Erinnerungen an Silvio Gesell und Georg Blumenthal - Maria Magdalena Rapp-Blumenthal - E-Book

Erinnerungen an Silvio Gesell und Georg Blumenthal E-Book

Maria Magdalena Rapp-Blumenthal

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Beschreibung

Anselm Rapp, der Sohn von Maria Rapp-Blumenthal und Arthur Rapp und Enkel von Georg Blumenthal legt als Herausgeber dieses Büchleins allen Gesellianern eine ganz entzückende Überraschung vor. Fernab von aller wissenschaftlichen oder weltanschaulichen Problematik wird hier ganz mit den Mitteln einer jugendlichen Verehrerin Gesells, deren starker Sinn für lyrische Naturbeschreibung und überhaupt für die Poesie deutlich in ihrem Stil erkennbar wird, der Mensch Silvio Gesell anhand einer Reihe kleiner Begebenheiten geschildert. Wir erleben die ungewöhnliche menschliche Wärme dieses Mannes, die sich selten so deutlich offenbart hat wie hier im Umgang mit der befreundeten Familie Blumenthal. Man spürt recht, wie Gesell in diesem liebenswerten Kreise Ruhe, Entspannung und Kraft findet vor so manchen Widrigkeiten seines Lebens. Und hier offenbart sich Gesell, wenn auch vielleicht nicht in traditionell kirchlichem Sinne, so aber doch in seiner liebenden Ehrfurcht vor der Schöpfung als ein ausgesprochen frommer Mensch. Nach Berlin eilte Silvio Gesell aus Les Hauts-Geneveys, um Georg Blumenthal kennenzulernen, der als einer der ersten sein Interesse an Gesells Forschungsarbeit bekundet hatte. Hier entwickelte sich eine ganz tiefe Freundschaft, in die auch die ganze Familie Blumenthal mit hineingenommen wurde. Mit Gesell empfanden sie Stolz auf erste Erfolge und bangten mit ihm in der kritischen Zeit, während der er im "Ungemach 169" saß, wie er seine Gefängniszelle in Stadelheim nannte. Man spürt es deutlich den Zeilen von Maria Rapp-Blumenthal ab, daß sie in der späten Erinnerung einen Hauch von Genugtuung darüber empfindet, daß ihrem Vater Georg Blumenthal und Silvio Gesell, diesen beiden fanatischen Kämpfern für menschliche Freiheit, die seelische Bedrängnis der Nazizeit erspart blieb. Georg Blumenthal starb 1929, und ein knappes Jahr später, am 11.3.1930 starb, für die Blumenthals "wie vom Blitz getroffen", Silvio Gesell. Dr. Kurt Kessler, Spiekeroog

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Hinweise und Personenregister im Anhang

Maria Magdalena Rapp-Blumenthal

Inhaltsverzeichnis

Die Erinnerungen an Silvio Gesell

Rehbrücke (ca. 1920 - 1921)

Friedenau (1922 - 1943)

Tod Gesells 1930

Die Erinnerungen an Georg Blumenthal

Sidin

Tod Georg Blumenthals 1929

Erinnerungen an Georg Blumenthal von Arthur Rapp

Anhang

Rede Gesells am Grabe Georg Blumenthals

Zum Nachruf Alfred Baders auf Georg Blumenthal

Nachruf Alfred Baders auf G. Blumenthal

Georg Blumenthals einziges erhaltenes Zeugnis, ausgestellt vom Besitzer der Engel-Apotheke, Berlin

Anlagen zur 3. Ausgabe

Fotos

Maria Magdalena Rapp-Blumenthal

Geburtstagfeier bei Georg Blumenthal

Silvio Gesell

1862 - 1930

"Was kann ich denn dafür, daß ich so verliebt bin in diese Proletarier?"

(Gesell an Blumenthal)

Verehrte Freunde Silvio Gesells!

Eure Anregung, meine Erinnerungen an Silvio Gesell schriftlich festzuhalten, "ehe es zu spät ist", ist in der Tat erwägenswert, nur wahrscheinlich leichter gesagt als getan. Denn, wie Ihr wißt, ist seit Gesells Tod ein halbes Jahrhundert ins Land gezogen und seit seiner Lebenszeit noch viel mehr, so daß viele Erinnerungen verblaßt sind. Dennoch ist in all diesen Jahren das faszinierende Bild seiner einzigartigen Persönlichkeit lebendig geblieben im Herzen derer, die das Glück hatten, ihn persönlich zu kennen. Inzwischen ist aber auch sein großartiges Werk zur Befreiung vieler Menschen aus Armut, Angst und Not, Abhängigkeit, Ungerechtigkeit und Arbeitslosigkeit durch ein überraschend einfaches, gerechtes Geld-(und Boden-) System zur Ankurbelung der Wirtschaft und gleichzeitigen Behebung der Arbeitslosigkeit in weiten Kreisen des In- und Auslands bekannt und geschätzt.

Gesells hohes, wenn auch wohl noch fernes Ziel ist es, die Grenzen zwischen den Völkern zu öffnen, zu freiem Verkehr und Handel, ohne Zölle und andere Hindernisse. Dadurch würden Kriege und immer schrecklichere Waffen und deren immense Kosten unnötig und sinnlos. Und vor allem: Wir, die wir uns gegenseitig töten sollen, hassen uns nicht, wie der friedliche Tourismus beweist. Alle Menschen, die Gottes herrliche Erde bewohnen, wollen Frieden - ewigen Frieden, wie Gesell ihn uns durch seine genialen Vorschläge verspricht.

So fing es an:

Unser Vater, Georg Blumenthal, der sich schon als junger Mann für die Bodenreform interessierte, zugleich aber die Rolle des Geldes kritisch zu betrachten begann, stieß in einer Zeitschrift Damaschkes auf ein Inserat: "Die Geld- und Bodenreform v. Silvio Gesell". Sofort schrieb er an die angegebene Adresse und bestellte ein Exemplar der betr. Schrift.

Hocherfreut, einen Interessenten zu finden, meldete Gesell sich kurzerhand bei seinem unbekannten Besteller an und reiste aus der Schweiz nach Berlin, in die Elbingerstr. 31 am Friedrichshain, wo wir damals wohnten.

Dort wartete Georg Blumenthal mit Frau Jenny und uns drei Kindern (Hanna, Maria und Lotti) gespannt auf den Besuch aus der fernen Schweiz. Alles war natürlich blitzblank, und ein Blumenstrauß aus dem Gartenstück prangte auf dem Tisch. Endlich klingelte es! Alle stürzten an die Tür, die der Vater öffnete. Und da stand ein vornehm gekleideter Mann mit blitzenden Augen und einem vertrauenerweckenden Bart. Und als er so die ganze Familie versammelt sah, brach er in ein herzerfrischendes Lachen aus, in das die ganze Familie einstimmte. Und schon war die Freundschaft für das ganze Leben geschlossen!

Von da an besuchte uns der "Onkel Silvio" des öfteren. Uns Kindern brachte er stets etwas Wunderschönes mit. Einmal einen handgroßen, leuchtend blauen Schmetterling mit seidigschimmernden Flügeln, oder auch ein winziges buntes Vögelchen mit seinem selbstgebauten Nestchen, perlmuttfarbige Muscheln, die rauschten, wenn man sie ans Ohr hielt, eine schön gezeichnete Schlangenhaut, Seesterne etc. und öffnete uns so Herz und Augen für die geheimnisvollen Wunder der Natur.

Irgendwann sind wir umgezogen nach Lichterfelde, einem Vorort von Berlin. Ich weiß nicht, in welchem Jahr, doch haben wir Mädchen dort ein Lyzeum besucht, wenn auch in verschiedenen Klassen. Also muß es etliche Jahre später gewesen sein. Unser Vater gab seinen Postdienst auf und eröffnete auf Gesells Rat ein (Gemischtwaren-) Geschäft, "da es die beste - nicht von vornherein festgelegte - Möglichkeit sei, vorwärtszukommen".

Hier kamen nun, meistens sonntags, die neugewonnenen Gesinnungsfreunde zu ihren Diskussionen zusammen, an denen oftmals auch Gesell, manchmal auch Persönlichkeiten aus der internationalen Bewegung, u.a. Dr. Engert aus Dresden, Dr. Christen oder Fritz Schwarz aus der Schweiz, Paul Klemm und Dr. Stanicic aus Siebenbürgen teilnahmen. Unsere Mutter bzw. "Frau Jenny" und wir Mädchen sorgten für das leibliche Wohl der Gäste und hörten auch gerne dem Gespräch der Männer zu.

Während Hanna sich schon bald an diesen Gesprächen beteiligte, kristallisierte sich für mich allmählich ein leuchtendes Bild heraus, wo es nur noch glückliche Menschen gab, die in ewigem Frieden, Freiheit und Freude sorglos leben konnten. Die "graue Theorie", die das Wunder vollbringen sollte, interessierte mich in dieser Zeit noch kaum.

In diese Jahre fiel auch die Wandervogelzeit. Wenn wir Mädchen des Sonntags nach Hause kamen, und Gesell war anwesend, mußten wir ihm alles erzählen, was wir erlebt hatten und unsere schönsten Lieder singen, von Geige und Klampfe begleitet: Ein Lied von einem Jäger, der in den Wald ging "und der Fink der pfeift und der Kuckuck schreit und die Hasen kratzen sich am Bart", gefiel ihm besonders gut und dann lachte er fröhlich und brummte es mit in seinen eigenen Bart.

Mich zog es damals schon sehr stark in die Welt der Poesie, und so widmete ich mich neben meinen Aufgaben entsprechender Literatur. Ich entdeckte Rilkes Dichtung, durch die sich eine berauschende innere Welt für mich auftat und mich der Gedankenwelt der Freiwirtschaft teilweise entzog. Dadurch fühlte ich mich veranlaßt, eines Tages Gesell zu gestehen, daß ich mich nicht, wie meine ältere Schwester Hanna, aktiv für die Freiwirtschaft einsetzen könne.

"Ach", erwiderte er lachend, "mach dir doch deswegen keine Gedanken; überlaß das den Männern". Und ernsthaft fügte er ein Zitat (vermutlich von Angelus Silesius) hinzu:

"Die Braut erwirbt sich mehr mit einem Kuß um Gott als alle Mietlinge mit Arbeit bis in den Tod."

So wußte er stets unsere Ängste oder Unvermögen, wie in meinem Fall, in verheißungsvolle Zuversicht zu verwandeln. Da lag es nahe, daß er uns Mädchen immer mehr ans Herz wuchs und auch die Freundschaft zwischen ihm und den Eltern sich vertiefte.

Ungefähr zu dieser Zeit erschien das bedeutende Werk von Max Stirner "Der Einzige und sein Eigentum" in einer Privatausgabe von John Henry Mackay, zu dessen exclusivem Freundeskreis sich auch Blumenthal zählen durfte. (Ein handsigniertes Exemplar dieser Prachtausgabe mit der Nr. 507, ein Geschenk Mackays, befand sich noch im Nachlaß meines Vaters.) Als mich mein Vater einmal zu einem Besuch Mackays mitnahm, imponierte mir, noch ehe der Diener uns öffnete, ein an der Gartentür angebrachtes Schild "Unangemeldete Gäste werden nicht empfangen". Erst viel später beschäftigte ich mich selbst mit Mackays Werk. Besonders begeisterten mich seine Gedichte. In seinem aufrüttelnden "Sturm" wendet er sich im Geist an seine revolutionären Kreise. Aber tief berührten mich seine zarten oder leidenschaftlichen Liebesgedichte, deren hinreißende Kunst der Sprache mich bis zu Tränen bewegte. Übrigens entsprach sein Äusseres kaum dieser Seite seines Wesens. Er war von hoher, kräftiger Gestalt und hatte ein ausdrucksvolles, eher verschlossenes Gesicht.

So sahen denn Gesell und der sich zusehends vergrößernde Kreis seiner Anhänger voll Zuversicht in die Zukunft.

Gesell hatte sich in Berlin-Steglitz ein Zimmer gemietet, um die Zeit für die Heimfahrten nach Eden-Oranienburg zu sparen. Von hier aus konnte die Öffentlichkeitsarbeit zusammen mit den gewonnenen Freunden besser geplant in die Praxis umgesetzt werden.

Insbesondere ging es um die Veranstaltung von Vorträgen, Diskussionsabenden und Vortragsreihen, zunächst in Berlin, aber auch im ganzen damaligen Reichsgebiet. Überall gab es bald freiwirtschaftliche Ortsgruppen, sogar in Österreich und in der Schweiz. Als Redner standen zur Verfügung: Blumenthal, Batz, Bur Suhren, Haacke, Timm und andere.

Die relativ größten Erfolge wurden in der Schweiz erzielt. Von den ersten Pionieren lebt noch Willy Hess in Winterthur, der sich noch immer mit Schriften, Aufsätzen und Vorträgen für die Gesell'sche Sache einsetzt - und das neben seiner ausgedehnten beruflichen Tätigkeit als Komponist, Instrumentalist und Musikschriftsteller, darunter z.B. eine Beethoven-Biographie, erschienen in 2. Auflage 1976 (364 Seiten).

Inzwischen war das Jahr 1914 herangekommen, und Gesell befand sich wieder einmal in Argentinien.

Bei längerer Abwesenheit Gesells von Berlin führten die beiden Freunde einen lebhaften Briefwechsel, aus dem auch folgender Brief stammt, den Silvio Gesell aus Buenos Aires an Georg Blumenthal schrieb. Gesell bezieht sich darauf, daß Blumenthal ihm die neueste Nummer der von beiden gemeinsam herausgegebenen Zeitung "Der Physiokrat" - von Gesell scherzhaft "physiokratischer Säugling" genannt - geschickt hatte.

Buenos Aires, 6. März 1914.

Mein lieber Freund!

Mit der guten Kost, die Sie dem physiokratischen Säugling geben, muss, meine ich, das Baby gedeihen und wachsen, fröhlich wie alle Säuglinge, langsam, fast unsichtbar, aber stetig. Geduld, Geduld. Bald wachsen ihm die Zähne zu seiner Verteidigung.

Ich denke, Ende April, Anfang Mai von hier abzureisen. Bin allerdings noch sehr beschäftigt, aber es sind Arbeiten, deren Ende ich jetzt genau absehen kann. Die Geschäfte gehen übrigens hier im allgemeinen recht schlecht und es bedarf besonderer Umsicht, um nicht in finanz. Schwierigkeiten zu geraten, die Leuten, bei der Zugeknöpftheit der Banken ganz besonders gefährlich sind.

Heil + auf frohes Wiedersehen

Gesell

Briefe, die Sie kurz nach Empfang dieses abschicken, werden mich wohl noch erreichen.

In diese trotz allem in mehrfacher Hinsicht hoffnungsvolle Zeit brach der erste Weltkrieg wie ein plötzlicher Donnerschlag herein. Von einem Tag zum anderen veränderte sich alles. Gesell mußte zu seiner Familie in die Schweiz abreisen, unser Vater (Blumenthal) wurde zu einem militärischen Innendienst einberufen. Sämtliche Lebensmittel gab es nur noch auf Karten und Textilien auf Bezugsscheine, die nur sehr begrenzt auf Antrag ausgegeben wurden, was einen starken Rückgang unseres Geschäfts zur Folge hatte. Anstelle der anfänglichen Hoffnung der Bevölkerung auf einen schnellen Sieg und baldiges Ende des Krieges, hatten sich längst Enttäuschung, Hunger und vor allem Angst sowie Trauer über die gefallenen Männer verbreitet.

Unter dem Eindruck des kriegerischen Geschehens schrieb Gesell an Blumenthal einen Brief, dessen Datum leider nicht feststellbar ist. Es könnte sich um einen Weihnachtsbrief 1914 handeln:

Herrn Georg Blumenthal

49 Ringstrasse, Berlin-Lichterfelde

Lieber Freund!

Wenn die Völker jetzt doch die Augen zum gestirnten Himmel erheben möchten! Wie klein und unwürdig würde ihnen allen das Gezänke auf Erden erscheinen. Wie schnell würden sie sich vertragen.

Friede! Das ist mein Wunsch und Gruss!

Gesell

Unserer Mutter riet Gesell in einem Brief aus der Schweiz, unser Geschäft zu verkaufen und uns auf dem Lande anzusiedeln, mit entsprechenden Ratschlägen. Tatsächlich entschloß sie sich auch, Silvios Rat zu befolgen. Sie reiste, auf Annoncen hin, durch die Lande, und fand schließlich in Pommern, in dem zwischen Stralsund und Greifswald gelegenen Dorf "Neu Milzow", einen etwas abseits gelegenen Bauernhof mit 20 Morgen Land, zwei Pferden, zwei Kühen, einem Kälbchen und einigen Hühnern. Das ältere Bauernpaar, das schon einen seiner beiden Söhne verloren hatte, war sicher froh, einen Käufer ihres Anwesens gefunden zu haben, und so vollzogen sich die Verhandlungen ohne Schwierigkeiten. Während des Umzugs und den geschäftlichen Regelungen hatte ich Gelegenheit, auf einem Rittergut mir die nötigsten Kenntnisse wie Melken, Füttern anzueignen. Natürlich brauchten wir für schwere Arbeiten noch einen erfahrenen Knecht, und zur Landbestellung wie Kartoffelnlegen und -ernten ein paar Frauen aus dem Dorf, die auch beim Getreideernten halfen. Und so machten wir uns dann gemeinsam an die Arbeit, die uns bald zur Gewohnheit wurde. Bald liebten wir auch unsere neue Heimat in ihrer ländlichen Schönheit. Besonders ein Stück Moor, das zu unserem Land gehörte und wegen seiner starken Farbkontraste, dem hellen Grün der Birken, dem Gelb des Ginsters und dem zartflockigen weißen Wollgras auf dem schwarzen Boden ein malerisches Bild ergab, das Hanna in schönen Aquarellen festhielt. Oft dachten wir an Silvio, dessen besorgter Initiative wir unser Landleben, fern der Städte verdankten, und natürlich unserer Mutter, die seinen Vorschlag so mutig verwirklicht hatte, galt unser Dank.