Erfolgreiches Value-Investieren - Prof. Dr. Max Otte - E-Book

Erfolgreiches Value-Investieren E-Book

Prof. Dr. Max Otte

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Beschreibung

Im Zeitalter von Hedge-Fonds, Private Equity und komplexen Finanzinstrumenten erlebt das klassische Value Investing eine Wiedergeburt. Immer mehr Anleger verlassen sich auf die einfachen und klaren Prinzipien des wertorientierten Investierens, weil sie den komplexen Produkten und den Versprechungen der Finanzbranche nicht mehr trauen. Das Autorenduo gibt mit seinem Buch einen ausführlichen Überblick über Praxis und Theorie des Value Investing. In der langfristigen Erwartung einer angemessenen Rendite kaufen wertorientierte Investoren solide Unternehmen zu einem günstigen Preis. Im ersten Teil erklärt Finanzprofessor und Value-Praktiker Max Otte, wie Value Investing funktioniert. Er führt den Leser systematisch durch den Anlageprozess und gibt zahlreiche Tipps, auf welche Besonderheiten er bei der Unternehmensauswahl achten muss.

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Max Otte | Jens Castner

ERFOLGREICHES

VALUE-

INVESTIEREN

Geniale Investmentstrategienin Zeitenglobaler Veränderungen

FBV

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://d-nb.de abrufbar.

Für Fragen und Anregungen:

[email protected]

[email protected]

4. Auflage 2014

© 2010 FinanzBuch Verlag,

ein Imprint der Münchner Verlagsgruppe GmbH

Nymphenburger Straße 86

D-80636 München

Tel.: 089 651285-0

Fax: 089 652096

Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme gespeichert, verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

Lektorat: Fabienne Fontaine

Satz: Manfred Zech, Landsberg am Lech

Druck: GGP Media GmbH, Pößneck

Printed in Germany

ISBN Print 978-3-86248-707-3

ebook by ePubMATIC.com

Weitere Infos zum Verlag finden Sie unter

www.finanzbuchverlag.de

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Inhalt

 

Einleitung

Geleitwort

1. Was ist Value-Investing?

Anteile an Unternehmen kaufen

Preis und Wert

Verluste vermeiden: die Sicherheitsmarge

Früh kaufen, früh verkaufen

Andere Investmentstile

Franchise oder Katalysator; Wachstum oder Value

Glaubensbekenntnisse zweier Value-Investoren

2. Warum Value-Investing funktioniert

Unterperformance von Privatanlegern und Institutionellen

Behavioral Finance

Irrationale Märkte: ein einfaches Modell

Momentum und Mean Reversion

Selbstüberschätzung und kognitive Dissonanz

Nutzenfunktion: Verluste aussitzen, Gewinne begrenzen

Überreaktion auf aktuelle Ereignisse

Kontraproduktive Anreize (Incentives) für Fondsmanager

Berufsoptimismus von Analysten

Das Momentum-Lebenszyklusmodell

3. Der Value-Investment-Prozess

Schritt 1: Die Suchstrategie

Schritt 2: Robuste Bewertungsverfahren

Schritt 3: Disziplinierte Portfoliozusammenstellung sowie Kauf- und Verkaufsstrategie

4. Die Quellen des Unternehmenswerts und die Ermittlung des Substanzwerts

Die Bestimmung des Substanzwerts

Der Zerschlagungswert

Das Net-Net-Prinzip

Versteckte Werte in der Bilanz

Der Fortführungswert am Beispiel der BWM AG

Anpassungen beim Umlaufvermögen

Anpassungen beim Anlagevermögen

Der Fortführungswert am Beispiel Pfizer

Vor- und Nachteile der verschiedenen Methoden zur Ermittlung des Vermögens

5. Ertragswert, Branchenstruktur und Marktstrategie

Dauerhafte Wettbewerbsvorteile: das Franchise

Die Bewertung des Ertrags – etwas Arithmetik

Die Bewertung des Ertrags – tiefer gehende Fragen, die sich ein Value-Investor stellt

1. Wettbewerbs- und Branchenanalyse: Besteht ein Franchise?

2. Bereinigung der Zahlen aus der Buchhaltung

3. Bestimmung der Kapitalkosten

4. Bewertung des Unternehmens

5. Bewertung des Franchise

6. Katalysatoren für eine Wertsteigerung

6. Wachstumsunternehmen im Value-Portfolio

Gutes und schlechtes Wachstum

Etwas Wachstumsarithmetik

Die Verzinsung der einbehaltenen Gewinne als entscheidende Größe

Die Problematik zweistufiger Bewertungsmodelle

Hyperdynamische Unternehmen

Bruce Greenwald: Die Renditeperspektiven von Wachstumsunternehmen

Weitere Beispiele

7. Fallstudie Salzgitter AG

Markt, Unternehmen und Geschäftsbereiche

Suchstrategie und Bewertungsmetriken

Anzuwendende Methoden

Bewertung der Substanz

Bewertung des Ertrags

Normalisierungen und Berichtigung des Geschäftszyklus sowie außerordentlicher Vorfälle

Ergebnis

Wann verkaufen?

8. Fallstudie Bijou Brigitte modische Accessoires AG

Suchstrategie und Bewertungsmetriken

Anzuwendende Methoden

Bewertung des Ertrags

Bewertung des Wachstums

Die Grenzen des Wachstums

Wann kaufen? Wann aussteigen?

9. Verzinsung, Abzinsung, Zinseszins und die Bestimmung von Barwerten

Verzinsung (Aufzinsung, Compounding) und Zinseszins

Abzinsung (Diskontierung, Discounting)

Barwerte von Zahlungsreihen und Bewertungen von Investitionen

Anleihen

Ewige Renten

Barwert einer endlichen Rente

Der Barwert einer ewigen Rente mit konstanter Wachstumsrate

Das übliche (Ertragswert-)Verfahren zur Bestimmung des Werts von Unternehmen und Aktien

10. Das Problem der Kapitalkosten

Probleme bei der Ermittlung von Kapitalkosten

Möglichkeiten der Ermittlung von Kapitalkosten

Praktiker-Methoden zur Bestimmung von Kapitalkosten

Sicherheitsmargen (= Risikoprämien) für Aktien nach Ben Graham

Über die Autoren

Literaturverzeichnis

 

Inhaltsübersicht zu Buch II»Erfolgreiche Value-Investoren«

Einleitung

I. Der Systematische: Dr. Hendrik Leber und Acatis

II. Die Konsequenten: Braun, von Wyss & Müller

III. Der Monetarist: Dr. Jens Ehrhardt und die DJE Kapital AG

IV. Der Pragmatische: Hans-Peter Schupp und die Fidecum AG

V. Die Trendforscher: Andreas Grünewald, Alexander Kapfer und die FIVV AG

VI. Der Fokussierte: Martin Wirth und Frankfurt Performance Management AG

VII. Der Akribische: Frank Lingohr

VIII. Der Königsweg: Max Otte und die Privatinvestor Verwaltungs AG

IX. Der Privatinvestor: Norman Rentrop

X. Der Antizykliker: Peter E. Huber und die StarCapital AG

XI. Gründung des Zentrums für Value-Investing e.V.

XII. Protokoll der Gründungsversammlung für das Zentrum für Value-Investing e.V. am 08.09.2006 in Kranichstein bei Darmstadt

Stichwortverzeichnis

Einleitung

 

Erfreulicherweise erleben die klaren und erfolgreichen Prinzipien des Value-Investing (wertorientiertes Investieren) eine Wiedergeburt.

Vielen Anlegern ist es klar geworden, dass »Zertifikate«, »Private Equity« und viele komplexe Finanzprodukte oftmals nur einen Zweck haben: die Anbieter dieser Produkte auf Kosten der Anleger zu bereichern. Sogar hinter den zwischenzeitlich als finanzielle Wunderwaffen angepriesenen Exchange Trade Funds (ETFs) verstecken sich Mogelpackungen: Viele dieser Fonds halten gar nicht die Aktien der Indizes, welche sie nachbilden, sondern beliebige Aktienpakete. Diese verpfänden Sie im Gegenzug für die versprochene Rendite an Dritte.

Da ist es doch besser, sich auf die klaren Prinzipien des Value-Investierens zu besinnen.

Im Sommer 2007 veröffentlichten wir die erste Ausgabe dieses Werks, die erfreulicherweise schnell vergriffen war. Dann setzte die Finanzkrise ein und Max Otte, der die Krise bereits 2006 detailliert vorausgesagt hatte, war eine Zeit lang sehr durch die Medien beschäftigt. Wikipedia bezeichnet Max Otte gar als »Guru der Krise«.1

Gegen diese Bezeichung hat Max Otte sich immer gewehrt.2

Nun liegt die zweite, vollständig überarbeitete Fassung vor, die diesmal in zwei Bänden erscheint. Im ersten Buch Erfolgreiches Value-Investieren beschreibt Max Otte die Grundzüge des Investierens nach der Value-Methode und liefert zwei detaillierte Fallstudien zur Value-Technik. Im zweiten Buch Erfolgreiche Value-Investoren stellt Jens Castner deutschsprachige Value-Investoren und ihre Erfolgsstrategien vor. Beide Bücher gehören zusammen. Max Otte und Jens Castner haben sich bei ihrer Arbeit eng miteinander abgestimmt.

Value-Investieren heißt: Qualität, Wert und Preis (Börsenkurs) von Wertpapieren und Vermögensgegenständen einzuschätzen und zu kaufen, wenn diese billig sind sowie zu verkaufen, wenn sie teuer sind. Was sich einfach anhört, ist in der Realität oftmals alles andere als einfach. Wann ist eine Aktie billig, wann ist sie teuer? Das Kurs-Gewinn-Verhältnis ist hier nur eine sehr unzuverlässige Größe, wie wir gerade wieder erfahren mussten, denn im Zuge der Wirtschaftskrise brachen die Gewinne ein. Dann sind auf einmal Aktien, die »billig« aussahen, sehr teuer.

Um erfolgreich nach der Value-Methode zu investieren, müssen Sie also einen etwas größeren Werkzeugkasten haben, mit dem Sie einigermaßen zuverlässig bestimmen können, ob Aktien billig oder teuer sind. Diesen Werkzeugkasten liefern wir Ihnen hier. Aber noch etwas müssen Sie schaffen: sich weitgehend von der Masse abzusetzen. Wenn eine Aktie billig ist, dann kaufen Sie, egal, was »die Märkte« gerade sagen. Value-Investing ist antizyklisch, oder sogar azyklisch. Benjamin Graham, der Begründer des Value-Investing sagte einmal: Ein Investment ist nicht dann richtig, wenn Sie mit der Masse investieren (Trendfolge). Es ist aber auch nicht dann richtig, wenn Sie gegen die Masse investieren. Es kommt einzig und alleine darauf an, dass Sie im Einklang mit den Fakten investieren.

Es ist schwer, auf Basis solider betriebswirtschaftlicher Fakten und einer eigenen Meinung zu investieren. Im Kapitel »Warum Value-Investing funktioniert« stellt Max Otte die Ergebnisse der verhaltenswissenschaftlichen Finanzforschung dar. Die Kräfte, die dafür sorgen, dass wir mit der Masse schwimmen, sind sehr stark.

Erstens mobilisieren Geldentscheidungen evolutionsgeschichtlich sehr alte Bereiche des Gehirns, in dem es um Angriff und Flucht, Fressen und Gefressenwerden geht. Diese Kräfte müssen überwunden werden. Dazu muss man seinen eigenen Investmententscheidungen vertrauen. Als Max Otte im März 2009 dezidiert in mehreren Interviews empfahl, massiv in Aktien einzusteigen, wurde dies zunächst mit einer gewissen Skepsis aufgenommen, denn die Panik an den Börsen hatte gerade noch einmal einen Höhepunkt erreicht.1

Zweitens ist es für Fondsmanager, Analysten und Volkswirte weniger riskant, mit der Masse zu schwimmen, als eine eigene Meinung zu haben. Warren Buffett pflegt zu sagen, dass Lemminge als Gruppe zwar einen schlechten Ruf hätten, dass aber kein einzelner Lemming je zur Rechenschaft gezogen worden sei. Es ist eben sicherer, sich in der Masse zu irren, als zu versuchen, als Einzelner gegen die Masse recht zu haben.

Drittens benötigen Sie oftmals ein halbes, ein, zwei oder mehr Jahre Zeit, bis sich Ihre Investmentthese bewahrheitet, denn wenn Sie billige Aktien kaufen, dann kaufen Sie auch meistens Titel, die gerade nicht in Mode sind. Ihr Zeithorizont muss also länger als ein Jahr sein.

Es kann schon sehr an den Nerven zerren, wenn alle Aktien anfangen, sich zu bewegen, nur »ihre« Titel nicht. Da müssen Sie sich Ihrer Sache schon sehr sicher sein. Wenn Sie es aber durchhalten, dann winken hohe Gewinne bei begrenztem Risiko.

Köln und Frankfurt, im Frühjahr 2010

Max Otte/Jens Castner

1 Interview mit Erfolgsautor Max Otte: »Ich bin kein Crash-Prophet«, Börse Online, 26.3.2009, http://www.boerse-online.de/aktien/deutschland_europa/508045.html?nv=nv-suche; Crash-Prophet: Die »Zeit für Käufe ist günstig«, Handelsblatt, 31.03.2009, http://www.handelsblatt.com/finanzen/boerse-inside/crashprophet-die-zeit-fuer-kaeufe-ist-guenstig;2219833

1http://de.wikipedia.org/wiki/Max_Otte

2 Interview mit Erfolgsautor Max Otte: »Ich bin kein Crash-Prophet«, Börse Online, 26.3.2009

Geleitwort

Es gibt überwältigende Belege für die Überlegenheit des wertorientierten Investmentansatzes (Value-Investing) gegenüber anderen Investmentansätzen. Nach dem Value-Ansatz zusammengestellte Aktienportfolios haben in statistischen Untersuchungen die breiten Marktindizes in jedem Jahrzehnt der US-Finanzgeschichte seit 1920 um drei bis fünf Prozent geschlagen – und ebenso in fast jedem anderen nationalen Markt, in dem solche Vergleiche bislang durchgeführt wurden. Unter den großen institutionellen Investmentgesellschaften erzielen wertorientierte Investmenthäuser wie Sanford Bernstein, Oppenheimer, Lazard Asset Management, Tweedy, Browne Company und Brandes regelmäßig vergleichbare Überrenditen gegenüber ihren Kollegen in anderen Häusern. Und die Reihen der wirklich herausragenden Einzelinvestoren werden von Value-Praktikern wie Warren Buffett dominiert.

Dennoch hat Value-Investing selbst in den Vereinigten Staaten von Amerika, wo es von Benjamin Graham in den späten 1920er und frühen 1930er Jahren entwickelt wurde, eine wechselhafte Geschichte hinter sich. Vor den 1960er Jahren war der Value-Ansatz auf eine kleine, aber sehr erfolgreiche Gruppe von Investoren beschränkt, die sich um Benjamin Graham an der Columbia University scharten, wo Graham und sein Partner David Dodd unterrichteten. In den späten 1960er und 1970er Jahren war sogar diese kleine Gemeinschaft durch die Ausbreitung der Theorie der effizienten Kapitalmärkte bedroht. Eine Wiederbelebung in den 1980er und frühen 1990er Jahren wurde durch die Technologieblase der späten 1990er Jahre hinweggefegt. Erst in den letzten Jahren hat sich Value-Investing einen festen Platz in der US-Investmentbranche gesichert, ist aber immer noch eine Minderheitsposition.

In Europa hat Value-Investing so gut wie gar keine Geschichte. Value-Praktiker sind erst in den letzten Jahren in Europa hervorgetreten, weil sowohl Investmentmanager als auch akademische Finanzmarkttheoretiker sich mit den langfristigen Nachweisen der Überlegenheit des Value-Ansatzes vertraut gemacht haben. In den Vereinigten Staaten von Amerika konnten Value-Investoren von den Werken Grahams und Dodds, dem jährlichen Brief Warren Buffetts an die Aktionäre von Berkshire Hathaway und einigen neueren Büchern profitieren. In Europa gibt es noch keine vergleichbaren Werke.

Zudem existiert in den Vereinigten Staaten eine aktive Gemeinschaft von Value-Investoren, die über Newsletter, Konferenzen und Websites miteinander verbunden sind. In Europa ist das nicht der Fall. Deswegen ist das Erscheinen dieses Buchs, das der bekannte Finanzprofessor Max Otte in Zusammenarbeit mit einem anerkannten Finanzjournalisten wie Jens Castner geschrieben hat, ein bedeutendes Ereignis mit Signalwirkung für das Value-Investing in Europa. Das Erscheinen des Buchs sowie andere Entwicklungen, wie zum Beispiel die Gründung des Zentrums für Value-Investing e. V. an der FH Worms University of Applied Sciences sollte den Beginn der Entwicklung einer aktiven Gemeinschaft europäischer Value-Investoren bezeichnen.

Die herausragenden Value-Investoren, die im zweiten Teil dieses Buchs porträtiert werden, sind ein Beleg dafür, dass diese Entwicklung mittlerweile in vollem Gange ist. Vor zehn Jahren wäre es noch unmöglich gewesen, eine solche Gruppe von Investmentgesellschaften und Individuen in deutschsprachigen Ländern zusammenzustellen, heute fallen einem schnell mehr als ein halbes Dutzend davon ein.

Wenn man sich die überlegenen Renditen vor Augen führt, die in der Vergangenheit mit dem Value-Ansatz in Europa erzielt werden konnten, und wenn man sich zugleich die Verhaltensmuster vergegenwärtigt, die diesen Erfolg ermöglichten (und die sich wahrscheinlich auch in der Zukunft fortsetzen werden), ist das Entstehen einer Value-Gemeinschaft ein wichtiger Meilenstein nicht nur für den deutschsprachigen Raum, sondern für europäische Investoren insgesamt.

Dies ist daher ein Buch, das eine breite Leserschaft verdient.

New York, im Oktober 2006

Bruce Greenwald

Robert Heilbrunn Professor of Finance and Asset Management und Director of the Heilbrunn Center for Graham and Dodd Investing, Columbia University

Teil I:Grundlagen desValue-Investing

ICH FINDE ES BEMERKENSWERT, DASS DIE IDEE,DOLLARSCHEINE FÜR 40 CENTS ZU KAUFEN,EINIGEN MENSCHEN SOFORT EINLEUCHTET,ANDEREN JEDOCH NIE.

Warren Buffett1

1. Was ist Value-Investing?

Value-Investoren versuchen, Aktien oder andere Vermögensgegenstände zu finden, die sie deutlich unter ihrem eigentlichen, »wahren« oder »intrinsischen« Wert erwerben können. Wenn sie solche Kaufgelegenheiten finden, kaufen sie, wenn sie keine unterbewerteten Aktien finden, lassen sie es. Das ist alles, was sie tun: Sie vermeiden es, den Schlagworten der jeweiligen Ära Beachtung zu schenken. »Hedgefonds«, »Private Equity« und »Rohstoffe« lassen sie genauso kalt wie von 1995 bis 2000 die »New Economy«, »Internet« und »Technologie« oder in den sechziger Jahren die »Nifty Fifty« 2. Stattdessen konzentrieren sie sich Tag für Tag darauf, unterbewertete Aktien oder andere Vermögensgegenstände zu finden und den sprichwörtlichen Dollar für 40 Cents zu erwerben.

Value-Investoren kaufen Aktien guter Unternehmen für sich oder ihre Mandanten und verkaufen diese dann zu einem höheren Preis an andere. Sie gehen davon aus, dass sie eine gute Rendite mit angemessener Sicherheit erwirtschaften können, wenn sie solche Anteile an einem guten Unternehmen zu einem sehr günstigen Preis bekommen können.

Die Grundannahme des Value-Investing

Gutes Unternehmen + sehr günstiger Preis => angemessene bis hervorragende Rendite bei überschaubarem Risiko bzw.

Sicherheit des eingesetzten Kapitals und angemessene Rendite3

Eine zweite, etwas schwierigere Form des Value-Investing besteht darin, Anteile an Unternehmen, die sich in Schwierigkeiten befinden, zu kaufen, also an schlechten Unternehmen, die keiner haben will. Hier muss der Preis natürlich extrem günstig sein, um das erhöhte Risiko zu rechtfertigen. Und Sie müssen schon sehr genau wissen, was Sie tun, wenn Sie diesen zweiten Ansatz wählen.

Value-Investoren interessieren sich normalerweise nicht für »den Markt« oder »die Konjunktur«, zumindest beruhen ihre Investmententscheidungen nicht darauf. Sie »managen« keine Portfolios, sondern sehen jedes Investment als einzigartig an. Und sie sind mit dieser »altmodischen« Auffassung extrem erfolgreich.

Im Hinblick auf die USA fallen einem Namen wie Warren Buffett und Charlie Munger, Schloss Associates, Tweedy, Browne, Brandes Partners, Martin Whitman und Third Avenue, Joel Greenblatt oder Bill Miller von Legg Mason ein. Aber auch in Deutschland, Österreich und der Schweiz praktiziert eine wachsende Schar von größtenteils unabhängigen Fondsgesellschaften das Value-Investing. Im zweiten Teil dieses Buchs stellt Jens Castner acht davon vor, darunter die Pioniere des Value-Investing hierzulande. Der intellektuelle Vater aller Value-Investoren ist Benjamin Graham: Mit seinem zusammen mit David Dodd geschriebenen und 1934 erstmals erschienenen Buch »Security Analysis« sowie seinen Kursen an der Columbia University legte er den Grundstein für die moderne Value- und Wertpapieranalyse.4 Alle Value-Investoren bauen auf ihre Art auf Graham und Dodd auf, obwohl die meisten von ihnen ihren eigenen Investmentstil entwickelt haben.

Der Erfolg gibt den Value-Investoren recht: Seit mehr als sechs Jahrzehnten erzielt Value-Superstar Warren Buffett systematisch weitaus höhere Renditen als der Aktienmarkt.5 Seine oftmals »langweiligen« Investments – wie zum Beispiel Aktien von Coca-Cola – haben ihm ein Vermögen von über 40 Milliarden Dollar eingebracht und ihn zum zweitreichsten, zeitweise auch reichsten Mann der Vereinigten Staaten gemacht. Allein in den dreißig Jahren, für die Daten über Buffetts Investmentholding Berkshire Hathaway verfügbar sind, erzielte er eine durchschnittliche Jahresrendite von 21,5 Prozent für seine Aktionäre, der Aktienmarkt durchschnittlich »nur« 10,3 Prozent pro Jahr.6 Von 1957 bis 1965 erreichte er sogar eine jährliche Verzinsung des eingesetzten Kapitals von durchschnittlich 32,4 Prozent.7

Eine Rendite von 21,5 Prozent über einen solch langen Zeitraum ist Weltspitze. Wenn Sie im Jahr 1965 den Gegenwert von 1.000 Euro bei Berkshire Hathaway angelegt hätten, wäre Ihr Kapital im Jahr 2005 (40 Jahre später) auf

2.415.745 Euro

angewachsen. Wenn Sie bereits im Jahre 1957 bei Buffett investiert hätten – und einige haben bereits seit Anfang der fünfziger Jahre bei ihm investiert – wäre aus Ihrem Investment im Gegenwert von 1.000 Euro im Jahr 1957 bis zum Jahr 2005 eine Summe von

27.716.046 Euro

geworden. Diese erstaunliche Kapitalvermehrung erfolgt durch ein Phänomen, das ich an einer anderen Stelle als das »Wunder des Zinseszins« bezeichnet habe.8 Zunächst geht die Kapitalvermehrung langsam vonstatten, später aber immer schneller, da die Summe, die verzinst wird, sich immer weiter erhöht. Im ersten Jahr wächst die Summe von 1.000 Euro auf 1.215 Euro an, im zweiten auf 1.476 Euro, im dritten auf 1.794 Euro. Vom Jahr 29 zum Jahr 30 wächst das Kapital bereits von 284.000 Euro auf 345.000 Euro.9 Und zwischen dem Jahr 32 und 33 werden aus 1.000 Euro Startkapital 500.000 Euro.

Abb. 1.1: So vermehren sich 1.000 Euro bei 21,5 % Rendite

Quelle: eigene Darstellung

Warren Buffett ist zweifellos ein Ausnahmetalent. Bei Buffett kommen zwei Dinge zusammen: ein auf Value trainiertes Computergehirn, mit dem er blitzschnell die wesentlichen Tatsachen erkennt und seine Berechnungen im Kopf durchführt, sowie eine unglaubliche Fokussierung. Buffett hat sein Leben lang nichts anderes gemacht als Value-Investing. Für die deutschsprachigen Value-Investoren, die im zweiten Teil dieses Buchs zur Sprache kommen, ist er eindeutig »der Beste«.

Aber auch wenn Sie nicht hoffen können, dieselben Resultate wie Warren Buffett zu erzielen: Value-Investing lässt sich erlernen. Zwar schafft es nur eine Handvoll Investoren – es sind weltweit definitiv deutlich weniger als zehn –, die Märkte über einen langen Zeitraum um durchschnittlich mehr als 10 Prozent zu überflügeln, doch von diesen hat Buffett am längsten durchgehalten. Viele Valueorientierte Investoren und Fondsgesellschaften erzielen durch methodisches Vorgehen und systematische Aktienauswahl immerhin ca. vier Prozent mehr als der Markt. Und einige schaffen es, dauerhaft sechs bis sieben Prozent höhere Renditen als die Märkte zu erreichen, indem sie Unternehmen und ihr Branchenumfeld analysieren und sich ein genaues Bild über deren wahrscheinliche Entwicklungen machen sowie eine disziplinierte Kauf- und Verkaufsstrategie verfolgen.

Dabei sind auch schon die normalen Renditen der Aktienmärkte beträchtlich und übertreffen langfristig jede andere Form der Kapitalanlage.10 Von 1948 bis 2005 hätte zum Beispiel ein Investment in DAX-Werte durchschnittlich 12,2 Prozent pro Jahr gebracht.11 Mit amerikanischen Standardwerten des S&P-500-Index hätten Sie über den langen Zeitraum von 1926 bis 2000 13,0 Prozent erzielt.12 Allerdings beinhalten diese Zahlen die außerordentlich guten Renditen für DAX-Unternehmen von 1948 bis 1960 sowie die lange Börsenhausse von 1982 bis 2000. Eine Annahme von acht bis zehn Prozent als langfristige durchschnittliche Rendite für die Aktienmärkte ist daher realistischer.13 Bei zwölf Prozent Verzinsung werden aus 1.000 Euro nach 30 Jahren noch 30.000 Euro, bei zehn Prozent immerhin noch 17.000 Euro. Die Aktienanlage ist also eine gute Säule für die Altersvorsorge und für den Vermögensaufbau sowie eine wesentlich bessere Alternative als die staatliche Alterssicherung, deren Rendite ungewiss ist und wahrscheinlich sogar deutlich negativ sein wird. Die Renditen der Kapitallebensversicherungen sind ebenfalls ungewiss und belaufen sich bei schlechten Versicherungen auf nicht mehr als magere zwei Prozent, bei besseren vielleicht auf fünf Prozent.14

Auch Privatanleger können lernen, die Aktienmärkte um zwei bis vier Prozent zu schlagen (das heißt, eine Outperformance gegenüber dem Index zu erzielen), wenn sie systematisch und methodisch vorgehen. Damit könnten Sie mit einer fantastischen Rendite von langfristig zwölf bis 15 Prozent rechnen. Im Jahr 2001 haben Max Otte und Stefan Kotkamp nachgewiesen, dass zum Beispiel einfachste Dividendenstrategien, die nicht mehr als eine Stunde Arbeit pro Jahr erfordern, im Durchschnitt den Aktienmarkt um drei bis vier Prozent schlagen.15 Es gibt weitere, ähnlich einfach gestrickte »mechanische« Strategien, mit denen Sie deutliche Überrenditen von zwei bis vier Prozent erzielen können. Allerdings erfordern gerade die einfachen Strategien eine ungeheuere Selbstdisziplin und eine sehr große Erfahrung als Investor. Es ist sehr schwer, eine solche mechanische Strategie angesichts der Stimmungsschwankungen des Markts durchzuhalten. Auch ist die Tatsache, dass diese Strategien seit immerhin ca. 80 Jahren funktionieren, nicht unbedingt eine Garantie dafür, dass sie in der Zukunft weiterhin funktionieren werden.

Es macht durchaus einen gewaltigen Unterschied, ob Sie zwei Prozent besser oder schlechter als der Markt abschneiden. Bei zehn Prozent (der langfristigen Rendite der Aktienmärkte) würden aus 1.000 Euro nach 40 Jahren 45.000 Euro, bei acht Prozent nur 21.700 Euro. Wenn Sie zwölf Prozent schaffen, sind es bereits 93.000 Euro, bei 16 Prozent schon 379.000 Euro.

Tab. 1.1:

Kleine Abweichungen von der Marktrendite wirken sich langfristig sehr stark auf das Vermögen aus

 

1 Jahr

5 Jahre

10 Jahre

20 Jahre

40 Jahre

2 %

1.020

1.100

1.220

1.500

2.200

4 %

1.040

1.200

1.480

2.200

4.800

8 %

1.080

1.500

2.160

4.700

21.700

10 %

1.100

1.600

2.600

6.700

45.000

12 %

1.120

1.800

3.100

9.600

93.000

16 %

1.160

2.100

4.400

19.500

379.000

20 %

1.200

2.500

6.200

38.300

1.500.000

Quelle: eigene Berechnung

Überrenditen von zwei bis vier Prozent sind also für disziplinierte und erfahrene Privatinvestoren möglich. Langfristige Überrenditen von mehr als fünf Prozent sind allerdings den wirklichen Könnern der Value-Analyse vorbehalten, solche von mehr als zehn Prozent den Superstars.

Value-Investing ist nicht einfach: Benjamin Graham schrieb, dass sogar Laien mit einem Minimum an Anstrengung eine ordentliche Performance erzielen können; dass es aber mehr als eines kleinen Quäntchens an Weisheit und Erfahrung bedarf, diese Performance zu verbessern. »Wenn Sie nur etwas mehr Wissen und Intelligenz mitbringen und auf dieser Basis investieren, kann es sogar gut sein, dass Sie schlechtere Resultate als der Durchschnitt erzielen.«16 Das liegt darin, dass Anleger mit Halbwissen sich mehr zutrauen, als sie sich zutrauen sollten, und sich dann doch wieder unbewusst stark von den Schwankungen des Markts beeinflussen lassen.17 Für Graham ist es daher eher eine Frage des Temperaments als des Intellekts, ob Sie Value-Investor werden können.

Damit Value-Investing funktionieren kann, muss es gelegentlich massive Abweichungen zwischen dem Börsenkurs einer Aktie und dem inneren (»fairen«) Wert dieser Aktie geben. Die Aktienkurse müssen zum Beispiel durch irrationale Erwartungshaltungen, seien es nun Euphorie oder Panik, Gier oder Furcht, getrieben werden. Diese durch Emotionen getriebenen Abweichungen können Value-Investoren ausnutzen. Genau das hat Warren Buffett gemeint, wenn er davon sprach, dass Sie gelegentlich einen Dollar für 40 Cents kaufen können. Und genau hier spaltet sich die Schar der Investoren, Finanzmanager und Akademiker.

Die einen – bis heute zum Beispiel die Mehrheit der akademischen Finanzmarkttheoretiker – glauben, dass es für Anleger nicht möglich ist, systematisch über einen längeren Zeitraum besser zu sein als der Aktienmarkt. Diese Auffassung ist in der Finanzmarkttheorie als »Markteffizienzhypothese« bekannt.18 Wenn Märkte effizient sind, verarbeiten sie alle Informationen schnell und rational. Der Mechanismus von Angebot und Nachfrage sorgt dafür, dass Unter- und Überbewertungen von Aktien erst gar nicht entstehen können oder sehr schnell abgebaut werden. Ein großer Teil meiner Professorenkollegen ist noch heute davon überzeugt, dass es kaum Situationen gibt, in denen Sie nur 40 (oder 50, 60, 70) Cents für den Dollar bezahlen. Der folgende Witz, der unter Ökonomen kursiert, bringt die Markteffizienzhypothese auf den Punkt: Zwei Volkswirte gehen über die Straße. Sagt der eine: »Schau mal, dort liegt ein 100-Euro-Schein!« Darauf der andere: »Das kann gar nicht sein, denn wenn er dort liegen würde, hätte ihn schon längst jemand aufgehoben.«

Es gibt also für den rationalen Investor gemäß dieser Auffassung so gut wie keine Möglichkeiten, unterbewertete Aktien zu finden. Am besten kauft er den gesamten Markt. Eine solche Strategie lässt sich heute relativ einfach realisieren, zum Beispiel mit Hilfe von Index-fonds und Indexzertifikaten. Dies spart viel Gebühren, die sonst an der Performance nagen würden.

Je nachdem welche Form man vertritt, besagt die Hypothese der effizienten Märkte, dass entweder nur alle öffentlich verfügbaren Informationen (Kurse, ggf. noch Unternehmenszahlen und Branchenentwicklung) oder sogar alle verfügbaren Informationen (also auch Insiderinformationen) im Börsenkurs einer Aktie enthalten sind. Der Markt weiß es am besten. Seit den sechziger Jahren haben Tausende Forscher sich bemüht, zu beweisen, dass die Kapitalmärkte effizient sind und dass Value-Investing nicht funktionieren kann. Michael Jensen ist in den siebziger Jahren sogar so weit gegangen, die Markteffizienzhypothese also eine »der am besten belegten Tatsachen in den Sozialwissenschaften« zu bezeichnen.19

Vordergründig leuchtet die Markteffizienzhypothese ein: Wenn es überhaupt funktionierende Märkte gibt, dann doch sicher die Kapitalmärkte? Diese Märkte sind hochliquide. Sie werden von vielen Spezialisten beobachtet. Die Teilnehmer können in Sekunden Milliardenvermögen verschieben. Die moderne Informationstechnologie sorgt dafür, dass sich wichtige Informationen in Sekundenbruchteilen verbreiten. Da wäre es vordergründig betrachtet doch angebracht, davon auszugehen, dass der Mechanismus von Angebot und Nachfrage weitestgehend funktioniert.

Dennoch ist eine zweite Gruppe – bis heute eine Minderheit – anderer Auffassung. Diese Gruppe glaubt, dass der Markt immer wieder Möglichkeiten für Value-Investoren bietet, Aktien oder Investments im Wert von einem Dollar für 40 (50, 60, 70) Cents zu erwerben. Das geht nur, wenn der Markt des Öfteren irrationale und emotionale Züge aufweist, etwas, das die Vertreter der Effizienzhypothese vehement verneinen würden. Benjamin Graham hat den Markt einmal dahingehend beschrieben, dass er kurzfristig ein Abstimmungsmechanismus, langfristig jedoch ein Wiegemechanismus ist. Im ersten Fall werden Meinungen gezählt, im zweiten Fall jedoch objektive Größen gemessen.

Die meisten Vertreter des Value-Investing sind Praktiker. Viele sind reich geworden, indem sie ihre Erkenntnisse konsequent anwendeten. Zudem hinterfragt eine wachsende Zahl von Finanzmarkttheoretikern die Effizienz und Rationalität der Kapitalmärkte. Hier hat sich das Forschungsgebiet der Behavioral Finance gebildet, auf das ich im zweiten Kapitel tiefer eingehen werde.20 Die Behavioral Finance versucht, die Motive und Handlungsroutinen von Anlegern zu durchleuchten (»effiziente Märkte«) und damit ein realistischeres Bild des Anlegerverhaltens zu gewinnen.

Value-Investing selber wird hingegen an Hochschulen kaum gelehrt. Bislang gibt es nur ein einziges Zentrum an einer großen Universität, welches sich ausdrücklich mit Value-Investing beschäftigt, das von Professor Bruce Greenwald geleitete Heilbrunn Center for Graham and Dodd Investing an der Columbia University.21 In Deutschland macht mein Kollege Ekkehard Wenger von der Universität Würzburg gelegentlich von sich reden, wenn er die unseriösen Praktiken von Managementteams offenlegt, die ihre Aktionäre übervorteilen. Wenger ist nicht nur öffentlicher Aktionärsvertreter, sondern auch ein hervorragender Value-Investor.22 In Worms baue ich ein Zentrum für Value-Investing auf. Einige Kollegen interessieren sich durchaus für Value-Investing, konzentrieren sich aber in ihrer akademischen Forschung größtenteils darauf, ob Märkte effizient sind (oder nicht) und warum sie es sind (oder nicht).

Ein Grund hierfür mag darin liegen, dass Value-Investing zwar eine intellektuell sehr anspruchsvolle Aufgabe ist, für den reinen theoretischen Diskurs aber weniger Neuland bietet. Wissenschaftliche Meriten lassen sich damit nicht verdienen. Value-Investing besteht aus angewandter Betriebswirtschaftslehre, Branchenwissen, Fakten, viel Kreativität und gesundem Menschenverstand. Die Prinzipien des Value-Investing sind bekannt. Man muss diese nur kontinuierlich anwenden. Da aber die Realität sehr komplex ist und sich permanent verändert, ist diese Anwendung oftmals sehr schwer. Man muss in komplexen Situationen die wesentlichen Fakten erkennen, Arbeitshypothesen zum Wachstum und Verhalten bestimmter Größen, zum Beispiel des Cashflows, aufstellen und diese mit Intuition und vielen Zahlen überprüfen. Das ist harte Arbeit.

Sie können das Value-Investing auch mit dem Beherrschen eines Instruments, zum Beispiel einer Geige, vergleichen. Theoretisch ist die Beherrschung einer Geige sehr einfach: Sie müssen nur den richtigen Ton zum richtigen Zeitpunkt treffen und den Ton mit der richtigen Intensität spielen. Wer allerdings schon einmal eine Geige in der Hand gehabt hat weiß, dass es in der Praxis ganz anders aussieht.

Warren Buffett verwendet als Analogie für das Value-Investing gerne die Sportart Baseball. Als Schläger (Hitter) müssen Sie sehr gut sein, um einen Ball richtig zu treffen. Der Werfer des Balls (Pitcher) ist dem Hitter zumeist überlegen. Baseball ist auch deswegen eine gute Analogie, weil Sie auch beim Value-Investing versuchen, eine Aktie, deren Kurs sich bewegt, zum richtigen Zeitpunkt zu »treffen«. Anders als beim Baseball haben Sie allerdings beliebig viele Versuche und müssen nicht nach einer bestimmten Anzahl Bälle schlagen. Letztlich können also auch mittelmäßige Hitter Erfolg haben, wenn sie die erforderliche Geduld mitbringen, auf eine gute Gelegenheit zu warten.

Anteile an Unternehmen kaufen

Mit dem Erwerb einer Aktie erwerben Sie einen Teil des Eigenkapitals eines Unternehmens. Sie werden (Teil)eigentümer und »Kapitalist«. Der Aktienkurs ist der Preis, den Sie bezahlen, ihr Unternehmensanteil der Wert, den Sie für den gezahlten Preis bekommen. Sie müssen sich also ein Bild vom Wert des Gesamtunternehmens verschaffen, um daraus den Wert Ihres Anteils ableiten und bestimmen zu können.

Zunächst einmal werden Sie also prüfen, ob Sie sich an einem guten oder hervorragenden Geschäft beteiligen. Als erster Ansatzpunkt hierfür ist die Eigenkapitalrendite (absolut oder im Branchenvergleich) sehr gut geeignet: Sie setzt den Gewinn des Unternehmens in Relation zum bilanziellen Eigenkapital des Unternehmens. Es gibt Unternehmen, die Renditen von 20, ja 50 Prozent und mehr auf das eingesetzte Eigenkapital erwirtschaften. Von Interesse ist auch die Frage, ob das Unternehmen und die Branche insgesamt eine Zukunft haben, wie das Unternehmen am Markt positioniert ist und wie die Zukunft für seine Produkte und Dienstleistungen aussieht. Zudem können Sie überprüfen, wie stabil die Erträge, Marktanteile und sonstigen Kennzahlen des Unternehmens sind oder ob sich dieses Unternehmen vielleicht in einer abnormal guten oder schlechten Geschäftslage befindet, die sich bald ändern könnte.

Jede Aktie verbrieft ein Stimmrecht. In Deutschland ist die Emission von Mehrstimmrechtsaktien grundsätzlich gemäß § 12 (2) AktG unzulässig.

Unternehmen können bis zur Höhe des Stammkapitals auch stimmrechtslose Vorzugsaktien ausgeben.23 Der Besitz von Aktien berechtigt Sie, auf der Hauptversammlung

• den Aufsichtsrat zu wählen,

• über die Entlastung von Vorstand und Aufsichtsrat abzustimmen,

• Gegenvorschläge einzubringen,

• Fragen zu stellen,

• über einige wichtige Entscheidungen abzustimmen, zum Beispiel über die Verwendung des Bilanzgewinns, Kapitalerhöhungen, -herabsetzungen, Fusionen und Dividendenzahlungen zu beziehen, wenn die Hauptversammlung eine Ausschüttung beschließen sollte.24

Als Value-Investor verstehen Sie sich auch dann als Eigentümer, wenn Sie nur wenige Anteile an einem Unternehmen halten. Von der Aktie der DaimlerChrysler AG (ISIN: DE0007100000) waren zum Beispiel im August 2006 gut eine Milliarde Aktien, genau gesagt: 1.018.172.696 Stück, im Umlauf. Als Besitzer von 100 Aktien würden Sie also über den zehnmillionsten Teil des Grundkapitals verfügen.

Natürlich können Sie als kleiner Value-Investor keinen maßgeblichen Einfluss auf »Ihr« Unternehmen ausüben. Sie können aber überprüfen, ob das Management sich den Interessen der Aktionäre – der Eigentümer – verpflichtet fühlt oder primär eigene Interessen verfolgt. Diese Eigeninteressen können zum Beispiel sein: Expansions streben, Erweiterung des Machtbereichs und unangemessen hohe Vorstandsbezüge. In diesem Zusammenhang ist auch wichtig, ob das System der Corporate Governance sicherstellt, dass die Unternehmensleitung im Sinne der Eigentümer agiert.25

Gerade DaimlerChrysler ist ein Paradebeispiel dafür, wie ein hervorragendes Unternehmen durch ein machthungriges Management jahrzehntelang Geld vernichtet hat. Mercedes-Benz ist sicherlich eine der prestigeträchtigsten und wertvollsten Marken der Welt.26 Die Autos aus dem Haus Mercedes standen in ihrem Segment jahrzehntelang unangefochten auf Platz eins. Dennoch war das – aus heutiger Sicht größenwahnsinnige – Management damit nicht zufrieden. Edzard Reuter wollte einen »integrierten Technologiekonzern« aufbauen und kaufte wahllos Unternehmen aus anderen Bereichen zusammen, von denen er nichts verstand, Jürgen Schrempp machte dies teilweise wieder rückgängig, belastete aber das Unternehmen mit seiner Vision der »Welt AG«, indem er den Sanierungsfall Chrysler teuer einkaufte und sich bei Mitsubishi beteiligte. In Schrempps Fall spielte wohl auch die ungefähre Verzehnfachung der Bezüge eine Rolle: Nach der Fusion mit Chrysler wurden alle Mitarbeiter weiterhin nach nationalen Maßstäben bezahlt, nur für die 400 obersten Führungskräfte wurden die absurd hohen amerikanischen oder »internationalen« Maßstäbe angesetzt.

Aktionärsorientiert wäre Daimler-Benz gewesen, wenn man sich auf sein Kerngeschäft konzentriert und dort die absolute Führungsposition ausgebaut und verteidigt hätte. Das hätte viel weniger Kapital erfordert als die missglückten und größenwahnsinnigen Strategien der letzten zwanzig Jahre. Und die Rendite für die Eigentümer wäre wesentlich höher gewesen, da das Unternehmen deutlich höhere Dividenden hätte zahlen können. Die Aktie von Daimler stand im Oktober 1996 genau da, wo sie knapp zehn Jahre später im August 2006 nach einer langen Achterbahnfahrt wieder anlangte: bei vierzig Euro. Der Aktionär hat in dieser Zeit nur die Dividendenrendite – zwischen zwei und vier Prozent auf sein eingesetztes Kapital – erzielt. Und diese magere Rendite musste auch noch versteuert werden.

Abb. 1.2: Kursverlauf der Aktie der Daimler-Benz bzw. DaimlerChrysler AG

Quelle: www.daimlerchrysler.com

Auch die »Volksaktie« Deutsche Telekom AG (ISIN: DE0005557508) notierte im August 2005 – nach einer Berg- und Talfahrt mit Kursen von kurzfristig über 100 Euro (2000) und unter acht Euro (2003) – wieder unter ihrem Ausgabepreis von umgerechnet 14,57 Euro vom Börsengang aus dem Jahr 1996. Auch hier hat ein größenwahnsinniges Management in den Jahren der Technologieblase viel Geld für sinnlose Investitionen verbrannt. Und auch hier haben sich die Aktionäre mit der Dividendenrendite von durchschnittlich zwei bis vier Prozent abzüglich langfristigen Kursverlusts zufriedengeben müssen. Im August 2005 war der Preis der Aktie allerdings so stark gefallen, dass die Dividendenrendite auf fast sieben Prozent anstieg. Das war zumindest ein Signal, welches Value-Investoren zu einer weiteren Analyse dieser Aktie veranlassen könnte, da es zunächst einmal eine niedrige Bewertung signalisiert.

Demgegenüber stieg der Kurs der Aktie der BASF AG (ISIN: DE0005151005) – des nach wie vor größten Chemiekonzerns der Welt – zwischen 1996 und 2006 von 20 Euro auf 61 Euro, das entspricht einem durchschnittlichen jährlichen Kursanstieg von 8,3 Prozent – und das trotz des Einbruchs des DAX. Die Kursentwicklung war zudem wesentlich stetiger als die des DAX. Rechnet man durchschnittlich zwei bis drei Prozent Dividende hinzu, dann beträgt die Rendite für die Aktionäre (Total Shareholder Return) über zehn Prozent. Das kann sich sehen lassen.

Abb. 1.3: Kursverlauf der Aktie der BASF AG 1996–2006

Quelle: Yahoo! Finance

Anders als »beim Daimler« oder bei der Telekom hat sich das Management der BASF nie zu großen, »visionären« Investitionen hinreißen lassen, sondern kontinuierlich daran gearbeitet, das Geschäft zu verbessern und hierbei nüchtern und kaufmännisch gerechnet. Dabei hängt ein solches Vorgehen nicht von der Branche ab, sondern ausschließlich von den Einstellungen des Managements.27 Dass selbst Konzerne aus »alten Branchen« auf sehr komische Ideen kommen können, zeigt der Fall der Preussag AG, die ihr Stahlgeschäft unter dem Namen Salzgitter AG (ISIN: DE0006202005) abspaltete und sich in einen Touristikkonzern, die TUI AG, umwandelte (DE000TUAG000). Während die Aktie der TUI AG (die ehemalige Muttergesellschaft) einen Leidensweg ohne abzusehendes Ende beschreitet, hat sich die Salzgitter AG, die wir uns später in einer Fallstudie ansehen werden, hervorragend entwickelt und ihren Börsenwert um fast das Siebenfache gesteigert.

Für Warren Buffett ist deshalb – jenseits aller Marktstrategien – die wichtigste Frage bei der Beurteilung eines Investments: »Wird das Unternehmen von ehrlichen und kompetenten Menschen geleitet, die im Sinne der Eigentümer, also der Aktionäre handeln?«28 Buffett würde daher lieber ein mittelmäßiges Geschäft mit einem hervorragenden Management als ein hervorragendes Geschäft mit einem mittelmäßigen Management kaufen.

Leider ist dieses Kriterium, das eigentlich offensichtlich und einleuchtend ist, oftmals nicht auf Anhieb zu überprüfen. Immer wieder gelingt es Topmanagern, die Öffentlichkeit über einen längeren Zeitraum zu blenden. In den Fällen, wo die aktionärsunfreundliche Einstellung des Managements nicht geradezu offensichtlich, aber dennoch vorhanden ist, müssen Sie schon mit der Geschichte eines Unternehmens, der Branche und den Zahlen vertraut sein. Noch besser ist es natürlich, das Management zu kennen, aber dieses Privileg bleibt nur bestimmten Analysten und Insidern vorbehalten. Aber schon Geschäftsberichte sagen viel über ein Management aus, wenn man sie sorgfältig liest.

Eine wichtige Kennzahl zur Beurteilung der Leistung eines Managements ist die Rendite der einbehaltenen Gewinne: Wenn ein Management Gewinne nicht ausschüttet, sondern wieder in das Unternehmen investiert, sollten diese Investments eine vernünftige Rendite von deutlich über zehn Prozent, je nach Branche sogar wesentlich höhere Renditen, erbringen. Was viele Hobbyaktionäre vergessen: In einem normalen und nicht mehr wachsenden Unternehmen sollten sich ja die Ersatzinvestitionen durch die Abschreibungen bezahlen lassen und bereits vom Gewinn abgezogen sein. (Natürlich muss der Cashflow ausreichend sein, um die Investitionen zu tätigen.) Es gäbe also in einem solchen Unternehmen gar keinen Grund, Gewinne einzubehalten, es sei denn, das Management identifiziert für dieses Kapital Investitionschancen, deren Renditen deutlich über den Marktrenditen für Aktien (also über zehn Prozent) liegen.

Value-Investoren stehen Wachstum nicht grundsätzlich kritisch gegenüber. Manchmal ergeben sich durch das Wachstum in Marktnischen oder in Bereichen, in denen das Unternehmen Wettbewerbsvorteile hat, fantastische Renditechancen. Aber Value-Investoren prüfen die Wachstumsinitiativen von Unternehmen sehr kritisch. Sie gehen zunächst einmal davon aus, dass starkes und profitables Wachstum die Ausnahme und nicht der Normalfall ist.

Preis und Wert

Schlagen Sie den Börsenteil einer beliebigen Wirtschaftszeitung auf. Dort finden sich normalerweise bei den einzelnen Aktien auch die Höchst- und Tiefstkurse der vergangenen 52 Wochen. Selbst die Aktienkurse großer Unternehmen weisen erhebliche Bewegungen auf: So schwankte zum Beispiel im Jahr 2005 die Aktie der DaimlerChrysler zwischen einem Tief von 31 Euro und einem Hoch von 44 Euro. Das ist vom Tiefststand aus gerechnet eine Schwankung von 42 Prozent. Die Aktie der Allianz (ISIN: DE0008404005) bewegte sich zwischen einem Tief von 90 Euro und einem Hoch von 136 Euro (51 Prozent), Siemens (ISIN: DE0007236101) zwischen 57 Euro und 75 Euro (32 Prozent).

Allianz, DaimlerChrysler und Siemens sind globale Großkonzerne mit Hunderten von Geschäftsbereichen, Joint Ventures und Tochtergesellschaften. DaimlerChrysler beschäftigte Ende 2005 382.724 Mitarbeiter29, Siemens 461.00030 und die Allianz 177.000 Mitarbeiter31. Nun war 2005 kein Jahr mit besonders großen Überraschungen in der Weltwirtschaft. Bei Großkonzernen wie den oben genannten dürfte sich zudem die Geschäftsentwicklung in einzelnen Produktbereichen und Regionen zumindest teilweise ausgleichen und so zu einer stetigeren Geschäftsentwicklung führen. Dennoch schwanken die Aktienkurse dieser Konzerne in einem »normalen« Jahr um 30, 40 oder 50 Prozent. Ganz absurd wird es, wenn man sich bei der Allianz AG den Zeitraum von 2000 bis 2006 anschaut: Von einem Hoch von fast 430 Euro im März 2000 ging es bis auf ca. 47 Euro Anfang April 2003 herunter – das ist ein Minus von fast neunzig Prozent. Seitdem ist die Aktie wieder um mehr als 200 Prozent auf ca. 130 Euro im August 2006 gestiegen.

Der gesunde Menschenverstand legt die Schlussfolgerung nahe, dass diese Schwankungen nicht rational sein können oder zumindest nicht den Wert des Unternehmens »Allianz« reflektieren. Dennoch versuchen seit den sechziger Jahren unzählige Finanzprofessoren zu beweisen, dass der Markt rational ist und dass Marktpreise den Wert einer Aktie angemessen wiedergeben.

Wenn nun der Preis für Aktien derartig schwankt, kann derjenige, der ein realistisches Bild vom Wert des entsprechenden Unternehmens hat, hohe Gewinne erzielen. Zur Bestimmung des Werts von Unternehmen stehen prinzipiell die Substanz- und die Ertragswertmethode zur Verfügung, die jedem Studenten der Betriebswirtschaftslehre geläufig sind. Zum einen kann der Unternehmenswert als Summe aller Vermögensgegenstände bestimmt werden – das ist der Substanzwert. Zum anderen kann der Unternehmenswert als Summe der jetzigen und der abgezinsten zukünftigen Gewinne oder Cashflows bestimmt werden – das ist der Ertragswert.

Dieselben Methoden werden letztlich auch von den Analysten der Banken, Wirtschaftsprüfern und Venture-Kapitalisten verwendet, da sich die Grundregeln der Betriebswirtschaft nicht ändern, egal welchem Berufsstand man angehört. Value-Analysten haben allerdings besondere Vorgehensweisen entwickelt, die helfen, die Bestimmung der Werte mit einer größeren Sicherheit durchführen zu können. Damit werden wir uns vor allem in den Kapiteln vier bis sechs näher beschäftigen.

Verluste vermeiden: die Sicherheitsmarge

Wie für den Boxer ist die Defensive auch für den Value-Investor erste Pflicht – eine Tatsache, die viele Hobbyspekulanten an der Börse gerne vergessen. Wenn Sie Ihre Defensive nicht beherrschen, haut der erste Schlag Sie um. Die Defensive des Value-Investors wurde zuerst explizit von Benjamin Graham beschrieben und heißt »Sicherheitsmarge« (Margin of Safety).32

Im Sommer des Jahres 2005 führte die Bayerische Landesbank ein für den deutschen Raum Maßstäbe setzendes Investmentseminar durch. An zwei Tagen referierten führende amerikanische und deutsche Experten über Geldanlagen, die Fundamental- und Value-Analyse von Aktien sowie über die Entwicklung einzelner Branchen. Der erste Referent war Charles Ellis, Gründer von Greenwich Associates und seit weit über dreißig Jahren ein angesehener Investmentberater für Banken und Finanzinstitutionen. Nebenbei ist er Professor an der Harvard Business School, Yale und anderen angesehenen Universitäten gewesen. Ein Ausspruch von ihm ist mir besonders in Erinnerung geblieben: »Don’t lose!«

Charles Ellis erzählte vom Beginn seiner Karriere als er, gerade frisch von der Harvard Business School kommend, für ein Unternehmen zu arbeiten begann, das die Gelder der Rockefeller-Familie verwaltete. Nach seinem ersten Aktienreport rief ihn sein Chef zu sich und sandte ihn mit den Worten »Charlie, die Rockefellers sind eine reiche Familie, aber sie sind nicht so reich, dass sie sich dich leisten könnten« zu einem weiteren Fortbildungsprogramm an der Wall Street.

Dort sprachen auch erfahrene Referenten aus der Praxis. An einem Tag referierte der Eigentümer eines Unternehmens, ein stattlicher, eleganter und sehr reicher Mann. Am Ende stellte ein Freund eines Klassenkameraden von Charles Ellis eine Frage: »Ich möchte so reich sein wie Sie! Sagen Sie mir doch, wie ich das anstellen soll.« Der Firmenchef stand lange da. Ellis dachte zuerst, dass er sich vielleicht über die respektlose Frage ärgern würde, dann merkte er, dass der Referent intensiv nachdachte. Schließlich fixierte er den Fragesteller lange und eindringlich und sagte mit Nachdruck nur zwei Worte: »Don’t lose!«

»Wenn man eine dumme Frage stellt, bekommt man auch eine dumme Antwort«, war die erste Reaktion des Trainees Charles Ellis. Im Laufe eines mehr als vierzigjährigen Berufslebens erschloss sich die Tiefe dieser einfachen Wahrheit für Ellis jedoch immer mehr. Auch ich habe in den letzten Jahren die Weisheit dieses kurzen Statements immer mehr schätzen gelernt.

Verluste sind aus einem sehr einfachen Grund schmerzhaft: Wenn eine Kapitalanlage um einen bestimmten Prozentsatz fällt, muss sie nachher immer um einen höheren Prozentsatz steigen, um wieder ihr Ausgangsniveau zu erreichen. Fällt Ihre Aktie zum Beispiel um 50 Prozent, muss sie nachher wieder um 100 Prozent steigen.

Tab. 1.2:

Anstieg, der nach einem Verlust von x Prozenten notwendig ist, um das Ausgangsniveau wieder zu erreichen

Verlust

Von 100 € bleiben

notwendiger Anstieg

10 %

90

11 %

25 %

75

33 %

50 %

50

100 %

75 %

25

300 %

90 %

10

900 %

95 %

5

1.900 %

Quelle: eigene Darstellung

Buffetts phänomenale Performance im letzten Bärenmarkt ist zu einem großen Teil darauf zurückzuführen, dass er kein einziges Verlustjahr hinnehmen musste, während der Aktienmarkt (S&P 500) insgesamt fünfmal ein Minus aufwies. »Don’t lose!« ist eine Weisheit von fundamentaler Bedeutung. Sie besagt nichts anderes, als dass Sie zuallererst immer darauf bedacht sein müssen, Verluste zu vermeiden! Denken Sie an die Zeit des Neuen Markts zurück und versuchen Sie, sich an Ihr eigenes Portfolio zu erinnern. Waren es letztlich Ihre Gewinne oder Ihre Verluste, die die Gesamtperformance Ihres Portfolios bestimmt haben?

Value-Investoren wissen, dass jeder auch bei der sorgfältigsten Analyse Fehler macht. Der beste Schutz dagegen besteht darin, Aktien deutlich unterhalb ihres fairen Werts zu erwerben. Deshalb achten Value-Investoren darauf, nur mit einer hohen Sicherheitsmarge zu kaufen und nie zu viel für eine Aktie zu bezahlen, so aufregend und interessant die Story auch sein mag. Nicht immer mag die Sicherheitsmarge so hoch sein, dass Sie ein Investment im Wert von einem Dollar für 40 Cents erwerben können, wie das Zitat Warren Buffetts zum Eingang des Kapitels suggeriert. Charles Brandes ist zufrieden, wenn er ein Investment im Wert von einem Dollar für 70 Cents erhält.33 Auf jeden Fall aber sollte die Sicherheitsmarge erheblich sein –30 Prozent Abschlag vom inneren Wert erscheinen da schon fast als Minimum.

Früh kaufen, früh verkaufen

Benjamin Graham sprach davon, dass Value-Investoren vor allem auf den Preis achten (Price), nicht auf den Zeitpunkt des Kaufs (Timing).34 Wenn sie billig genug einkaufen und eine Sicherheitsmarge einkalkulieren, wird sich früher oder später eine angemessene Rendite (Adequate Return) bei Sicherheit des Kapitals (Safety of Capital) einstellen.

Logische Konsequenz dieser Einstellung ist, dass Value-Investoren fast immer zu früh kaufen und zu früh verkaufen! Stellen Sie sich ein normal wachsendes Unternehmen vor: Wenn es seine Umsätze und Erträge kontinuierlich steigert, steigt auch der intrinsische Wert dieses Unternehmens stetig. Die Aktienkurse schwanken nun um diesen intrinsischen Wert. Wenn der Kurs nun deutlich gefallen ist, wird irgendwann eine angemessene Sicherheitsmarge zum intrinsischen Wert erreicht. Nun würde ein Value-Investor kaufen. Der Markt kann allerdings in einer psychologisch sehr schlechten Verfassung sein, sodass die Aktie zunächst einmal weiter fällt.

Abb. 1.4: Das Los des Value-Investors: zu früh kaufen, zu früh verkaufen

Quelle: eigene Darstellung

Auf der Konferenz der Bayerischen Landesbank im Juli 2006 sprach Amit Wadwaney, Internationaler Fondsmanager von Third Avenue, etwas scherzhaft davon, dass er völlig verwirrt gewesen sei, als eine Aktie, die er für seinen Fonds gekauft hatte, unmittelbar anfing, zu steigen. Normalerweise würden alle Aktien, die er kaufte, zunächst munter weiter fallen.

Umgekehrt ist es beim Verkauf: Value-Investoren machen Euphorie-Phasen nicht mit. Viele, wie zum Beispiel Braun, von Wyss und Müller, verkaufen strikt zum intrinsischen Wert, andere lassen einen gewissen Spielraum von 10 oder 20 Prozent nach oben. Auch Warren Buffett hält seine Aktien manchmal länger, als es eine strikte Kalkulation des intrinsischen Werts nahelegen würde. Nach amerikanischem Steuerrecht müsste er aber die Kursgewinne versteuern und bekäme beim Verkauf oftmals 20 bis 30 Prozent seines Verkaufserlöses abgezogen, denn viele seiner Aktienpakete bestehen mittlerweile fast ausschließlich aus Kursgewinnen.

Die Antwort auf die Frage, warum Value-Investoren die »Spitzen« des Markts nicht mitnehmen, ist einfach: Sie sind davon überzeugt, dass es nicht möglich ist, in irgendeiner Weise zu prognostizieren, wie weit die Aktienkurse in der Hausse in die Höhe gehen und in der Baisse in den Keller sinken können. Es ist lediglich möglich, sich ein ungefähres Bild vom intrinsischen Wert eines Vermögensgegenstands zu machen und zu kaufen, wenn dieser sehr billig ist, sowie zu verkaufen, wenn er fair bewertet ist.

Andere Investmentstile

Value-Investing bewegt sich nicht in einem Vakuum, sondern ist – fast müsste man sagen »zum Glück« – nur einer von vielen Investmentstilen, die praktiziert werden. Würden alle Marktteilnehmer nach der Methode der Value-Analyse vorgehen, gäbe es kaum unterbewertete Unternehmen. Die Möglichkeit, »Schnäppchen« zu machen, wäre minimal. Überrenditen wären eine Sache der Vergangenheit.

Sie müssen sich aber keine Sorge machen, dass dies irgendwann in naher Zukunft der Fall sein wird – Value-Investoren werden auch in Zukunft eine Minderheit bleiben, oder wie Warren Buffett es sagte: »Diejenigen, die ihren Graham und Dodd lesen, werden weiterhin zu Wohlstand kommen.«35

Die Value-Analyse beruht auf den Methoden der langfristigen Fundamentalanalyse. Value-Investoren fragen sich, was ein Unternehmen unter normalen und durchschnittlichen Bedingungen wert sein sollte. Ben Graham nannte dies die »average future conditions«.36 Hierzu werden Marktstrategien, Produkte und Kennzahlen von Unternehmen, Wettbewerbern und der Branche auf das Genaueste analysiert. Auch Einflussfaktoren auf die Branche und mögliche Veränderungen der Branche werden erfasst. Hingegen interessieren sich Value-Investoren kaum für die Entwicklung der Wirtschaft insgesamt oder volkswirtschaftliche Größen. Es gibt allerdings zwei Ausnahmen: Zum einen ist der Abzinsungsfaktor natürlich von enormer Bedeutung37, zum anderen sind Inflation und Deflation, obwohl derzeit nicht so aktuell, Größen, die ein Value-Kalkül erheblich verändern und die jederzeit wieder auftreten können. In beiden Fällen wird sich der Value-Investor normalerweise damit begnügen, langfristige Durchschnittswerte zu nehmen und sich ein ungefähres Bild über die zukünftige Richtung zu machen.

Das Konzept der »Average Future Conditions« ist einfach zu verstehen, aber manchmal schwer anzuwenden. Im Rückblick ist zum Beispiel klar zu erkennen, dass die außerordentlichen Gewinne, die viele Unternehmen im Technologieboom Ende der neunziger Jahre einfuhren, nicht auf »normalen« oder »durchschnittlichen« Bedingungen beruhten. Während des Technologiebooms wollte das allerdings kaum einer hören. Warren Buffett wurde sogar gelegentlich als »Oldtimer« hingestellt, weil er die Technologieblase nicht mitmachte.

Umgekehrt war die Stimmung an der Börse im Frühjahr 2003 so gedrückt, dass fast alle soliden deutschen Aktien zu Schnäppchenpreisen zu haben waren. Da griff aber kaum jemand außer den hartgesottensten Value-Investoren zu. Erst ab 2005 hellte sich die Stimmung bei den Privatanlegern wieder auf.