Entscheidung in Paris - zweites Buch - Lynn Lamarr - E-Book

Entscheidung in Paris - zweites Buch E-Book

Lynn Lamarr

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Beschreibung

Mit dem Zuschlagen des Klavierdeckels, wird eine Entscheidung getroffen, die für alle bittere Folgen hat und das Schicksal unaufhaltsam seinen Lauf nimmt! Wenn wir im vorliegenden letzten Teil von «Entscheidung in Paris - Band II» die Augen schliessen, sind wir mitten in Paris! Und finden uns in einer wunderschönen, aber tragischen Liebesgeschichte wieder, wie schon in im letzten Buch, die hier nahtlos ihre Fortsetzung findet. Mit einer Vielzahl neuer Geschehnisse, welche der Autor gekonnt in Szene setzte, sodass ein sehr dicht gestricktes, eindringliches und unter die Haut gehendes Drama entstanden ist. Emotionen, denen wir uns nur schwer entziehen können. Dieses Buch lässt einem das Herz höher schlagen, und die Tränen fliessen, so wir dies zulassen, aber auch nur dann, wenn wir den Sinn dieser Geschichte erkennen. Vor allem aber sehen, was uns der Autor mit seiner Story sagen wollte. Nun beginnen wir dort, wo der erste Band endet, in Paris! Dieses Buch lässt einem das Herz höher schlagen, und die Tränen fliessen, so wir dies zulassen, aber auch nur dann, wenn wir den Sinn dieser Geschichte erkennen. Vor allem aber sehen, was uns der Autor mit seiner Story sagen wollte. Nun beginnen wir dort, wo der erste Band endet, in Paris!

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Mein persönliches Wort:

Wieso eine Fortsetzung von ›Entscheidung in Paris‹? Wieso die Mühe, noch einmal in diese Geschichte zurückzukehren? Weshalb noch einmal all diese Tragik? Nachdem der erste Teil, so viel von mir abverlangte? Nun sitze ich hier vor dem Abschluss des ersten Teils und frage mich selbst, wo mich dieses Buch hinführen soll, die Geschichte um Harlow und sein Leid, sein Leiden und seine Veranlagung. Als ich im Sommer die Geschichte ›Entscheidung in Paris‹ begann, der Verlag und ich entschieden, dieses Buch herauszugeben, ahnte ich nicht, wie tief ich in mein Innerstes blickte und blicken liess. Wie oft wurde ich nach dem ersten Teil gefragt:

»Bist Du auch so?!«, und ich erkannte mich, in all den Figuren, welche in dieser Geschichte sind und nicht auf ihre Sexualität reduziert wurden.

»Ich war alleine nur ... in diesem Roman ein Mörder, ein misshandeltes Kind, eine vergewaltigte Frau, ein begnadeter Klavierspieler, sowohl eine betrogene Ehefrau als auch ein Vater, der es mit dem Kindermädchen trieb! In einem anderen Buch ein Reiter, nie hat mich jemals jemand gefragt, ob ich reiten kann? Niemand fragt mich, wer von allen diesen Figuren ich bin. Aber ob ich so bin, wie ich nicht bin, das wagten sie mich zu fragen.

»Bist Du schwul?«, so waren die drei Worte, die mich gleich zu Beginn verurteilten. Gar mich mit dieser Erkundigung vor den Kopf stiessen. Fernab der Tatsache, wie dieses Buch ist, wie meine Worte gewählt wurden, die eine Geschichte erzählen! All die Arbeit, all die unzähligen Stunden hinter dieser Story interessierte niemand! Nur dieser Drang, wissen zu wollen, ob ich schwul bin? Wie traurig! Wie verletzend! Wie reduzierend! Wenn dies alles ist, was am Ende dieses Epos bleibt, macht es tatsächlich keinen Sinn, und all die Zeit hinter dieser Story sind verlorene Stunden.

1973 sang Charles Aznavour das Lied: »Wie sie sagen! Sie haben Freude wie ein Kind, uns arme Teufel, die wir sind, noch auszulachen!« Ja, wer wagt es, mich zu fragen, ob ich so bin? Zuletzt stelle ich mir die Frage:

Ist meine Sexualität für diese Geschichte hier relevant? Ist meine Sexualität für mein Leben, meine Arbeit, mein Schaffen und meine Art wichtig? Gar für ein gutes Buch massgebend? Schriebe ich schlechter oder besser, wenn meine Sexualität im Vordergrund stünde? Aus diesem Umstand heraus schrieb ich die Story um einen talentierten, gar begnadeten Klavierspieler, der zuletzt nur auf seine Sexualität reduziert wurde. Der Mensch selbst nicht wichtig! Sein Können nicht im Vordergrund. Das Leben wertlos!

Im Februar war ich an einem Konzert des Pianisten Peter Bence. Ein schlanker, schlichter, hochgewachsener, äusserst schüchterner Junge trat auf die Bühne, setzte sich hinter einen Steinway & Sons und begann mit seinem Spiel, welches mich zutiefst ergriff und begeisterte. Er berührte die Tasten dieses Flügels so leidenschaftlich, so voller Energie, dass ich, während ich seinem Spiel lauschte, mir die Frage stellte, ob ihn auch jemand nach seiner geschlechtlichen Orientierung fragt? Ist diese für irgendjemanden in diesem vollen Konzertsaal wichtig, kamen wir nicht etwa, um alleine sein Spiel, auf diesem Flügel zu hören? Sein Können, sein aussergewöhnliches Talent zu bewundern? Und ich erkannte in Peter Bence Tommy in meiner Geschichte. Seine Art des Klavierspiels, die Leidenschaft, Musik zu fühlen und weiterzugeben, ist genau jenes, was in diesem zweiten Teil im Vordergrund steht! Wer diese tiefgehende Geschichte gelesen hat, wird am Ende vielleicht verstehen, was ich weitergeben wollte! Und nicht wie in Aznavours Lied:

»Wie sie sagen!« Niemand hat das Recht, zu urteilen. Und ich sage es hier an dieser Stelle noch einmal, auch wie es wahrscheinlich im Roman selbst einige weitere Male zu lesen ist:

»Wenn Homosexualität unser einziges Problem ist auf dieser Erde, so haben wir schon mal eine schöne Welt geschaffen ... ohne Krieg und Hunger, dafür mit einem gemeinsamen Glauben, Arbeit und Chancen für jeden Einzelnen! Eine Welt, in der auch vor allem keine Korruption mehr existiert! Wenn also zwei Männer, die sich lieben, unser einziges Leid sind ... dann haben wir eine schöne Welt, die lebenswert ist! Und gar alle eine Zukunft! Da sind zwei Männer, die sich lieben, kaum noch von Wichtigkeit!« Aber leider sind wir von alledem meilenweit entfernt! Und so ist es nicht wichtig, was Liebe auch immer fordert, solang sie niemandem Leid gibt! In der leisen Hoffnung, dass die Worte in diesem Buch etwas zum Positiven bewegen ... sollen sie da verankert sein. Für immer! Und wer weiss, vielleicht, wenn es das Leben will ... ändert meine Art zumindest etwas die Sicht der Dinge, die Perspektiven, die wir bis anhin nicht zu ändern vermochten.

Ich habe gelernt, dass ein Buch immer nur so gut ist ... wie der Leser fühlt ... wie der Leser die Worte für sich erkennt! Es gibt Menschen, die weinen bei einer bestimmten Stelle ... und andere, bei der genau derselben ... kommt keine Reaktion, sie lesen einfach darüber hinweg. Desinteressiert! Ich habe in einem anderen Buch einst einen Floristenladen beschrieben, in dem die Hauptfigur Blumen für eine Beerdigung bestellt. Daraufhin sagte mir eine Leserin, sie habe da so sehr weinen müssen. Ich war äusserst erstaunt und erkannte, dass eine Geschichte immer nur so stark ist wie jenes, was wir selbst einbringen ... und genauso ist ›Entscheidung in Paris – zweites Buch‹ zu lesen. So wie wir es fühlen und verstehen wollen, und zulassen, so intensiv wird diese Geschichte sein. Danach stellt niemand mehr die Frage, wie ich selbst fühle, bemerkt hingegen, was für eine gefühlvolle, intensive Story dies ist. Die alten Griechen waren der Meinung, dass Lesen die beste Therapie sei, für alles Leiden! Und genau dieser Ansicht bin ich auch!

Während der Zeit, wenn wir lesen, sind oftmals die Sorgen vergessen! Wir essen und rauchen nicht, unterhält sich mit niemandem, dafür treffen wir beim Lesen eine bessere Sorte Menschen! Zuletzt werden sie nie schlechter sein als der Leser selbst! Wir können nicht mehr lieben, als dass wir lieben! Wir können nicht mehr hassen, als dass sich der Hass selbst in uns birgt! Das Böse ist nicht böser, als wir dies in uns fühlen! Der Mörder nicht blutiger als jenes, was wir sehen wollen! Wir können unsere Figuren so leben lassen, wie wir es für richtig finden, und ihnen nur jenes geben, was wir selbst haben! Wer nichts hat, wird eine leere Geschichte erkennen! Und so ist es auch logisch, dass nur jene Menschen eine Geschichte leben können, wie sie selbst sind! Dies fühlen, lieben und leiden! Es wird nicht vergebens erzählt, dass nur jene Menschen lesen, die mit dem Herzen sehen! Deshalb bleibe ich der Überzeugung, indem wir lesen, wir jenes geben, um das zu erlernen, bei dem wir uns alle so schwertun! Zu lieben!

Wer liest, hat keine Sorgen, keinen Kummer, keinen Schmerz und zuletzt auch keine Angst! Lesen können wir überall, zu jeder Zeit! Ein Buch ist jenes, was viele nicht sind! Treu! Wir können es überall mit uns mitnehmen, es aufschlagen, wo immer wir auch sind, und die Figuren jederzeit aufleben lassen! Sie fühlen und lieben lassen, wie wir dies wollen! Ein Buch belügt uns nicht! Und wir können es jederzeit aus der Hand legen, wenn das Papier mehr wiegt, als der Inhalt wert ist. Selbst, wenn sich das Blatt wendet.

›Entscheidung in Paris‹ steht umfassend für Akzeptanz, Toleranz und Gerechtigkeit ein. Niemand auf dieser Welt steht gerne für etwas gerade, wofür er nichts kann! Was er sich nicht aussuchen konnte! Egal, wofür auch immer! Und ich hoffe, nach diesem zweiten Band die Sichtweise verändert zu haben und dass jene dankbar sind, die nicht so sein müssen, wie andere sind ... die niemals so sein wollen! Sei dies krank, behindert oder eben schwul. Zuletzt bleibt nur noch zu erwähnen, dass wir alle sind, wie wir sind ... ohne eine Frage nach einer Wahl, schon gar nicht nach dem Wunsch, was das Morgen bringt ... und so haben wir den Tag zu nehmen und für jene Menschen dazu sein, die weitaus weniger haben als wir selbst! Denn schon alleine die Tatsache, frei sein zu dürfen in seiner Meinung, seinem Schaffen, Wirken, Handeln und Lieben in einer Welt, wo wir alles überwachen, entscheiden und fordern wollen ... ist mehr als alles sonst, was jemals auf ebendieser Welt zu erstreben ist! Und was nicht jeder auf dieser Erde erfahren kann ... sei es durch einen Schicksalsschlag, durch eine Krankheit, durch finanzielle Nöte oder eben ... anders zu sein ... als andere! Frei sein heisst ... frei von allem zu sein ... so auch von Vorurteilen und Beschuldigungen ... denn wirklich frei kann nur jener sein, der anderen die Freiheit lässt, frei zu sein ... indem er anders sein darf. In diesem Sinne wünsche ich viel Vergnügen bei ›Entscheidung in Paris – Zweites Buch‹ ...

Danke an

an meine Lektorin,

dass Sie die Arbeit auf sich genommen haben,

Entscheidung in Paris

über Monate, zu lektorieren und zu korrigieren. Ich weiss, diese Arbeit ist und war kein einfaches Unterfangen!

Ohne Sie wäre

Entscheidung in Paris

kaum möglich gewesen!

DANKE ...

... an all diejenigen, die mich motivierten, weiterzumachen ... auch wenn ich oft nicht mehr wollte! Den Sinn nicht mehr sah!

DANKE ...

... dass Ihr da gewesen seid in den entscheidenden Stunden meines Haders!

Weiterhin möchte ich folgenden Menschen für ihr Schaffen danken, die mich mit ihrer Arbeit inspiriert haben und mich ein Leben lang begleiteten und mir Kraft gaben:

DANKE tausendmal!

Ein Herz, welches bricht ... Macht nun mal keinen Lärm ... Der jemals von irgendjemand gehört wird!

Lynn Lamarr

Inhaltsverzeichnis:

Kapitel 78: Der Fremde ...

Kapitel 79: Jedes Gesicht ...

Kapitel 80: Sein Glück!

Kapitel 81: Die Bitte ...

Kapitel 82: Die bittere Süsse der Liebe ...

Kapitel 83: Die Farbe Rot ...

Kapitel 84: Das Urteil ...

Kapitel 85: Die Einsamkeit und die Wut ...

Kapitel 86: Lieben weit über alles ...

Kapitel 87: Die Zeit der Reparatur ...

Kapitel 88: Viele kleine Abschiede ...

Kapitel 89: Mit der Zeit ...

Kapitel 90: Aufgeschlagen ...

Kapitel 91: Was wäre, wenn ...

Kapitel 92: Am Rande des Grabes ...

Kapitel 93: Überall auf der Welt ...

Kapitel 94: Eine Minute ...

Kapitel 95: Das Foto ...

Kapitel 96: Pate ...

Kapitel 97: Eine Bedrohung ...

Kapitel 98: Eine ganz andere Geschichte ...

Kapitel 99: Die weisse Rose ...

Kapitel 100: Immer die Liebe ...

Kapitel 101: Operation Hinterhof ...

Kapitel 102: Elf Jungs ...

Kapitel 103: Ganz Paris ...

Kapitel 104: Das Rätsel des Lebens ...

Kapitel 105: Ein kleines Stück Paris ...

Kapitel 106: Ein Traum zum Träumen ...

Kapitel 107: Das Beharren einer Dummheit ...

Kapitel 108: Keine Engel ...

Kapitel 109: Chancenlos ...

Kapitel 110: Das Glück zum Schmieden ...

Kapitel 111: Unter dem Himmel von Paris ...

Kapitel 112: Reserviert ...

Kapitel 113: Bestimmt ...

Kapitel 114: Nur eine Lösung ...

Kapitel 115: Wie zu alten Zeiten ...

Kapitel 116: Die Schatten eines Lebens ...

Kapitel 117: Eine Unbedachtheit ...

Kapitel 118: Fassungslos ...

Kapitel 119: Der Verzweiflung grösste Macht ...

Kapitel 120: Sorgen, die keine Ruhe finden ...

Kapitel 121: Ein Name und nicht mehr ...

Kapitel 122: Des Lebens müde ...

Kapitel 123: Betrachtungsweise ...

Kapitel 124: Unbedacht ...

Kapitel 125: Ungeliebte Schande ...

Kapitel 126: Glanz in den Augen ...

Kapitel 127: Keine Wahl ...

Kapitel 128: Das Buch ...

Kapitel 129: So viele Bettchen ...

Kapitel 130: Jedes Kind dieser Welt ...

Kapitel 131: Das Schicksal ungewiss ...

Kapitel 132: Entscheidungen ...

Kapitel 133: Was wir nicht möchten ...

Kapitel 134: Nicht die Angeklagte ...

Kapitel 135: Verwöhnt ...

Kapitel 136: Jeder in seiner Verantwortung ...

Kapitel 137: Wer die Hosen runterlässt ...

Kapitel 138: Bittere Geheimnisse ...

Kapitel 139: Ein unscheinbares Talent ...

Kapitel 140: Ungeliebte Liebe ...

Kapitel 141: Wie jeder andere auch ...

Kapitel 142: Leises Brechen ...

Kapitel 143: Alle haben denselben Traum ...

Kapitel 144: Im Einklang eines Liedes ...

Kapitel 145: Dem Schicksal seinen Lauf ...

Kapitel 146: Die Verlobung ...

Kapitel 147: Jeder Verbrecher ...

Kapitel 148: Wahrheiten und Lügen ...

Kapitel 149: Leidenschaft ...

Kapitel 150: Zwischen zwei Stühlen ...

Kapitel 151: Lizenz zum Spielen ...

Kapitel 152: Liebe ist so viel mehr ...

Kapitel 153: Musik fühlen ...

Kapitel 154: Die Welt muss teilhaben ...

Kapitel 155: Ashley ...

Kapitel 156: Was mit Sex beginnt ...

Kapitel 157: Diskretion um alles ...

Kapitel 158: Des Schicksals Wille ...

Kapitel 159: Glück allein reicht nie ...

Kapitel 160: Schatten ...

Kapitel 161: Forderungen, Wahrheiten und Entscheidungen ...

Kapitel 162: Immer nur das Herz ...

Kapitel 163: Frei sein ...

Kapitel 164: Wie bestellt und nicht abgeholt ...

Kapitel 165: Nur Respekt ...

Kapitel 166: Mein Junge ...

Kapitel 167: Die Chance ...

Kapitel 168: Ironie des Schicksals ...

Kapitel 169: Der tote Sohn ...

Kapitel 170: Der Bitterkeit nicht genug ...

Kapitel 171: Keine Chance ...

Kapitel 172: Der Schwur ...

Kapitel 173: Wie das Schicksal es will ...

Kapitel 174: Das fremde Gesicht ...

Kapitel 175: Partituren ...

Kapitel 176: Ein grosser Abend ...

Kapitel 177: Die Liebe einer Frau ...

Kapitel 178: Die Forderung eines Versprechens ...

Kapitel 179: Das Öffnen einer Tür ...

Kapitel 180: Das Duell ...

Kapitel 181: Fünf Minuten der Hoffnung ...

Kapitel 182: Lügende Wahrheiten ...

Kapitel 183: Brechendes Glas ...

Kapitel 184: Das Mosaik ...

Kapitel 185: Zugelassen ...

Kapitel 186: Solange es Milch gibt ...

Kapitel 187: Vergib’ mir ... niemals ...

Kapitel 188: Verschwunden ...

Kapitel 189: Jemals so lieben ...

Kapitel 190: La Roue Tourne ...

Kapitel 191: Buntes Programm ...

Kapitel 192: Winterzeit ...

Kapitel 193: Illusionen ...

Kapitel 194: Der Gedanke, geliebt zu werden ...

Kapitel 195: Der Tenor ...

Kapitel 196: Trugbild ...

Kapitel 197: Einreissende Mauern ...

Kapitel 198: Unterschiedliche Geschichten ...

Kapitel 199: Alle Zeit dieser Welt ...

Kapitel 200: Verflucht ...

Kapitel 201: Die Ewigkeit eines Kusses ...

Kapitel 202: Ein Amerikaner in Paris ...

Kapitel 203: Spuren der Vergangenheit ...

Kapitel 204: Die Geschichte eines Flügels ...

Kapitel 205: Vorwürfe ...

Kapitel 206: Die Geschichte eines anderen Flügels ...

Kapitel 207: Ein Bruchteil einer Sekunde ...

Kapitel 208: Vereint ...

Kapitel 209: Das alte Theater ...

Kapitel 210: Davon zu träumen ...

Kapitel 211: Der Schatten des Abschieds ...

Kapitel 212: Frühling in Paris ...

Kapitel 213: Verstummt ...

Kapitel 214: Ein Brief an eine Mutter ...

Kapitel 215: Le Soir ...

Kapitel 216: Der Nazi‐Offizier und der Jüngling ...

Kapitel 217: Eine sich wiederholende Nacht ...

Kapitel 218: Der Schatten der Ungewissheit ...

Kapitel 219: Kummer und Sorgen ...

Kapitel 220: Die Tränen einer Mutter ...

Kapitel 221: Drei Frauen ...

Kapitel 222: Mütter und Söhne ...

Kapitel 223: Ein Fluch ...

Kapitel 224: Warten ...

Kapitel 225: Die Wahrheit, die niemand will ...

Kapitel 226: Das Gen ...

Kapitel 227: Beide Wege gehen ...

Kapitel 228: Eine Liebe ...

Kapitel 229: Erhobene Hand ...

Kapitel 230: So lange ...

Kapitel 231: Vertrauen ...

Kapitel 232: Zeichnungen ...

Kapitel 233: Wie alles geschah ...

Kapitel 234: Heiraten und scheiden ...

Kapitel 235: Unter einer Bedingung ...

Kapitel 236: Der Rächer ...

Kapitel 237: Kein Vogel ...

Kapitel 238: Zwei Prinzen ...

Kapitel 239: Überall auf der Welt ...

Kapitel 240: Alternativende ...

Zu diesem Buch:

Der Verlag zu diesem Buch:

Zum Autor:

Kapitel 78: Der Fremde ...

Die Zeit verging rasant, und Aydan war nun schon vor fast zwei Jahren verstorben. Die Ohnmacht, welche über der Familie hing, schien um nichts abzuziehen. Die dunklen Wolken blieben. Arianne ging mit ihren Kindern Errol, Caprice und dem gerade einjährigen Harlow, einmal mehr, das Grab ihres Vaters besuchen. So wie jeden Sonntag, wenn die Zeit es erlaubte oder wann immer sie es vor lauter Sehnsucht an diesen traurigen Ort zog. Wie oft sagte Estefania, ihre Schwiegermutter, zu ihr:

»Es ist nur seine Hülle, die dort unter der Erde liegt! Rede Dir nicht ein, dass er da noch ist!«, aber vergeblich, all ihre Worte halfen nicht, und Arianne suchte weiterhin Trost an seinem Grab, um ihren Schmerz zu stillen. Doch an diesem Sonntag stand vor Aydans Grabstein ein junger Mann.

Sie schritt auf den Fremden zu und fragte äusserst neugierig, so wie Frauen nun mal sind:

»Gestatten Sie, haben Sie meinen verstorbenen Mann gekannt?«, und betrachtete den Mann äusserst prüfend. Der Angesprochene drehte sich etwas erschrocken um und blickte sie, durch seine dunkle Sonnenbrille an.

»Ja, habe ich!«, war die kurze Antwort des Fremden. Arianne schaute leicht nickend den Mann an. Sah in sein Gesicht, und nie erblickte sie jemals ein schöneres Antlitz.

»Und woher?«, wollte sie natürlich weiter wissen.

»Aus der Zeit in Paris,«, antwortete er fast schon hauchend.

»Oh! Ja, Paris!«, kamen gleich Sehnsucht sowie Tränen in ihr hoch.

»Waren Sie schon mal da? In dieser Stadt der Liebe?«, fragte der Fremde ruhig und musterte Arianne äusserst genau.

»Ja! Einmal nur! Leider!«, nickte sie mit einem Seufzer und schaute den Fremden sehr traurig an.

»Wieso leider?«, fragte er und kannte doch die Wahrheit besser als sie.

»Leider nur ein verlängertes Wochenende! Paris! Aber es war einzigartig!«, sprach sie mit leichtem Schmerz.

»Dann sollten Sie wieder dorthin! Unbedingt!«, meinte er sanft, mit einem Lächeln, welches einem Sonnenaufgang glich.

»Ja! Nur die Umstände erlauben mir dies im Moment leider nicht!«, war klagend die Antwort von Arianne. Unendlich traurig dachte sie dabei an jenes eine Wochenende gemeinsam mit ihrem Mann.

Ja, nie war sie glücklicher als in diesen wenigen Stunden in der Stadt der Liebe.

»In dem Fall sind es wohl seine Kinder, da?«, fragte Harlow eher belanglos. Was eigentlich interessierten ihn die Bälger, die ihm den Liebsten aus seinen Armen trieben.

»Ja! Kommen Sie, ich stelle sie Ihnen gerne vor!«, forderte Arianne spontan, drehte sich zu den Kindern, stand zu ihnen und meinte:

»Also, das Mädchen hier ist Caprice und der Junge neben ihr ist Errol! Und der Jüngste hier ... heisst Harlow!«, zeigte sie auf den hübschen Knaben, der sorglos in seinem Kinderwagen sass und nichts von dieser Welt wusste, die nur so ist, wie die Menschheit sie auch zulässt. Erschrocken sah der Fremde die Mutter dieser drei Kinder an und fragte weit mehr als erstaunt, so sehr, dass er dies nicht einmal zu verbergen vermochte:

»Harlow?«

»Ja! So sein Name!«, lächelte Arianne.

»Und wie kommen Sie auf diesen doch sehr sonderbaren ... wenn nicht gar seltenen Vornamen?«, erkundigte sich der Fremde.

»Oh, eine sehr lange und traurige Geschichte!«, tat sie es hastig ab. Sie mochte nicht über jenen schicksalshaften Tag sprechen.

»Möchten Sie mir davon erzählen?«, fragte er natürlich sehr neugierig.

Ja, er wollte wissen, warum gerade dieser Balg, wegen dem sein Liebster ihn verlassen hat, ausgerechnet seinen Namen trug.

»Mama, soll ich die Blumen jetzt auf Papas Grab legen?«, fragte Caprice plötzlich ungeduldig. Arianne kniete nieder, sah ihre bildhübsche Tochter an und meinte liebevoll:

»Aber sicher ... mein Kind!«, danach drehte sie sich zu Harlow hoch.

»Sie entschuldigen mich sicher einen Moment!«, lächelte sie und wandte sich zu ihrer Tochter.

»Ja, natürlich!«, bemerkte er nur, schob dabei seine Wayfair Sonnenbrille mit dem Mittelfinger zurück in sein Gesicht und beobachtete das Geschehen dieser Familie mit Distanz.

»Komm hierher ... Kleines ... hier kannst Du die Blumen niederlegen ... Du auch, Errol!«, forderte sie, zog den Jungen zu sich und sprach weiter:

»Schaut bitte her ... die alten ... verwelkten nehme ich und lege sie dort vorn auf den Komposthaufen, und Ihr die frischen hier auf das Grab von Papa!«

»So, Mama?«, fragte Caprice und schaute zu ihrer Mutter, nachdem das kleine Mädchen die Blumen an den Grabstein legte.

»Ja, genau so!«, nickte Arianne leicht mit Tränen in den Augen, wie jedes Mal.

Nachdem sie alle Blumen liebevoll auf das Grab von Aydan gelegt hatten, fragte Arianne scheu, während sie sich erhob:

»Sind diese wunderschönen roten sowie diese weissen Rosen von Ihnen?«

»Ja!«, sagte Harlow ziemlich hastig, um erst gar nicht in Verlegenheit zu geraten.

»Wunderschön! Aber wieso rote Rosen und weisse?«, wollte sie neugierig wissen. Weiterhin gut verborgen hinter seiner Sonnenbrille blickte er sie recht beschämt an und wusste ihr keine ehrliche Antwort zu geben. Er konnte ihr doch schlecht erzählen, dass jedes Mal, wenn er, mit ihrem Mann, seiner Liebe für ein Leben, ans Grab von Dalida ging, eine rote Rose für sich und eine weisse für Aydan niederlegte. Und so gebar er eine Lüge mehr:

»Weil ich weiss ... dass Aydan so sehr Rosen liebte!«, und versuchte dabei Arianne nicht anzusehen.

»Oh! Da mussten Sie aber meinen Mann sehr gut gekannt haben!«, dabei blickte sie den Schönling doch sehr erstaunt an:

»Ja! Wenigstens so viel ... dass ich dies von ihm weiss!«, log er gekonnt, weiterhin gut getarnt hinter seiner Sonnenbrille.

»Ah! Dann sind Sie also ... dieser gute Freund ... mit dem er sich in Paris die Zeit verweilte?«, ahnte sie.

Noch erschrockener blieb sein Blick auf ihr ruhen, er schob abermals, mit dem Zeigefinger seiner rechten Hand die Sonnenbrille zurück auf seine Nase, um eine weitere Lüge zu verbergen:

»Ja! Woher wissen Sie?«, und liess seinen Blick weiterhin nicht von ihr.

»Aydan hat am Telefon oft erwähnt ... dass er mit einem Kollegen die Zeit verbringt, und da ist natürlich ein Raten nicht schwer, dass Sie derjenige sein müssen!«, wusste sie leicht nickend.

»Ja, ich habe viel Zeit mit Ihrem Mann verbracht, aber wieder zurück zu meiner Frage, wie kommt der Junge zu diesem Namen?«, wollte Harlow ausschliesslich wissen und liess weiterhin seinen Blick nicht von ihr.

»Als Aydan aus dem Wagen geborgen wurde ... hielt er eine Kette mit einem Anhänger in seiner Hand! Auf der Vorderseite war das chinesische Schriftzeichen für ›Glück‹ zu erkennen, und auf der Rückseite der Name ›Harlow‹ eingraviert. Da wussten wir gleich, dass er diese Kette für sein ungeborenes Kind besorgte, und so wollten wir Aydans Wunsch respektieren und gaben dem Kleinen hier diesen Namen!«, erzählte Arianne rührend und mit Tränen.

Welch bittere Wahrheit überkam ihn! Er fühlte sich wie in einer Ohnmacht und hätte sich in diesem Augenblick gerne irgendwo festgehalten, um nicht zusammenzubrechen. Wie ein Messerstich durchbohrten diese Worte sein ohnehin schon schweres Herz. Der Gedanke, dass Aydan in der Stunde des Todes an ihn dachte, liess ihm Tränen in die Augen treiben. Er versuchte nicht zu weinen, auch wenn Arianne seine tränennassen Augen durch die dunkle Sonnenbrille nicht erkennen konnte, war die Gefahr zu gross, dass ihn eine Träne verriet.

»Wahrlich ein schöner Name, ich weiss auch ... woher Ihr Mann diesen hat!«, sprach Harlow mit einem solch charmanten Lächeln und hätte besser geschwiegen. Was für eine Geschichte sollte er ihr nun auftischen, ohne sich zu verraten? In welch klägliche Situation war er doch gerutscht, und ganz automatisch fragte Arianne:

»Ja? Und woher?«, und blickte den Schönling an.

Da stand er nun und wusste ihr keine Antwort zu geben, die nur annähernd die Wahrheit verkünden würde. Er konnte ihr doch schlecht erzählen:

›Meine Mutter war ein Jean‐Harlow‐Fan. Jean Harlow war eine US‐ amerikanische Schauspielerin und gilt noch heute – nach all den Jahren – als der Prototyp der blonden Sexbombe, die den Weg für andere blonde Schauspielerinnen wie Lana Turner und Marilyn Monroe ebnete. Jean Harlow starb im Juni 1937 überraschend während der Dreharbeiten zu ›Saratoga‹ an einer Blutvergiftung aufgrund eines Nierenversagens. William Powell, ein guter Freund und Schauspieler von ihr, war bis zuletzt an ihrem Bett. Er sprach mit ihr, aber sie konnte ihn schon nicht mehr hören!‹ Oh, welche Wahrheit sollte er von sich geben, damit diese auch so klang, wie es aber nicht war.

Harlow sah die fremde Frau an, für welche die grosse Liebe seines Lebens ihn verliess, und musste nach einer Lüge suchen, bei der er möglichst sein Gesicht nicht verlor. Deshalb meinte er nach kurzem Schweigen:

»Ich hatte an irgendeinem Abend, aus lauter Langeweile, den Film ›Aviator‹ über den Flugpionier Howard Hugh aus dem Jahr 2004 unter der Regie von Martin Scorsese auf DVD bei mir, den ich mit Aydan zusammen schaute. Da verkörperte Gwen Stefani die Rolle der Jean Harlow, sie war ein grosser Filmstar. Dieser Name gefiel Ihrem Mann so sehr, dass im Fall, wenn noch einmal ein Kind seine Familie schmücken würde und es gar ein Junge wird ... er diesen Namen Harlow tragen soll!«, und trug so bitter diese Lüge über seine Lippen.

»Aber er konnte doch gar nicht wissen, dass es ein Junge würde!«, erstaunte sich Arianne und schaute den Schönling an, der seine Augen weiterhin hinter den dunklen Gläsern seiner Brille verbarg.

»Aydan wünschte sich einen Sohn ... vielleicht daher!«, log Harlow gekonnt weiter und ahnte nicht, in was er sich hier gerade hineinmanövrierte. Er blieb weiterhin fassungslos über die Tatsache, dass jenes Kind von dem Mann, welchen er so sehr liebte, seinen Namen trug.

Ausgerechnet durch eine Kette, die er ihm in Liebe gab und sein Liebster ihn doch wegen dieses Balges verliess. Was für eine bittere Ironie des Schicksals. Innerlich war er am Verzweifeln.

»Aber wir sprechen nur von mir ... erzählen Sie etwas von sich!«, bat Arianne, während sie die Kinder zu sich nahm, einmal mehr den Weg vom Grab ihres Mannes hinunter zum grossen Eingangstor des Friedhofes schritt und Harlow sie unbewusst begleitete. Caprice fasste ihre Mama an der Hand, Errol hielt sich am Kinderwagen fest, in dem Harlow friedlich schlief und von dieser Welt noch nichts wusste. Arianne schob den Kinderwagen vor sich her und bat ihn abermals:

»Erzählen Sie mir etwas von sich!«

»Von mir, da gibt es nicht viel!«, tat er die Frage scheinbar gleichgültig ab.

»Ihr Name wäre da sicher schon mal ein Anfang!«, lächelte sie mit Blick auf den Schönling, der nicht mehr diesen faszinierenden Glanz besass wie einst aus Liebe.

»Mein Name?«, wiederholte er und sah sie erschrocken an.

»Ja! Oder haben Sie keinen?«, lachte sie und fühlte sich seltsamerweise sehr wohl in der Gesellschaft dieses fremden Jünglings.

»Ja, sicher habe ich einen, wie wohl jeder Mensch!«, versuchte er zu spassen, dazu lächelte er ebenfalls und zeigte seine wunderschönen weissen Zähne.

»Gut, und nun, verraten Sie ihn mir?«

»Was?«

»Ihren Namen!«

»Ah! Ja, sicher, mein Name ist Asher!«, erwiderte er und gab ihr seinen zweiten Taufnamen an.

»Freut mich, Asher, und ich bin Arianne!«

»Die Freude ist ganz auf meiner Seite!«, gab er ihr charmant die Hand und verzog keine Miene bei der Lüge.

»Und woher genau kannten Sie meinen Mann!«, wollte sie exakt wissen.

»Ich arbeitete mit ihm in der Filiale in Paris, ich erinnere mich noch genau, wie Ihr Mann sich als neuer Chef präsentierte!«, erläuterte Harlow und dachte sehnsuchtsvoll an Aydan.

»Und sind Sie immer noch da?«, wollte sie natürlich wissen.

»Nein, ich verliess die Versicherung gleich nach seinem Tod!«, gab er schwer von sich.

»Und weshalb?«

»Nach seinem Weggang, war es nicht mehr dasselbe!«

»Taugte denn dieser neue Geschäftsführer nichts?«, fragte Arianne sachlich.

»Doch, sicher, aber ich liess dem Mann gar keine Chance, ich ging, wie gesagt, vorher!«, sprach er schwer.

»Wie traurig!«, wusste sie ihm nur zur Antwort.

»War halt nicht mehr das Gleiche ohne Ihren Mann. Er war der beste Chef, den ich jemals erfahren durfte, und daher nicht einfach, für seinen Nachfolger! Der Schatten Ihres Mannes war zu gross! Egal, wie gut!«, sagte er überzeugt.

So gerne hätte er ihr erzählt, dass er es nicht ertragen konnte, ohne ihn dort weiter zu arbeiten, gar zu leben. Jeden Tag in diesem Büro zu sitzen und ihn nicht mehr, wie gewohnt, an seinem Platz zu wissen. Gar schlimmer noch, einen anderen an seiner Stelle zu sehen, war ihm unerträglich. Er hatte schon eine Woche später seine Stelle aufgekündigt. Die letzten anderthalb Jahre in Harlows Leben waren ein Desaster und sollten nicht sein Stolz sein. Ganz im Gegenteil.

Als er diese Arbeitsstelle verliess, fühlte er sich nie verlorener. Gwen sagte ihm noch, bevor er seinen Schreibtisch räumte:

›Tue das nicht, die Arbeit, brauchst Du mehr denn je,‹

›Ich habe genug Geld, Du vergisst, dass ich ein verwöhnter reicher Schnösel bin, ich habe dieses Geld hier gar nicht nötig,‹, gab er pampig von sich.

›Ich dachte auch eher ... als psychischen Halt!‹, meinte sie sehr ernst.

›Hier, wo er war, wo ich Aydan das erste Mal sah und immer noch sehe, nein, ich schaff es nicht ... hier zu sein ... ich spüre ihn, rieche sein Parfüm ... und wenn ich an seine Bürotür blicke ... lese ich seinen Namen. Dann ist mir, als würde er noch immer da sein und kommt gleich aus dem Raum. Nein!‹, wehrte er sich wie in einer Ohnmacht und nickte schwer.

›Versuch’ es!‹

›Jedes Mal, wenn der Neue da steht, scheint es mir ... als sterbe mein Liebster gleich noch einmal, und mein Herz droht zu zerbrechen, nein!‹, blieb Harlow gebrochen.

›Bitte! Bleib hier! Was soll ich denn tun ohne Dich ... hier! Sag!‹, bat sie innig und blickte ihn verzweifelt an. Doch alles Flehen half nichts. Er verliess unter Tränen diesen Ort, wo er einst Aydan traf und mied La Défense, den neuen Triumphbogen La Grande Arche, wo immer er konnte.

Ja, den Weg, den Harlow von jenem Tage an einschlug, an dem Aydan verstarb, sollte in nichts jenem gleichen, den er mit seinen 22 Jahren schon hinter sich gebracht hatte, als er da am Grabe seines Liebsten stand.

Kapitel 79: Jedes Gesicht ...

Verloren, wie ein Kind stand er an jenem Tag vor der Grand Arch und wusste nicht, wie sein Leben aussehen sollte. Er wusste überhaupt nichts mehr. Weinend zog er durch die Strassen von Paris, und in jedem verdammten Gesicht, in welches er blickte, erkannte er immer nur jenes eine seines Geliebten. Wo immer er auch hinschaute, er sah Aydan. Er irrte umher und wusste nicht wohin.

»Weinen!«, ja, nur dies wollte er. Mit dem Herbst, der in die Stadt der Liebe zog, war die Liebe jenes Sommers für Harlow die schwerste Erfahrung. Keine Strasse, in welche er blickte, wies ihm einen Weg. So verloren fühlte er sich noch nie zuvor in seinem Dasein.

»Wie soll ich bloss leben ohne ihn?«, sollte fortan seine Frage bleiben, jeden Tag aufs Neue.

Der Weg zu Dalidas Grab sollte anstelle von Aydan herhalten, was nicht annähernd die Sehnsucht nach seinem Liebsten stillte, dafür aber eine tiefe Depression in ihm entfachte. Täglich besuchte er die Ruhestätte von Dalida.

Seine Mutter erkannte schon am ersten Tag, nachdem er seine Stelle hinschmiss, die Wahrheit. So fragte sie ihn gleich am Morgen schon, um sich der Wahrheit sicher zu sein:

»Gehst Du heute nicht ins Büro?«

»Nein! Ich habe den Job nicht mehr!«, meinte er nur belanglos. Sehr fragend blickte sie ihren verweinten Sohn an.

»Aber Du kannst doch nicht!« Harlow fiel ihr ins Wort und wehrte sich eher gehässig:

»Ich habe! Und ich gehe dorthin nicht mehr zurück! Niemals wieder!«, und brach in einen Weinkrampf aus. Seine Mutter setzte sich zu ihm aufs Bett und fragte sanft, während sie in seine tränennassen Augen schaute:

»Was ist denn geschehen, mein Junge ... sag’s mir!« Wie aus einem Vulkan platzte alles aus Harlow heraus. Das erste Mal, dass er sich seiner Mutter anvertraute, und nach diesen Worten leider auch das letzte Mal.

Nachdem er ihr alles erzählt hatte, sah sie ihn an und wusste bis auf ein:

»Oh, mein Junge!«, nichts zu sagen. Nichts, was ihn wenigstens etwas tröstlicher stimmte. Ja, seine Mutter sah ihn nur an, wischte ihm die Tränen aus dem Gesicht und wusste ihrem Sohn genauso wenig Rat zu geben wie sich selbst. Niemals ahnte sie, welch ein tiefes Leid sich hinter der Veranlagung ihres Sohnes verbarg und sich noch verbergen sollte.

Ja, Harlow blieb untröstlich. Er verliess seine Wohnung nicht mehr. Die Fenster geschlossen, die Vorhänge zugezogen, so wollte er leben und mit der Welt, da draussen nichts mehr zu tun haben. Er weinte, und wenn ihm doch irgendwann die Tränen ausgingen, liess er den Kopf fassungslos in seinem Kissen. Er verstand nicht, dass seine Liebe nicht mehr da sein sollte. Ja, dass er jenen Menschen nicht lieben konnte, nach dem er sich so sehr sehnte. Nach dem sein Herz so sehr schrie! In ihrer Ratlosigkeit rief seine Mutter nach Gwen, die nur annähernd ahnte, welch klägliches Bild sie in dieser dunklen Wohnung vorfinden sollte. Niemals sah sie einen verzweifelteren Menschen als ihn. Nie blickte sie in verweintere Augen als in diese, und nie erblickte sie ein Gesicht, welches so leidend aussah wie jenes von Harlow.

Gwen setzte sich auf sein Bett, wie Tage zuvor seine Mutter, und sprach bitter zu ihm:

»Oh! Harlow ... es tut mir alles so unendlich leid!« Er sah sie an, vermochte aber nichts zu antworten. Sie nahm ihn in den Arm und hielt ihn einfach nur fest. Nur weinen, dies war alles.

»Ja, weine nur!«, flüsterte sie und heulte mit ihm. Sie wusste, welch tiefen Schmerz er in sich trug, denn sie kannte dieses Leid zur Genüge.

»Komm, lass uns etwas spazieren gehen ... der Herbst präsentiert sich so schön in seinen Farben! Die Sonne scheint mild, und auch sonst wird Dir etwas frische Luft guttun!«, forderte sie.

»Ich kann nicht in diese Welt hinaus ... die so bitter ist!«, antwortete er mit trauriger Stimme.

Trotz aller Mühe brachte sie den Jungen nicht aus dem Haus. Noch nicht einmal an das Grab seiner geliebten Dalida. Irgendwann zog sie erfolglos ab, mit dem Versprechen:

»Ich komm’ morgen wieder ... dann gehen wir nach draussen!« Jeden Tag besuchte sie ihn. Kam vorbei! Jeden Tag! Und nach einer Woche schaffte sie es tatsächlich, ihn doch noch teilhaben zu lassen an diesem wunderbaren Herbst, der sich in Paris zeigte. Doch Harlow interessierte es kaum, ob die Blätter sich nun bunt färbten oder gar nicht. Ob die Bäume überhaupt noch ein grünes Laubwerk trugen oder nackt da standen. In seinem Herzen zeigte sich tiefster Winter. Nichts schaffte es, den Jungen aufzuheitern, ihn aus diesem finsteren Loch zu bringen. Weder die liebevollen Kochkünste von Gwen noch ihre Geduld oder sonst irgendein Grund.

Nur eines schien ihm noch etwas zu geben – Dalida. Jeden Tag besuchte er wieder ihr Grab und weinte da, sprach auch über sein Leid. So als würde sie ihm zuhören, so als wäre Aydan neben ihr. Sie gab ihm, weit über jede Vorstellungskraft hinaus, den dringenden Halt, um so auch Mut für den nächsten Tag zu finden. Doch wer in sein unrasiertes Gesicht blickte, erkannte niemals die wahre Schönheit, die sich unter seinem ungepflegten Bart und der langen zerzausten Haarmähne verbarg. Bald aber schon sollte seine Schönheit aufs Neue erblühen.

Er pilgerte einmal mehr ans Grab von Dalida, um dort seine wunde Seele zu weiden, in der vagen Hoffnung, vergessen zu können. Doch er vergass nicht! Ganz im Gegenteil. Aydan hielt ihn gefangen in seinem Leid. Er schritt gerade vom Friedhof hinab zur U‐Bahn‐Station Blance, da hörte er plötzlich eine Stimme, die zu ihm sprach:

»Bist Du Harlow?« Der reichlich verwilderte Schönling drehte sich um und blickte in ein Gesicht, welches er wohl nur flüchtig kannte oder längst schon vergessen hatte. Er wusste es nicht, und so schien auch sein Blick.

»Du erkennst mich nicht mehr, was!?«, fragte der Fremde. Harlow schaute ihn abermals an, sagte gedankenverloren zu sich:

»Oh! Ich war mit ihm im Bett!«, und meinte oberflächlich:

»Nein ... es tut mir leid!«

»Wir haben früher mal einen Tag zusammen gemodelt!«

»Ach ... haben wir?«, sah ihn Harlow verunsichert an und bemerkte noch in seinen Gedanken:

»Sonst erinnere ich mich doch immer an so hübsche Jungs!«, gestand er sich ein.

»Ja! Lange her!«, gab der Schönling von sich.

»Ah!«, mehr wusste er dem fremden Jungen nicht zu antworten. Zudem interessierte es ihn herzlich wenig.

»Willst Du nicht wieder damit anfangen?«, sah ihn der Fremde an.

»Nein!«

»Warum nicht?«

»Weshalb sollte ich?«, fragte Harlow den hübschen Jungen.

»Du warst gut ... damals! Du warst der Beste ... zudem hast Du das Zeug dazu!«, versicherte ihm der Fremde.

»Verzeih mir, aber ich weiss momentan nicht, wohin der Weg mich führt, und auch nicht, was ich will!«, bemerkte Harlow mit so trauriger Stimme, dass der Junge, der ihn ansprach, nur aufmunternd lächelte und erstaunt antwortete:

»Wenn Du Dich etwas erholt hast ... melde Dich! Ich sage Jean‐Paul schon mal, dass Du Interesse hast. Warte aber nicht zu lange! Du weisst, wir sind hier in Paris, und jeder ist schöner als gerade der, der seine Chance nicht nutzt!«

»Ich weiss!«, dies war alles, was Harlow noch von sich gab. Stumm verabschiedeten sich die beiden, und Harlow verschwand in der U‐Bahn. Aber er wusste nicht, wohin. Wie oft ging er in den letzten Tagen dorthin, wo er mit seinem Liebsten so glücklich war – zum Wohnhaus, wo er einst mit ihm lebte.

Dorthin, wo nun Claire lebte. Wie oft stand er unten, aber hatte nicht ein einziges Mal den Mut, nach oben zu ihr zu gehen. Er weinte vor dem Eingang des Hauses, und immer dann, wenn er nicht weiterwusste, fand er sich am Grab von Dalida wieder. Der Junge blieb untröstlich. Weder Gwen noch irgendjemand sonst konnte ihn erquicken. Ja, der Tod von Aydan war noch keine zwei Wochen her, und keiner wusste, was auf dieser einsamen Landstrasse damals geschehen war. Niemand ahnte, welche Ironie des Schicksals sich an diesem Tag abspielte, als er wie eine geknickte Blume hinunter zum Citroën SM seines Vaters schritt, mit Tränen die Heckklappe aufriss, seine paar Sachen in den Kofferraum schmiss. Die Fahrertür öffnete, sich in das weiche Leder dieses französischen Luxuswagens setzte, der laut einer Umfrage zu den acht schönsten, jemals gebauten Automobilen gehörte und heute wie einst als Stil‐Ikone galt. Nachdem Harlow verloren vor Claires Wohnungseingang stand und verzweifelt klingelte. Sie eilte damals zur Tür, wie niemals sonst, und öffnete mit einem Schwung, doch sie blickte nicht in jenes Gesicht, welches sie sich so sehr wünschte, sondern in die verweinten Augen von Harlow.

Fassungslos sah sie ihn an, und dieser Anblick liess ihr Herz noch mehr zerbersten.

›Claire, ist er noch da? Ich muss zu ihm!‹, waren damals seine Worte.

›Er ist vor etwa zwanzig Minuten gegangen ...‹

›Mit dem Zug? Wenn ich mich beeile ... kann ich Aydan noch sagen, wie sehr ich ihn liebe, und halte ihn einfach fest. Ich lass’ ihn nicht gehen! Nein, er darf nicht gehen! Kommen Sie, Claire, helfen Sie mir!‹, flehte der Jüngling so herzzerreissend, dass sie erneut zu weinen begann. Das einstige Kindermädchen nahm ihn an der Hand, zog ihn in die Wohnung und schloss die Tür.

›Kommen Sie, Claire ... wenn wir uns beeilen ... kann ich Aydan am Gare de Lion noch abfangen und ihm sagen, wie sehr ich ihn liebe!‹ Sie schaute Harlow erneut an, der selbst im Leid immer noch blendend aussah, dabei fiel eine Träne zu Boden.

›Er fuhr mit dem Wagen!‹

›Nein ... nein ... sagen Sie das nicht!‹, stammelte der verzweifelte Junge und brach unter Tränen zusammen.

Dabei sass Aydan lange noch im SM und wusste nicht, ob er fahren sollte. Sein Herz war ihm zu schwer. Fast 30 Minuten sollten verstreichen, bis er den Schlüssel drehte. Wäre Harlow in die Einstellhalle gerannt, hätte er seinen Liebsten gefunden und mit ihm das Leben leben können, wie sie es sich so sehr wünschten. Aber das Schicksal wollte es anders. Langsam hob sich das Sportcoupé. Aydan setzte den Gang ein und fuhr sehr langsam los. Er wollte nicht gehen, um nichts auf Erden.

›Warum soll ich zu Frau und Kind, wenn mein Herz hierher gehört!‹, folgten seine Worte klagend. Aber als er in den Verkehrsstrom von Paris einbog, war ihm bewusst, es gab kein Zurück mehr. Ja, während er noch haderte und Harlow sich verzweifelt eine Strategie aussuchte, wie er seinen Liebsten zurück erobern wollte, forderte das Schicksal seinen Preis für dieses Glück.

Ja, Aydan war schon mehr als drei Stunden unterwegs nach Hause. Die Lavendelfelder blühten nie herrlicher als in diesem goldenen Herbst. Wie Wasserflächen zeigten sich diese Unmengen von Blumen, und der Wind, der über diese Felder wehte, liess ihn das Meer sehen. Jenes, welches er mit seinem Liebsten, vor paar Tagenb noch, in Monaco erleben durfte. Aydan träumte so vor sich hin. Er stellte die Musik an, und was sollte gerade aus den Lautsprechern ertönen? Ausgerechnet jene CD, die Harlow für die Reise nach Marseille brannte. Dalida sang das Lied, welches sein Herz endgültig brechen sollte. ›Avec le Temps‹. Er lauschte ihrer schweren Stimme und griff wie in Trance nach dem Amulett von Harlow, das er ihm unter dem Eiffelturm zum Abschied gab. Er blickte dieses Medaillon lange an.

›Nein, ich kann und ich will nicht ohne ihn leben! Ich fahre zu ihm zurück! Ich liebe ihn und will niemals mehr einen Tag ohne ihn verweilen!‹, waren laut seine Worte und wollte gerade den Wagen, um zurück nach Paris zu fahren, wenden, als eine Sekunde, eine nur, der Unachtsamkeit, und Aydan verlor plötzlich die Kontrolle über das Fahrzeug und geriet ins Schleudern.

Ja und das Schicksal nahm unbarmherzig seinen Lauf. Der SM überschlug sich und landete irgendwo zerschlagen, doch seltsamerweise wieder auf den Rädern, völlig zerstört in diesem Lavendelfeld. Nach einigen Minuten kam Aydan zu sich, schaffte es aber nicht, sich aus den Gurten zu befreien. Erschöpft lag er da in diesem Sitz, als er merkte, wie er immer schwächer wurde. Er fasste sich an den Kopf und erkannte entsetzt, dass seine Hand voller Blut sich zeigte. Ein Stück Blech aus der Fahrertür durchbohrte ihn, und er sollte kläglich verbluten.

»Lieber sterbe ich, als unglücklich weiterleben zu müssen. Es tut mir nur eines leid, um jene Menschen, die ich liebe, unglücklich zu machen. Verzeiht mir ... das war niemals meine Absicht ... aber ich habe nie einen Menschen mehr geliebt ... und aus Liebe sollte so vieles nicht zu leiden sein ... ich liebe Dich!«, waren schwach seine Worte.

Nur wenige Minuten später schon verlor er sein Bewusstsein, mit letzter Kraft hielt er das Medaillon fest umklammert und starb leise, einsam und alleine. Ja, so trug sich das Schicksal von Aydan zu.

Wäre Harlow doch nur nach unten, in die Einstellhalle, hin zu seinem Liebsten gerannt, dann hätten sich die beiden glücklich in die Arme nehmen können.

Aber die Feigheit aller, ein Leben so zu leben, wie die Gesellschaft es forderte, war nun mal einfacher, als sich der Liebe zu ergeben, egal wer immer diese auch praktizierte. Die Welt ist noch nicht reif für die Liebe zweier Männer. So fiel diese Tatsache als Unheil über die beiden und brachte dem einen den Tod und dem anderen ein Leid, welches lange nachleuchten sollte. Ja, und mit diesem Schatten sollte Harlow nun weiterleben, doch er wollte nicht. Auf allen Wegen suchte er jene Liebe, die in diesem blühenden Lavendelfeld jählings ihr Ende fand.

Ja, Harlow wusste nicht, wie sein Leben weitergehen sollte, und das Schicksal sollte noch einiges mit ihm vorhaben.

Kapitel 80: Sein Glück!

Harlow vergrub sich völlig in seiner Wohnung, unten in seinem Elternhaus, und wollte von dieser Welt nichts mehr wissen. Er schaffte es einfach nicht mehr, durch Paris zu gehen, ohne nicht an jenen Orten zu weilen, wo er einst so glücklich war. Er suchte überall nach dem, was er einst verloren hatte, und sollte es dennoch nicht wiederfinden. Eines Morgens, während er in sein Bad trat, kam er am Spiegel vorbei und erblickte sein Antlitz in diesem silbrigen Glas. Er schaute sich lange schweigend an. Erkannte, wie sehr er sich doch für alles hasste. Er war so in Wut über sich selbst, die ungerechte Welt, den Tod, dass er nach seinem Kurzhaarschneider griff, ihn anstellte, mit der Klinge zum Haaransatz ging und unbedacht über seinen Schädel fuhr. Sein pechschwarzes langes Haar fiel wie Herbstlaub auf den Waschtisch und blieb da liegen. Er setzte ein weiteres Mal an, bis sein Kopf sich ebenso kahl zeigte wie ein Kinderpopo, dazu flüsterte er unter Tränen:

»Es tut mir alles so leid! Oh, Aydan ... wo bist Du denn nur ... ich will ohne Dich nicht mehr Leben!« Weitere drei Minuten betrachtete er sich stumm im Spiegel, vergass dabei, was er eigentlich wollte, und ging zurück in sein Bett. Dort wollte er nur noch weinen.

An einem Samstag, Harlow verkroch sich wie immer in seinem Zimmer. Dalida musste singen, laut ihr Bestes von sich geben, damit er sich wenigstens annähernd besser fühlte. Ein Klopfen an seiner Wohnungstür sollte ihm nichts Gutes verheissen. Es machte auch nicht den Anschein, als wollte er wissen, wer da draussen vor der Türe stand. Also tat der Junge, als hätte er nichts gehört, oder noch besser, als wäre er gar nicht da. Ein weiteres Klopfen sollte ihn erinnern, dass jemand für ihn draussen wartete. Aber er drehte sich nur und zog das Kissen über sich.

»Deine Mutter sagte mir schon, dass Du nicht öffnest, deshalb komme ich einfach unaufgefordert rein!«, hörte er eine Stimme. Die Tür öffnete sich, die er zu allem Leid nicht verschlossen hatte, und der ungebetene Gast trat ans Fenster, zog mit einem Ruck die Vorhänge auf, öffnete das Fenster, um frische Luft in den stickigen Raum zu lassen. Harlow setzte sich ruckartig auf und fauchte schreiend:

»Spinnst Du?«

»Nein! Jetzt ist Schluss mit Deinem Trauerspiel ... Himmel, was hast Du bloss mit Deinen Haaren gemacht?«, erklärte rigoros der Besucher.

»Nichts!«, polterte Harlow.

»So sieht es aber nicht aus!«

»Abrasiert!«, gab er trotzig von sich.

»Spinnst Du! Wie weit unten musst Du denn noch sein, um so eine mitleidlose Tat zu vollbringen? Himmel!«

»Geh weg! Ich will niemanden sehen, also muss mein Anblick auch niemand ertragen!«, schlug er wie wild um sich.

»Das interessiert mich einen feuchten Kehricht!«, schrie Gwen, während sie an sein Bett trat. Harlow hielt die Hand vor seine Augen, die Sonne blendete ihn und schien direkt auf seine Decke.

»Wie siehst Du denn nur aus! Wann hast Du Dich das letzte Mal rasiert und auch sonst einen Spiegel gesehen!«, warf sie ihm erstaunt vor.

»Wie Du unschwer erkennen kannst, bin ich rasiert!«, gab er pampig zur Antwort.

Nie sah sie ihn in einer solchen Verfassung. Ja, selbst als es ihm noch so schlecht ging, liess er sich nicht so gehen. Er achtete immer auf sein Aussehen, was ihm weitaus das Wichtigste war. Eitelkeit war sein Schatten. Ja, Gwen musste sich selbst bitter eingestehen, wie schlecht es ihm ging. Gar, dass diese Liebe, dieser zweier Männer, mehr war, als sie jemals nur erahnen konnte, oder sich gar einzugestehen vermochte.

»Lass mich ... ich muss niemandem mehr gefallen und auch sonst ... hau ab, ich will niemanden sehen!«, brüllte er und kroch unter die Decke.

»Aber ich will Dich sehen, und ich brauch Deine Hilfe ... also los, raff Dich auf!«, forderte sie unter Tränen. Ihren besten Freund so am Boden zu sehen, lähmte sie.

»Wozu braucht irgendjemand Hilfe von einem Menschen wie mir?«, bemerkte er fast schon sarkastisch.

»Ich! Reicht das etwa nicht?«, konterte sie und fühlte sich völlig machtlos. Wie könnte sie ihn aus all dem Leide führen?

Ja, sein Anblick brach ihr fast das Herz. Nie zuvor blickte sie in ein verheulteres Gesicht als in das Seine.

»Lass mich ... ich bin für keinen mehr da!«, gab er erneut forsch zur Antwort, schaute nur knapp aus seiner Deckung hervor und wollte sich ungestört seinem Leid ergeben. Lange blickte sie ihn stumm an.

»Was ist ... was schaust Du so?«, fragte er genervt, als er ihren prüfenden Blick auf sich spürte.

»Willst Du nun jeden Tag so elend dahinvegetieren? Andere Menschen mussten auch Verluste hinnehmen ... jeder Mensch hat sein Päckchen zu tragen! Ausnahmslos!«

»Mir egal!«

»Niemand kann es sich leisten, einfach dazu liegen ... alles schleifen zu lassen ... sich derart seinem Leid zu ergeben!«

»Ich bin in der günstigen Lage und kann mir dies leisten!«, gab er giftig zur Antwort, so wie einem Feind, gar als würde sie an allem die Schuld tragen.

»Jetzt los, steh auf ... wir wollen etwas an die Sonne! So komm, mach!«, rief sie laut und war wütend, ihn in einer solch desolaten Verfassung zu sehen.

Ausgerechnet Harlow, der doch sonst so voller Leben war, der alles wissen und sehen wollte, schien wie ausgewechselt.

»Ich will nicht und ich kann nicht!«, wandte er ihr erneut demonstrativ den Rücken zu. Endlose Minuten der Stille machten sich breit, bis sie bitter sagte:

»Meinst Du wirklich, Aydan hätte gewollt, dass Du Dich so vergräbst? So gehen lässt?«

»Ich will es so!«

»Da bin ich aber froh, dass er diesen Anblick nicht ertragen muss. Denn das, was ich hier gerade sehe, ist weitaus trauriger ... als jemand, der seine Liebe verloren hat!«, gestand sie sehr enttäuscht.

»Lass mich! Geh!«, schrie er erneut.

»So, mein Lieber, jetzt ist Schluss ... nun stehst Du auf, gehst unter die Dusche, rasierst Dich! So wunderbar, wie Du es oben schon hingekriegt hast, schaffst Du Dein Gesicht auch ... und ich habe eine Chance, Dich bis zur Hochzeit einigermassen wieder hinzubekommen!«, forderte Gwen forsch.

»Was für eine Hochzeit?«, fragte er perplex und sah sie zu allem auch so an. Sie lächelte und meinte:

»Meine!« und strahlte dazu.

»Deine? Was?«, schrie er derart fassungslos, als hätte sie ihm was weiss der Himmel gesagt.

»Ja!«, freute sie sich, und er sah zu seinem Schock das Glück in ihren Augen leuchten.

»Und wer zum Geier ... soll der Bräutigam sein?«, fragte er und ahnte bereits das Schlimmste.

»Rate!«

»Nicht etwa!«, und er liess seinen Blick nicht mehr von ihr.

»Doch!«, strahlte sie.

»Joaquim Amorim ... dieser Milchbubi!«

»Genau der!«

»Das ist nicht Dein Ernst?«, empörte er sich masslos.

»Wer denn sonst?«

»Und was willst Du ausgerechnet mit dem?«, fragte Harlow, und sah sie erneut an und vergass für einen Moment sein Leid.

»Wie ich sagte! Heiraten!«

»Du willst mit so einem Knilch Dein Leben vertun? Das ist nicht Dein Ernst!«, gab er entsetzt von sich.

»Weshalb nicht?«, war Gwen erstaunt und verstand nicht, was er ihr mit diesen pampigen Worten sagen wollte.

»Das ist doch kein Mann fürs Leben!«

»Sondern?«, fragte sie fordernd.

»Ich weiss nicht ... als Kollegen vielleicht ... wenn überhaupt!«, gab Harlow todernst von sich.

»Mach Dich nicht lächerlich!«, war sie plötzlich eingeschnappt.

»Und was willst Du mit dem Kretin?«

»Mit ihm in die Zukunft gehen ... aus diesem Grund heiraten Menschen! Glaube ich!«, verstand sie immer noch nicht.

»Nicht aus Liebe?«, antwortete er, doch diese Worte waren eher schon blanker Spott.

»Ich liebe ihn, und ich habe erkannt ... er ist all das, was ich immer schon suchte und mir wünschte!«

»Und dies wäre?«, fragte er fast schon von Neid zerfressen.

»Er gibt mir Liebe, Halt ... Geborgenheit. Eine Zukunft!«, versuchte Gwen sich zu erklären.

»Das alles kann ich Dir auch geben!«, rief er wütend. Sie blickte ihn fragend an und ahnte nicht, dass ihre Worte, die sie gleich von sich gab, ihn so sehr verletzen sollten, dass er erst recht den Halt verlor.

»Die Möglichkeit auf eine Familie?!«, meinte sie unbedacht.

Er starrte sie an, als hätte sie das Todesurteil über ihn gesprochen. Ja, genau dies konnte er ihr niemals geben.

Kapitel 81: Die Bitte ...

Ein weit mehr als beängstigendes, bleiernes Schweigen widerspiegelte genau diese unausgesprochene Wahrheit, die ihm in dieser Sekunde, mehr als nur bewusst wurde. Ja, dass er niemals nur die geringste Chance hatte, jemals ein Leben zu führen, wie es andere ganz selbstverständlich bekamen. Eine eigene Familie zu gründen und zu erfahren. Wie gern wäre er doch mit ihr glücklich geworden. Nie wieder fand er jene Wärme, jene Nähe, die sie ihm einst gab. Oh, wie sehr verletzten ihn diese fünf Worte. Er sah sie, wie ein verletztes Tier, einfach nur stumm an. Fassungslos.

»Was ist?«, fragte sie, doch eine Antwort blieb aus.

»Komm, sag was!«, forderte sie. Doch er schwieg. Was hätte er ihr auch sagen sollen, sie hatte ja recht. Er konnte ihr doch nicht sagen:

›Ich bin neidisch auf Joaquim. Ausgerechnet Amorim, dieser Stümper ... darf all jenes haben, was ich selber so sehr wünsche.‹ Er war so wütend auf diesen Gockel, den er nie mochte. Ausgerechnet der Kerl sollte jene Frau bekommen, die er geliebt und nicht halten konnte, weil seine geschlechtliche Veranlagung dies nicht zuliess. Nun blieb ihm nichts mehr von dem, was er sich mehr als alles wünschte.

›Das Anrecht auf eine Familie ...‹, flüsterte Harlow, und eine Träne löste sich.

»Sag schon, was ist!«, fragte Gwen ein weiteres Mal. Doch bitteres Schweigen sollte weiterhin zwischen ihnen stehen wie eine Mauer, gar erdrücken. Nein, Harlow vermochte es nicht, ihr nur annähernd eine Erklärung zu geben, die seine Fassungslosigkeit rechtfertigte, die sie wie ein Leuchtturm in der Brandung sah. Ja, er wollte nicht, dass sie jenes Recht hatte, all das zu bekommen,

was ihm seiner Ansicht nach genauso zustand.

»So, komm jetzt ... wir gehen zusammen etwas an die frische Luft, und da erzähle ich Dir, weswegen ich hier bin!«, meinte Gwen liebevoll. Erneut erreichte sie ein solch leidender Blick, der so verletzt wirkte, dass sie jenen Schmerz sah, den sie niemals zu deuten vermochte.

Eine ganze Stunde benötigte sie, Harlow davon zu überzeugen, mit ihr etwas zu unternehmen. Ins Freie zu gehen. Er zog etwas an und schritt mit ihr hinaus in einen herrlichen Herbst. Die Bäume zeigten sich bunt, der Himmel blau und die Sonne mild, gar sommerlich. Überhaupt nicht nach seiner Laune.

»Du hättest Dich schon etwas frisch machen dürfen!«, warf sie ihm vor, beim Blick in sein unrasiertes Gesicht.

»Warum sollte ich!«, sagte er tief verletzt.

»Du siehst wirklich schlimm aus!«

»Wie ich schon sagte ... ich muss niemandem gefallen ... im Gegenteil!«, blieb er halsstarrig.

»Warum nur hast Du Dein schönes, volles Haar zu Boden geschnitten? Es sieht fürchterlich aus!«, wollte sie wissen, dabei schüttelte sie unbegreiflich den Kopf.

»Weil mir danach zumute war!«, bemerkte er unangebracht.

»Nun gut, wie gesagt ... bis zur Hochzeit ... wird da oben sicher wieder etwas nachgewachsen sein!«, hoffte sie.

»Weshalb sollte es ... damit ich in Deine Hochzeitsgesellschaft passe ... oder sonst in irgendeine Norm?«, fauchte er weit mehr als nur gehässig. Fast schon angreifend. Sie schaute ihn von der Seite an und fragte sehr nachdenklich:

»Was ist bloss aus Dir geworden ... wo ist mein bester Freund!«

»Den gibt’s nicht mehr!«, sagte Harlow leer und wollte sie spüren lassen, wie neidisch er im Grunde auf ihr Glück war.

»Aber ...«

»Was ist?«, fragte er gereizt, als er ihren verwunderten Blick auf seiner Wange wie ein Brennen verspürte.

»Ich wollte Dich doch um einen Gefallen bitten!«, bat sie zögerlich, was er von ihr nur kannte, wenn es etwas unangenehm schien.

»Du mich?«, zeigte er sich erstaunt und ahnte längst schon, was sie wollte.

»Ja!«, nickte sie bedächtig.

»Und was für ein Wunsch soll mich erreichen? Den ich zu erfüllen vermag?«, dabei wollte er die Worte niemals hören. Nein, er konnte das Schicksal dieser zwei Liebenden doch nicht noch extra besiegeln.

»Ich möchte Dich als meinen Trauzeugen!«, trafen ihn ihre Worte wie ein Pfeil mitten ins Herz!

Genau dies war der Grund, den er um nichts hören wollte, denn mit der Wahrheit war es immer so eine Sache. Sie zu ahnen und zu wissen ist immer schmerzhaft. Vor allem gerade dann, wenn man diese um nichts wollte, weil sie gar zu schmerzlich.

»Mich ... das ist nicht Dein Ernst!«, stammelte er und bedachte sie mit einem Blick, wie sie bisher nie einen von ihm bekam. Einem Blick, der abgrundtiefe Vernichtung zeigte.

»Wieso ... was soll daran nicht gut sein? Dich als meinen Trauzeugen zu wissen?«, fragte sie und ahnte nicht im geringsten, wie sehr sie ihn ein weiteres Mal verletzte.

»Alles ... spricht dagegen!«, gab er pampig zur Antwort und vermochte sie gar nicht anzusehen.

»Ich wünsche mir nichts mehr als Dich, meinen besten Freund, bei mir zu haben!«, blieb ihr Wunsch bestehen.

Lange, wahrscheinlich viel zu lange sah er sie abwehrend an, dass plötzlich Tränen in ihr aufstiegen.

»Such Dir einen anderen ... der in Dein Leben passt. Ich nicht!«, fauchte Harlow sie ungehalten an.

»Warum soll ich mir jemand anderes suchen ... ich will nur Dich. Du bist mein bester Freund!«, verstand sie nicht.

»Vergiss es ... niemals spiele ich in diesem Theater die Rolle der zweiten Geige!«

»Wieso? Ich verstehe absolut kein Wort!«, versuchte sie nicht zu weinen.

»Niemals! Werde ich mir dieses Leid ansehen!«, sagte er so verletzend, dass sie ihn erneut ansah, als würde sie ihn nicht kennen.

»Warum ... was ist mit Dir ... dass Du mir so antwortest! Was habe ich Dir getan!«, rang sie verzweifelt um Fassung

»Egal ... was meine Beweggründe sind! Akzeptiere es! Ganz einfach!«, entgegnete er hart. Er konnte ihr doch nicht beibringen, dass er an Joaquim Amorims Stelle sein sollte. Ja, dass er derjenige Mann sei und niemals einen an ihrer Seite ertragen würde ausser sich selbst.

Die beiden liefen etwas an der Seine entlang, dabei sah sie ihn an, vermochte aber nichts mehr von sich zu geben.

»Jetzt schau mich nicht so an ... ich bleibe bei meiner Meinung. Niemals werde ich an Deiner Hochzeit eine Rolle spielen! Niemals! Und schon gar nicht als Dein schwuler Superfreund. Begrab diese Illusion! Endgültig«, beschwor er Gwen in aller Deutlichkeit.

Nach mehr als fünf Minuten stummen nebeneinander gehen sagte sie plötzlich etwas zu ihm, was sein Herz erweichen sollte.

Kapitel 82: Die bittere Süsse der Liebe ...

Gwen sah ihr Gegenüber lange, fast schon fassungslos an und unterbrach plötzlich unter Schluchzen die Stille.

»Ich habe doch ausser Dir niemanden sonst auf dieser Welt! Du bist mein bester Freund, ein Bruder. Ich möchte Dich an diesem wichtigen Tag in meinem Leben ... um alles bei mir wissen. Du bist alles, was ich habe! Du und Joaquim! Bitte lass mich nicht alleine, ich brauch Dich doch!«, blieb ihre Bitte herzzerreissend. Harlow bedachte mit einem Blick, der sein Schweigen noch schwerer zeigte.

»Sag doch etwas!«, bat sie ihn fast schon flehend.

»Was soll ich da noch sagen ... Du lässt mir gar keine Wahl!«

»So darf ich mit Dir rechnen? Du bist mein Trauzeuge?«, fragte sie unter Tränen.

»Sicher ... wenn’s nicht anders geht!«, dies war alles, was er dazu noch zu sagen vermochte. Tief in seinem Innersten aber sträubte er sich, mit allem dagegen.

An diesem Nachmittag blieb Harlow sehr reserviert, wenn nicht gar schlecht gelaunt. Gwen gab sich unendlich Mühe, ihn etwas zum Lachen zu bringen, doch sie scheiterte kläglich.

»Willst Du nun den Rest Deines Lebens so weiter dahinvegetieren?«, fragte sie ihn auf dem Heimweg.

»Ich kann nicht anders!«

»Du kannst Dich doch nicht für immer so vergraben!«

»Doch!«, reagierte er ruppig.

»Dich so verkriechen! Das Leben geht weiter für uns alle! Auch für Dich!«, sprach sie eindringlich.

»Ich will nicht!«

»Aber Du hast doch noch ein Morgen!«

»Was interessiert mich das ... wenn er nicht mehr bei mir ist!«, gestand Harlow bitter.

»Du musst Dich mit seinem Tod abfinden ... ob Du willst oder nicht ... das Leben geht weiter ... für jeden Einzelnen von uns ... ich muss auch!«, sah sie ihn streng an.

»Ich wollte mit ihm leben ... bis zu meinem letzten Atemzug! Für immer! Aydan war mein Halt, meine Zukunft, mein Sinn und mein Weg ... wo soll ich denn hin, wenn er nicht mehr da ist ... sag’s mir!«, forderte er und sah sie so dramatisch an, dass sie ihm keine Antwort zu geben wusste.

»Sprich!«, wiederholte er in forderndem Tonfall, als wäre sie schuld an alledem.

»Ich weiss es auch nicht!«, gestand Gwen traurig und erkannte, dass sie ihm nicht helfen konnte.

An der Tür zu seiner kleinen Wohnung verabschiedete sie sich von ihm mit den Worten:

»Mach keine Dummheiten!«