Maragena - Manfred Auer - E-Book

Maragena E-Book

Manfred Auer

3,9

Beschreibung

Die Geschichte beruht auf einem realen Hintergrung. Die Personen und ihre Handlungen kommen aus der Phantasie des Autors. Die vorkommenden Personen und Institutionen der Zeitgeschichte haben die ihnen ugeschriebenen Handlungen tatsächlich begangen, allerdings in einem anderen Zusammenhang. Der Held der Handlung ist ein Inder aus der Kaste der Pariahs, der untersten Kaste Indiens. Mit dem Zirkus kommt er nach Amerika und lernt eine Mittelamerikanerin kennen und lieben. Leider ist die junge Frau dem Präsidenten des Landes versprochen. Sie wird durch brutalen Terror gegen die Familie gezwungen, zurückzukommen und den Präsidenten zu heiraten. Doch die Liebenden finden einen Weg, sich zu treffen. Als dann ein Kind kommt, sehen alle, daß es wegen seiner Hautfarbe nicht von dem Ehemann stammen kann. Danach ist ihr Leben ein Leidensweg. Doch es gelingt dem Geliebten in einer Aktion ohnegleichen, seine Freundin und sein Kind zu entführen.

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Inhalt

Vorwort

Erstes Buch

Michael Singh

Hilario Berza

Eleonora de Carrerita

Victor Carabellas

Michael Singh

Victor Carabellas

Michael Singh

Hilario Berza

Eleonora de Carrerita

Zweites Buch

Hilario Berza

Michael Manconi

Victor Carabellas

Eleonora de Carrerita

Hilario Berza

Michael Manconi

Eleonora de Carrerita

Hilario Berza

Michael Manconi

Victor Carabellas

Bob Littlemouse

Michael

Hetti da Silva

Eleonora

Bob Littlemouse

Hilario Berza

Michael

Lobopasillo Palatito

Noralita

Bob Littlemouse

Hilario Berza

Michael

Heinrico Capranillo

Michael

Bob Littlemouse

Noralita

Lobopasillo Palatito

Drittes Buch

Michael

Bob Littlemouse

Noralita

Lobopasillo Palatito

Michael

Benno (Ben) Hansen

Lobopasillo Paletito

Michael

Lobopasillö Paletito

Vorwort

Der vorliegende Roman spielt in Marageña einer fiktiven Republik irgendwo in Mittelamerika. Das Land hat eine blutige Geschichte von Königen und Diktatoren hinter sich und versucht gerade, sich demokratische Formen zu geben. Marageña liegt zwar in Mittelamerika, es könnte aber ebenso gut woanders, ja sogar in Europa liegen.

Die Personen der Handlung sind frei erfunden, reine Gestalten der Phantasie. Eventuelle Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten realen Personen sind zufällig und nicht beabsichtigt. Es finden sich im Text jedoch Bezüge auf wirkliche Handlungsorte, Personen der Zeitgeschichte und tatsächliche, geschichtliche Abläufe. Wenn tatsächliche Firmen, wie zum Beispiel die AFCO (Amalgamated Fruit Company) oder die Bel Monte Corporation oder die Bank of America erwähnt werden, so haben die Handlungen dieser Firmen tatsächlich stattgefunden, wenn auch an einem anderen, realen Schauplatz. Wenn ich sage, dass der damalige Leiter der CIA, George Walker Bush sen. dem Pablo Noriega hunderttausend Dollar im Jahr zukommen ließ, damit der in ganz Mittelamerika für die USA spionierte, so beruht das auf Tatsachen. Interessanterweise hat der gleiche George W. Bush senior als US-Präsident, Panama mit Krieg überzogen, angeblich um den Präsidenten Noriega wegen Drogendelikten zu fangen. Zur gleichen Zeit, als unschuldige Frauen und Kinder in Panama von US-Soldaten ermordet wurden, saß Noriega bereits in den USA in Haft. Man hatte ihn einfach nach Washington eingeladen und dort verhaftet. Die Personen der Zeitgeschichte, die im vorliegenden Roman erwähnt werden, haben die ihnen zugeschriebenen Handlungen auch tatsächlich begangen, wenn auch manchmal in einem anderen Zusammenhang. Und zum guten Schluss habe ich mir die Freiheit genommen, die Chronologie nicht genau einzuhalten. Es kann sein, dass auf ein Ereignis Bezug genommen wird, das in Wahrheit früher oder später tatsächlich passiert ist.

Alicante, Mai, 2015, Manfred Auer

Erstes Buch

Michael Singh

Unter einem Vorsprung einer Industrieruine in einem Außenbezirk Mumbais gebar eine Inderin einen Sohn. Sie war in einer besseren Lage als viele Tausend andere Frauen in der Stadt, die ihre Kinder buchstäblich auf der Straße zur Welt bringen mussten. Sie legte das Kind auf altes Zeitungspapier und durchtrennte die Nabelschnur, mit einer Schere, die sie vorher in ein kleines Feuer gehalten hatte. Das Feuer hatte ihr Mann angezündet, um der Hochschwangeren in der Nacht ein wenig Wärme zu geben. Der Mann war schon mehrere Stunden vor der Geburt aufgebrochen, um das Stadtzentrum rechtzeitig zu erreichen. Er versuchte dort auf dem Gemüsemarkt ein paar Stunden Arbeit zu ergattern, oder zumindest etwas Obst oder Gemüse mitzubringen, das die Händler am Ende des Marktes weg warfen. Es war hart, sich durchzusetzen, denn viele Schicksalsgenossen kämpften um die Reste. Es war eine Überlebensfrage. Doch Rotoh Singh war groß und kräftig, weshalb ihm die Händler oft Arbeit gaben. Auch heute hatte er Glück gehabt. Er hatte 150 Rupien verdient, was etwas mehr als drei Dollar waren. Dazu hatte ihm der Händler noch drei Auberginen geschenkt, die unansehnlich waren und die er nicht verkaufen konnte. Auf dem zweistündigen Heimweg kaufte er ein halbes Huhn und eine Flasche Coca-Cola. Zuhause, unter dem Dachvorsprung nahm er seinen Sohn in den Arm und sagte: "Wir nennen ihn Michael." In Indien ist es ein beliebter Brauch, den Kindern englische Vornamen zu geben. Seine Frau nahm die Auberginen, das Huhn und die Flasche Coca-Cola. "Du bist ein guter Vater" sagte sie zu ihm.

Michael wuchs heran und bald hatte er eine kleine Schwester. Eines Tages, nach langen, geflüsterten Gesprächen seiner Eltern, nahm der Vater das Baby auf den Arm und ging mit dem Mädchen weg. Seine Mutter nahm Michael und hielt ihn lange fest. Michael ahnte, dass etwas Schlimmes geschehen war und legte seinen Kopf an ihre Brust. Die kleine Schwester kam nie zurück. Wie es Kinderart ist, hatte er die Schwester bald aus seinem Bewusstsein verdrängt, vergessen aber hat er den Vorfall nie. Als er drei Jahre geworden war, musste er mit der Mutter und ihrem neuen, drei Monate alten Säugling in die Stadt zum Betteln. Betteln ist in Indien ein respektabler Beruf und Michael war sofort sehr erfolgreich. Er war ein ausgesprochen schönes Kind mit großen, ausdrucksvollen Augen und einer Haut wie helle Milchschokolade. Die Leute glaubten, dass Menschen mit einer solchen Haut von Buddha gesegnet und für Höheres bestimmt sind. Das bildschöne Kerlchen erweichte das Herz so mancher reichen Frau, sodass er manchmal mit wertvolleren Geschenken oder mit mehr Geld nach Hause kam als sein Vater, der dafür schuften musste. Als Michael fünf Jahre alt war, hatte sein Vater aus Abfallholz und Wellblech eine feste Unterkunft für die Familie gebaut. Jetzt hatten sie wenigstens Schutz vor dem Monsunregen und den kalten Nächten. Als er dann sechs Jahre wurde, begann er selbstständige Streifzüge in die Stadt und weitete sein Revier weiter und weiter aus. Das brachte ihn oft in Konflikt mit Straßenbanden, die ihre Territorien rücksichtslos verteidigten. Er war sehr geschickt im Vermeiden von Begegnungen mit diesen älteren Jungen, die ihn sicher misshandelt oder gar getötet hätten. Michael machte sich da keine Illusionen. Er hatte oft gesehen, wie es anderen Bettlerkindern ergangen war.

Eines Tages war er einer ganz ausweglosen Lage. Er hatte nicht genug aufgepasst und vier Mitglieder einer Bande hatten ihn an einer Zirkusumfriedung gestellt. Es gelang ihm durch den Zaun zu schlüpfen, aber die Gang kam hinterher. Mit aller Kraft lief er auf einen Wohnwagen zu und schrie um Hilfe. Er hatte Glück. Die Wohnwagentür ging auf und ein junger Mann kam die Stufen herab. Er erfasste sofort die Situation und legte seinen Arm um Michael. Die Halbwüchsigen ließen sich aber nicht entmutigen. Zwei hatten plötzlich Messer in der Hand und verlangten die Herausgabe von Michael. Der junge Mann war gar nicht erschrocken, sondern befahl Michael, in den Wohnwagen zu gehen und die Türe zu schließen. Michael kam nicht auf den Gedanken, dem Befehl nicht zu gehorchen. Er stieg die drei Stufen hinauf und machte die Türe zu. Er hörte ein paar Geräusche, dann kam sein Retter mit zwei Messern wieder zur Türe herein. "Was machen wir denn jetzt mit dir?" fragte er. "Ich heiße Indra, und du?" Michael nannte seinen Namen und erzählte, was er machte und wie es zu der Auseinandersetzung gekommen war. "Nach Hause kannst du heute nicht, das ist klar. Die lauern dir auf dem Heimweg auf," sagte Indra. "Ich bringe dich morgen nach hause, dann werden Sie weg sein. Heute geht es nicht, denn ich habe noch zwei Vorstellungen." Michael nickte ergeben. In Indien gibt es Hunderte von Zirkusunternehmen, von ganz kleinen bis zu riesengroßen, die weit größer sind als alles, was wir in Europa oder Amerika zu sehen bekommen. Dieser Zirkus war ein mittleres Unternehmen, wie sie auch in Europa durch die Städte ziehen.

"Jetzt gehen wir erst mal zum Essen und du lernst die anderen kennen," meinte Indra und nahm Michael bei der Hand. Sie gingen über den Hof auf einen anderen und größeren Wohnwagen zu. Dort saßen bereits vier Männer und zwei Frauen um den Tisch. "Das hier ist Michael", rief Indra in die Runde. "Setz dich neben Deirde, das ist meine kleine Schwester" Michael setzte sich neben die schönste Frau, die er in seinem Leben gesehen hatte. Es war Sympathie auf den ersten Blick. Deirde nahm den kleinen Michael sofort unter ihre Fittiche. An das Essen konnte er sich später nicht mehr erinnern, nur, dass es viel, viel besser war, als das, was er je von seinen Eltern bekommen hatte. Dann war Vorstellung. Die jungen Leute zogen sich glitzernde Kleider an, die in allen Regenbogenfarben schimmerten. Michael durfte neben dem Manegeneingang stehen.

Gerade ließen sich zwei Damen in tobendem Applaus von Seilen herab auf den Boden gleiten. Dann waren seine Freunde an der Reihe. Es war eine Schleudertruppe, bei der ein oder zwei Partner auf eine Wippe sprangen, um Deirde hoch in die Luft zu schleudern. Die machte ein paar Umdrehungen in der Luft, um dann auf den Schultern von zwei, dann drei aufeinander stehenden Akrobaten sicher zu landen. Eine Viertelstunde lang überboten sie sich ihre Kunststücke in atemberaubenden Tempo darzubieten. Dann liefen auch sie unter brausendem Beifall heraus. Deirde nahm Michael bei der Hand und holte mit ihm zusammen Handtücher aus dem Wohnwagen. Gemeinsam gingen sie zum Duschzelt. "Eine Dusche kannst du gut gebrauchen, das tut gut," sagte sie zu ihm. Michael fürchtete sich vor der Dusche, denn er wusste nicht, was das war. Im Duschzelt war reges Treiben. Viele Artisten liefen nackt herum, Frauen und Männer, um sich vom Schweiß zu befreien. Auch Deirde legte ihr Kostüm unbefangen ab. Michael wusste gar nicht, was er von dem allen halten sollte. Als aber dann das warme Wasser über seinen Körper lief, konnte er sich vor Begeisterung nicht fassen. Er quietschte und lachte, sodass alle angesteckt wurden und mit ihm Ballspiele mit der nassen Seife veranstalteten. Michael konnte sich nicht erinnern, je solche Freude gehabt zu haben. Danach trafen sich alle im Wohnwagen, um Tee zu trinken und sich auszuruhen. Sie hatten später noch eine Nachtvorstellung. Auf einmal sagte Deirde zu ihrem Bruder: "Wie wäre es, wenn er mit uns käme?" Der betrachtete sich Michael von allen Seiten. Dann meinte er, "nicht schlecht, er hat die passende Figur." Deirde drehte sich nach Michael um und fragte: "Was wäre, wenn du mit uns kommst, um ein richtiger Artist zu werden? Ich kann dir Lesen und Schreiben beibringen und auch Englisch. Wir haben im nächsten Jahr ein Engagement bei Ringling Brothers. Das ist der größte Zirkus in Amerika. Würde dir das gefallen?" Michael wusste nicht, was ein Engagement war, er verstand nur soviel, dass Deirde und Indra ihn mitnehmen wollten und er die ganze Zeit mit diesen wunderbaren Menschen zusammen sein konnte. Dass er Lesen und Schreiben und einen richtigen Beruf erlernen sollte. Es wurde beschlossen, dass Deirde und ihr Bruder Michaels Eltern am nächsten Morgen um Erlaubnis fragen sollten. Da noch kein Bett für Michael vorbereitet war, durfte er bei Deidre schlafen. Er glaubte sich im siebten Himmel. Vor Aufregung konnte er nicht schlafen und sog den aufregenden Duft der Frau ein, die da neben ihm lag.

Am nächsten Morgen standen sie um vier Uhr auf, um Michaels Vater noch zu erreichen, der um fünf Uhr die Wohnung verließ.

Deirde und ihr Bruder Indra gingen auf ein gelbes Auto zu und setzten Michael auf die Rückbank. Michael hatte noch nie in einem Auto gesessen. Es war spannend und aufregend, wie sie da durch das noch schlafende Mumbai fuhren. Oft meinte er, dass ein Zusammenstoß unvermeidlich sei, aber wie durch ein Wunder blieben die Zusammenstöße aus und das Auto fuhr sicher in die Richtung, die Michael angab. Bei der Wellblechunterkunft angekommen, standen Michaels Eltern neben der alten Fabrikruine. Der Vater hatte die ganze Nacht auf Michael gewartet. Als Indra und Deirde erzählten, was passiert war und dass sie Michael mitnehmen wollten, um ihn zu einem Artisten auszubilden, schmolz der Zorn der Eltern dahin. Im Stillen waren sie froh und stolz, dass der Sohn die Gelegenheit hatte, den geachteten Artistenberuf zu erlernen. Dann setzte man sich zu einer Tasse Tee um das kleine Feuer, das vor dem Eingang brannte. Es begann das übliche Feilschen um das Eigentum an dem neunjährigen Michael. Der Vater argumentierte, dass der Bub zu einem nicht unbeträchtlichen Teil zu dem Familieneinkommen beitrage. Deirde, auf der anderen Seite, malte die Zukunft und die Ausbildung aus. Dazu kamen dann noch die Auslandsreisen, wo man nie wusste, welche Rolle der Zufall und das Schicksal spielen würden. Man einigte sich schließlich auf einen Kaufpreis von 3.000 Rupien. Deirde versprach, die Mutterrolle bei Michael zu übernehmen und Michael versprach jedes Mal vorbeizukommen, wenn der Zirkus in Mumbai gastierte. Die Mutter packte seine Sachen in ein Bündel. Die Eltern umarmten und küssten ihn. Sie sahen dem Auto solange nach, bis es in einer Staubwolke verschwunden war.

Mit Tränen in den Augen rollte der kleine Michael einem unbekannten Schicksal zu.

Hilario Berza

"Ich verstehe", sagte Staatssekretär Lobopasillo Palalito, zurzeit Hilario Berzas engster Vertrauter. Hilario war der mächtigste Mann in Marageña. Schon in seiner Studienzeit an der Universität von Marageña schloss er sich der PPC, der Partido Popular Christiano an und war ständig und unaufhaltsam aufgestiegen. Jetzt war er Präsident und Regierungschef und hatte sich, trotz der jungen Jahre, die Anerkennung vieler Staaten und Staatschefs erworben. "Verstehe mich nicht falsch, Lobopasillo, aber wir müssen etwas unternehmen, sonst bringt uns die Frau um Kopf und Kragen." Er ließ seine hundertfünfzig Kilo in seinen Schreibtischsessel fallen. Die Frau, von der die Rede war, war Hilarios Frau. Lobopasillo Palalito stellte sich neben den Schreibtisch. Er war von zierlicher Gestalt und im Stehen etwa so groß wie sein Chef im Sitzen.

Der Größenunterschied zwischen den beiden Herren hätte größer nicht sein können. "Mir wird etwas einfallen," beschwichtigte er Hilario. "Ich werde Ihnen zu gegebener Zeit Mitteilung machen. Es ist besser, dass Sie nicht mehr mit diesen Fragen belästigt werden. Wenn nichts anderes zu besprechen ist, dann gehe ich jetzt. Bis morgen." Mit der Eleganz eines Ballettmeister drehte sich Lobopasillo Palalito um und verließ Hilarios Kanzlei. Der lehnte sich zurück und holte sich ein Bier aus dem Eisschrank, der in die Hinterwand des Büros eingelassen war. Er war Präsident von Marageña, er war an der Spitze der Macht. Und jetzt das! Sein ganzes Schicksal in der Hand einer Frau, seiner Frau. Er sah sich als Kind, wie er mit der Familie in einem neuen Viertel von Castillo de Alcud, der zweitgrößten Stadt von Marageña wohnte. Die Häuser der Siedlung waren etwa 100 Meter lang und für Beamte gebaut worden, die dort relativ preiswert wohnen konnten. Der Vater, Maria José, war Kommissar bei der Agencia Tributaria. Hierzulande würde man ihn einen Steuerfahnder nennen. Im 5. Stock eines dieser Häuser lebte der kleine Hilario mit drei Geschwistern in einem Zimmer einer kleinen Dreizimmerwohnung. Das war in Marageña schon ein gewisser Luxus. Sein großer Bruder Ernesto war ein Jahr älter, doch schon mit drei Jahren hatte Hilario ihn an Kraft und Größe überflügelt. Hilario war der Zweitgeborene, dann kamen noch Jesús, Gabrielo und das Nesthäkchen Michaela. Noch bevor Hilario vier Jahre alt war, war er der unbestrittene Chef der Brüder. Sollte einer der Brüder einen seiner Streiche bei den Eltern verpetzen, so konnte der sicher sein, dass Hilario ein Lieblingsspielzeug mit Feuerzeugbenzin übergoss und anzündete oder ein Kleidungsstück zerschnitt oder einen Gegenstand wie Buntstifte oder bunte Kreide im heißen Küchenofen mit Knete zu einem Kunstwerk brannte. Die Prügel, die ihm dieses Treiben zuweilen eintrug, nahm er mit stoischer Gelassenheit hin. Ihm war einfach nicht beizukommen. Mutter Gabriela versuchte, die Züchtigung zu beenden oder zu unterbrechen. Aber das machte den Vater, Mari-José, noch wütender. Für die Fürsprache bei dem Vater liebte Hilario seine Mutter inbrünstig. Er hatte eine behütete Kindheit, geborgen in der Liebe seiner Mutter, die immer sagte, dass ihr Hilario für Großes bestimmt sei.

Als Hilario in die Schule kam, entwickelte er schon bald die Eigenschaften, die ihn dann später bei seinem Aufstieg durch die Parteiränge so gut zustatten kamen. Er war der Geschickteste im Abschreiben. Seine Größe half ihm, im Abschreiben wirkliche Meisterschaft zu entwickeln. Die Klassenräume in der Schule im Zentrum vom Castillo de Alcud waren klein, die Bänke standen dicht beieinander. Hilario konnte zwei Plätze nach links, zwei Plätze nach rechts und zwei Vorderreihen lesen. Aber wehe, ein Mitschüler hätte ihm mit dem Arm oder einem Heft den Einblick verwehrt. Hilario vergab nicht und er vergaß nicht. Ein paar Wochen oder sogar Monate später war die Tasche des Übeltäters mit Schwefelsäure verätzt und alle wussten Bescheid. Niemand sagte etwas, die Angst vor Hilario war für die Mitschüler die Wirklichkeit, in der sie lebten. Hilario war der King in seiner Klasse. Er war der Größte, er überragte alle anderen um Haupteslänge. Vor allem war er unerbittlich und unbedenklich.

Ernesto Herrero, Sohn eines betuchten Gewürzkaufmanns war scharfzüngig, redegewandt und intelligent. Er war zwar viel kleiner als Hilario, aber drahtig und geschickt. Er stellte für Hilario die einzige ernstzunehmende Herausforderung in der Klassenführung dar. Jedes Jahr zur Schulfeier fand auch ein Seifenkistenrennen statt, den Col de Hierro hinab. Ziel waren die Stufen der Kathedrale. In diesem Rennen verunglückte Ernesto schwer. Er erlitt einen Schädelbruch. Er fehlte über acht Monate aus der Schule.

Danach war er nicht mehr der alte Ernesto. Er war in sich gekehrt und hatte manchmal Gedächtnisprobleme. Die Untersuchung der Seifenkiste zeigte, dass an beiden Vorderrädern die Sperrsplinte entfernt worden waren, sodass zwangsläufig das eine oder andere Rad von der Achse springen musste. Es wurde nie geklärt, wer die Splinte herausgezogen hatte.

Eleonora de Carrerita

Eleonora de Carrerita wurde in der Kleinstadt Catral geboren, die in den Bergen der Sierra Blanca liegt. Catral war eine Gründung der Amalgamated Fruit Company Ltd. Die AFCO besaß in Catral Wohnungen, Bank, Läden, Apotheke und so weiter. Die für einen Hungerlohn schuftenden Campesinos mussten dort ihre Einkäufe machen. Wenn sie wegen der hohen Preise aufmucken, wurde ihnen gekündigt. Ganz Renitente bekamen dann schon einmal Besuch von dem Sicherheitspersonal der Company, wie sie dort genannt wurde. Die Sicherheitsleute waren Baseballfans, denn sie führten hoch polierte Baseballschläger in der Hand und einen Colt, Typ Peacemaker im Gürtel. Nach dem Besuch waren mal Arme, mal Beine gebrochen oder der Besuchte verschwand ganz von der Bildfläche. Dann machten sich die Angehörigen und Freunde auf in die Barranco del Morte, in die Todesschlucht. Die Angehörigen und ihre Freunde mussten sich die Hänge hinab abseilen, um die Leiche des Vaters oder Bruders zu bergen oder das zu holen, was von ihren Angehörigen noch übrig war. Der Weg zum Barranco war weit. Nur am Wochenende hatte man die Zeit, dort hinzugehen. In der Zwischenzeit hatten Füchse und Geier ihre Arbeit getan.

Der Amalgamated Fruit Company gehörten riesige Plantagen für Zitrusfrüchte, Aprikosen und Bananen, insgesamt hatten sie dort fast 87 Quadratkilometer Land gerodet. Das klare Quellwasser kam aus der Sierra Blanca und wurde direkt in die Plantagen geleitet. Unterhalb der Felder wurde dann das Wasser in Gräben aufgefangen und lief über offene Kanäle in die Brunnen von Catral. So war alles auf das Schönste geregelt, ein Schulbeispiel, wie Gewinnmaximierung funktioniert. Die Behausungen in Catral waren Lehmbauten, ohne Fenster, Wasser oder WC. Aber immerhin boten sie einen Überlebenshort, der von der AFCO gestellt wurde. Diese wies dann auch in ihren Aktionärsbroschüren auf das außerordentliche soziale Engagement der Company hin. Die Vormänner und Ingenieure hatten bessere Häuser. Da gab es Fenster, Strom, Wasser und WC. In einem dieser Häuser wuchs Eleonora auf, denn ihr Vater, Ernesto, war Ingenieur bei AFCO. Ihre Mutter war fromm und engagierte sich bei den diakonischen Aktivitäten der Kirchengemeinde von San Bertolo. Da hatte die kleine Eleonora bis zu ihrem fünften Lebensjahr ein unbeschwertes Leben. Sie strolchte mit den Campesinokindern barfuß durch Catral und hatte viel Spaß in ihrem jungen Leben. Sie war bei allen beliebt, sie hatte zu allem eine positive Einstellung, sie weinte nicht, selbst in misslichen Situationen hatte sie ein Lächeln auf den Lippen. Vor allem aber wurde ihr blondes Haar bewundert, ein Erbe der Großeltern, die ursprünglich aus Schweden stammten. Das alles änderte sich, als plötzlich in den Feldern Schüsse peitschten, in der Schule wurde ein Notlazarett eingerichtet und ganz Catral war voll von Lastwagen und Regierungssoldaten. In diesem Lazarett arbeitete Eleonora mit ihrer Mutter. Sie versorgten die Verwundeten so gut sie konnten, gaben die Mahlzeiten und Medikamente aus. Obwohl Eleonora noch ein Kind war, stand sie ihren Mann und die Verwundeten nannten sie liebevoll Noralita.

Dann eines Tages gab es Gerüchte, Catral sei nicht zu halten, die Aufständischen würden in Kürze einmarschieren. Man sagte, die Rebellen würden die Bosse und Aufseher der AFCO festnehmen und erschießen. Noralitas Eltern beschlossen, am nächsten Morgen in die Hauptstadt zu fliehen. In der Nacht aber zogen die Regierungstruppen durch Catral und durchsiebten die Reifen jedes noch brauchbaren Autos. Im Morgengrauen hörten die Schüsse auf. Da alle Busse unbrauchbar mit zerschossenen Reifen am Wegrand standen, machte sich Familie de Carrerita zu Fuß mit einem kleinen Handkarren auf den Weg in die Hauptstadt. Sie mieden die Hauptstraßen. Über Bergwege, durch Schluchten und Bäche kamen sie nur langsam voran. Zwei Wochen dauerte die Reise, wobei sie sowohl den Regierungstruppen, wie auch den Rebellen aus dem Wege gehen mussten. Die de Carreritas hatten in Marageña City keine Verwandten oder Bekannten. Sie mieteten sich in einer kleinen Pension in einem Zimmer ein. Am nächsten Morgen machte sich Vater Ernesto auf, das Büro der AFCO in der Avenida del Presidente aufzusuchen. In der Stadt war viel Militär, Panzer standen an den Kreuzungspunkten. Ernesto kaufte sich die Tageszeitung El Tiempo, um zu erfahren, was wirklich im Lande geschehen war. Die Schlagzeilen galten der Kuba-Krise. Dann gab es ein Interview mit dem amtierenden amerikanischen Vizepräsidenten Lyndon Johnson, der eine sofortige 'Polizeiaktion' in Marageña gegen die Rebellen forderte, um die Sicherheit der USA und die Rechte der AFCO zu wahren. "We don`t need bloody Communists on our doorstep." sagte er wörtlich im Interview mit Reuter. Im gleichen Interview machte sich Lyndon große Sorgen um die Sicherheit der amerikanischer Bürger und deren Investitionen in Marageña. "Wir müssen die Rechte Amerikas mit allen zu Gebote stehenden Mitteln verteidigen," so ein direktes Zitat. Doch die Kubakrise war das beherrschende Thema und die amerikanische Politik und die Medien hatten glücklicherweise keine Zeit für Marageña.

Ernesto war auf der Avenida del Presidente angekommen. Das Bürogebäude der AFCO und die Zentrale, der ExxonMobil auf der anderen Straßenseite, ragten wie zwei gläserne Zitadellen aus dem eher bescheidenen Ambiente der Hauptstadt empor. Nur der neubarocke Präsidentenpalast am Ende der Avenida ergab einen exotischen Kontrapunkt. Zwei Panzer standen vor dem Palast die Kanonen die Avenida entlang auf das Stadtzentrum gerichtet. Ernesto überquerte die Avenida und ging in das Gebäude der AFCO hinein. Der Pförtner saß in einer kugelsicheren Glaskammer.

Ernesto fragte nach seinem Chef. Der Pförtner zuckte mit den Achseln. "Alle Vögel ausgeflogen! Seit vorgestern ist hier niemand mehr aufgetaucht. Warten Sie ab, bis sich die Lage geklärt hat." Mit diesem guten Ratschlag machte sich Ernesto auf den Weg zurück in die Pension. Dort gab es beunruhigende Nachrichten. El Honorado, "der Honorige", wie Victor Carabellas, der Führer der Aufständischen genannt wurde, befände sich auf dem Marsch auf die Hauptstadt zu. Der Widerstand der Regierungstruppen sei nur noch spärlich. Dann kam der Krieg in die Stadt. Lautsprecherwagen zogen durch die Stadt, die Elitetruppen der Regierung waren entschlossen, den Präsidentenpalast mit allen Mitteln zu verteidigen. In den Straßen wurde gekämpft. Überall lagen Tote und Verletzte. Dann war alles vorbei. El Presidente hatte das Land verlassen, die Regierungstruppen ergaben sich oder die Soldaten zogen die Uniformen aus und gingen zurück in ihre Dörfer. Als Erstes ließ El Honorado Lautsprecherwagen durch die Stadt fahren, in denen Freiwillige für Aufräumarbeiten, für die Hospitäler uns so weiter gesucht wurden. Eleonora und ihre Mutter meldeten sich bei einer Sammelstelle und begannen ihren Dienst im Hospital Tres Croces. Tres Croces war eines der besseren Krankenhäuser, das von Benediktinerinnen geführt wurde. Schwester Oberin, die Direktorin, duldete keinen Schmutz und keine Soldaten auf ihrem Gelände. Als früher einmal die Truppen von El Presidente in das Krankenhaus eindringen wollten, um einen Dissidenten zu verhaften, versperrte sie den Eingang mit ihren Nonnen, die sich fest untergehakt hatten. Sie selbst stand an der Spitze. Dem Kommandanten blieb die Alternative entweder die Oberin und ihre Nonnen auf die Bajonette zu nehmen oder abzuziehen. Der Commandante fürchtete den Skandal und zog mit seinen Soldaten ab. In diesem Krankenhaus, unter strenger Leitung und Disziplin arbeitete Eleonora mit den Kranken und Verwundeten. Auch hier war es kein Wunder, dass sie bald der Engel von Tres Croces genannt wurde.

Victor Carabellas

Victor Carabellas, genannt El Honorado, war das dritte Kind reicher Eltern. Schon im Säuglingsalter schien es, dass seine Mutter wenig Lust hatte, sich mit der Erziehung und Pflege eines Kindes abzugeben. Der Vater hatte sowieso keine Interessen für die Familie, da er die meiste freie Zeit mit seinen diversen Maitressen verbrachte. So war es für die Eltern eine Erleichterung als Victor mit zehn Jahren in ein Schweizer Internat nach Genf geschickt wurde. Die Besuche bei seinen Eltern in den Schulferien waren zuerst noch herzlich, kühlten aber im Laufe der Jahre immer mehr ab. Er war von seinen Eltern, seiner Heimat, seinen Wurzeln abgeschnitten. Der Junge war sehr begabt. Er schloss die Schule in Genf mit Auszeichnung ab. Als weiterführende Ausbildung hatte er sich für die Militärlaufbahn entschieden und sich an der Akademie von Sandhurst beworben. Zu seinem eigenen Erstaunen wurde er zu einem Bewerbungsgespräch eingeladen und dann tatsächlich zugelassen. Da er groß und sehr athletisch war, hatte er Freude an der Ausbildung. Die Strapazen, der militärische Schliff und die Bosheiten der Ausbilder machten ihm nichts aus. In kurzer Zeit stieg sein Ansehen unter den Ausbildern und den Kameraden. Er war gleichmäßig freundlich zu allen. Kam es einmal zu Handgreiflichkeiten, dann war er selten der Verlierer. Sandhurst ist eine der führenden Militärakademien der Welt. Dort stehen den Kadetten hervorragende Lehrer zur Verfügung. Sie unterrichteten in Philosophie und Strategie, in Volks- und Weltwirtschaft, Physik und Sabotage, in Chemie und Guerillataktik, in Nachrichtentechnik und Elektronik, kurz, Sandhurst ist viel mehr als eine Militärakademie, es bietet seinen Zöglingen eine der besten Universalausbildungen auf der ganzen Welt.

Victor hatte sich in seiner Zeit in Sandhurst eine eigene Staatsphilosophie zurechtgelegt und er war fest entschlossen diese Philosophie in seiner Heimat umzusetzen. Als er Sandhurst mit Auszeichnung verließ blickte er auf die schönste Zeit seines Lebens zurück, Kameradschaft, Mädchen, Saufgelage aber auch Studium und philosophische Gespräche. Sein Vater, der den Generalimport der Volkswagen AG in Marageña hatte, wollte ihn anschließend zu einem Praktikum nach Wolfsburg schicken. Victor sträubte sich. Er sah seine Berufung als Politiker und Erneuerer Marageñas. Zurück in der Heimat schloss er sich der PSP, Partida Social Progressivo an. Die PSP war eine kleine mittelinks Partei, die mit der Kommunistischen Partei seit 15 Jahren in der Opposition war. Schon nach wenigen Jahren wurde Victor zum Parteivorsitzenden gewählt.

Während dieser Tätigkeit konnte er nützliche Erfahrungen mit der real existierenden Staatsmacht und den Gefängnissen von El Presidente sammeln. Die Parlamentswahlen wurden stets so manipuliert, dass Wahlsiege von siebzig bis achtzig Prozent für die Groupo Progressivo entstanden. Die GP hatte seit der Machtübernahme des jetzigen Präsidenten die Privilegien der herrschenden Klasse zementiert und sich mit den amerikanischen Investoren, wie General Electric, ExxonMobil oder AFCO bestens arrangiert. Das Motto dieser Entente: "eine Hand wäscht die andere". Wahlund Bestechungsgelder flossen üppig von Seiten der Industrie. Schließlich war es ja das Geld der normalen Bürger, das da in die Taschen der Nomenklatura umverteilt wurde. Victor wollte das alles ändern. Er wusste, dass das nicht einfach sein würde. Er hatte die Geschichte des Nahen Ostens studiert und das Schicksal Guatemalas und der Regierung Mossadec im Iran war ihm gut bekannt. Mossadec war Ministerpräsident des ersten aus freien Wahlen hervorgegangenen Parlamentes im Iran. Der Iran musste sein gefördertes Öl an die Anglo Iranian Oil Company liefern, die zu hundert Prozent der BP, British Petroleum gehörte. Fünfzehn Prozent eines fiktiven und von den Engländern willkürlich festgesetzten Barrelpreises flossen als Provision an den Iran zurück. Dies war der Status eines Kolonialstaates. Mossadec wollte das ändern und verstaatlichte die Ölquellen. Als Kompensation bot er BP den zehnfachen Steuerwert der Anlagen an. Daraufhin, im Dezember 1952, kontaktierte der MI6 seinen amerikanischen Gegenpart, um den unbequemen Mossadec loszuwerden. Zunächst aber blockierte Präsident Truman die CIA, die den Staatsstreich federführend im Iran planen sollte. Dann aber, nach der Wahl des neuen Präsidenten Eisenhower in den USA , wendete sich das Blatt.

Die Öllobby hatte dem neuen Mann im Weißen Haus klargemacht, dass die USA mindestens die Hälfte der Ölquellen schlucken könnten. Vorausschauend bewilligte Allen W. Dulles am 4. April 1953 eine Million Dollar, die benutzt werden sollten: "in any way that would bring the fall of Mossadec." um Mossadec zu stürzen. Die Presse im Iran und anderswo wurde bestochen, um Mossadec zu diskreditieren. Associated Press in New York spielte in dieser Campagne eine sehr unehrenhafte Rolle, indem die Redakteure Nachrichten in die Welt setzten, die frei erfunden waren.

Diese erfundenen Schauergeschichten verunsicherten die iranische Bevölkerung so sehr, dass die kommunistische TUDEH-Partei Morgenluft witterte und im Lande aktiv wurde. Auf Zypern hatten MI6 und CIA ein Zusammentreffen. Das einzige Thema: Wie kann Mossadec gestürzt werden? Eisenhower wurde, wurde vorgegaukelt, man hätte im Iran nur die Wahl zwischen dem Fall Mossadecs und dem Verlust der Ölquellen. Außerdem würde der Iran unter Mossadec an die Kommunisten fallen. Das war eine der typischen Lügengeschichten, die unter der Oberaufsicht des CIA in die Welt gesetzt wurden. Dazu wurde ein streng geheimes Dossier erstellt, das sich auf keinen einzigen Beweis stützen konnte. Das an den Haaren herbeigezogene Dossier wurde, mit allerlei schönen Graphiken verziert, dem Präsidenten auf den Schreibtisch gelegt. Die Informationen, die der CIA über Mossadec zusammengetragen hatte, waren so abstrus, dass man sich die Brüder Grimm sehr gut als Autoren hätte vorstellen können. Mossadec war nicht nur der erste demokratisch gewählte Premier des Iran, er war auch ein hoher Adliger. Er war der Fürst von Bachtiar, Kommunismus kam bei ihm nicht vor. Eisenhauer gab dann General H. Norman Schwarzkopf, dem Vater des Armeegenerals im Golfkrieg, den Auftrag, die Campagne gegen Mossadec einzuleiten. In einem Staatsstreich angeführt durch und mit Hilfe der CIA und MI6 putschte der Schah-in-Schah Reza Pahlewi mit dem Militär und setzte den Ministerpräsidenten ab. Daraufhin erhob sich in und um Teheran ein Volksaufstand gegen den Schah und die CIA. Vierzigtausend Menschen hatten sich friedlich versammelt, um gegen Schah Reza und seine amerikanischen Helfershelfer zu demonstrieren. Die Demonstration wurde in einem der größten Blutbäder der neueren Geschichte vor dem Bagh-e-Melli Tor niedergeschlagen. Die Menschen waren unbewaffnet, als die Armee des Schahs das Feuer eröffnete. Die Blutorgie war so ungeheuerlich, dass das Blut die Gossen entlang in die Abwassergullys floss. Es spricht nicht für eine unabhängige Presse, dass in den westlichen Medien praktisch nur die US-Lügengeschichten verbreitet wurden.

Victor hatte die Geschichte genau studiert. Entgegen aller schönen Reden von Demokratie und Menschenrechten hatte er gelernt, dass Engländer und Amerikaner auch mit dem Teufel paktierten, wenn ihre wirtschaftlichen Interessen auf dem Spiel standen. Demokratie war nur dann, wenn sie den geopolitischen Interessen der USA nicht im Wege standen, und seltsamerweise wurde das Blutbad und die Vorgänge um den Putsch des Schahs von der westlichen Presse praktisch totgeschwiegen. Man fragt sich, wie würde der Iran heute aussehen, wenn die Engländer und Amerikaner der gewählten demokratischen Regierung eine Chance gegeben hätten.

Victor war sich der Tatsachen der US-amerikanischen Realpolitik bewusst, als er im Parteibüro mit seinen beiden engsten Mitarbeitern Kriegsrat hielt.

"Wir müssen den Einfluss der Amerikaner einschränken", sagte er zu José Capra seinem Wirtschaftsfachmann, "aber wir müssen sehr vorsichtig vorgehen, damit es kein Debakel gibt, wie im Iran oder Guatemala. Zuerst muss eine funktionierende Demokratie stehen, die weltweit anerkannt wird. Dann ergibt sich alles wie von selbst." Benedicto Carreras, der innenpolitische Experte sagte: "Wir haben auch ein Sicherheitsproblem, niemand kann sicher sein, dass uns die Amerikaner nicht abhören. Wenn wir an Bedeutung gewinnen, werden sie versuchen, unsere Administration zu infiltrieren, ich werde ein Konzept ausarbeiten, damit wir sichere Gespräche führen können." Victor zog die Augenbrauen hoch. Offensichtlich gefiel ihm die Idee von Korruption in seiner Beamtenschaft nicht. Nach einer Weile sah er Benedicto an.

"Ich glaube nicht, dass man unsere Leute so ohne weiteres kaufen kann."

"Lieber Victor, bitte höre auf, an das Gute im Menschen zu glauben. Man kann fast jeden kaufen. Die Amis haben damit große Erfahrung. Immer wieder fallen Leute auf sie herein."

"Du kannst da recht haben," gab Victor zu. Die Runde diskutierte den Schlachtplan für die Machtergreifung in Marageña. "Wir müssen eine Armee aufstellen, hoch geschult, motiviert, dann werden die Soldaten von El Presidente massenweise zu uns überlaufen. Ich werde im Parlament einige Reden halten, damit das Volk weiß, was wir wollen und hinter uns steht." "Das kann aber auch eine Eintrittskarte ins Gefängnis sein," warf Benedicto ein. "Zugegeben, die Gefahr besteht. Aber wir müssen an die Öffentlichkeit gehen, sonst nimmt uns keiner wahr. An der Grenze kleine Scharmützel mit den Regierungstruppen auszutragen, bringt uns nicht weiter. Wir müssen uns Verbündete holen, wo wir sie finden."

Die Verbindungen zu den Rebellen In Ecuador waren schon geknüpft, sie richten zur Zeit neue Trainingscamps für unsere Leute ein. In den Bergdörfern rekrutierten wir gezielt kräftige Campesinos, um sie zu Soldaten auszubilden. Victor reiste nach Hongkong, um sich dort mit Vertretern der Regierung der UdSSR zu treffen. Mit südamerikanischem Charme und einem profunden Wissen konnte er die die vorsichtigen Herren aus dem Kreml überzeugen, dass er der kommende Mann in Marageña sei. Als er zurück kam, hatte er diverse Bankschecks in der Tasche und seine Guerilla-Armee finanziert. Es zeugt von Victors Umsicht und Vorsicht, dass der nicht unbeträchtliche Geheimdienst von El Presidente von all dem nichts mitbekam. Auch der CIA hatte nichts bemerkt. Nur der MI6 in Hongkong registrierte die Begegnung. Der diensthabende Offizier in der britischen Verwaltung maß der Begegnung keine besondere Bedeutung bei und gab die Information auf dem normalen Dienstweg weiter. Hier versandete sie im Archiv.

Im Parlament hielt Victor eine flammende Rede an das Volk und gab hinterher im Fernsehen ein dreißigminütiges Interview. Der Präsident schäumte, es wurde beschlossen, den Abtrünnigen, und seine ganze Familie und die Vertrauten im Morgengrauen zu verhaften. Der Palast war in heller Aufregung. Auf dem Schreibtisch lag ein Abdruck der Rede und des Interviews. Gedruckt war alles noch schlimmer als in der Rede. Doch als die Schergen anrückten, war das Nest leer. Victor, Victors Vater, seine Berater samt Familien waren verschwunden. Mit einer Hercules waren sie noch vor Mitternacht gestartet und in das neue Hauptquartier in die Grenzregion gebracht worden. Mit kräftiger Unterstützung von Moskau und Havanna stärkte er nach und nach seinen Einfluss in der Grenzregion. Er richtete Schulen und Hospitäler für die Campesinos ein, er schuf soziale Einrichtungen, die sich um die alten Menschen kümmerte. Er rief Freiwillige aus dem Ausland zu Hilfe. Je mehr Ausländer, desto besser. Er gab Fernsehinterviews, in denen er die Korruption des gegenwärtigen Regimes anprangerte. Ab und zu schickte El Presidente Truppen in die Region, um Viktor und seine Leute abzustrafen. Er und seine Rebellen waren nicht zu finden. Aus Wut darüber wurde gefoltert, Schulen und Krankenhäuser zerstört. Es war klar, dass die Menschen der Region den Diktator hassten. Eben sosehr fürchteten sie seine Truppen und seine Rache. Doch ganz allmählich kam es zu einem Stimmungsumschwung im Lande. Es wurde offenbar, dass El Presidente die Lage nicht mehr im Griff hatte. Viele Soldaten in der Grenzregion liefen zu Victors Truppen über. Der Schwung der Rebellen nahm zu. Bald liefen ganze Regimenter über. Die Zeit war reif zum Sturm auf Marageña.

Michael Singh

Vom ersten Tag an unterrichtete Deirde Michael im Schreiben, Lesen, Rechnen, Erdkunde und Akrobatik. Die Zirkuskunst stand im Vordergrund. Um sechs Uhr in der Frühe stand die Gruppe auf. Dann gab es ein gemeinsames Frühstück mit Fladen, Spiegeleiern mit Speck und vielen Früchten. Um halb sieben Zirkuskunst. Zuerst Dehnübungen, die scheußlich schmerzten. Eine Stunde lang, eine Ewigkeit. Er dachte schon Indra würde ihn auseinander reißen. Dann Krafttraining. Er musste an einem Seil hoch bis unter die Zirkuskuppel. Er hatte Angst vor der Höhe und musste beim Klettern die Beine zu Hilfe nehmen. Dann langsam konnte er einen Meter nur mit den Armen und Händen, dann zwei Meter. Schließlich hatte er es geschafft, mit Händen und Armen bis unter die Zirkuskuppel zu hangeln. Danach musste er aufs Trampolin. So ging es, bis der Tag der Abreise nach Amerika kam. Alle waren sehr aufgeregt. Indra, der schon mit einer anderen Gruppe zweimal dort war, erzählte Wundergeschichten von dem Land mit den vielen Autos, den Casinos und dem Zirkus Ringling. Obwohl die Gruppe aus Geldgründen im Zwischendeck kampierte, erhaschte Michael doch einige Blicke in die Erste Klasse. Was er dort sah, erschien ihm so märchenhaft, so unwirklich, dass er meinte zu träumen. Er nahm sich vor, später, wenn er groß war, auch ein solcher Herr zu werden, der in der ersten Schiffsklasse reisen durfte. Deirde erzählte ihm unterwegs, dass er in Amerika mit der Truppe auftreten dürfe.

Nach einer Saison in den USA wurde ein neuer Zirkus zusammengestellt, der dann durch Süd- und Mittelamerika reisen sollte. Eine der Hauptattraktionen war die Truppe Magic Saltos mit einem elfjährigen Jungen, der einen vierfachen Salto auf drei Untermänner wagte. Das hatte es noch nie gegeben. Die Tournee dauerte drei Jahre. Michael lernte Spanisch, Portugiesisch und Englisch. Er sprach jetzt fünf Sprachen perfekt. Er war ungeheuer neugierig auf alles, vor allem interessierten ihn die Zusammenhänge. Wissbegierig kaufte er sich in allen Städten eine Bibliothek zusammen, die am Ende so groß war, dass er sie nicht mehr mitnehmen konnte und bei einer internationalen Spedition einlagern musste. Dann kam der Zirkus zurück nach Amerika und gab seine erste Vorstellung in San Francisco.

San Francisco war der Höhepunkt der Saison, denn nach der großen Eröffnungsgala gab D.D. Manconi, genannt Deedee, einen großen Empfang für das gesamte Zirkuspersonal. Deedee´s Mutter stammte aus einer italienischen Zirkusfamilie und hatte eine Solonummer als Jongleurin. Den Vater hatte Deedee, der eigentlich Davivo Dragono hieß, nie kennen gelernt. Auch auf seine Fragen, bekam er von seiner Mutter keine Auskunft. Später hörte er dann, dass der Vater ein weltberühmter Hochseilartist war, bis er so unglücklich auf die Sicherheitsnetzkante stürzte, dass er an den Folgen starb. Von seiner Mutter erlernte Deedee das Jonglieren. Mit 16 trennte er sich von seiner Mutter, da ein Jongleurdoppel schwer zu verkaufen war. Er hatte eine besonders schöne Solonummer aufgebaut und wurde gern engagiert. Er zog mit allen möglichen Unternehmen durch die Welt. Mit 20 überhörte er ein Telefonat, das der berühmte John Ringling North mit seinem Broker führte. Deedee nahm ein Taxi zu seiner Bank, hob sein Gespartes ab und investierte es in die Aktien, von denen Ringling North gesprochen hatte. Die Firma Star-Oil, deren Aktien er erworben hatte, war praktisch pleite. Sie hatte sich bei Ölexplorationen in Venezuela verspekuliert. In den Gegenden, in denen Star-Oil nach Öl suchte, waren bereits über einhundertfünfzig Bohrungen ohne Erfolg niedergebracht worden. An einem der folgenden Tage sollte das Insolvenzverfahren eröffnet werden. Die Aktie hatte mit 25 Cent ihren Tiefstand erreicht. Mit seinem Ersparten konnte Deedee genau elfttausendzweihundert Aktien kaufen. Der Mann in der Bank warnte ihn dringend vor dem Kauf. Aber Deedee hatte gehört, was er gehört hatte. Vier Wochen später war er fünffacher Millionär. Star-Oil hatte in letzter Sekunde eine der ergiebigsten Vorkommen in Venezuela angebohrt.

Die Aktie stieg innerhalb eines Monats auf ihren Höchststand von 448 Dollar. Deedee verkaufte zum richtigen Zeitpunkt und konnte beinahe 4,5 Millionen netto behalten. Das war das Ende seiner Karriere als Jongleur. Er kaufte sich in eine Immobilienfirma ein und wurde der erfolgreichste Immobilienhändler in San Francisco mit zahlreichen Filialen in den Metropolen Nordamerikas. Seinen Ursprung im Zirkus feierte er jedes Jahr mit einem Empfang auf seiner Ranch anlässlich der Eröffnungsvorstellung eines Zirkus in der Stadt. Nach der Premierenvorstellung übernahm ein Sicherheitsdienst die Aufsicht und alle Beteiligten, vom Tierpfleger bis zur Kassenfrau wurden in Busse geladen und zu der Ranch verfrachtet. Es war ein rauschendes Barbecuefest mit Lampions, Musik, zahlreichen Buffets. Der Duft von Gebratenem und Holzkohle mischte sich mit den intensiven Düften der Blumen, mit denen man reichlich dekoriert hatte. Dazu kamen dann noch die exotischen Düfte, die die Damen ausströmten. Die Duftmelange ergab ein Nasenambiente wie in einer Chemiefabrik. Whisky, Whiskey, Brandy und Mixgetränke flossen in Strömen. Michael bevorzugte Perrier. Er hatte einmal mit elf Jahren über den Durst getrunken und befand sich am nächsten Tag in einem abscheulichen Zustand. Er hatte beschlossen, diesen Zustand nie mehr herbeizuführen.

"Unsere Arbeit und Alkohol vertragen sich nicht," sagte Indra als er ihm damals im Wohnwagen eine kalte Kompresse auf die Stirn legte. Von da an hielt sich Michael an diese Regel, obwohl ihm das oft schwer gemacht wurde. Er wurde Memme und Spielverderber genannt. Es war ihm unklar, welches Spiel er eigentlich verderben sollte. Er war vor einem Monat vierzehn geworden, sah aber aus wie siebzehn. Er ging an das Buffet. Er hatte gesehen, dass viele Gäste kleine schwarze Körner aus einer Dose auf gebutterten Toast beförderten. Das musste eine Delikatesse sein. Als er den Toast in den Mund schob, sprach ihn ein riesenhafter Herr mit krausem Haar und ebensolchem krausen Bart an: "du weißt ja schon, was gut ist." Er schmunzelte Michael an, wobei seine Augen fast in den Wangen verschwanden, "du kannst mich Deedee nennen, wie heißt denn du?" Bei dem Namen Deedee fiel Michael der Toast fast aus dem Mund. "Ich bin Michael," antwortete er, nachdem die Schrecksekunde vorbei war. "Du arbeitest mit den Magic Saltos, habe ich Recht?“ brummte der Riese. Michael nickte. "Ich war auch einmal beim Zirkus, Jongleur. Ich bin bei den Ringling Brothers, bei Campello, Barnum &Baily und in Las Vegas aufgetreten. Daher interessieren mich immer noch Leben im Zirkus und seine Menschen. Gefällt dir Deine Arbeit?" Michael war über die Freundlichkeit des berühmten Mannes verwundert. Dass er gerade ihn, als jüngstes Mitglied der Truppe als Gesprächspartner ausgesucht hatte konnte er nicht begreifen. "Komm," sagte Deedee, "wir laden uns unsere Teller voll und setzen uns da in die Ecke, so können wir ein wenig über den Zirkus plaudern." Deedee erzählte Michael seine ganze Geschichte, wie er durch einen Zufall den Zirkus verlassen hatte und ein reicher Mann geworden war. Er erzählte ihm lange von seiner Frau, die er vor vier Jahren durch einen Verkehrsunfall verloren hatte und dass es ihm schien, als habe das Leben seinen Sinn verloren. Kinder hatte er nicht. Sie hatten keine Kinder bekommen können, da er unfruchtbar war. Danach berichtete Michael von seinem Leben und seinem ersten Engagement bei Ringling Bros. In einem Monat, im April fing die Arbeit wieder an. Der Zirkus hatte eine neue, halbjährige Tournee zusammengestellt.

"Habt ihr danach schon ein neues Engagement?" fragte Deedee. "Ja, im Juni nächsten Jahres im brasilianischen Zirkus Coreno. Wir sind für eine Tournee durch Mittel- und Südamerika gebucht. In der Zwischenzeit wollen wir in Acapulco Urlaub machen."

"Wer ist denn euer Chef?"

"Der heißt Indra", antwortete Michael.

"Na dann wollen wir den mal begrüßen. du musst mir jetzt helfen, ihn zu finden." Er nahm Michael an der Hand. Nach einigem Umherstreifen in der Masse der Leute deutete Michael: "Dort ist er, bei der Band." Sie gingen hin und Michael machte Deedee und Indra bekannt. Indra war ebenso beeindruckt, wie es Michael vorher gewesen war. Sie unterhielten sich ein wenig. Dann sagte Deedee zu Indra: "Michael hat mir gesagt, dass ihr einen Monat Urlaub in Mexico machen wollt. Wie wäre es, wenn ihr umdisponiert und diese Zeit hier auf meiner Ranch verbringen würdet, alles inklusive. Ich habe sogar einen Gymnastiksaal, der keine Wünsche offen lässt?"

"Das können wir nicht annehmen,Herr Manconi," lehnte Indra höflich ab. "Bitte nennt mich Deedee, wie alle anderen. Im Übrigen, wenn ihr bei mir seid, habe ich Gesellschaft und Ihr spart eine Stange Geld."

Die Truppe wurde zusammengetrommelt. Nach kurzer Diskussion stimmten alle dem Vorschlag zu. Man verabredete, noch zu einem Treffen zum Ende des Gastspiels in San Francisco zusammen zukommen. Unterdessen war es schon nach drei Uhr in der Nacht. Deedee hielt noch eine kleine Abschiedsrede, dann wurden die Zirkusleute in die Busse verfrachtet und in ihre Wohnwagen zurückgebracht.

Das verabredete Treffen konnte Deedee nicht einhalten. Aber er schickte ein Fax an die Magic Saltos: "Liebe Saltos,

erwarte Euch alle für schöne Urlaubstage auf meiner Ranch. Zwei Tage vorher erwarte ich Euer Telefonat. Deedee."

Am dritten Mai in der Frühe wurden sie auf der Ranch herzlich empfangen. Deedee wartete mit seinem Verwalter und einem Helfer. Nach der Begrüßung sagte er: "John zeigt euch jetzt die Zimmer, dann macht ihr euch frisch. Um elf Uhr dreißig ist Brunch, danach zeige ich euch die Ranch. Bis dahin habe ich noch zu tun. Wir sehen uns beim Essen." Drehte sich um und verschwand im Haus.

"Das dürft ihr nicht krumm nehmen," sagte der Verwalter, "der Chef ist eben so. Sehr direkt, aber ein Herz aus Gold. Ich zeige euch jetzt die Zimmer, ich gehe voraus." Er ging über die Treppe in den ersten Stock. "Dieser Flügel des Obergeschosses ist nur für Gäste. Wir haben 19 Doppel-, zwei Einzelzimmer und 23 Bäder. Michael bekommt ein Einzelzimmer." Er überreichte uns die Schlüssel. Die Zimmer waren alle im Countrystyle mit Pinienholzmöbeln eingerichtet. Michaels ›Einzelzimmer‹ war etwa 20 Quadratmeter groß, mit Massagedusche und einer altmodischen gusseisernen Wanne, in der bequem zwei Menschen zusammen baden konnten. Auch das Bett war für seine Begriffe riesig. Er war gespannt, wie die Doppelzimmer aussehen würden. Zunächst aber ließ er sich Wasser in die Wanne laufen, nahm eine Packung Badesalz vom Regal und legte sich bis zum Hals ins duftende Wasser. Der Duft, das warme Wasser und seine Müdigkeit verfehlten die Wirkung nicht.

"Heij, wach auf, es ist schon elf. In einer halben Stunde müssen wir zum Brunch antreten," weckte ihn Indra. Michael war sofort wach und stieg aus der Wanne.

"So ein tolles Bad habe ich noch nie gehabt, hier kannst du bequem bis zum Kinn im Wasser sitzen."

"Mach, dass du fertig wirst und lass das Wasser raus, du riechst ja wie die Rose des Orients." Damit stürmte Indra aus dem Zimmer.

Der Brunch war klein aber perfekt. Die Gespräche kreisten um den Zirkus und Deedee erzählte aus der Zeit, in der er noch Jongleur war. Er erzählte auch, wie er zufällig das Gespräch zwischen John Ringling North und dem Broker überhört hatte und damit der Grundstein für sein Vermögen gelegt wurde. Er berichtete über seine Bekanntschaft mit Irwin Feld und seinem Sohn Kenneth, der jetzt der Alleinbesitzer von Ringling Bros. und Barnum & Bailey war.

Dann nahm er sie mit, die Farm zu besichtigen. Sie fuhren in zwei Geländewagen, Michael mit dem Verwalter. Da gab es eine riesige Molkerei für die 8500 Milchkühe der Farm. Hier sah Michael die Quelle des in USA berühmten DD-Labels, Milchprodukte ohne Antibiotika, auf Weiden ohne Pestizide.

"Wir produzieren praktisch das ganze Futter selbst. Unverseuchtes Futter ist schwer zu bekommen. Nur die Minerallecksteine werden gekauft. Wir haben drei fest angestellte Tierärzte für unsere Tiere. Zu den Kühen kommen noch 150 Pferde, fast alle Quarterhorses, ein Teil für Rennen, ein Teil als Turnierpferde," erzählte John. Die Pferde und die Ställe waren Abschluss und Höhepunkt der Rundfahrt. Deedee zeigte uns seinen ganzen Stolz. Es waren wunderbare Pferde, die in den Offenställen standen. Die Hinterhand rund mit dicken Muskelpaketen belegt, die Hufe fest und trocken, die Augen ruhig und vertrauensvoll. Dann führte der Rundgang in einen besonders großen Offenstall. „Hier stehen meine besonderen Lieblinge“, sagte er, „16 Andalusier PRE, der reinen spanischen Rasse. 10 prämierte Stuten, 6 Hengste.“ Wir gingen näher. "Ich habe meine Trainer zu Freddie Knie und Monty Roberts geschickt. Dann habe ich mir noch Manolo Oliva aus Jerez hierher geholt. Sechs Wochen lang hat er mit meinen Leuten gearbeitet". Er ging an einigen Ställen vorbei. "Roddie," rief er, "wo steckst du?"

Ein kleiner schwarzhaariger Teenager kam aus einem der Ställe. "Das ist Rodrigo Gomez, mein Cheftrainer," stellte Deedee vor. "Hier nennen ihn alle El jefe, den Chef."