Erben der Nazis - Manfred Auer - E-Book

Erben der Nazis E-Book

Manfred Auer

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Beschreibung

Das Buch behandelt die 77 Jahre zwischen 1937 und 2014. Nach 1945 wird nur die Entwicklung im Westen beschrieben. Ein Schwerpunkt liegt auf dem kompletten Versagen unserer Justiz. 25 Jahre nach dem Mauerfall wird diskutiert, ob ein völlig unbelasteter Linker Ministerpräsident werden kann, hat man einen Obernazi, der ersten Stunde, den Kurt Georg Kiesinger, schon nach 13 Jahren zum Ministerpräsidenten und dann später zum Kanzler gemacht. Man bedenke, dass dieser Mann Mitglied in einer kriminellen Vereinigung, der NSDAP war.

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© 2014 Manfred Auer

Umschlag, Illustration: Tredition GmbH

Lektorat, Korrektorat: Gernot Meister.Verlag: tredition GmbH,

Hamburg

ISBN

Paperback

978-3-7323-0889-7

Hardcover

978-3-7323-0890-3

e-Book

978-3-7323-0891-0

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

Manfred Auer

Erben der Nazis

Autobiographische Beobachtungen eines Nestbeschmutzers

Für meine Frau, Kaija-Leena. Ohne ihr Verständnis und stete Unterstützung wären diese Zeilen nicht geschrieben worden.

Manfred Auer

Vorwort

Es sind meine Erlebnisse und Beobachtungen über drei Generationen. Vor allem habe ich mein Augenmerk auf die deutsche Justiz gerichtet, auf die wir so stolz sind. Niemand darf von mir “political correctness” erwarten. Dafür ist alles so geschehen, wie ich es erlebt habe. Man möge mir manchen Zeitsprung verzeihen. Ich habe nicht unbedingt die Chronologie eingehalten. Da ich sehr lange im Ausland gelebt habe, kommen die Betrachtungen über Deutschland und seine Eingeborenen sowohl von innen wie auch von außen. Im Augenblick wärmt die Sonne Spaniens meine steifen Finger.

Im Laufe der vielen Jahre habe ist mir aufgefallen, dass man nach und nach die eigenen Landsleute mit anderen, objektiveren Augen sieht. Man beginnt zu verstehen, wie Ausländer auf uns Lehrmeister und unsere gut gemeinten Verbesserungsvorschläge reagieren. Ich kenne das von mir selbst. Ich bin auch so ein original deutscher Lehrmeister.

Schon früh kann ich mich an politische Ereignisse erinnern. Mit fünf Jahren habe ich mich das erste Mal für etwas geschämt, was nicht mit mir selbst zusammenhing. In der Reichskristallnacht, fragte ich einen Mann, was die Leute Schlimmes gemacht hätten, die da verprügelt wurden. Der “ Onkel” antwortete mir: “ Was die gemacht haben? Die haben nichts gemacht. Das ist Ungeziefer, das ausgemerzt werden muss”. Da wollte ich in den Boden sinken. So sehr habe ich mich geschämt. Bis 1945 registrierte ich die Verbrechen, die ständig um mich herum abliefen, ich lebte sozusagen mitten in einem kriminellen Umfeld. Das Gespenstische war, dass offenbar niemand ein Unrechtsbewusstsein für eigene Handlungen zeigte. Nach 1945 habe ich miterleben müssen, wie die Deutschen sich komplett häuteten und in eine kollektive Amnesie fielen. Kein Mensch konnte sich plötzlich mehr erinnern, was vor einem einzigen Jahr vorgefallen war. Das Buch richtet sich an die Generationen, die nach dem 2. Weltkrieg geboren wurden. Es soll aufzeigen, unter welch großer Hypothek sie heute noch leben und agieren. Es ist eben nicht so, dass sich historische Abläufe plötzlich ändern. Bis 1945 Nazi ab 1947 geläuterter Demokrat. Psychische Erfahrungen der Völker wirken noch viele Generationen weiter, sie bleiben eingebettet in die kollektive Erfahrung und Erinnerung. Auch noch in 100 Jahren werden die Deutschen das Volk sein, dass im 20. Jahrhundert eigene und fremde unschuldige Mitmenschen grundlos umgebracht und organisierten Völkermord begangen hat. Diese Zeilen sollen aber auch ein Dank sein an die Völker und Menschen, die uns trotz allem die Hand zur Versöhnung gereicht haben, die fast zehn Millionen CARE-Pakete an die hungernde Bevölkerung geschickt haben, vor allem aber auch an die Juden, die trotz der Verbrechen, die man an ihnen verübt hatte, verziehen haben und heute wieder ein geachteter, positiver Bestandteil Deutschlands sind.

Die Gnade der späten Geburt

Am Weißen Sonntag 1933 branden Gebrüll und fanatische Gesänge begeisterter Horden gegen die Häuserfronten der Kurstadt Wiesbaden. Meine Mutter kämpft im Paulinenstift um mein und ihr Leben. Durch das geöffnete Fenster hört sie die Hurrahs der Volksgenossen. Sie wird das in ihrem Leben nicht mehr vergessen.

Meine Erinnerungen beginnen mit dem 4. Lebensjahr. Meine Eltern waren sehr aufgeregt. Die Polizei hatte gute Freunde meiner Eltern abgeholt und in das Polizeigefängnis Mainz verbracht. Nach ein paar Wochen wurde zuerst der Tod des Ehepaares Schleder und einen Monat später der Tod von Adolf Nötzel gemeldet. Der Verbleib der Schleders ist bis heute unbekannt. Die offizielle Nachricht besagte, das Ehepaar sei geflüchtet und erschossen worden. Man hätte sie sofort eingeäschert und beerdigt. Die Angehörigen konnten auch nach dem Ende des 2. Weltkrieges, die Stelle nicht herausfinden, wo man sie verscharrt hatte. Diese 3 Menschen wurden nicht etwa von der SS oder Gestapo umgebracht. Nein, es waren die sogenannten Freunde und Helfer, der Schutzmann an der Ecke, normale Polizeibeamte. Für die Morde im Namen des Staates brauchte man in Deutschland weder ein Gericht, geschweige denn ein Urteil. Es genügte, Mitglied der noch legalen kommunistischen Partei zu sein. Nach den Tätern wurde nie gefahndet oder auch nur der Versuch gemacht, ihrer habhaft zu werden. Von Strafe ganz zu schweigen. Man darf davon ausgehen, dass die Mörder als Mitläufer eingestuft worden sind und ihren Polizeidienst bis zur Pension unbehelligt weiter ausüben konnten. Anschließend genossen sie bei vollem Bezügen ihren Lebensabend. Das Entsetzliche an diesem Verhaltensmuster ist der völlige Zusammenbruch menschlicher Regeln und moralischer Normen im deutschen Volke. Dass Polizei, Gerichte und Staatsanwaltschaften bereits zu Beginn der Nazi- Ära bereit waren, Verbrechen und Morde zu decken und elbst zu verüben, zeigt wie verkommen die Justiz, die Richter und Staatsanwälte schon unter Kaiser Wilhelm und Weimarer Republik gewesen sein mussten. So wie damals bläst heute immer noch ein leiser Wind der von den Nazis geprägten Weltanschauung durch Gesellschaft und Gerichtssäle.

Man muss sich vorstellen, in unserer “ Demokratie”, auf die wir mit Recht stolz sein können, sind die Staatsanwaltschaften von der Weisung ihrer Innenminister abhängig.. Das bedeutet in der Praxis, dass die Innenminister je nach ihrer Parteizugehörigkeit Einfluss auf die Tätigkeit der Staatsanwälte nehmen können. Sie können bestimmen, ob gegen die eine oder andere Person ermittelt wird oder nicht. Sie können die Richtung der Ermittlungen bestimmen oder ganz ruhen lassen. Selbst in seiner Verfassung legt Deutschland keinen besonderen Wert auf Rechtsstaatlichkeit.. Um zu einem demokratischen Musterland zu werden, müsste noch erheblich nachgebessert werden.

Im stillen Kämmerlein wusste die Tätergeneration ganz genau, welche Verbrechen und welche Schuld sie sich da aufgeladen hatte. Darum waren sie überrascht und froh, dass am Ende alles so glimpflich für sie verlaufen ist. Die brutalsten Verbrechen der Menschheitsgeschichte blieben weitgehend ungesühnt.

Zuerst kam ein CDU Kanzler, der den Zeitpunkt bestimmte, ab dem die Deutschen von ihren Untaten reingewaschen waren. Dann kam später ein weiterer CDU Kanzler, der sich selbst und der Jugend Generalabsolution erteilte. Er sprach bei einem Besuch in Israel von der “ Gnade der späten Geburt”.

Mir selbst ist diese Gnade leider nicht zuteil geworden, da ich bereits mit vier Jahren in den Strudel hineingezogen worden bin.

Die Reichskristallnacht

Es wurde 1938. Wir wohnten in der Galileistraße. Die Straße liegt auf einer Anhöhe, von der man große Teile der Stadt überblicken kann. Plötzlich, an einem Nachmittag im November, lagen dicke Rauchwolken über der Stadt. In der Gegend um den Michelsberg brannte es. Kurz entschlossen packten der Klaus und ich unsere Tretroller und sausten die Platter Straße in Richtung Brandherd. Wir kamen dort an und sahen am Michelsberg die Synagoge brennen. Das war aber nicht das Schlimmste. Überall lagen eingeschlagene Scheiben, blutende Kinder und Erwachsene, Geschirr, Bilder und Möbelstücke, die aus den Fenstern flogen. Es war ein unglaubliches Getöse, Geschrei, Gebrüll, und Gegröle, in das sich die Hilferufe gequälter und misshandelter Menschen mischten. Es waren Szenen, wie aus einem Inferno, das sich Dante nicht hätte schlimmer ausdenken können. Wir Kinder sahen es, die Erwachsenen sahen es und waren zum großen Teil beteiligt. Ich fragte einen “ Onkel” was die Menschen denn gemacht hätten, die man da verprügelte. Onkel antwortete, sie hätten nichts gemacht, sie seien aber Ungeziefer, das ausgemerzt werden müsste. Da habe ich mich richtig geschämt. Das war ein Gefühlserlebnis, das ich wohl nie vergessen werde.

Nach dem Krieg gab es komischerweise keinen, der die Vorgänge der Reichskristallnacht gesehen, oder sich daran beteiligt hätte. Die Erinnerungslücken waren total.

Nach diesem Unrechtsdatum, heftete man den Juden den gelben Davidstern an die Kleider. Der Staat hatte sie zu Freiwild erklärt. Verstöße gegen die Vorschrift, den Judenstern sichtbar zu tragen, wurden mit Lagerhaft bestraft.

Der Antisemitismus war nichts Neues. In Deutschland und anderen Ländern wurde seit 1879 über die >Endlösung< der Judenfrage diskutiert und spekuliert. Es gab ein weltweites Gefühl der intellektuellen Unterlegenheit gegenüber den Juden. Da kam Hitler gerade recht. Er gab dem Neid und dann dem Hass die Stimme. In allen europäischen Ländern hat es seit dem Mittelalter Judenpogrome gegeben. Sie hatten mehr oder weniger das Ziel, sich der intellektuellen Übermacht der Juden in Wissenschaft, Bank und Geldangelegenheiten zu entledigen. Aber noch nie zuvor wurde die Vernichtung einer religiösen Minderheit mit solch unglaublicher Brutalität, Menschenverachtung und bürokratischer Perfektion in die Wege geleitet und konsequent durchgeführt. Wegen der vielen zu Bruch gegangenen Fensterscheiben und des Hausrates, der auf der Straße landete nannte man dieses Ereignis sinniger Weise die REICHSKRISTALLNACHT. Sie war der Startschuss zu einem in der Menschheitsgeschichte einmaligen Völkermord.

Der Mantel

Eines Tages war mein Vater der Ansicht, dass das Söhnchen eines neuen Wintermantels bedurfte. Er hatte im Schrank noch einen Rest Kamelhaarstoff von Dormeuil aufgehoben. Die Menge reichte nicht für einen Erwachsenen, wohl aber für einen Knirps, wie mich. Wir besuchten also den Hofschneider meines Vaters. Elias Rosenbaum hatte seine Werkstatt in der Nähe der Maria-Hilf Kirche. Vater und Elias kannten sich vom Schachspielen im Café Maldaner. Der Mantelstoff wurde ausgepackt. Es folgte eine ausgiebige Besprechung, in der immer wieder von “ bloß nicht zu klein” und “ der Junge wächst doch noch” gesprochen wurde. Dann wurde ich auf den Schneidertisch gestellt und Elias nahm Maß. Eine Woche später musste ich zur Anprobe, es war die erste von Fünfen. Wieder musste ich auf den Tisch. Dann kam ein cremefarbener Umhang, in dem nicht nur die Hände, sondern auch die Beine verschwanden. Elias zückte ein spezielles Kreidestück und machte unter Protesten meines Vaters hier und da einen Strich. In der Zeit war mir richtig heiß geworden. Der dicke Stoff und das Gewicht des Ungetümes taten ihre Wirkung.

Zur nächsten Anprobe ging ich mit meiner Mutter. Als Elias mir das immer noch gewaltige Kleidungsstück übergestreift hatte, fing meine Mutter an zu lachen. Sie hatte eine besondere Art zu lachen. Das kam rollend aus ihrem Innersten. Wenn sie lachte, lachten alle mit. Ich habe einmal ein Erlebnis im Bus gehabt. Ich erzählte ihr einen Witz, nichts besonderes. Sie fand das aber witzig und fing an zu lachen. Sie konnte sich nicht mehr halten. Nach zwei, drei Minuten lachte ein voll besetzter Bus aus vollem Halse. Natürlich wusste keiner der Mitfahrenden, warum diese Frau so lachte. Sie mussten einfach mitlachen.

Ich stand auf dem Schneidertisch, Elias lachte, seine Frau lachte. Die Tränen kamen aus den Augen. Nur ich fand das gar nicht lustig.

Elias meinte zu meiner Mutter, dass man eine solche Kutte dem armen Buben doch nicht antun könnte. Am Ende kam dann ein Kompromiss heraus, der mir dann drei Jahre später irgendwie passte.

Das geschah 1936. Ich war gerade 3 Jahre geworden. Mein Vater hatte immer Juden als Geschäftspartner und Handwerker bevorzugt. Er sagte, vor einem Abschluss wird immer gejammert, die kranke Frau ins Feld geführt, um zu vorteilhaften Bedingungen zu kommen. Ist man sich aber einig, dann halten Juden ihre Verträge und Abmachungen auch ein. Ganz anders, als bei den christlichen Kollegen.

Er kannte die Rosenbaums schon lange. Und seit der Machtergreifung unseres geliebten Führers lag er Elias in den Ohren, sich möglichst schnell aus dem Staube zu machen. Der aber war unerschütterlich.

“ ich habe für dieses Land in einem Weltkrieg mein Leben riskiert. Ich bin in Flandern verwundet worden, man hat mich mit dem eisernen Kreuz ausgezeichnet. Ich möchte den Deutschen sehen, der mir ein Leid antun könnte”. Das war immer wieder seine Antwort. Und es schien auch so, als sollte er Recht behalten. Der Freundeskreis Roos und meine Mutter unterstützten die Familie, wo sie konnten.

Doch dann kam ein Morgen im Februar 1941. Um fünf Uhr hörten die Nachbarn, wie die Gestapo an die Tür polterte. Trotz großem Bemühen in der Nachkriegszeit, konnten meine Eltern und ich keine Spur mehr von den Rosenbaums finden. Es ist, als hätten sie nie gelebt.

MI6

Jetzt will ich die Geschichte von George M. Birks erzählen. Schon durch seine Gestalt machte er Eindruck. Über 2 Meter groß, riesige Schultern und durchtrainiert. Ein eckiges, typisch englisches Gesicht, leicht rötliches Haar, mit einem Blick, wie aus Stahl. Ein Mannsbild, von dem die Frauen in stillen Stunden träumen, überlebensgroß.

Mit 19 Jahren war er einer der ersten, der den Ärmelkanal durchschwamm. Er heuerte bei der Londoner Polizei an, lernte Boxen. Dann war ihm London zu langweilig. Er kündigte in London und versuchte sein Glück in Amerika.

Für J. Edgar Hoover und seine neugegründete FBI kam der Ex-Polizist aus London gerade recht.. Solche Leute wurden gebraucht.. Er wurde nach Chicago kommandiert und gelangte in die Truppe des Eliot Ness. Zwei Jahre gehörte er dort zum inneren Kreis um Elliot, den 11 Unbestechlichen. Die Taten des George kamen auch dem MI5 zu Ohren. Sie machten ihm ein Angebot, das er nicht ausschlagen konnte. Man holte ihn nach England zurück, wo er in zwei Jahren zum Geheimagenten ausgebildet wurde. Da er sich für Sprachen interessierte, hatte er leidlich Deutsch gelernt. Während der Ausbildung machte er mehrere Crash-Kurse, um Deutsch besser zu lernen. Als ich ihn nach dem Krieg kennenlernte, sprach er fast akzentlos Deutsch. Sein erster Auslandseinsatz brachte ihn nach Köln. Dort eröffnete er zuerst ein kleines Photogeschäft. Er engagierte eine deutsche Photographin, die ihm den Laden führte. Das brachte ihm später viel Ärger mit dem Führungsoffizier und der Zentrale ein. Denn zwischen der zierlichen Photographin und dem riesigen George entstand ein stürmisches Liebesverhältnis.

In Köln gab es einen 1906 gegründeten Sportclub, den S.C. Colonia 06. Der betrieb damals vorwiegend Leichtathletik. Als dann noch vor dem ersten Weltkrieg der Engländer Jack Slim nach Deutschland zog, konnte er in Köln Begeisterung für den Boxsport entfachen. Nach dem ersten Weltkrieg widmete sich der Verein ausschließlich dem Boxsport. Man konnte sagen, dass Köln das Zentrum für den Boxsport in Deutschland wurde. Bei den Trainingsmethoden spricht man heute noch von der Kölner Schule.

George wurde von diesem Verein als gelegentlicher Trainer engagiert. In dem S.C.Colonia 06 trainierte alles, was Rang und Namen in Deutschland hatte. So trainierte er fast ein Jahr lang auch das deutsche Boxwunder Max Schmeling.

In dieser Zeit, wollte er sein Lieschen heiraten. Es gab einen Sturm in London. Man drohte ihm mit Rauswurf, Verlust der Pension, sogar mit Verrat. George blieb standhaft. Sein Lieschen sei zuverlässig, zuverlässiger wie eine Engländerin. Er setzte sich durch und heiratete in Köln die junge Deutsche.

Die schlimmen Drohungen machten seine Bosse nicht wahr. Aber man versetzte ihn kurzerhand nach Wiesbaden. Auch hier eröffnete er ein kleines Photogeschäft. In Wiesbaden war ein einigermaßen annehmbarer Boxclub nirgendwo in Sicht.

Da setzte der Schorsch, wie er in Wiesbaden genannt wurde, auf ein anderes Hobby. Er war ein leidenschaftlicher Schachspieler. Und so tauchte er eines Tages in der Schachrunde im Café Maldaner auf. Hier lernte ihn mein Vater kennen. Die beiden unternahmen viel zusammen. Sie fuhren zu Weinproben in den Rheingau zu bekannten und weniger bekannten Weingütern. Die zwei Güter, die immer wieder besucht wurden, waren das Schloss Vollrads des Grafen Matuschka- Greiffenclau und die Winzerfamilie Rammersbach in Geisenheim. Beide Weingüter existieren nicht mehr. Das älteste Weingut Deutschlands wurde von der Nassauischen Landesbank an eine Heuschrecke verscherbelt. Die Familie Rammersbach hatte keine Kinder. So fiel das Gut an einen Neffen von der Mosel.

Was meinen Vater bei diesen Ausflügen sehr beeindruckte war der Umstand, dass egal wie viel Wein der Schorsch konsumierte, jede sichtbare Wirkung ausblieb.

Mein Vater lernte das Lieschen kennen, das auch hier wieder den Laden managte. Schon nach kurzer Zeit war meinem Vater klar, dass der Laden den Schorsch und sein Lieschen nicht ernähren konnte. Schorsch musste also eine alternative Geldquelle besitzen. Es war bei der Lebensgeschichte fast logisch, dass der Schorsch zum britischen Geheimdienst gehören musste. Ein paar Monate später hörte er über die Buschtrommel des Widerstandes, dass der Schorsch enttarnt worden sei. Er fuhr sofort im die Wohnung der beiden und schenkte ihnen seinen Opel Olympia als Fluchtwagen. Dann hörten wir nichts mehr von George und seiner Frau. Erst nach dem Kriege besuchte er uns und erzählte an vielen Sommerabenden seine Geschichte.

Seine Flucht war über Frankreich und Spanien bis nach Lissabon gegangen. In Lissabon verkaufte er den Wagen, um das Geld für die Überfahrt nach England zu bekommen. Der MI5 hatte sich von ihm losgesagt. Von daher konnten sie keine Hilfe erwarten. Als die beiden in Southampton englischen Boden betraten, wurden sie sofort in ein Internierungslager abgeführt. Man stellte wegen der Heirat vor allem seine Treue zu England in Frage. Sie blieben 18 Monate im Lager, bis sein alter Arbeitgeber nach langer Prüfung von seiner und der Unschuld seiner Frau überzeugt war. Er wurde aber nicht wieder eingestellt. Die Beiden standen mittellos auf der Straße.

George schlug sich mit allerlei Jobs durch. Er war Schuhputzer, Rausschmeißer in Bars und am Ende Rausschmeißer in den Kinotheatern der Rank Corporation. Er strengte einen Prozess gegen MI5 an, der mit einem Vergleich endete. Für das Gehalt, das man ihm nachzahlen musste und das Schmerzensgeld kauften sie sich ein kleines Reihenhaus direkt bei der Hampstead- Heath.

In einem der Rank-Kinos lernte ihn der Geschäftsführer der Tochtergesellschaft Gaumont British kennen. Die ehemalig französische Gaumont betrieb damals in London 10 riesige Kinos. Es war sozusagen Liebe auf den ersten Blick. Der Rauswerfer stieg von einem Augenblick zum anderen zum Manager der Londoner Gaumont Theater auf.

Die Londoner Kinos funktionieren anders als hier. Zu der damaligen Zeit war der der Beginn der Vorstellungen um 11 Uhr am Vormittag. Einlass war laufend bis zum Ende um Mitternacht. Es wurden meist drei verschiedene Spielfilme hintereinander gezeigt. War der dritte Film zu Ende, begann der Zyklus von neuem. Der Zuschauerraum war in Gruppen eingeteilt. Je 20 Zuschauer in 4 Reihen. So konnten die Verkäufer, die Zigaretten und Süßigkeiten in ihren Bauchläden feilboten, die Kunden mit ihren an Stangen befestigten Taschen erreichen. Zuerst legte der Kunde das Geld in den Beutel, dann bekam er seine Ware mit dem Wechselgeld. Dieser Verkauf ging während der Vorstellungen weiter. Die Verkäufer mit ihren beleuchteten Bauchläden waren ständig unterwegs. George erklärte mir, dass die Kinos ihren Hauptumsatz mit den Süß- und Tabakwaren machten.

In den Kinosälen war ein ständiges Kommen und Gehen. Man konnte ja den ganzen Tag dort verbringen. Mit einer Eintrittskarte von 11 Uhr am Vormittag bis um Mitternacht. Es wurde geraucht, Popcorn gegessen, von einem Sitz zum nächsten gewechselt. Da die Engländer noch schlimmere Raufbolde sind, als unsere Bayern kam es schon mal zu heftigen Auseinandersetzungen. Dann kam der Schorsch ins Spiel. Er wurde angerufen und auf dem schnellsten Weg ins betreffende Lichtspielhaus chauffiert. Erst gingen die Lichter aus, dann wurde die Bühne angestrahlt und heraus trat Schorsch. Seine riesige Gestalt im makellosen weißen Smoking war so gewaltig, dass das ganze Kino sofort Mäuschen still wurde. Er stand nur da und die Streitigkeiten waren vergessen.

Er lächelte ein wenig. “ Ladys and Gentlemen, I think we can continue with our performance.

Enjoy!” Das Licht geht aus, der Film läuft weiter. Erst nach einer Weile setzt das übliche Gemurmel wieder ein. Das erlebte ich viele Male bei meinen Besuchen auf der Insel.

Die Geschichte des Georg Birks erfuhr ich erst nach dem Krieg. Er besuchte uns das erste Mal bereits ein Jahr nach der Kapitulation. Da sein Besuch kurz vor Ferienanfang 1946 war, ließ er keinen Widerspruch zu und nahm mich sofort mit nach London. Irgendwie hatte er es geschafft, alle Papiere zu besorgen. Das war damals nicht einfach.

Vier Wochen lang stromerte ich unter sachkundiger Anleitung von Lieschen Birks durch die Museen, Galerien, den Tower, den Zoo und so weiter.

Die Docklands waren noch in ihrer alten Tristesse zu besichtigen. Es gab auch noch den berühmten Londoner Smog. Da stieg der Schaffner aus dem Bus und ging einen Meter voran. Man konnte wirklich gar nichts sehen. Nachher sah die Nase aus wie ein Schornstein, bevor der Feger kommt. Als Bonus hatte ich eine Dauerkarte für die Rank und Gaumont Theater. Ich weiß nicht, wie viele Filme ich in der Zeit gesehen hatte, es waren sehr viele. Unvergessen bleiben mir die Filme von und mit Kurt Götz und Valerie Martens und die 49 Stufen von Hitchcock. Es hat mich sehr verwundert, dass man so kurz nach dem Krieg eine Reihe deutscher Filme in London sehen konnte. Curt Götz ist anerkanntermaßen der brillanteste Kommödienautor deutscher Sprache.

Die Judenschule

Eines schönen Tages packte meine Mutter den alten Kinderwagen. Der Freundeskreis um Heini Roos hatte intern seine Mitglieder aufgefordert, den bedrängten Juden zu helfen.

Es kamen Lebensmittel, Kinderkleider, Seife, Spielsachen und sonstige Utensilien des täglichen Lebens hinein. Alles wurde mit einer Wolldecke sorgsam abgedeckt, um den Inhalt vor neugierigen Augen zu schützen.

Dann tippelten wir die Platter Straße hinunter, am Alten Friedhof vorbei, bis zur Maria Hilf Kirche.

Von da über verschiedene Umwege von unten in die Hochstraße hinein. In einer Toreinfahrt wartete meine Mutter eine ganze Weile. Dann ging es beherzt über die Straße in einen Hauseingang hinein. Wir waren in einer der letzten funktionierenden Judenschulen Wiesbadens. Als wir dann zögerlich eintraten, wurden wir von Lehrern und Schülern freundlich begrüßt. Zuerst fiel mir das unglaubliche Chaos auf. Kinder und Erwachsene liefen durcheinander, redeten durcheinander. Die Lautstärke war gewaltig. In einigen Ecken gab es Unterricht, der dauernd durch laufende Kinder oder Erwachsene gestört wurde. Dann wurden wir von freudestrahlenden Gesichtern umringt. Bis heute kann ich die Dankbarkeit und das Glück in der Judenschule nicht vergessen. Da kamen ganz normale Deutsche und hatten für ein paar Stunden Hoffnung gebracht. Für uns ging auch alles gut.

Wir wurden nicht erwischt. 1940 war die Gestapo für eine Dauerbeobachtung noch nicht gerüstet.

Ein halbes Jahr später konnte ich von meinem Zimmer aus sehen, wie um sechs Uhr in der Frühe gegenüber in der Platter Straße ein Lastwagen anhielt. 6 Herren mit Hakenkreuzbinde am Oberarm stiegen aus und gingen in das Haus.

Nach einigen Minuten hörte man fürchterliche Schreie. Die Naziherren zerrten meine Spielkameraden, Kleinkinder und Säuglinge aus dem Haus. Sie warfen sie wie Mehlsäcke in hohem Bogen auf die Pritsche. Insgesamt holten sie 16 Kinder aus dem Haus, verprügelten die Eltern, die ihre Kinder schützen wollten, klappten die Ladeklappe hoch und verschwanden mit der Beute.

Schon in meinem Alter konnte ich mir denken, welches Schicksal die Unglücklichen ereilen würde. Ein paar Wochen später war das ganze Haus leer. Ich habe das als Kind gesehen und mir meine Gedanken darüber gemacht. Die Nachbarn bemerkten offensichtlich nichts. Jedenfalls behaupteten das alle. Ganz Deutschland litt ja nach dem Kriege unter einer hochgradigen Gedächtnislücke. Leider sind Zuschauer auch nicht besser als die kriminellen Dreckskerle, die da völlig gewissenlos ihre Verbrechen verübten.

Später wurden auch diese Leute entnazifiziert und in Ruhe gelassen. Kein Nachkriegspolitiker hat sich wirklich aufgeregt und nach Strafe und Sühne gerufen. Jetzt wäre die Chance gewesen, Deutschland ein für alle Mal von Pickelhaubengeist und engstirnigem Rassismus zu befreien. Leider hat man die Gelegenheit verpasst. Der alte Geist weht weiter durch das Land. Die NSU Affaire führt uns das deutlich vor Augen. Der derzeitige CDU Innenminister hat ein neues oberstes Recht in das nationale Denken eingeführt, und zwar ein Recht über allen anderen, über der Verfassung, das Superrecht auf Ausspähung aller Bürger im Namen der Sicherheit. Von unseren heutigen Staatsschützern und Innenministern hätte die Gestapo noch viel lernen können.

Als Einzelkind mit einer Leidenschaft zum Basteln und untersuchen wurde ich mit Hilfe eines Kosmos Bausatzes Radioamateur. Was da aus dem Äther in meine Kopfhörer drang, faszinierte mich. Vor allem war ich von dem deutschsprachigen Dienst der BBC beeindruckt. Der Sender war auf mehreren Frequenzen zu hören. Oft wurde der Ton durch ein Pfeifen überlagert. Ein deutscher Störsender hatte die Frequenz erfasst. Die Engländer wechselten dann relativ schnell die Frequenz. Ich habe mich immer gewundert, wieso es solange dauerte, bis der neue Frequenz entdeckt und gestört wurde. Ich wusste, dass das