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Die Erklärung und Verteidigung der Klarissen-Regel, die der Franziskaner Augustin von Al-veldt OFM 1533/34 für die Klarissen zu Eger (heute: Cheb/Tschechien) schrieb, folgte in en-gem Zusammenhang der Verteidigung der Franziskus-Regel, die Alveldt 1532 vollendet hatte (vgl. Quellen zur franziskanischen Geschichte, Band 2). Es war vermutlich die Kenntnis dieser damals ungedruckten Schrift, die die Äbtissin des Klarissenklosters zu Eger, Ursula Gräfin Schlick, veranlasste, den ehemaligen Provinzialminister der Sächsischen Franziskaner-Provinz vom Heiligen Kreuz dringend um eine Erklärung und Verteidigung der für ihr Kloster maßgebenden Regel zu bitten. Im Gegensatz zur oft kommentierten Franziskus-Regel war die Klarissen-Regel anscheinend selbst manchen Schwestern in ihrer Bedeutung und in ihrer Verbindlichkeit nicht völlig klar. Das zeigte sich in der kurzen Widmung und in der längeren Einleitung zu Alveldts Erklärung und Verteidigung der Klarissen-Regel. Das Manuskript des vollständigen lateinischen Textes von Alveldts Erklärung zur Klarissen-Regel befindet sich heute in der Bibliothek des Bayerischen Nationalmuseums zu München und ist hier erstmals vollständig und mit deutscher Übersetzung wiedergegeben.
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Seitenzahl: 998
herausgegeben von der Fachstelle Franziskanische Forschung (FFF) in Verbindung mit der Werkstatt Franziskanische Forschung (WFF)
Band 5
Vorwort
Einführung
Zur Geschichte des Klarissenklosters zu Eger
Die Ausgangssituation von Alveldts Erklärung der Klarissen-Regel zu Eger
Die Intention von Alveldts Erklärung der Klarissen-Regel Papst Urbans IV.
Das Engagement Alveldts für eine Ordensreform
Die Geschichte des Manuskripts, die Bedeutung des Textes und dessen Edition
Geschichte des Manuskripts
Zur Bedeutung dieses Textes von Alveldt
Zur Edition des Textes
Abkürzungsverzeichnisse
Biblische Schriften
Abkürzungen von Quellenwerken, Zeitschriften, Lexika
Besondere, allgemeine sowie technische Abkürzungen
Textus und Übersetzung
Literaturverzeichnis
Handschriften
Druckwerke
Register
Der Franziskaner Augustin von Alveldt zeigte 1533 keine Vorbehalte, der Bitte der Äbtissin des Klarissenkonvents in der westböhmischen Stadt Eger nachzukommen und der Schwesterngemeinschaft die Regel zu erklären, der zu folgen sie feierlich versprochen hatte. Das ist insofern bemerkenswert, als Franziskus seinen Brüdern unmissverständlich verboten hatte, die Ordensregel zu kommentieren. Nun übersieht der auf der Hand liegende Einwand, Alveldt kommentiere ja nicht die Franziskaner-, sondern die Klarissen-Regel, dass Franziskus in seiner Sorge um das Wesen der forma vivendi seiner Brüder nicht minder auch die Schwesternschar um Klara von Assisi im Blick hatte. Findet sich doch in seinem sogenannten „Vermächtnis für Klara und ihre Schwestern“, das ausgerechnet in der Regel der Klara von Assisi überliefert ist, Franziskus’ Bitte und Rat an die Schwestern, „doch allezeit in diesem heiligsten Leben und in der Armut [zu] leben. Und hütet euch sehr, jemals in irgendeiner Form davon abzuweichen, weder auf die Lehre noch auf den Rat von irgend jemand hin“ (VermKl. 2-3, in Franziskus-Quellen S. 63). Wie gesagt, bei Augustin von Alveldt stießen diese mahnenden Worte seines Ordensvaters auf keine nennenswerten Bedenken und so hatte er ein Jahr zuvor bereits die Franziskus-Regel kommentiert. Weitaus stärker wog für ihn offenbar, sich der die Lebensform bedrohenden Kritik durch die reformatorische Bewegung, namentlich Martin Luthers, entgegenzustellen und den eigenen Glaubensweg als Ordensbruder und -schwester zu rechtfertigen. Es steht den Ordenshistorikerinnen und Ordenshistorikern gewiss nicht zu, neutestamentlich gesprochen, mit dem ersten Stein auf Alveldt zu werfen, sondern vielmehr, die ersten zu sein, die seinen „Ungehorsam“ großherzig verzeihen, indem sie mit Nachdruck auf das Vetorecht der Quellen verweisen. Denn mit der ausführlichen „Erklärung und Verteidigung der Klarissen-Regel Papst Urbans IV.“ liegt nun eine Quelle in leicht zugänglicher und verlässlicher Form vor, die sich weit über die engen Grenzen franziskanischer Ordensgeschichtsforschung hinaus als außerordentlich wertvoll erweist. Alveldts kommentierende und zeitbezogene Einordnung der sogenannten „Urban-Regel“ spiegelt auf verschiedenen Ebenen Normen und Lebenswirklichkeiten der Schwestern. Der Franziskanertheologe führt aus, wie die Regel nicht nur das individuelle und kollektive geistliche Leben der Schwestern bestimmt, sondern auch, wie sie die geistige und materielle Welt des Klosters fixiert. Deshalb liegt uns in Alveldts Schrift ein facettenreiches Zeugnis vor, das tiefe Einblicke in die Spiritualität und Frömmigkeit geistlicher Frauen in der Zeit der frühen Reformation gewährt und legt zugleich die Sicht frei auf das spannungsvolle und konfliktreiche soziale Gebilde „Frauenkloster“ mit seinen durch Herkunft und Bildung hierarchisierten gesellschaftlichen und ökonomischen Realitäten. Seine Kenntnisse einer für gewöhnlich von Klostermauern umgebenen Welt einer abgeschlossenen Klausur verdankte Augustin von Alveldt zuerst seiner von 1529 bis 1532 ausgeübten Tätigkeit als Provinzialminister der Sächsischen Provinz vom Heiligen Kreuz, der die Klarissen seines Zuständigkeitsbereichs zu visitieren hatte, dann aber noch unmittelbarer während der Zeit, in der er als Klostergast in Eger seinen Regelkommentar im Austausch mit der Äbtissin verfasste. Seiner längeren lateinischen Fassung reichte Alveldt 1535 noch eine kürzere, für die Tischlesung geeignete deutsche nach, die für alle Konventsschwestern verständlich war. Ohne hier den Themenbogen weiter zu spannen, sollten diese wenigen kurzen Bemerkungen hinreichend sein, das Spektrum anzudeuten, das die Schrift zu einer perspektivenreichen Quelle für Historikerinnen und Historiker einer ganzen Reihe von Fachgebieten werden lässt: angefangen natürlich bei der Ordensgeschichte, über die Reformations- und Landesgeschichte, die Geschlechter- und Bildungsgeschichte bis hin zur Wirtschafts- und Mentalitätsgeschichte reicht ihre Relevanz.
Mit Johannes Karl Schlageter OFM hat sich der derzeit fraglos beste Kenner des franziskanischen Schrifttums der frühen Reformationszeit an die äußerst verdienstvolle Arbeit der Edition und Übersetzung der lateinischen Fassung der Klarissen-Regel des Augustin von Alveldt gemacht. Damit konnte er auch den letzten der drei Regel-Kommentare seines Ordensbruders aus dem 16. Jahrhundert einem Lesepublikum des frühen 21. Jahrhundert zugänglich machen, ganz ohne – und das sei an dieser Stelle explizit festgehalten – in einen inneren Konflikt zu geraten, gegen den Willen seines Ordensgründers Franziskus zu handeln: Bruder Johannes Karl bewegt sich auf dem sicheren Boden der Metaebene: Von einem Verbot des Franziskus, Regelkommentare zu kommentieren ist jedenfalls nichts überliefert.
Hingegen ist ihm der Dank der Brüder der Werkstatt Franziskanische Forschung und des Teams der Fachstelle Franziskanische Forschung als Herausgeber der vorliegenden Reihe ganz sicher! Die Motivation, Ausdauer und Disziplin, mit der er alle drei Regel-Schriften des Augustin von Alveldt erarbeitet hat, verdient unseren größten Respekt und herzlichsten Dank!
Die herausgebenden Institutionen der Reihe „Quellen zur franziskanischen Geschichte“ verstehen Johannes Karl Schlageters Ausgabe des Kommentars zur Klarissen-Regel Urbans IV. als einen Beitrag zum 800. Jahrestag der Nicht-Bullierten-Regel des Minderbrüderordens, den die Franziskaner, Franziskaner-Minoriten und Kapuziner 2021 erinnern.
Münster, im November 2020
Bernd Schmies Im Namen der Fachstelle Franziskanische Forschung und der Werkstatt Franziskanische Forschung
Die Erklärung und Verteidigung der Klarissen-Regel (Urbanregel), die der observante Franziskaner Augustin von Alveldt OFM 1533/34 für die Klarissen zu Eger (heute: Cheb/Tschechien) schrieb, folgte in engem Zusammenhang seiner Verteidigung der Franziskus-Regel, die er 1532 vollendete. Deren kritische Edition konnte vor 4 Jahren von der Fachstelle Franziskanische Forschung zu Münster als Band 2 in ihrer Reihe „Quellen zur franziskanischen Geschichte“ herausgegeben werden.1 Es war vermutlich die Kenntnis dieser damals ungedruckten Schrift, die die Äbtissin des Klarissenklosters zu Eger, nämlich Ursula Gräfin Schlick (Amtszeit 1531-1555), veranlasste, Augustin von Alveldt, den ehemaligen Provinzialminister (Amtszeit 1529-1532) der Franziskaner-Provinz Saxonia sanctae Crucis, dringend um eine Erklärung und Verteidigung der für ihr Kloster maßgebenden Klarissen-Regel von Papst Urban IV. (1263)2 zu bitten. Diese Vermutung liegt nahe. Allerdings sind die entsprechenden Regeltexte in ihrer Geschichte und in ihrem Inhalt sehr verschieden. Alveldt konnte bei der oft erklärten, seit Papst Honorius III.3 1223 kirchlich anerkannten Franziskus-Regel (Regula Bullata) sich auf deren „Verteidigung“ gegen reformatorische Interpretationen und Polemiken konzentrieren. Dagegen war die Urbanregel der Klarissen anscheinend selbst manchen Schwestern in ihrer Bedeutung und in ihrer Verbindlichkeit nicht völlig klar. Das zeigte sich in der kurzen Widmung und in der längeren Einleitung zu Alveldts Erklärung und Verteidigung der Klarissen-Regel. Denn sie sprachen die Äbtissin Ursula Schlick zwar mehrfach persönlich an, hatten aber offenbar auch Probleme der übrigen Schwestern zu Eger mit ihrer Ordensregel im Blick. Das lässt sich bereits aufgrund jener einzigen Handschrift sagen, die den lateinischen Text dieser Schrift Augustins von Alveldt vollständig und vermutlich von seiner eigenen Hand überliefert.4 Um die Situation besser zu verstehen, in der ursprünglich Alveldts Text zur Erklärung der Klarissen-Regel entstand, scheint es sinnvoll zu sein, zunächst einen kurzen Überblick zu geben über die geschichtliche Entwicklung des Klarissenklosters zu Eger.
Eine ausführliche und kompetente Darstellung der Geschichte der Schwestern zu Eger, die seit der Mitte des 13. Jahrhunderts mit den dort ansässig gewordenen Minderbrüdern eng verbunden waren, fehlt anscheinend noch. Doch besonders einige neuere Arbeiten haben etwas Licht in diese Geschichte gebracht.5 Ihre Ergebnisse seien kurz zusammengefasst. In der damals deutschen Reichsstadt Eger bestanden seit der Mitte des 13. Jahrhunderts nah beieinander sowohl ein Franziskanerkonvent wie eine Frauengemeinschaft. Die anfänglich noch ohne strenge Klausur lebenden Schwestern unter dem Namen Sorores minorum fratrum (Schwestern der Minderbrüder) folgten vermutlich der Regel der heiligen Klara von Assisi selbst und bezogen sich besonders auf die Prager Gründung der heiligen Agnes von Böhmen (1211–1282).6 Erst 1287 wurden die Schwestern zu Eger auf Anordnung des Kardinalprotektors der Minderbrüder und Klarissen Matteo Rosso Orsini in den Klarissenorden inkorporiert und sollten nun streng klausuriert der für diesen Orden vorgeschriebenen Regel Papst Urbans IV. von 1263 folgen. Daran änderte sich juristisch wenig, als die Schwestern, ähnlich wie die Egerer Franziskaner, bald nach einem Besuch des franziskanisch-observanten Wanderpredigers Johannes von Capestrano in Eger 1451 zu einer tiefgreifenden Reform im Sinne der Observanzbewegung im Orden gedrängt wurden. Wegen des Widerstands der meisten Schwestern und Brüder zu Eger sowie der damaligen Provinzleitung der franziskanischen Saxonia wurden aber die Egerer Franziskaner und Klarissen erst ab 1465 der Sächsischen Observanten-Vikarie unterstellt. Dass jedoch die Reform des Klarissenklosters gelingen konnte, war vor allem der vom Rat der Stadt Eger erbetenen Entsendung einiger Schwestern aus dem bereits observant reformierten Klarissenkloster zu Nürnberg zu verdanken. Es kamen von dort fünf Schwestern nach Eger, von denen die Schwestern Felizitas Trautmann und Margareta Grundherr dort als neue Äbtissin und neue Priorin eingesetzt wurden. Mitgebrachte geistliche Texte aus Nürnberg wurden nun in Eger abgeschrieben. Dadurch wurde im Klarissenkloster zu Eger eine wichtige Tradition begründet, die bis in die Reformationszeit anhielt. Denn das Abschreiben geistlicher Texte gab den Schwestern eine neue wertvolle Beschäftigung und ermöglichte ihnen eine größere spirituelle Ausstrahlung.7 Die neuen deutschsprachigen Statuten, die der für Eger nun zuständige Sächsische Observanten-Vikar Henning Sele 1466 eigens für die Klarissen zu Eger erließ, ergänzten von da an die weiterhin gültige Regel Urbans IV. Die Reformstatuten Seles beließen dem Klarissenkloster zu Eger sein in der Urban-Regel gestattetes und durch bisherige Besitzungen der dortigen Franziskaner noch erweitertes gemeinsames Eigentum. Sie verboten aber besonders streng jeden privaten Besitz von Schwestern. Dass die observant gewordenen Minderbrüder zu Eger nun die erworbenen Güter ihres Klosters den Klarissen übergaben, sicherte den Brüdern zwar durch garantierte regelmäßige Zuwendungen einen Teil ihres Lebensunterhalts, brachte sie aber in eine gewisse wirtschaftliche Abhängigkeit von den Schwestern. Allerdings wurden die Klarissen zu Eger dabei zunächst der Sächsischen Observanten-Vikarie, dann der seit 1518 neu gebildeten, observant geprägten Provinz Saxonia sanctae Crucis unterstellt. So wurden deren Provinziale statt der bisherigen Vikare der Sächsischen Observanten übergeordnete Obere des Klosters und nahmen das jährliche Visitationsrecht wahr sowie die Aufsicht und Bestätigung bei der Wahl einer Äbtissin. Die Diskussion um die richtige Observanz (Beobachtung) der Ordens regel ging jedoch weiter bis in den Beginn des 16. Jahrhunderts, vor allem durch die Ordensreform der heiligen Coletta von Corbie (1381–1447)8, die viele Klarissenklöster zurück zur ursprünglichen Regel der hl. Klara von Assisi selbst führte. Das war ja die erste Ordensregel einer Frau gewesen, die Papst Innozenz IV. erst am 9. August 1253, zwei Tage vor dem Tod der Heiligen, zu Assisi bestätigt hatte.9 Wie weit sich allerdings die damalige Diskussion um diese beiden Ordensregeln auf das Klarissenkloster zu Eger selbst auswirkte, lässt sich angesichts der bisher bekannten Überlieferung kaum sagen. Immerhin musste sich Alveldt in seiner lateinischen Regelerklärung für die Klarissen zu Eger 1533/34 mehrfach mit dieser Problematik beschäftigen.
Zur Zeit der frühen deutschen Reformation erreichte jedoch besonders der reformatorische Einfluss bald die Klarissen wie die Franziskaner zu Eger und ließ ihr Leben nicht unberührt. Daher erwarb, zum Beispiel, die damalige Äbtissin der Egerer Klarissen Katharina von Seeberg (Amtszeit 1499–1531) gegen die Reformation gerichtete Schriften, die sie um 1522 auch ihrer Nürnberger Amtsschwester Caritas Pirckheimer (1467–1532, Äbtissin seit 1503) zuschickte.10 Bereits vor der Amtszeit der Äbtissin Ursula Schlick haben also die Schwestern und Brüder zu Eger die ausgebrochene heftige Kontroverse um eine Erneuerung von Glaube und Kirche wahrgenommen.11 Als Augustin von Alveldt nach Eger kam, zunächst um die dortigen Klöster zu besuchen und zu visitieren, wie es 1529–1532 seine Aufgabe als zuständiger Provinzialminister war, wurde er auf diese Diskussion hin sowie auf die Verunsicherung mancher Schwestern und Brüder angesprochen. Sonst hätte der damals bekannte Verteidiger kirchlicher und franziskanischer Tradition in seine kurz nach der Verteidigung der Franziskus-Regel verfasste lateinische Erklärung zur Klarissen-Regel nicht erneut so weitgehend die Polemik gegen die Reformation einbezogen. Vermutlich weilte Alveldt sogar zur Abfassung dieser Schrift als Gast beim Klarissenkloster zu Eger.12 Denn dank der garantierten Unterstützung durch die begüterten Klarissen waren die Brüder, die in Eger den Schwestern dienten, besser versorgt als in anderen Klöstern der Saxonia Sanctae Crucis, der franziskanischen Ordensprovinz der Observanten, die in der damals schwierigen Zeit ganz auf Almosen von außen angewiesen blieben.
Das Klarissenkloster zu Eger selbst war durch seinen erheblichen Grundbesitz gut abgesichert, besonders aber durch die tatkräftige Unterstützung der böhmischen Könige, jedenfalls seit 1526 Ferdinand I. (1503–1564), der Bruder Kaiser Karls V., König von Böhmen wurde. Daher konnte das Kloster später 1582, anders als das dortige Franziskanerkloster, das eine Zeit lang verwaiste, den völligen Anschluss der Reichsstadt Eger an die Reformation gut überstehen. Die Klarissen wurden jedoch seit etwa 1606, mit dem vom Südwesten her neu besiedelten Franziskanerkloster in Eger, der damaligen Oberdeutschen (Straßburger) Ordensprovinz der Franziskaner-Observanten (Alemania; Argentina) zugeordnet, so dass der Saxonia sanctae Crucis nach jener Zeit zunächst nur das Franziskanerkloster zu Halberstadt verblieb.
Deutlicher noch als in der Eingangsfrage von Alveldts Verteidigung der Franziskus-Regel13, wird im Titel seiner Erklärung der Klarissen-Regel der Hintergrund der reformatorischen Infragestellung auch dieser Ordensregel angesprochen.14 Bekannt geworden und bei Alveldt vorausgesetzt ist besonders der Angriff des früheren Franziskanerobservanten Johann Eberlin von Günzburg auf die geltenden Regeln der Minderbrüder und der Klarissen. Eine Schrift, die Eberlin nach eigenem Zeugnis bereits 1523 zu Wittenberg verfasste, die aber 1524 zu Augsburg erstmals gedruckt wurde!15 Die beiden nun geltenden Regeln der Franziskaner wie der Klarissen entsprachen nach Eberlin nicht dem Evangelium Jesu Christi, wie es der frühere observante Franziskaner nun nach seiner Konversion zur Reformation neu verstand. Aber diese reformatorische Infragestellung wurde nicht in erster Linie angesprochen, als Alveldt in seiner Widmung an die Äbtissin Ursula Schlick („Slickin“) den Sinn seiner Erklärung der Klarissen-Regel erläuterte. Schmerzlicher empfand die Äbtissin zu Eger anscheinend die klosterinterne Spannung zwischen einer zu skrupulösen Regelobservanz einerseits, sowie der Missachtung und Übertretung der Regel andererseits16:
„Der adeligen und edelmütigen Gräfin, der ehrwürdigen und religiösen, Christus geweihten Jungfrau, der gnädigen Frau Mutter, der Herrin Ursula Schlick, der liebenswürdigen Äbtissin des Ordens der gottgemäßen Jungfrau Klara zu Eger, wünscht Augustin von Alveldt vom Orden der Minderen, Diener Jesu Christi, die Fülle des Heils in dem Sohn der Jungfrau. Oft und vielmals mit lechzendem Geist hast Du, edelmütige Tochter und Braut Jesu Christi, mich gedrängt, dass ich Deiner Klugheit die Regel der hl. Jungfrau Klara, die Du mit Deinen geliebten Schwestern Gott, Christus Jesus, Eurem Bräutigam, versprochen habt, hin zu ihrem evangelischen Verständnis erklären soll. Denn du solltest nicht beim Durchgang zwischen dem Dorngestrüpp der Übertretung und den Klippen der Zweifel Dich vielfältig in Deinem Gewissen verletzen, sofern Du Dir eine Sünde der Übertretung einbildest, wo wohl keine ist.“
Eine ungeklärte Spannung zwischen eher ‚konservativen‘ und eher ‚liberalen‘ Schwestern vergiftete also nach Alveldt die Atmosphäre der Gemeinschaft:17
„Der Urheber der Regel wollte ja dort das aktive Leben der Tugend im äußeren Menschen und das beschauliche Leben göttlicher Wahrheit und Weisheit im inneren Menschen einführen. Euer klösterliches Leben sollte ein Haus werden, in dem Christus aufgenommen wird, wo Marta dient und Maria zu den Füßen Jesu sitzt [Lk 10,38–42]. Dort jedoch ergreift Ihr, Du und Deine Schwestern, den Fallstrick der Übertretung und die Fangnetze der ängstlichen Skrupel, und das Haus Eures Lebens wird voller Rauch, Finsternis und Gefahr.“
Es war zunächst diese interne Problematik, die Alveldt angehen wollte, so dass seine Regelerklärung den Schwestern persönlich und gemeinschaftlich zur Klärung, Stärkung und Erneuerung ihres Lebens dienen sollte. Daher schrieb Alveldt in seinem Brief an Ursula Schlick18:
„Weil ich der Liebe und Ehre Christi verpflichtet bin und Deiner Liebe, durch die ich Dir ergeben werde, kann ich keineswegs verweigern, was Du willst und befiehlst. Daher will ich versuchen, auf welche Weise ich Deinen Wünschen gehorchen kann, mit der Hilfe Deiner Bitten zu Gott. Vor allem soll damit Euer heiliges Ordensleben in Kraft bewahrt bleiben und die Zucht Eurer Tugenden verstärkt wachsen; verstummen sollen zudem die trügerischen Lippen der Gottwidrigen, die sich nicht scheuen, das klösterliche Leben herunter zu machen und dem Heiligen Geist zu widerstreiten. Für Dich und Deine Schwestern soll auch der Triumph, den Ihr über die Welt, das Fleisch und den Teufel zu haben wünscht, durch Jesus Christus herrlicher werden. Nimm also, edle Jungfrau, liebenswürdige Braut Christi, meine ganz erfreuliche Herrin und Tochter, diese meine Arbeit in ihren beiden Seiten an! Mag sie klein sein im Vergleich zu dem, was Deiner würdig ist, sie wird dennoch groß, wenn Deine Bescheidenheit sie huldvoll akzeptiert.“
Alveldt wollte also durchaus die reformatorischen Angriffe auf das klösterliche Leben widerlegen, die er von vornherein als ‚trügerisch‘ und ‚gottwidrig‘ verdammt, weil sie nach ihm „dem Heiligen Geist widerstreiten“. Das aber ist erst der zweite Aspekt seiner „Arbeit in ihren beiden Seiten“, die der streitbare Franziskaner der Äbtissin und ihren Schwestern ans Herz legte; denn insgesamt erwartete Alveldt infolge eines spirituell erneuerten Verständnisses des regeltreuen Ordenslebens bei den Klarissen zu Eger durch „Jesus Christus“ ihren herrlicheren „Triumph über die Welt, das Fleisch und den Teufel“.
Diese Widmung zeigt bereits das große Vertrauen, das zwischen dem älter gewordenen Augustin von Alveldt19 und der jüngeren Äbtissin, der Gräfin Ursula aus dem einflussreichen böhmischen Grafengeschlecht der Schlick (Schlik)20, gewachsen war. Dieses Vertrauen entstand vermutlich seit der Zeit, in der Alveldt als Provinzialminister der Saxonia sanctae Crucis (1529/32) für das Klarissenkloster zu Eger zuständig war, das Kloster offiziell visitierte und 1531 die Wahl der Äbtissin Ursula Schlick leitete. Bei der Erklärung der Kapitel 22 und 24 der Klarissen-Regel über die Wahl und den Dienst der Äbtissin sowie über den Dienst des Visitators21 legte Alveldt besonderen Wert auf ein gutes verständnisvolles Verhältnis der zuständigen franziskanischen Oberen zur Äbtissin und zu den Schwestern eines Klarissenklosters.22 Dass die Visitation der Schwestern durch die Provinzialminister der Brüder oder durch deren Abgesandte jedoch nicht immer hilfreich war, ließ Alveldt in mehreren kritischen Bemerkungen zu diesem Visitationsdienst erkennen.23 Gegen die Entscheidung eines Visitators, vielleicht seines Nachfolgers als Provinzialminister Suederus Vastmar oder eher von dessen Vertreter, setzte sich Alveldt zum Beispiel vehement für die literarische Bildung jüngerer und älterer begabter Schwestern ein, ganz im Sinne der Äbtissin Ursula Schlick.24 Solch kritische Einstellungen des erfahrenen Franziskaners gegenüber ordensinternen Problemen und Entscheidungen kamen in seiner Regelerklärung mehrfach zum Ausdruck. Diese bekannte Kritik Alveldts ließ es vielleicht der Äbtissin Ursula Schlick von vornherein ratsam erscheinen, dass er seine Überlegungen lateinisch verfasste und sie so nur gebildeten Schwestern zugänglich wurden. Die lateinische, aber einfache Sprache seiner Schrift führte Alveldt jedenfalls in seiner Widmung auf einen ‚Befehl‘ der Äbtissin Ursula zurück:25
„Freilich hat Deine Klugheit befohlen, ich solle Dir diese Gabe übergeben in allgemeiner und einfacher Redeweise, jedoch in Latein, aber in keinem gewundenen, auserlesenen, verdunkelten. Und wie Du siehst, bin ich Deinem Verlangen gefolgt. Ob ich aber dem neugierigen Leser genug getan habe, darauf lege ich keinen großen Wert, sofern ich nur dem Eifer Deiner Frömmigkeit gefallen kann.“
Da Alveldt zur Zeit der Niederschrift der Regelerklärung vielleicht beim Klarissenkloster zu Eger lebte und damit von den Zuwendungen der begüterten Klarissen abhängig war, musste er ohnehin die in mancher Hinsicht überlegene Autorität der Äbtissin und Gräfin Ursula Schlick respektieren. Die kluge, offensichtlich literarisch gebildete Äbtissin dürfte zudem, besser als Alveldt, gespürt haben, dass die feindselige Schärfe, mit der Alveldt die andere Partei in der entstehenden konfessionellen Spaltung angriff, vielen ihrer Schwestern nicht gefallen konnte. Denn wie Ursula Schlick selbst, erlebten manche in ihrer näheren oder weiteren Verwandtschaft bereits reformatorisch Gesinnte, die ganz und gar nicht dem von Alveldt gemalten Feindbild entsprachen. Es konnte sich zudem schon damals die Frage stellen, wie weit solche Feindseligkeit und ein solches Feindbild sich mit den von Alveldt selbst sehr betonten Werten des Evangeliums Jesu Christi vereinbaren ließen. Diskutiert wurde aber diese Frage an keiner Stelle des lateinischen Textes der Regelerklärung.
Alveldt mit seinen Verdammungsurteilen, die er gegen die reformatorische Seite unbedingt für gerechtfertigt hielt, war dazu nicht in der Lage. Denn die konfessionelle Spaltung und Feindschaft hatten sich, meist auf beiden Seiten, sehr weit zugespitzt.
Es ging Alveldt nicht nur um eine pragmatische Beilegung jener Spannungen, die er bei den Klarissen zu Eger unheilvoll wirksam sah. Denn er vermutete Hintergründe dieser Spannungen, die der spirituell versierte Theologe grundsätzlich ansprechen wollte. Nicht ohne Wirkung war offenbar jene reformatorische Kritik geblieben, die die geltenden Ordensregeln sowohl der Franziskaner wie der Klarissen im Widerspruch sah zum Evangelium Jesu Christi. Wie bei seiner Verteidigung der Franziskus-Regel26 wollte Alveldt auch bei der Klarissen-Regel diese Kritik entkräften. Das unternahm Alveldt bereits in der ausführlichen „Questio prima“ seines Prologs:27
„Kann man die zweite Regel der gottgemäßen Jungfrau Klara, die der Herr Papst Urban IV. angeordnet und verbreitet hat, aus dem Evangelium Christi zusammenstellen oder in ihm aufzeigen, und wo?“
Vorher musste Alveldt jedoch auf die damals ebenfalls diskutierte Beziehung dieser so genannten ‚zweiten Regel‘ zur hochverehrten Gründerin Klara von Assisi eingehen. Eine Beziehung, die anscheinend problematisch geworden war! Denn die beiden Regeln wurden in damaligen franziskanischen Quellensammlungen und Reformrichtungen unterschiedlich bewertet. Vor allem aber hatte Johann Eberlin von Günzburg in seinem reformatorischen Angriff diese Unterschiede und ihre Entwicklung als Folge tyrannischer päpstlicher Eingriffe in die klarianische Regelgeschichte denunziert.28 Auf diese Problematik musste daher Alveldt schon in seiner Vorrede, „Prefatio“, antworten, als er die „gottgemäße Jungfrau Klara (diuina virgo Clara)“ geradezu hymnisch feierte und sie als „Fürstin der Streitmacht“, als „Gräfin und Herzogin der Jungfrauen“ und als „hervorragende und tüchtige Streiterin“ dem hochadeligen Selbstverständnis der Egerer Äbtissin annäherte:29
„Daher hat die weise Jungfrau die Schlachtreihe ihrer Streitmacht unterwiesen: Gegen der Welt Angriff und Ansturm, der durch die Begierlichkeit des Fleisches oder die Unzucht geschieht, durch die Begierlichkeit der Augen oder die Habsucht, durch die Hoffart des Lebens, sollte sie in einem sehr tapferen Kampf Widerstand leisten durch Keuschheit, durch Armut, durch demütige Unterwerfung oder Gehorsam, die nichts anderes sind als Verleugnung des eigenen Willens. Zu dieser Schlachtreihe der Streitmacht sind sehr viele Jungfrauen gekommen, und sie verbanden sich, nicht so sehr dem Leibe als dem Geiste nach, mit jener Fürstin der Streitmacht, der edelmütigen Klara. Und um tapfer in dieser Schlachtreihe zu streiten, verpflichteten sie sich mit einem Gelübde, in der Treue auszuharren. Klara, die Gräfin und Herzogin der Jungfrauen, die hervorragende und tüchtige Streiterin! Sie wollte diese verheißungsvolle Streitmacht klug beginnen, mit Weisheit üben, einen herrlichen Triumph feiern. Daher hat sie sich und ihre mitstreitenden Jungfrauen hinter die Mauern eines Klosters eingeschlossen, um in allen ihren Bewegungen nichts zu tun, was den Blick von irgendjemand verführen könnte, sondern nur was der Heiligkeit gezieme und so ihr Lebenswandel im Himmel sei.“
Es handelte sich also bei Klara und ihren Schwestern um einen geistig-geistlichen Kampf gegen eine gottfeindliche Welt mit ihren schlimmen Begierden. Die gottfeindliche Welt sah Alveldt anhand seiner biblischen Lieblingstexte, nämlich 1 Joh 2,15–17; 5,19 sowie Jak 4,4 und schließlich Tit 2,12, als die vorherrschende, aber nur zu verachtende und zu bekämpfende menschliche Umwelt „ganz unter Macht des Bösen“.
Bei seiner eigenartigen Einschätzung des Lebens und Wirkens der heiligen Klara erschienen für Alveldt daher die geschichtlichen Daten zweitrangig, die er nicht genau kannte. Klaras Geburt legte er hier ins Jahr 1192, während nun eher 1193 oder auch 1194 angenommen wird.30 Ihre Ordensentscheidung mit 18 Jahren, die Alveldt vermutlich aus einer Quelle kannte, hätte ihn aber keinesfalls zum Zeitpunkt der Annahme und Bestätigung von Klaras eigener Ordensregel bereits 1208 [!] durch Papst Innozenz III.31 führen dürfen. Denn Alveldt sah selbst zu Recht die Ordensregel, die Klara bis 1253 formulierte, nahe bei der endgültigen Regula Bullata der Minderbrüder32, die jedoch erst 1223 durch Papst Honorius III.33 verbrieft wurde. Als Klara um 1211 durch Franziskus ins Ordensleben aufgenommen wurde34, hatte sie noch nicht an eine eigene Regel gedacht, sondern schloss sich eng an die Lebensform der Brüder an. Diese Lebensform entwickelte sich nach deren mündlicher Bestätigung durch Papst Innozenz III. um 1209/10 aber erst bis 1221 zu einer Art Ordensregel (Regula Non Bullata).35 Die Bemühungen der Römischen Kurie aber Klara und ihren Armen Schwestern zu San Damiano eine Lebensregel zu geben, so unter Kardinal Hugo (Hugolin) von Segni (später als Papst: Gregor IX.)36 seit 1220 und unter Papst Innozenz IV. 124737, finden bei Alveldt keine Erwähnung; denn für ihn bestand bereits zu dieser Zeit Klaras eigene Ordensregel, die Papst Innozenz IV.38 nur neu bekräftigte.39 Alveldt hatte nämlich ein besonderes Interesse an einer Frühdatierung der Klara-Regel. Denn nach ihm entsprang sie zwar aus großer Begeisterung, hatte sich aber in der Lebenspraxis auf Dauer nicht bewährt:40
„Weil man aber diese erste Regel der gottgemäßen Klara nicht in allen Gegenden einhalten konnte, obwohl sie aus Glut und trunkenen Geistes verfasst war, wurde diese Regel bei abgekühlter Glut und erkalteter Liebe doch für mehrere zum Anlass von Verderben und Ärgernis. Daher erfolgten viele Zugeständnisse und Abmilderungen, die sie Privilegien nennen und die von der Absicht der berühmten Jungfrau Klara abwichen.“
Solche Abstriche an der Klara-Regel, besonders jedoch die Absicht, möglichst viele Frauenklöster in dem einen Klarissenorden mit einer einzigen Regel zu vereinen, veranlassten Papst Urban IV. 1263 dem „Ordo sanctae Clarae“, wie er ihn nun nannte, eine neue Ordensregel zu geben, die freilich aus früheren Regelversionen schöpfte.41 Nach Alveldt entwickelte der Papst dabei eine bessere Regel, die eher einzuhalten war:42
„Papst Urban IV. als guter Hirte und Stellvertreter Christi, dem es zusteht, nach rechtmäßigem Rat Regeln zu verwerfen und anzuerkennen, sah das. Im Jahr des Herrn 1263 im ersten [!] Jahr seines Pontifikates bestimmte er eine andere Regel für die gottgeweihten Jungfrauen der heiligen Klara, die er zu Orvieto am 18. Oktober im dritten Jahr seines Pontifikats bekräftigte und öffentlich verbreiten ließ. Diese zweite Regel freilich ist viel reifer, klüger und passender zum Einhalten verfasst und bestimmt als die erste.“
Ob Papst Urban IV. bald nach Amtsantritt, also im ersten Jahr seines Pontifikats 1261, sich mit der Regelung für den einen, neu erstehenden „Orden der heiligen Klara“ zu beschäftigen begann, ist sehr fraglich. Abgeschlossen wurde das Unternehmen jedoch erst in seinem dritten Amtsjahr 1263. Für Alveldt war das Ergebnis wichtiger als die genauen Daten:
„Das sage ich, damit nicht jemand aus Leichtfertigkeit des Geistes meint, nach der ersten Regel der gottgemäßen Jungfrau Klara sei die zweite untergeordnet, obwohl sie mehr ausgereift, eher einzuhalten und heilig ist. Vier kleine Fragen zu dieser Regel, die Dich, edelmütige Jungfrau, meine liebenswürdige Herrin und Tochter Ursula Schlick, bewegen könnten, will ich nun der Reihe nach lösen.“43
Obwohl Alveldt noch mehrfach das Verhältnis der Klararegel zur Urbanregel ansprechen wird, sollte er sich selbst nur der für ihn und die Klarissen zu Eger maßgebenden ‚zweiten Regel‘ zuwenden. Mit vier grundsätzlichen Fragen zu dieser Regel Urbans IV. beginnt somit der zweite Teil der Vorrede oder des Prologs zur Regel-Erklärung, ebenfalls im Blick auf die hochadelige Adressatin, nämlich auf Alveldts „Herrin und Tochter Ursula Schlick“.
Die erste Frage nach dem ‚evangelischen‘ Wahrheitsgehalt der Klarissen-Regel Urbans IV., in der Alveldt sich mit der reformatorischen Kritik auseinandersetzte44, war vielleicht für die Äbtissin und für die Schwestern von Eger nicht so dringlich, wie in der Sicht von Alveldt selbst. Deshalb warb der Theologe um Verständnis für diese Kontroverse, in der der Franziskaner allerdings nicht um Worte oder Wörtchen kämpfen, sondern sich allein um die Wahrheit des Evangeliums bemühen wollte45:
„Aber, liebe und kluge Tochter Ursula, bei gottwidrigen Lutheranern und anderen Häretikern ist es üblich, alles bis aufs Wort aus dem Evangelium haben zu wollen. Sonst wollen sie keine Wahrheit annehmen. Daher will ich wegen Deiner in Studien eifrigen Klugheit und zur Unterweisung der anderen Jungfrauen hier ein klein wenig abschweifen und zeigen, wie höchst gefährlich und gottwidrig es ist, das Geräusch von Worten oder Reden zu beachten unter Vernachlässigung der Wahrheit. Herrin Ursula, mit geduldigem Geist höre zu! Ich aber will mit dem Feind der Wahrheit inzwischen die Klingen kreuzen.“
Ganz ähnlich wie in seiner Verteidigung der Franziskus-Regel46, aber noch ausführlicher zeigte dabei Alveldt, dass selbst viele Texte des Neuen Testaments in ihrem Wortlaut, in ihrer Redeweise und in ihrer Satzbildung nicht übereinstimmen, ja sogar gegensätzlich erscheinen.47 Dass die gemeinte Wahrheit des Evangeliums in der Bibel dennoch erreicht wird und zur Sprache kommt, setzt der franziskanische Theologe traditionell voraus, ohne das eigens darzulegen. Denn die gemeinte Wahrheit kann auf sehr verschiedene Weise durch Worte oder Zeichen zur Sprache gebracht werden, wie Alveldt es später am Beispiel der Reklame für den Weinverkauf eines Weinhändlers erläutert.48 Deswegen stimmt die Klarissen-Regel Urbans IV. mit ihren 26 Kapiteln trotz ihres ganz anderen Sprachgebrauchs mit dem Evangelium Christi in der allein maßgeblichen Wahrheit überein. Alveldt ging später noch weiter. Sogar die damals bekannten und geltenden Ordensregeln des Basilius, des Augustinus, des Benedikt, des Franziskus und der Klara stimmen nach ihm trotz ihrer ganz unterschiedlichen Sprache in der wesentlichen Wahrheit des Evangeliums miteinander überein.49
Daher konnte Alveldt in der „Questio 2“ des Prologs50 auch zeigen, dass die Urbanregel in ihrer maßgebenden Absicht der Weltverachtung und der Christusnachfolge mit der Intention Klaras übereinstimmt, obwohl Papst Urban IV., anders als zuvor Klara, klösterlichen Gemeinbesitz gestattete. Denn das Gemeineigentum entsprach dem Modell der Jerusalemer Urgemeinde, das ebenfalls eine dem Evangelium Christi folgende Lebensform darstellt, wie es Alveldt ausführlich zu erklären suchte.51 Er schrieb vor allem im Blick auf die Äbtissin zu Eger:52
„Man könnte fragen: Was ist jene kirchliche Regel der Urkirche, von der ich hier gesprochen habe? Ich sage: Das klösterliche Leben gottgeweihter Frauen hat nicht seinen Anfang genommen bei der seligen Jungfrau Klara. Sondern bald nachdem der Heilige Geist am Pfingsttag gegeben wurde, begann die Ordnung klösterlichen Lebens, die man Regel nennen kann. Unter dieser Regel wurden achttausend Menschen vereint, die für Christus in einem klösterlichen Leben kämpfen sollten gegen der Welt Unzucht, Habsucht, Hoffart. Ich weiß, diese Regel gefällt mehreren, am meisten Dir, o edelmütige Jungfrau und meine Herrin Ursula. Daher habe ich beschlossen, sie hier einzufügen, wie sie sich in der Apostelgeschichte zeigt und dem Evangelium Christi entnommen wird.“
Man könnte allerdings fragen, ob die entsprechenden Sammelberichte in der Apostelgeschichte53 überhaupt ein klösterliches Leben beschreiben wollen und nicht vielmehr allgemein das Idealbild einer christlichen Gemeinde. Alveldt folgt jedoch, ohne nähere exegetische Begründung, der im Mittelalter beliebten Sicht eines klösterlichen Lebens der Jerusalemer Urgemeinde. Maßgebend ist freilich, dass Alveldt dort den ‚Kampf für Christus‘ „gegen der Welt Unzucht, Habsucht, Hoffart“ verwirklicht glaubte, also sein Ideal klösterlichen Lebens. Davon ließ sich offenbar Gräfin Ursula Schlick, die Äbtissin zu Eger, ansprechen. Denn diese Sicht lag ihrem hochadeligen Selbstverständnis nahe und das Modell der Jerusalemer Urgemeinde gab ihrem Leitungsdienst im Klarissenkloster zudem eine gewisse apostolische Würde.
Weil Alveldt in den Grundsatzfragen des Prologs noch nicht auf konkrete Bestimmungen der Urban-Regel eingehen wollte, genügte es ihm, in „Questio 3“54 die grundlegenden Verpflichtungen des Gehorsams, der Armut, der Keuschheit und der strengen Klausur zu betonen, die von den Klarissen feierlich zu geloben waren und daher nach Alveldt über Heil und Unheil, über Leben oder Tod entschieden. Wichtig wurde für den spirituellen Theologen dabei die Unterscheidung zwischen einer inneren Haltung und der äußeren Ausdrucksform. Die äußeren Ausdrucksformen von Gehorsam, Armut, Keuschheit und Klausur, die die Regel umschreibt und bestimmt, bleiben gültig, sind jedoch für Alveldt zweitrangig gegenüber der inneren Haltung, die wesentlich vom Evangelium Christi her gefordert ist:55
„Der Gehorsam ist zweifach, der eine äußerlich, der andere innerlich. Der erste gehorcht dem Befehl seines Oberen, der zweite will den eigenen Willen nicht haben, sondern verleugnen, sondern will gerne mit der Gemeinschaft56. Äußerer Gehorsam ohne den inneren ist vorgespielte Heiligkeit und doppelte Ungerechtigkeit. Der zweite [innere] aber, wenn er den ersten [äußeren] verwirft, ist gefälscht und der Schande wert. So unterscheidet Christus und sagt: Ein Mann hatte zwei Söhne. Er sagte zum ersten: Sohn, geh in meinem Weinberg arbeiten. Aber er antwortete: Ich will nicht. Danach von Reue bewegt, ging er doch. Und zum zweiten sprach er ähnlich. Jener sagte zu ihm: Ich gehe, Herr. Und er ging nicht. Wer von den beiden hat den Willen des Vaters getan? Die Pharisäer antworteten: Der erste, Matthäus 21[,28–31]! Über den äußeren Gehorsam urteilt die Regel, über den inneren aber Gott und das eigene Gewissen. […] Und so ist die Klausur zweifach, die eine äußerlich, die andere innerlich. Die äußere Klausur nimmt die Gelegenheit weg, aktiv oder passiv zur Verführung zu werden. Das heißt: Damit nicht die Schwestern von Hereinkommenden entweder Verführung annehmen oder eine Gelegenheit zum Versagen! Ähnlich sollen die Schwestern nicht beim Hinausgehen irgendjemand verführen oder Verführung annehmen oder zur Ursache werden, dass jemand versagt! Es legt jedoch die Regel die Fälle fest, in denen die Schwestern hinausgehen könnten. Die innere Klausur ist ganz wahrhaft Verachtung der Welt, wo Herz, Sinnen, Seele, Geist, Liebe, Zuneigung sich Gott öffnen und den Geschöpfen verschließen. Das ergibt die wahre Freiheit des Geistes, das himmlische Paradies, die Leiter zum Himmel, die Wohnung der ganzen Dreifaltigkeit. Die äußere Klausur ohne die innere ist freilich gut, um Verführung zu vermeiden, damit die Ursache des Verfalls verschwindet. Die innere Klausur ohne die äußere ist besser, obwohl sie nicht ohne Gefahr bleibt. Aber sehr gut und glücklich ist die äußere Klausur mit der inneren. Wenig ist es, wenn sich der Leib mit Türschlössern einschließt, sofern Herz und Gemüt durch die Welt schweifen. Die Regel also bezieht sich nicht auf die innere Klausur, sondern auf die äußere, obwohl sie sehr viel Gelegenheit gibt für die innere Klausur. Gott aber und das eigene Gewissen sind Zeugen, wie die innere Klausur befolgt wird.“
Damit ergibt sich vor allem durch die innere Haltung die Chance, infolge der äußeren Bestimmungen der Ordensregel die wesentlichen Werte des Evangeliums, des Christlichen, so zu leben, wie sie Alveldt von seinem spirituellen Konzept der vom Evangelium geforderten Weltverachtung her verstand. Sollte allerdings diese Weltverachtung nicht nur zur unbedingten Offenheit gegenüber Gott und Seinem Willen führen, sondern sogar zu einer feindseligen Verschlossenheit gegenüber allen Geschöpfen, bliebe nichts mehr übrig von jener geschwisterlichen Verbundenheit mit Gottes Geschöpfen, die etwa Franziskus von Assisi vom Evangelium her neu entdeckte. Ja, selbst die eigenen, von Gott gegebenen, menschlichen Werte blieben unterbelichtet und würden eher als Konkurrenz gegenüber den Werten des Evangeliums abgewertet. Aber das kommt zum Glück bei Alveldt nicht zur Sprache. Im Gegenteil, er beschreibt in seiner späteren deutschen Kurzfassung gerade das „Marienamt“ kontemplativer Schwestern als große Offenheit für alle Geschöpfe Gottes:57
„Welches ist Marien ambt? Suchen, erkennen, belieben [lieben] die warheit in allen creaturen. Cristus ist der weg, die warheit vnd das leben. Wer nun Cristum suchet, erkennet, beliebet in allen creaturen, der hat vnd findet frydt in allen creaturen, dan er beliebt alle creaturn vmb Cristi willen, gleich wie man ein werck lobt vnd lieb hat vmb des meisters willen. Dyß ambt huettet sich vor aller gleyßnerey [Heuchelei], vor allem valschen scheyn, vor allem luegenhaftigen geper [Gebahren]. Wen der grunt recht inwendig gut vnd rechtgeschaffen ist, so findet sich das außwendig geper selber.“
Gerade die kontemplative Ausrichtung des klösterlichen Lebens der Klarissen musste nach Alveldt ihre Herzen von Grund auf öffnen zu einer Liebe, die Christus in allen Geschöpfen sucht und liebt. Diese Grundausrichtung sollte daher jedes heuchlerische und bloß äußerliche Getue im klösterlichen Leben verhindern.
Trotz einer asketisch-spirituellen Weltverachtung konnte Alveldt in „Questio 4“58 vor allem die Einheit des klösterlichen Lebens mit dem allgemein christlichen Leben betonen:59
„Das klösterliche Leben nämlich glaubt, hofft, liebt nicht anders, hat weder eine andere Taufe, noch einen anderen Herrn und Gott, noch einen anderen Geist als das christliche Leben. Das sage ich, weil es einige verworfene Menschen gibt, Liebhaber der Welt, deren Leben weder klösterlich, noch christlich, sondern irreligiös und antichristlich ist. Sie sagen böswillig, die heiligen Orden klösterlichen Lebens seien Sekten des Verderbens. Sie scheuen sich nicht, den Heiligen Geist zu lästern, der der Urkirche eingegeben hat, klösterlich zu leben, wie man der Apostelgeschichte zur Genüge entnehmen kann. Zudem lästern sie Jesus Christus, den Sohn Gottes, der die Verachtung der Welt predigte, der in Armut, Keuschheit, Gehorsam, das ist, Verleugnung des eigenen Willens, lebte, der zu seiner Nachahmung einlud: Wer mir nachfolgt, wandelt nicht im Finstern, sondern wird das Licht des Lebens haben, Joh 8[,12]. Und was ist das klösterliche Leben anders als Verachtung der Welt, Nachahmung Christi in Keuschheit, in Armut, in Verleugnung des eigenen Willens, das ist, in Gehorsam. Ihm entgegengesetzt ist aber das Leben der Welt, nämlich Unzucht, Habsucht, Hoffart. Wer jedoch dem Leben der Welt folgt, der hält zweifellos das klösterliche Leben für gänzlich hassenswert.“
In diesem asketisch-spirituellen Verständnis des klösterlichen Lebens idealisierte Alveldt freilich diese Lebensform als allein konsequente Christusnachfolge, die die Werte des Evangeliums und des Christlichen höchst vollkommen lebt. Da einer solch idealen Sicht des Ordenslebens jedoch die Reformation und ihre Ordenskritik nicht hatten folgen können, musste nach Alveldt dort ein völlig antichristliches ‚weltliches‘ Leben entstehen. Nach ihm wurden damit in der Reformation die Werte des Evangeliums von Grund auf verkannt. Ja, all das Böse, alle Sünden, die leider selbst im klösterlichen und allgemein christlichen Leben noch auftauchen, konnte Alveldt nun auf das angeblich antichristliche Leben der Reformatoren und ihrer Anhänger projizieren. So blieb für ihn auf der Gegenseite nichts Gutes mehr übrig:60
„Verbrecherische Werke halten sie hoch, das klösterliche Ordensleben lästern sie, das weltliche, animalische, irdische Leben preisen sie. Übermäßig für hassenswert halten sie die Keuschheit, die evangelische Armut, den demütigen Gehorsam. Ohne Bescheidenheit folgen sie der Habsucht, der Unzucht, der Hoffart. Den Gottesdienst verwerfen sie, verfolgen die, die nüchtern, fromm und gerecht leben [Tit 2,12]. Das Gemeinwesen richten sie zugrunde, alle guten Sitten verderben sie. Sie hören nicht auf, die katholische Kirche zu beschimpfen, zu beflecken, umzustürzen, zu verkehren, zu bedrängen, anzugreifen und zu bekämpfen. Zu Recht nennt man ihr Leben antichristlich. Ihr Herold und Führer ist Martin Luther, der Falschlehrer, der Abtrünnige, ein Mann ohne Nutzen, Verderber der Wahrheit, Verführer des Erdkreises, Feind alles Guten, Erfinder alles Bösen, Vorläufer des Antichrist, als reißender Wolf, als umherirrender Dieb, als Räuber Führer in die Häresie, Sohn des Verderbens.“
Diese schlimme Polemik gegen die Reformation Martin Luthers am Ende des langen Prologs der lateinischen Schrift begrenzte freilich nicht die Intention von dieser Erklärung Alveldts zur Klarissen-Regel auf diese antireformatorische Auseinandersetzung.
Maßgebend sollte die dem Evangelium entsprechende Wahrheit sein, die nach Alveldt von der hl. Klara intendiert war und die in der geltenden Klarissen-Regel Urbans IV. erhalten blieb. Denn diese Regel, wie Alveldt sie der Äbtissin und den Schwestern zu Eger nahe bringen wollte, kann und muss in ihrem dem Evangelium Christi entsprechenden Sinn verstanden und gelebt werden. Deswegen ging es Alveldt nicht nur um den Buchstaben der Ordensregel, sondern gerade um die innere Haltung von Gehorsam, von Keuschheit, von Armut und Klausur, worin sich nach ihm das Wesen der gelobten Lebensform zeigt. Um die aktuellen Konflikte im Egerer Klarissenkloster anzugehen und das Leben der Schwestern zu erneuern, musste es daher nach Alveldt genügen, das rechte und wesentliche Verständnis der tradierten Regel zu zeigen und wahr zu machen. Obwohl die Urban-Regel selbst den Gedanken der ‚Reform an Haupt und Gliedern‘ betonte61, nahm Alveldt dieses Konzept aber nicht für seine Regelerklärung in Anspruch, wohl weil der Begriff „reformatio“ durch die für ihn damals negative Erfahrung von Luthers Reformation fragwürdig geworden war.
Maßgebend für die Klarissen von Eger war die Gestalt der hl. Klara selbst, die Alveldt in einem Gebet ansprach und hochpries,62 deren Leben er aber erneut mit falschen Daten erfasste.63 Klara hat demnach infolge der Abänderung ihrer eigenen Regel durch Papst Urban IV. durch die „zweite Regel der heiligen Klara“ nach Alveldt ihre bleibende Bedeutung erhalten. Das betonte er besonders, obwohl der Franziskaner zugleich Klaras eigene geschichtliche Lebensform als fragwürdig darstellte:64
„Nach dem Tod der gottgemäßen Jungfrau Klara im 7[!]. Jahr, im Jahr 1261 nach der Fleischwerdung Christi aber, erwog der höchste Pontifex Herr Urban IV. klug, wie es sich für einen Stellvertreter Christi und Hirten gehört, an vielen Orten der Erde sei eine Bettelarmut nicht angemessen für gottgeweihte Jungfrauen, so dass sie eher zur Einbuße der Zucht und des Anstands, zur Gefahr für Seele und Leib führe. Deshalb änderte er diese umherschweifende Bettelarmut ab zu einem armen Gebrauch zeitlicher Dinge, damit sie alles in Gemeinschaft haben sollten wie einst die Urkirche. Und er gab den Schwestern eine Form und Weise des Lebens in Armut, Keuschheit, Gehorsam und Klausur nach der Intention der gottgemäßen Jungfrau Klara. Diese Lebensweise nennen sie die zweite Regel der heiligen Klara. Er bekräftigte aber und veröffentlichte diese Regel in einer Urkunde des Apostolischen Stuhles im dritten Jahr seines Pontifikats. Diese zweite Regel also, wie ich oben gesagt habe, will ich wegen ihrer heftigen Gegner, die sie heruntermachen, aus dem heiligen Evangelium Christi aufzeigen, nicht nach dem Geräusch der Worte, was gefährlich ist, wie ich früher erörtert habe, sondern nach der lauteren Wahrheit, die in den Worten zu erwägen ist.“
Dass Klara von Assisi 1253 kein umherschweifendes Betteln ihrer Schwestern im Sinn hatte, ergibt sich aus ihrer eigenen Regel.65 Weshalb Alveldt zu einer solch verwegenen Behauptung kam, obwohl er Klaras Regel kannte, bleibt unerklärlich.66
Es sollte jedenfalls der Vorrang der Urban-Regel unterstrichen werden. Denn deren Identität mit „dem heiligen Evangelium Christi“ wollte Alveldt „nicht nach dem Geräusch der Worte“, also nicht nach dem Wortlaut, aufzeigen, sondern „nach der lauteren Wahrheit, die in den Worten zu erwägen ist“. Wie in seiner Verteidigung der Franziskus-Regel67 stellte Alveldt Worte des Evangeliums [„Jesus Christus euangelisat“] vor den Regeltext [„Clara virgo regulat“]. Nach ihm wollte er, in dem Argument: „Veritas quadrat (Die Wahrheit fügt zusammen)“, den für ihn wesentlichen evangelischen Wahrheitsgehalt des Regeltextes zur Sprache bringen. Dass dieses Unternehmen selbst bei seinem traditionell harmonisierenden Verständnis von Heiliger Schrift und des Evangeliums Christi nicht immer so einfach war, spürte Alveldt selbst. Deshalb sollten die verschiedenen Fragen und Exkurse, die der Theologe zur Erläuterung der einen Wahrheit des Evangeliums einfügte, diesen Wahrheitsgehalt noch deutlicher machen. Er konnte dabei auf manch frühere Überlegungen und wohl auf homiletische Arbeiten zurückgreifen und sie an geeigneter Stelle einbringen.68 Mehr als in der eher apologetischen Tendenz, in der Alveldt für seine Brüder die Franziskus-Regel verteidigt hatte69, musste er nun den Schwestern zu Eger erst den ‚evangelischen‘ Sinn ihrer Urban-Regel nahe bringen und wollte damit zur Erneuerung ihres Lebens beitragen. Das war wenigstens implizit ein Engagement für eine spirituelle Klosterreform. Gerade dieses Engagement brachte schließlich Alveldts Erklärung der Klarissen-Regel zu ihrer langandauernden Wirkung.70
Dem entsprechend sollten nach Alveldt die Schwestern auf den inneren, ‚evangelischen‘ Wahrheitsgehalt der äußeren Regelungen achten. Das macht der Franziskaner zum Beispiel angesichts der äußeren Bestimmungen zur Kleidung der Schwestern im 4. Kapitel der Urban-Regel deutlich.71 Alveldt versuchte nicht nur, die einzelnen Kleidungsstücke der Klarissen bildlich zu deuten – hin auf die dem Evangelium Christi entsprechenden inneren Haltungen.72 Die äußere Kleidung erhält demnach erst durch die innere Haltung ihren intendierten Sinn und Wert:73
„Ob die Schwestern sündigen, wenn Außenstehende sie ohne Schulterumhang [Skapulier] und Überkleid oder Mantel sehen? Ich sage: Sie sündigen nicht, außer aus Missachtung oder aus der schlechten Absicht, jemand zu einer unerlaubten Liebe zu provozieren, indem sie so erscheinen, was ferne sei! Abergläubisch ist es, mehr das Äußere zu erwägen als das Innere, wie Christus Jesus, der Erforscher der Herzen, oft die Pharisäer anklagt: Sie haben Kleines und Unbedeutendes groß gemacht, Schwerwiegendes aber des Gesetzes und Gottes Gebote vernachlässigt, M. 15.; 23.; R. 7. [Mt 15,1–11; 23,2–26; Mk 7,5–23]. Begingen so klösterliche Personen eine große Sünde, erschienen sie ohne Schulterumhang und Überkleid vor einer weltlichen Person? Und sie verheimlichen, dass sie von schlimmen Begierden brennen, dass ihnen der Schulterumhang des Wohlwollens fehlt und dass sie das Überkleid der Liebe nicht haben. Gleichwohl kümmert die Regel sich um den äußeren Menschen und beurteilt ihn, sie bezeichnet aber den inneren Menschen. Wer die Worte des Gesetzes annimmt, das aber, was das Gesetz beabsichtigt, nicht beachtet, der allerdings erwägt den Leib ohne den Geist. Deswegen gerät man sehr oft in Irrtum.“
Alveldt griff damit den verbreiteten Formalismus im Ordensleben an, der die äußere Regelobservanz überbetonte. Dagegen wollte er den Vorrang der inneren Haltung herausstellen, auf die es nach dem Evangelium für Christen allgemein, nach der Absicht aber ihrer Ordensregel besonders für Ordensleute ankommt. Alveldt lehnte die Regelbestimmung, die den Klarissen im Umgang mit Weltleuten eine besonders korrekte Kleidung vorschrieb, daher nicht ab, er relativierte sie aber entscheidend. Dieses eher nebensächliche Beispiel kann vielleicht bereits zeigen, worum es Alveldt bei seiner Erklärung der Klarissen-Regel ging, um eine sinnvolle, innere Einhaltung der Regelintention, nicht um eine bloß äußere Beobachtung, nicht allein um die formelle Observanz des Wortlauts der Regel. Das lässt sich durchaus als Engagement verstehen für eine spirituelle Klosterreform, in der es um die innere Haltung der Klarissen ging.
Noch deutlicher wird dieses Engagement bei Alveldts Kritik an der Häufigkeit des Empfangs der Sakramente über den Wortlaut der Ordensregel hinaus. Die Urban-Regel hatte in ihrem 7. Kapitel den Klarissen mindestens die monatliche Beichte sowie den Kommunionempfang an neun Festtagen des Jahres vorgeschrieben.74 Späteren Zeiten erschien das zu wenig. Dagegen sah Alveldt diese Seltenheit des Sakramenten-Empfangs als „durchaus hinreichend“ an:75
„Diese Weise oder Ordnung zu beichten oder das Sakrament der Eucharistie zu empfangen ist durchaus hinreichend für die gesunden Schwestern und aus Heiligem Geist angeordnet, damit die Furcht Gottes, die Ehrfurcht und die Glut der Hingabe größer sei zur Beichte und zum Sakrament Christi. Oft zu beichten und das Gebeichtete nicht zu vermeiden, was ist das anders als lächerliche Schande. Denn eine solche Beichte geschieht nicht aus Schrecken vor der Sünde, nicht aus Liebe zur Gerechtigkeit, nicht aus Liebe zu Gott, nicht aus Ehrfurcht und Glauben der Beichte gegenüber, sondern aus Gewohnheit und aus einem vermessenen Vertrauen, als sei Gott ganz zufrieden, dass ich öfter sündige und öfter beichte. […] Die Kirche Gottes, die nicht irren kann in dem, was das Heil angeht, hat zu Recht angeordnet, dass man zweimal täglich jene Sünden bekennen soll, ohne die kaum ein Mensch lebt. Denn von nächtlichen Fehlern soll das Bekenntnis in der Prim geschehen, von den Sünden des Tages vor der Komplet. Von diesem Bekenntnis spricht die Schrift, Jakobus 5[,16]: Bekennt einander euere Sünden und betet füreinander, damit ihr gerettet werdet. Diese Gewohnheit des Bekennens hat die Urkirche gehabt. Aber da inzwischen der Glaube nachließ, die Glut der Hingabe zum Gottesdienst lau wurde, die Bosheit überhand nahm, die Liebe vieler erkaltete, wurde jene Gewohnheit zu bekennen ausgelöscht, obwohl sie noch heute bei den Klosterleuten bleibt, aber ohne Einsicht.“
Alveldt möchte also statt der für ihn fragwürdigen Sitte einer häufigeren sakramentalen Beichte, die ohne wirkliche Bekehrung bleibt, die urkirchliche Sitte eines allgemeinen Sündenbekenntnisses erneuern. Dieses Bekenntnis war zwar rituell bei klösterlichen Tagzeiten, damals bei der morgendlichen Prim und bei der abendlichen Komplet, noch in Geltung, wurde aber nach Alveldt nicht mehr verstanden. Dagegen hatte der Franziskaner anscheinend in Italien zu Beginn der Messe ein solches Bekenntnis erlebt, das nach ihm bereits der Märtyrer-Papst Pontianus [Amtszeit 230–235] angeordnet hatte. Das spielte er gegen das Missverständnis der Sakramente der Versöhnung und Eucharistie in dem von der Reformation erfassten Deutschland aus:76
„Übrigens damit diese sehr alte Gewohnheit des Bekennens nicht in Vergessenheit geriet, hat der römische Pontifex, der Märtyrer Pontianus, als Hirte der Kirche bestimmt, dieses Bekenntnis geschehe vor dem Introitus [Eingangsgebet] der Messe, damit wenigstens dort das anwesende Volk das Bekenntnis spreche. So macht es auch heute das allgemeine Volk in Italien, obwohl die Deutschen die kirchlichen Tagzeiten verlachen, die Messe als Märchen abtun, über die Sakramente lästern. Sie haben nicht nur diese Gewohnheit des Bekennens verworfen, sondern was viel schwerwiegender ist, sie verachten auch die sakramentale Beichte, in der ein Todsünder mit Gott versöhnt wird.“
Obwohl Alveldt sich diesen Seitenhieb auf die reformatorischen „Deutschen“ gönnte, wollte er vor allem die Ordensleute von einem bloß rituellen, nach ihm im Wesentlichen unfruchtbaren Empfang der beiden Sakramente der Versöhnung und der Eucharistie abbringen. Die Argumente, die der Franziskaner aus seiner spirituellen Sicht gegen diesen sakramentalen Ritualismus vorbringt, können nicht alle angeführt werden. Alveldt wollte jedenfalls keine fragwürdigen Motive für den Sakramentenempfang gelten lassen, besonders sofern sie statt des inneren Ernstes der Versöhnung und Einigung mit Gott nur eine äußerliche rituelle Frömmigkeit, wenn nicht gar bloße Heuchelei und Scheinheiligkeit, erkennen oder vermuten ließen. Seine gelegentlich polemische Kritik ist nicht sehr weit entfernt von der reformatorischen Kritik am sakramentalen Ritualismus des damaligen geistlich-kirchlichen Lebens. Doch Alveldt stellte die traditionellen kirchlichen Sakramente nicht in Frage, sondern wollte ihren sinnvollen, ernsthaften Vollzug spirituell erneuern und damit reformieren. Schon damit hat der engagierte Franziskaner den Schwestern zu Eger einen guten Dienst getan.
1 Siehe AUGUSTIN VON ALVELDT OFM: Brot des Evangeliums – Verteidigung der Franziskus-Regel. Kritische Edition des Textes mit Einführung und Übersetzung von Johannes Karl SCHLAGETER OFM. Norderstedt 2016 (Quellen zur franziskanischen Geschichte, 2). Diese Edition stützte sich auf die bis heute einzig bekannte Handschrift des Textes, die Alveldts Freund und Ordensbruder Bernhard Dappen (Doppen) aus Dorsten bereits 1532 abschrieb und die zum Glück in der berühmten Herzog-August-Bibliothek zu Wolfenbüttel erhalten blieb (HAB Wolfenbüttel, Cod. Guelf. 1095 Helmstedt, fol. 246r–297r; Kürzel von Dappens Abschrift: MsD).
2 Zu Urban IV. vgl. Vones, Ludwig: Urban IV., Papst 1261–1264, vorher Jacques Pantaléon, geboren vor 1200 zu Troyes. In: Lexikon für Theologie und Kirche, Dritte Auflage [LThK3] 10 (2001) 456f. Zur Urban-Regel selbst siehe Urban IV.: „Beata Clara“ – Regel der Schwestern der hl. Klara (18. Oktober 1263) [UrbReg]. Eingeleitet und übersetzt von Niklaus Kuster OFMCap. In: Klara-Quellen. Die Schriften der heiligen Klara, Zeugnisse zu ihrem Leben und ihrer Wirkungsgeschichte, herausgegeben von Johannes SCHNEIDER OFM / Paul ZAHNER OFM. Kevelaer 2013, 501–530. Vgl. bereits Bullarium Franciscanum [BFr] Pontificum Romanorum Constitutiones, Epistolas ac Diplomata continens, trium Ordinum Minorum, Clarissarum et Poenitentium […] concessa […], studio et labore Fr. Joannis Hyacinthi SBARALEAE [OFMConv] editum, Tomus II. Romae [Rom] MDCCLXI [1761], 509–521.
3 Zu Honorius III., Papst 1216-1229, vorher Cencio Savelli, geboren vor 1160, vgl. den Artikel von STÜRNER, Wolfgang. In: LThK3 5 (1996) 269.
4 Siehe Bibliothek des Bayerischen Nationalmuseums zu München [BNM], Ms. 3751. Diese lateinische Handschrift, die aus dem säkularisierten Klarissen-Kloster zu Bamberg nach München kam, ist seit dem Beginn des 20. Jahrhunderts mehrfach besprochen worden. Ich selbst konnte sie aber erst seit 2017 vollständig transkribieren und für die geplante Edition auswerten.
Die ursprüngliche Herkunft von BNM Ms. 3751 aus Eger und aus der Hand Augustins von Alveldt selbst lässt sich nicht beweisen. Ein Vergleich jedoch mit Originalbriefen Alveldts, die er als Guardian (Lokaloberer) zu Halle/Saale 1527–1529 an die damals in Dessau regierende Fürstin von Anhalt, nämlich Margarethe von Münsterberg, schrieb (heute im Landesarchiv Sachsen-Anhalt, Abteilung Dessau, LASA, DE, Z 6, Nr. 19,5–14), zeigt besonders in den gelegentlich lateinischen Passagen dieser Briefe eine sehr große Ähnlichkeit mit der Schreibweise der Münchner Handschrift. Vielleicht gelangte die Handschrift Alveldts bei der Aufhebung des Klarissenklosters zu Eger 1782 durch Kaiser Joseph II. mit Schwestern oder Brüdern aus Eger in das benachbarte und damals derselben Oberdeutschen (Straßburger) Franziskaner-Rekollekten-Provinz unterstellte Kloster S. Claren zu Bamberg.
Die angesprochene Widmung und Einleitung (Prefatio) finden sich in BNM Ms. 3751 [noch ohne Seitenzahlen] auf den Blättern f. a 3r[ecto] – f. a 5v[erso] sowie als fortgesetzter Prologus mit vier Questiones auf den jeweils eigens gezählten Seiten p. 1 – p. 56. Die heutige Münchner Handschrift, ihr Werden und ihre Geschichte werden jedoch in anderem Zusammenhang noch genauer zu besprechen sein.
5 Diese Geschichte wurde bereits kurz dargestellt in einer leider nicht sehr verlässlichen Schrift von Hlawatsch, Albin OFM: Die Geschichte des ehem[aligen] Klarissenklosters in Eger. Marienbad o.J. [1920]. Vgl. aber nun vor allem den neuen Mittelalterband zur Saxonia-Geschichte: Geschichte der Sächsischen Franziskanerprovinz, Band 1: Von den Anfängen bis zur Reformation, Hg. von Volker Honemann. Paderborn 2015. In diesem Band wird Eger mit seinen Konventen von Franziskanern und Klarissen öfter angesprochen. Vgl. Register: „1. Orte, Provinzen, Länder, Institutionen“, ebd. 949–960, besonders zu „Eger“ hier 952. Zwei Beiträge in diesem Band gehen eigens auf die Geschichte der Konvente der Klarissen und Franziskaner zu Eger ein. Gemeint ist zunächst der Beitrag des leider 2017 zu früh verstorbenen Herausgebers Volker Honemann: „Die Reformbewegungen des 15. und frühen 16. Jahrhunderts in der Saxonia“, ebd. 45–163, hier 97f.: „11.3 Reform der Konvente von Eger“. Später folgt der Beitrag von Reinhardt Butz: „Die Franziskaner in der Provinz Saxonia und ihr Verhältnis zu den Klarissen und Terziarinnen während des Mittelalters“, ebd. 265–324, hier 300–304: „Das Klarissenkloster Eger“. Zu erwähnen ist zudem die aufschlussreiche geschichtliche Einleitung, die die tschechische Klarissin Maria Benedicta Lisková OSC ihrem Artikel „Klara-Gesänge im Graduale der Klarissen von Eger“. In: Archivum Franciscanum Historicum [AFH] 107 (2014) 363–391 voranstellte, hier 363–366.
6 Zu Agnes von Böhmen und zu ihrer Prager Gründung vgl. Felskau, Christian-Frederik: Agnes von Böhmen und die Klosteranlage der Klarissen und Franziskaner zu Prag. Leben und Institution, Legende und Verehrung, 2 Bände. Nordhausen 2008; Schneider, Johannes OFM: „Candor Lucis Eterne – Glanz des ewigen Lichtes“. Die Legende der hl. Agnes von Böhmen. Mönchengladbach 2007 (Veröffentlichungen der Johannes-Duns-Skotus-Akademie, 25); Lang, Justin OFM: Agnes von Böhmen (um 1205–1282). In: LThK3 1 (1993) 236f.
7 Das kann in diesem kurzen Überblick nicht eigens dargestellt werden. Vgl. dazu Honemann, Volker: Bücher und Bibliotheken der Saxonia von ihren Anfängen bis zur Reformation; Ders.: Das mittelalterliche Schrifttum der Franziskaner der Sächsischen Ordensprovinz unter besonderer Berücksichtigung deutschsprachiger Zeugnisse. In: Geschichte der Sächsischen Franziskanerprovinz, Bd. 1, 521-601, hier 590-592; 603-730, hier 715-725.
8 Zu Coletta von Corbie und ihrer Reform vgl. Lang, Justin OFM: Colet(t)a von Corbie (Nicolette Boillet oder Brellet, hl. (1807), Ordensreformerin (1381 Corbie – 1447 Gent). In: LThK3 2 (1994) 1255. Zur einer neuen Sicht auf diese bedeutende franziskanisch-klarianische Heilige siehe Campbell, Ann: Contextualising Reform. Colette of Corbie’s Relations with a Divided Church. In: Franciscan Studies 74 (2016) 353–373. Zu einer Übersicht über frühere Literatur zu Coletta von Corbie vgl. Lehmann, Leonhard OFMCap: Neue Studien zu Coleta von Corbie und ihrer Zeit. In: Collectanea Franciscana 65 (1995) 643–663.
9 Vgl. Lebensform des Ordens der Armen Schwestern – die Regel der hl. Klara [KlReg]. Eingeleitet von Monica Benedetta Umiker OSC, übersetzt und mit Anmerkungen versehen von Johannes SCHNEIDER OFM / Paul ZAHNER OFM. In: Klara-Quellen 42–73.
10 Vgl. Briefe von, an und über Caritas Pirckheimer. Textkritisch hg. von Josef Pfanner. Landshut 1966 (Caritas Pirckheimer-Quellensammlung, Heft 3), 121–124: „60. Caritas Pirckheimer an Hieronymus Emser [6. Juni 1522]“: „Byß mich zuletzt die wirdige Mutter abbatissa zu Eger, die mir ewer gantz heylsame, erleuchte, yha gantz hymmelische und christliche buechleyn, so vil sye der hat mugen haben, offt zugeschickt, auch vorursacht hat E. E. [Ewer Erwirden] mit meyner einfeltigen schrifft heym zu schicken (ebd. 121).“ Zu diesem Vorgang allgemein vgl. Bezzel, Anne: Caritas Pirckheimer Äbtissin Humanistin. Regensburg 2016, 72f.; Krabbel, Gerta: Caritas Pirckheimer. Ein Lebensbild aus der Zeit der Reformation. Münster 51982, 83–85.
11 Auszuwerten wären zur Kontroverse mit der Reformation einige antilutherische lateinische Schriften Alveldts aus der Franziskanerbibliothek zu Eger, die sich jetzt in Prag, Národní knihovna (Nationalbibliothek), befinden. Vgl. http://www.manuscriptorium.com/apps/index.php#search mit dem Stichwort: Alveldt. Für diesen Hinweis und für alle großzügige Hilfe Herrn Dr. Petr Hrachovec sehr herzlichen Dank! Vgl. auch Cisarová SMITKOVÁ, Alena: Staré tisky v knihovné chebských frantiskánú (Alte Drucke in der Bibliothek der Egerer Franziskaner). In: Libri catenati Egrenses. Knihy a knihovna chebských frantiskánu v pozdním stredoveku a raném novoveku, K vydání pripravili Kamil Boldan a Jindrich Marek. Praha 2013, 290; 294. Diese Drucke Alveldts wurden noch nicht erwähnt von Honemann, als er auf antireformatorisches Schrifttum im dortigen Franziskanerkloster hinwies. Vgl. Honemann, Bücher. In: Geschichte der Sächsischen Franziskanerprovinz, Bd. 1, 719. Doch die Drucke von Schriften Alveldts stammten ebenfalls aus der Bibliothek der Franziskaner zu Eger (Cheb), deren Buchbestand die Prager Nationalbibliothek vor einiger Zeit erwerben konnte.
12 Diese Vermutung lässt sich im Augenblick nicht erhärten. Die beiden Klöster der Schwestern und Brüder zu Eger waren, trotz der strikten Trennung der beiden Gemeinschaften, ja baulich miteinander verbunden. Es gab zudem ein eigenes Gästehaus („Pfründtnerhaus“) der Klarissen, wo Gäste länger mit leben konnten, vermutlich auch ein ‚Beichthaus‘ für die Seelsorger der Schwestern. Diese Umstände spielten in einem späteren Streit der Klarissen mit den Franziskanern zu Eger und in der Ordensprovinz Saxonia sanctae Crucis (1535–1540) eine Rolle, können aber hier nicht behandelt werden. Vgl. jedoch Schlageter, Johannes Karl: Augustin von Alveldt (vor 1485 bis nach 1535) und der ‚Artikelstreit‘ zu Eger. In: Wissenschaft und Weisheit [WiWei] 82 (2019) 228–271.
13 ALVELDT, Brot des Evangeliums 46f. (MsD fol. 246v): „Vtrum Regula fratrum Minorum sit Euangelium Christi, et quomodo, an potius ex euangelio desumpta vel in Euangelio contenta, et Vbi (Ist die Regel der Minderbrüder Evangelium Christi, und auf welche Weise: Ist sie eher aus dem Evangelium genommen oder im Evangelium enthalten? Und wo?)?“
14 BNM Ms. 3751 f. a 1r: „REGVLA diue virginis re et nomine Clare: An debeat dici euangelica, an potius superstitiosa? Quid horum (Die REGEL der gottgemäßen Jungfrau in Wirklichkeit und dem Namen nach Klara: Darf man sie [die Regel] evangelisch nennen, oder eher abergläubisch? Was davon)?“ Während hier die Auseinandersetzung mit der Reformation unverkennbar ist, konnte Alveldt diese Kontroverse später 1535 in einer für den Konvent der Klarissen zu Eger bestimmten deutschen Kurzfassung beinahe ganz weglassen. Vgl. die entsprechenden Handschriften aus Eger, heute: Praha, Národní Knihovna (Nationalbibliothek) [NK] Cod. XVI. E. 20, Bl. 1r–100r; Cod. XVI. H. 1, Bl. 1r–227r. Diese Handschriften sind gelegentlich für die Geschichte und weitere Wirkung von Alveldts Regelerklärung wichtig und heranzuziehen (vgl. etwa unten Anm. 23f.; 83-87; 89; 91), obwohl sie für die Edition des lateinischen Textes wegen ihrer anderen Konzeption und wegen ihrer anderen deutschen Textgestalt textkritisch nicht in Frage kommen.
15 JOHANN EBERLIN von Günzburg: Wider die falschscheynende gaystlichen under dem Christlichen hauffen / genant Barfuosser oder Franciscaner orden Sunderlich vom titel Reformacio oder Observacio. Item wie sovil adelicher leibe und seelen in Sannt Clara orden erbarmlich verderben [zitiert nach einem Originaldruck von Augsburg 1524 aus der Bayerischen Staatsbibliotkek München]. Vgl. dazu Schlageter, Johannes K. OFM: Oberdeutsche Franziskaner in der frühen reformatorischen Bewegung. In: AFH 110 (2017) 75–124, hier 86 Anm. 42; ders.: Geschichtliche Quellen zu Franziskus und Klara von Assisi vor der Spaltung des Ordens 1517 und zu Beginn der Reformation. In: WiWei 79 (2016) 142–174, hier 153–164.
16 BNM Ms. 3751 f. a 2r: „Nobili ac generose comiti, venerabili et religiose virgini consecrate Christo, gratiose matri domine, domine Vrsula Slickin, amabilis Abbatisse Ordinis diue virginis Clare in Egra, Augustinus Alueldianus Ordinis Minorum, seruus Jesu Christi, optat salutem plurimam in Virginis Filio. Sepe et multum anhelo spiritu pulsasti me, generosa Christi Jesu filia et sponsa, vt tue prudencie regulam sancte virginis Clare, quam tu cum tuis sororibus dilectis Deo, Christo Jesu sponso vestro, vouistis, ad intellectum euangelicum declararem, ne velut inter spineta ignorancie scopulosque dubitacionis transiens multipharie in consciencia tua sauciarere, dum ibi transgressionis peccatum fingas, vbi nullum forte est.“ Der Name der Äbtissin, hier „Vrsula Slickin“ in seiner weiblichen Form, findet sich etwas anders in der deutschen Kurzfassung von Alveldts Erklärung der Klarissen-Regel, nämlich als „Ursula Schlickin“. Vgl. Praha, NK Cod. XVI. E. 20, Bl. 99v. Üblich ist heute in der deutschsprachigen Literatur der Name „Ursula Schlick“.
17 Ebd. f. a 2rv: „Et vbi regule conditor vitam virtutis actiuam in extrario homine et vitam eterne veritatis ac sapientie contemplatiuam in homine intrario intendebat introducere, vt esset vita vestra monastica domus, in qua Christus suscipitur, vbi Martha ministrat at Maria ad pedes Jesu sedet [Lc 10,38–42], ibi tu et sorores tue preuaricacionis laqueum ac rethe scrupulositatis accipitis fitque domus vite vestre fumosa, tenebrosa, periculosa.“ Marta und Maria werden hier als wichtige Symbolgestalten des klösterlichen Lebens in seiner aktiven und kontemplativen Ausrichtung gesehen.
18 BNM Ms. 3751 f. a 2v–3r: „Et quia Christi amore et honore, quo debitor sum, ac tua dilectione, qua tibi deuincior, negare neutiquam possum, que vis et iubes, ob id experiar, si quo modo tuis votis parere queam, tuis precibus ad Deum fusis adiutus, presertim ut sacra religio vestra in vigore conseruetur, disciplina virtutum roborata augeatur mutaque fiant labia dolosa impiorum, qui monastice vite detrahere ac Spiritui Sancto repugnare non verentur, Et tibi sororibusque tuis triumphus, quem de mundo, carne, diabolo habere cupitis, per Jesum Christum gloriosior fiat. Accipe igitur, o virgo ingenua, Christi sponsa amabilis, domina et filia mea dulcissima, hunc meum vtrumque laborem. Tametsi exiguus sit comparatiue ad illud, quo digna es, magnus tamen erit, si tua eum modestia graciose acceptat.“
19 Vermutlich war Augustin einige Zeit vor 1485 geboren, wie ich aus seinen übrigen bekannten Lebensdaten erschlossen habe. Vgl. Schlageter, Johannes OFM: Franziskanische Bildung und Tradition bei Augustin von Alveldt (vor 1485 bis nach 1535). In: Europa und die Welt in ihrer Geschichte. Festschrift zum 60. Geburtstag von Dieter Berg, hg. von Raphaela AVERKORN / Winfried EBERHARD / Raimund HAAS / Bernd SCHMIES. Bochum 2004, 335–363, hier 346. Alveldt dürfte also zur Zeit der Abfassung seiner Regelerklärung für die Egerer Klarissen etwas mehr als 50 Jahre alt gewesen sein.
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