Ernährung für ein besseres Leben - Peter Brabeck-Letmathe - E-Book

Ernährung für ein besseres Leben E-Book

Peter Brabeck-Letmathe

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Beschreibung

Wo die Lebensmittelindustrie ihre Zukunft sieht Durch die Fortschritte in den Biowissenschaften - vor allem der Genetik - sehen wir den Zusammenhang von Ernährung und Gesundheit heute in einem vollkommen neuen Licht. Wir können unsere Gesundheit und Lebensqualität nachhaltig optimieren, wenn wir unsere Ernährung auf wissenschaftlicher Grundlage neu gestalten. Peter Brabeck-Letmathe wirft einen Blick hinter die Kulissen der Forschung: Werden wir Zivilisationskrankheiten wie Bluthochdruck und Diabetes in Zukunft durch personalisierte Nahrungsmittel in den Griff bekommen? Dieses Buch verrät, woher die Lebensmittelindustrie weiß, was unseren Genen schmeckt.

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Peter Brabeck-Letmathe

ERNÄHRUNG FÜR EIN BESSERES LEBEN

Eine Reise von den Anfängen der industriellen Nahrungsproduktion zur Nutrigenomik

Campus Verlag

Frankfurt/New York

Über das Buch

Durch die Fortschritte in den Biowissenschaften - vor allem der Genetik - sehen wir den Zusammenhang von Ernährung und Gesundheit heute in einem vollkommen neuen Licht. Wir können unsere Gesundheit und Lebensqualität nachhaltig optimieren, wenn wir unsere Ernährung auf wissenschaftlicher Grundlage neu gestalten. Peter Brabeck-Letmathe wirft einen Blick hinter die Kulissen der Forschung: Werden wir Zivilisationskrankheiten wie Bluthochdruck und Diabetes in Zukunft durch personalisierte Nahrungsmittel in den Griff bekommen? Dieses Buch verrät, woher die Lebensmittelindustrie weiß, was unseren Genen schmeckt.

Vita

Peter Brabeck-Letmathe ist Präsident des Verwaltungsrates von Nestlé S.A. Er begann seine berufliche Laufbahn bei Nestlé im Jahr 1968, zunächst als Verkäufer und später Produktmanager für Eiscreme. Von 1970 bis 1987 war er für Nestlé in Chile, Ecuador und Venezuela tätig und wechselte dann zum Hauptsitz in Vevey, Schweiz, wo er weltweit die Verantwortung für die kulinarischen Produkte trug. 1992 wurde er Mitglied der Generaldirektion, verantwortlich für Strategische Business Units, Marketing und Kommunikation und ab 1997 Mitglied des Verwaltungsrates und Chief Executive Officer, einen Posten, den er 2008 abgab. Seit 2005 ist er Präsident des Verwaltungsrates von Nestlé. Peter Brabeck-Letmathe ist außerdem als Vizepräsident des Stiftungsrates beim World Economic Forum in Davos aktiv und Mitglied verschiedener Verwaltungsräte.

INHALT

Prof. Dr. Patrick Aebischer: VORWORT

EINLEITUNG

6 THESEN ZUR ZUKUNFT DER ERNÄHRUNG

KAPITEL 1: AUF DEM WEG ZUR ERNÄHRUNG DER ZUKUNFT

Globale Megatrends auf der Konsumentenseite

Die Silver Society – auf dem Weg in eine älter werdende Welt

Chronische Krankheiten nehmen zu

Der Trend zu einem wachsenden Gesundheitsbewusstsein

Die Rolle der Gesundheit in der heutigen Leistungsgesellschaft

Individualisierung zeigt sich besonders beim Essen

Die Aufgaben der neuen Ernährungswissenschaft

Life Sciences – eine neue Dimension der Wissenschaft als Lösungsbeitrag

KAPITEL 2:VON DEN ANFÄNGEN DER INDUSTRIELLEN NAHRUNGSPRODUKTION BIS HEUTE

Als das Gespenst des Hungers die Welt beherrschte

Bevölkerungswachstum und Nahrungsknappheit

Mit der Industrialisierung kam der Wohlstand

Persönlichkeiten, die Geschichte schrieben

Soldaten brauchen haltbare Verpflegung

Konserven erobern den Markt

Große Fortschritte in der Milchverarbeitung

Völlig neue Produkte kommen auf den Markt

Die Bedeutung der Nahrungsmittelindustrie wächst

Die Entdeckung des Rübenzuckers

Schokolade – ein verführerisches Produkt

Mit Kälte konservieren

Was sich seit den Babyboomer-Zeiten geändert hat

Eiscreme – von der Spezialität zum Massenprodukt

Coca-Cola – vom Arzneimittel zum Lebensstil

Essen schneller und leichter besser zubereiten

Die Herausforderung, das flüchtige Kaffeearoma zu konservieren

Das Frühstück aus dem Sanatorium

Die internationale Nahrungsmittelindustrie

Pepsico: Umstellung auf gesündere Nahrungsmittel

Unilever: nachhaltige Produktion von landwirtschaftlichen Erzeugnissen

Coca-Cola: Reduktion des Kaloriengehalts

Mondelez: Anreiz zu verantwortlichem Konsum

Danone: Gesundheit durch Ernährung für so viele Menschen wie möglich

Natürlichkeit als Leitidee

Die Entwicklung der Forschung von den Anfängen bis zur Nutrigenomik

Koexistenz von Grundlagenforschung und praxisnaher Entwicklung

Nutrition als wichtigstes internes Wachstumsziel

Schritte zur molekularen Ausrichtung

Das weltweit größte private Netzwerk für Nahrungsmittelforschung

KAPITEL 3:DER WELTBEVÖLKERUNG EIN GESUNDES UND LÄNGERES LEBEN ERMÖGLICHEN

Gesellschaftliche Veränderungen beeinflussen die globale Lebensmittelindustrie

Umweltaspekte treten in den Vordergrund

Life Science und Gesundheit

Mehr Forschung in der Lebensmittelindustrie

Essen, um gesund und leistungsfähig zu bleiben

Makro- und Mikronährstoffe sind unverzichtbar

Bioaktive Substanzen in Lebensmitteln

Klar definierte Nährwertkriterien

Der Geschmack muss erhalten bleiben

Wie die globale Lebensmittelindustrie strukturiert ist

Die Europäische Union – nach außen stark, nach innen fragmentiert

USA mit Schwerpunkt auf Dienstleistungen

Die Versorgung globaler und lokaler Märkte

Wie die globale Lebensmittelindustrie funktioniert

Bevölkerungsentwicklung und Kaufkraft

Der Handel gewinnt an Bedeutung

Lebensmittelsicherheit bleibt eine Herausforderung

KAPITEL 4:LIFE SCIENCES UND DIE REVOLUTION VON BIOLOGIE, ERNÄHRUNG UND GESUNDHEIT

Das Leitbild – personalisierte Ernährung für unterschiedliche Bevölkerungsgruppen

Verstehen, wie der Körper wirklich funktioniert

Die Genforschung sucht nach unbekannten Mustern

Die Umwelt bestimmt die Genvariabilität

Wie sich Gene und Nahrung beeinflussen

Biomarker helfen bei der Diagnose

Metabolomik – dem Stoffwechsel auf der Spur

Das Mikrobiom – eine Gemeinschaft für das ganze Leben

Mit der Geburt beginnt auch die Entwicklung des Mikrobioms

Lange gesund leben als Forschungsziel

KAPITEL 5:DIE VERANTWORTUNG DER LEBENSMITTELINDUSTRIE

Der Verbraucher steht von Anfang an im Mittelpunkt

Der Markt für Spezial- und Wellness-Nahrung wächst

Die Idee einer »Nutrition, Health and Wellness Company«

HealthCare Nutrition – gesundheitsbezogene Ernährung für bestimmte Lebenssituationen

Nestlé Health Science AG – eine neue Industrie entsteht

Kooperationen und Übernahmen verstärken die wissenschaftliche Basis

Nestlé Skin Health für die Gesundheit von Haut, Haaren und Nägeln

Nutriceuticals – Ernährung wird zum Therapieelement

Wettbewerb um ein längeres Leben

Angebote für bestimmte Lebenssituationen und Risikogruppen

Falsche Ernährung macht aggressiv

Lebensmittel für extreme Situationen

KAPITEL 6:DIE VERANTWORTUNG DER POLITIK

Vorsorgende Gesundheitssysteme als Teil einer globalen Gesundheitspolitik

Die Sicherung eines fairen Wettbewerbs als politische Aufgabe

KAPITEL 7:DIE VERANTWORTUNG EINES JEDEN EINZELNEN

Was können wir entscheiden und was nicht?

Nicht alle Entscheidungen werden im Kopf getroffen

Traditionen, Ernährungsmythen und ideologische Trends

Ernährungsmythen statt Wissen

Zurück zur Natur – die Sehnsucht nach dem Ursprünglichen

Die sieben Ernährungstypen

Qualität als wachsender Trend?

Aus Ernährung wird Lifestyle

Wie das soziale Umfeld unsere Essgewohnheiten formt

Entstrukturierung der Tagesabläufe führt zur Snackkultur

Mangelnde Essdisziplin durch Stress

Zeitknappheit beeinflusst das Ernährungsverhalten

Der Trend geht zu Convenience-Produkten

Der Einfluss der Ernährung auf die Gesundheit

Gluten und Laktose – Der Free-off-Trend

Kaffee ist mehr als nur ein Wachmacher

Die Kraft der Gewürze

Von der allgemeinen Ernährungsberatung zu speziellen Empfehlungen

Die ersten 1 000 Tage sind die wichtigsten

Die richtige Ernährung für jedes Lebensalter

Wie die Ernährungsgewohnheiten geformt werden

Die Essgewohnheiten zu ändern ist schwierig

KAPITEL 8:MEILENSTEINE AUF DEM WEG IN DIE ZUKUNFT

Was ist denkbar, was ist möglich?

Nahrung mit neuer Qualität

Der Nutzen von Gentests ist noch nicht absehbar

Big Data eröffnet neue Möglichkeiten

ANHANG

WHO-Richtwerte für den Konsum von Zucker, Salz und Transfetten

1.Healthy diet

2.Information note about intake of sugars recommended in the WHO guideline for adults and children

Free sugars versus intrinsic sugars

Strong recommendations

Further reduction: a conditional recommendation

3.WHO guidance on dietary salt and potassium

4.Total fat and fatty acids

Summary of Total Fat and Fatty Acid Requirements for Adults, Infants (0–24 months) and Children (2–18 years)

Conclusions and Recommended dietary requirements for trans-fatty acid intake (TFA)

ANMERKUNGEN

Einleitung

Kapitel 1: Auf dem Weg zur Ernährung der Zukunft

Kapitel 2:Von den Anfängen der industriellen Nahrungsproduktion bis heute

Kapitel 3:Der Weltbevölkerung ein gesundes und längeres Leben ermöglichen

Kapitel 4:Life Sciences und die Revolution von Biologie, Ernährung und Gesundheit

Kapitel 5:Die Verantwortung der Lebensmittelindustrie

Kapitel 7:Die Verantwortung eines jeden Einzelnen

Kapitel 8:Meilensteine auf dem Weg in die Zukunft

LITERATUR

Internet

DANKSAGUNG

REGISTER

VORWORT

Prof. Dr. Patrick Aebischer

Kann im Jahr 2030 eine Weltbevölkerung von 8,5 Milliarden Menschen gerecht, gesund und nachhaltig ernährt werden? Die gute Nachricht ist, dass Hunger in seiner extremsten Form weltweit immer weniger Menschen betrifft: Waren es in den Jahren 1990 bis 1992 noch über 1 Milliarde oder 18,9 % der Weltbevölkerung, ging die Zahl im Zeitraum 2011 bis 2013 auf 842 Millionen oder 12 % zurück.

Durch Wissenschaft für Ernährungssicherheit zu sorgen und Landwirten Hilfe zur Selbsthilfe zu bieten, ist ein Teil der Lösung. Olivier de Schutter, UN-Sonderbeauftragter für das Recht auf Nahrung, erinnert uns aber daran, dass sich der Ansatz zur Ernährung der Weltbevölkerung fundamental veränderte, als die UN 2015 ihre neuen Ziele für nachhaltige Entwicklung einführte. Der Fokus liegt nun nicht mehr alleine auf der Bekämpfung der Unterernährung und auf Ernährungssicherheit, sondern umfasst die Qualität und gerechte Verteilung von Nahrungsmitteln sowie Nahrungsmittelsysteme mit Schwerpunkt auf der Bekämpfung aller Formen von Mangelernährung. Mangelernährung ist tatsächlich ein bedeutendes öffentliches Gesundheitsproblem, betrifft sie doch die besonders anfälligen Bevölkerungsgruppen: Kinder, ältere, verletzte oder kranke Menschen sowie sozial isolierte oder über begrenzte Ressourcen verfügende Personen. Schätzungen zufolge sind zwischen 30 und 50 % der hospitalisierten erwachsenen Patienten in den USA mangelernährt. Der WHO zufolge wiesen 2012 zwei Milliarden Menschen einen Mangel an essenziellen Vitaminen und Mineralstoffen auf.

Sind Wissenschaft und Industrie in der Lage, die Herausforderung der Mangelernährung anzunehmen? Eine wissenschaftsbasierte Antwort auf das Problem der Mangelernährung ist die Nutrigenomik, also die Anwendung der Genomik in der Ernährungsforschung, um besser zu verstehen, welchen Einfluss die Ernährung auf die Stoffwechselwege hat, welche Rolle »ernährungsregulierte« Gene wahrscheinlich bei chronischen Erkrankungen spielen und inwiefern Nährstoffe bei verschiedenen Menschen unterschiedliche Wirkungen zeigen. Letzten Endes wird die Nutrigenomik zu wirksamen diätetischen Interventionsstrategien führen. Die Industrie spielt hierbei eine entscheidende Rolle, indem sie den Kunden diese personalisierten oder gruppenspezifischen Produkte verfügbar macht.

Der Bedarf an Nährstoffen sollte vor allem über qualitativ hochwertige Nahrungsmittel gedeckt werden. Die Ernährungswissenschaft und die Lebensmitteltechnik produzieren gesündere Nahrungsmittel oder streben dies an. Verarbeitete Nahrungsmittel werden aber zunehmend als problembehaftet betrachtet. Dabei blenden wir aus, dass beinahe jedes Nahrungsmittel, das wir heute essen, verarbeitet ist. Schon die drei Grundnahrungsmittel der alten Griechen – Olivenöl, Wein und Brot – waren alle verarbeitet. Zudem neigen wir dazu, die Vorteile des modernen Nahrungsmittelsystems zu vergessen: weniger Nahrungsmittelverluste, höhere Haltbarkeit und Verfügbarkeit, besserer Ernährungszustand sowie mehr Komfort und Auswahl. Um die bestmögliche Ernährung sicherzustellen und Mangelernährung zu bekämpfen, müssen wir alle Hilfsmittel nutzen, die uns zur Verfügung stehen. Glücklicherweise profitiert die Lebensmitteltechnik von der raschen Konvergenz von Nanotechnologie, Biotechnologie, Informatik und Kognitionswissenschaft, wobei sich faszinierende neue Wege auftun. Dazu zählen das Food Structuring, die Verpackungstechnik, die Simulation und Modellierung des Verdauungssystems sowie das Verständnis der Bioverfügbarkeit von Nährstoffen, der Mechanismen des Sättigungsgefühls und der Rolle genetischer Prädispositionen.

Die Lebensmitteltechnik wird auch von verschiedenen Nahrungsmittelkonzernen vorangetrieben. Sie haben in ihren Forschungszentren ein Umfeld für modernste Lebensmittelforschung geschaffen. Die Ernährungswissenschaft ist ein Bereich, in dem Universitäten und die Industrie aufeinander angewiesen sind. Die Forschung auf dem Gebiet der Ernährung erscheint sinnlos, wenn wir die Ergebnisse nicht für Kunden und Patienten umsetzen können. Gleichzeitig erfordert sie hoch qualifizierte personelle Ressourcen und teure Ausrüstung, wie sie typischerweise an Universitäten zur Verfügung stehen. Die Ernährungswissenschaft schafft außerdem viele neue Arbeitsplätze. Im besten Fall sollte sie Universitäten, die Industrie sowie Köche mit einbeziehen, denn Ernährung ist mehr als ihre einzelnen Bestandteile.

Die Nahrungsmitteltechnologie hat bereits zahlreiche Erfolge erzielt, darunter den Super-Brokkoli, präbiotische Oligosaccharide und das probiotische Bakterium Lactobacillus acidophilus in Joghurt, vollkornreiche oder allergenfreie Nahrungsmittel oder auch die Verringerung der Packungsgrößen. Trotzdem wird die Nahrungsmitteltechnologie oft als »Nutritionismus« verschrien – ein vereinfachender Ansatz, der Nahrungsmittel auf die Summe ihrer Nährstoffkomponenten reduziert –, weil sie in der Wahrnehmung vieler im Vergleich zur »Vollwertnahrung« minderwertige Produkte liefern würde. Obwohl die Geschichte der verarbeiteten Nahrungsmittel auch viele Misserfolge kennt – wie Speiseöle mit geringem Gehalt an gesättigten Fettsäuren und hohem Gehalt an Trans-Fettsäuren –, ist diese Pauschalkritik nicht gerechtfertigt. Der Koch Anthony Warner meinte dazu treffend: »Die Herkunft eines Nahrungsmittels sagt nichts darüber aus, ob es gut für Sie ist. Sein Nährwert ist davon abhängig, woraus es besteht. […] Natürlich bedeutet nicht zwingend gesund und verarbeitet nicht zwingend ungesund. Es ist gut, Wert auf frische Nahrungsmittel und Selbstgekochtes zu legen, doch noch mehr sollten wir Wert auf Fakten legen. Wenn wir – Wissenschaftler, Politiker, Gesundheitsfachleute, Journalisten und Köche – uns weiterhin von allen verarbeiteten Nahrungsmitteln distanzieren, entfernen wir uns auch von echten, mit wenig Zeit ausgestatteten Konsumenten und werden nichts verändern können.«

Das Buch von Peter Brabeck-Letmathe kommt gerade zur rechten Zeit – einer Zeit, in der die Belastbarkeit der Nahrungsmittelsysteme vor zunehmende Herausforderungen gestellt wird, in der sich die Gesundheits- und die Nachhaltigkeitsagenda zwangsläufig überschneiden und in der die Landwirtschaft vor einer datenbasierten Revolution steht. Seine einzigartigen Einblicke sind ein geschätzter Beitrag bei der Bewältigung der wichtigsten Herausforderung dieses Jahrhunderts: neun bis zehn Milliarden Menschen gerecht, gesund und nachhaltig zu ernähren.

EINLEITUNG

Der größte Menschheitswunsch war schon immer, ein gesundes und langes Leben zu führen. Bis heute sind wir diesem Ziel bereits ein ganzes Stück näher gekommen. Seit der Mitte des 19. Jahrhunderts hat sich die Gesundheit breiter Bevölkerungskreise in den USA und in Europa deutlich verbessert. Die durchschnittliche Lebenserwartung von Neugeborenen verdoppelte sich in Großbritannien von 41 Jahren und in Deutschland von 37 Jahren im Jahr 1871 auf über 80 Jahre im Jahr 2015, in Japan sogar von 37 auf heute 85 Jahre.1 Weltweit betrug die Lebenserwartung im Jahr 1820 26 Jahre2 und 2013 71 Jahre.3

Diese Entwicklung ist zum entscheidenden Teil das Ergebnis der sich ständig verbessernden Ernährung. Erst die industrielle Produktion und Logistik von Nahrungsmitteln sorgten für eine ausreichende Menge von preiswerten, nahrhaften Lebensmitteln hoher Qualität und frei von Risiken für die breite Masse der Bevölkerung in den Städten und auch auf dem Lande. Die Medizin hat parallel dazu bei der Bekämpfung von Infektionskrankheiten und im Bereich der Hygiene ebenfalls Fortschritte erzielt, die sich mit denen in der Nahrungsmittelproduktion vergleichen lassen.

Inzwischen ist so nicht nur in den USA und in Europa, sondern auch in vielen anderen Teilen der Welt eine Überflussgesellschaft entstanden. Bis 1996 ließ sich in den hoch industrialisierten Gesellschaften ein klarer Zusammenhang von mehr verfügbaren Kalorien und zunehmender Lebenserwartung nachweisen. Die Zahl der verfügbaren Kalorien stieg seither zwar immer noch weiter, aber die Lebenserwartungskurve flachte ab.4

Abb. 1: Zusammenhang Kalorienzufuhr/Lebenserwartung

Das quantitative Wachstum der Nahrungsmittelproduktion bringt den Menschen in der westlichen Überflussgesellschaft keinen zusätzlichen Nutzen mehr. Wohlstandskrankheiten wie Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Diabetes und Adipositas haben ein epidemisches Ausmaß erreicht und das Risiko, an Alzheimer zu erkranken, steigt mit jedem Jahr, das wir älter werden. Für die Hersteller von Nahrungsmitteln bedeutet dies, sich neu zu fokussieren und Wissen für Produkte mit neuen Eigenschaften zu generieren, die weit über den Ersatz und die Reduktion von Zucker, Salz und Fett in der Nahrung hinausreichen.

Schon in der Antike war den Menschen bewusst, dass es einen Zusammenhang zwischen Ernährung und Gesundheit gibt. Diese Erkenntnis war über Jahrhunderte die wichtigste Grundlage der Heilkunde. Das medizinische Wissen beruhte fast ausschließlich auf Beobachtungen. Da man einfach zu wenig über die Funktionsweise des Körpers wusste, waren falsche und unwirksame Therapien und Empfehlungen eher die Regel als die Ausnahme. Bis heute gibt es Lehren, die ein gesundes und langes Leben versprechen, ohne sichere Beweise für ihre Richtigkeit liefern zu können.

Tatsächlich wird durch die Fortschritte in den verschiedenen Forschungsfeldern der Life Sciences der Zusammenhang von Ernährung und Gesundheit in einem vollkommen neuen Licht gesehen. Wenn wir unsere Lebensgewohnheiten in entsprechender Weise verändern, können wir schon heute unsere Gesundheit nachhaltig optimieren und bestimmten Krankheiten vorbeugen. Ausgeschöpft ist das Potenzial aber noch lange nicht.

Deshalb wird das Thema Gesundheit in den kommenden Jahrzehnten eine Innovationswelle in der Nahrungsmittelindustrie auslösen. Sie wird mit ihrer Spitzentechnologie eine entscheidende Rolle bei der Verbesserung der Gesundheit ganzer Bevölkerungsgruppen spielen. Bei dieser auf Wissenschaft basierenden personalisierten Gesundheitsernährung geht es in Zukunft darum, effiziente und kostengünstige Wege zu finden, um akuten und chronischen Krankheiten des 21. Jahrhunderts vorzubeugen und sie zu behandeln.

Die Kernaussagen des Buches sind in sechs Thesen zusammengefasst, die dieser Einleitung folgen.

Das erste Kapitel beginnt mit dem Konsumenten und der Frage, welche Ernährungstrends die Zukunft bestimmen werden, welche Trends wir in der Vergangenheit hatten und wie diese mit generellen gesellschaftlichen Entwicklungen und Veränderungen verflochten sind und waren. Danach folgt eine Betrachtung der Veränderungen in der Nahrungsmittelproduktion unter Berücksichtigung der Konsumentenwünsche, der Umweltaspekte und der Ressourcenschonung. Der dritte Teil des ersten Kapitels eröffnet einen ersten Blick in die neuen Wissenschaften, die unter dem Dach der Life Sciences versammelt sind.

Der Begriff der industriellen Fertigung hat im Zusammenhang mit vielen Alltagsprodukten wie Kraftfahrzeugen oder Computern einen positiven Klang. Auch Produkte aus der Unterhaltungsindustrie werden durchaus geschätzt. Die Nahrungsmittelindustrie hat es im Vergleich dazu schwerer, in der heutigen Gesellschaft positiv wahrgenommen zu werden.

Im zweiten Kapitel möchte ich deshalb in einer Reise durch die Zeit vor Augen führen, welche Leistungen die Nahrungsmittelindustrie für den Fortschritt der Menschheit erbracht hat, und zeigen, welches Potenzial für die Herausforderungen der Zukunft in dieser Industrie steckt.

Im dritten Kapitel geht es um eine Bestandaufnahme der gegenwärtigen Situation der Welternährung, der gesamtgesellschaftlichen Entwicklung und Veränderung.

Die Ernährungsforschung wird im vierten Kapitel behandelt. Ihre Empfehlungen finden in den Publikumsmedien große Beachtung. Doch viele Forscher begnügen sich damit, bereits vorhandene Erkenntnisse und Empfehlungen zu überprüfen und zu bestätigen. Andere begeben sich in einen Wettbewerb mit ihren wissenschaftlichen Kollegen und versuchen, diese mit noch sensationelleren Meldungen zu übertrumpfen oder zu widerlegen. Am Ende wird der Verbraucher vollkommen verunsichert mit der Flut der Informationen allein gelassen. Deshalb wende ich mich im fünften Kapitel der Verantwortung der Lebensmittelindustrie zu.

Im sechsten und siebten Kapitel geht es um die Verantwortung, die die Politik und der Einzelne tragen. Das Kapitel acht bietet einen Ausblick auf die kommenden Entwicklungen.

In diesem Buch wage ich einen Blick in die Zukunft. Nicht spekulativ in Form von Science-Fiction, sondern auf der Basis dessen, was heute erforscht wird. Die Forschungsergebnisse werden schon in wenigen Jahren vorliegen und die Lebensmittelproduktion dahingehend revolutionieren, dass wir der Verwirklichung des Menschheitstraums von einem gesunden und langen Leben näher kommen. Wir sollten uns diese Chance nicht entgehen lassen.

Wer mehr über die Hintergründe und den weiteren Rahmen meines Denken und Handelns erfahren möchte, dem empfehle ich, dies in meiner Biografie nachzulesen (Friedhelm Schwarz: Peter Brabeck-Letmathe und Nestlé – ein Porträt. Gemeinsam Werte schaffen, Bern 2010). Informationen über die Richtlinien der WHO zu den Themen Zucker, Salz und Fett finden sich im Anhang.

Peter Brabeck-Letmathe

Vevey/Schweiz, September 2016

6 THESEN ZUR ZUKUNFT DER ERNÄHRUNG

1.Die Herausforderung

Der Wunsch von uns allen ist ein gesundes und langes Leben. Dazu bedarf es in der Zukunft grundlegender Veränderungen in der Ernährung: Die gesunde Ernährung einer wachsenden Weltbevölkerung ist nur zu gewährleisten, wenn neue wissenschaftliche Erkenntnisse bei der Herstellung von Nahrungsmitteln beachtet werden, wenn die Lebensweise der Menschen sich an dem Ziel eines gesunden, langen Lebens orientiert und wenn mit den natürlichen Ressourcen schonend und effizient umgegangen wird.

2.Das Leitbild

Es wird keine einheitliche, für alle Menschen gleichermaßen gesunde Ernährung geben, sondern jeweils eine personalisierte Ernährung für unterschiedliche Bevölkerungsgruppen. Diese Unterschiede können sowohl genetischer oder epigenetischer Natur sein, aber zum Beispiel auch altersbedingt oder abhängig von der spezifischen Lebenssituation.

3.Die Verantwortung der Wissenschaft

Die Life Sciences werden das Wissen im Hinblick auf die Zusammenhänge von biologischen Funktionen im menschlichen Körper, Ernährung und Gesundheit auf eine vollkommen neue Basis stellen.

4.Die Verantwortung der Lebensmittelindustrie

Die Lebensmittelindustrie wird auf Basis der wissenschaftlichen Erkenntnisse der Life Sciences Produkte und Dienstleistungen für eine personalisierte Ernährung unterschiedlicher Bevölkerungsgruppen entwickeln. Sie erbringt diese Leistungen ressourcenschonend und sozial für eine möglichst große Zahl an Menschen.

5.Die Verantwortung der Politik

Die sozialen Systeme und die Gesundheitssysteme müssen von der Versorgung bestehender Krankheiten auf die Vorsorge zur Vermeidung von Krankheiten umgestellt werden. Ein offener Markt muss eine effiziente Allokation der Ressourcen und umfassende Innovationen ermöglichen.

6.Die Verantwortung eines jeden Einzelnen

Die Menschen müssen einen neuen ganzheitlichen Qualitätsanspruch an ihre persönliche Lebensweise und Ernährung entwickeln und dabei von Erziehungsinstitutionen, Medien, den Erzeugern und Verarbeitern von Lebensmitteln sowie dem Lebensmittelhandel unterstützt werden.

KAPITEL 1: AUF DEM WEG ZUR ERNÄHRUNG DER ZUKUNFT

Die Gründe, warum wir uns in Zukunft anders ernähren werden, finden wir in den Ergebnissen der wissenschaftlichen Forschung, bei der Herstellung von Nahrungsmitteln und natürlich auch in einem sich ständig wandelndem Verbraucherverhalten. Weltweit werden die Konsumenten ihr Verhalten und ihre Gewohnheiten in den kommenden 20 Jahren weitaus schneller ändern, als es in den vergangenen 60 Jahren der Fall war. Das liegt am wachsenden Wohlstand und Wissen sowie daran, dass wir schon heute über technische Möglichkeiten in der Nahrungsmittelproduktion verfügen, die noch vor wenigen Jahrzehnten undenkbar waren.

Ein Mehr an Wohlstand bringt aber nicht nur Verbesserungen, sondern, wie die Erfahrung zeigt, auch Probleme mit sich. Es sind nicht nur die Unternehmen, die sich den Herausforderungen der Globalisierung stellen müssen, es ist auch jeder Einzelne, der sich den globalen Veränderungen anpassen muss und diese zwar meist als Vorteil, doch manchmal auch als Nachteil erlebt.

Von den industriellen Herstellern von Nahrungsmitteln wird einerseits erwartet, dass sie die immer weiter wachsende Weltbevölkerung versorgen, andererseits müssen sie auch die Konsumwünsche von sich immer stärker differenzierenden Verbraucherschichten befriedigen. Vor 60 Jahren bestand die Herausforderung für die Nahrungsmittelhersteller hauptsächlich darin, mehr und Besseres zu produzieren. Heute müssen sie zusätzlich noch einen umfangreichen Forderungskatalog im Hinblick auf Nachhaltigkeit, Ressourcenschonung und Umwelt erfüllen. Das tun sie nicht nur deshalb, weil es die Konsumenten und die Politik von ihnen fordern, sondern weil sie auch selbst dazugelernt und erkannt haben, dass Wachstum heute unter dem Aspekt der Zukunftssicherheit nach anderen Regeln erfolgt als in den ersten Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg.

In den Wissenschaften hat man in den 1980er-Jahren damit begonnen, ganz neue Forschungsfelder zu eröffnen. Heute sind wir an dem Punkt, wo wir beginnen können, diese neuen Erkenntnisse in die Praxis umzusetzen, um den Menschen das zu geben, was sie sich am meisten wünschen, Gesundheit und ein langes Leben.

Abb. 2: Die nächste Stufe: umfassendes Wohlbefinden

Globale Megatrends auf der Konsumentenseite

»Panta rhei – alles fließt«, diese Erkenntnis des griechischen Philosophen Heraklit könnte auch der Leitgedanke für die Trendforschung sein. Unsere Welt befindet sich in einem ständigen Wandel, der von den meisten Menschen gar nicht wahrgenommen wird, weil sie selbst ein Teil davon sind. Die Veränderungen und Entwicklungen in den Tiefen der globalen Gesellschaft sind wie Strömungen im Ozean, die eine große Kraft entfalten.

Megatrends verändern die Welt zwar langsam, dafür aber langfristig und grundlegend. Wenn ein neues iPhone von Apple auf den Markt kommt, ist das vielleicht ein trendiges Produkt, aber es stellt weder einen Trend noch einen Megatrend dar. Die mobile Kommunikation, die Anfang der 1990er-Jahre begann, ist jedoch ein hervorragendes Beispiel für einen Megatrend, der das Leben der meisten Menschen grundlegend verändert hat. Der Trendforscher John Naisbitt sagte ihn bereits im Jahr 1982 voraus1, als weder Mobiltelefone noch Internet, zumindest nicht für die breite Bevölkerung, verfügbar waren. Zehn Jahre später, 1993, gab es weltweit schon 34 Millionen Mobiltelefonanschlüsse, 2015 waren es dann 7,085 Milliarden. Auf der Erde gibt es also fast so viele Mobiltelefone wie Menschen (7,3 Milliarden).2

Foodtrends, die beschreiben, wie unsere Ernährungsweise in Zukunft aussehen wird, werden von einer ganzen Reihe von Megatrends bestimmt. Umgekehrt sind Veränderungen im Essverhalten für die Trendforscher aber auch Indikatoren, die Rückschlüsse auf die Entstehung neuer Megatrends zulassen. Für die zukünftige Entwicklung der Ernährung sind folgende Megatrends von besonderer Bedeutung:

eine immer älter werdende Gesellschaft,

die Zunahme von chronischen Krankheiten und

ein immer weiter wachsendes Gesundheitsbewusstsein, das zum größten Teil auf den beiden ersten Trends beruht.

Es gibt aber auch noch andere starke Faktoren, die unser Essverhalten zukünftig beeinflussen werden. Dazu gehört, dass immer mehr Menschen in immer größeren Städten leben werden, die dort mit Nahrungsmitteln versorgt werden müssen, und dass sich durch die Anforderungen und Möglichkeiten der Globalisierung ein neuer Lebensstil herausbildet, der als Trend zur »Individualisierung des Lebens« beschrieben wird. Auch das hat weitreichenden Einfluss darauf, was wir essen, wann wir essen und wo wir essen.

Abb. 3: Welternährung und Gesundheitsthemen 2020

Die Silver Society – auf dem Weg in eine älter werdende Welt

Auf allen Kontinenten erreichen mehr Menschen ein höheres Alter als jemals zuvor. Das betrifft sowohl die Industriestaaten, die Schwellenländer als auch die wenig entwickelten Länder, und zwar in unterschiedlichem Tempo je nach Ausgangslage der Gesellschaften. Die rasante Zunahme älterer Bevölkerungsgruppen ist nicht nur eine Herausforderung an die Sozialsysteme, sondern natürlich auch an die Lebensmittelhersteller, denn jedes Lebensalter, vom Säugling bis zum Hochbetagten, braucht nach heutigem Verständnis eine Ernährung, die auf die ganz spezielle Lebenssituation abgestimmt ist.

Für das Jahr 2050 rechnet man mit einer Weltbevölkerung von rund 9,7 Milliarden Menschen.3 Die Zahl der über 60-Jährigen, die heute weltweit bei rund 841 Millionen liegt, dürfte bis 2050 auf über zwei Milliarden ansteigen. Davon werden 360 Millionen älter als 80 Jahre sein und drei Millionen älter als 100 Jahre. Im Jahr 2020 wird es erstmals in der Geschichte der Menschheit mehr über 60-Jährige auf der Welt geben als Kinder unter fünf Jahren.4 Der Grund dafür, dass wir immer älter werden, ist in erster Linie der zunehmende globale Wohlstand, der eine bessere Ernährung und medizinische Versorgung gewährleistet. Derzeit befinden sich weltweit rund zwei Milliarden Menschen auf dem Weg aus der extremen Armut hin zu einem Leben, das ihnen eine ausreichende materielle Versorgung bietet.5

Am schnellsten steigt zurzeit die Lebenserwartung der Menschen in Lateinamerika und in Asien. In Lateinamerika wird den Kindern, die 2012 zur Welt kamen, ein durchschnittliches Lebensalter von mindestens 70 Jahren prognostiziert. In Asien ist die Lebenserwartung von Land zu Land noch sehr unterschiedlich. Den Spitzenplatz nehmen die Bewohner von Singapur und Hongkong ein. Es ist gut möglich, dass sie mit den westlichen Industriestaaten gleichziehen oder sie vielleicht sogar noch überflügeln werden. Heute liegt Europa allerdings noch vorn.6

Nach Japan, Italien und der Schweiz ist Deutschland das Land mit dem vierthöchsten Durchschnittsalter der Bevölkerung. Im Jahr 2030 werden in Europa mehr als die Hälfte der Menschen über 50 Jahre alt sein. Die weitere Lebenserwartung der 50-Jährigen wird dann bei noch einmal 40 Jahren liegen. Man geht davon aus, dass 2030 in den Industriestaaten insgesamt mehr als ein Drittel der Bevölkerung 65 Jahre und älter sein werden. Zur selben Zeit wird in Asien der Anteil der über 60-Jährigen schon mehr als die Hälfte der Bevölkerung betragen.7 In den USA werden 37 Prozent über 50 Jahre alt sein und gute 20 Prozent über 65 Jahre.8

Der demografische Wandel führt zu einem generellen Wandel in den Gesellschaften. Nicht nur der Lebens- und Konsumstil wird sich durch die wachsende Bevölkerungsgruppe der Älteren verändern, sondern auch die Anforderungen an die sozialen Systeme und Gesundheitssysteme. Die Älteren werden ihren Lebensstil, den sie in den 30 Jahren vor ihrem 60. Lebensjahr erworben haben, auch in den kommenden Jahren beibehalten wollen. In den USA fühlt sich die Mehrheit der Bevölkerung erst mit 80 Jahren alt. In Deutschland setzt dieses Gefühl im Durchschnitt bereits mit 77 Jahren ein. Schaut man jedoch auf die durchschnittliche Lebenserwartung dieser Länder, dann beträgt der Zeitraum, in dem die Menschen sich alt fühlen, nur drei bis fünf Jahre. Das gefühlte Alter der Menschen in diesen Ländern ist zwischen zehn bis 20 Jahre niedriger als ihr tatsächliches biologisches Alter.9

Die Menschen haben heute also eine komplett veränderte Selbstwahrnehmung. Das liegt sicherlich daran, dass die jungen und mittleren Alten ihr Lebensgefühl und ihre Lebensweise mit denen der Hochbetagten vergleichen. Viele Menschen erreichen ein hohes Alter bei kaum eingeschränkter Gesundheit. Die Erwartung, sein Leben in Gesundheit verbringen zu können, die sogenannte »healthy life expectancy«, wird also immer besser erfüllt, da akute Erkrankungen, Unfälle, aber auch Infektionen von der heutigen Medizin besser behandelt und chronische Erkrankungen zeitlich verzögert werden. Außerdem kommen immer mehr alte Menschen zu der Überzeugung, dass sie durch ihr ganz persönliches Verhalten den Alterungsprozess und seine Symptome immer weiter hinausschieben können.

Das Gefühl alter Menschen, tatsächlich alt zu sein, wird auch durch die Urbanisierung und die steigende Mobilität abgemildert. Zurzeit entsteht eine »Multi-Aging-Kultur«10 mit vielen individuellen Formen des Alterns. Immer mehr alte Menschen sorgen aufgrund ihrer Lebenserfahrung für den Zusammenhalt in einer sich wandelnden Gesellschaft. Die Gesundheits- und Ernährungskonzepte sind bei alten Menschen längst nicht in dem Maße an der Vergangenheit orientiert, wie gemeinhin erwartet wird. Die Bereitschaft, den Prozess der Alterung selbst zu gestalten, ist heute bei alten Menschen weitaus größer als noch in den vorangegangenen Generationen. Und diese Haltung überträgt sich auch auf die Nachkommen.

In vielen entwickelten Ländern sind die älteren Menschen die einzig wachsende Konsumentengruppe, denn die heutige Generation 50 plus ist konsumgewohnt, kaufkräftig, mobil und beherrscht die modernen Kommunikationsmedien.11 Neben dem klassischen »ersten Gesundheitsmarkt«, bestehend aus Ärzten, Krankenhäusern, Krankenkassen, Pflege-, Pharma- und Biotechnologieunternehmen sowie der Medizintechnik greifen immer mehr Ältere auch auf den »zweiten Gesundheitsmarkt« zurück. Dazu gehören die alternative Medizin, Coaching-, Wellness- und Sportangebote sowie Ernährungsberatung und die gesamte Lebensmittelbranche.12

Was sich ältere Menschen wünschen, sind Ernährungsangebote, die ihr Wohlbefinden steigern und ihnen spürbar guttun. Allerdings soll dieses Essen nicht als »Seniorenteller« oder als »Babynahrung für Rentner« daherkommen. Die Herausforderung an die Lebensmittelindustrie lautet also, ein differenziertes Nahrungsangebot zu schaffen, das den metabolischen Anforderungen alternder Menschen entspricht und sich in Geschmack und Präsentation nicht von dem unterscheidet, was jüngere Menschen gewohnt sind zu essen.

Chronische Krankheiten nehmen zu

Als chronisch krank gelten Menschen, die wenigstens ein Jahr lang wegen derselben Krankheit mindestens einmal pro Quartal von einem Arzt behandelt werden. In Deutschland traf dies 2010 auf zwei von fünf Menschen zu.13 In den USA sind chronische Erkrankungen (darunter auch Krebs) für sieben von zehn Todesfällen jährlich verantwortlich und verursachen 86 Prozent der gesamten nationalen Gesundheitskosten.14 Eines der Hauptprobleme ist das metabolische Syndrom, ein Systemkomplex aus krankhaftem Übergewicht, Störungen im Fettstoffwechsel, Typ-2-Diabetes und Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Nach Schätzungen der International Diabetes Federation (IDF) aus dem Jahr 2014 leiden weltweit 387 Millionen Menschen an Diabetes.15 Zwei Drittel davon leben in Entwicklungsländern. Für das Jahr 2035 prognostiziert die IDF eine Steigerung der weltweit an Diabetes Erkrankten auf 592 Millionen.

Mehr als eine Milliarde Menschen von insgesamt 6,7 Milliarden waren 2008 übergewichtig, also rund 15 Prozent. 2050 wird dies auf rund 20 Prozent der auf 9,6 Milliarden geschätzten Bevölkerung zutreffen, sagen die Vereinten Nationen.16 In den USA werden über 170 Millionen Menschen, die 18 Jahre und älter sind, Übergewicht haben (2014), dabei sind es aber nicht nur Erwachsene, die darunter leiden. In China werden es 20 Prozent der unter 18-Jährigen sein und der Anteil übergewichtiger männlicher Kinder und Jugendlichen in Brasilien, Mexiko und Russland ist schon heute höher als in Deutschland.

Mit unserem Lebensstil exportieren wir die sogenannten Zivilisationskrankheiten auch in ärmere Länder, stellte der Organisator des Weltgesundheitsgipfels (World Health Summit) 2010, Prof. Detlev Ganten, fest. Dass es immer mehr chronisch Kranke gibt, liegt unter anderem auch daran, dass wir länger leben und die Zahl der Risikofaktoren steigt. Diabetes ist eine typische Alterskrankheit und Demenz auch. Heute gibt es weltweit 55 Millionen dementer Patienten und ihre Zahl wird sich bis 2050 auf 135 Millionen nahezu verdreifachen.17

Ein Großteil der chronischen Krankheiten wie Herz-Kreislaufleiden, Diabetes, Fettleibigkeit, Krebs und Atemwegserkrankungen lassen sich auf eine relativ kleine Zahl von Risikofaktoren zurückführen. Dazu gehören Rauchen und übermäßiger Alkoholkonsum, Übergewicht, erhöhte Cholesterinwerte und Bluthochdruck. »Wir essen zu viel und falsch. Wir bewegen uns zu wenig. Um zum Beispiel chronische Erkrankungen des Herz-Kreislauf-Systems und Übergewicht in den Griff zu bekommen, muss sich in erster Linie bei der Ernährung etwas ändern«, sagte Prof. Ganten.

Es sei daher wichtig, dass wir schon im Kindergarten gesunde, weniger salz- und zuckerreiche Ernährung zu uns nehmen und ein Verständnis dafür entwickeln, was unser Körper braucht.

»Es wird viel über Kosten gesprochen, ich glaube, dass die eigentliche Herausforderung vielmehr Bildung ist. Diese ist sozusagen die beste Impfung, die Grundvoraussetzung für gesundes Verhalten«, sagte Ganten, der frühere Chef der Charité, in Berlin. »Wir werden nie eine Gesellschaft erreichen, die völlig frei von Krankheiten ist. Diese gehören zum Leben dazu«, so Ganten. »Aber die Fehler, die wir in vielen Bereichen machen, müssen wir vermeiden.«18

Weltweit sind im Jahr 2008 etwa 57 Millionen Menschen gestorben, 36 Millionen davon an nicht übertragbaren Krankheiten. 17 Millionen Todesfälle gehen davon auf Herz-Kreislauf-Erkrankungen zurück, 7,6 Millionen auf Krebs, 4,2 Millionen auf chronische Atemwegserkrankungen und 1,3 Millionen auf Diabetes. Diese vier Krankheitsgruppen sind für etwa 80 Prozent der Todesfälle durch nicht übertragbare Erkrankungen verantwortlich. Allein auf Bewegungsmangel gehen etwa 3,2 Millionen Todesfälle zurück.19

Wer glaubt, diese Zivilisationskrankheiten würden hauptsächlich die Menschen in den Industriestaaten betreffen, irrt sich. Auf allen Kontinenten außer Afrika übertrifft die Zahl der Todesfälle durch chronische Erkrankungen mittlerweile die Zahl der Todesfälle durch Infektionskrankheiten.20

Um die globalen Gesundheitsprobleme der Weltbevölkerung erfolgreich bekämpfen zu können, bedarf es der Zusammenarbeit aller Beteiligten, die sich mit der Ernährung der Menschen befassen. Es wird nicht ausreichen, in Zukunft nur an die Vernunft der Menschen und an ihre Eigenverantwortung zu appellieren. An der Bekämpfung der Gesundheitsprobleme müssen sich die Konsumenten zwar in hohem Maße selbst beteiligen, doch können sie aus unterschiedlichen Gründen dies oft nicht. Auch über die medizinische Versorgung der Menschen durch Ärzte und Pharmahersteller wird man angesichts der Größe des Problems nicht zu befriedigenden Lösungen kommen.

Deshalb sind besonders die Lebensmittelindustrie, der Handel und die Gastronomie gefordert. Alle, vom Produzenten über den Fast-Food-Verkäufer bis zum Konsumenten, könnten natürlich auf die Herstellung, den Verkauf und auf den Verzehr kompletter Nahrungsmittelgruppen, wie zum Beispiel Fleisch und Wurstwaren, alkoholfreie Softdrinks und Süßwaren sowie bestimmte Backwaren, verzichten. Dazu wird aber allen voran der Verbraucher nicht bereit sein, weil Essen für ihn Lebensgenuss ist und nicht nur satt machen soll.

Die Gesundheitssysteme aller Länder werden die Unterstützung der Nahrungsmittelindustrie brauchen, um die mit den nicht übertragbaren, darunter auch chronischen Erkrankungen verbundenen Gesundheitskosten nicht noch weiter ansteigen zu lassen. Immerhin sind es schon heute 70 bis 80 Prozent der Kosten im Gesundheitswesen, die auf nicht übertragbare Krankheiten (vor allem Demenz, Krebs und Diabetes) entfallen, so Prof. Ganten.

Der Trend zu einem wachsenden Gesundheitsbewusstsein

Wann ist man eigentlich gesund? Prof. Detlev Ganten hat darauf eine Antwort: »Was Gesundheit bedeutet, lässt sich schwer fassen. Und erst recht nicht messen. Denn wenn man nur genau genug hinsieht, wird man in jedem Körper ein paar tickende Zeitbomben finden. Ebenfalls darf man an den Gesundheitsbegriff keine Anforderungen stellen, die den Einzelnen überfordern.« Wenn man leisten kann, was andere von einem erwarten und man selbst von sich selbst, dann ist man in seinen Augen ziemlich gesund.21 Gesundheit ist also eine Frage der Selbstwahrnehmung und der Unterschied besteht darin, ob man sich auch krank fühlt, wenn man krank ist.

Das moderne Gesundheitsbewusstsein hat seine Wurzeln in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg, als man feststellte, dass die bis dahin häufigsten Todesursachen wie Lungenentzündung, Tuberkulose und Magen-Darm-Erkrankungen durch Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Krebs abgelöst worden waren. Der United States Public Health Service (PHS) wollte herausfinden, warum die koronare Herzkrankheit (KHK) die häufigste Todesursache in den USA war und welche Risikofaktoren zu Herzinfarkt oder Schlaganfall führten. Deshalb begann 1948 die systematische Untersuchung der Bevölkerung in der Stadt Framingham in Massachusetts.

Die als Framingham Herz Studie bekannt gewordene Untersuchung erstreckte sich zunächst über einen Zeitraum von 20 Jahren. In der Startphase wurden rund 5200 Männer und Frauen zwischen dem 30. und 60. Lebensjahr ausgewählt, die zu diesem Zeitpunkt noch keine Herz-Kreislauf-Erkrankungen hatten. 1971 wurden dann die Kinder der Untersuchungsteilnehmer miteinbezogen, sodass eine generationenübergreifende Beobachtung möglich wurde. Bis in die 1990er-Jahre wurde die Studie dann weitergeführt und sie gehört noch immer zu den wichtigsten epidemiologischen Studien in den USA.22

Insgesamt wurden auch hier die bekannten Risikofaktoren ermittelt. Im Laufe der Untersuchungen stellte sich dann heraus, dass die lebensbedrohlichen Symptome durch eine Veränderung des Lebenswandels der jeweils Betroffenen zumindest gemindert werden konnten. Die Empfehlung lautete Reduktion von Übergewicht, Kontrolle der Salzaufnahme, Einnahme von blutdrucksenkenden Mitteln, Bewegung und natürlich Schluss mit dem Rauchen. Man konnte also aufgrund dieser Studie feststellen, dass präventive Maßnahmen die Gesundheit nachhaltig fördern. Außerdem zeigte die Framingham Herz Studie, dass der moderne Lebensstil und der Konsum im Überfluss der Gesundheit mehr schaden als nützen. Zahlreiche nachfolgende Studien überprüften diese Ergebnisse und bestätigten sie.

Die Rolle der Gesundheit in der heutigen Leistungsgesellschaft

Vor allem die Konsumenten der sogenannten Millennial-Generation interessieren sich für neue Gesundheitstrends und für die Inhaltsstoffe ihrer Nahrung. Sie bevorzugen häufig handwerklich erzeugte und natürliche Produkte, die gentechnik- oder glutenfrei sind oder aus biologischem Anbau stammen. Passend zu ihrem geschäftigen Lebensstil wünschen sie sich schnelle, konsumfertige Lösungen und klare Portionsangaben. Feste Mahlzeiten sind immer weniger die Regel und Zwischenmahlzeiten werden immer beliebter. Das liegt auch daran, dass sich die Familienstrukturen verändern. In vielen Gesellschaften wächst die Zahl der Alleinerziehenden und der Singlehaushalte. Die Millenials wünschen sich zunehmend eine Ernährung mit zusätzlichem Gesundheitsnutzen. So werden sie aller Voraussicht nach ein längeres, aktiveres und gesünderes Leben führen.

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