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Wo war Ihr Partner letzte Nacht? Hat Ihr Nachbar Ihr Auto zerkratzt? Wie viel kann Ihnen der Chef wirklich zahlen? "Lügenpapst" Jack Nasher zeigt in seinem Buch die effektivsten Verhörtechniken der psychologischen Forschung und internationaler Geheimdienste, die Sie sofort in Ihrem Alltag umsetzen können! Sie erlernen die wichtigsten Merkmale, Lügen zu durchschauen und zusätzlich dazu Vernehmungstechniken und Verhaltensanalysen der Profis, damit Sie an die ganze Wahrheit kommen! Eine wirkungsvolle Mischung aus Spionage und Psychologie - spannend wie "CSI", "Lie to me" oder "The Mentalist". Mit dieser Anleitung werden Sie zu einem menschlichen Lügendetektor, der die ganze Wahrheit sieht!
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Seitenzahl: 328
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Jack Nasher
Entlarvt!
Wie Sie in jedem Gespräch an die ganze Wahrheit kommen
Campus Verlag Frankfurt/New York
Über das Buch
HINTER JEDER LÜGE STECKT EINE WAHRHEIT!
Wo war Ihr Partner letzte Nacht? Hat Ihr Nachbar Ihr Auto zerkratzt? Wie viel kann Ihnen der Chef wirklich zahlen? Manchmal muss es die ganze Wahrheit sein und nichts als die Wahrheit! Doch wie kommt man an sie heran? »Lügenpapst« Jack Nasher präsentiert in Entlarvt! die effektivsten Verhörtechniken der psychologischen Forschung und internationaler Geheimdienste, die Sie sofort in Ihrem Alltag umsetzen können. Basierend auf den neuesten Erkenntnissen versorgt er uns mit den knallharten Manövern der Profis, ihren Fragetechniken und Verhaltensanalysen. Eine wirkungsvolle Mischung aus Spionage und Psychologie – so wird aus jedem Leser ein menschlicher Lügendetektor!
»Deutschlands bekanntester Lügenforscher« – BILD
»Nasher beherrscht die Kunst der leichten Schreibe.« – Hamburger Abendblatt über Jack Nashers Bestseller Deal!
Über den Autor
Prof. Dr. Jack Nasher-Awakemian, der »Lügenpapst« (WDR) und der »Meister der psychologischen Manipulation« (Frankfurter Rundschau) wuchs in Deutschland und den USA auf. Er studierte und lehrte an der Oxford University, zurzeit bekleidet er den Lehrstuhl für Leadership und Organizational Behavior an der Munich Business School. Seine Bücher Durchschaut! und Deal! wurden Spiegel-Bestseller.
Jack Nasher hält Vorträge darüber, wie man Menschen durchschaut und beeinflusst. Mehr Informationen und einen Download mit den besten Entlarvungstechniken finden Sie auf www.jacknasher.com
Die Wahrheit und nichts als die Wahrheit
»Erweiterte« Verhörmethoden
Fernab der Folter
Der Vater der modernen Verhörmethodik
Die Reid-Technik
Der Ernstfall
Das Interview – Fragen wie ein Profi
Zeichen der Täuschung
Die Eröffnung des Interviews
Die Zweckfrage
Die Reflexfrage
Der direkte Ansatz
Die Vergleichsfrage
Offene Fragen
Professionelles Nachhaken – das Kreuzverhör
Die Köderfrage
Die Motiv- und Verdachtsfrage
Die Bestrafungsfrage und die zweite Chance
Abschlussfragen
Fazit
Die Konfrontation – Illusion des Allwissens
Die Beweise
Die Konfrontationsaussage
Das Leugnen
Der Einwand
Das Nachlegen
Fazit
Das Thema – Eine goldene Brücke bauen
Die Themenentwicklung
Die Alternativfrage
Zum Reden bringen
Fazit
Die Verbindung – Das unsichtbare Band
Der Mythos
Der Rahmen
Fear Down – das »Vaterunser des Vernehmers«
Pride Up
Zorn
Der »Freund«
Das Prinzip der Gegenseitigkeit
Fazit
Die Verhörtechniken in der Praxis
Anhang
Die CIA-Klassifikation von Persönlichkeitstypen
Dank
Anmerkungen
Literatur
Doch nach einer Weile sagten auch die Umstehenden: »Natürlich gehörst Du zu seinen Freunden; Du kommst doch auch aus Galiläa!« Da rief Petrus: »Ich schwöre euch: Ich kenne diesen Menschen überhaupt nicht, von dem ihr da redet! Gott soll mich verfluchen, wenn ich lüge!«
Markus 14: 70–71
Vor Ihnen sitzt Ben, seine Hände in Handschellen. Soeben haben Sie von Ihren Kollegen erfahren: Es bestehe kein Zweifel, dass Ben einen Sprengstoffsatz deponiert habe, der in wenigen Stunden Tausende Menschen – unschuldige Frauen, Männer und Kinder – in ihre Einzelteile zerfetzen würde. Ben weiß also, wo die Bombe liegt. Da sind Sie sich sicher. Ben grinst. Ihre Vorgesetzten haben Ihnen völlig freie Hand gelassen. Sie können tun und lassen, was Sie wollen – Hauptsache, die Bombe wird rechtzeitig gefunden. Sie würden Menschenleben retten, der Respekt Ihrer Vorgesetzten und Kollegen wäre Ihnen sicher. In diesen paar Minuten steht alles auf dem Spiel. Und Ihre größte Angst ist, ausgerechnet jetzt einen Fehler zu begehen.
Was tun Sie?
Darum geht es in diesem Buch: Wie Sie ein paar wenige Minuten nutzen, um an die Wahrheit zu gelangen. Wie Sie in Schlüsselmomenten die richtigen Entscheidungen treffen und Ihr Gegenüber dazu bringen, Ihnen alles zu sagen, was es zu dem jeweiligen Thema weiß.
Sie verhören eher selten Terroristen? Nun, verhören bedeutet im Grunde nichts anderes, als jemanden zu überreden, Informationen preiszugeben, die er ursprünglich für sich behalten wollte. Verhörsituationen finden sich in allen Bereichen des Lebens: beim Makler, der Ihnen die entscheidenden Nachteile der Wohnung verschweigt. Beim Wohnungsinteressenten, der von seiner steilen Karriere und seinem sicheren Einkommen schwadroniert. Im Vorstellungsgespräch, bei dem Ihnen der Bewerber den wahren Grund des Jobwechsels nicht nennt – und umgekehrt: Wenn Sie wissen wollen, ob die versprochenen Aufstiegschancen nicht doch maßlos übertrieben sind. Am Esszimmertisch, wenn Ihr gerade 18-jähriges Kind Ihnen nicht erzählt, weshalb es das Auto am Wochenende wirklich haben will. Immer dann, wenn Sie wissen wollen, was Ihr Gegenüber wirklich über Sie denkt. Sie möchten doch nicht, dass Ihre Angestellten kichernd aus Ihrem Büro gehen, nach dem Motto: »Der Trottel glaubt einem alles.« Und je weiter Sie nach oben rücken, desto häufiger werden Sie belogen. Ein Vorstand erklärte mir einmal, er engagiere nur deswegen Unternehmensberater, damit ihm mal jemand die Wahrheit über sein Unternehmen sagt. Ein guter Chef aber weiß, wann man ihm was vormacht.
In meinem Buch Durchschaut. Das Geheimnis, kleine und große Lügen zu entlarven ging es darum, wie Sie erkennen, ob Ihr Gegenüber die Wahrheit sagt. Damals war ich der Ansicht, dass es in den meisten Situationen genügen sollte, zu wissen, dass der andere lügt. Und es stimmt zumeist: Für die Kriminalpolizei Bremen bewertete ich die Aussagen dreier Verdächtiger in einem Mordfall und ermittelte den Täter, indem ich die Lüge entlarvte. Auch im Alltag genügt das bloße Durchschauen ab und an durchaus: Wenn ich merke, dass mein Geschäftspartner oder meine Freundin etwas zu verbergen hat, beende ich das Verhältnis eben über kurz oder lang. Nun sind jedoch einige Jahre vergangen und ich habe seitdem Zehntausende Menschen aus den unterschiedlichsten Berufsfeldern geschult: Vorstände, Geschäftsführer, Compliance and Fraud Manager, Wirtschaftsprüfer, Strafverteidiger, Versicherungsermittler, Polizisten, Bewährungshelfer und unzählige Vertreter anderer Branchen. Immer wieder wurde mir die gleiche Frage gestellt: Wie kann man über das bloße Entlarven von Lügen hinausgehen und die ganze Wahrheit erfahren? Und diese Frage war mehr als nachvollziehbar: Sie wollen in der Verhandlung ganz genau wissen, welches Alternativangebot Ihrem Kunden vorliegt und wie er Ihnen noch entgegenkommen kann. Sie wollen bis ins Detail erfahren, welche illegalen – sogenannten »dolosen« – Handlungen Ihr Mitarbeiter vorgenommen hat, um einen Schaden rechtzeitig abzuwenden. Mit gutem Grund: Unternehmen verlieren etwa 5 Prozent des Gesamtumsatzes durch strafbare Handlungen ihrer eigenen Mitarbeiter.1 Die US-Handelskammer schätzt, dass etwa 75 Prozent aller Angestellten ihren Arbeitgeber bestehlen, viele davon wiederholt.2
Sie wollen wissen, ob Ihr Mitgesellschafter Gelder veruntreut hat oder aber den Ausstieg aus der Gesellschaft plant. Sie wollen wissen, was der Politiker, den Sie gerade interviewen, wirklich für Zukunftspläne hat. Sie wollen wissen, wo Ihr Partner die letzte Nacht verbracht hat. Sie wollen wissen, was Ihr Mitarbeiter wirklich über Sie denkt. Sie wollen wissen, ob Ihr Kind schon einmal Drogen genommen hat und wenn ja, welche und wie häufig. Kurzum: Sie wollen die ganze Wahrheit. Und dieses Buch hilft Ihnen, sie zu finden. Es geht hier also nicht darum, Lügen nur zu erkennen – diesmal soll die Wahrheit hinter der Lüge aufgedeckt werden, die ganze Wahrheit und nichts als die Wahrheit.
Zurück zu Ben. Was tun Sie? Erkundigen Sie sich höflich, wo die Bombe liegt? Drohen Sie ihm? Oder fügen Sie ihm sogar Schmerzen zu? Diese Fragen haben die US-Behörden nach dem 11. September 2001 auf ihre Weise beantwortet. Ihre Antwort lautete Enhanced Interrogation Methods (Erweiterte Verhörmethoden), eine Beschönigung für Folter. Aber wenn Menschenleben in Gefahr sind, ist dann nicht jedes Mittel recht und billig? Und ist das Leben eines Mörders nicht viel weniger wert als das Hunderter oder gar Tausender Unschuldiger?
Viele Bekannte, denen ich erzählt habe, dass ich an einem Buch über Verhörmethoden für den Alltag arbeite, meinten halb im Spaß – aber eben nur halb –, sie seien schon gespannt auf meine Waterboarding-Anleitung. Doch seien wir mal ehrlich: Halten wir es nicht insgeheim für möglich, dass wir in einer Situation, in der alles auf dem Spiel steht, doch wieder zum guten, alten Foltern greifen würden? Ist Folter nicht immer noch das effektivste Mittel, um an die ganze Wahrheit zu kommen? Oder wie es der Psychologe Randy Borum ausgedrückt hat: »Es gibt eine Annahme, die nach gesundem Menschenverstand aussieht: Je mehr Schmerzen man jemandem zufügt, desto eher wird er einlenken.«3
Ich bin dieser Annahme auf den Grund gegangen. Denn ich möchte Ihnen wirklich die besten Mittel zur Wahrheitsfindung an die Hand geben – und keine bereinigte, politisch korrekte Version. Ist Folter das sinnvollste Mittel zur Wahrheitsfindung? Wenn ja, hätten wir ein Problem, denn Folter ist nicht gerade alltagstauglich – und verstößt noch dazu gegen das Moralempfinden der meisten Menschen. Aber kann man wirklich über erfolgreiche Verhörmethoden sprechen und dabei die Folter außen vor lassen?
Allzu zartbesaiteten Lesern empfehle ich, den folgenden Abschnitt zu überspringen.
Im Dezember 2002 reisten einige Psychologen nach Guantanamo, in das soeben eröffnete US-Internierungslager auf Kuba, um US-Vernehmer für ihre künftigen Aufgaben zu schulen.4 Sie empfahlen verschiedene Techniken, beispielsweise das mittlerweile zu trauriger Berühmtheit gelangte Waterboarding. Dabei wird der Verhörte auf einer diagonalen, um 10 bis 15 Grad geneigten Liege mit den Beinen nach oben fixiert. Sein Gesicht – Augen, Nase und Mund – wird mit einem Stück Stoff bedeckt. Schließlich wird Wasser auf das verhüllte Gesicht gegossen, aus einer Entfernung von 15 bis 45 Zentimetern und nicht länger als 40 Sekunden am Stück. Dabei entsteht der Eindruck des Ertrinkens, der Verhörte empfindet Panik und Todesangst. Andere Verhörmethoden waren Schlafentzug, stundenlanges Stehen, Stresspositionen und unerträglicher Lärm.
Klingt alles gar nicht so schlimm? Der US-Vernehmer Tony Lagouranis fragt provokant:5 »Wie lange hast Du schon mal gekniet? Erinnerst Du Dich daran, wie steif Du warst, als Du aufstandest? Könntest Du es überhaupt eine Stunde lang aushalten, mit Deinen Händen auf Deinem Rücken gefesselt? Was war die größte Kälte, die Du je erlebst hast? Die dünne, trockene Wüstenluft fällt unter minus 40 Grad. Wenn Du jemals in so einer Kälte warst, mit nichts anderem bekleidet als einer dünnen Lage Baumwolle, wie lange hat es gedauert, dass Du Dich irgendwo aufwärmen konntest? Wie lange konntest Du es je ohne Schlaf aushalten? Woran erinnerst Du Dich bei Deinem Verlangen nach Schlaf?« Vielleicht doch nicht so harmlos, was?
Die Absicht dahinter ist natürlich, dass der so Malträtierte alles preisgibt, was er weiß. Diese Prozedur sei zwar hart, wie die Befürworter der Folter durchaus einräumen, aber eben effektiv. Wobei »hart« noch gelinde ausgedrückt ist.
Folteropfer bleiben meist ihr ganzes Leben traumatisiert; sie leiden an Depressionen, Psychosen und begehen nicht selten Selbstmord. Dank WikiLeaks wissen wir heute, dass von den knapp 800 Gefangenen in Guantanamo mindestens 150 unschuldig waren – Lehrer, Taxifahrer und einfache Bauern.6 Für eine Inhaftierung genügte es teils schon, eine bestimmte Casio-Uhr zu tragen, die als Zeitzünder für eine Bombe verwendet werden könnte. Bei knapp 100 Gefangenen kam es gar nicht erst zu Traumatisierungen, weil sie schon während der Folterorgien starben. Dies hat US-General Barry McCaffrey auch unverblümt zugegeben, als er über den Afghanistan-Feldzug 2001 sprach: »Wir folterten Menschen gnadenlos. Wir haben dabei vielleicht Dutzende ermordet, die Armee und die CIA.«
Wie konnte es zu diesen Auswüchsen kommen? Welchen Hintergrund hatten die Foltertechniken, die nach dem 11. September zum Einsatz kamen? Hatten die US-Behörden Pläne für entsprechende Praktiken in der Schublade? Gewissermaßen ja.
Seit Jahrzehnten existiert ein Trainingsprogramm für US-Soldaten und Agenten, das auf den Fall der Ergreifung und Befragung durch den Feind vorbereiten soll. Das sogenannte SERE-Programm (Survival – Überleben, Evasion – Ausweichen, Resistance – Widerstand, Escape – Flucht) konfrontiert die Trainierten mit Verhörmethoden, die China während des Koreakriegs anwendete, um amerikanische Kriegsgefangene zu befragen.
Der CIA-Vernehmer Glenn Carle erinnert sich an sein eigenes SERE-Training während seiner Ausbildung: »Ich konnte am Ende die Nacht nicht vom Tag unterscheiden … Ich wurde gezwungen, wach zu bleiben … Der Lärm hörte nie auf und war ohrenbetäubend. Menschen schrien und weinten in anderen Zimmern. Stoffe wurden langsam zerrissen, Explosionen taten mir in den Ohren weh und Babys weinten und weinten und schrien … Manchmal musste ich mich an die Wand stellen, mit einer Kapuze über dem Kopf, und zwar lange, sehr lange … Ich musste mich in enge Schachteln zwängen, in denen ich weder sitzen noch stehen konnte … Zum ersten Mal in meinem Leben verlor ich die Fähigkeit, zu unterscheiden, wo ich selbst aufhörte und wo die Außenwelt begann … Alles stürzte auf meinen Verstand ein. Es hörte nie auf. Es existierte nichts außer Dunkelheit, Kälte, Verwirrung, Schmerz, Angst …«
Glenn Carle wäre damals nie auf die Idee gekommen, diese Techniken eines Tages selbst anzuwenden. Denn die USA hatten diese Methoden nicht nur als Folter gebrandmarkt und unter Strafe gestellt – nach dem Zweiten Weltkrieg verurteilten sie Japaner dafür als Kriegsverbrecher –, sie hielten sie zudem für wirkungslos und unsinnig.7
Doch angesichts der Ereignisse des 11. September 2001 hatte diese Ansicht keinen Bestand – und so geschah etwas, das nicht nur Glenn Carle wohl für unmöglich gehalten hätte: Die beiden amerikanischen Psychologen James Mitchell und Bruce Jessen boten sich dem CIA als Berater für scheinbar neuartige Verhörmethoden an, hinter denen sich aber nichts anderes verbarg als weite Teile des SERE-Programms – nur umgekehrt! Auf einmal waren Maßnahmen wie Schläge in den Bauch und das Einsperren in dunkle Kisten an der Tagesordnung – und natürlich das Waterboarding.8
Und wie stand es um die Effektivität? Der US-Army-Vernehmer Chris Mackay fasste es nach jahrelanger Verhörerfahrung kurz und knapp zusammen: »Körperlicher Zwang – Folter – hat nichts mit einer effektiven Vernehmung zu tun. Folter ist primitiv, barbarisch und unmoralisch – und funktioniert nicht.« Sehen Sie sich bei Gelegenheit doch einmal das Video des US-Feuerwehrmanns an, der sich Waterboarden lässt und schließlich gesteht, der Drahtzieher des 11. Septembers zu sein. Ich habe es Ihnen auf meiner Internetseite in der Mediathek bereitgestellt (www.jacknasher.com).
Schließlich fand das sinnlose Grauen zumindest offiziell ein Ende: Am 22. Januar 2009, seinem zweiten Tag im Amt, unterschrieb Präsident Barack Obama eine Anordnung, die die CIA dazu verpflichtet, nur noch zugelassene Army-Verhörtechniken zu verwenden; entgegen seinen Wahlkampfversprechen wurde jedoch keiner der Verantwortlichen jemals zur Rechenschaft gezogen.
Was können wir aus all dem für dieses Buch schließen? Folter ist eben kein sinnvolles Mittel zur Wahrheitsfindung. Insofern können wir alle aufatmen: Niemand muss zum Folterknecht werden, um sich wie ein erfahrener Experte durch den Dschungel von Wahrheit und Lüge zu bewegen.
Die Frage lautet also: Wenn man die Folter ein für alle Mal aus dem Kanon der Verhörmethoden streicht, was bleibt dann noch übrig? Auf welche Praktiken können wir uns stützen?
Eines der ersten Verhörhandbücher, das keine Foltermethoden beinhaltet, ist ein 30-seitiges Büchlein für US-Soldaten aus dem Jahr 1940, dessen »Tricks« noch sehr rudimentär anmuten – so führe »eine Zigarette oder eine Tasse Kaffee häufig zu genaueren und wichtigeren Informationen als Drohungen«.9 Der schmale Band wurde laufend erweitert und verwandelte sich so schließlich in das berühmte Army FM 2–22.3 – das von den Amerikanern aktuell verwendete Army Intelligence Interrogation Field Manual. Es verbietet Gewalt und vertraut stattdessen auf psychologische Mittel; so steht vielversprechend in der Einleitung: »Die Anwendung von Gewalt darf aber nicht mit der Verwendung psychologischer Finten, verbaler Kniffe oder anderer gewaltloser und nicht mit Zwang verbundener Tricks … verwechselt werden.«
Das wohl legendärste Verhörhanduch der Welt ist jedoch das KUBARK Counterintelligence Interrogation. Das Wort »Kubark« ist ein Deckname für das CIA-Hauptquartier in Langley, Virginia. Es wurde von den Sechzigerjahren an und bis in die Achtzigerjahre hinein vom CIA entwickelt und im Jahr 1997 auf Basis des Freedom of Information Act von der US-Regierung freigegeben. Ursprünglich konzipiert für den Umgang mit feindlichen Geheimdiensten, vor allem mit denen kommunistischer Mächte zur Zeit des Kalten Krieges, enthält es Erfahrungen aus dem Korea- und dem Vietnamkrieg, Erkenntnisse aus deutschen KZ-Experimenten und Ergebnisse der akademischen Forschung. Im Handbuch finden sich einerseits kuriose Techniken wie »Alice im Wunderland«, wobei der Vernehmer vollkommen unlogische Fragen stellen und dabei Stimmlage und Betonung stetig verändern soll, um den Verhörten an seinem Realitätssinn zweifeln zu lassen, andererseits aber auch durchaus alltagstaugliche Fragetechniken, auf die ich später noch eingehen werde.
Das FBI verwendet ebenfalls ein Verhörhandbuch, das allerdings als »top secret« klassifiziert ist. Aber wir haben Glück, denn ein FBI-Mitarbeiter, ein erfahrener einstiger Abteilungsleiter der Anti-Terror Einheit, beging im Jahr 2013 einen unerhörten Fehler: Er wollte sich das Copyright – nicht für die Behörde, sondern für sich persönlich – auf das streng geheime, knapp 70-seitige Büchlein sichern und schickte es dazu an die Library of Congress in Washington, D.C., wo es monatelang von allen Interessierten eingesehen werden konnte. Daher wissen wir heute, dass die Verhörtechniken des FBI eine Mischung aus dem Kubark-Handbuch des CIA und der bekanntesten polizeilichen Verhörtechnik der Welt darstellen: der Reid-Technik. Wir können also aus dem Vollen schöpfen, um die optimalen Mittel zur Wahrheitsfindung im Alltag zusammenzustellen.
Werfen wir einen genaueren Blick auf polizeiliche Vernehmungen. Nirgendwo sonst werden so viele Verhöre durchgeführt wie bei der Polizei, es ist das täglich Brot von Polizisten in aller Welt. Weil Polizeiarbeit im Gegensatz zur Arbeit von Armee und Geheimdiensten relativ transparent ist, stehen uns dazu auch interessante Zahlen zur Verfügung: Etwa 40 bis 60 Prozent der Beschuldigten legen Geständnisse ab, die Zahlen variieren von Land zu Land nur leicht.10 Frauen gestehen jedenfalls deutlich häufiger (72 Prozent) als Männer (52 Prozent)11 – was eher bedauerlich ist, da knapp 85 Prozent der Festgenommenen männlich sind.
Man kann sich natürlich fragen, ob Verhöre in Zeiten von DNA-Analyse überhaupt noch notwendig sind. Wozu soll der moderne Polizist noch mit einem Schuldigen sprechen, wenn die Wahrheit ohnehin im Reagenzglas schwimmt? Allerdings sind solche »Sachbeweise«, also am Tatort gewonnene Beweise wie Fingerabdrücke, DNA-Spuren oder Spuren der Tat beim Täter, anders als TV-Serien suggerieren, relativ selten. Tatsächlich gibt es solche eindeutigen Beweise nur bei etwa 10 Prozent aller Kriminalfälle!12 Insofern ist eine erfolgreiche Vernehmung nach wie vor das A und O der Verbrechensaufklärung.
Um aus Beschuldigten Geständige zu machen, stehen uns eine ganze Reihe von Verhörtechniken zur Verfügung.13 Die mit Abstand erfolgreichste ist diejenige, die, wie bereits erwähnt, auch vom FBI verwendet wird – und von Geheimdiensten, Armeen und Polizeibehörden in aller Welt: die Reid-Technik. Diese Methode ist so umstritten, dass ich beinahe einen Eklat auslöste, als ich auf der Tagung für Forensische Psychiatrie und Psychologie der Charité in Berlin im Sommer 2014 für sie eintrat. Weshalb? Weil die Vortragenden – unter anderem der bekannte deutsche Rechtspsychologe Günter Köhnken, der die Reid-Methode als »eine Stufe vor Waterboarding« bezeichnet – befürchten, dass die Methode auch falsche Geständnisse hervorbringen kann. Aber dazu im Nachwort mehr.
Jedenfalls handelt es sich bei dieser Methode um die am weitesten verbreitete Verhörtechnik, die je entwickelt wurde. Sie verzichtet gänzlich auf Gewalt und vertraut allein auf psychologische Manipulation. Was hat es damit auf sich?
Ein Rückblick in das Chicago der Zwanzigerjahre, die Stadt Al Capones und vieler anderer Gangs. Am 14. Februar 1929 kam es zum sogenannten Valentinstag-Massaker: Ein schwarzes Auto fuhr auf den Hof der S-M-C Cartage Company, einer Scheinfirma der irischen North Side Gang. Ein paar Männer in Polizeiuniform stiegen aus und gaben vor, eine Razzia durchzuführen. Sie stießen auf keinerlei Gegenwehr – die fünf irischen Gangster, die sich gerade auf dem Hof aufhielten, standen an der Wand und warteten geduldig. Und die vermeintlichen Polizisten fackelten nicht lange: Sie entluden ihre Maschinenpistolen in die Körper der fünf Männer. Eine eiskalte Hinrichtung.
Frank Gusenberg, der von 14 Kugeln getroffen wurde und trotzdem noch lebte, als Notärzte und Ermittler eintrafen, antwortete auf die Frage nach den Tätern: »Niemand hat auf mich geschossen.« In diesem Stil ging es weiter: Alle anschließend Verhörten folgten der Omertà, dem Gesetz des Schweigens. Die Ermittlungen zogen sich entsprechend in die Länge. Um dem Verdacht nachzugehen, bei den Tätern könne es sich um korrupte Polizisten gehandelt haben, wurde jede Patrone genauestens analysiert. An der Northwestern University wurde eigens ein Labor eingerichtet, um strafrechtliche Beweise nach den neuesten Erkenntnissen der Forschung auszuwerten: Das SCDL, das »Scientific Crime Detection Laboratory«, untersuchte Fingerabdrücke und Schusswaffen, beschäftigte sich daneben aber auch mit der Auswertung von Aussagen, vor allem mithilfe des relativ neumodischen Lügendetektors. Und so wurde das Massaker schließlich aufgeklärt: Ursache war offenbar ein Streit zwischen einer irischen Gang und der Gang Al Capones – und das SCDL war als Autorität etabliert.
Im Jahr 1940 stieß ein neuer Mitarbeiter zum SCDL: John E. Reid, ein Polizist irischer Abstammung, der schon kurz davor stand, seinen Dienst zu quittieren, sich aber im letzten Moment umentschied und in das Labor wechselte. Reid war 30 Jahre alt, ein bulliger Kerl, der in Studentenzeiten als Verteidiger im Footballteam der DePaul University gespielt hatte. Doch körperliche Gewalt und wüste Drohungen, wie sie für den damaligen Polizeialltag typisch waren, lagen ihm nicht: Im Bundesstaat Mississippi zum Beispiel waren noch in diesen Zeiten drei Schwarze von Polizisten ausgepeitscht worden, bis sie den Mord an einem weißen Plantagenbesitzer gestanden; der Supreme Court stellte erst 1936 zu diesem Fall klar, dass Geständnisse, die durch Folter gewonnen wurden, vor Gericht keinen Wert besäßen.
Reid, der einen Bachelor-Abschluss in Jura in der Tasche hatte und sich brennend für kriminologische Arbeit interessierte, war der festen Überzeugung, dass man die besten Geständnisse durch kluge Verhörtechniken zutage fördern könnte. Am SCDL spezialisierte er sich bald auf den Lügendetektor und stellte dazu auch eigene Experimente an; so bastelte er zum Beispiel aufblasbare Kissen, mit denen das nervöse Zittern der Befragten leichter erkannt werden konnte. Außerdem entwickelte er die sogenannte »Vergleichsfrage«, eine der zentralen Fragetechniken bei der Arbeit mit dem Lügendetektor, die Sie im nächsten Kapitel näher kennenlernen werden.
Einer seiner engsten Mitarbeiter erinnert sich an Reids Umgang mit Befragten: »Es war fast wie bei einem Priester. Er hielt deine Hand und sagte: ›Du solltest Dir das wirklich von der Seele reden.‹«14 John E. Reid hat dazu beigetragen, knapp 300 Mordfälle zu lösen. Er hat über 5000 Dieben Geständnisse entrungen. Er, der als Mann der leisen Töne galt, führte unzählige Verhöre durch und ging sogar in die Gefängnisse, um Verurteilte nachträglich zu befragen, was sie zum Geständnis bewogen hatte.
Wenn Menschen dazu gebracht werden sollen, die Wahrheit zu sagen, treten laut Reid stets wiederkehrende Verhaltensmuster auf: »Es ist fast so, als ob jeder Verbrecher das gleiche Buch darüber gelesen hat, was man tun und sagen muss, um sich zu verraten.« Und so begann er, jene Fragemethoden zu entwickeln, die später als »Reid-Technik« berühmt werden sollten.
Wie funktioniert die Methode konkret? Die erste Phase besteht aus einem Interview, in dem beobachtet wird, ob der Verhörte Anzeichen einer Lüge zeigt. Geht man danach davon aus, dass er tatsächlich lügt, folgen drei weitere Phasen: Zuerst wird dem Beschuldigten klargemacht, dass man alle nötigen Beweise in den Händen hält, egal ob dies der Wahrheit entspricht oder nicht. Diesen Schritt bezeichnet man als »Maximierung« (»Wir wissen Bescheid!«). Dann wird dem Beschuldigten Verständnis vorgegaukelt, um seine Schuld kleinzureden – die sogenannte »Minimierung« (»Jeder an Deiner Stelle hätte doch das Gleiche getan!«). Und zum Schluss schiebt man die letzten rationalen Bedenken gegen ein Geständnis beiseite, indem man es als bestmögliche Wahl zwischen zwei Alternativen präsentiert (»Hast Du das schon seit Jahren getan oder bist Du nur dieses eine Mal schwach geworden?«).
Bei der Reid-Technik handelt es sich also um eine geschickte Kombination psychologischer Techniken: Es ist klar, dass Menschen eher dazu neigen, zu gestehen, wenn sie glauben, dass man die Beweise ohnehin schon in den Händen halte; in der Folge werden dem Verhörten scheinbare Rechtfertigungen für sein Verhalten angeboten, um ihm eine goldene Brücke zu bauen; und zuletzt wird das menschliche Streben nach der günstigsten Alternative ausgenutzt. »Und tatsächlich«, so beschreibt Reid selbst seine Methode, »sind die Prinzipien für den Haustürverkauf von Produkten den hier vorgestellten Techniken sehr ähnlich, in denen es darum geht, Geständnisse von kriminellen Verdächtigen zu bekommen. Das Produkt des Ermittlers ist die Wahrheit und der erfolgreiche Vernehmer verkauft es genauso, wie diese Jungs gelernt haben, Zeitungsabos zu verkaufen.«
John E. Reid und sein Mentor Fred Inbau systematisierten ihre Erkenntnisse immer weiter und veröffentlichten 1962, nach über 20 Jahren Erfahrung, das Buch Criminal Interrogation and Confessions, das schnell zu einem gigantischen Erfolg wurde und nicht selten als »Bibel der Verhörmethoden« bezeichnet wird. Die New York Times schreibt, das Buch definiere »seit über einem halben Jahrhundert die Kultur der Polizeiverhörtrainings«. Die Techniken sind so wirksam, dass der Supreme Court der USA in seiner sogenannten Miranda-Entscheidung, mit der Polizisten dazu verpflichtet wurden, jedem Beschuldigten bei der Festnahme seine Rechte herunterzubeten (»Sie haben das Recht, zu schweigen …«), die Reid-Technik explizit als Grund aufführte – um es dem Verdächtigen zu ermöglichen, sich vor dieser Wunderwaffe der Ermittler zu schützen! Auch wissenschaftliche Studien berichten von extrem hohen Erfolgsraten von bis zu 85 Prozent.15
Zurück zu unserem Ausgangsbeispiel: Ben. Stellen Sie sich nun vor, Sie sind Ben. Sie haben tatsächlich eine Bombe gelegt, weil Sie den Tod Ihrer unschuldigen Familie, Ihrer Frau und Ihrer drei Kinder rächen wollen. Ihr eigenes Leben bedeutet Ihnen nichts mehr. Sie sind auf jeden Schmerz dieser Welt eingestellt und seelisch vorbereitet, jedes weitere Opfer bringt Sie Ihrer grauenvoll ermordeten Familie näher. Mit anderen Worten: Sie freuen sich fast schon auf die Folter.
Doch der Vernehmer setzt sich neben Sie. Er lässt Ihnen die Handschellen abnehmen und bietet Ihnen etwas zu trinken an. Er teilt Ihnen mit, dass man längst genügend Beweise gegen Sie gesammelt hätte – und im nächsten Moment verblüfft er Sie noch mehr: Er spricht über das Leid Ihres Volkes, über die vielen Ungerechtigkeiten der letzten Jahre. Jeder könne Ihren Zorn, Ihre Ohnmacht verstehen. »Aber …« Er rückt noch etwas näher an Sie heran. »Aber sind Sie denn ein kaltblütiger Killer? Oder ein Mann, der aus Verzweiflung gehandelt hat, weil er einfach nicht mehr weiterwusste?«
Ist es nicht viel wahrscheinlicher, dass Sie jetzt auspacken?
Die Frage, ob man foltern sollte oder nicht, muss gar nicht unter ethischen Gesichtspunkten beantwortet werden. Ganz egal, was Ihr moralischer Kompass sagt: Viel effektiver als körperlicher Zwang sind psychologische Techniken – die selbstverständlich geschickt angewandt werden müssen.
Und nun stellen Sie sich vor, Sie beherrschen die effektivste Verhörmethode der Welt.
Stellen Sie sich vor, Sie führen eine Bank – und jemand hat 2000 Euro von dem Konto eines Kunden abgehoben. Es kann sich nur um eine bestimmte Angestellte handeln, niemand sonst hatte Zugriff auf die Kasse. Sie befragen die Verdächtige, eine langjährige und immer zuverlässige Mitarbeiterin, in Ihrem Büro. Wie gehen Sie vor?
Ein miserabler Vernehmer würde sie anbrüllen, um ihr Angst zu machen. Ein mittelmäßiger würde versuchen, sie über Stunden hinweg mürbe zu machen. Der beste Vernehmer aber setzt sich zu ihr, bietet ihr eine Tasse Kaffee an und plaudert mit ihr. Und genauso beginnen Sie das Gespräch. Sie lassen die Angestellte möglichst viel erzählen, von ihrem Berufs-, aber auch von ihrem Privatleben. Dabei hören Sie genau zu und achten auf ein mögliches Motiv für ihre Tat. Hat sie Geldsorgen? Kann sie ihren direkten Vorgesetzten nicht ausstehen? Schließlich schauen Sie ihr in die Augen und sagen mit klarer und fester Stimme: »Sie haben das Geld genommen.« Natürlich will die Beschuldigte widersprechen. »Halt, hören Sie mir bitte zu«, fallen Sie ihr ins Wort, nachdem Sie Ihren Arm leicht gehoben haben, um ihre Aufmerksamkeit zu gewinnen. »Wir warten nur noch auf den Hausmeister, der jemanden an der Kasse gesehen hat, danach ist sowieso alles klar. Sie waren immer zuverlässig und haben hervorragende Arbeit geleistet. Aber ich kenne auch Ihre Kollegen und ich weiß, wie Sie von ihnen behandelt werden. Insofern kann ich Sie gut verstehen – ich glaube, eine solche Gelegenheit hätte jeder genutzt. Ich sagen Ihnen jetzt etwas: Eigentlich könnten wir uns dieses Gespräch sparen, die Beweise sprechen schließlich für sich. Aber ich würde mich freuen, wenn Sie die Gelegenheit nutzen, um die Angelegenheit aus Ihrer persönlichen Sicht darzustellen, damit wir uns nicht nur an die kalten Fakten halten müssen. Daher: Haben Sie das Geld genommen, weil Sie eine Diebin sind und seit Jahren stehlen? Oder haben Sie bloß eine einmalige Gelegenheit genutzt, weil Sie sich ungerecht behandelt fühlen?«
Bekommen Sie nun todsicher die ganze Wahrheit zu hören? Nein. Aber wenn es überhaupt einen Weg gibt, an die Wahrheit zu gelangen, dann ist es dieser.
Was haben die Verhörtechniken der Profis mit Ihren Alltagssituationen zu tun – fernab von Verhörzimmern? Nun: Was haben Formel-1-Boliden mit Ihrem Auto zu tun? Wo es auf maximale Beschleunigung, perfekte Straßenlage und den kürzestmöglichen Bremsweg ankommt, wird genauer gearbeitet als auf sämtlichen anderen Gebieten. Hier sind keine Fehler erlaubt, hier müssen optimale Techniken gefunden werden. Und dasselbe gilt für Verhöre bei Geheimdiensten, Armeen und Polizei. Erkenntnisse aus Extrembereichen sind auch für uns Gold wert. Sie gelten genauso universell wie die Mechanismen der menschlichen Psyche, die bei Verhören optimal manipuliert werden.
Auch wenn im Buch vom »Vernehmer« und »Befragten« die Rede sein wird, geht es hier nicht um vermeintliche Terroristen, nicht um hartgesottene Cops, sondern um Sie – um Führungskräfte, Personalmanager, Einkäufer, Versicherungsermittler, Wirtschaftsprüfer, Compliance Manager, Richter, Polizeibeamte, Anwälte, Journalisten, Partner und Eltern. Und es geht darum, wie Sie im entscheidenden Moment Fehler vermeiden und an die ganze Wahrheit gelangen. Behavior Analysis Interview, Scientific Content Analysis und natürlich die Reid-Technik: Jahrzehntelange Forschung und Praxis – polizeiliche, militärische und geheimdienstliche – haben verblüffend effektive Techniken der Wahrheitsfindung hervorgebracht. Hinzu kommen noch die persönlichen Methoden der Besten ihrer Zunft, wie etwa die des legendären Nazi-Vernehmers Hanns-Joachim Scharff, der seinem Gegenüber alles entlocken konnte – und das ganz ohne Gewalt!
Dieses Buch ist die Essenz davon – die effektivsten Verhörtechniken für den Alltag.
»Beurteile die Menschen eher nach ihren Fragen als nach ihren Antworten.«
Voltaire
Los Angeles International Airport, im Jahr 1950. John Henry Grant, ein 31-jähriger Familienvater, läuft durch alle Schranken bis zu einem fast startbereiten Flugzeug, das soeben beladen wird. Gerade will ein Flughafenangestellter einen Koffer in den Gepäckraum werfen und bemerkt dabei, dass eine Ecke davon feucht ist und nach Benzin riecht. Rauch steigt aus dem Koffer auf. Blitzschnell wirft er den Koffer zu Boden und greift zum Feuerlöscher. In diesem Moment erscheint John Henry Grant auf der Bildfläche und versucht, das Gepäckstück an sich zu reißen. Die Männer ringen um den Koffer, Grant gewinnt die Oberhand und läuft mit dem Koffer zu seinem Wagen, wo er von Sicherheitsbeamten überwältigt wird. Dabei jammert er: »Ich konnte es einfach nicht.«
Was war geschehen? Grant hatte eine Bombe im Koffer seiner Frau deponiert, die mit den beiden gemeinsamen Kindern nach San Diego fliegen wollte. Die Bombe sollte während des Fluges zünden und die Frau samt Kindern und allen anderen Passagieren in den Tod reißen. Warum? Nun, Grant wollte seine Freundin heiraten und ein neues Leben beginnen. Warum er sich nicht einfach scheiden ließ, wurde bis heute nicht geklärt. Jedenfalls begann er danach tatsächlich ein neues Leben – eines hinter Gittern.
Wer alt genug ist, erinnert sich noch: Das früheste Horrorszenario des Fliegens hieß »Kofferbombe«. In den jungen Jahren des Passagierflugs, als Fliegen noch so unkompliziert war wie Busfahren, kam man am Flughafen an, fuhr bis zum Rollfeld und stieg die Treppe zum Flugzeug hoch, während der Pilot einmal um die Maschine stapfte, um sicherzugehen, dass sie keinen Platten hatte. Zwar hielten im Laufe der Jahre mehr und mehr Sicherheitsvorkehrungen Einzug, aber die wirklich tief greifenden Veränderungen traten erst nach dem 11. September 2001 ein. Nun wurde man genauestens unter die Lupe genommen, seltsame Regeln wurden eingeführt: keine Flüssigkeiten über 100 Milliliter im Handgepäck und selbst dann bitte im durchsichtigen Plastikbeutel, Schuhe ausziehen – oder doch wieder anbehalten. Es fällt schwer, dahinter ein echtes Konzept zu erkennen. »All unsere Sicherheitsreaktionen«, so die US-Verhörexperten Nathan Gordon und William Fleisher, »scheinen reflexartige Reaktionen zu sein.«16 Und sie fügen hinzu: »In den letzten sechs Jahrzehnten hat es nur eine Airline richtig gemacht – die israelische nationale Fluggesellschaft El Al (Hebräisch für: in den Horizont) … Obwohl es viele Versuche gab, war nur eine Entführung 1968 erfolgreich.«
Was genau macht diese Airline besser als alle anderen? Ein von der El Al ausgebildeter Sicherheitsexperte, den ich einmal schulte, erklärte es mir: Zig Mitarbeiter analysieren eine Vielzahl an Warnindikatoren – fliegt der Passager allein, hat er kaum Gepäck dabei, wirkt seine Kleidung auffällig neu? Vor allen Dingen aber besitzt El Al einen Stab von Mitarbeitern, der in Verhörtechniken geschult ist. Es gibt Kataloge besonderer Fragen, offener und suggestiver; insbesondere eine Reihe sogenannter verhaltensprovozierender Fragen, um typische Reaktionen von Passagieren hervorzulocken, die etwas im Schilde führen.
Die Grundidee ist einfach: Täuschende reagieren auf bestimmte Fragen anders als Wahrhaftige. Der Schlüssel zur Wahrheit liegt also in der richtigen Fragetechnik. Der gesunde Menschenverstand hilft einem dabei jedoch nur wenig, wie ich in den letzten Jahren immer wieder beobachten musste. In meinem Seminar zum Thema Lügen entlarven wird die Übung »Der Diebstahl« durchgeführt, die wir auch einmal für die Fernsehsendung Welt der Wunder aufgezeichnet haben: Ein Teilnehmer zieht einen Zettel aus einer Kiste und verlässt damit den Seminarraum. Vor der Tür faltet er ihn auseinander und liest entweder die Anweisung »Stiehl« oder »Stiehl nicht«. Soll er »stehlen«, so wird er vorher instruiert, möge er sich in mein Büro begeben und meine Brieftasche aus dem Jackett nehmen, das an der Garderobe hängt. Daraus soll er einen 10-Euro-Schein entwenden und dann die Brieftasche zurücklegen. Soll er nicht »stehlen«, dreht er lediglich ein paar Runden im Flur. Bei seiner Rückkehr in den Seminarraum weiß niemand, ob er »gestohlen« hat oder nicht. Nun setzt er sich vor die anderen auf einen Stuhl und beteuert seine Unschuld – ganz egal, ob er »schuldig« ist oder nicht. Die anderen sollen auf Anzeichen der Lüge achten.
Stellen Sie sich vor, Sie wären einer der Seminarteilnehmer und müssten den »Verdächtigen« befragen. Doch welche Fragen würden Sie stellen? Wenn Ihnen wenig einfällt, sind Sie nicht allein – so geht es den meisten. Wie oft kann man schon fragen: »Hast Du das Geld genommen?« Genauso ist es im Alltag: Wie oft können Sie Ihren Partner fragen, ob auch wirklich »alles in Ordnung« ist?
So banal es klingen mag: Ein gutes Verhör steht und fällt mit den richtigen Fragen. Sie zu finden ist ganz und gar nicht einfach – wie ich immer wieder feststellen musste –, sondern gehört zu den komplexesten Aufgaben der modernen Vernehmungslehre. Man kann eine Vernehmung nicht nach Drehbuch führen und von A bis Z planen. »Aber sie kann und muss«, so schreibt das Kubark-Handbuch17, »von A bis F oder A bis M geplant werden.« Denn, so warnt Kubark: »Ein unstrukturiertes Voranpreschen um jeden Preis kann alle Erfolgschancen sogar vollständig zunichtemachen, selbst wenn später fundierte Methoden angewandt werden.« Das gilt für alle Situationen: Ob es um einen Fragenkatalog geht, um potenzielle Amoktäter zu erkennen – einen sogenannten »Gefahrenradar« –, wie ich ihn für die Polizeiausbildung in Nordrhein-Westfalen entwarf, oder darum, herauszufinden, wie viele Stück Kuchen mein zehnjähriger Neffe heute heimlich verputzt hat. Um diese richtige Planung geht es in diesem Kapitel.
Die Northwestern University liegt in Evanston, einem kleinen Ort bei Chicago, direkt am Ufer des malerischen Lake Michigan. In den Fünfzigerjahren hält der berühmte Juraprofessor Fred Inbau dort eine Vorlesung über Strafprozessrecht. Plötzlich stürmt ein Mann mit einem Messer in der Hand den Vorlesungssaal, stößt Inbau zu Boden, reißt seinen Koffer an sich und ergreift die Flucht. Inbau, der erstaunlich gefasst wirkt, rafft sich sofort wieder auf und bittet die Studenten, ein Blatt Papier zur Hand zu nehmen und eine Beschreibung des Täters zu notieren. Der Raub war reines Theater – Inbau will demonstrieren, wie unzuverlässig Zeugenaussagen sind. Und tatsächlich: Die Beschreibungen des Täters variieren erheblich. Er sei zwischen 1,67 und 1,98 Meter groß gewesen, habe schwarzes oder blondes Haar gehabt, eine blaue Jeans oder eine braue Cordhose getragen.
Über vier Jahrzehnte hinweg lehrte Fred Inbau Strafrecht an der Northwestern University, einer der besten Universitäten der USA. Dabei war sein Weg keineswegs vorgezeichnet. Er wurde 1909 in New Orleans geboren, im Jahr des Grand Isle Hurricanes, dem viele Hundert Menschen zum Opfer fielen. Freds Vater war ein armer Werftarbeiter, wahrscheinlich der Nachkomme deutscher Immigranten, die sich Mitte des 19. Jahrhunderts westlich von New Orleans niedergelassen hatten. Als er einmal seinen Vater fragte, wie er denn reich werden könne, antwortete ihm dieser, er solle am besten Anwalt werden.
Fred war tatsächlich ein guter Schüler, der es an die Jurafakultät der hervorragenden Northwestern University bei Chicago schaffte. Kaum in Chicago angekommen, sah sich der wenig begüterte Fred Inbau nach einem Studentenjob um und begann schließlich als Forschungsassistent im bereits erwähnten SCDL, dem Scientific Crime Detection Laboratory.
Fünf Jahre später, 1938, wurde das Labor in die Chicagoer Polizei integriert und Fred Inbau wurde mit 29 Jahren zum neuen Direktor befördert. Inbau lehrte noch immer an der Universität, doch er war kein akademischer Typ, was bei den Polizisten gut ankam: ein Eierkopf, der auf der Seite der Polizei stand! Sein Spitzname lautete »Freddie the Cop« und diesem Namen sollte er stets gerecht werden: Als es zu einer Reihe kleinerer Diebstähle an der Jurafakultät kam, legte er sich auf die Lauer und wartete die ganze Nacht in seinem abgedunkelten Büro ab. Irgendwann öffnete sich die Tür. Inbau sprang auf, jagte den Übeltäter durch das ganze Gebäude und fasste ihn schließlich mithilfe eines Studenten.
Fred Inbau wurde schon bald auf seinen Mitarbeiter John Reid aufmerksam; er beobachtete Reids Verhöre immer häufiger durch ein Spiegelfenster. Obwohl nur ein Jahr älter als Reid, wurde Inbau zu seinem Mentor und half ihm, seine akribischen Notizen und täglichen Verhörerfahrungen zu systematisieren.
Inbau selbst war – wie er es sich als Kind vorgenommen hatte – ein paar Jahre als Anwalt tätig, kehrte aber bald an die Northwestern University zurück und nahm eine Professur an, die er über 30 Jahre lang, bis zu seiner Emeritierung im Jahr 1977, innehatte. Danach arbeitete er vor allem an seinen Publikationen; insgesamt veröffentlichte er 18 Bücher und zahlreiche Artikel. Er starb 1998 im Alter von 89 Jahren.
Als John Reid in den Vierzigerjahren Hunderte von Lügendetektortests durchführte, entwickelte er das Behavior Analysis Interview (BAI). Dabei handelt es sich um ein System von Fragen, das Verhaltensweisen provozieren soll, die typisch für Lügner sind. Es geht darum, herauszufinden, ob das Gegenüber die Wahrheit sagt oder nicht. Durch das Verbot von Lügendetektortests in verschiedenen Rechtsordnungen erlangte dieses Fragesystem immer größere Bedeutung, wurde stetig weiterentwickelt und schließlich so effektiv, dass der Lügendetektor überflüssig wurde. Allerdings sind Reids Merkmale eines Lügners überholt; mittlerweile existieren viel genauere Erkenntnisse dazu, wann ein Mensch die Wahrheit sagt und wann nicht. Diese habe ich in meinem Buch Durchschaut detailliert dargelegt, in diesem Kapitel werde ich daher nur die für die Praxis relevanten Techniken wiedergeben. Ein paar inhaltliche Überschneidungen mit Durchschaut möge man mir hier dennoch nachsehen – jeder Leser sollte dieses Buch verstehen können, auch ohne vorher ein anderes gelesen zu haben.
Wie gesagt, beim Entlarven von Lügen hilft Ihnen Ihr gesunder Menschenverstand nur wenig. Tatsächlich sind wir ganz miserabel im Entlarven! Aber wie ist das möglich, wo es doch offensichtlich so wichtig ist, Lügen in den unterschiedlichsten Lebenssituationen zu durchschauen? Normalerweise lernen wir durch trial and error, durch Versuch und Irrtum, oder anders ausgedrückt: durch das Ausmerzen von Fehlern.18 Wir stehen als Kleinkind zigmal auf, fallen wieder hin und ändern daraufhin unsere Körperhaltung – bis es schließlich klappt und wir tatsächlich laufen können. Beim Entlarven von Lügen fehlt uns ein solches Feedback: Werden wir angeschwindelt, wird uns der Lügner kaum direkt danach mitteilen, dass er uns soeben belogen hat.19 Niemand belügt uns und sagt uns dann ein paar Minuten später: »Ha, ich habe dich gerade belogen, hast Du gemerkt, wie hölzern meine Körpersprache geworden ist?« Wenn überhaupt, decken wir die Lüge erst lange Zeit später auf, meist durch Fakten, die irgendwann ans Tageslicht kommen. Bis dahin können wir uns kaum noch an die Gesten und an die genaue Wortwahl des Lügners erinnern. Daher haben selbst Richter äußerst wenig Erfahrung im Entlarven von Lügen. Das Leben ist keine Gerichtsshow, in der kurz vor Urteilsverkündung noch die letzten Zeugen in den Gerichtssaal spurten, der Täter heulend zusammenbricht und sich am Schluss alle in den Armen liegen. In einer Stern TV