Eroberer der Sternenreiche: 4 SF-Romane - Hendrik M. Bekker - E-Book

Eroberer der Sternenreiche: 4 SF-Romane E-Book

Hendrik M. Bekker

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Beschreibung

Dieser Band enthält folgende SF-Romane: Raumschiff Rubikon - Der träumende Tod (Manfred Weinland) Eroberer der Galaxis: Jäger (Hendrik M. Bekker) Eroberer der Galaxis: Beute (Hendrik M. Bekker) Eroberer der Galaxis: Angriff der Chadrana (Hendrik M. Bekker) Jahrtausende in der Zukunft: Die Menschen haben große Teile der Galaxis besiedelt. Manche von ihnen haben sich über lange Zeiträume hinweg so sehr an ihre Umgebung angepasst, dass sie kaum noch als Angehörige derselben Spezies erkennbar sind. Galaktische Reiche rivalisieren um Macht, Einfluss und Vorherrschaft: Das Galaktische Kaiserreich, überzeugt davon, dass der Mensch nicht nur die bisher edelste Vollendung der Evolution ist, sondern dass er auch bereits vollkommen ist und deswegen nicht manipuliert werden darf. Die Terranische Allianz freier Völker, die sich einst bildete, weil die Traniatische Föderation in einem langsamen Zerfallsprozess den Mitgliedswelten zu schwach wurde. Das galaktische Reich mit der größten Ausdehnung. Wie der Name andeutet, gehört die Erde, Terra, zu den Gründungswelten. Trotz unzähliger Mitgliedsspezies stellen die Menschen und all ihre Abkömmlinge einen Großteil der Bevölkerung. Die Traniatische Föderation freier Welten, der klägliche Rest eines gigantischen Reiches, das lange vor den ersten raumfahrenden Menschen bereits existierte. Heute eher ein Schutz- und Trutz-Bündnissystem, als eine echte galaktische Größe. Das Kratische Konsortium, ein Bündnisgeflecht von Verbrecherlords, Unterweltbossen und Alleinherrschern. Manche sagen, nirgendwo in der Galaxis sei mehr Verkommenheit zu finden. Und für diejenigen, die sich keinem von ihnen unterordnen wollen, gibt es nur die Flucht in die Weite des Anarchistischen Raums. Niemand ahnt, dass im Hintergrund Entwicklungen in Gang gesetzt wurden, die möglicherweise das empfindliche Gleichgewicht der Machtverhältnisse im All für immer verändern werden. Ohne dass das Leben in der Galaxis es weiß, steht die momentane Phase der Ruhe und Ordnung in der Galaxie vor ihrem Ende ... Isaak Sanders sucht in den Tiefen von Chutala-City nach seinem Vater, um sich seiner Vergangenheit zu stellen. Jerel Rimasen ist als Deserteur und Dieb im Kaiserreich gesucht, weil er das Kaiserreich mehr bedroht als er ahnt. Zaren Daler versucht genau dieses Kaiserreich zu bewahren.

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Hendrik M. Bekker, Manfred Weinland

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Inhaltsverzeichnis

Eroberer der Sternenreiche: 4 SF-Romane

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Raumschiff Rubikon - Der träumende Tod

Eroberer der Galaxis: Jäger

Eroberer der Galaxis: Beute

Eroberer der Galaxis: Angriff der Chadrana

Eroberer der Sternenreiche: 4 SF-Romane

Hendrik M. Bekker, Manfred Weinland

Dieser Band enthält folgende SF-Romane:

Raumschiff Rubikon - Der träumende Tod (Manfred Weinland)

Eroberer der Galaxis: Jäger (Hendrik M. Bekker)

Eroberer der Galaxis: Beute (Hendrik M. Bekker)

Eroberer der Galaxis: Angriff der Chadrana (Hendrik M. Bekker)

Jahrtausende in der Zukunft: Die Menschen haben große Teile der Galaxis besiedelt. Manche von ihnen haben sich über lange Zeiträume hinweg so sehr an ihre Umgebung angepasst, dass sie kaum noch als Angehörige derselben Spezies erkennbar sind. Galaktische Reiche rivalisieren um Macht, Einfluss und Vorherrschaft:

Das Galaktische Kaiserreich, überzeugt davon, dass der Mensch nicht nur die bisher edelste Vollendung der Evolution ist, sondern dass er auch bereits vollkommen ist und deswegen nicht manipuliert werden darf.

Die Terranische Allianz freier Völker, die sich einst bildete, weil die Traniatische Föderation in einem langsamen Zerfallsprozess den Mitgliedswelten zu schwach wurde. Das galaktische Reich mit der größten Ausdehnung. Wie der Name andeutet, gehört die Erde, Terra, zu den Gründungswelten. Trotz unzähliger Mitgliedsspezies stellen die Menschen und all ihre Abkömmlinge einen Großteil der Bevölkerung.

Die Traniatische Föderation freier Welten, der klägliche Rest eines gigantischen Reiches, das lange vor den ersten raumfahrenden Menschen bereits existierte. Heute eher ein Schutz- und Trutz-Bündnissystem, als eine echte galaktische Größe.

Das Kratische Konsortium, ein Bündnisgeflecht von Verbrecherlords, Unterweltbossen und Alleinherrschern. Manche sagen, nirgendwo in der Galaxis sei mehr Verkommenheit zu finden.

Und für diejenigen, die sich keinem von ihnen unterordnen wollen, gibt es nur die Flucht in die Weite des Anarchistischen Raums.

Niemand ahnt, dass im Hintergrund Entwicklungen in Gang gesetzt wurden, die möglicherweise das empfindliche Gleichgewicht der Machtverhältnisse im All für immer verändern werden.

Ohne dass das Leben in der Galaxis es weiß, steht die momentane Phase der Ruhe und Ordnung in der Galaxie vor ihrem Ende ...

Isaak Sanders sucht in den Tiefen von Chutala-City nach seinem Vater, um sich seiner Vergangenheit zu stellen.

Jerel Rimasen ist als Deserteur und Dieb im Kaiserreich gesucht, weil er das Kaiserreich mehr bedroht als er ahnt.

Zaren Daler versucht genau dieses Kaiserreich zu bewahren.

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Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books, Alfred Bekker, Alfred Bekker präsentiert, Casssiopeia-XXX-press, Alfredbooks, Uksak Sonder-Edition, Cassiopeiapress Extra Edition, Cassiopeiapress/AlfredBooks und BEKKERpublishing sind Imprints von

Alfred Bekker

© Roman by Author / COVER ADELIND NACH MOTIVEN VON PIXABAY

© dieser Ausgabe 2020 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen in Arrangement mit der Edition Bärenklau, herausgegeben von Jörg Martin Munsonius.

Die ausgedachten Personen haben nichts mit tatsächlich lebenden Personen zu tun. Namensgleichheiten sind zufällig und nicht beabsichtigt.

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Raumschiff Rubikon - Der träumende Tod

Manfred Weinland

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Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books, Alfredbooks und BEKKERpublishing sind Imprints von Alfred Bekker

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© dieser Ausgabe 2018 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen in Arrangement mit der Edition Bärenklau, herausgegeben von Jörg Martin Munsonius.

Die ausgedachten Personen haben nichts mit tatsächlich lebenden Personen zu tun. Namensgleichheiten sind zufällig und nicht beabsichtigt.

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Raumschiff Rubikon - Der träumende Tod

Manfred Weinland

Am Morgen einer neuen Zeit.

Der Krieg zwischen den organischen und anorganischen raumfahrenden Völkern konnte im letzten Moment abgewendet werden. Die Menschen jedoch sind nach wie vor fremdbestimmt und als die Erinjij gefürchtet, die sich in ihren Expansionsbestrebungen von nichts und niemandem aufhalten lassen.

Abseits aller schwelenden Konflikte kommt es im Zentrum der Milchstraße zu einer von niemand vorhergesehenen, folgenschweren Begegnung.

Eine unbekannte Macht hat sich dort etabliert. Schnell zeichnet sich ab, dass es sich um keinen "normalen" Gegner handelt. Die Bedrohung richtet sich nicht nur gegen die heimatliche Galaxie, sondern könnte das Ende allen Lebens bedeuten.

Die Geschichte des Kosmos, so scheint es, muss neu geschrieben werden …

1.

Einst

Ferencs Körper sank so langsam und bedächtig in den kochenden Schlamm, als würde er es genießen . Das erwartungsvolle Lächeln erstarb den Zuschauern auf den Lippen, denn statt zu schreien, wie alle es bislang getan hatten, die sich dieser Prüfung stellten, stimmte Ferenc sogar ein Lied an – die Ode des Aufbruchs, die ihn sein Vater gelehrt hatte und die den Legenden nach auf den Gründer Erron zurückging.

Vielleicht hatte Erron nie gelebt und war nur ein Produkt aus Tagen, als Salmonen noch Werte wie Neugier gepflegt und … Ferenc seufzte innerlich, ohne sich damit auf die Schmerzen zu beziehen, die unermüdlich an den Schilden nagte, die Ferenc wenigstens um seinen Geist errichtet hatte. Anders wäre das alles nicht zu ertragen gewesen. Er war kein Überwesen, keine Figur, die sich irgendein Denker an irgendeinem Feuer ausgedacht hatte, wie es sich vielleicht mit Erron verhielt. Aber die, die ihn gerade betrachteten und zusahen, wie sein athletischer Körper von den Hufen aufwärts immer tiefer im kochenden Brei der Schmiede verschwand, schienen genau das zu glauben.

Und vielleicht war es klug, ihnen die Illusion zu lassen.

Wenigstens diese.

Die Welt war arm genug. Arm an Träumen und Visionen. Erstickend und lähmend war der Druck, der schon auf Kindern lastete – im Grunde ging es tagein, tagaus nur noch ums nackte Überleben.

Überall herrschte bitteres Elend. Es schien, als habe sich die Sonne am Himmel mehr als verdoppelt, was ihre Größe und Strahlkraft anging – verdoppelt gegenüber den Zeiten, die als der Glückliche Morgen Salmos bezeichnet wurde. Ferenc selbst erinnerte sich nicht mehr an die Zeit der Beben. Damals war er noch nicht einmal geboren gewesen. Aber die Alten wussten es von ihren Vätern und Müttern, und die … so hieß es … hatten es am eigenen Leib erfahren.

Die Zeitenwende.

Das Jahr, in dem der Glückliche Morgen zum Roten Zenit abgelöst worden war.

Und der Rote Zenit war das, was Salmos Antlitz seither prägte.

Zuerst waren die Ernten auf den Feldern verdorrt. Dann folgte der Großteil der wildwachsenden Pflanzen, von denen sich Salmonen ernährt hatten, seit es sie gab. Die vorausgegangenen Beben hatten Land und Meer schon unermesslichen Schaden zugefügt. Es wurde erzählt, dass die Küsten des Kontinents, der Ferencs Volk beheimatete, von Riesenwellen überschwemmt worden seien und dass, als die Wasser sich wieder zurückzogen, mannshoch Fische und anderes Meeresgetier die Strände bedeckt habe.

Der vermeintliche Segen – Nahrung im Überfluss – war schnell zum Albtraum der Salmonen geworden. Die Überlebenden der Beben und Überschwemmungen hatten gar nicht schnell genug aufräumen, gar nicht schnell genug die Kadaver verarbeiten können, wie sie zu stinken und zu verwesen begonnen hatten.

In jenen Tagen, so erzählte man, sei der Gestank so schrecklich gewesen, dass Salmonen schon daran gestorben waren, dass sich ihre Körper irgendwann einfach weigerten, weiterzuatmen – weil die Gerüche ein Maß angenommen hatten, das nicht mehr zu ertragen war. Die Luft hatte sie so sehr geekelt, dass sie ihr nicht mehr gestatteten, ihre Körper auch noch von innen zu besudeln. Lieber waren sie gestorben.

Auch was das anging, wusste Ferenc nicht, ob es Wahrheit oder der Fantasie der Älteren geschuldet war.

Er wusste nur: Geschichten wie diese hatten ihn von kleinauf geprägt – und wahrscheinlich großen Anteil daran, dass aus ihm geworden war, was er heute darstellte.

Ein Anführer.

Der erste Anführer überdies seit Langem, dem es gelungen war, das Feuer der Neugier, das in den meisten Salmonen längst erloschen schien, noch einmal zu entfachen.

Er hatte an ihren Stolz appelliert und an ihre Verantwortung, die sie, wie er selbst vorlebte, für die Gemeinschaft trugen.

Charismatisch wie er war, hatten seine Reden gefruchtet. Es war ihm immer leicht gefallen, andere zu überzeugen – erst im Kleinen, später dann in den ernsteren und wichtigeren Belangen eines Stammes.

Und dass er jetzt ohne den leisesten Klagelaut, ohne Zögern, aber auch ohne übertriebene Eile in das Bad der Stählung tauchte, bescherte ihm die Bewunderung und den Respekt auch noch des letzten Zweiflers und Widersachers in den eigenen Reihen.

So hatte es Ferenc geplant. Aber selbst er hatte nicht zu träumen gewagt, dass sich sein Wille zur Veränderung als stark genug erweisen würde, um den Qualen des Stahlbads tatsächlich in der Weise zu begegnen, wie er es gerade tat.

Ora beobachtete durch tränenverschleierte Augen, wie ihr Gemahl bereits bis zur Brust im brodelnden Schlamm stand und der kochenden Hitze dennoch weiter die Stirn bot.

Es machte sie unendlich stolz.

Seht hin! Ja, seht nur – besonders ihr, die ihr so oft gegen ihn gehetzt und eure Intrigen gesponnen habt! Seht hin und leistet ihm Abbitte! Einen besseren Führer und Anführer kann sich unser Volk nicht wünschen. Keiner von euch wäre dazu in der Lage! Wimmern und schreiend würdet ihr die höchste aller Prüfungen über euch ergehen lassen – nicht halb so stolz und souverän wie er es euch vormacht …

Die Wärme in ihrer Brust war tausendfach milder als das, was Ferenc gerade an Hitze zu ertragen hatte, aber sie hoffte, dass er mit einem winzigen Teil seines Selbst auch kurz an Ora und die Liebe dachte, die er für sie empfand. Ora, die ihm bereits zwei Töchter geschenkt hatte und gerade wieder ein Leben in sich trug, von dem nicht nur sie gehofft hätte, dass es endlich der ersehnte Sohn sein würde.

Auch das rechnete sie Ferenc hoch an: dass er sie nie hatte spüren lassen, in den Augen der anderen Salmonen, die alles an und um ihn herum kritisch betrachteten, eine Halb frau zu sein.

Und sie würde es bleiben, wenn auch diesmal ein Mädchen zur Welt kam, ganz egal, wie hübsch, wie klug, wie wundervoll es auch sein mochte …

»Fer!« Sie konnte nicht verhindern, dass der Ruf ihren Lippen entschlüpfte. Vor Morgengrauen hatten sie sich noch einmal im Gatter ausgelebt, dem intimsten und privatesten Ort ihres Hauses. Sie waren sich viele Male nahe gekommen, ganz nah, und Ferenc war so behutsam wie stets gewesen, seit die Wölbung ihres Bauches unübersehbare Formen angenommen hatte. Aber außer sich zu lieben und Schwüre zuzuraunen, er mit seiner dunklen männlichen, sie mit ihrer zarten weiblichen Stimme, hatten sie auch viel über das bevorstehende Unternehmen gesprochen, das sie auf lange Zeit – und so die Götter wollten, gar für immer – voneinander trennen würde.

Die Möglichkeit, sich auf eine Reise ohne Wiederkehr zu begeben, hatte Ferenc weit von sich gewiesen, und zwar mit so viel Leidenschaft und Überzeugung, dass Ora ihm schließlich dankbar geglaubt hatte.

Seither war sie von einer fast unheimlichen Ruhe erfüllt.

Und das Stahlbad – wie Ferenc sich ihm stellte –, bestärkte sie, dass sie sich keine Sorgen zu machen brauchte, nicht um diesen Mann, den andere fürchten mussten, der sich aber selbst jeder Prüfung, die ihn unterwegs erwartete, gewachsen zeigen würde.

Ora dachte wie eine liebende Frau.

Sie war eine liebende Frau, die sich nicht nur von Ferencs starken Armen, sondern auch von seiner Vision mitreißen ließ.

Er würde es schaffen.

Er würde seinem Volk die Tür zu einem besseren Leben aufstoßen!

Falls es noch irgendeinen Zweifel daran gab, erstickte sie ihn unter ihrer Bewunderung und Liebe.

»Oh, Fer …«

Obwohl sie nicht laut rief und der Lärm der anderen Zuschauer sie eigentlich hätte übertönen müssen, hörte Ferenc, wie Ora ihn beim Namen nannte.

Trotz der nun doch kaum noch zu beherrschenden Schmerzen, nahm er sich die Zeit, nach ihr in der Menge zu suchen.

Und dann sah er sie – etwas abseits stehend und nicht mehr an derselben Stelle, wo sie ihn zum Abschied noch einmal ermutigend umarmt hatte. Sie begegnete seinem Blick, und ein Ruck ging durch ihren zarten Körper. Sie hob den Arm, winkte. Aber schöner als alles, war der Ausdruck ihres Gesichts, der Ferenc sagte: Du hast alles richtig gemacht – und wirst auch weiter alles richtig machen! Versprich mir nur eins: Komm zurück!

Er hatte es ihr allein in der vergangenen Nacht, die sie noch einmal bis zur Neige ausgekostet hatten, Dutzende Male versprochen.

Spätestens jetzt, im Bad der Stählung, spürte er, dass er die wichtigste Entscheidung nicht erst mit der Mission getroffen hatte, zu der er seine besten Krieger aufgerufen hatte – sondern schon viel früher, an dem Tag, als er um Ora warb … und sie zu seiner Frau erwählt hatte.

Sie war seine Kraftquelle.

Sie machte ihn glücklich und stark, selbst wenn er eine Niederlage hatte einstecken müssen – und die Götter wussten, dass sein Weg zum Anführer ein steiniger gewesen war, bei dem manches Hindernis hatte überwunden, mancher Widersacher hatte besiegt werden müssen.

Ora war in dieser wichtigen Phase die Konstante an seiner Seite gewesen, und er hoffte, dass sie ihn bis zum Ende aller Tage – ihrer beider Tage – begleiten, auch kritisch, wenn es sein musste, denn sie war stets ehrlich zu ihm, begleiten würde.

Zum ersten Mal wurde ihm bewusst, was die – wenn auch nur vorübergehende – Trennung von ihr bedeutete.

Auch sein bester Kamerad würde hier zurückbleiben, nicht nur die Frau, die das Feuer von Liebe und Leidenschaft in ihm zu entfachen wusste …

»Oh, Ora …«

Er wusste nicht, dass im selben Moment ein »oh, Fer …« über ihre Lippen kam. Unhörbar diesmal. Aber das änderte nichts an dem tiefen Gefühl, das die Bande zwischen ihnen durch den Blasen werfenden Schlamm des Stahlbads hindurch festigte.

Es war, als würde auch dieses Band eine Rüstung erhalten – eine Panzerung, die kein Feind der Welt jemals zu zerstören im Stande sein würde …

… so wie Ferencs ganzer Körper diese Weihe erfuhr.

Ein letzter Blick … dann tauchte er bis über die Augen, bis über das stolze Gehörn in den sengenden Sud, der sich um jeden Zoll seines Körpers schmiegte.

Die staunende Menge verstummte ehrfürchtig, als Ferenc komplett im Bad verschwunden war und sich die gerade noch einmal aufgerührte Oberfläche der bronzefarbenen Flüssigkeit schlafartig beruhigte.

Wie erstarrt lag sie da.

In manch einem Betrachter mochte der Gedanke aufblitzen, den Anführer nie mehr wieder zu sehen.

Nicht so in Ora.

Ruhig wartete sie, bis Ferenc es für ausreichend erachtete, was er seinem Körper zumuten wollte.

Und dann war es soweit: Mit einem Schrei, der bar jeden Schmerzes, aber voller Triumph war, brach Ferenc aus der Tiefe hervor, schüttelte sich so vehement, dass allzu nahe Beobachter erschrocken zurückwichen, um von keinem der heißen Spritzer getroffen zu werden …

… und entstieg dann dem Stahlbad, um sich der nächsten Phase des Rituals zu widmen.

Stunde um Stunde galoppierte Ferenc entlang der staubigen Kämme seiner Küstenheimat. Nirgends sonst war der Kontrast zwischen Meer und Land unmittelbarer und stärker zu erleben als hier.

Das Meer, seine scheinbar unendliche Weite, war, auch wenn es von draußen betrachtet nicht so aussah, nach wie vor ein ebenso lebensarmer Ort wie die Wüsten, die das Gesicht des Festlands prägten. Die Geschehnisse, die dem Glücklichen Morgen des Planeten, ein jähes Ende bereitet hatten, mussten seinerzeit wahrhaftig fast alles Getier in den Wassern ermordet haben, und wenn überhaupt jemals, dann erholte sich Salmo nur sehr, sehr langsam von dem brutalen Eingriff in seine Natur. Fischerei als Beruf, wie sie früher gang und gäbe gewesen sein sollte, existierte gar nicht mehr. Aber ab und zu kam ein Salmone mit einer selbst gefertigten Angelrute aus dem seichten Küstenstreifen zurück und präsentierte den Neugierigen, die sich stets rasch um einen solchen Ankömmling scharten, seinen Fang – der niemanden mehr zu überraschen schien als den Angler selbst.

Neben kleinen Fischen wurden hin und wieder auch Krustentiere gesichtet. Eine einigermaßen beachtliche Größe wurde im Allgemeinen mit einem Fest gefeiert, in dessen Verlauf die Teilnehmer zumindest von der Suppe kosten durften, die damit hergestellt wurde. Auch das Fleisch, das ein solcher Fang, abwarf, wurde gemeinschaftlich verzehrt – der Anführer, in diesem Falle Ferenc, genoss keine Sonderrechte. Auch er musste viel, viel Glück haben, um auf seinem Teller nicht nur Brühe, sondern auch einen noch so bescheidenen »Fleischanteil« zu finden.

Trotzdem waren solche Feste mit die frohesten Ereignisse für die Salmonen, die freundschaftliche Beziehungen mit vielen anderen Siedlungen unterhielten. Ihr Kontinent war groß – aber es gab kein Gebiet darauf, das sich durch eine wirklich herausragende Fruchtbarkeit auszeichnete. Dem Boden Nahrung abzutrotzen, war steter Kampf, und viele nannten dies sogar unverhohlen Krieg. Krieg, den sie gegen die Welt selbst führten, gegen die Natur, die sie so stiefmütterlich behandelte, seit der Rote Zenit angebrochen war.

Erschöpft und dennoch mit einem Gefühl, als wäre er neugeboren worden, blieb Ferenc nach langen Stunden schließlich in Sichtweite der erwartungsvollen Schar von Dorfbewohnern auf einer Anhöhe stehen.

Er winkte den Wartenden ausgelassen zu, wusste er doch, dass sich Ora und seine beiden Töchter irgendwo dort unten befanden und seine Rückkehr wahrscheinlich gar nicht mehr erwarten konnten.

Aber bevor er zu ihnen trabte, blickte er im Schein der Sonne, die von einem fast wolkenlosen Himmel brannte, an sich herab. Er wollte der Erste sein, der sich so sah – gewappnet für die Herausforderung, der er sich im Dienste aller Salmonen, nicht nur der seines Heimatortes, stellen wollte.

Die Rüstung war abgekühlt und gehärtet – in einer Weise gehärtet, wie nur das Bad der Stählung es zu erreichen vermochte, verbunden mit der unablässigen Bewegung des Trägers über die Stunden, bis die Rüstung ihre endgültige Beschaffenheit erlangt hatte.

Wer die Eigenschaften des Stahlbads entdeckt hatte … auch dazu gab es mannigfache Legenden. Und auch hier tauchte wieder Erron als Name und Pionier auf. Aber im Grunde interessierte das heutzutage niemanden mehr. Es interessierte nur, was der spezielle Brei, der eine bronzefarbene Legierung ergab, zu tun im Stande war … mit jedem, der sich den Qualen der Schmiede , wie das Becken auch genannt wurde, auszusetzen bereit war.

Die Schmiede war kein Privileg für Salmonen, die sich besondere Verdienste erworben hatten. Dennoch gab es in einem Jahr oft nicht mehr als einen, der sich den kaum erträglichen Schmerzen zu unterwerfen bereit war, in manchen Jahren auch gar keinen. Wozu auch? Wirklich von Nutzen konnte die Rüstung, die sich so um einen Körper formte, nur für jemanden sein, der in einen wahrhaftigen Krieg ziehen wollte – oder in ein Abenteuer, wie es noch kein Salmone vor ihm bestritten hatte.

Nein, die meisten Tapferen legten ihre Rüstungen irgendwann wieder ab und verstauten sie in einem besonderen Bereich ihres Hauses – allein, um sich daran zu erinnern, zu welcher Großtat ihr Träger einmal im Stande gewesen war.

Für Ferenc und die Mannschaft, die im Verlaufe der kommenden Tage zu ihm stoßen sollte, hatte das Bad hingegen eine ganz neue, immense Bedeutung.

Sie waren die Ersten seit Salmonengedenken, die sich den Schrecken und Dämonen des Unbekannten stellen wollten – des Unbekannten, das dort draußen … Ferenc blickte aufs offene Meer … quasi vor ihrer Haustür begann.

Der weite Ozean war Schrecken und Verheißung in einem.

Ferenc hoffte, ihn besiegen zu können – wobei die Rüstung, die sich um ihn gelegt hatte, mehr symbolischen Charakter hatte –, hoffte, ihm den Schatz entreißen zu können, von dem Salmonen träumten und erzählten, seit dereinst der Glückliche Morgen zerbrochen und das Zeitalter der Entbehrungen angebrochen war. Aber dort draußen, irgendwo, mochte das Paradies auf den Wagemutigen warten, die Schatzkammer, die den Bewohnern der Welt endlich wieder einen Grund liefern würde, sich tagein, tagaus allen Widrigkeiten des Lebens zu stellen.

Ferenc wünschte sich nichts mehr, als ein bescheidenes Paradies hier, auf dem Grund und Boden, wo er geboren worden war. Aber den Schlüssel dazu, das wusste er seit frühester Kindheit, würde er nur fernab der Heimat finden können … und nur mit dem, was die Gemeinschaft in schweißtreibender Arbeit dem kargen Boden abgetrotzt hatte …

… dem stolzen Schiff, das dort unten in der Bucht vor Anker lag, dem wahrscheinlich einzigen und schönsten Schiff des Planeten …!

Bevor Ora die Rampe verließ, die von der SUCHER hinab zum seichten Wasser führte, wo sich schon andere Familienangehörige der Mannschaft versammelt hatten, drehte sie noch einmal den schmalen Oberkörper und warf einen Blick den Weg zurück, den sie gerade gekommen war. Dort stand Ferenc und schenkte ihr ein maskenhaftes Lächeln, das ihr den Abschied versüßen sollte – aber das genaue Gegenteil bewirkte.

War die Haut eines Salmonen normalerweise alabasterfarben, so glänzten Ferenc und seine Mannen, die ihm Treue geschworen hatten, jetzt wie aus Bronze gegossene Statuen aus … mit dem entscheidenden Unterschied, dass sie sich bewegten, ebenso geschmeidig wie vor dem Stahlbad. Denn das war die Besonderheit dieser Art Rüstung: Wenn man sich nur lange genug in Bewegung hielt, bis sie vollständig abgekühlt war, erlangte sie am Ende zwei Attribute, deren Zusammenspiel sie unvergleichlich machte: Ihr Träger konnte sich darin wie in der bequemsten Stoffkleidung bewegen … und dennoch schützte sie ihn vor jeder bekannten Gewalt.

Vor Schlägen und Schüssen zumindest, dachte Ora, nicht aber … Sie versuchte, sich dem Gedanken zu verschließen, was ihr aber nicht gelang. … vor so etwas Simplem wie dem Ertrinken – und das auf einem Schiff, das sich wahrscheinlich den schwersten Stürmen ausgesetzt sehen wird, die ein Salmone sich nur vorstellen kann …

Trotz dieser Schwermut, die sie nun, da die Trennung unmittelbar bevorstand, befiel, trotzte sie ihren Zügen ein Lächeln ab, dem – hoffentlich – nicht anzumerken war, wie es wirklich in ihr aussah.

Zwei Stimmen, die zeitgleich erklangen, lenkten sie schließlich ab. Eni und Loy eilten wasserspritzend auf sie zu. Ihre schlanken Gestalten waren ein erfreulicher Anblick, mehr als das. Ora hielt sich daran fest und machte ihren Frieden mit sich; allein, sie konnte es sowieso nicht ändern, dass nun eine ferencfreie Zeit anbrach, über deren Dauer nicht einmal der Geliebte Prognosen hatte abgeben wollen.

»Ich komme so schnell wie möglich wieder«, hatte er ihr erst vorhin noch ins Ohr geflüstert. »Nichts und niemand wird mich davon abhalten können, die Liebsten, die ich habe, wieder in die Arme zu schließen. Pass mir …« Zärtlich hatte er ihren Unterbauch gestreichelt. »… pass mir gut auf ihn auf.«

»Und wenn es eine Sie wird?«, hatte sie besorgt erwidert.

Ganz der Ferenc, ganz der charmante und verständnisvolle Gefährte, den sie einst erwählte, hatte er erwidert, den Blick ehern in ihre Augen – nein, ihr Herz! – gesenkt: »Dann werde ich mich des Glücks, bald von vier Frauen umsorgt zu werden, kaum zu erwehren wissen.«

»Ich liebe dich.«

»Ich liebe dich auch.«

Leichter hatte er ihr den Abschied nicht machen können.

»Kommt …« Sie führte ihre Töchter sanft, aber bestimmt von der Rampe weg, die jetzt eingezogen wurde. Gleichzeitig verkündete das rasseln schwerer Ketten, dass der Anker gelichtet wurde.

Ora wusste nicht, wie es hatte geschehen können, aber in diesem Moment, in angemessener Entfernung innehaltend, betrachtete sie die SUCHER zum ersten Mal vom Bug bis zum Heck, von der Wasserlinie bis hinauf zum höchsten Punkt der Takelage.

»Wer hat sich so etwas Prachtvolles nur ausgedacht …?«

Sie merkte erst, dass sie laut gesprochen hatte, als Loy, die ältere der beiden Töchter, glühend vor stolz herausplatzte: »Vater! Vater hat sich das ausgedacht!«

»Zusammen mit vielen anderen talentierten Helfern«, war Eni wie stets bemüht, der Gerechtigkeit Genüge zu tun.

Ora lächelte, als sie sich vorzustellen versuchte, welcher Charakter ihrem Bauch wohl nach diesen beiden Prachtstücken entschlüpfen würde … aber dann verfinsterte sich ihre Miene, weil ihr klar wurde, dass die Wahrscheinlichkeit, Ferenc bis dahin wieder in die Arme schließen zu können, rechtzeitig vor der Geburt, verschwindend gering und eigentlich gar nicht vorhanden war.

»Was ist, Mutter?, Was schaust du so? Ist es wegen … Vater?«, fragte Eni und legte ihr den Arm um die schmale Taille.

»Es ist, weil ich mich freue.«

»Freue?«, echote Loy. Verwirrt versuchte sie, im Gesicht der Mutter zu lesen.

»Ich freue mich, dass die Welt jemanden hat wie ihn.« Sie zeigte hinauf zum Schiff, wo der Kapitän zwischens einen Leuten an der Reling stand und lächelnd und ruhig zu denen hinabschaute, die er nun verlassen würde.

Vielleicht für lange.

Vielleicht für immer.

»Seht ihn euch noch einmal an – den Mann, der keinen Laut über die Lippen brachte, als das Stahlbad ihn verschlang.«

Ihre Töchter schienen sich des Moments voll bewusst. Ihre Wangen glühten. Ihr Atem ging hörbar wie nach einem langen Galopp.

»Er wird uns alle stolz machen«, sagte Loy, »noch viel stolzer als wir es jetzt schon sind – wenn er mit vollen Händen zurückkehrt. Mit –«

»Du meinst, er wird die Schätze finden, die er sucht?«, fragte Eni verhaltener.

»Wenn du eine blühende Zukunft meinst … ja, Schwester, ja, ja, und tausend Mal ja!«

Ora winkte Ferenc zu, und sie weinte vor Glück, solche Kinder zu haben.

Aber irgendwo tief in ihr drin, spürte sie schon jetzt, dass es nicht so einfach werden würde, wie Loy es sich vorstellte. Und selbst wenn die SUCHER all das finden würde, was Ferenc sich erhoffte, war noch lange nicht sicher, dass sich die Welt damit für alle Salmonen zum Guten verändern ließ.

Sie hatte auch schon in der Vergangenheit, wenn auch bei weniger bedeutsamen Dingen, oft hellsichtiges Talent bewiesen …

In den ersten Tagen und Wochen verlief die Reise fast wie ein Ausflug. Weder die Mannschaft noch ihr Kapitän, der zugleich Leiter der Expedition war, wurden sonderlich gefordert. Niemand war darüber traurig, denn echte Erfahrung in seefahrerischen Belangen besaß niemand von ihnen. Sie alle verließen sich auf das natürliche Gespür eines Salmonen, sich auf jede Situation einzuspielen, wenn nur genug Zeit blieb, sich an Widrigkeiten und neue Herausforderungen einzulassen.

Ferenc befehligte eine Mannschaft, für die Seefahrt ein so wenig vertrautes Metier war wie für ihn selbst. Aber wie schon beim eigentlichen Schiffsbau, als sie auf alte Aufzeichnungen zurückgriffen, zeigte sich auch jetzt, dass viel genetisch verwurzeltes Wissen von einst ganz allmählich wieder an die Oberfläche trat. Salmonen hatten einst die Weltmeere befahren. Ihr Erbe schlummerte in einem jeden heute lebenden Nachkommen. Es musste nur … heraus gekitzelt werden.

Ferenc lächelte oft in diesen Anfangstagen, was sich unter der Maske, die zu seiner Rüstung gehörte, abzeichnete, als wäre sie zur zweiten Haut geworden. Er hatte Fabeldinge über diese Panzerung, die nur im Stahlbad zu erwerben war, gehört – bevor er selbst eine besaß –, und er musste zugeben, dass nichts von alledem übertrieben gewesen war, im Gegenteil, ihm kam es eher so vor, als entdecke er selbst immer neue Vorzüge.

Die Rüstung war »dicht« und doch wieder nicht völlig geschlossen. Für Salmonen wie jedes andere Lebewesen mit komplexerem Organismus gab es unabdingbare Bedürfnisse, die von einer rundum geschlossenen Panzerung eigentlich hätten vereitelt werden müssen – doch das Material, aus dem sie bestand, schien »intelligent« zu sein. Es reagierte unverzüglich auch die leiseste Regung seines Trägers, die in Richtung Notdurft-Verrichtung oder dergleichen ging.

Aber das war bei weitem nicht alles. Fast beeindruckender wirkte auf Ferenc und die, mit denen er sich unterhielt, dass die Rüstungsinnenseite sich offenbar um ihren Träger kümmerte. Kein Einziger, der eine trug, klagte über Juckreiz oder etwas anderes, das auf mangelnde Hygiene hingedeutet hätte, die eigentlich zwangsläufig Folgen hätte haben müssen, denn seit dem Erwerb der Rüstung hatte niemand sie wieder abgelegt, um sich zu waschen.

Übernahm die Panzerung dies auf ungeklärte Weise? Hielt sie den Körper unter ihrer Schale … sauber? Sogar sauberer als die betroffenen Salmonen dies vor dem Erwerb auf konventionelle Weise vermocht hatten?

Ferenc konnte darüber nur spekulieren. An eines aber erinnerte er sich deutlich: an seine letzte Zusammenkunft mit Ora. Im Gatter, bevor er mit der SUCHER in See gestochen war.

Lustvoller war der Verkehr mit seiner Gemahlin nie vonstattengegangen, als in jener Abschiedsnacht, denn … auch da war die Rüstung zugegen gewesen. Und mehr als einmal war es Ferenc vorgekommen, als verstärke sie nicht nur seine Libido, sondern auch seine Ausdauer.

Ora hatte später nicht darüber sprechen wollen, aber währenddessen hatte er sie wollüstig stöhnen und seufzen hören, wie noch niemals zuvor in all den Jahren.

Das Lächeln wollte nicht von seinen Zügen verschwinden, wann immer er an seine Gemahlin und die Liebe dachte, die er für sie empfand. Beinahe ebenso oft dachte er an seine Töchter und das Ungeborene in Oras Leib.

Wenn überhaupt etwas existierte, das ihn von dieser Reise hätte abhalten können, dann die Niederkunft des Kindes, die er nun nicht erleben würde. Doch sie hätten ein ganzes Jahr verloren, um wieder eine Zeit der günstigen Winde wie jetzt zu erreichen, wären sie beherzt aufgebrochen … Nein, es war richtig gewesen. Richtig in Hinblick auf das, was es zu erreichen galt für ein ganzes Volk.

Salmo war kein völlig unbekanntes Terrain für seine dominierende Spezies, auch nicht jenseits der Gestade des Festlands. Es gab alte Schriften, vor vielen Generationen festgehaltenes Wissen, das ein ziemlich genaues Bild der Welt zeichneten, dort, wohin das Auge nicht reichte.

Aber niemand war seit einer kleinen Ewigkeit mehr da draußen gewesen, wo neben dem Hauptkontinent, den die Salmonen besiedelten, noch eine weitere Landfläche existieren sollte, die aus dem Heer kleiner Inselchen herausstach: Abadon hieß jener Ort in den alten Schriften. Abadon war nur etwa ein Zehntel so groß wie die Landmasse, auf der Ora und die anderen zurückgeblieben waren, aber einst sollte Abadon ein blühender Ort gewesen sein, viel fruchtbarer und exotischer als die Welt, in der die Salmonen heute lebten, es jemals gewesen war.

»Fer?«

Nicht nur Ora rief ihn vorzugsweise bei der Kurzfassung seines Namens, auch seine engsten Vertrauten taten dies. Für Ferenc kein Problem. Er war kein Verfechter von Rängen oder Standesdünkel, das war er nie gewesen.

»Jax – was gibt es? Probleme?«

»Nein.« Sein Freund trat näher. Auch er war durch das Stahlbad gegangen, und es war erstaunlich, wie schnell Ferenc sich an das neue Aussehen eines Mannes gewöhnt hatte, den er seit frühester Kindheit kannte. »Und genau das ist es – Fer, ich mache mir Sorgen. Ich bin kein Angstfloh, das weißt du. Aber die Ruhe des Meeres, der fast perfekte Wind, der die Segel gerade so weit aufbläht, wie es für eine ruhige Fahrt optimal ist … das alles scheint mir nicht normal. Wäre Seefahrt so einfach, hätten andere vor uns schon vor langer Zeit einen Versuch wagen müssen! Sie taten es nicht, und eine Stimme in mir, die ich lieber zum Schweigen brächte, sagt mir: Das geschah aus gutem Grund!«

»Du siehst zu schwarz, Jax. Vielleicht ist das dein Problem. Ich bin auch sicher, dass es nicht so einfach bleiben wird. Wir richten uns nach Karten, die älter sind als jedes Gebäude unseres Dorfes … Aber im Gegensatz zu dir genieße ich jede friedliche Stunde, die uns vergönnt ist. Sobald der erste Sturm aufzieht, wird es mit Ruhe vorbei sein, und ich kann nicht glauben, dass du dir das ersehnst …«

»Du weißt genau, wie ich es meine.«

Ein Grinsen huschte über Ferencs Gesicht – beziehungsweise den Stahlfilm, der es verhüllte, nur Mund, Nasenlöcher, Augen und Ohröffnungen frei ließ. »Du hast geschrien, als du badetest, mein lieber Freund. Ich habe dich gehört. Es tat weh, wie?«

Grollend erwiderte Jax: »Seit wann bist du zum Angeber geworden? Reicht es dir nicht, dass alle Welt ob deiner eigenen Leistung zu dir aufschaut?«

»Seit wann«, konterte Ferenc ungerührt, »verstehst du keinen Spaß mehr, mein Freund? Ich wollte dich nicht beleidigen, vielleicht bin ich übers Ziel hinausgeschossen, entschuldige. Ich bin froh, dass du mich begleitest. Wir ergänzen uns blind.«

Jax gab sich versöhnlich. Auch er lächelte jetzt. »Genau das glaubte ich im Stahlbad zu werden: blind. Glücklicherweise war das nicht der Fall. Hat eigentlich schon mal jemand versucht, die Augen beim Untertauchen offen zu halten?«

»Nicht dass ich wüsste. Und wenn doch, sollte er am besten gleich den Mund mit aufmachen und tief einatmen …«

Sie ließen die Vorstellung sacken.

Schließlich fragte Jax: »Was sagen die Karten? Wie lange werden wir unter den herrschenden Bedingungen noch brauchen, bis Land in Sicht kommt – Abadon …?«

»Drei Wochen.«

»Ob unser Glück so lange noch anhält?«

»Ich hoffe es.«

Jax nickte grimmig. Plötzlich trat er ganz dich zu Ferenc heran. »Eigentlich wollte ich nicht darüber sprechen. Es … kommt mir verrückt vor. Vielleicht halluziniere ich ja und bilde es mir ein.«

»Was? Worum geht es?«

»Wann hast du das letzte Mal geschlafen?«

»Ich schlafe jede …«, setzte Ferenc an. Dann verstummte er, als hätten unsichtbare Klingen seine Stimmbänder gekappt. »Ich … muss überlegen, warte. Es … nun ja, richtig geschlafen, nicht nur gedöst …«

»Vor oder nach unserer Abreise?«

Schon die Frage war verrückt – normalerweise.

»Vorher«, räumte Ferenc schließlich wiederstrebend ein – widerstrebend deshalb, weil es ihm erst in diesem Moment bewusst wurde, im Gegensatz zu Jax, der offenbar schon länger darüber gestolpert war.

»Das ist unmöglich, oder?«, fragte der Freund vorsichtig.

»Ich kann mir nicht vorstellen, dass es wahr ist.«

»Du meinst, ich … wir bilden es uns nur ein und schlafen in Wahrheit doch? Aber warum kann ich mich nur daran erinnern, jede Nacht wach an Deck zu liegen und mir die Sterne anzusehen?«

Auch lange nachdem Jax gegangen war, dachte Ferenc noch über das nach, worauf der Freund ihn gestoßen hatte. Sie waren zu keinem Ergebnis gelangt, außer dem vielleicht, dass Ferenc angekündigt hatte, eine Befragung der gesamten Mannschaft durchführen, ob sie ähnliche Erfahrungen gemacht hatten – zugleich schreckte er aber auch davor zurück, weil er keine vermeidbare Unruhe verschulden wollte. Falls niemand schlief, dies aber nicht zu äußern wagte, würde das offene darüber Spekulieren möglicherweise für aufkommende Ängste sorgen.

Er war hin und her gerissen und überlegte, ob ihm je etwas über diesen »Nebeneffekt« des Stahlbads zu Ohren gekommen war.

Nein, lautete die Antwort. Vielleicht ein … neuer Effekt? Hatte sich die Quelle verändert?

Es war nicht auszuschließen, auch wenn dadurch nicht beantwortet wurde, warum sie sich verändert haben sollte. Aber da auch über ihre Herkunft nur Geschichten kursierten …

In dieser Nacht brachte Ferenc viele Stunden nicht über dem Kartentisch zu, sondern damit, seine Rüstung zu befühlen und in sich hineinzulauschen, welche Wirkung auf sie hatte.

Eines wurde sonnenklar, und umso verwunderlicher war, dass erst Jax ihn hatte darauf stoßen müssen: Seit er sie trug, überkam ihn keinerlei Müdigkeit mehr. Sie waren seit vielen Tagen unterwegs, und ein Salmone hätte die lange Zeit niemals ohne Schlafpausen überstehen können – bei ihm schien das kein Problem zu sein. Hellwach und mit kristallklarem Verstand fühlte er sich.

Das war unheimlich.

Wenn mein Verstand so klar und scharf wäre, wie ich mir einbilde, müsste ich auch in der Lage sein, hinter das Geheimnis der Rüstung zu kommen – wie sie das mit mir zu tun vermag.

Aber offenbar reichte es dafür nicht.

Nur ein einziger nachvollziehbarer Grund fiel ihm ein, warum er nicht selbst über seine Schlaffreiheit gestolpert war: Die Rüstung hatte nicht gewollt, dass er sich dessen bewusst wurde?

Woran sich aber sofort das nächste Rätsel anschloss: Warum sollte sie es bei ihm nicht gewollt haben, während Jax‘ Rüstung die Erkenntnis bei ihm gestattet hatte?

Wie auch immer er es drehte oder wendete, zu einem befriedigenden Resultat kam er nicht.

Er ging an Deck, um frische Luft zu schnappen.

Einer der beiden Monde Salmos stand am Himmel, so tief, dass es aussah, als wäre er gerade dem Wasser entstiegen.

»Ich wollte dich gerade rufen«, sagte Jax, der ihm entgegen torkelte, als hätte er zu viel die Sinne berauschenden Xonsaft genossen.

Ferenc eilte auf ihn zu. »Was ist los mit dir?«

»Dasselbe – wie mit allen anderen. Ich … bin plötzlich so … müde … Und die anderen … auch. Vergiss, was ich … sagte … So müde …«

Vor seinen Hufen brach der Freund zusammen.

Ferenc überwand seine Überraschung und beugte sich zu Jax hinunter. Gleichzeitig hielt er Ausschau nach einem anderen Mannschaftsmitglied und rief: »Hilfe! Ich brauche Hilfe! Kommt her!«

Niemand antwortete oder reagierte. Und Jax lag laut atmend vor ihm. Er sah aus, als sei nicht mehr und nicht weniger mit ihm passiert, als dass er begonnen hatte, all den Schlaf nachholen zu wollen, der ihm seit Tagen vorenthalten worden war.

Ferenc richtete sich wieder auf. In seinen Schläfen pochte es alarmiert. Wo blieben die anderen? Laut, mehr als das, hatte seine Stimme losgedröhnt.

Er ließ Jax, wo er war, und schritt langsam über die Schiffsplanken. Wie ein dunkler Spiegel lag das Meer da. Glitzernde Sterne am Himmel, ein langsam aufsteigender Mond … alles wirkte so friedlich … und so bedrohlich zugleich.

Ferenc rief nacheinander jeden Namen der insgesamt achtzehn Salmonen, die ihn begleiteten. Die Antwort, die er schließlich erhielt, entsprach nicht dem, was er sich erhofft hatte, sie zeigte nur, dass Jax sich als Letzter, zumindest als einer der Letzten, aufrecht gehalten hatte.

Unter Deck fand er sie in verschiedenen Bereichen, später auch oben, jedoch den Blicken hinter Taurollen oder dergleichen entzogen. Sie alle lagen einfach da, verstrickt in einen Schlaf, so tief wie die tiefste Ohnmacht.

Als wäre auch über die die Ruhe, um die sie lange betrogen worden waren, wie eine unwiderstehliche Kraft hereingebrochen. Ihre Rüstungen zeichneten die schlaff gewordenen Züge nach. Es sah nicht aus, als schwebten sie in einer Gefahr, die größer war als die, nun zu keinem Handeln mehr fähig zu sein. Ihr Leben schien nicht direkt und unmittelbar bedroht zu sein.

Aber warum?, dachte Ferenc. Warum ich nicht? Und warum … ausgerechnet jetzt, da Jax mir die Augen für das Mysterium geöffnet hatte, das ich selbst nicht bemerkte?

Und warum , schloss er die dritte und vielleicht wichtigste damit in Zusammenhang stehende Frage an, sind sie alle davon betroffen – nur ich nicht?

2.

Gegenwart

In Schönheit sterben

Es waren seine Wunschklänge, die Cy an diesem »Morgen« weckten. An Bord der RUBIKON gab es einen Tag- und Nachtwechsel, und der Organismus gewöhnte sich rasch an einen Rhythmus, der so konsequent von Technik und Crew eingehalten wurde. Auch für den Aurigen stellte dies längst kein Problem mehr dar, obwohl seine Heimatspore diesbezüglich völlig andere Orientierungen vorgegeben hatte.

Die Spore Auri …

Es war lange her, aber nichts war vergessen. Jede Zelle von Cys Körper speicherte Erinnerungen, aus jedem noch so winzigen Teil waren sie reproduzierbar … behauptete Sesha, die diesbezüglich Untersuchungen angestellt hatte.

Die Bord-KI untersuchte permanent irgendetwas. Nein, korrigierte sich Cy, nicht irgendetwas, sondern Dutzende, vielleicht Tausende Dinge gleichzeitig. Er hatte einmal versucht, sich ein Dasein als KI vorzustellen, es aber schnell wieder aufgegeben, weil ihm brechend übel davon geworden war.

Aurigen waren den einfacheren Strukturen verbunden. Seit dem unfreiwilligen Verlassen der Spore hatte sich Cy aber komplett von dieser angenehmen Versimplizierung verabschieden müssen. Aufregung und Hektik bestimmten seither sein Leben. Und jetzt kam auch noch, wie aus heiterem Himmel, ein neuer Aspekt dazu.

Angst.

Die Angst packte ihn kurz nach dem Erwachen an diesem sogenannten Morgen. Und sie sollte ihn nicht mehr loslassen. Weder an diesem noch an einem der folgenden Tage.

Das Ereignis, das sie auslöste, traf den Aurigen völlig unvorbereitet, weil unerwartet.

Über dem Nest aus welken Blättern, das er sich in seiner Kabine als zentralen Punkt des Wohlbehagens hergerichtet hatte, prangte als Decke ein riesiger Spiegel. Der Spiegel ging auch auf sämtliche Wände über, nur der Boden war aus anderem Material, das stark variierte: hier ein Flecken, der aussah, als wäre er mit Holzdielen belegt, da einer aus miteinander verschnürten Bambusrohren, es gab eine Sandaufschüttung, die bereits erwähnte Zone mit einem Polster aus Blättern, von denen einige einmal zu Cys Körper gehört hatten, und es gab auch Stellen, wo blankes Metall durchschimmerte, wie es auf der RUBIKON vorherrschte. Aber die Spiegel waren für den Aurigen ebenso wichtig wie das patchworkartige Muster, das er sich am Boden geschaffen hatte. Die Spiegel erzeugten auf fast schon primitive Weise ein Gefühl von Freiheit und Weite. Cy brauchte es wie die Luft zum Atmen. Und seit er sich sein kleines privates Reich auf diese Weise hergerichtet hatte, blühte er regelrecht auf – bildlich gesprochen.

Er erstarrte, als sich seine Sehknospen aus dem Schlummermodus zurückmeldeten.

Denn in diesem Augenblick begann die Angst, die sich wie Millionen mikroskopisch kleiner Zähne in seine Zweige biss.

Und Cy tat etwas, was er, wenn überhaupt, nur in höchster Not tat.

Er schrie auf.

So schrill und anhaltend, dass die Spiegel seiner Kabine zu zerspringen drohten.

Commander John Cloud blickte in jenen Bereich der Holosäule, der ihm eine Vergrößerung seines Gegenübers hinter der Säule zeigte. Ihre Physiognomie. Nicht jede Frau hätte sich das erlauben können, zumindest nicht in den »archaischen Zeiten« – wie Jarvis es zu nennen pflegte –, aus denen sich Cloud als Relikt in die Gegenwart herüber gerettet hatte.

Scobee hatte damit kein Problem. Obwohl die Jahre und manche Odyssee durchs All Spuren auf ihrem ehemals völlig glatten Gesicht hinterlassen hatten, betrachtete sie es offenbar als Auszeichnung, dass sich hier und da erste Ansätze von Fältchen zeigten – zumindest in dieser Zoomeinstellung.

Cloud überlegte kurz, wie sich seine Züge wohl ihr darstellten. Über erste Ansätze war seine Fältchenbildung bereits hinaus. Er grinste.

»Warum grinst du so unverschämt?«, fragte die GenTec auch prompt.

Sie waren immer noch damit beschäftigt, eine Möglichkeit zu finden, den neuen Aufenthaltsort – beziehungsweise den Rematerialisierungspunkt – des transitierten Aquakubus zu ermitteln.

Tovah’Zara war zu einem denkbar ungünstigen Zeitpunkt verschwunden. Die Treymor hatten die künstliche Wasserwelt schon vor Längerem annektiert. Sämtliche kubusinternen Verteidigungsstellungen waren von den käferartigen Intelligenzen überrannt worden. Die ehemals dominierende Spezies Tovah’Zaras war in einer Weise dezimiert und zurückgedrängt worden, die einem Aussterben gleich kam. Im Prinzip leistete nur noch eine Institution Widerstand: Taurt, das Kunstgeschöpf aus Protomaterie, das einst schon den Bau des Kubus überwacht und im Sinne seiner Herren, der Foronen, geleitet hatte. Doch Taurts Geheimorganisation musste als zerschlagen betrachtet werden. Ob und wo Taurt ein Überleben gelungen war, nachdem die Treymor damit begonnen hatten, sämtliche Weltenkugeln innerhalb des Kubus zu zerstören, war zum gegenwärtigen Zeitpunkt ebensolche Spekulation wie der neue Standort des Giganten, der eine Kantenlänge von einer Lichtstunde hatte.

Die RUBIKON hatte mit knapper Not aus Tovah’Zara entkommen können, denn beinahe wäre dort für immer Endstation gewesen. Cloud dachte mit Schaudern an seine Gefangenschaft in der Silberstadt zurück, und er wusste, dass Scobee und die restliche Besatzung auch nicht die schönsten Tage in der Wassersphäre verbracht hatten. Nur Taurt und seinen Bemühungen war ihrer aller Überleben zu verdanken.

Und damit standen sie in seiner Schuld …

… was wiederum gleichbedeutend damit war, dass sie in der Schuld aller geknechteten Wesen standen, die im Kubus von den Treymor terrorisiert und verfolgt wurden.

Doch wie sollten sie ihnen helfen und beistehen, wenn sie nicht einmal wussten, wo sie neuerdings zu finden waren?

Die Treymor hatten den Kubus hochgerüstet und mit einer Technologie ausgestattet, die alles übertraf, was die Instrumente der RUBIKON zu meistern vermochten. Keine Ortung in einem Umkreis von Tausenden Lichtjahren bedeutete, dass die neue Bastion der Treymor offenbar nachhaltig durch die Maschen der Beobachtungssysteme geschlüpft war.

Es war zum Haare raufen.

Und deshalb konnte sich Scobee auch nicht erklären, warum der Mann ihr gegenüber plötzlich grinste. Auf etwas so Profanes wie Falten im Gesicht wäre sie wohl nicht von selbst gekommen – und Cloud war klug genug, dieses Thema gar nicht erst zur Sprache zu bringen.

»Ich grinse nicht, ich betreibe Gesichtsgymnastik. Seit wie vielen Stunden beratschlagen wir hier schon? Andere haben in der Zeit geschlafen. Laut Internzeit dürfte Assur beispielsweise gerade vom Servo geweckt werden …«

»Was lieber du übernommen hättest, habe ich recht?«, fragte Scobee und grinste jetzt ebenfalls. Süffisant.

Cloud versuchte es gar nicht erst zu bestreiten. »Du solltest es auch tun«, sagte er nach einem kurzen Nicken.

»Was?«

»Die einen Kerl aussuchen. Wir haben doch einige nette Typen zur Auswahl.«

Sie hatten es vor einer halben Ewigkeit auch schon einmal miteinander versucht, Scobee und er. Doch es hatte nicht funktioniert. Es war okay gewesen, so lange es dauerte, aber irgendwann hatten sie beide einhellig festgestellt, dass zu einer wirklichen Beziehung und Liebe mehr gehörte, als sich ein bisschen zu mögen.

Seither waren sie Freunde.

Und es funktionierte wider Erwarten gut.

Obwohl die erste Zeit, nachdem Assur in sein Leben getreten war, nicht ganz so einfach für Scobee zu verdauen gewesen zu sein schien. Das jedenfalls hatte eine Fülle von Indizien nahe gelegt.

Doch das war ausgestanden. Inzwischen, davon war Cloud felsenfest überzeugt, »gönnte« sie ihm sein Glück.

Und sie reagierte auch höchstens ein wenig angesäuert, als er ihr jetzt seinen höchst privaten Vorschlag um die Ohren haute.

»Idiot«, sagte sie. Und fügte nach einer kleinen Kunstpause hinzu: »Wer sagt, dass ich mir einen netten Kerl wünsche? Das ist doch langweilig auf Dauer.«

Er nickte, als ginge ihm gerade ein Licht auf. »Verstehe. Entschuldige, hätte ich wissen müssen, mein Fehler. Sonst hätte es ja auch mit uns klappen müssen. Aber ich bin einfach zu nett …«

»Träum weiter ...«

Vielleicht wollte sie noch etwas hinzufügen. Aber eine Stimme mischte sich in ihr Geplänkel. Die Stimme jenes Parts, der auch ihre Diskussionen über Stunden hinweg begleitet und mal mit mehr, mal mit weniger konstruktiven Vorschlägen bereichert hatte.

Sesha sagte: »Es gibt Probleme.«

»Welcher Art?« Die Frage schlüpfte Cloud fast mechanisch über die Lippen.

»Ein Mitglied der Kernbesatzung ist betroffen. Es scheint, als ginge es ihm nicht gut …«

»Wer?«, drängte Scobee, die ebenso alarmiert war wie Cloud.

»Cy.«

»Öffne!«, befahl Cloud wenig später, als er mit Scobee und Jarvis, der sich ihnen unterwegs angeschlossen hatte, vor Cys Kabine ankam.

Clouds Weisungen hatten Alphapriorität an Bord.

Immer.

Auch bei diesem Gedanken schlich sich ein Lächeln um seine Mundwinkel, aber es war grimmiger Art, denn nur zu gut war ihm in Erinnerung, wie häufig es schon Autoritätsprobleme gegeben hatte – insbesondere als ein gewisser Sobek noch für Unheil hatte sorgen können.

Die Kabinentür glitt zur Seite. Cloud übernahm die Vorhut, obwohl Jarvis unterwegs darum gebeten hatte, zuerst nach dem Rechten sehen zu dürfen.

Cloud hatte abgelehnt, zumal Seshas Angaben nicht darauf schließen ließen, dass Gefahr in Verzug war.

Zumindest keine Gefahr für andere Personen als Cy selbst.

Cloud wusste nicht, was er erwartet hatte, aber er fand weder einen schreienden Aurigen vor, wie ihn die KI geschildert hatte, noch einen, der in irgendeiner Weise kränklich wirkte.

Es war das genau Gegenteil.

Und nicht nur Scobee rutschte ein »Unglaublich!« heraus. Auch Cloud blieb zwei Schritte im Raum einfach stehen, um staunend dorthin zu blicken, wo sich ihnen ein Cy präsentierte, wie sie ihn noch niemals zuvor gesehen hatten.

»Wer hätte das gedacht«, lästerte Jarvis. Doch selbst er schien beeindruckt. Obwohl er hinterher schob. »Darf ich mir eine davon pflücken?«

Cloud ersparte sich eine Ermahnung. Jarvis war, was sein Schandmaul anging, unbelehrbar.

»Er ist wunderschön«, hauchte Scobee, als sie weiter vortrat, auf den Gefährten zu, der noch kein Wort gesprochen hatte, dessen über den ganzen Körper verteilte Blüten aber einen unvergleichlichen, die Sinne betörenden Duft verströmten.

»Cy! Geht es dir gut?«, fragte Cloud. »Antworte bitte, wir machen uns Sorgen. Sesha hat uns informiert, dass –«

»Commander …«

Cloud war erleichtert, dass der Aurige auf ihn reagierte.

Aber schon die nächsten Worte des Freundes relativierten die Erleichterung.

»Offen gestanden geht es mir furchtbar – ich sterbe …«

Zuerst hielt Cloud es für einen makabren Scherz.

Allerdings war Cy nicht unbedingt für makabre Scherze bekannt.

»Jetzt hör aber auf«, schnarrte Jarvis, und selten war Cloud dem GenTec so dankbar gewesen, dass er den Mund nicht halten konnte. Schon gar nicht in Situationen, die Fingerspitzengefühl verlangten.

Doch hier und jetzt verschaffte seine direkte Art Cloud eine winzige Frist, die er nutzte, um sich die weitere Vorgehensweise zu überlegen.

War es besser, Cy mit Samthandschuhen anzufassen – oder so derb direkt auf seine Aussage zu reagieren, wie Jarvis es vormachte?

»Wie kommst du denn auf die Schnapsidee?«, fragte er schließlich, während er sich wunderte, dass Scobee die Worte des Aurigen noch gar nicht kommentiert hatte.

»Mir ist es ernst.« Cys Stimme klang wie ein Rascheln von Blättern in einer sanften Brise. Traurigkeit haftete ihr an.

Cloud begriff endgültig, dass es dem Aurigen ernst war.

Aber was war passiert?

»Was ist passiert? Bist du krank?«

»Oder altersschwach?«, warf Jarvis respektlos ein. Zweifellos hielt er das Ganze immer noch für einen Jux.

»Ich weiß nur«, erwiderte Cy,. »Ich werde sterben. In spätestens ein paar Tagen.«

»Wie um alles in der Welt kommst du auf so einen Quatsch«, platzte es aus Scobee heraus. Sie streckte die hand aus und fuhr sacht durch das Gestrüpp, das Cys Körper war. »Du siehst besser aus denn je!«

»Das ist es ja«, erwiderte Cy in kläglichem Ton. »Aurigen blühen nur einmal im Leben – kurz vor ihrem Tod. Das hat die Natur so eingerichtet.«

Es war eine der denkwürdigsten Zusammenkünfte überhaupt. Sie fand in privatem Rahmen statt. Assur hatte in ihr Haus im Angkdorf geladen. Nachdem Cloud sie über Cys Befürchtungen eingeweiht hatte, war sie nicht davon abzubringen gewesen, sich mit dem Aurigen zu treffen. Und nicht nur mit ihm, sondern auch mit denjenigen, die schon zu früheren Zeiten durch dick und dünn gegangen waren, allen voran Algorian.

Mit Algorian hatte Cys »Sternenkarriere« überhaupt erst angefangen. Über diese Anfänge war Assur wie jeder Angk bestens informiert; sie hatte fast unbeschränkten Zugriff auf die Datenbänke.

Doch heute ging es nicht um die Anfänge, sondern um das Ende eines Lebenswegs, und Cy hätte es drastischer nicht formulieren können.

Entsprechend gedrückt war die Stimmung, und das obwohl Assur alles getan hatte, um eine Wohlfühlatmosphäre zu schaffen.

Gemeinsam mit Cloud hatte sie alle Gäste des Abends in Empfang genommen, nun saßen sie bei einem Getränk oder anderen Genüssen über die Couchlandschaft verteilt – oder, wie in Cys Fall, einfach an einer Stelle niedergelassen, die ihnen behagte.

»Ihr wisst, worum es geht, auch Sesha ist zugeschaltet«, erhob Cloud das Wort, nachdem die betretene Stille nicht mehr zu leugnen war.

Er sah Nicken oder einfach nur niedergeschlagene Mienen.

Cy bildete nicht nur den emotionalen, sondern auch den visuellen Mittelpunkt des Abends. Seine kleinen Blüten waren von einer solchen Farbenpracht und Duftfülle, dass er in den Fokus der Aufmerksamkeit selbst dann gerückt wäre, wenn nicht das Damoklesschwert seines angekündigten Todes im Raum geschwebt hätte.

»Sesha hat auf meine Bitte hin sofort einen vollständigen Diagnose-Querschnitt von Cys aktueller Befindlichkeit erstellt. Ich kenne das Ergebnis selbst noch nicht. Aber ich möchte es erfahren – zusammen mit dem Betroffenen, der dazu sein Einverständnis gegeben hat, und mit seinen ältesten Freunden. – Seid auch ihr …« Sein Blick schweifte durch die Runde, über Jelto und Jarvis, Scobee und Aylea – das Mädchen hatte Tränen in den Augen – bis hin zu Jiim, Jarvis und Algorian, der unmittelbar neben Cy Platz in einem hochlehnigen Sessel genommen hatte.

Niemand legte sein Veto ein, was Cloud auch nicht anders erwartet hatte, wenngleich er lange mit Assur diskutiert hatte, ob es Aylea zuzumuten war, an dieser Versammlung teilzunehmen. Assurs Argument, dass Aylea längst kein Kind mehr war, das in Watte gepackt werden musste, hatte schließlich den Ausschlag gegeben, schlicht und einfach, weil es stimmte. Was hatte dieses Mädchen nicht schon alles gesehen und durchgemacht – und dennoch …

»Lea – alles in Ordnung?«, fragte er.

Sie schüttelte mit verkniffenem Gesicht den Kopf.

Natürlich war nichts in Ordnung.

Sesha blickte zur Decke; ein Reflex. »Sesha? Du kannst beginnen.«

Und die KI legte los. Die medizinischen Begriffe sprudelten nur so aus ihr hervor – bis Cloud ihr ungeduldig Einhalt gebot. »Dass du es immer wieder versuchst … Für Laien verständlich, bitte!«

»Cy weist deutliche Spuren einer Schwächung auf – deren Ursache ich jedoch nicht ermitteln konnte.«

»Soll das heißen: Ja, er ist sterbenskrank?«, blaffte Jarvis ins Off. »Oder: Kein Grund zur Beunruhigung. Die erkannte Schwäche ist in den Griff zu bekommen und wird von mir effizient behandelt?«

Alle warteten auf eine Reaktion des Aurigen, die aber ausblieb. Wer ihn nicht kannte, nicht um seine Herkunft wusste, hätte ihn in diesem Moment für nichts anderes halten können als einen Teil der Einrichtung.

»Es heißt«, antwortete Sesha, »dass ich ihn weiter – am besten permanent – beobachten muss. Und dass er jede unnötige Anstrengung vermeiden sollte, bis Klarheit besteht.«

»Cy?«, wandte sich Cloud nun direkt an den Aurigen.

»Ich bin euch dankbar für eure Anteilnahme«, raschelte das Pflanzengeschöpf matt. »Aber wie ich bereits sagte: Aurigen blühen nur einmal während ihrer gesamten Existenz – unmittelbar vor ihrem Tod. Was immer Sesha anstellen mag, um das zu verhindern«, fügte er fatalistisch hinzu, »es muss scheitern. Aber ich habe keine Angst vor dem Tod. Ich bin bereit.«

»Cy!« Es war Jelto, den die Worte des Freundes aus der Ruhe brachten. »Damit bin ich nicht einverstanden – und ich biete hiermit ausdrücklich meine Hilfe an. Wenn sie gewünscht ist. Und darum bitte ich dich – lass es mich versuchen. Ich habe andere Möglichkeiten, in dich zu schauen. Ich bin sicher, ich kann ergründen, was passiert ist. Soviel ich weiß, hast du gegenüber unserem Commander bereits angemerkt, dass du eigentlich noch nicht in dem Alter bist, in dem Aurigen normalerweise sterben …«

»Jeder Aurige ist anders. Es gab immer Ausnahmen von der Regel, und nun werde ich auch eine. Ich danke dir für dein Angebot, aber ich muss es –«

Jelto stemmte sich aus seinem Sitz und trat zu Cy. »Stopp! Bevor du bereust, vorschnell entschieden zu haben. Überlege es dir gut. Du musst jetzt nichts übers Knie brechen …«

Cy verstand, was er damit meinte. Er schwieg.

»Ich halte Jeltos Angebot auf jeden Fall für bedenkenswert«, sagte Cloud. Auch er trat jetzt zu Cy. »Und falls du es immer noch nicht kapiert hast, alter Freund: Wir lassen es nicht zu, dass du dich einfach so davon stiehlst! Du kämpfst gefälligst, selbst wenn sie im Weiteren herausstellen sollte, dass du schwerkrank bist – das ist das Mindeste, was du uns schuldest.«

Eine Art Seufzer kam aus dem innersten Kern des »Busches«.

»Versprich es!«, drängte jetzt auch Jarvis.

»Ja, bitte, Cy, gib nicht auf – arbeite mit Sesha und Jelto zusammen. Es wird sich ein Weg finden. Es muss.« Das war Aylea. Sie zwängte sich zwischen Cloud und Jelto durch und umarmte das kugelförmige, vor Blüten nur so strotzende Gestrüpp, wie nur sie es konnte.

»Brich mir nicht alle Zweige!«, jammerte Cy.

»Nur wenn du es endlich versprichst !«

»Ich … verspreche … es …!«

Cloud spürte einen Anflug von Erleichterung. Da ahnte er auch noch nicht, dass Cy nicht ihr Haupt- und schon gar nicht ihr einziges Problem bleiben sollte.

3.

Einst

Und plötzlich herrschte Flaute.

Kein Lüftchen regte sich mehr. Es kam Ferenc so vor, als wäre nicht nur jedes einzelne Mitglied der Expedition – er selbst ausgenommen – eingeschlafen, sondern … die Natur selbst.

Er hatte immer geglaubt, nichts und niemand könne ihn das Fürchten lehren, weil er bereit war, mit jedem Gegner zu kämpfen.

Aber wie sollte er gegen etwas angehen, das sich allein dadurch auszeichnete, dass es sich als lähmende Ruhe über beinahe alles legte?

War das überhaupt ein Gegner … oder einfach nur Schicksal, höhere Gewalt?

Er wusste keine Antwort darauf. Aber wusste, dass die Rüstung aus dem Stahlbad der Schmiede ihn als Einzigen offenbar davor bewahrte, Bestandteil dieser allumfassenden Lähmung zu werden.

Er wünschte, sie hätte ihn nicht geschützt oder verschont. Auch ohne direkt von den Symptomen betroffen zu sein, fühlte er sich besiegt … mehr noch: verhöhnt.

Wer trieb dieses böse Spiel mit ihnen? Wer?

Oder sollte die korrekte Frage lauten: Was?

Er erinnerte sich, warum sie mit der SUCHER, dem ersten Schiff seit Äonen, aufgebrochen waren. Sein Volk drohte dort, wo es dahin vegetierte, zu verhungern. Der Boden des riesigen Kontinents war überall wie ausgelaugt und ausgemergelt. Nichts, was angebaut wurde, wuchs in zufriedenstellendem Maße. Aber vielleicht, so der Traum, den er hatte, der Traum, mit dem er andere hatte infizieren können, gab es anderswo ein Land, das nicht von dieser »Krankheit« und Müdigkeit betroffen war. Der ferne Inselkontinent Abadon vielleicht, von dem die Schriften berichteten, ohne auch nur ansatzweise zu verraten, wie es heute dort aussehen mochte. Früher jedenfalls musste er eine saft- und kraftstrotzende Vegetation beherbergt haben, und damit war er schon zu Zeiten ein Paradies gewesen, als der Hauptkontinent der Salmonen nie Vergleichbares hervorgebracht hatte.

Abadon … ein Name wie ein Versprechen.

Aber jetzt schien auch Abadon nur ein weiterer Meilenstein zu sein, der Ferencs Volk mit Riesenschritten dem Untergang entgegentrieb. Die Hungersnot würde alle umbringen, jung und alt, Mann und Frau.

Und ich werde nicht bei den Meinen sein, wenn sie die letzten Vorräte aufbrauchen. Sie werden jeden Tag zur Küste gehen und Ausschau halten, ob die SUCHER nicht endlich heimkehrt. Aber es wird kein Schiff kommen. Und so viele Angehörige werden in Ungewissheit sterben, während wir hier … ich …

Was? Während sie hier was taten?

Würde der sonderbare Schlaf ihn doch noch übermannen, würde die SUCHER zu einem Geisterschiff werden, das über die Meere trieb, bis eines Tages das Holz, aus dem sie gebaut worden war, verrotten, die Planken leckschlagen würden …?

Etwas traf Ferenc wie ein Blitz. Vor seinen Augen loderten Feuer, die in Wirklichkeit nicht existierten. Schwarze Flammen züngelten empor. Und darin … mitten in dem Feuer … Bilder .

Ferenc war wie elektrisiert. Plötzlich erinnerte er sich an Begebenheiten seines Lebens, die bis zu diesem Moment verschüttet gewesen waren. Er erinnerte sich, Bilder wie diese schon früher gesehen zu haben, meist während er schlief.

Mit anderen Worten: Träume.

Nein, schalt er sich sogleich, mehr als einfache Träume. Bilder , die die Saat in ihn gelegt hatten. Die Saat, die irgendwann im Erwachsenenalter endlich aufgegangen war und ihn all das hatte tun und erreichen lassen, was ihn hierher geführt hatte.

Er spürte die Haut, die sich rüstungsgleich um ihn schmiegte, jetzt kaum noch. Aber das war ein gutes Zeichen. Es bedeutete: Er hatte sie angenommen. Sie hatte ihn angenommen. Sie waren nun eins, wie zwei zuvor verschiedene Dinge nur eins werden konnten …

Bei Erron, was denke ich da?

Er merkte, wie ihm die gerade noch sicher geglaubte Realität wieder entschlüpfte.

Wo bin ich?

Auf der SUCHER!

Warum bin ich hier?

Weil unsere einzige Hoffnung darin besteht, einen Ort zu finden, der mein Volk, meine Familie und unsere Freunde, bekannten, jeden Fremden irgendwo auf dem Kontinent, ernähren kann, gab er sich selbst die Antwort.

Wir sterben aus.

Die Welt hat aufgehört, uns zu lieben.

Die Welt, oder ihr selbst?

Er führte Selbstgespräche, als wäre er schizophren geworden.

Um nicht völlig den Verstand zu verlieren, widmete er sich den Flammen und den Dingen, die er darin sah.

Und er sah …

… Landschaften, wie er sie sich immer ersehnt und für sein Volk erhofft hatte.

… Gärten mit Bäumen, deren Äste unter der Last der Früchte schier zusammenbrachen.

… Büsche voller verlockender Beeren.

… Wurzeln, die zur Hälfte oberirdisch wuchsen und absonderliche Figuren formten.

… Pilze, die selbst im Dunkeln leuchteten, bunt und freundlich, als würde ihnen das Leben, die Gesundheit selbst, innewohnen.

So ging es unablässig weiter.

Bild um Bild.

Szene um Szene.

Aber da war mehr als bloß Erträumtes. Da war echtes Versprechen . So wie er den Seinen versprochen hatte, alles in seinen Kräften Stehende zu tun, um dem Elend der Welt ein Ende zu bereiten, so versprach etwas Namenloses ihm , für ihn da zu sein. Für ihn und für sein Volk, für alle Salmonen.

Ferenc wusste weniger denn je, was er von alldem halten sollte. Auf der einen Seite fühlte er sich betrogen, weil entscheidende Erinnerungen für eine lange Zeit offenbar gezielt in ihm unterdrückt worden waren. Aber auf der anderen Seite verknüpfte er auch so viel Hoffnung mit dem, was ihn gemahnte, dass nichts, was er in der Vergangenheit getan hatte, nicht einmal sein alle überrennender und verblüffender Ehrgeiz, dem puren Zufall geschuldet war.

Etwas hatte ihn von Kindesbeinen an gefördert …

Wirklich?

Wenn er dieses Etwas zu fassen versuchte, ihm Gestalt und Eigenschaften zuweisen wollte, scheiterte er auf ganzer Linie. Es ließ sich nicht greifen oder benennen. Es fühlte sich an wie eine Wesenheit von ungeheuerlicher Macht – aber selbst das war Vermutung. Reine Vermutung.

Er seufzte.

Er glaubte, es zu tun, obwohl er kaum noch seinen Körper spürte. Der war ihm so leicht geworden wie die Rüstung aus dem Stahlbad.

Er lächelte – glaubte zu lächeln – und erwachte.

Er war immer noch auf der SUCHER, wo auch sonst?

»Es ist soweit«, sagte Jax.

»Wann bist du erwacht?«, wollte Ferenc verwundert wissen. Er stand neben dem Steuermann, der sich eifrig bemühte, das Schiff auf Kurs zu halten. Eine frische Brise war aufgezogen. Die prallen Segel trieben die SUCHER mit hoher Geschwindigkeit auf eine Landmasse zu, die sich bislang noch dunkel vor ihnen abzeichnete. Aber der Mann im Ausguck meldete gerade: »Grün! Ich sehe überall grün!«

Jubel brandete auf.

Ferenc stand seltsam deplatziert neben Jax, dessen Freude so groß schien wie die jedes anderen.

»Was ist … passiert?«, fragte Ferenc mit hohl klingender Stimme. »Wieso seid ihr plötzlich alle wieder wach?«

»Wach?« Jax sah ihn belustigt an, gleichzeitig aber auch so, als könnte er nicht ganz entscheiden, ob Ferenc sich nur einen Spaß erlaubte oder seine Frage tatsächlich ernst meinte.

Ferenc fühlte sich von einem Albdruck befreit. In diesem Moment glaubte er, alles Vorherige nur geträumt zu haben. Sie waren niemals dem Schlaf entzogen gewesen. Was für eine absurde Vorstellung auch.

Trotzdem – irgendetwas stimmte nicht.

Mit ihm.

Woher kamen die Halluzinationen, wie gelangte er hierher neben den Steuermann, ohne sich an die vergangenen Stunden – oder Tage – erinnern zu können?

»Schon gut. Wir sind da. Wir waren lange unterwegs, aber wir haben … Abadon gefunden …«

»Du klingst, als hättest du es gar nicht für möglich gehalten, dass wir Erfolg haben könnten. He, mach mir keine Angst. Du bist der Kapitän. Du bist mehr als das – lass die anderen bloß nicht hören –«

Ferenc brachte ihn mit einer brüsken Bewegung zum Schweigen. Dann zeigte er geradeaus. »Was ist das?« Während Jax hinschaute, hob Ferenc seine Stimme an. »Ausguck! Sichtung! Worum handelt es sich bei den dunklen Gebilden, die auf unserem Kurs liegen? Riffe?«

Der Ausguck schwieg.

Etwas Seltsames geschah. Ferenc sträubten sich die Haare seines Unterkörpers. Für eine nicht näher bestimmbare Zeitspanne schien alles in rasende Geschwindigkeit zu verfallen. Nur er selbst war wie erstarrt. Als der Eindruck schließlich von ihm abfiel, lagen sie nah bei einem Strand vor Anker. Und rings um das Schiff schaukelten seltsame Bauten auf den Meereswellen, keine Schiffe, regelrechte … Städte.

Es war gigantisch. Es war vollkommen fremd und bestürzend in seiner monumentalen Kraft.

Ferenc stieß einen Schrei aus.

Jax eilte herbei. »Was ist?«

Ferenc zeigte auf die Erscheinungen auf dem Wasser … und auch hin zum Land.

»Wann sind wir … angekommen? Und was sind das für Ungetüme?«

»Darüber sprachen wir doch schon lang und breit«, behauptete Jax. »Wir wissen nicht, was es ist. Jemand muss es gebaut haben. Du wolltest gerade ein Prisenkommando zusammenstellen. Ich hatte darum gebeten, dich begleiten zu dürfen, und du hast eingewilligt. Hast du es dir etwa anders überlegt?«

Ferenc war benommener als jemals zuvor in seinem Leben.

Litt er unter Fieber, hatte er sich eine Krankheit zugezogen?

»Jax … Wie sehe ich aus?«

»Du machst mir Spaß. Wie sehe ich denn aus? Wir tragen beide unsere Rüstungen. Darin sieht man aus, wie man eben aussieht. Ich war früher hübscher, wenn du mich fragst …«

Früher.

Ja.

Früher hätte Ferenc über eine solche Bemerkung des Freundes gelacht. Glaubte er zumindest. Doch jetzt …

»Irgendetwas stimmt hier nicht …« Sein Blick schweifte über Deck, hielt Ausschau nach dem Rest der Mannschaft. »Wo sind die anderen?«

»Dort!« Jax zeigte nach links.

Ferenc sah eine Gruppe von vier Gerüsteten.

Vorhin hatte er sie nicht gesehen.

»Und da …« Jax‘ Arm ging nach rechts.

Wieder mehrere Zusammenstehende.

Ferenc war fast sicher, sie eben nicht nur nicht bemerkt zu haben, sie waren nicht da gewesen!

Etwas Schwerwiegendes ging mit ihm vor. Er durfte seinen eigenen Sinnen, dem eigenen Verstand nicht mehr vorbehaltlos trauen.

Und auch Jax nicht.

»Was ist?«, fragte der vermeintliche Freund. »Wir sollten die hellen Stunden nutzen. Nach Einbruch der Dunkelheit könnte es riskant werden, sich in einem der Gebilde herumzutreiben …«

Ferenc betrachtete das nächstliegende Konstrukt erstmals genauer. Wenn Salmonen es erbaut hatten, mussten es Genies und begnadete Handwerker in einem gewesen sein.

Zwanzigmal größer als die SUCHER war ein jedes der Objekte. Sie schwammen in Küstennähe auf dem Meer, als wären es vorgelagerte Festungen, dazu gedacht, Abadon gegen ungebetene Besucher zu verteidigen.

Wie sie das machten, entzog sich Ferencs wissen, aber irgendwie setzte sich die Vorstellung, es mit Verteidigungsbastionen zu tun zu haben, in ihm fest.

»In Ordnung«, sagte er schließlich, als stünde er neben sich und höre sich selbst zu, wie er seine Entscheidung fällte, »setzen wir über. Wurde das Beiboot …«

Wuuuusch!

Wieder dieser aberwitzige Beschleunigung der Verhältnisse.

Den Rest des begonnenen Satzes vollendete Ferenc bereits auf der Schaluppe.

»… schon zu Wasser gelassen?«

Jax‘ mitleidiger Blick traf ihn bis ins Mark.

»Soll ich das Kommando übernehmen? Fühlst du dich nicht gut? Du zitterst ja … Schon seit unserer Ankunft benimmst du dich seltsam …«

»Danke, sehr selbstlos von dir, aber das schaffe ich schon.« Ferenc wusste nicht, woher der Sarkasmus auf seine Zunge drängte. Jax war sein Freund. Wenn nicht auf ihn, auf wen konnte er sich dann überhaupt noch verlassen.

»Wie du willst.«

Das Beiboot durchpflügte das Wasser. Ferenc scheute sich nicht, sich mit seinen Begleitern in die Riemen zu legen. Im Stehen, wie sie es gewohnt waren, ruderten sie an den kaiartigen Rand der »Stadt«, die nur eine von vielen war, die sich vor Abadons Küste drängten. Klar erkennbar liefen serpentinenartige Wege von der Anlegestelle in die höheren Regionen des komplett aus Holz gebauten Giganten.

Allein die schiere Menge des Rohstoffs, der hier verbaut worden war, nötige Ferenc bereits Respekt ab. Voller Bitterkeit erinnerte er sich, wie viel Aufwand nötig gewesen war, in ihrer Heimat auch nur genügend Holz für dieses eine Schiffe zusammenzubekommen. Im Grunde war die Beschaffung der Bretter sogar die größte Herausforderung beim Bau der SUCHER gewesen. Alles andere war vergleichsweise leicht gefallen, zumal sie auf alte Aufzeichnungen und Baupläne hatten zurückgreifen können.

Sehr alte.

Wieder einmal – wenn auch zu einem wenig passenden Zeitpunkt – wurde ihm bewusst, wie limitiert die Welt der Salmonen geworden war.

Ob sich der einmal eingeschlagene Weg wirklich je wieder in eine hoffnungsvollere Richtung »korrigieren« lassen würde?

Er wünschte, er hätte die Zweifel daran nicht gehabt. Und noch mehr wünschte er, sie nicht gerade jetzt verspüren zu müssen.

Das Boot ging längsseits. Jax sprang heraus und vertäute es an einem Pfosten, der offenbar genau dafür vorgesehen war.

Zu sechst schritten sie kurz darauf über die Bohlen, Ferenc an der Spitze. Ihre Rüstungen mussten sie für fremde Betrachter wie Abnormitäten erscheinen lassen, Dingen ähnlicher denn Geschöpfen aus Fleisch und Blut.

Ferenc war dennoch froh, sich für das Stahlbad als Vorbereitung auf die Fahrt ins Unbekannte entschieden zu haben; und froh, dass sich so viele dieser Prüfung mit ihm gestellt hatten.