn zu einem langen, erholsamen Urlaub berechtigte. Diesen Urlaub wollte er mit seiner Schwester verbringen, seiner einzigen nahen Verwandten, der er ebenso zugetan war wie sie ihm.

Lady Merrill war vierzehn Jahre älter als er. Als ihre Mutter gestorben war, hatte sie sich rührend und mit Hingabe um ihren kleinen Bruder gekümmert. Seit drei Jahren war Lady Merrill nun verwitwet. Sie hatte einen Sohn, David, der jetzige Lord Merrill, den sie sehr liebte.

Als Tyrone Strome das letzte Mal bei seiner Schwester geweilt hatte, war David in Oxford gewesen. Er hatte den Jungen seit beinahe zwei Jahren nicht gesehen und freute sich auf das Wiedersehen mit seinem Neffen, wenngleich ihm klar war, dass die Anwesenheit eines Einundzwanzigjährigen das Leben in der Villa nicht mehr so geruhsam verlaufen lassen würde wie früher.

Sicherlich würden nun Abend für Abend Gesellschaften stattfinden, die Ronaldson missbilligte. In diesem Fall, dachte Tyrone, würde er entweder in seinem kleinen Chalet bleiben oder sich zum Lesen und Schlafen auf seine Yacht zurückziehen. Auf keinen Fall würde er zu der schillernden, ausgelassenen Gesellschaft gehören, die die Riviera zum eleganten Treffpunkt Europas machte.

Schon immer seit Eröffnung des Spielkasinos hatte Monte Carlo die Berühmten und die Berüchtigten angezogen, doch erst der König von England, als er noch Prinz von Wales war, hatte die Côte d’Azur zu einem Treffpunkt der vornehmen Gesellschaft gemacht. Reiche Aristokraten, Politiker und gesellschaftliche Emporkömmlinge ließen sich nun in dieser Gegend nieder.

Ich will meine Ruhe haben, sagte sich Tyrone Strome. Auf seine Schwester würde er sich verlassen können, das wusste er. Sie würde ihn nicht zum Helden des Tages machen wollen, wie so viele andere Leute es versuchten. Der Grund dafür lag auf der Hand. Tyrone Strome war nicht nur ein interessanter, reicher und gutaussehender junger Mann aus erstklassiger Familie, sondern besaß auch noch einen geheimnisumwitterten Ruf. Niemand wusste, was er wirklich tat.

Seine Tätigkeit in den vergangenen fünf Jahren hatte seine Persönlichkeit entscheidend geprägt, und wo immer er hinkam, erweckte er sofort Interesse und Neugierde.

Ein unparteiischer Beobachter hätte ihm jetzt, während er sich nach dem Bad abtrocknete, eine Ähnlichkeit mit dem klassischen Schönheitsideal nicht absprechen können, so schlank und athletisch war sein Körper. Er fühlte sich außerordentlich gut in Form, und als er ins Schlafzimmer ging, wo der Diener wartete, um ihm beim Ankleiden behilflich zu sein, sah dieser ihn voller Bewunderung an.

Tyrone Strome sprach in fließendem Französisch mit ihm. Als er, bis auf die Jacke, fertig angekleidet war, entließ er ihn.

„Ich brauche Sie nicht mehr.“

„Ich werde später aufräumen, Monsieur.“

„Danke.“

Tyrone wartete, bis der Diener gegangen war, dann löschte er das Licht und trat auf den Balkon hinaus. Er fühlte sich angezogen von der herrlichen Umgebung und dem leuchtenden Sternenhimmel. Wie eine kühle, beruhigende Hand auf seiner Stirn wirkte die Lieblichkeit um ihn herum. Der Duft von Flieder und Mimosen lag in der Luft, und er wusste, am Morgen würden in den purpurnen Bougainvilleas und den rosaroten Geranien die Bienen summen.

Alles war friedvoll und ihm wohlvertraut. Er stützte die Ellbogen auf das Geländer und spürte eine leichte Brise vom Meer. Er überlegte, ob er nicht lieber hierbleiben und seinen Gedanken nachhängen sollte, anstatt hinüber auf die Party zu gehen. Das geräuschvolle Treiben der jungen Leute, das Orchester, das Knallen der Champagnerkorken passten nicht in seine Stimmung.

Dann aber sagte er sich, es würde ihm vielleicht guttun. Die angespannte Konzentration der letzten Wochen musste endlich aufhören. Er musste seine Sinne und seinen Verstand zum Abschalten bringen.

Als er einen letzten Blick auf das verzauberte, im Mondschein glitzernde Meer warf, das am Horizont leicht dunstig schien, hörte er unter seinem Balkon Stimmen.

„Hören Sie mich an, Clarissa, ich bitte Sie! Sie müssen mich anhören!“

Es war eine Männerstimme, die, eindringlich und bittend zugleich, Tyrone Strome wie gepeinigt schien.

„Ich muss überhaupt nichts“, antwortete eine Frauenstimme.

„Sie gehen mir aus dem Weg, Clarissa, und das bringt mich zur Verzweiflung! Warum haben Sie sich verändert? Warum behandeln Sie mich so?“

„Wie?“

Das Wort klang affektiert, so wie es ausgesprochen wurde. Tyrone Strome meinte einen Hauch von Akzent herauszuhören.

„Sie wissen doch, was ich meine. Sie waren so liebenswürdig und nett zu mir, und dann plötzlich ließen Sie mich vom siebten Himmel in die tiefste Hölle sinken!“

„Ach, David, wie poetisch!“

„Verdammt! So nehmen Sie doch endlich ernst, was ich Ihnen sage. Ich liebe Sie, Clarissa, und Sie bringen mich um meinen Verstand!“

Die Frau lachte auf.

„Wie theatralisch Sie doch sind. Warum sagen bloß alle Männer das gleiche? Ich finde ihren Wortschatz ja so beschränkt!“

„Sie machen sich über mich lustig. Sie versuchen mich noch unglücklicher zu machen, als ich ohnehin schon bin. Wie können Sie so unfreundlich sein - so grausam?“

Wieder lachte die Frau.

„Klagen, nichts als Klagen. Ich verstehe gar nicht, warum sich Männer nie zufriedengeben können.“

„Hören Sie auf, dauernd von Männern zu sprechen“, sagte David wütend.

Tyrone Strome hatte längst begriffen, dass der junge Mann sein Neffe David Merrill war.

„Ich will nicht wissen, was Sie über andere Männer denken. Mich interessiert nur, was Sie für mich empfinden. Ich liebe Sie, Clarissa! Ich möchte, dass Sie mich heiraten. Ich habe Sie wiederholt darum gebeten. Hören Sie auf, mich wie einen Clown zu belachen, sonst lasse ich meiner Verzweiflung freien Lauf!“

„Sie spielen Theater, David! Sie sollten Ihr Glück auf der Bühne versuchen. Was würde denn geschehen, wenn Sie Ihrer Verzweiflung freien Lauf ließen? Ich bin richtig neugierig.“

Einen Augenblick war es still. Dann sagte David Merrill ernst:

„Wenn Sie die Wahrheit hören wollen, ich habe überlegt, mich zu erschießen.“

Darauf ertönte schallendes Gelächter.

„Wie banal! Und ich dachte schon, Sie würden sich wenigstens etwas Originelles einfallen lassen! Sich erschießen - damit drohen diese in Liebe entbrannten Verehrer alle. Nur tun sie es nie.“

„Eines Tages wird Ihnen ein Schock widerfahren.“

„Nicht ein Schock. Eine Überraschung wohl eher. Es wäre vielleicht interessant, einmal einen Toten aus der Nähe zu betrachten… Ich habe noch nie einen gesehen.“

„Clarissa! Hören Sie auf, so zu reden! Ich liebe Sie! Wie oft soll ich es wiederholen? Ich liebe Sie! Ich kann nicht schlafen, weil ich immerfort an Sie denken muss. Heiraten Sie mich! Ich schwöre, dass ich Sie glücklich machen werde!“

„Ich glaube, im Gegenteil, Sie würden mich sehr unglücklich machen“, antwortete Clarissa. „Offen gesagt, David, ich habe nicht die geringste Absicht, mich mit einem Ehemann zu beladen, der nichts anderes als ein hysterischer, kleiner Junge ist.“

„Ich bin ein Mann! Ich werde Ihnen zeigen, dass ich ein ganzer Mann bin!“

Er machte eine Bewegung in ihre Richtung.

„Erdreisten Sie sich nicht, mich anzufassen!“

Die Worte kamen schneidend. Dann sagte sie:

„Sie wissen, dass ich niemandem erlaube, mich zu berühren. Im Grunde verachte ich Sie, weil die Liebe, die Sie mir bieten, nichts wert ist!“

„Was meinen Sie damit?“ fragte David.

„Sie sind schwach und dumm. Wären Sie es nicht, würde Ihnen etwas Besseres einfallen, als Ihrem Leben ein Ende setzen zu wollen. Sollte ich jemals heiraten, was ich allerdings bezweifle, dann einen Mann, der mit beiden Beinen auf der Erde steht. Einen Mann, der sich nimmt, was er vom Leben will, und der nicht bei jedem Rückschlag zusammenbricht.“

„Meinen Sie, mir würde es so ergehen?“ fragte David aufgebracht.

„Ich meine, Sie sind jung und unerfahren, und Sie langweilen mich zu Tode!“

„Aber ich liebe Sie!“

„Für diese Art von Liebe habe ich keine Verwendung.“

„Sie schienen mich aber doch zu mögen.“

„Das war, bevor ich Sie näher kennenlernte. Haben Sie sich jemals gefragt, was Sie einer Frau überhaupt bieten können - abgesehen von ihrem Adelstitel, natürlich.“

Es war offenkundig, dass Clarissa verletzend sein wollte.

„Wenn Sie wirklich so über mich denken, dann haben wir uns nichts mehr zu sagen.“

„So ist es“, meinte Clarissa kurz, „und in Zukunft lassen Sie mich zufrieden. Suchen Sie sich eine andere, der Sie was vorjammern können. Es soll ja Frauen geben, die das Gewinsel von Schlosshunden lieben.“

Damit entfernte sie sich, und Tyrone Strome hörte das Klappern ihrer Absätze auf den Steinplatten. Er beugte sich etwas vor und sah seinen Neffen unter dem Balkon stehen. Sein Profil hob sich gegen den dunklen Hintergrund einer Zypresse ab. In tiefer Verzweiflung betrachtete er das Meer, dann fasste er in seine Tasche, und Tyrone Strome sah, dass er etwas in der Hand hielt.

Seinem Instinkt für Gefahren folgend, stieg Tyrone Strome blitzschnell über das Balkongeländer, ließ sich geschickt daran hinab und sprang auf den Boden.

Er ging die wenigen Schritte auf seinen Neffen zu, der ihn verblüfft anstarrte. In der Hand hielt David Merrill einen Revolver.

„Hallo, David! Ich scheine im richtigen Augenblick gekommen zu sein.“

„Onkel Tyrone!“ stammelte David mit einiger Mühe.

„Höchst persönlich“, entgegnete Strome leichthin.

Kurz entschlossen nahm er den Revolver aus der Hand seines Neffen und ließ ihn in seine eigene Hosentasche gleiten.

„Ich wurde zum unfreiwilligen Lauscher eures Gesprächs“, sagte er ruhig, „aber mich zu erkennen zu geben, wäre vielleicht peinlich geworden.“

David Merrill ließ sich in einen Gartenstuhl fallen und stützte seinen Kopf in die Hände.

„Was soll ich bloß tun, Onkel Tyrone? Sie treibt mich zum Wahnsinn!“

„Ja - das habe ich begriffen.“

Tyrone Strome setzte sich in einen Stuhl neben David.

Nach einem Augenblick des Schweigens sagte er:

„Du wirst sicher keine Gemeinplätze von mir hören wollen, und ich habe auch nicht die Absicht, welche von mir zu geben. Darf ich dir dafür etwas anderes vorschlagen? Du solltest nicht hierbleiben und unglücklich sein!“

„Was könnte ich denn anderes tun?“ fragte David verzweifelt. „Sie schien mich zuerst wirklich zu mögen, aber dann war plötzlich jeder andere Mann interessanter als ich. Ich kann an nichts anderes denken! Wenn sie mich nicht heiraten will, dann will ich sterben!“

„Ich möchte dir etwas vorschlagen. Würdest du mir bitte zuhören?“

„Ja doch!“

Davids Ton war ungehalten.

„In der vergangenen Nacht war ich in Paris“, sagte Tyrone Strome. „Als ich im ,Ritz’ ankam, traf ich drei Freunde, die ich seit Jahren kenne. Sie wollen eine gemeinsame Safari in Afrika unternehmen und haben mich aufgefordert mitzumachen, denn ursprünglich waren sie zu viert, einer hat abgesagt.“

Er spürte, wie David aufmerksam wurde, und fuhr fort:

„Sie haben nicht nur die Absicht zu jagen, sondern auch ein Gebiet von Zentralafrika zu erforschen, über das nur wenig bekannt ist.“

Er machte eine Pause, bevor er weitersprach:

„Mag sein, dass dich ein solches Vorhaben nicht interessiert, aber meine Freunde sind ausgezeichnete Leute, großartige Schützen und erfahrene Afrikakenner.“

„Willst du damit sagen, ich soll mich ihnen anschließen?“ David fragte ohne Begeisterung.

„Warum nicht? Es wäre jedenfalls sinnvoller, als hierzubleiben, dich unglücklich zu fühlen und zu versuchen, eine Frau, die sich offensichtlich nichts aus dir macht, von deiner Liebe zu überzeugen! Im Grunde deines Herzens weißt du, glaube ich, dass es dir nicht gelingen wird.“

Nachdem, was er gehört hatte, musste Tyrone Strome annehmen, Clarissa sei eine außerordentlich unangenehme junge Frau, deren Nähe sein Neffe entschieden meiden sollte. Doch war er zu taktvoll und behutsam, als dass er sich David gegenüber eine abfällige Bemerkung über sie erlaubt hätte.

„Glaubst du, Clarissa würde mich vermissen, wenn ich mit deinen Freunden auf Safari ginge?“ fragte David nach einer kurzen Pause.

„Ich glaube, alle Frauen vermissen ihren Verehrer, wenn er nicht mehr da ist“, erwiderte Tyrone Strome vorsichtig. „Außerdem bin ich überzeugt, David, dass ein solches Unternehmen deine Sichtweite beträchtlich verändern würde.“

„Du versuchst mir zu sagen, ich solle Clarissa vergessen. Das wird auf keinen Fall geschehen!“ sagte David scharf.

„Das versuche ich keineswegs. Ich meine nur, eine Reiseerfahrung dieser Art würde aus dir einen weit interessanteren Menschen machen. Reisen erweitert den Horizont, wie man allgemein weiß. Doch nach Afrika zu reisen bedeutet mehr. Afrika ist ein Kontinent, in dem sich dir unverhoffte Möglichkeiten und unentdecktes Wissen bieten.“

„Das weiß ich“, brummte David.

„Vielleicht interessiert es dich zu erfahren, dass die ,National Geographical Society’ die Männer, die diese Art Unternehmen wagen, nicht nur als Pioniere, sondern als Helden betrachtet.“

„Wenn ich also ginge, würde Clarissa mich nicht mehr als kleinen Jungen bezeichnen.“

Sie schwiegen einen Augenblick. Dann sagte Tyrone Strome:

„Es besteht nur eine Schwierigkeit.“

„Welche?“

„Du müsstest bereits morgen abfahren! Ich könnte meinen Freunden telegraphisch Bescheid geben, dass du dich ihnen anschließt. Doch ich glaube, ihr Schiff wird schon morgen Abend von Marseille auslaufen.“

Es folgte ein langes Schweigen. Dann sagte David entschlossen:

„Ich werde mitfahren! Verdammt, Onkel Tyrone, ich werde mitfahren! Das wird Clarissa lehren, dass sie nicht mit mir spielen darf.“

„Ich bin überzeugt, du hast einen vernünftigen Entschluss gefasst, David.“

David sprang auf.

„Sag mir bitte, was ich alles brauche.“

„Das ist kein Problem. Übrigens habe ich an Bord meiner Yacht verschiedene Gewehre, die dir sehr nützlich sein werden.“

„Willst du sie mir leihen? Das ist aber sehr nett von dir, Onkel Tyrone!“

Die Erregung in Davids Stimme war Tyrone Strome nicht entgangen. Dann sagte David plötzlich besorgt:

„Mutter! Was wird sie dazu sagen?“

„Ich schlage vor, du überlässt das mir“, antwortete Tyrone Strome. „Sag ihr nichts, bevor ich nicht mit ihr gesprochen habe. Und jetzt, meine ich, ist es an der Zeit für mich, sie zu begrüßen. Lass uns zusammen zu ihr gehen, ich muss nur noch meine Jacke holen.“

„Ich hole sie dir“, sagte David. „Ist sie in deinem Zimmer?“

„Sie hängt über dem Stuhl.“

David ging zum Haus, doch dann blieb er stehen und sagte:

„Onkel Tyrone, sag mal, das war ja waghalsig, wie du den Balkon heruntergekommen bist vorhin. Ich würde es mir zweimal überlegen, bevor ich so etwas mache.“

„Und es überrascht dich natürlich, dass dein altersschwacher Onkel so etwas kann, wie?“ erwiderte Tyrone Strome belustigt.

„Das habe ich nicht gesagt!“

„Ich bin aber sicher, du hast es gedacht. Macht nichts! Hol jetzt meine Jacke, und dann lass uns zu deiner Mutter gehen.“

„Aber, Tyrone, meinst du, es besteht wirklich keine Gefahr für David, wenn er diese Safari mit deinen Freunden unternimmt?“

„Er muss erwachsen werden, Helene“, sagte ihr Bruder, „soviel ich weiß, nimmt er seine erste Liebesaffäre bitterernst.“

Helene Merrill seufzte. Mit ihren fünfundvierzig Jahren war sie immer noch sehr schön. So mancher Mann umwarb sie und hätte sie gern geheiratet. Doch sie wies jeden ab, wie ihr Bruder sehr wohl wusste, weil ihre ganze Sorge ihrem Sohn galt.

„Clarissa van Arden ist sehr hübsch“, meinte sie betrübt. „Man kann David verstehen und die anderen jungen Männer, die ihretwegen den Kopf verlieren.“

„In dem Gespräch mit David schien sie mir ein Ausbund von Herzlosigkeit und frivoler Modernität. Lange ist mir nichts so Unangenehmes über den Weg gelaufen“, antwortete Tyrone Strome trocken.

Seine Schwester sah ihn erstaunt an.

„Ich glaube, du sagst das, weil du sie noch nicht gesehen hast.“

„Wieso war sie eigentlich verschwunden, als ich herüberkam?“

„Sie fuhr mit einigen der Nachbarn weg. Ich war nicht gerade davon angetan, aber um Erlaubnis würde sie niemals fragen.“

„Obwohl sie bei dir zu Gast ist? Schlechtere Manieren kann man sich kaum vorstellen!“

Lady Merrill lächelte.

„Du bist etwas altmodisch, Tyrone. Amerikanische Mädchen wie Clarissa besitzen eine Selbständigkeit, die ihren englischen Schwestern nicht zugestanden wird.“

„Eigentlich weiß ich ja gar nichts über sie.“

„Dann lass dir sagen, dass Clarissa van Arden eine der reichsten Erbinnen Amerikas ist.“

„Dass sie Amerikanerin ist, habe ich bemerkt. Und durch das viele Geld ist sie außerordentlich verwöhnt, stimmt’s?“

„Das ist sicherlich richtig“, meinte Lady Merrill, „aber ihre Mutter, die mit mir zusammen zur Schule ging, war der liebenswerteste und freundlichste Mensch, den ich jemals gekannt habe. Elisabeth war die Tochter des Grafen von Fenbridge, und sie heiratete Clint van Arden ein Jahr nachdem sie in die Gesellschaft eingeführt wurde. Ich glaube, sie war sehr glücklich in ihrer Ehe.“

Tyrone Strome hörte seiner Schwester mit leicht ironischem Lächeln zu. Sie fuhr fort:

„Wir schrieben uns regelmäßig, obwohl es schwierig ist, eine Freundschaft aufrechtzuerhalten, wenn der Atlantik dazwischenliegt. Als Clarissa acht oder neun Jahre alt war, starb Elisabeth. Ihr Tod hat ihren Mann schwer getroffen.“

„Wer hat dir das gesagt?“

„Verschiedene meiner amerikanischen Freunde. Er widmete sich nur noch seinen Geschäften und hatte wohl nur wenig Zeit für sein einziges Kind.“

„Du versuchst, Mitleid für sie zu wecken“, sagte Tyrone Strome kopfschüttelnd, „doch Mitleid ist, ehrlich gesagt, das letzte, was ich bereit bin für dieses Mädchen zu empfinden.“

„Ich glaube, es würde Clarissa sogar beleidigen, wenn du Mitleid mit ihr hättest“, entgegnete Lady Merrill. „Sie ist sehr selbstsicher und überzeugt davon, dass die Welt für sie da ist. Und die Männer, die ihr zu Füßen liegen, ebenfalls.“

Sie bemerkte den missbilligenden Ausdruck in seinen Augen und fügte hinzu:

„Warte, bis du sie gesehen hast, dann wirst du verstehen, warum mein armer David und andere Männer wie er bei ihr keine Chance haben.“

Sie machte eine Pause und sagte dann mit einem Schluchzen in der Stimme:

„Ach, Tyrone, ich mache mir ja solche Sorgen um David!“

„Ich kann dich verstehen“, antwortete ihr Bruder.