Erbin der Zeit: Die Schlacht von Pyrinas - Xenia Blake - E-Book

Erbin der Zeit: Die Schlacht von Pyrinas E-Book

Xenia Blake

4,3

Beschreibung

Xaenym Davine führt ein perfektes Leben. Aber an ihrem 16. Geburtstag erfährt sie, dass alles eine Lüge war. Denn Xaenym ist keine normale Sterbliche. Ihr Vater ist der Titan Chronos. Und an den Sagen aus der griechischen Antike ist mehr dran, als sie je gedacht hätte. Bevor sie sich versieht, gerät sie in eine Welt voller Gefahren, wo Halbgötter gegen Monster kämpfen und schwierige Missionen antreten. Schon bald machen sie und ihre neuen Freunde sich auf den Weg zu einer sagenumwobenen Insel und müssen dabei zahlreichen Gefahren trotzen.

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Über die Autorin

Xenia Blake, 2000 geboren, lebt in einer Kleinstadt in Rheinland-Pfalz. Sie liebt Bücher und Kaffee über alles und kann sich kaum an eine Zeit erinnern, in der sie nicht geschrieben hätte. Schon sehr früh begann sie, an ihrem Debütroman „Erbin der Zeit: Die Schlacht von Pyrinas“ zu schreiben.

Inhaltsverzeichnis

Kapitel 1

Xaenym

Kapitel 2

Xaenym

Kapitel 3

Xaenym

Kapitel 4

Xaenym

Kapitel 5

Xaenym

Kapitel 6

Roove

Kapitel 7

Roove

Xaenym

Roove

Kapitel 8

Xaenym

Kapitel 9

Xaenym

Kapitel 10

Xaenym

Nae

Xaenym

Nae

Kapitel 11

Neffire

Xaenym

Kapitel 12

Xaenym

Sivah

Xaenym

Kapitel 13

Cryliss

Xaenym

Nae

Jannes

Heige

Ramy

Xaenym

Kapitel 14

Roove

Nae

Jannes

Heige

Nae

Ramy

Heige

Jannes

Kapitel 15

Xaenym

Nae

Xaenym

Nae

Kapitel 16

Xaenym

Jannes

Heige

Nae

Xaenym

Kapitel 17

Jannes

Heige

Cryliss

Ramy

Nae

Xaenym

Roove

Kapitel 18

Xaenym

Heige

Nae

Xaenym

Roove

Kapitel 19

Nae

Heige

Kapitel 20

Nae

Xaenym

Roove

Nae

Heige

Kapitel 21

Xaenym

Moonrise

Neffire

Xaenym

Neffire

Kapitel 22

Xaenym

Heige

Neffire

Sivah

Kapitel 23

Xaenym

Kapitel 24

Xaenym

Glossar

Kapitel 1

Xaenym

Wenn ich im letzten Jahr etwas gelernt habe, dann, dass Gefühle einerseits Stärke bedeuten, andererseits aber auch der Schwachpunkt jedes Menschen sind.

Als mich eines Morgens ein schrilles Piepen aus dem Schlaf riss, schlug ich genervt mit meinem Kissen nach dem Wecker, der mit einem Knacken den Geist aufgab. Ich hievte mich aus dem Bett und ging in mein kleines Bad, um mir dort eiskaltes Wasser ins Gesicht zu spritzen. Zwei grünbraune Augen blickten mich aus dem Spiegel an, umrahmt von rotbraunen, gewellten Haaren, die mir sanft auf die Schultern fielen. Ich lächelte. Mein Name war Xaenym Davine und mein Leben war perfekt. Mit meinen hübschen Haaren, außergewöhnlichen Augen und weichen Gesichtszügen galt ich in der Schule als das schönste Mädchen. Meine Mutter hatte viel Geld und ich hatte einen Freund, Zack, den Quarterback im Footballteam unserer Schule. 16 Jahre alt wurde ich heute, allerdings hielt sich meine Vorfreude in Grenzen. Genaugenommen gab es nur eine Sache, die ich an Geburtstagen mochte: den Teil der Geschenke, mit dem man etwas anfangen konnte. Bedauerlicher Weise war der nie besonders groß. Jedes Jahr hört man sich etliche Glückwünsche an und nimmt schreckliche Geschenke entgegen, nur um zu feiern, dass man Jahr für Jahr älter wurde.

Schnell zog ich mir ein gelbes T-Shirt sowie einen kurzen, schwarzen Rock an und schlich aus meinem Zimmer, doch ich wurde von einer heftigen Umarmung aufgehalten.

„Happy Birthday!“, rief meine Mutter Annie aufgeregt. Sie war eine außergewöhnliche Schönheit. Schwarze Locken fielen ihr bis zum Kinn und leuchtend blaue Augen ließen ihre Züge geheimnisvoll aussehen. Ein knielanger Rock schmiegte sich um ihre Beine, der gut zu ihrer zierlichen Figur passte.

Ich wurde mit geschlossenen Augen in unsere Küche geführt, wo eine schiefe, leicht verbrannte Torte, umgeben von kleinen Geschenktüten, in denen ich hauptsächlich Schmuck vorfand, auf mich wartete. Dass meine Mutter gebacken hatte, war ein Wunder. Annie trug rund um die Uhr Hosenanzüge oder schicke Blusen und lief dauernd wegen irgendwelcher Unterlagen für ihre Arbeit als Anwältin durch die Wohnung. Ich konnte mich nicht erinnern, sie jemals kochen oder backen gesehen zu haben. Mit entschuldigendem Lächeln, sagte ich, dass ich spät dran sei, um der Torte zu entkommen und rannte, weil ich nicht ganz gelogen hatte, hastig zur Bushaltestelle. Gerade so erwischte ich den uralten Schulbus, in dessen Innerem ich mich erschöpft auf einen Sitz fallen ließ. Plötzlich tauchte neben mir meine beste Freundin Catherine auf und erschreckte mich zu Tode.

„Musst du dich immer so anschleichen?“, meckerte ich.

„Schlechte Laune? Kein Problem, das hier wird dich deutlich aufheitern“, verkündete sie strahlend und reichte mir ein zerknittertes Päckchen, das ich in meine Schultasche stopfte.

„Danke. Ich öffne es später“, meinte ich, während ich einige Geschenke und Glückwünsche von ein paar Kids aus den hinteren Sitzreihen entgegennahm, die nun nach vorne schlurften und mir diese überbrachten. Natürlich hatte ich weder eine Ahnung, wer sie waren, noch wieso sie mir etwas schenkten, doch da ich ziemlich beliebt war, lief das jedes Jahr so ab. Fremde Kinder schenkten mir Nagellack, meine Freunde ebenfalls und Zack versuchte es mit Gutscheinen. Ich wusste nicht, ob er mich wirklich liebte. Unsere Beziehung beruhte eher auf der Tatsache, dass die beiden beliebtesten Leute der Schule einfach zusammen sein mussten. Aber ich mochte Zack. Ich mochte meine Freunde. Ich mochte mein Leben. Und gegen Gutscheine konnte man auch nichts einwenden.

Mit quietschenden Reifen hielt der Bus und alle Schüler drängten sich zum Ausgang. In der ersten Stunde hatte ich Mathe mit Catherine, also schlenderten wir gemeinsam zum Raum und setzten uns auf unsere Plätze. Die ganze Stunde starrte ich Löcher in die Luft und Mr. Bree, unser Lehrer, war tatsächlich so freundlich mich einfach in Ruhe zu lassen, statt mir irgendwelche Fragen zu stellen, auf die ich ohnehin keine Antwort gewusst hätte.

Bald wurde ich endlich durch die Pausenklingel erlöst und als ich aus dem Raum ging, griff jemand nach meinem Arm. Instinktiv holte ich aus und schlug nach demjenigen. Doch er duckte sich weg und lachte.

„Was ist denn los, Xae?“ Ich erkannte Zacks Stimme und beruhigte mich ein wenig. Als ich herumfuhr und ihn ansah, grinste er mich breit an.

„Du ... du hast mich erschreckt“, erklärte ich knapp. Er schenkte mir ein Päckchen, das ich ebenfalls in meinen Rucksack stopfte, und küsste mich kurz. Verwirrt begab ich mich zum Englischunterricht. Warum war ich heute so schreckhaft? Kopfschüttelnd verließ ich den Raum.

Vielleicht lag es daran, das mir meine Mutter heute endlich von meinem Vater erzählen würde. Ich hatte ihn nie kennengelernt, doch meine Mom sagte mir immer, er hätte wegen eines Jobs wegziehen müssen. Allerdings glaubte ich, dass das einem Code für 'Er ist im Gefängnis' entsprach und erhoffte mir somit nicht viel vom Namen, den Mom mir heute nennen wollte. Trotzdem war ich neugierig und konnte den Schulschluss kaum erwarten, der noch länger auf sich warten ließ als sonst, weil ich heute ausnahmsweise eine Stunde länger Unterricht hatte.

Als es endlich soweit war, stürmte ich aus dem Klassenzimmer und ging zu Fuß, statt mit dem Bus zu fahren, da ich niemandem mehr begegnen wollte. Ich fühlte mich schon seit einigen Stunden irgendwie schutzlos und beobachtet, mein Herz schlug wie wild und ich hatte mich durch so ziemlich alles erschrecken lassen: herunterfallende Stifte, sich öffnende Türen und andere vollkommen unerschreckende Dinge.

Vielleicht habe ich ja Fieber, dachte ich und berührte meine Stirn. Tatsächlich war sie brühend heiß, obwohl ein kühler Frühlingswind wehte und die Sonne nur vereinzelte Strahlen durch die dicke Wolkendecke sandte. Es würde wohl das Beste sein, wenn ich schnell nach Hause lief und mich dort ein wenig ausruhte.

Als ich ankam, rannte ich die Treppe hinauf und betrat die Wohnung, die seltsam leer wirkte. „Mom?“, rief ich, doch niemand antwortete. Alles befand sich noch genau da, wo es heute morgen gewesen war: die Tasse auf der Kommode im Flur, die Vase auf dem Kühlschrank, die ich kurz dort abgestellt und seit Tagen nicht weggeräumt hatte. Ein unbehagliches Gefühl beschlich mich. Mein Puls raste.

Leise schlich ich in mein Zimmer, wo ein kleines Kästchen auf meinem Bett lag. Mit zitternden Händen öffnete ich es und fand darin als erstes ein Foto. Es zeigte meine Mutter und einen etwa 25-jährigen jungen Mann mit hellbraunen Haaren und seltsamen Augen, die mich an flüssiges Gold erinnerten. Mom sah jünger und wesentlich glücklicher aus. Ihre Haare waren länger und sie trug eine schreckliche, grüne Strickmütze. Ich legte das Foto beiseite, nahm einen weißen Umschlag aus dem Kästchen und las den darin enthaltenen Brief:

Xaenym, es tut mir alles so schrecklich Leid. Dein ganzes Leben lang habe ich dir Informationen über deinen Vater vorenthalten. Auch jetzt bringe ich es nicht über mich, dir alles in diesem Brief zu erklären. Du wirst es bald verstehen. Ich weiß nicht, was heute geschehen wird, aber du musst unbedingt bevor du wirklich 16 Jahre alt wirst zu unserer Nachbarin Mrs. Neel und ihr diesen Brief geben. Du musst vor 15:17 Uhr dort eintreffen oder du gerätst in schreckliche Gefahr. Vertrau Sivah und halte sie nicht für verrückt, denn was sie sagt ist wahr.

Nun zu deinem Vater: Wie du sicher erraten hast, ist es der Mann auf dem Foto. Als ich in einem Café gearbeitet habe, lernte ich ihn kennen. Damals war ich gerade mal 20 Jahre alt. Er hat einen Espresso und ein Stück Kirschkuchen bestellt. Dann fragte er mich nach einem Date und es lief viele Wochen alles perfekt zwischen uns.

An dieser Stelle sah ich gewellte Flecken auf dem Papier; hier hatte meine Mutter weinen müssen.

Doch dann wurde ich schwanger und unser kleines Paradies drohte einzustürzen. Er erzählte mir das, was du bald auch erfahren wirst und wieso er weg musste; ich war geschockt. Ich wollte dich beschützen, schließlich warst du alles, was mir noch geblieben war. Ich konnte dich nicht auf ewig verstecken, aber ich wollte es versuchen, obwohl klar war, dass du spätestens mit 16 alles erfahren wirst. Sivah wird dir alles genauer erklären. Geh mit ihr nach Titansvillage und lass dich ausbilden. Sei tapfer, Xaenym. Du hast es im Blut.

Annie

Wieder waren einzelne Stellen des Papiers durch Tränen gewellt. Bestimmt hätte ich auch geweint, wären mir nicht so viele Fragen durch den Kopf geschwirrt.

Außerdem konnte ich mich nicht erinnern, jemals geweint zu haben. Nicht, als mein Großvater gestorben war, nicht, als mein Arm gebrochen war, niemals. Es war glücklicherweise niemandem außer Mom aufgefallen, doch sie hatte es nie angesprochen. Irgendwann begann ich zu glauben, dass ich wohl eine starke Persönlichkeit hatte und mich nichts so schnell aus dem Konzept brachte. Doch dieser Brief tat genau das.

Benommen ließ ich die Hand sinken und starrte in die Leere. Was hatte das alles zu bedeuten? Gedankenversunken schlenderte ich zum Fenster und sah hinaus auf den bewölkten Himmel, auf den Horizont und die Häuser auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Ein Anblick, den ich schon mein ganzes Leben lang kannte, doch jetzt fragte ich mich, ob das alles eine Lüge war, ob nichts so war, wie es schien.

Als ich auf meine Armbanduhr schaute, bemerkte ich, dass es bereits 15:11 Uhr war. Gerade wollte ich zu Mrs. Neel gehen, doch dann erstarrte ich. Am Horizont erschienen sieben schwarz gekleidete Gestalten, die zielsicher zwischen den Häusern hindurchgingen und genau auf unseres zusteuerten. Mrs. Neel wohnte auf der anderen Straßenseite, doch der Weg dorthin war jetzt abgeschnitten. Ich sprintete zur Tür, um den Notausgang zu nehmen, doch plötzlich hörte ich Stimmen im Treppenhaus, die immer näher kamen.

Leise fluchend wirbelte ich herum und stürzte zurück in die Wohnung, um mich dort zu verstecken. In den Schränken würden sie nach mir suchen, unter meinem Bett auch. Ich müsste irgendwie aus dem Fenster fliehen, aber wir wohnten im dritten Stock …

Plötzlich hörte ich ein lautes Krachen; jemand hatte die Tür eingetreten. Eine Stimme, die mir das Blut in den Adern gefrieren ließ, rief meinen Namen und somit hatte ich die Wahl: Das Fenster oder die gruseligen Gestalten. Mit einem Ruck zog ich das Fenster auf und schwang mich hinaus, wobei meine Hände die Fensterbank umklammerten. Schmerzhaft schlug ich an der Außenseite des Hauses auf. Die Luft blieb mir weg. Keuchend rang ich nach Atem. Ich hörte Rufe und Türen, die gewaltsam geöffnet wurden. Die Stimmen kamen immer näher, wurden lauter und wütender, bis schließlich irgendetwas zertrümmert wurde.

Mein Puls raste, doch ich zwang mich ganz ruhig zu atmen und meine Möglichkeiten zu überdenken. Erstens konnte ich vielleicht springen, doch diese Option erschien mir angesichts der mindestens zehn Meter, die mich vom Boden trennten, unmöglich. Der zweite Ausweg war, mich zurück in die Wohnung zu hieven, aber dann dachte ich an die grauenhafte und definitiv nicht menschliche Stimme und erschauderte. Die dritte und bis jetzt beste Idee war es, zu warten, bis sie weg waren und zu ignorieren, dass meine Arme langsam taub wurden. Vielleicht hätte das sogar funktioniert – hätte nicht in genau diesem Augenblick der Minutenzeiger meiner Armbanduhr die 17 erreicht. Brennender Schmerz schoss durch meine rechte Hand und mir wurde schwarz vor Augen, während meine Finger vom Fenstersims glitten und ich in die endlose Dunkelheit stürzte.

Kapitel 2

Xaenym

Langsam verschwanden die gleißenden Flecken vor meinen Augen. Ruckartig setzte ich mich auf und erkannte, dass das ein Fehler gewesen war. Augenblicklich wurde mir schwindelig und übel. Jede Zelle meines Körpers schrie vor Schmerz.

Ich befand mich in einem lichtdurchfluteten Raum mit hölzernen Wänden, dessen einziges Möbelstück das Bett, in dem ich lag, war. Als ich an mir hinuntersah, bemerkte ich, dass ich noch das gelbe T-Shirt, den schwarzen Rock und dazu schwarze Sandalen trug, allerdings war die Kleidung ziemlich zerschlissen und blutbefleckt.

„Leg dich wieder hin“, befahl eine raue Stimme. Vage erkannte ich eine Gestalt im Augenwinkel und fuhr herum. Ein großes Mädchen in meinem Alter mit sonnengegerbter, jedoch sehr glatter Haut, stand vor mir. Ihre schokoladenbraunen Locken hatte sie zu einem strengen Zopf gebunden, sodass man ihr kantiges Gesicht besser erkennen konnte. Mit eisernem Blick musterten sie mich. In ihren stahlgrauen Augen lag keine Wärme, nur Trauer und Wut, was mir einen kalten Schauer über den Rücken jagte. Quer über ihre schmale, hübsche Nase verlief eine kleine Schnittwunde. Ihre Arme waren dünn, aber relativ muskulös. Von beiden Schultern verlief ein mit zahlreichen Messern versehener Lederriemen bis zur gegenüberliegenden Hüfte. An ihrem Gürtel hing eine breite Schwertscheide, aus der ein silberner Griff ragte. Sie trug lederne Handschuhe, bei denen die Fingerkuppen abgeschnitten waren, ein ärmelloses schwarzes Oberteil, dunkle Hosen und lederne Stiefel, die ihr bis zu den Knien reichten.

„Sivah Shae“, stellte sie sich vor.

„Xaenym ...“, setzte ich an, doch meine Stimme versagte, als brennender Schmerz durch meine Kehle schoss.

Sie rollte die Augen. „Ich weiß, wie du heißt. Du bist vom Fenstersims gefallen und hast dir einige Knochen gebrochen. Aber ... du hast überlebt, ich hab dich noch da raus bekommen. Und das ist mehr, als wir uns erhofft hatten.“

„Wo raus bekommen?“, krächzte ich und ignorierte den Schmerz in meiner Kehle.

„Sie sind gekommen und haben dich gesucht. Als sie dich nicht finden konnten, haben sie alles in Brand gesteckt. Weil du nicht rechtzeitig bei Mrs. Neel warst, bin ich schnell zu eurem Haus gelaufen und habe dich dort liegen sehen, blutüberströmt, aber am Leben.“

„Wer sind die?“

Sivah ging ans Fenster und sah gedankenverloren hinaus.

„Das wird dir bald jemand erklären.“ Gerade wollte ich etwas erwidern, als sie bereits fortfuhr: „In zwei Stunden sollst du bei Aras sein. Er wird dir alles genauer erklären. Alles was du jetzt wissen musst, ist, dass du in Gefahr bist. Deine Mutter wollte dich hiervor bewahren, doch es war immer klar, dass du mit 16 das Mal der Götter erhältst, also hat deine Mom einen Fluchtplan für heute erstellt. Sieh dir deine Hand an.“

Instinktiv wusste ich, dass sie die rechte Hand meinte, die noch mehr schmerzte, als die linke. Neben zahlreichen Schürfwunden und tiefen, blutigen Kratzern prangte auf meinem Handrücken ein rundes Symbol aus verschlungenen schwarzen Linien. Mit einer Mischung aus Angst und Bewunderung betrachtete ich den Verlauf der einzelnen Striche und die Konturen des Musters, das Spiel der Schlangen, die über meine Hand zu kriechen schienen und ... „Trink das“, riss mich Sivahs Stimme aus meinen Gedanken. Sie reichte mir einen Becher, der eine trübe, braune Flüssigkeit enthielt, deren Geruch an Kräuter erinnerte.

„Was ...“, setzte ich an.

„Trink es einfach, das wird deine Verletzungen heilen. In zwei Stunden verstehst du alles.“

Nun würde ich hier zwei Stunden mit unzähligen Fragen, die mir durch den Kopf schwirrten, herumliegen und an einer fragwürdigen Brühe nippen. Noch dazu stürmte Sivah jetzt aus dem Raum und obwohl sie nicht die warmherzigste Gesellschaft war, fühlte ich mich ohne sie allein und noch verwirrter.

Schweigend starrte ich auf meine Armbanduhr, die trotz des Sturzes noch tickte. Die Zeit schien einfach nicht vergehen zu wollen. Jede Minute schlich sich eine weitere Frage in meine Gedanken. Was war mit meiner Mom passiert? Wo war ich hier? Warum war ich hier?

Als ich das Gebräu leergetrunken hatte, breitete sich eine wohlige Wärme in mir aus. Vielleicht hätte ich ein wenig misstrauischer sein sollen und nicht irgendein Getränk von einer Fremden annehmen sollen. Aber Sivahs Name stand im Brief und wenn meine Mutter ihr vertraute, konnte ich das auch. Ich wälzte mich hin und her, während ich einen misslungenen Versuch startete einzuschlafen. Doch da jede Bewegung glühende Schmerzen durch meinen Körper jagte, gab ich bald auf. Also lag ich starr herum, bis endlich die Tür knarrte und Sivah hereinkam. Sie trug ihre Haare jetzt offen, sodass ihr die braunen Locken über die Brust fielen.

„Steh auf“, befahl sie barsch..

„Ich habe gebrochene Knochen, weißt du noch?“

„Du hast eben Epouros getrunken, was bedeutet, dass sie bald heilen werden. Und jetzt komm mit.“

Anscheinend duldete Sivah keine Widerrede, weshalb ich mich aus dem Bett quälte. Jeder meiner Knochen brannte, doch ich ignorierte den Schmerz und lief Sivah hinterher, die, ohne sich zu vergewissern, ob ich ihr folgte, hinausging. Draußen blieb mir die Luft weg. Vor mir erstreckte sich ein riesiges Tal voller kleiner Häuser, die denen in einem Ferienlager ähnelten. Sie umgaben ein großes, weißes Gebäude in griechischem Baustil mit hohen Marmorsäulen, die in den Himmel emporragten und ein Dach trugen, auf dessen Vorderseite etwas auf altgriechisch eingraviert war.

Neben den Hütten befand sich ein runder, mit Sand bedeckter Platz, auf dem ich kleine Gestalten erkennen konnte, die miteinander zu kämpfen schienen. Das Tal war von einer Hügelkette und einem Wald umgeben. Zwischen mehreren Bäumen verliefen dünne Kletterseile, an denen sich gerade eine winzige Person entlanghangelte. Daneben sah ich eine grüne Ebene, an deren Ende Zielscheiben aufgestellt waren, auf die mehrere Bogenschützen zielten.

„Wo bin ich hier?“, fragte ich Sivah.

„Das“, sagte sie ehrfürchtig, „ist Titansvillage.“

Da ich nicht wirklich etwas mit diesem Namen anfangen konnte, nickte ich nur.

Wir liefen an etlichen Hütten vorbei auf das große, griechische Gebäude zu. Da es keine Tür gab, gingen wir zwischen zwei Eingangssäulen hindurch. Der Raum erinnerte mich entfernt an einen Ballsaal mit glatten, weißen Marmorwänden.

In jeder Ecke ragte eine wunderschöne Säule bis zur Decke empor. Vor uns stand ein gutaussehender, muskulöser Mann mit schulterlangen, dunklen Haaren und gebräunter Haut. Seine hellblaue Jeans wurde ihm an den Knöcheln etwas zu kurz und sein weißes T-Shirt war an der Schulter zerschnitten. Die braunen Augen des Mannes glichen flüssiger Schokolade, jedoch blitzten darin, als er mich ansah, für einen kurzen Augenblick Schmerz und Trauer auf. „Willkommen im Lager, Xaenym. Ich bin Aras, der Leiter von Titansvillage. Du bist sicherlich schrecklich verwirrt und das kann ich nachvollziehen.“

Seine Stimme klang alt, weise und traurig, vollkommen unpassend für jemanden, der so jung war. Obwohl er freundlich wirkte, erschauderte ich.

„Komm mit, ich erkläre dir das alles.“ Er deutete auf eine weiße Tür, deren Farbe den Wänden so sehr ähnelte, dass sie mir zunächst gar nicht aufgefallen war. Nachdem ich hindurchgegangen war, setzte ich mich auf einen unbequemen Stuhl, der direkt vor der Tür stand und musterte das Zimmer. Inmitten von vier weißen Wänden stand ein hölzerner Schreibtisch, auf dem ein paar Bücher verstreut lagen, dahinter ein Bürostuhl und ein kleines Fenster.

Aras setzte sich und fragte: „Xaenym, wie gut kennst du dich mit griechischer Mythologie aus?“

„Ähm ... wenig bis gar nicht“, antwortete ich stirnrunzelnd.

„Nun, ich denke du kennst die Sage, in der die Götter gegen ihre Eltern, die Titanen, kämpfen und diese in die Unterwelt verbannen?“

Ich nickte.

„Es gibt abertausende Geschichten. Nur, dass es keine Geschichten sind. Das alles ist wahr.“

Stille. Bis auf ein eigenartiges Rauschen in meinen Ohren, nahm ich keinen Ton wahr. Da ich nicht wusste, was ich davon halten sollte, erlaubte ich mir gar nicht erst, über seine Worte nachzudenken.

Als Aras weitersprach, hörte ich ihn fast nicht. Seine Stimme klang, als wäre sie weit weg, wie eine schlechte Tonaufnahme.

„Vor langer Zeit herrschten die zwölf Titanen über die Erde. Sie waren die Töchter und Söhne von Uranos, dem Himmel, und Gaia, der Erde, die dem Chaos entsprungen sind. Als eines der Titanenpaare, Chronos und Rhea, einen Sohn namens Hades bekam, zog Chronos ihn auf dem Berg Othrys in den wunderschönen Hallen seines Palastes auf. Doch Hades dürstete es nach Macht und er versuchte, seinen Vater im Schlaf zu erwürgen. Dieser Teil wird in den Sagen nie erwähnt, weil niemand wissen soll, dass Chronos seine Kinder nicht einfach grundlos verschlang. Aus Angst davor, von seinem eigenen Sohn getötet zu werden, verspeiste Chronos ihn und alle Kinder, die Rhea ihm gebar. Doch als Zeus, der Gott des Himmels, geboren wurde, wickelte Rhea einen Stein in eine Decke und gab Chronos diesen, der ihn in dem Glauben, es sei sein Sohn, verschlang.

Zeus mischte sich unter Chronos' Diener und schüttete ihm eines Abends ein Brechmittel in den Wein. Chronos erbrach seine Kinder, die wegen ihrer Unsterblichkeit in seinem Magen überlebt hatten. Sie zerhackten Chronos mit seiner eigenen Sense und verbannten ihn dadurch in den Tartaros, die tiefste Unterwelt, genau wie alle anderen Titanen bis auf Atlas und Hekate. Atlas wurde gezwungen Uranos von Gaia zu trennen, damit keine weiteren Titanen geboren werden konnten. Die beiden waren so traurig, dass sie sich ganz ihrem Element hingaben. Gaia versteinerte und wurde eins mit ihrer geliebten Erde und Uranos wurde zu Wolken und Luft, weshalb Atlas den Himmel auf seinen Schultern tragen musste, damit sich die beiden nicht wieder vereinen konnten. Hekate war stark genug, sich zu widersetzen und floh auf eine Insel, deren Namen sie niemandem verriet.

Einmal alle zehn Jahre darf einer der Titanen für ein Jahr in die Welt der Menschen zurückkehren. Und so entstehen Kinder, zur Hälfte menschlich und zur anderen Hälfte titanischen Blutes, mit besonderen Kräften. Im Grunde genommen sind sie wie Halbgötter, mit wenigen, aber entscheidenden Unterschieden: Die Halbtitanen sind schneller, stärker und unsterblich. Sie können im Kampf fallen, hören jedoch mit 16 Jahren auf zu altern. Demigötter hingegen altern ab ihrem 17. Lebensjahr lediglich viel langsamer als Sterbliche. Es gibt so viele verschiedene Wesen, dass ich dir nicht von allen erzählen kann. Da wären zum Beispiel die Nymphen. Die wichtigsten Nymphenarten sind Nereiden, die Wassernymphen, und Dryaden, die Baumnymphen. Aus Verbindungen zwischen ihnen und Göttern entstehen Monster, zum Beispiel die einäugigen Zyklopen oder die Kentauren, die von der Hüfte abwärts aussehen wie Pferde, jedoch einen menschlichen Oberkörper haben. Wiederum andere haben eine sowohl eine menschliche als auch eine tierische Gestalt.“

Er machte ein kurze Pause und fuhr dann fort: „Kommen wir dazu, was Titansvillage eigentlich ist. Die Götter sind böse, sie töten Sterbliche aus Lust und Laune. In diesem Lager sind alle, die sich gegen sie stellen.“

„Was für Wesen leben hier?“ Meine zitternde Stimme klang viel zu hoch und leise, fast schon wie ein Flüstern.

„Dryaden, Demigötter, Kentauren, sogar zwei Halbtitanen. Sivah und du.“

„Ich?“, wiederholte ich ungläubig.

Aras nickte. „Sicher glaubst du mir nicht, aber ...“

„Nein, ich glaube dir nicht“, sagte ich, woraufhin er mich mit einem verärgerten Blick bedachte.

„Aber“, fuhr er fort, „so geht es jedem hier am Anfang.

Deshalb haben wir einen kleinen Beweis vorbereitet. Sieh aus dem Fenster.“

Ich gehorchte und als ich hinausschaute, stockte mir der Atem. Dort stand ein Junge in meinem Alter – zumindest sein Oberkörper war der eines Jungen mit braunen Augen und schwarzen Haaren. Jedoch war er von der Hüfte abwärts ... ein Pferd. Aras hatte so jemanden als Kentaur bezeichnet. Eigentlich war mir sofort klar gewesen, dass er die Wahrheit gesagt hatte, allerdings sträubte sich mein Hirn gegen den Gedanken, alles was es für einen Mythos gehalten hatte, als wahr anzusehen.

Ich versuchte, zu verdrängen, was ich eben gesehen hatte. Wenn ich anfing, darüber nachzudenken und mir bewusst wurde, was das bedeutete, würde ich nur ausflippen.

„Okay, überzeugt“, räumte ich widerwillig ein. „Und wessen Tochter bin ich nun?“

„Chronos'.“

Ungläubig starrte ich ihn an.

„Nein ... das kann nicht ...“ Leider fand ich kein richtiges Gegenargument.

„Xaenym, es gibt noch so viel zu erklären. Wenn du willst, kannst du das erst mal verarbeiten und morgen nochmal vorbeischauen.“

„Nein, erzähl es jetzt“, hörte ich mich sagen, obwohl sich bereits jetzt alles in meinem Kopf drehte und meine Gedanken sich überschlugen.

„Also schön. Hier in Titansvillage bilden wir allerlei Goldblüter aus – so nennen wir jeden mit göttlicher oder titanischer Abstammung, da das Blut der Götter, Ichor, golden ist. Du musst wissen, Titansvillage kämpft gegen Zeus' Heer. Hier lernen alle Goldblüter das Kämpfen und Überleben. Manchmal wird man auf Missionen geschickt, je nachdem, was gerade erledigt werden muss, kann das auch mal mehrere Monate dauern. Man bekommt Waffen und das Heilmittel Epouros, welches Knochenbrüche und Wunden innerhalb weniger Tage heilt. Im Moment dreht sich der Götterkrieg um einen besonderen Gegenstand, das Skia. Es ist eine Manifestierung aller Schatten. Der Besitzer kann mit seiner Gedankenkraft alle Unsterblichen auslöschen, wiederbeleben oder in die Unterwelt verbannen. Bei Goldblütern funktioniert das nicht. Für sie ist der Tod endgültig. Aber wir könnten damit die unsterblichen Titanen erwecken. Die Götter wollen sich selbst für kurze Zeit auslöschen, um das Gleichgewicht zwischen Gut und Böse zu stören – und somit eine Kreatur, den sogenannten Hüter, erwecken, der weder für das Gute noch für das Böse, sondern für das Gleichgewicht zwischen diesen Mächten kämpft. Je nachdem, welche Seite erheblich schwächer ist, erwacht er als Krieger für die schwächere Seite und kämpft 100 Jahre dort, außer die andere Seite wird noch schwächer, als seine es ursprünglich war. Noch ist das Gleichgewicht intakt, da die Titanen nicht ausgelöscht sind. Sie befinden sich lediglich im Tartaros. Aber die Götter würden für wenige Tage komplett verschwinden, sodass der Hüter erwachen würde. Anschließend wollen die Krieger der Götter diese mit dem Skia wiederbeleben – dadurch stünden wir gegen die Götter und den Hüter gleichzeitig. Das Leben, wie wir es kennen, würde zerstört werden.“

Langsam nickte ich.

Nicht darüber nachdenken, sagte ich mir selbst.

„Und was bedeutet das Zeichen auf meiner Hand?“

„Man nennt es das Mal der Götter. Es sorgt dafür, dass Monster deine Nähe spüren. Ein Goldblüter erhält es, wenn die Götter ihn unbedingt tot sehen wollen. Dafür nehmen sie sogar den komplizierten Zauber auf sich, der ihnen für ein paar Tage fast ihre gesamte Kraft raubt.

So nun reicht es für heute. Ich werde mal sehen, mit wem ich dich in eine Hütte einteile. Sei bitte um fünf Uhr wieder hier. Ich gebe dir dann einen Stundenplan für deine Ausbildung. Bis dahin könntest du dich von jemandem herumführen lassen und dir eine Waffe aussuchen, am besten du gehst dafür zu Sivah. Du findest sie ... irgendwo in der Nähe des Kampfplatzes. Das ist der Sandplatz am Rand des Lagers. Und du solltest etwas essen und trinken, schließlich warst du fünf Tage bewusstlos.“

„Fünf Tage?“, staunte ich. „Wieso bin ich nicht verdurstet?“

„Ich dachte, das hätte ich bereits erwähnt. Du bist unsterblich. Im Kampf kannst du sterben, aber nicht an Durst oder den Folgen einer Verletzung, die du beispielsweise durch einen Sturz erleidest.“

Nicht darüber nachdenken.

Ich nickte, stand auf und machte mich auf den Weg, doch dann fiel mir kurz vor der Tür noch etwas ein.

„Aras, was ist mit meiner Mutter passiert?“

„Das ... das wissen wir nicht. Wir arbeiten noch daran.“

Ich ging hinaus, setzte mich auf den Boden neben dem Hauptgebäude und umschlang meine Beine. Mein Gehirn hätte eigentlich auf Hochtouren laufen müssen und ich hätte über alles, was Aras gesagt hatte, nachdenken müssen, ob ich wollte oder nicht. Doch überraschenderweise war mein Kopf seltsam leer. Ich nahm meine Umgebung kaum wahr und dachte einfach an nichts.

„Xaenym, richtig?“, fragte eine freundliche Stimme wenig später. Ich zuckte überrascht zusammen.

Ein Junge mit sandfarbenen Haaren und großen, braunen Augen setzte sich neben mich. Er hatte weiche Gesichtszüge und wirkte etwas jünger als ich. Alles in allem sah er nicht besonders gut aus, hatte aber etwas Charmantes und Vertrauenswürdiges an sich.

„Ja, Xaenym Davine.“

„Seth Morinson. Ich wette du kommst gerade vom Gespräch mit Aras. Bist du verwirrt?“

„Ein bisschen“, gab ich zu.

„Kann ich verstehen. Ich erinnere mich noch, wie es mir ging, als ich von der versteckten Welt, wie die Meisten sie nennen, erfahren habe. Jedenfalls, wenn du jemanden brauchst, der dir alles zeigt ... Ich kann das gern übernehmen.“

„Klar, danke.“

„Hast du jetzt dafür Zeit?“

„Um fünf Uhr muss ich bei Aras sein, aber mir bleiben bis dahin noch ...“ Schnell schaute ich auf meine Armbanduhr, „zwei Stunden.“

„Okay. Also, als Neuling solltest du dich vielleicht über Götter, Titanen und die ganzen Sagen informieren. Aras hat dir bestimmt schon einiges erklärt, aber das ist noch längst nicht alles. Daher zeige ich dir am besten als erstes die Bibliothek.“

Er führte mich zum Rand des Lagers, wobei er mir alles, was Aras über Goldblüter gesagt hatte, noch einmal zusammenfasste.

„Oh, kleiner Tipp am Rande: Überleg dir gut, wem du was schwörst. Goldblüter können einen Schwur nicht so einfach brechen wie Sterbliche. Aber keine Angst, jemanden durch Folter zu einem Schwur zu zwingen, verstößt gegen den sogenannten Kodex“, erklärte er und bedeutete mir, abzubiegen. Unterwegs liefen etliche Jugendliche mit Schwertern, Schildern und ledernen oder bronzenen Brustpanzern an uns vorbei, von denen mich jeder anstarrte.

„Was bist du eigentlich? Von wem stammst du ab?“, fragte ich Seth.

„Von Medusa“, erklärte er.

„Kannst du auch Leute in Stein verwandeln?“

Er schmunzelte. „Nein. Tatsächlich kann ich rein gar nichts.“

„Nichts? Ich dachte jeder hätte eine Gabe.“

„Jeder außer mir. Und bei dir? Chronos, hm?“

„Ja, anscheinend“, seufzte ich schulterzuckend.

„Du gewöhnst dich an all das hier. In einer Woche hast du dich eingelebt.“

Schweigend runzelte ich die Stirn, während ein hohes Gebäude in mein Sichtfeld rückte. Es war ähnlich aufgebaut wie das Hauptgebäude, allerdings wirkte es kleiner und nicht so edel. Die Eingangstür bestand im Gegensatz zu den restlichen Marmorsäulen aus dunkelbraunem Holz, in das verschiedene Symbole geschnitzt waren. In der Mitte erkannte ich eine Uhr, die genau Mitternacht zeigte. Aus ihr entsprangen Efeuranken, die beispielsweise zu einer Mondsichel, einem Speer und einer sorgfältig ins Holz eingearbeiteten Sonne führten. Die Tür war wunderschön. Sicher musterte ich sie schon seit einigen Minuten, als Seth sich räusperte.

„Du kannst die Tür auch öffnen, nicht nur anstarren.“

Verlegen nickte ich und drückte die Türklinke hinunter. Dutzende Regale voller alter Bücher fielen mir ins Auge. Behutsam strich ich über den braunen Ledereinband eines alten Buches und musterte die goldenen altgriechischen Buchstaben. Es fühlte sich rau und antik an, als hätte es eine lange Geschichte zu erzählen und als könnte ich sie lesen, indem ich meine Finger nur lange genug über den Einband gleiten ließ.

Plötzlich stand Seth neben mir. „Die Chronik des trojanischen Krieges“, erklärte er. „Nicht die Ilias von Homer. Dieses Buch erzählt die Geschichten, die sich im Verborgenen abgespielt haben, das was geheim bleiben sollte, aber irgendwie den Weg in die Öffentlichkeit fand. Allerdings ist dieses Buch für dich eher unwichtig. Lies stattdessen diese hier.“ Er deutete auf einen Stapel, den er neben sich abgestellt hatte.

Ächzend nahm ich die Hälfte der Bücher, davon ausgehend, dass Seth die andere tragen würde. Anscheinend durfte man hier einfach so Bücher mitnehmen, also gingen wir hinaus und stellten sie neben der Bibliothek ab, da mir noch keine Hütte zugeteilt worden war.

Wir setzten uns auf die Marmorstufen und Seth deutete auf ein Mädchen, das an die Wand ihrer Hütte gelehnt ein Messer polierte. Ihre langen, blonden Engelslocken fielen ihr über die Schultern und sie hatte große, haselnussbraune Augen. Dennoch wirkte sie alles andere als zierlich: Sie trug ein schwarzes T-Shirt, darüber einen bronzenen Brustpanzer und eine mit allerlei Reißverschlüssen versehene Hose, ebenfalls in schwarz. Ihre kantigen Gesichtszüge waren angespannt. Sie war schlank, aber muskulös und relativ groß.

„Das ist Cryliss Preed. Sie ist die Tochter des Hades, des Gottes der Unterwelt. Jahrelang stand sie auf der Seite der Götter, bis ihr der Auftrag erteilt wurde, Aras umzubringen. Sie kam hierher, tat so, als würde sie jetzt uns unterstützen und griff Aras an. Doch er gewann den Kampf. Beinahe wäre sie dabei getötet worden. Verwundet kehrte sie zu Hades zurück. Der warf ihr vor, sie habe versagt, und bestrafte sie mit hundert Jahren Gefangenschaft im Tartaros, dem tiefsten Teil der Unterwelt, der Verbrechern und Mördern vorbehalten ist. Sie wurde dort schrecklich gequält. Und sie konnte nicht sterben, schließlich war sie schon im Tartaros. Aber sie entkam. Außer ihr war kaum jemand lebend aus der Unterwelt zurückgekehrt. Nach etwa sechs Jahren stand sie eines Tages vor dem Hauptgebäude, blutüberströmt und weinend. Wir haben versucht, sie zu heilen, tröstend mit ihr zu reden und gesagt, dass es vorbei sei. Langsam wurde es besser. Die Panikattacken wurden kürzer und seltener. Sie vergab Hades nie, was er ihr angetan hatte. Sie kämpft nicht für uns, weil sie überzeugt ist, dass die Titanen richtig handeln. Sie kämpft für uns, weil sie überzeugt ist, dass die Götter falsch handeln. Und dabei ist sie besser, als so ziemlich jeder hier. Fast so gut wie Sivah.“

Als er meinen geschockten Blick sah, lachte er auf.

„Das erzählen wir jedem Neuling, damit er weiß, wie solche Sachen in unserer Welt laufen. Wir nennen es die Eingewöhnungsstory.“

Ich wusste nicht, was ich antworten wollte. Eine bedrückende Stille lag in der Luft, als Cryliss plötzlich den Kopf hob und zu uns herüber stapfte. Es war unmöglich zu beurteilen, ob sie wütend oder freundlich schaute. Ich nahm an irgendwie beides.

„Cryliss Preed“, erklärte sie mit einer rauen, aber nicht allzu tiefen Stimme und reichte mir die Hand.

„Ich bin ...“

„Xaenym Davine. Ich weiß. Jeder weiß das“, schnitt sie mir das Wort ab und stürmte, nachdem sie den Händedruck abgebrochen hatte, davon.

„Nimm ihr das bitte nicht übel. Sie ist eigentlich ganz in Ordnung.“

„Tue ich nicht. Es ist okay.“ Und das war es wirklich. Aus irgendeinem Grund war sie mir sympathisch.

„Wann ist das alles mit ihr passiert?“, fragte ich nach einer Weile.

„Vor fünf Jahren.“

„Warst du damals schon hier?“

„Nein, ich bin gerade mal sechzehn und erst seit drei Jahren hier.“

„Seth?“

„Hmm?“

„Was ist eigentlich mit Sivah passiert? Es kommt mir so vor, als wäre sie irgendwie ... verbittert.“

„Ich denke, das wird sie dir erzählen. Oder Aras. Ich traue mich nicht, irgendetwas über sie zu sagen. Cryliss' Geschichte erzählen wir jedem. Es macht ihr nichts aus. Sivah dagegen ist verdammt nachtragend und manchmal unberechenbar. Und es wäre mir lieber, meinen Kopf zu behalten.“

Er machte eine derart lange Pause, dass ich schon den Mund öffnete, um zu antworten. „Scheint das Motto von Titansvillage zu sein. Je mehr Schmerz du erlitten hast, desto besser kämpfst du“, meinte er schließlich leise.

Dann schüttelte er den Kopf, als würde er diesen Gedanken loswerden wollen. „Wie dem auch sei. Soll ich dich noch ein paar Leuten vorstellen?“

Schulterzuckend stand ich auf. „Ja, ich denke das wäre gut.“

Er führte mich den Schotterweg entlang in die Mitte des Lagers, während er erklärte: „Derzeit leben 94 Goldblüter in Titansvillage. Ich nehme dich einfach mal in meine Hütte mit und stelle dich meinen Freunden vor.“

Wir stiegen ein paar Steintreppen hinauf zu einer niedrigen Hütte, die aussah wie jede andere Behausung in einem Ferienlager. Innen gelangten wir in ein kleines Wohnzimmer mit weißen Wänden, in dessen Mitte ein Sofa stand, auf dem ein recht blasser Typ saß. In ein Videospiel vertieft schaute er auf einen Bildschirm. Ich konnte seine Augenfarbe nicht genau einordnen. Irgendetwas zwischen grau, grün und blau mit ein paar goldenen Sprenkeln darin. Seine braunen Haare hatte er hochgegelt. Er trug dunkelblaue Jeans und ein schwarzes T-Shirt, durch das seine Armmuskeln zu sehen waren. Mehrere Narben zogen sich über seine Hände.

Mit den Gedanken bei seinem Videospiel sagte er: „Hey Seth, weil du beim Mittagessen nicht da warst, hab ich dir was mitgebracht.“ Er griff auf den kleinen hölzernen Tisch vor sich und warf ein in Alufolie verpacktes Sandwich in Seths Richtung. Da ich im Weg stand und ohnehin riesigen Hunger hatte, fing ich es kurzerhand auf und biss genüsslich hinein.

„Das war mein Sandwich!“, protestierte Seth.

Der Junge auf dem Sofa fuhr herum und starrte mich überrascht an. Dann lächelte er, wodurch seine strahlend weißen Zähne sichtbar wurden, schwang sich über die Couchlehne und schüttelte mir die Hand.

„Roove Carter.“

„Xaenym Davine.“

„Chronos' Tochter also. Das spricht sich schnell rum.“

Ich nickte, unschlüssig, was ich darauf antworte sollte.

„Ähm, und du?“, stammelte ich.

„Nike, Göttin des Sieges. Xaenym, bleib doch eine Weile hier, innerhalb von einer halben Stunde kommen hier ein paar Leute vorbei, dann kannst du sie kennenlernen“, bot Roove an.

„Äh, klar gern“, erklärte ich und widmete mich erneut Seths Sandwich. Ich ließ mich auf das Sofa fallen und verputzte es, während Roove weiterspielte und Seth lustlos auf einem Apfel herumkaute.

„Kannst du dir nicht etwas anderes als diesen Apfel holen?

Das ist ja grauenvoll anzusehen. Gibt es hier denn keine Mensa?“, fragte ich.

„Doch, natürlich. Allerdings gibt es in drei Stunden Abendessen, was weitaus besser schmeckt, als das, was man jetzt bekommt, also warte ich darauf“, erklärte er achselzuckend.

Plötzlich wurde die Tür aufgerissen und ein Mädchen mit glatten, hellbraunen Haaren, die ihr bis zur Hüfte fielen, stürmte herein. Eisblaue Augen musterten mich mit einem unergründlichen Blick. Ihre hohen Wangenknochen und weichen Züge verliehen ihr ein wunderschönes Aussehen. Sie trug dasselbe wie Sivah und Cryliss: ein T-Shirt, lederne Schnürstiefel und einen bronzenen Brustpanzer, den sie jedoch jetzt abschnallte und gegen die Wand lehnte. Dann ging sie zu Seth und gab ihm rasch einen Kuss.

„Wie war das Training, Schatz?“, fragte Seth sie.

Roove prustete drauf los.

„Ihr seid wie ein altes Ehepaar.“

Das Mädchen warf ihm einen finsteren Blick zu, kam dann auf mich zu und lächelte.

„Ich bin Bluerax. Und du bist bestimmt Xaenym.“

„Genau. Und ich glaube, ich sollte Sivah suchen. Aras meinte, ich solle mir Kampfkleidung und Waffen von ihr geben lassen. Wisst ihr, wo sie ist?“

„Auf dem Kampfplatz“, meinte Roove.

Ich sah ihn fragend an.

„Oh richtig, du kannst ja gar nicht wissen, wo das ist. Ich bringe dich hin.“

Er drückte ein paar Knöpfe auf seinem Controller, woraufhin der Bildschirm schwarz wurde, stand auf und hielt mir die Tür auf.

Schweigend gingen wir nebeneinander her, bis der Sandplatz in Sicht kam. Sivah schlug gerade mehreren Übungsfiguren den Kopf ab, wirbelte herum oder stach mit ihrem langen silbernen Schwert auf sie ein. Die Waffe zischte mit angsteinflößender Geschwindigkeit durch die Luft. Egal was sich Sivah in den Weg stellte, sie würde es blitzschnell beseitigen.

Als sie mich sah, stieß sie die Klinge in den Boden und kam auf mich zu. Frische Schweißperlen zeichneten sich auf ihrer Stirn ab, ihr Haar war zerzaust und ihre Wangen durch die Anstrengung gerötet.

„Ich nehme an, du willst Waffen, Kampfmontur, Rüstung und Training“, sagte sie ein wenig atemlos.

„Ganz genau“, erklärte Roove.

Sivah musterte ihn mit einem kritischen Blick und sah dann mich an, als würde sie sich fragen, wieso er bei mir war.

„Xaenym, komm mit. Roove, geh sonst wohin“, erklärte sie und stürmte auf ein flaches, altgriechisches Gebäude neben dem Kampfplatz zu. Ich wollte ihr gerade nachsetzen, als Roove mich am Arm festhielt.

„Wenn du willst, kannst du dich beim Abendessen zu Seth, ein paar anderen und mir setzen.“

Ich lächelte, antwortete aber nicht und folgte Sivah.

Das Innere des Waffenlagers bestand aus weißen Marmorwänden, an denen zahlreiche Schwerter, Äxte und Speere hingen. Auch standen einige Tische herum, auf denen Dolche, Bögen und Köcher herumlagen. Im hinteren Teil des Raumes befanden sich zahlreiche Brustpanzer sowie Helme, Schilder und lederne Kampfkleidung. Sivah drehte sich um und deutete auf die Waffen.

„Der Kodex verbietet Schusswaffen, Bomben und ähnliches, aber sonst hast du freie Wahl. Äxte, Speere, Schwerter, Dolche, Bögen. Ich glaube wir haben sogar einen Morgenstern da. Such dir etwas aus.“

Ich schlenderte zu einem länglichen Tisch und sah mir einige Waffen an. Ein Bogen kam nicht in Frage. In einem Sommercamp hatte ich mal das Bogenschießen ausprobiert und dabei kläglich versagt. Ein Speer ... Nein. Eine Axt war mir zu schwer. Also würde ich wohl ein Schwert nehmen. Ein Teil von mir fand diese Wahl ziemlich langweilig, aber mir fiel nicht ein, was ich sonst hätte probieren können.

Mein Blick schweifte über die Schwerter an der Wand. Viele fand ich zu groß oder zu dünn, zu kurz oder zu schwer. Probeweise nahm ich mehrere in die Hand, doch keines passte zu mir. Dann sah ich zwei identische Dolche, deren Griffe mit schwarzem Leder umwickelt waren. Die Klingen waren etwa 20 Zentimeter lang, blattförmig, aber dennoch spitz zulaufend und bestanden aus seltsam schimmerndem, durchsichtigem Material. Ich nahm beide Messer in die Hand. Das weiche Leder schmiegte sich perfekt an meine Handflächen.

„Ich nehme diese hier“, sagte ich.

Ein Lächeln huschte über Sivahs Gesicht, welches so schnell wieder verschwand, dass ich nicht sicher war, ob ich es mir nur eingebildet hatte.

„Aus im Othrysgebirge gewonnenem Diamant gefertigt, weshalb sie nie stumpf werden oder kaputt gehen. Die sind perfekt für dich, allerdings brauchst du noch ein Schwert. Ich glaube, ich habe da sogar etwas für dich“, meinte sie und verschwand in einer kleinen Tür, die mir zuvor gar nicht aufgefallen ist. Dann kehrte sie mit einer Scheide aus dunkelbraunem Leder zurück und reichte sie mir. Das Schwert blitze auf, als ich es zog. Das Schwert war etwa 60 Zentimeter lang und schien ebenfalls von einer dünnen Diamantschicht überzogen zu sein. Die Klinge bestand aus schwarzem, mir unbekanntem Edelstein, war aber dennoch nicht zu schwer. Das Heft, wie der Griff häufig genannt wurde, war aus silberfarbenem Metall und am Ende des Knaufs war ein runder, schwarzer Stein eingearbeitet. Als ich gerade danach fragen wollte, sagte Sivah: „Die Klinge und der Stein sind aus Onyx.“

Stirnrunzelnd sah ich sie an. „Woher wusstest du, was ich gedacht habe?“

„Es ist meine Gabe. Ich kann Gedanken lesen“, erklärte sie knapp.

Ich erschrak ein wenig. Die Tatsache, dass sie immer wusste, woran ich dachte, jagte mir einen kalten Schauer über den Rücken. Meine Gedanken gehörten mir allein. Doch ich konnte wohl kaum etwas dagegen tun, dass Sivah sie nun auch kannte.

Mein Blick fiel wieder auf das Schwert. An der Klinge waren einige wunderschön geschwungene, griechische Buchstaben eingraviert.

„Skouro“, sagte Sivah ehrfürchtig. „Das griechische Wort für dunkel. Das Schwert der Nachtgöttin Nyx, die für die Titanen kämpfte und mit ihnen in den Tartaros verbannt wurde. Doch davor schenkte sie uns diese Klinge mit der Aufgabe, es seinem würdigen Träger zu geben.“

„Und das soll ich sein?“

Sie nickte und starrte Skouro mit traurigen, leeren Augen an.

Plötzlich schien sie sich wieder daran zu erinnern, dass ich noch neben ihr stand und meinte: „Ich schlage vor, du nimmst dir eine Rüstung und ein paar Klamotten. Trainieren können wir morgen. Du musst ohnehin in zehn Minuten zu Aras.“

Ich legte meine Waffen vorerst zurück auf den Tisch. Sivah führte mich in den hinteren Teil des Raumes, durchwühlte einen Haufen Brustpanzer und riss schließlich einen der kleineren hervor.

„Eine Spolas, ein dünner lederner Brustpanzer, der viel Bewegungsfreiheit lässt. Die meisten von uns tragen dieses Modell und wenn wir auf Missionen gehen, nehmen wir höchstens einen solchen Panzer oder nur bequeme Kleidung mit“, erläuterte sie. Dann zog sie eine enge, schwarze Hose mit allerlei Reißverschlüssen und Taschen hervor. Nun warf Sivah mir beide Kleidungsstücke zu, während sie mich anwies, in eine der Umkleiden hinter der Kleidungsabteilung zu gehen.

Der Raum besaß nur ein winziges Fenster und war so klein, dass ich gerade noch genug Platz zum Umziehen hatte. Schnell schlüpfte ich aus meinem Rock sowie meinem T-Shirt und legte die Kampfkleidung an. Der Brustpanzer war ärmellos und schmiegte sich weich an meinen Körper wie ein Oberteil aus sehr robustem Stoff. An der Seite hielten ihn Lederriemen zusammen, die jedoch nicht unangenehm drückten, wie ich es erwartet hatte. Die Hose war ebenfalls überraschend bequem und passte wie angegossen. Ich trug noch immer meine eigenen Sandalen, die im Gegensatz zur Kampfmontur zierlich und mädchenhaft wirkten, obwohl sie blutbefleckt und zerschrammt waren. Ich ging hinaus, wo Sivah schon mit ein paar schwarzen Stiefeln wartete.

„Hier, die dürften deine Größe haben.“

Nachdem ich mich bedankt hatte, schlüpfte ich zurück in die Umkleide und tauschte meine Sandalen gegen die Stiefel. Sie passten perfekt und hatten eine flexible Sohle, gut zum Rennen. Dann ging ich wieder hinaus, wo Sivah mir einen dunkelbraunen Gürtel voller Dolch- und Schwertscheiden reichte. Als ich ihn umgeschnallt hatte, warf sie mir eine schwarze Lederjacke zu. Sie lag eng an und war ebenfalls mit kleinen Dolchscheiden versehen, die kaum auffielen. Nun führte die Halbtitanin mich zurück zum Waffentisch und gab mir für jede leere Dolchscheide ein Messer. Die Diamantdolche befestigte ich seitlich am Gürtel. In eine der beiden Schwertscheiden an der Hüfte steckte ich Skouro und in die andere ein kleineres, eher leichtes Schwert mit einem Heft aus Horn.

„Noch ein kleines Detail“, sagte sie und schob den Ärmel ihrer Jacke hinauf. Zahlreiche Lederbänder, die sie um ihr Handgelenk gewickelt hatte und sich fast bis zu ihrem Ellenbogen hinaufwanden wie Schlangen, kamen zum Vorschein. Eines nahm sie ab und reichte es mir.

„Bind dir damit die Haare zusammen. Die überstehenden Enden kannst du dir um die Haarspitzen wickeln, sodass etwas ähnliches wie ein geflochtener Zopf entsteht.“

Überraschenderweise war das gar nicht so schwierig, wie es sich anhörte. Eine knappe Minute später hing mir kein einziges Haar mehr ins Gesicht.

„Bereit für den Spiegel?“, fragte Sivah.

Ich nickte, woraufhin sie mich in eine weitere Umkleide mit einem riesigen Spiegel an der Wand führte. Dieses Spiegelbild erschien mir vollkommen fremd. Meine Gesichtszüge sahen ohne Haare, die sie bisher immer sanft umrahmt hatten, markanter aus, obwohl mein Gesicht noch immer eher rund wirkte. Meine Wangenknochen traten stärker hervor. Ein Kratzer prangte auf meiner Wange. Die Kleidung ließ mich nach wie vor schlank, aber muskulös aussehen. Ich sah nicht länger süß aus, sondern gefährlich.

Sivah stand plötzlich neben mir und sah auf mich herab. Obwohl sie mich nur um wenige Zentimeter überragte, kam ich mir viel kleiner vor als sie. Alles an ihr strahlte Autorität und Kraft aus. Aus irgendeinem Grund konnte man ihr nicht widersprechen – sie war die perfekte Heerführerin. Auf einmal schob Sivah mich unsanft aus dem Waffenlager.

„Du musst jetzt zu Aras, wir haben drei Minuten vor fünf.

Mach dich auf den Weg“, sagte sie. „Wir sehen uns morgen beim Kampftraining“, fügte sie im Vorbeigehen hinzu und verschwand im angrenzenden Wald.

Achselzuckend stapfte ich in Richtung Hauptgebäude. Schließlich erreichte ich das hohe altgriechische Gebäude in der Mitte des Lagers und ging zwischen den Marmorsäulen am Eingang hindurch. Da sich im großen Saal niemand befand, öffnete ich ohne anzuklopfen die Tür zum kleinen Büro, in dem ich schon vorhin gesessen hatte. Drinnen sah ich Aras in ein Buch vertieft an seinem Schreibtisch sitzen, jedoch schaute er auf, sobald ich hereinkam.

„Hallo Xaenym. Setz dich.“

Stumm ließ ich mich auf den unbequemen Holzstuhl fallen.

„Du wurdest Hütte 9 zugeteilt. Mit Moonrise und Neffire. Deinen Stundenplan habe ich Moonrise gegeben. In einer Stunde gibt es Abendessen in der Mensa. Das war eigentlich schon alles. Wenn du möchtest, kannst du morgen um dieselbe Uhrzeit noch einmal hierherkommen, um Fragen zu stellen. Und ... “ Er zögerte. „Vielleicht haben wir bis dahin ja etwas über deine Mutter herausgefunden.“

Ich nickte, stand wortlos auf und ging hinaus. Eine seltsam leeres Gefühl breitete sich in meiner Brust aus. Was war mit meiner Mutter passiert?

Mehrere Minuten lief ich umher, nur um festzustellen, dass die Hüttennummern nicht ausgeschildert waren. Als ein Mädchen mit hüftlangen, schwarzen Haaren an mir vorbeilief, hielt ich sie an und fragte nach Hütte 9.

„Ich kann dich hinbringen.“ Ihre Stimme klang melodisch und hell. „Mein Name ist übrigens Nae. Und du bist sicher Xaenym.“

Nae war fast einen Kopf kleiner als ich und wirkte allgemein eher zierlich. Sie hatte weiche Züge, eine Stupsnase voller Sommersprossen und leuchtend grüne Augen. Ein wunderschön geschwungener Bogen war an ihrer Schulter befestigt und zwei kleinere Schwertgriffe ragten aus ihrem Waffengürtel hervor.

„Das ist im Moment alles sicher etwas viel, aber das wird schon“, sagte sie im Gehen. „Du kannst dich beim Abendessen zu uns setzen. Moonrise und Neffire werden dich ohnehin an unseren Tisch schleppen. Bis zum Abendessen also“, lächelte sie und verschwand. Ich stand vor einer Hütte, die bis auf einen knallbunten Fußabtreter vor der Tür aussah, wie jede andere hier. Da es schließlich auch meine Hütte war, hielt ich es nicht für nötig anzuklopfen und öffnete die Tür. Ich setzte mich auf das Sofa. Auch innen war die Hütte genauso eingerichtet wie Rooves und Seths.

Plötzlich kamen zwei Mädchen aus einem Zimmer. Eine war groß und schlank, trug ihre hellblonden Haare zu einem strengen Pferdeschwanz gebunden, wodurch ihre großen braunen Augen hervorgehoben wurden. Sie hatte Jeans und ein ausgebleichtes, einst orangenes T-Shirt mit unlesbarem Aufdruck an. Die andere war eher klein, hatte glatte, rabenschwarze Haare bis zur Brust und blaue Augen. Ihre Haut war vergleichsweise blass und ihre Lippen rot, hübsch geschwungen und voll. Irgendwie erinnerte ihr Aussehen mich an Schneewittchen.

Beide kamen auf mich zu und setzten sich neben mich.

„Ich bin Moonrise Fox“, stellte sich die Schwarzhaarige vor.

„Neffire Thompson“, sagte die andere.

„Xaenym Davine.“

Moonrise grinste. „Ah, das Chronos-Mädchen.“

„Und ihr?“

„Asbolos, der offiziell unbekannteste Kentaur der Welt“,

erwiderte Neffire.

„Selene, Göttin des Mondes“, meinte Moonrise.

Plötzlich öffnete sich die Tür und ein Mädchen mit blonden, gewellten Haaren, in die sie bunte Bänder geflochten hatte, und sonnengebräunter Haut trat ein. Sie trug mehrere, mit bunten Federn bestückte Halsketten und unzählige farbenfrohe Armbänder, außerdem ein violettes T-Shirt und helle, etwas zu große Hosen, die von einem Perlengürtel gehalten wurden. Das Mädchen kam mir seltsam bekannt vor.

„Du bist Xaenym Davine“, sagte sie und musterte mich eingehend. „Ich bin Scuerah Burton, Tochter der Iris, der Göttin des Regenbogens.“

„Scuerah hat bis gestern hier gewohnt, zieht jetzt aber in eine andere Hütte, weil dort jemand ... äh ... fehlt. Allerdings war sie ohnehin nie hier“, erklärte Neffire achselzuckend. Mich beschlich das beklemmende Gefühl, dass fehlt eine wohlwollende Umschreibung für gestorben ist war. Mein Blick fiel auf Scuerah. Ich konnte den Gedanken nicht loswerden, dass ich sie nicht zum ersten Mal sah. Da fiel es mir ein.

„Ich kenne dich“, platzte ich heraus.

Scuerah hob eine Augenbraue und sah mich aus großen, braunen Augen fragend an.

Aber ich war mir sicher: Vor drei Jahren hatte ein Mädchen mit bunten, geflochtenen Zöpfen sowie karamellfarbener Haut auf meine Schule gewechselt. Wir waren befreundet gewesen, doch nach zwei Wochen war sie spurlos verschwunden, ohne dass sich jemand gewundert hatte, selbst die Lehrer nicht. Also hatte ich beschlossen, sie nie wieder zu erwähnen, da man mich sonst für verrückt gehalten hätte.

„Du bist Melissa“, sagte ich.

„Ich bin Scuerah“, entgegnete sie.

„Ich erinnere mich daran, wie du zwei Wochen an meiner Schule warst“, beharrte ich.

Erschrocken riss sie die Augen auf und murmelte: „Aber ich habe eure Erinnerungen doch ...“

„Was auch immer du getan hast, es hat bei mir nicht funktioniert.“

„Ich ... ich muss zu Aras und etwas wegen dir regeln.“

Dann schnappte sie sich einen bunten Trolley, der hinter der Tür stand und verließ die Hütte.

„Wunder dich lieber nicht. Sie ist ein wenig … eigen“,

meinte Moonrise schulterzuckend und setzte sich auf die Couch.

„Und ... was machen wir jetzt? Was macht man hier denn so?“, fragte ich verlegen.

„Das was wir immer tun, trainieren. Das machen wir fast alle schon unser halbes Leben lang“, erklärte Neffire.

„Wir lange seid ihr überhaupt schon hier?“

„Ich nur ein Jahr, aber Fire schon sieben“, antwortete Moonrise.

Ich nickte. „Also geht ihr jetzt trainieren?“

„Ich? Meine Güte, nein! Kämpfen ist nicht gerade so meins. Ich mache eine Ausbildung zur Heilerin, falls Epouros mal versagt, kann ich mit verschiedenen Kräutern helfen.

Training habe ich nur einmal die Woche“, meinte Moonrise.

„Aber ich gehe. Und zwar genau jetzt. In einer dreiviertel Stunde bin ich wieder hier. Danach gehen wir was essen.“

Neffire rappelte sich auf und verließ die Hütte. Moonrise hingegen schnappte sich eine Zeitschrift von einem Stapel auf dem Couchtisch und blätterte gedankenverloren darin. Nach ein paar Minuten schien sie sich jedoch daran zu erinnern, dass ich schweigend neben ihr saß und meine Schuhe anstarrte. Sie zeigte mir ein kleines Zimmer mit weißen Wänden, das mit einem Bett, einem Schreibtisch, einer Kommode und einem winzigen Kleiderschrank eingerichtet war.

„Das gehört dir. Ach ja, ich habe noch deinen Stundenplan“, meinte sie und ging in ihr eigenes Zimmer, das eher chaotisch aussah: Die Türen des Kleiderschranks standen offen, einige Kleidungsstücke lagen auf dem Boden und der Schreibtisch war voller Phiolen, gefüllt mit seltsamen Tränken, sowie Notizblättern. Zwischen diesen fischte sie einen winzigen Zettel hervor.

„Da haben wir ihn ja. Entschuldige das Chaos hier.“ Sie grinste.

„Kein Problem. Und danke für den Stundenplan“, sagte ich, nahm den Zettel entgegen und legte ihn in meinem Zimmer auf die Kommode.

Dann setzten wir uns wieder auf die Couch, wo ich nun endlich eine der Fragen stellen konnte, die mich schon die ganze Zeit beschäftigten.

„Sei bitte ehrlich: Wie normal ist das Leben hier? Trainieren wir nur den ganzen Tag? Was machen wir sonst noch?“

„Es ist in Ordnung. Man hat Fächer wie zum Beispiel Tarnung und gelegentlich landet man wegen Trainingsverletzungen auf der Krankenstation oder wird auf Missionen geschickt, von denen häufig nicht alle zurückkehren. Aber sonst ist alles halbwegs normal.“ Ich musste schlucken, nickte dann aber.

„Ich würde gerne duschen. Wo ist das Bad?“, fragte ich.

„Da drüben.“ Sie deutete auf eine niedrige Holztür am anderen Ende des Raumes.

Das Bad war klein, nur mit einer Dusche ausgestattet und mit blauen und weißen Fliesen verziert. Überrascht stellte ich fest, dass irgendjemand mir schon frische Unterwäsche auf ein Regal gelegt und mit einem Zettel, auf dem mein Name stand, versehen hatte. Schnell schlüpfte ich aus meiner Kampfmontur und stieg unter die Dusche.

Das heiße Wasser brannte in meinen Schürfwunden, fühlte sich aber dennoch wunderbar an. Blut und Schmutz wurden von meiner Haut gespült und die Rosenseife hüllte mich in eine wunderbare Duftwolke. Dann zog ich mich an und begab mich erneut ins Wohnzimmer. Meine feuchten Haare band ich im Gehen mit dem Lederband zusammen und umwickelte den Zopf mit den überstehenden Enden, wie Sivah es mir gezeigt hatte. Neffire und Moonrise saßen auf dem Sofa und warteten ungeduldig auf mich.

Die sogenannte Mensa bestand eigentlich nur aus mehreren langen Holztischen, die auf einer Wiese neben den Hütten standen. In der Mitte jedes Tisches standen Schüsseln mit frischem Obst, Brot, Wurst und Käse sowie einige Flaschen Wasser. Ich setzte mich mit den beiden an einen Tisch, an dem Seth, Roove, Nae und ein recht kleines, rothaariges Mädchen mit einem runden Gesicht und aufgeweckten, blauen Augen, das sich als Loryelle vorstellte, saßen.

„Bist du ein Demigott?“, fragte ich.

Sie lachte. „Nein, ich bin Rotblüterin.“

Ich sah sie fragend an.

„Du weißt ja, Goldblüter sind göttlicher Abstammung und Rotblüter sind Sterbliche. Ich bin Seths Halbschwester. Eines Tages wurden unsere Eltern ermordet und Sivah kam Seth holen. Aber mit mir hatte sie nicht gerechnet. Sie musste sich also entscheiden, ob sie mich mitnahm. Und das hat sie. Allerdings kämpfe ich nicht, sondern mache mit Moon eine Ausbildung zur Heilerin“, erklärte sie.

Ich nahm mir zwei Scheiben Brot, ein wenig Käse sowie ein paar Weintrauben und kaute stumm darauf herum. Es stellte sich heraus, dass Loryelle unerträglich viel über belanglose Dinge redete, sodass ich das Meiste von dem, was sie sagte, einfach ausblendete und versuchte, die Ereignisse des heutigen Tages in meinem Kopf zu sortieren.

Als das Abendessen beendet war, gingen Moonrise, Neffire und ich zurück in unserer Hütte. Neffire verschwand im Bad und Moonrise zog sich schnell um. Sie trug jetzt ein weißes Sommerkleid mit einer türkisfarbenen Kette, die das Blau ihrer Augen unterstrich. Sie hatte ihre Augen mit Wimperntusche geschminkt, obwohl ihre Wimpern ohnehin lang und schwarz waren.

„Wir gehen abends meistens alle zu Rooves und Seths Hütte. Dort sind wir eigentlich immer, wenn wir nicht trainieren. Fire will heute nicht mit. Hast du vielleicht Lust?“ fragte sie mich.

Ich nickte und ging dich gefolgt von Moonrise zur Tür. Draußen wehte ihr Kleid sanft im Wind und ich fragte mich, ob sie nicht fror.

„Bist du mit Roove zusammen?“, wollte ich wissen.

Sie lachte. „Nein, wie kommst du darauf?“

„So ein Kleid trägt man nicht ohne Grund..“

„Nathan, von dem ich mich vor zwei Tagen getrennt habe, wohnt auch in Rooves Hütte. Das Kleid trage ich, um ihm zu zeigen, dass er was verpasst hat.“

Da ihre Stimme traurig klang, beschloss ich, nicht weiter nachzufragen und schwieg stattdessen den Rest des Weges.

Vor der Hütte angekommen klopfte Moonrise kräftig an die Tür, die daraufhin von einem dunkelhaarigen, gut gebauten Jungen geöffnet wurde. Er hatte braune Augen mit goldenen Sprenkeln darin und hohe Wangenknochen. Als er mich sah, schenkte er mir ein selbstbewusstes Grinsen und reichte mir die Hand.

„Nathan Parks, Sohn der Hera.“

Als ich aus Loyalität zu Moonrise keine Anstalten machte, seine Hand zu schütteln, sondern nur kühl meinen Namen nannte, ließ er den Arm enttäuscht sinken.

„Stell dir vor, wir wollen tatsächlich nicht zu dir. Wenn du jetzt so freundlich wärst, uns durchzulassen“, fauchte Moonrise. Widerwillig machte er den Weg frei und ich folgte Moonrise, die ins Wohnzimmer stürmte, wo Roove, Nae, Seth und Bluerax auf der Couch saßen.

Lautes Stimmgewirr war zu hören, bevor Moonrise im Türrahmen erschien und fragte: „Worüber reden wir?“

„Über Xaenym und Arme… “ Seth verstummte, als er mich hinter Moonrise stehen sah.

„Ardric. Xaenym und Ardric. Wir sind der Meinung, dass er auf sie steht“, meinte Bluerax hastig.

„Ich bin einen halben Tag hier und kenne niemanden außer euch. Bluerax, du solltest an deinen Ausreden arbeiten“,

erwiderte ich. Mir war klar, dass niemand erklären würde, worum es wirklich ging, also machte ich mir nicht die Mühe zu fragen. Trotzdem brannte ich vor Neugier.

„Wie auch immer“, meinte Roove und klopfte auf einen freien Platz neben sich. „Ihr könnt euch gern setzen.“

Moonrise und ich setzten uns auf den viel zu engen Platz, der eindeutig nur für eine Person gedacht war. Wir redeten über belanglose Dinge, doch ich hörte eigentlich gar nicht zu, sondern nickte nur hin und wieder. Die ganze Zeit dachte ich darüber nach, was Seth gesagt hatte. Nämlich ganz eindeutig 'Arme' und nicht 'Ardr'. Ich beschloss, später in den Büchern aus der Bibliothek, die ich vor dem Abendessen hier stehen gelassen hatte, nach einem Wort, das mit 'Arme' anfing, zu suchen.

„Ich glaube, ich gehe einfach jetzt schon zurück. Drei Stockwerke tief zu fallen hinterlässt trotz Epouros Spuren und ich will einfach nur schlafen. Die Bücher hole ich morgen ab“, meinte ich gähnend.

„Ich möchte noch ein bisschen hier bleiben. Macht dir das was aus?“, fragte Moonrise mit besorgter Miene.

Ich schüttelte schläfrig den Kopf und lächelte sie an. „Schon okay.“

„Ich bringe dich zu deiner Hütte“, bot Roove an.

„Dann mal los.“

Inzwischen war es draußen fast dunkel und kalt geworden, weshalb ich meine Jacke enger um meinen Körper zog.

„Roove, was wollte Seth wirklich sagen?“, fragte ich und bemühte mich, meiner Stimme Nachdruck zu verleihen.

„Keine Ahnung.“

„Du lügst. „ „Ich weiß.“

Wie ein Echo hörte ich diese Worte immer wieder durch meinen Kopf hallen. Den Rest des Weges schwiegen wir beide. Als wir vor meiner Hütte ankamen, starrte Roove verlegen auf seine Schuhe und sagte: „Da wären wir. Gute Nacht.“