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Die Ewige Schlacht von Lyrrhantar Band 1-6: Fantasy Sammelband von Alfred Bekker, Hendrik M. Bekker Über diesen Band: Dieses Buch enthält folgende Fantasy-Romane: Alfred Bekker: Ein Elbenkrieger auf der Drachenerde Hendrik M. Bekker: Norag und die Elbenmagierin Hendrik M. Bekker: Norag und der Gottkönig Hendrik M. Bekker: Norag und der Tod in Arakand Hendrik M. Bekker: Norag und der magische Hammer Hendrik M. Bekker: Der Zwerg und das magische Auge Abseits aller Welten und Zeiten, am Schnittpunkt der Dimensionen, erstreckt sich entlang der Küste des Zeitlosen Nebelmeeres die Ebene von Lyrrhantar. Dort treffen in einer Ewigen Schlacht vier Heere aufeinander. Es sind die Mächte des Chaos und der Ordnung, des Lichts und der Finsternis, deren Krieger in wechselnden Koalitionen gegeneinander antreten. Es kämpfen hier Menschen und Götter; Elben und Elfen, Orks und Zwerge, Halblinge und Riesen, Trolle und Gestaltwandler, Sterbliche und Unsterbliche, Tote und Untote, Magier und Zauberer, Helden und Schurken, Söldner und Glaubenskrieger. Sie kommen aus allen Zeiten und Welten. Manchmal bringen Schiffe sie an die Küste des Zeitlosen Nebelmeeres. Manchmal versetzt auch ein unbedachter Gedanke, die Magie eines Zauberspruchs oder die Macht eines Traums die Helden an diesen Ort und wirft sie mitten in das Kampfgetümmel hinein. Nicht immer ist es ihre eigene Entscheidung, auf welcher Seite sie stehen.
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Titel
Copyright
Ein-Elbenkrieger-auf-der-Drachenerde-Die-Ewige-Schlacht-von-Lyrrhantar-1 (1)
Norag und die Elbenmagierin (1)
Norag und der Gottkönig Die Ewige Schlacht von Lyrrhantar #3 (1)
Norag und der Tod in Arakand Die Ewige Schlacht von Lyrrhantar #4 (2)
Norag und der magische Hammer Die Ewige Schlacht von Lyrrhantar #5 (2)
Der Zwerg und das magische Auge Die Ewige Schlacht von Lyrrhantar #6 (1)
Über diesen Band:
Dieses Buch enthält folgende Fantasy-Romane:
Alfred Bekker: Ein Elbenkrieger auf der Drachenerde
Hendrik M. Bekker: Norag und die Elbenmagierin
Hendrik M. Bekker: Norag und der Gottkönig
Hendrik M. Bekker: Norag und der Tod in Arakand
Hendrik M. Bekker: Norag und der magische Hammer
Hendrik M. Bekker: Der Zwerg und das magische Auge
Abseits aller Welten und Zeiten, am Schnittpunkt der Dimensionen, erstreckt sich entlang der Küste des Zeitlosen Nebelmeeres die Ebene von Lyrrhantar.
Dort treffen in einer Ewigen Schlacht vier Heere aufeinander. Es sind die Mächte des Chaos und der Ordnung, des Lichts und der Finsternis, deren Krieger in wechselnden Koalitionen gegeneinander antreten. Es kämpfen hier Menschen und Götter; Elben und Elfen, Orks und Zwerge, Halblinge und Riesen, Trolle und Gestaltwandler, Sterbliche und Unsterbliche, Tote und Untote, Magier und Zauberer, Helden und Schurken, Söldner und Glaubenskrieger. Sie kommen aus allen Zeiten und Welten. Manchmal bringen Schiffe sie an die Küste des Zeitlosen Nebelmeeres. Manchmal versetzt auch ein unbedachter Gedanke, die Magie eines Zauberspruchs oder die Macht eines Traums die Helden an diesen Ort und wirft sie mitten in das Kampfgetümmel hinein. Nicht immer ist es ihre eigene Entscheidung, auf welcher Seite sie stehen.
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Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books, Alfred Bekker, Alfred Bekker präsentiert, Casssiopeia-XXX-press, Alfredbooks, Uksak Sonder-Edition, Cassiopeiapress Extra Edition, Cassiopeiapress/AlfredBooks und BEKKERpublishing sind Imprints von
Alfred Bekker
© Roman by Author /
© dieser Ausgabe 2020 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen in Arrangement mit der Edition Bärenklau, herausgegeben von Jörg Martin Munsonius.
Die ausgedachten Personen haben nichts mit tatsächlich lebenden Personen zu tun. Namensgleichheiten sind zufällig und nicht beabsichtigt.
Alle Rechte vorbehalten.
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Die Ewige Schlacht von Lyrrhantar #1
von Alfred Bekker
Fünf Monde und fünf Reiche hat die Welt Drachenerde. Auf ihr treffen sich der Elbenkrieger Branagorn, der Drachenreiter Liisho und ein seltsamer Magier namens Hermann von Schlichten, der sich mit Hilfe einer Drachenhaut selbst in einen Drachen zu verwandeln vermag.
Sie alle begegnen einem Heer des Schreckens, dass aus dem Nichts aufgetaucht zu sein scheint...
Alfred Bekker ist ein bekannter Autor von Fantasy-Romanen, SF, Krimis und Jugendbüchern.
Seine Romane um DAS REICH DER ELBEN, die DRACHENERDE SAGA, die HALBLINGE-Trilogie und die GORIAN-Bücher machten ihn einem großen Publikum bekannt. Er erfand die Fantasy-Buchserien ELBENKINDER, DIE WILDEN ORKS und ZWERGENKINDER.
Neben seinen großen Bucherfolgen schrieb er zahlreiche Romane für Spannungsserien wie Ren Dhark, Jerry Cotton, Cotton reloaded, Kommissar X, John Sinclair und Jessica Bannister. Er veröffentlichte auch unter den Namen Neal Chadwick, Henry Rohmer, Conny Walden, Sidney Gardner, Jonas Herlin, Adrian Leschek, John Devlin, Brian Carisi, Robert Gruber und Janet Farell.
Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books, Alfred Bekker, Alfred Bekker präsentiert, Casssiopeia-XXX-press, Alfredbooks, Uksak Sonder-Edition, Cassiopeiapress Extra Edition, Cassiopeiapress/AlfredBooks und BEKKERpublishing sind Imprints von
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© Roman by Author /COVER DIETER ROTTERMUND
© Serienkonzept Fantasy-Serie „Lyrranthar“ Alfred Bekker
© dieser Ausgabe 2019 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen in Arrangement mit der Edition Bärenklau, herausgegeben von Jörg Martin Munsonius.
Die ausgedachten Personen haben nichts mit tatsächlich lebenden Personen zu tun. Namensgleichheiten sind zufällig und nicht beabsichtigt.
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Abseits aller Welten und Zeiten, am Schnittpunkt der Dimensionen, erstreckt sich entlang der Küste des Zeitlosen Nebelmeeres die Ebene von Lyrrhantar.
Dort treffen in einer Ewigen Schlacht vier Heere aufeinander. Es sind die Mächte des Chaos und der Ordnung, des Lichts und der Finsternis, deren Krieger in wechselnden Koalitionen gegeneinander antreten. Es kämpfen hier Menschen und Götter; Elben und Elfen, Orks und Zwerge, Halblinge und Riesen, Trolle und Gestaltwandler, Sterbliche und Unsterbliche, Tote und Untote, Magier und Zauberer, Helden und Schurken, Söldner und Glaubenskrieger. Sie kommen aus allen Zeiten und Welten. Manchmal bringen Schiffe sie an die Küste des Zeitlosen Nebelmeeres. Manchmal versetzt auch ein unbedachter Gedanke, die Magie eines Zauberspruchs oder die Macht eines Traums die Helden an diesen Ort und wirft sie mitten in das Kampfgetümmel hinein. Nicht immer ist es ihre eigene Entscheidung, auf welcher Seite sie stehen.
Aber da diese Schlacht am Schnittpunkt aller Dimensionen geschlagen wird, ist das Schicksal aller Welten und Zeiten mit ihr untrennbar verknüpft. Und hin und wieder materialisieren Kämpfer aller Seiten in diesen Welten, sodass ein Teil der Ewigen Schlacht dort geschlagen wird. Es heißt, dass manche der Kämpfer und Kriegsherren absichtlich ihren jeweiligen Kampf in einer anderen Welt ausfechten, weil sie sich einen Vorteil versprechen. In jeder Welt unterscheiden sich die Gesetze der Magie nämlich voneinander. Und ein Gegner, der in der einen Existenzebene stark und unbesiegbar erscheint, ist in einer anderen vielleicht schwach und verletzlich.
Auf einem erhabenen Felsen, umspült von der Meeresbrandung, thront Feolorn, der Herr des Gleichgewichts, in seiner Festung und beobachtet den Fortgang der Schlacht. Man sagt, dass seine Magie den Geist eines Kriegers so zu beeinflussen vermag, dass er im Kampf die Seite wechselt. Nicht einmal Blaakon und Arodnap, die Götter von Ordnung und Chaos, oder Ahyr und Taykor, die Götter von Licht und Finsternis, konnten Feolorns Einflüsterungen widerstehen. Ein Gedanke von ihm reicht aus, um diese Götter mitsamt ihrem jeweiligen Heer die Seite wechseln zu lassen. Und manchmal erlaubt sich Feolorn einen grausamen Scherz, indem er zum Beispiel den Gott der Ordnung für einige Zeit die Heere des Chaos anführen lässt oder den Herrn der Finsternis für eine Weile die Mächte des Lichts.
Feolorn zur Seite stehen der Graue Luun und die Lady der Empfindsamkeit. Es heißt, Ersterer würde sich mit Vorliebe in das Schicksal der Menschen einmischen und Letztere würde auf magische Weise Kraft aus den Leiden der Krieger ziehen.
Die Schlacht am Schnittpunkt aller Welten, aller Zeitlinien und aller Dimensionen wird allenfalls einen vorläufigen Sieger kennen …
Denn dieser Krieg ist ewig.
(Die Chronik von Lyrrhantar)
*
Einst segelten die unsterblichen Elben von ihrer alten Heimat Athranor aus los, um die Gestade der Erfüllten Hoffnung zu finden. Ihre Schiffe gerieten in das Zeitlose Nebelmeer, in dem sie für Äonen umherirrten. Als sie schließlich doch noch eine Küste erreichten, war dies nur ein Zwischenland, aber nicht ihr eigentliches Ziel. Die Gestade der Erfüllten Hoffnung erreichten die Elben nie. Stattdessen gründeten sie im Zwischenland ihr neues Reich Elbiana.
Auf dieser Seereise wurde Branagorn geboren.
Auf der Suche nach der Seele seiner verlorenen Liebe Cherenwen, die dem unter dem Elbenvolk grassierenden Lebensüberdruss erlegen war, unternahm Branagorn magische Experimente, die ihn in fremde Welten schleuderten.
Eine dieser Welten war die Drachenerde mit ihren fünf Monden und den fünf Reichen.
Branagorn blickte auf. Der Elbenkrieger schlug die Kapuze seines Gewandes zurück, sodass die spitz zulaufenden und für einen Elben geradezu typischen Ohren deutlich sichtbar wurden.
Da ist etwas!, ging es ihm durch den Kopf. Er hätte im ersten Augenblick gar nicht genau sagen können, welcher seiner überaus feinen Sinne es genau war, der ihn jetzt alarmiert hatte.
Jedenfalls wusste er, dass ein Drache im Anflug war – und das schon lange, bevor er hinter dem Horizont hervortauchen würde.
Dabei waren Drachen auf dieser Welt nun wirklich alles andere als etwas Besonderes.
Branagorn hob den Kopf. Er versuchte, seine feinen Elbensinne noch mehr zu konzentrieren.
Vielleicht war es der magische Sinn der Elben gewesen, der ihn zuerst auf den herannahenden Drachen aufmerksam gemacht hatte. Oder besser: auf diesen speziellen Drachen, denn in der Gegend um die Kathedrale von Kenda gab es wahrscheinlich Tausende von Drachen: Flugdrachen, Laufdrachen, Transportdrachen und Kriegsdrachen.
Aber Drachen waren mindestens so individuell wie Menschen, wusste Branagorn. Vielleicht nicht ganz so individuell wie Elben, aber doch jeweils einzigartig genug, um sie schon aus meilenweiter Entfernung allein anhand ihrer Geräusche unterscheiden zu können. Das Zischen ihrer Feuerglut, der Schlag ihrer lederhäutigen Flügel, der Schlag ihrer Herzen, das Rauschen ihres Blutes in ihren Adern und ja, auch das machte sie unverwechselbar: Die lauten Geräusche, die beim Verdauen ihrer Nahrung in ihren Mägen und Gedärmen entstanden.
Ein verhaltenes Lächeln war jetzt im Gesicht des Elbenkriegers zu sehen.
Das ist Ayyaam!, erkannte er. Der Drache des Weisen Liisho.
Schließlich tauchte etwas auf.
Ein Mensch oder irgendein anderes Geschöpf hätte dort noch lange nichts sehen können. Und wenn, dann vielleicht nur einen dunklen Fleck, der in der Ferne auftauchte.
Der Drache kam jetzt näher.
Mit majestätisch wirkenden Flügelschlägen bewegte sich das urtümliche Geschöpf vorwärts. Einst waren die Drachen die Herren dieser Welt gegeben. Und nach ihnen hatte man die Drachenerde schließlich auch benannt. Dann war das Volk der Magier durch die Weltentore gekommen und hatte die Drachen unterworfen. Später erst erschienen die Menschen auf dieser Welt. Ein Magier namens Barajan hatte sich in eine Menschenfrau verliebt. Er entriss den Magiern die Gewalt über die Drachen, bündelte die Macht über sie in drei Drachenringen und wurde der erste Drachenkaiser. Seine Drachenringe verhinderten, dass die Drachen sich gegen ihre neuen, magisch unbegabten Herren erhoben.
So zumindest behaupteten es die Legenden, die auf der Drachenerde erzählt wurden.
Und während seines mittlerweile schon viele Generationen und Epochen überdauernden Aufenthaltes auf der Drachenerde, hatte Branagorn viele dieser Legenden kennengelernt. Es gab durchaus unterschiedliche Versionen der Geschichte, aber die Kernelemente waren in all diesen Erzählungen stets dieselben.
Der Drache landete ganz in der Nähe.
Sein Reiter stieg ab und steckte dabei den metallenen Drachenstab, mit dessen Hilfe er den Drachen lenkte, hinter den Gürtel. In Wahrheit war dieser Stab nur ein Hilfsmittel, um geistige Kräfte zu konzentrieren, wusste Branagorn. Auch wenn es über die Herkunft solcher geistigen Kräfte wiederum unterschiedliche Theorien gab. Die edlen Drachenreiter-Samurai zum Beispiel, die das Kaiserreich vor seinen Feinden schützten, pflegten zu behaupten, dass ihre besondere Begabung daher rührte, dass in ihnen das Blut des Magiers Barajan floss.
Aber das war Unsinn.
Schon die Anzahl der Drachen, die im Reich des Drachenkaisers gelenkt werden mussten, war ungeheuer hoch. Und über all die Äonen hinweg konnte sich das Blut Barajans und seiner Nachkommen unmöglich dermaßen unter der menschlichen Bevölkerung verbreitet haben, dass dieser Faktor irgendeine Rolle spielen konnte. Um das anzuzweifeln, brauchte man weder Elbenmagie noch seherische Fähigkeiten. Einigermaßen rechnen zu können, reichte vollkommen aus. Und so war Branagorn irgendwann zu dem Schluss gelangt, dass eigentlich jeder halbwegs begabte Krämer oder Kaufmann diese Geschichte als Lüge hätte entlarven können. Dass das nicht geschah, musste jedoch einen Grund haben. Und dieser Grund war, wie Branagorn während seines Aufenthaltes in dieser Welt erstaunt festgestellt hatte, dass man die Wahrheit vielleicht gar nicht wissen wollte. Der Grund war, dass die Bewohner des Drachenlandes die Geschichte gerne glauben wollten, dass sich das Blut jenes Magiers mit dem ihren so sehr vermischt hatte, dass dessen Fähigkeiten zumindest zum Teil auch auch auf sie übergegangen waren.
Das ließ sie erstens auf andere, später in diese Welt gelangte Menschenvölker wie die Bewohner des Seereichs oder die Menschen des Luftreichs Tajima herabblicken. Es gab ihnen einen Grund, sich überlegen zu fühlen. Und es beruhigte vielleicht auch das Unbehagen darüber, dass sich die Drachen vielleicht doch eines Tages gegen ihre Herrschaft zu erheben vermochten. Zumal dann, wenn die Drachenringe des Kaisers abhanden kamen …
“Seid gegrüßt, Branagorn”, sagte der Weise Liisho.
“Ich freue mich über Euren Besuch”, gab Branagorn zurück. “Und ich darf Euch daran erinnern, dass Ihr nicht so zu schreien braucht.“
“Schreien?”, echote Liisho stirnrunzelnd.
“Es reicht, wenn Ihr auch aus größerer Entfernung leise sprecht, denn ich gehöre einem Volk mit empfindlichen Ohren an.”
“Das vergaß ich wohl”, erklärte Liisho. “Es ist schließlich schon eine ganze Weile her, dass ich Euch das letzte Mal besucht habe.”
“Eine ganze Weile?”
“Vor einem Jahr war ich zuletzt hier, da mich meine Pflichten am Hof des Kaisers davon abgehalten haben, unserer gemeinsamen Sache nachzukommen.”
“Mir kommt es vor, als würdet Ihr mich alle paar Augenblicke besuchen, sodass man in der Zwischenzeit kaum einen Gedanken vollständig zu Ende fassen kann”, sagte Branagorn. “Aber mir scheint mein Empfinden für Zeit etwas unterschiedlich von dem Euren zu sein …“
“Kein Wunder. Elben sind unsterblich, wie du gesagt hast.”
“Das ist richtig.”
“Und was unsere gemeinsame Sache betrifft …”
“Du meinst, das Geheimnis der Reise zu anderen Welten …”
“Das Geheimnis der Portale.”
“Was nicht identisch sein muss, werter Weiser Liisho!”
“Ein Portal ist letztlich etwas Ähnliches wie mein Drachenstab”, gab Liisho zu bedenken. “Artefakte, die Kräfte konzentrieren. Die Kräfte selbst sind auch ohne Artefakt vorhanden. Es ist nur die Frage, inwiefern jemand in der Lage ist, diese Kräfte ausreichend zu bündeln.”
“Sehr richtig”, bestätigte Branagorn. “Anscheinend tragt Ihr Euren Beinamen >der Weise< mittlerweile zurecht und habt in der kurzen Zeit Eurer Abwesenheit Entscheidendes dazugelernt”, fügte Branagorn dann noch mit leisem Spott hinzu.
Liisho war in dieser Hinsicht nicht empfindlich. Zumindest, soweit Branagorn ihn inzwischen kennengelernt hatte, was bei Wesen von so kurzer Lebensspanne, wie den Menschen nun mal eigen war, immer etwas schwierig zu sagen war.
Bei Drachen war das etwas anderes.
Die konnten zum Teil sehr alt werden.
Dass der Weise Liisho bei seinen Besuchen ihn mitunter in einer unangemessen vertrauten Anredeform ansprach, nahm Branagorn ihm inzwischen nicht mehr übel. Er hatte sich dazu entschlossen, sich in dieser Hinsicht weitgehend den Gepflogenheiten dieser Welt und ihrer sterblichen Wesen anzupassen. Etwas anderes war auch gar nicht sinnvoll, wie er schließlich nach langem Nachdenken akzeptiert hatte. Bisweilen wechselte er inzwischen sogar selbst in die vertraute Anredeform, obwohl ihm das früher eigenartig vorgekommen wäre, zumal er Liisho erst ein paar Jahrzehnte kannte.
Also aus Branagorns Sicht nur flüchtig.
“Ich brauche deine Hilfe, Branagorn”, sagte Liisho.
“Wie du weißt, bin ich immer hilfsbereit gewesen”, antwortete Branagorn.
“Ich werde dir alles weitere erklären, sobald wir unterwegs sind.”
“Unterwegs?”
“Wir fliegen mit Ayyaam nach Vayakor.”
“Ich würde es bevorzugen, auf eigenen Füßen zu gehen.”
“Dafür haben wir keine Zeit, werter Branagorn. Denn es besteht eine Notlage. Und Ihr steht ja in gewisser Weise in der Schuld des Kaisers.”
“Ich war immer davon ausgegangen, dass es umgekehrt ist”, entgegnete Branagorn.
Branagorn folgte Liisho zu dem Drachen Ayyaam, der schon ungeduldig zu warten schien. Die Ungeduld war nicht zu übersehen. Vor allem nicht zu überhören, denn Branagorn nahm sehr wohl den beschleunigten Blutfluss und Herzschlag des gigantischen Flugdrachens wahr. Liisho beherrschte dieses Geschöpf letztlich mit der Kraft seiner Gedanken. Und so war es sehr wahrscheinlich, dass der Drache genug von den Gedanken seines Reiters mitbekommen hatte, um zu wissen, dass ein längerer Flug bevorstand.
Behände kletterte Liisho auf den Rücken des Drachen, der bereits die Flügel anzuheben begann.
Branagorn bemühte sich ebenfalls auf den Rücken des riesenhaften Geschöpfes. In den Vertiefungen zwischen den Schuppen des Drachen konnte man sich gut festhalten oder einen Tritt finden, so ähnlich, als wenn man einen Berg erklomm.
Außerdem umspannten Riemen den Körper des Drachen, an denen man sich festhalten konnte und die außerdem dazu dienten, eventuell vorhandenes Gepäck zu befestigen.
Liisho hatte unterdessen hinter dem Nacken des Drachen Platz genommen.
Dort, wo ein Drachenreiter zu sitzen pflegte.
Er stieß den Drachenstab in eine besondere Vertiefung zwischen den Schuppen und umfasste ihn. “Los, Ayyaam! Bring uns nach Vayakor!”, rief er.
Er hätte es nicht zu sagen brauchen.
Ein intensiver Gedanke hätte ausgereicht, um den Drachen das tun zu lassen, was sein Reiter wollte.
Branagorn hatte inzwischen auch einen Platz gefunden. Sein Elbenschwert, das er bisher an der Seite getragen hatte, gürtete er jetzt über den Rücken, weil es so praktischer war.
Der Drache Ayyaam erhob sich mit mächtigen Flügelschlägen. Ein durchdringendes Fauchen entrang sich dem Maul, einhergehend mit einem veritablen Feuerstoß.
Der empfindsame Elb Branagorn verzog das Gesicht.
Er mochte keine übermäßig laute Geschöpfe. Und auch der Schwefelgeruch, der aus dem Drachenmaul drang, als die Flammen hervorschnellten, war eine Qual für seine empfindlichen Elbensinne.
Aber an so etwas musste man sich gewöhnen, wenn man in einer Welt wie dieser überleben wollte.
Und da es Branagorn nun schon über viele Menschenalter hinweg nicht gelungen war, die Drachenerde wieder zu verlassen und seine Suche nach der Seele seiner verlorenen Liebe Cherenwen anderswo fortzusetzen, hatte er kaum eine andere Wahl, als sich mit den Unbilden, die es hier zu ertragen gab, zu arrangieren.
Krach und unangenehme Gerüche waren da wohl noch am wenigsten ins Gewicht fallende Begleitumstände.
Der Drache Ayyaam flog einen Bogen über die gewaltige Kathedrale von Kenda, das wichtigste Heiligtum der Kirche des Namenlosen Gottes im gesamten Reich von Drachenia. Es gab dort eine hervorragende Bibliothek, in der Branagorn in den vergangenen Jahrzehnten viel Zeit verbracht hatte. Ein Vorfahre des jetzigen Kaisers Kojin I. hatte Branagorn vor langer Zeit um Hilfe gebeten. Branagorn hatte den Kaiserpalast in Drakor von einer dämonenähnlichen Pest gereinigt, die als Vergessene Schatten bekannt waren.
Für Branagorn war das kein Problem gewesen. Selbst mit seiner bescheidenen magischen Kraft hatte er diese zwar unangenehmen, aber seiner Einschätzung nach nicht wirklich gefährlichen Geistererscheinungen ohne Schwierigkeiten vertreiben können.
Der Kaiser, der seinerzeit regiert hatte, war darüber sehr froh gewesen. Und der damalige Kaiser hatte seine Dankbarkeit gezeigt, indem er Branagorn das Recht gewährte, so oft er wollte die Bibliothek der Zitadelle von Kenda zu besuchen, deren Schriften ansonsten den dortigen Mönchen vorbehalten waren.
Ungezählte Stunden hatte Branagorn in den folgenden Epochen damit verbracht, die Schriften zu lesen, die dort gesammelt worden waren.
Dem Geheimnis der Weltentore war Branagorn dadurch in all der Zeit allerdings nicht wesentlich näher gekommen.
Dass die Bewohner der Drachenerde an diesem Geheimnis nur mäßig interessiert zu sein schienen, hatte Branagorn zu Anfang gewundert. Inzwischen hatte er dies einfach als Tatsache akzeptiert, auch wenn es ihm seltsam erschien, dass all die Geschöpfe, die hier lebten, einst durch die Weltentore hierhergelangt waren und es sie gleichzeitig nicht stärker interessierte, wie sie funktionierten und ob man sie in Zukunft nicht wieder in Betrieb nehmen konnte.
Dann war eines Tages der Weise Liisho bei ihm aufgetaucht.
Er hatte eine hohe Stellung am Hof des Kaisers. Offenbar war er dort so etwas wie ein geschätzter Berater. Und sein Wissen schien das aller anderen Bewohner der Drachenerde, die Branagorn bisher kennengelernt hatte, bei weitem zu übertreffen. Das galt sogar für die Mönche, die in der Zitadelle von Kenda lebten und die dortige Kathedrale bewachten. Mit einigen von ihnen hatte Branagorn zumindest einigermaßen anregende Gespräche führen können, was bei derart kurzlebigen Wesen ohnehin selten zu erwarten war, da ihnen ja gar nicht genug Lebenszeit blieb, um so viel Weisheit anzusammeln, dass eine Unterhaltung mit ihnen lohnend sein konnte.
Der Weise Liisho hatte von Branagorn in den kaiserlichen Aufzeichnungen des Hofes erfahren. Branagorn selbst war der Beweis für die geglückte Reise von einer Welt in die andere. Aus welchem Grund sich Liisho dafür interessierte, hatte Branagorn nie wirklich verstanden. Die Beweggründe des Weisen Drachenreiters interessierten ihn auch nicht weiter. Wer ein kurzes Leben hatte, dem standen nur wenige Jahre zur Verfügung, um Erkenntnisse zu sammeln. Und insofern konnte er nachvollziehen, dass ein Mensch unter diesen Umständen auch bereit war, für ihn nutzloses Wissen anzuhäufen. Nur, um nicht am Ende etwas versäumt zu haben, was sich vielleicht doch noch als nützlich herausstellen mochte!
Für Branagorn war nur wichtig gewesen, dass er mit dem Weisen Liisho jemanden getroffen hatte, der das Interesse an der Funktionsweise der alten Tore und der Möglichkeit einer Reise zu anderen Welten und Existenzebenen teilte.
Denn dieses Interesse schien insgesamt äußerst selten zu sein, wie Branagorn glaubte.
Ob Liisho allerdings in der Lage sein würde, Branagorn tatsächlich irgendwann dabei zu helfen, die Drachenerde zu verlassen und der Seele seiner geliebten Cherenwen zu folgen, da hatte der Elbenkrieger inzwischen durchaus seine Zweifel.
Jedenfalls war er zu Anfang ihrer Bekanntschaft in dieser Hinsicht optimistischer gewesen.
Vielleicht war allerdings auch Liishos Enthusiasmus, was diese Sache betraf, damals größer gewesen. Und wieder schien die geringe Zeitspanne eine Rolle zu spielen, die den Menschen in dieser wie in anderen Welten blieb, um zu erreichen, was sie sich vorgenommen hatten. Branagorn hatte nämlich festgestellt, dass zunehmendes Alter sich oft negativ darauf auswirkte, wie intensiv und hartnäckig ein Ziel verfolgt wurde. Viele schienen irgendwann einfach aufzugeben oder den Sinn in Frage zu stellen.
Ein Phänomen, das es auch unter den Elben gab.
Die Geisteskrankheit des Lebensüberdrusses war davon nur ein möglicher Ausdruck. Ein Zustand, in dem so viele Elben den Sinn ihrer nicht enden wollenden Existenz in Frage gestellt hatten und keinen anderen Ausweg sahen, als sie zu beenden, indem sie sich in das Zeitlose Nebelmeer stürzten oder anderweitig ihrer unsterblichen Existenz ein sterbliches Ende bescherten.
“Jetzt sagt mir, worum es geht, Weiser Liisho!”, verlangte Branagorn, während sie Richtung Westen flogen.
Der Drachenreiter lachte kurz auf.
“Ihr verwendet wieder die förmliche Anrede!”
“Dazu neige ich, Liisho!”
“Manche empfinden es als Beleidigung, wenn man die förmliche Anrede wieder einführt, nachdem man sie einmal aufgegeben hat!”
“Eine Ansicht, die ich nachvollziehen kann. Davon abgesehen, solltet Ihr bedenken, dass Eure Sprache nicht meine Muttersprache ist und ich vielleicht etwas unsicher in den Feinheiten bleiben werde!”
“Das ist Unsinn, Branagorn.”
“So?”
“Es ist deshalb Unsinn, weil du meine Sprache länger sprichst, als ich es tue, Elbenkrieger!”
“Nun, aber ich pflege nicht mit vielen Menschen zu reden.”
“Ihr habt mit mehr Kaisern gesprochen als irgendein Mensch. Und wenn man alle Menschen zusammenzählt, mit denen du je ein Wort gesprochen hast, seit du die Drachenerde zum ersten Mal betreten hast, dann sind das mutmaßlich mehr Personen, als es selbst bei einem hundertjährigen Greis meines Volkes der Fall sein kann.”
“Ihr scheint über magische Erkenntnisquellen zu verfügen, die mir nicht zur Verfügung stehen, Weiser Liisho!”
“Diese magische Erkenntnisquelle nennt man Mathematik und jeder Händler auf den Basaren in Drakor, Kenda oder Vayakor verfügt auch darüber, weil er sonst in kurzer Zeit pleiteginge!”
“Irgendwie habe ich den Eindruck, dass du meiner Frage ausweichst, Liisho!”
“Sehr schön, du redest mich wieder an, wie es einer vertrauten Person gebührt!”
“Was hat das damit zu tun?”
“Was ich dir sage, setzt Vertrauen voraus. Und wenn ich an dem Vertrauen zu dir zweifeln muss, dann muss ich mir überlegen, ob ich über die Dinge, um die es jetzt geht, überhaupt mit dir reden kann. Du verstehst mich, Branagorn?”
“Möglicherweise sind deine Gedankengänge für einen einfachen Geist wie den meinen einfach zu kompliziert”, meinte Branagorn.
“Möglicherweise machst du dich gerade über mich lustig, Branagorn.”
Es dauerte noch eine Weile, bis Liisho schließlich auf den Grund der plötzlichen Drachenreise, zu der er zusammen mit Branagorn aufgebrochen war, zu sprechen kam..
“In der Nähe von Vayakor sind eigenartige Beobachtungen gemacht worden”, sagte Liisho. “Beobachtungen, die darauf schließen lassen, dass Wesen andere Welten die Grenze zwischen den Existenz-Ebenen überschritten haben.”
“Ohne ein Tor?”, vergewisserte sich Branagorn.
Liisho nickte.
“Ohne ein Tor”, bestätigte er. “Zumindest ist bis zum heutigen Tage kein Tor in der Nähe von Vayakor bekannt.”
“Was nicht zwangsläufig heißen muss, dass es nicht existiert.”
“Da gebe ich dir recht.”
Branagorn sagte: “Es könnte unter Erdformationen verborgen sein. Mit der Oberflächengestalt dieser Welt wird es sich nicht anders verhalten, als es anderswo der Fall ist. Und das bedeutet, dass die Gestalt eines Landes in der Landschaft eines Kontinents in einem steten Wandel begriffen ist. Die Götter und die Kräfte der Natur formen Landschaften immer wieder aufs Neue.“
“Oder es gibt noch andere Übergänge von einer Welt zu anderen!”
“Daran würde ich niemals zweifeln, Liisho!”
“Wahrscheinlich verhält es sich mit den sogenannten Toren ähnlich wie mit meinem Drachenstab oder anderen magischen Artefakten. Sie bündeln Kräfte, die auch sonst wirksam wären.”
“Du sprachst davon, dass es Anzeichen dafür gäbe, dass bisher unbekannte Übergänge zu anderen Welten existieren”, sagte Branagorn.
Liisho ließ den Drachen etwas höher steigen. Er tat dies beinahe ruckartig, sodass Branagorn sich genötigt sah, sich an den Leibriemen des Drachen Ayyaam festzuhalten. Die Selbstheilungskräfte eines Elben waren zwar deutlich stärker, als es bei Menschen und fast allen anderen Geschöpfen der Fall war, aber Branagorn zweifelte doch sehr daran, dass er einen Sturz aus dieser Höhe hätte überleben können.
“Du wirst ungeduldig, Elb?”, rief Liisho spöttisch.
“Was heißt hier ungeduldig?”
“Ein paar Augenblicke nur lasse ich dich auf eine Antwort warten und du kannst es offenbar kaum ertragen! Bei einem Geschöpf, das so viel Lebenszeit zur Verfügung hat und das sich manchmal für die einfachsten Entscheidungen eine Woche oder ein Jahr Zeit zu nehmen pflegt, ist das durchaus ungewöhnlich!”
“Nicht weniger ungewöhnlich, als wenn sich jemand wie du, der kaum einen vollendeten Augenblick lang gelebt hat, denkt, er müsste sich schon >der Weise Liisho< nennen.”
“So ist Weisheit deiner Meinung nach an das Lebensalter gebunden?” Liisho zuckte mit den Schultern. “Du scheinst nicht in Betracht zu ziehen, dass das ein Irrtum sein könnte!”
“Ein Säugling, der sich >der Weise< nennt – worauf habe ich mich da nur eingelassen.”
“Ach, Branagorn!”
“Bis ich dir deinen Irrtum erklärt habe, bist du längst tot, Liisho. Deswegen werde ich darauf verzichten.”
“Zu gütig, Branagorn! Zu gütig.”
“Du wolltest mir noch Näheres von den seltsamen Beobachtungen berichten, die in der Nähe von Vayakor gemacht wurden”, erinnerte Branagorn seinen Reisegefährten. “Oder sollte es sich am Ende gar nur um vage Gerüchte handeln, deretwegen ich mich zu diesem Drachenflug habe überreden lassen.”
“Ich gebe zu, das meiste sind womöglich nur Gerüchte”, gab Liisho zu. “Aber einige dieser Berichte sind durchaus glaubwürdig. Ebenso wie die Zeugen. Es sind kaiserliche Drachenreiter-Samurai darunter, die gesehen haben, wie plötzlich Scharen von Geschöpfen aus dem Nichts auftauchten. So, als würden sie durch ein …”
“... unsichtbares Tor aus einer anderen Welt treten?”, fragte Branagorn.
“Ganz genau. Es waren Geschöpfe darunter, die auf dieser Welt unbekannt sind.”
“Was für Geschöpfe?”
“Vielbeinige Monstren, die Streitwagen gezogen haben. Gewaltige Vögel, auf denen Reiter saßen, wie sie bei uns auf den Rücken von Drachen sitzen. Und manche dieser Vögel trugen Gondeln – wie unsere Gondeldrachen. Gondeln, von denen aus mit Katapulten geschossen wurde. Einige Drachenreiter-Samurai wurden in der Ebene vor Vayakor in Gefechte mit diesen Geschöpfen und ihren Herren verwickelt.”
“Sind diese … Geschöpfe … wieder in ihre Ursprungswelt entschwunden oder befinden sie sich weiterhin in der Nähe von Vayakor?”, verlangte Branagorn zu wissen.
“Genau das scheint nicht klar zu sein. Die Berichte sind widersprüchlich.”
“So ist beides möglich?”
“Ja.”
“Und es wäre auch möglich, dass es sich nur um einen einmaligen, vorübergehenden Übertritt von Geschöpfen aus einer anderen Existenzebene oder Welt handelt, der sich nicht wiederholen und auch keinerlei Spuren hinterlassen wird?”
“Ja, das ist nicht ausgeschlossen.”
“So will ich hoffen, dass wir uns nicht umsonst aufgemacht haben.”
“Es gibt keinen Anhaltspunkt dafür, dass dies der Fall ist, Branagorn.”
“Ach nein?”
“Was einmal geschah, kann wieder geschehen.”
“Du sagst das, als würde es sich um ein Naturgesetz handeln.”
“Es ist ein Naturgesetz.”
“Es ist vielleicht ein Irrtum deinerseits”, widersprach Branagorn.
“Schauen wir uns einfach um, sprechen wir mit denen, die etwas gesehen haben, und dann sehen wir weiter”, sagte Liisho. “Jedenfalls könnten wir dadurch zu Erkenntnissen gelangen, die uns auch im Hinblick auf das Rätsel der Funktionsweise der Weltentore weiterbringen.”
“Nun, das will ich nicht ganz abstreiten”, gab Branagorn zu.
“Schön, dass wir in dieser Hinsicht einer Meinung sind.”
“Einer Meinung? Das wäre jetzt reichlich übertrieben. Ich gestehe zu, dass deine Meinung nicht völlig unbegründet zu sein scheint und es so zumindest die vage Möglichkeit gibt, dass du recht hast, Liisho.”
“Falls das der Fall sein sollte, musst du mir eins versprechen, Branagorn.”
Branagorn hob die Augenbrauen über seinen schräggestellten Elbenaugen. “Was?”, fragte er.
“Ich will, dass du in diesem Fall anerkennst, dass ich die Bezeichnung >der Weise< zu Recht trage”, verlangte Liisho.
“Jemand, der so eitel ist wie du, ist noch weit davon entfernt, wahrhaft weise zu werden”, entgegnete Branagorn.
Eine ganze Weile flogen Branagorn und Liisho auf dem Rücken des Drachen Ayyaam dahin. Als die Dämmerung bereits hereinbrach und nach und nach die fünf Monde der Drachenerde aufgingen, erreichten sie ein Gebirge. Wie eine Perlenkette standen da schon die fünf verschiedenfarbigen Monde am Himmel: Der rote Blutmond, der blaue Meermond, der grüne Jademond, der sandfarbene Augenmond, dessen Name von den zwei dunklen Flecken herrührte, die auf seiner Oberfläche zu erkennen waren und für den Betrachter wie Augen wirkten. Und zuletzt war da der weiße Schneemond, von dem es hieß, dass er mit der Zeit immer größer und größer erscheinen und schließlich auf die Oberfläche der Drachenerde stürzen würde.
Irgendwann in der Zukunft sollte dies geschehen.
In einer Zeit, von der wohl jeder Mensch annahm, dass sie nicht mehr zu seinen Lebzeiten sein würde.
Branagorn hingegen war sich der Tatsache bewusst, dass ihn dieses Ereignis in jedem Fall betreffen würde, wenn er es nicht schaffte, diese Welt vorher zu verlassen.
Also hatte er Berechnungen angestellt und versucht mit den Mitteln der Magie und des Geistes herauszufinden, wann dieses prophezeite Ereignis möglicherweise stattfinden mochte.
Seine Erkenntnisse waren beunruhigend.
Nicht nur beunruhigend für ihn, denn es bestand der begründete Verdacht, dass er vielleicht sehr viel weniger Zeit hatte, um diese Welt zu verlassen, als er ursprünglich dachte. Auch so mancher, der vielleicht insgeheim davon ausging, dass dieses Ereignis weder ihn selbst noch seine Kinder und Enkel betreffen würde, irrte sich vielleicht gravierend.
Allerdings gab es da ein paar Unsicherheitsfaktoren. Und davon abgesehen war die Berechnung der Zukunft nicht gerade die stärkste Disziplin innerhalb der ohnehin immer schwächer werdenden Magie der Elben.
Jedenfalls wurde es auf der Drachenerde auch in der Nacht nie wirklich dunkel.
Das Licht der fünf Monde sorgte dafür, dass es selbst in tiefster Nacht immer einen hellen Schimmer gab, der die Dunkelheit erhellte. Nur sehr selten schaffte es die Wolkendecke einmal, eine so undurchlässige und dichte Schicht zu bilden, dass Finsternis hereinbrach. Vollkommene Finsternis, wie Branagorn sie aus den Nächten jener anderen Welt kannte, aus der er gekommen war und in der die Elben ihre große Seereise von Athranor ins Zwischenland unternommen hatten.
Für eine lange Zeit hatte Branagorn während des Drachenfluges geschwiegen.
Liisho hingegen hatte immer wieder versucht, den Elben in ein Gespräch zu verwickeln. Aber Branagorn war in eine Art innerer Versenkung verfallen.
Er nannte dies >im Reich des Geistes entschwunden sein<.
Allerdings wusste Branagorn, dass man es mit dem Entschwinden ins Reich des Geistes nicht übertreiben durfte. Etwa so wie der Elbenmagier Andir, der irgendwann völlig im Reich des Geistes verschwunden war und von dem niemand wusste, ob und wenn ja, wann er je wieder zurückkehren würde.
Aber Branagorn glaubte nicht, dass er in dieser Hinsicht in Gefahr war.
Dazu waren seine magischen und geistigen Kräfte einfach nicht ausreichend genug, wie er sehr wohl realistisch einzuschätzen vermochte. Mit einem Magier wie dem besagten Andir hätte er sich nicht messen können. Und das war ihm sehr wohl bewusst.
Liisho holte sich zwischendurch etwas zu Essen aus den Taschen, die an den Riemen festgeschnallt waren, die den Drachenkörper Ayyaams umfassten.
“Willst du auch etwas?”, fragte Liisho an Branagorn gerichtet.
Aber der Elb gab ihm keine Antwort.
Und keine Antwort war in diesem Fall wohl Antwort genug.
Dass Elben mitunter sehr lange Zeit ohne Nahrung auskommen konnten, war Liisho inzwischen bekannt. Allerdings wollte er gegenüber seinem Mitreisenden nicht unhöflich sein. “Na ja, wer nicht will, der hat offenbar keinen Hunger”, erklärte er dann und aß einige getrocknete Zwiebäcke, die er auf seinen Drachenflügen stets dabei hatte.
“Sei still”, sagte Branagorn schließlich.
Seine Augen waren geschlossen.
Sein Gesicht wirkte angestrengt.
Nachdem Liisho etwas irritiert eine Weile geschwiegen hatte, wiederholte Branagorn seine Aufforderung.
“Sei still!”
“Ich habe gar nichts gesagt!”
“Das Knistern beim Kauen deines Zwiebacks irritiert mich. Ebenso wie das gierige Knurren deines Magens.”
“Tut mir leid, dagegen kann ich nichts machen! Aber vielleicht bist du auch einfach nur etwas zu empfindlich!”
“Dahinten ist … irgendetwas …”, murmelte Branagorn. Er öffnete die Augen und blickte angestrengt in die Ferne. Die Gipfel des Gebirges schimmerten im Licht der Monde. Branagorns schräggestellte Elbenaugen wurden jetzt schmal, so als würde er angestrengt nach vorn sehen.
Dann schüttelte er schließlich den Kopf.
“Ich habe etwas gehört, was da nicht sein sollte …”
“Gondeldrachen, Transportdrachen …. Was auch immer! Es herrscht im Allgemeinen zu jeder Tages- und Nachtzeit reger Flugverkehr über dem Gebirge.”
“Das mag sein … Aber dies war etwas anderes!”
“Vielleicht ...”
“Etwas, das nicht sein dürfte!”, war Branagorn überzeugt.
“Möglicherweise ein Luftschiff aus Tajima”, meinte Liisho. “Das dürfte jedenfalls auch nicht hier sein.”
Die fliegenden Schiffe des Luftreichs Tajima durften nicht in das Reich des Drachenkaisers. Dies legte ein Gesetz so fest, dass die heimischen Drachenreiter und Besitzer von Transport- und Gondeldrachen vor der unlauteren Konkurrenz der Luftschiffe schützen sollte.
Selbstverständlich gab es immer wieder Schmuggler, die diese Gesetze missachteten.
Im Drachenland des Kaisers durften Transporte nur durch Drachen vorgenommen werden. Einzige Ausnahme waren die Dschunken an der Küste und in den Flussläufen. Aber die Schifffahrt konnte ohnehin keine ernsthafte Konkurrenz zu den Drachenreitern sein. Weder von der Geschwindigkeit her noch was die Unabhängigkeit bei der Auswahl des Ziels betraf. Schiffe waren auf Wasserwege angewiesen. Flugdrachen hingegen nicht. Und selbst Lauf- und Zugdrachen waren zumeist schneller und zuverlässiger als der Schiffsverkehr zu Wasser.
Aber mit den Luftschiffen aus Tajima hätte keiner von ihnen mithalten können. Innerhalb kürzester Zeit wäre der Transport von Waren und Personen durch Drachen nicht mehr wirtschaftlich gewesen, wäre diese Konkurrenz zugelassen worden. Aber der Einfluss der Drachenreiter war im Kaiserreich sehr groß. Und da der Kaiser selbst mit den drei magischen Ringen den Gehorsam der Drachen garantierte und sich darüber hinaus selbst als Drachenreiter verstand, war wohl nicht damit zu rechnen, dass dieses Gesetz jemals verändert werden würde.
Branagorn lauschte noch einmal angestrengt. Seine spitz zulaufenden Ohren, die aus dem feinen weißen Elbenhaar hervorstachen, bewegten sich leicht.
“Nein”, äußerte der Elb schließlich. “Das ist kein Luftschiff.”
“Du bist dir sicher?”
“Ich kenne die Geräusche von Luftschiffen”, erklärte Branagorn. “Und dies ist ganz sicher etwas anderes.”
“Es wäre gut, wenn du deine Eindrücke präzisieren könntest.”
“Es ist weg”, sagte Branagorn schließlich. “Ich kann das Geräusch nicht mehr hören.”
“Nun, vielleicht fällt dir ja irgendwann noch ein, was das zu bedeuten haben könnte.”
“Es klang auf seltsame Weise …” Der Elb zögerte, ehe er weitersprach und seinen Satz beendete: “... gedämpft.”
“Gedämpft?”, fragte Liisho zurück.
Dass der Elbenkrieger manchmal Wörter der im Drachenland üblichen Sprache nicht haargenau so verwendete, wie es unter dessen Bewohnern üblich war, daran hatte sich Liisho schon gewöhnt. Und das war schließlich auch nicht weiter verwunderlich. Schließlich war Branagorn ja auch ein Fremder in diesen Gefilden. Und so fragte Liisho bisweilen einfach nochmal nach, wie die Worte des Elben nun genau zu verstehen waren.
“Vielleicht war das, was ich gehört habe, nichts anderes, als ein Echo ...”, meinte Branagorn dann.
“Ein Echo?”
“Ein Echo aus einer anderen Welt, das zu uns herüberschallt. Es könnte doch sein, dass es Orte gibt, an denen die Grenze zwischen den Welten nicht ganz so eindeutig ist, wie wir das normalerweise gewohnt sind.”
“Ja, von solchen Orten ist in den Legenden und Überlieferungen aus vergangenen Äonen immer wieder zu hören”, gab Liisho zu. “Und wer immer auch irgendwann die Tore zwischen den Welten errichtet haben mag, ich bin überzeugt davon, dass diese Unbekannten sie von vornherein an genau solchen Orten errichtet haben, weil sich dort vermutlich die unsichtbaren Weltengrenzen mit Hilfe von Magie leichter überwinden lassen.”
“Eure Vermutung teile ich”, gab Branagorn zurück. “Und noch etwas muss ich dir sagen.”
“Was?”
“Als ich die magischen Experimente durchführte, die mich hierhergebracht haben …”
“Ja?”
“... da habe ich ebenfalls für kurze Momente Geräusche gehört, die nicht von meiner Welt waren.”
“Dann ist das also ein häufiger vorkommendes Phänomen?”
“Ich denke, ja. Nur war mir das damals nicht klar.”
“Man lernt eben immer noch dazu, Branagorn.”
Branagorn lächelte flüchtig. “Wenn das ein Mann sagt, der sich der Weise nennt, dann muss das ja wohl stimmen.”
“Worauf du dich verlassen kannst, Elb!”
Plötzlich sagte Branagorn: “Lass uns landen!”
“Warum?”, fragte Liisho.
“Ich rieche etwas”, gab Branagorn zur Antwort.
“Gerade hast du etwas gehört, das nicht vorhanden war und vielleicht nur das Echo einer anderen Welt darstellte, und jetzt willst du etwas gerochen haben.”
“So ist es.”
“Warum denkst du, dass deine jetzige Wahrnehmung zuverlässiger ist, als es die geradige war?”
“Vertrau mir einfach.”
“Gut.”
“Ich zeige dir einfach, wo du landen musst.”
“In Ordnung.”
Branagorn veränderte etwas seine Position auf dem Drachen, sodass er in die Tiefe blicken konnte. Er deutete mit dem ausgestreckten Arm. “Dorthin!”, sagte er.
“Dort ist nichts.”
“Dort siehst du nichts. Das mag sein. Aber dort ist ganz bestimmt etwas. Ich rieche es.”
Liisho sah dort unten nichts anderes als ein finsteres Tal, das in einem Schatten lag. Das Licht der fünf Monde gelangte dort nicht hin. Zumindest nicht im Moment. Im Laufe der Nacht änderte sich das vermutlich, wenn die Monde ihren Weg über das Himmelsfirmament der Drachenerde fortsetzen.
Ayyaam stieß einen durchdringenden Ruf auf. Einen Ruf, der einem dunklen Grollen gleichkam, vermischt mit einem fauchenden Laut. Eine viele Meter lange Flammenzunge kam dabei aus seinem Maul hervor. Und diese Flamme erhellte für einen kurzen Moment das dunkle Tal.
Liisho konnte trotzdem kaum etwas erkennen.
Da waren ein paar Schatten.
Schatten und Bewegungen. Vielleicht huschten da gerade irgendwelche der wilden Kreaturen davon, die die Höhenregionen bevölkerten. Große, kletterbegabte Raubkatzen ebenso wie absonderliche, vielbeinige Geschöpfe, die sich von der spärlichen Vegetation in den Höhen ernährten und ihre Beute darstellten.
Aber das waren nur Vermutungen.
Auch Branagorn vermochte nicht viel mehr zu erkennen, obwohl seine Elbenaugen denen des Drachenreiters in jeder Hinsicht weit überlegen waren.
Doch darauf kam es im Augenblick auch gar nicht so sehr an.
Es ging um das, was Branagorn mit seiner empfindlichen Nase wahrnahm.
Ayyaam sträubte sich zunächst sichtlich, in die Dunkelheit hinabzustoßen.
Offenbar waren auch Drachen nicht furchtlos.
“Die Finsternis dort unten scheint ihm nicht zu behagen”, stellte Liisho fest.
“Es ist keineswegs die Finsternis, was ihm nicht behagt”, widersprach Branagorn.
“Ach nein? Was denn sonst?”
“Ihm ist derselbe Geruch in die Nase gestiegen wie mir”, erklärte Branagorn. “Und sein Unbehagen hat einen guten Grund.”
“Das klingt beunruhigend.”
“Das ist es auch zweifellos”, sagte Branagorn und murmelte dann noch ein paar Worte in einer Sprache vor sich hin, die Liisho nicht verstand. Liisho vermutete, dass es sich um die geheimnisvolle Sprache handelte, die die Elben in jener Welt gesprochen hatten, aus der Branagorn stammte. Eine Sprache, die offenbar hervorragend geeignet zu sein schien, magische Formeln zu formulieren und dazu auch in Branagorns Heimatwelt ausgiebig benutzt worden war.
Und auch jetzt war es vermutlich irgendeine Art von magischem Unterstützungszauber, den Branagorn mit seiner Formel bewirken wollte.
Der Drache landete.
Branagorn holte einen Kristall aus der Tasche an seinem Gürtel, murmelte erneut eine Formel. Der Kristall schimmerte zunächst nur schwach und leuchtete dann so stark, dass sein Lichtschein den unmittelbaren Umkreis des Landeplatzes erhellte.
Überall waren schattenhafte Bewegungen zu sehen.
Geschöpfe, die bis dahin den Schutz der Dunkelzone gesucht hatten, stoben nach allen Seiten davon. Ihre entsetzten Laute wurden von einem Fauchen des Drachen Ayyaam übertönt, der allerdings klug genug war, um auf Feuerstöße aus seinem Drachenmaul normalerweise zu verzichten, wenn er sich am Boden befand. Denn ein einziger Feuerstoß hätte ausgereicht, um sämtliche Vegetation im Umkreis von hundert Schritten augenblicklich in Brand zu setzen. Und auch wenn der Pflanzenbewuchs in diesen Höhen eher spärlich war, hätte das unangenehm werden können.
“Wirklich praktisch, dieser Kristall, den du da benutzt”, gestand Liisho zu.
“Es ist ein gewöhnlicher Kristall, wie man ihn mit etwas Geduld finden kann”, sagte Branagorn. “Es kommt immer auf die Kräfte des Geistes an. Nicht auf das, was diesen Kräften als Gefäß dienen mag.”
“Schöner hätte ich das auch nicht formulieren können”, sagte Liisho.
“Dann merke diesen Satz. Von jemandem, der sich >der Weise< nennt, erwartet man hin und wieder solche Aussagen, wie ich mir denken könnte. Aber vielleicht irre ich mich da auch, denn schließlich kann ich in dieser Hinsicht nicht mit eigener Erfahrung aufwarten.”
Branagorn hatte indessen den Boden erreicht und sah sich um. Er hielt die geöffnete Hand mit dem leuchtenden Kristall etwas höher.
“Hast du gefunden, was du gesucht hast?”, fragte Liisho, während nun auch er vom Drachen herabstieg.
“Und ob!”
Der Elb deutete auf einen dunklen Haufen, der aus einer übelriechenden, undefinierbaren Substanz bestand.
Branagorn ging darauf zu.
Der Schein des Kristalls offenbarte, wie angespannt seine Gesichtszüge waren.
Der starke Geruch schien für seine empfindlichen Elbensinne eine Qual zu sein.
“Was ist das?”, fragte Liisho, obwohl langsam eine Ahnung in ihm aufstieg.
“Das ist die Hinterlassenschaft eines großen, um nicht zu sagen, sehr großen Geschöpfes.”
“Aber nicht von einem Drachen”, erklärte Liisho im Brustton der Überzeugung. “Ich kenne alle Drachenarten, die es auf unserer Welt gibt. Von den Flugdrachen der Drachenreiter-Samurai über die großen Gondeldrachen, die Laufdrachen, die Zugdrachen,ja, selbst die letzten großen Wilddrachen, die es an den Küsten der Insel Qô gibt … Keines dieser Drachengeschöpfe scheidet so etwas aus!”
“Aber Vögel tun das”, erklärte Branagorn. “Wer auch auch immer dies hier hinterlassen haben mag – es muss ein Vogel gewesen sein.”
“Da bist du dir sicher?”
“Ja.”
“Und worauf ist diese Erkenntnis gegründet?”
“Magisches Elbenwissen in Verbindung mit einem empfindlichen Geruchssinn. Du kannst mir in dieser Hinsicht vertrauen, Liisho. Das hier war ein Vogel.”
“Muss ein Vogel von … beträchtlicher Größe gewesen sein.”
“War in den Berichten über Wesenheiten, die aus anderen Welten kamen, nicht auch von sehr großen Vögeln die Rede? Vögeln, so groß wie Drachen, auf denen Krieger ritten, wie es in dieser Welt die Drachenreiter-Samurai tun?”
“Gewiss”, murmelte Liisho, während er sich die Nase zuhielt. “Das riecht …”
“Furchtbar!”, bemerkte Branagorn.
“Frisch, wollte ich sagen.”
“Ich verstehe …”
“Das Vogelgeschöpf muss sich noch in der Nähe befinden …”
“Oder es war nur kurz hier und ist jetzt wieder in seine Herkunftswelt entschwunden.”
In diesem Augenblick wurde es stockdunkel.
Und über ihnen zeichnete sich ein großer, dunkler Schatten am Nachthimmel ab. Ein Schatten, der die Sterne verdeckte.
Lautlos glitt dieser Schatten dahin.
Er hatte die Form eines Raubvogels.
Branagorn hatte kurz bevor dieser Vogelschatten hoch über ihnen aufgetaucht war, eine magische Formel in der Sprache der Elben über die Lippen gebracht, woraufhin das Licht des Kristalls in seiner Hand augenblicklich verloschen war.
Ruhig!
Diesen Gedankenbefehl sandte Liisho an den Drachen Ayyaam.
Eigentlich traute Liisho dem Drachen durchaus zu, von sich aus klug genug zu sein, um sich in dieser Situation ruhig zu verhalten.
Aber sicher war sicher.
Der große Vogel kreiste über dem finsteren Tal, in das es Branagorn und Liisho verschlagen hatte.
Das blaurote Zwielicht des Blutmondes und des Meermondes strahlte die gewaltige Kreatur an. Und als der Riesenvogel einen Bogen flog, war im Licht der Monde zu sehen, dass ein Reiter darauf saß.
Ein Krieger in metallischer, messingfarbener Rüstung saß auf dem Vogel. Das Visier seines Helms war geschlossen. Von seinem Gesicht war nichts zu sehen – auch dann nicht, als das Licht der Monde ihn für einen kurzen Moment direkt anstrahlte. Die messingfarbene Rüstung spiegelte ein wenig. Über dem Rücken trug der Messingkrieger ein monströs großes Schwert.
Er lenkte den großen Raubvogel in eine andere Richtung und hob sich dadurch im nächsten Moment nur noch als sehr dunkler Schatten gegen das Licht der Monde ab, das in seiner Höhe über die Berggipfel strahlte.
Ein durchdringender Ruf war im nächsten Augenblick zu hören.
Der Ruf eines Drachen, wie zumindest der Weise Liisho wusste. Denn er war tatsächlich mit nahezu allen Drachenarten vertraut.
Für Branagorn galt das keineswegs in gleicher Weise.
Auch ihm war zwar sofort klar, dass es sich um einen Drachen handeln musste.
Allerdings war ihm auch klar, dass es kein Drache von jenen Arten war, denen er bisher auf dieser Welt begegnet war.
Und bestimmte Merkmale dieser Lautäußerung wiesen Branagorns Meinung nach darauf hin, dass dieser Drache darüber hinaus sehr groß sein musste.
Am ehesten vergleichbar war dieser besondere Ruf mit …
Ayyaam!, erkannte der Elb.
Was ihn erstaunte.
Dass Liishos Drachen kein gewöhnlicher Flugdrachen von der Art war, wie ihn die Drachenreiter-Samurai zumeist als Reittier benutzten, war ihm natürlich längst aufgefallen. Aber er hatte diesem Umstand keine Bedeutung beigemessen.
Der Messingkrieger riss den Raubvogel förmlich herum. Die Zügel, mit denen er ihn hielt, schienen unsichtbar zu sein. Er bewegte den Arm und das gewaltige Geschöpf reagierte darauf.
Im nächsten Moment schoss ein Drache über die Berge. Als dunkler Schatten hob er sich gegen das Licht der Monde ab.
Er schien reiterlos zu sein. Feuer spe in einem ungewöhnlich langen und hellen Strahl aus seinem Maul heraus.
Dieser Strahl war so hell, dass selbst Branagorn und Liisho in ihrem finsteren Tal für einen Moment geblendet waren.
Der Messingkrieger hob seine Hand.
Der Feuerstrahl aus dem Drachenmaul prallte daraufhin gegen eine unsichtbare Wand.
Die Flammen vermochten es einfach nicht, diese Barriere zu durchdringen.
Der Drache schlug mit den lederhäutigen Flügeln.
Das Fauchen, das jetzt aus seinem gewaltigen Maul herausdrang, war so dumpf und tief wie das Grollen des Donners. Ein weiterer, noch grellerer Feuerstrahl schoss aus seinem Maul hervor.
Zischend traf auch dieser Strahl auf die unsichtbare Wand, die der Messingkrieger mit seiner Magie errichtet hatte.
Der Messingkrieger hielt noch immer seine Hand empor, mit der er auf irgendeine geheimnisvolle Weise diesen Schutzschild erzeugt zu haben schien.
Die andere Hand griff nun zu dem monströsen Schwert auf seinem Rücken und zog es hervor.
Es war eine breite Klinge.
Das Licht der Monde wurde von der Klinge auf eigentümliche Weise reflektiert.
Das Schwert begann auf magische Weise zu schimmern.
Der Drache schwenkte unterdessen zur Seite und flog ein Stück davon.
Die Feuerstrahlen, die er vergeblich in Richtung des Messingkriegers auf dem Riesenraubvogel gesandt hatte, mussten ihn viel Kraft gekostet haben. Wütende Fauchlaute kamen aus seinem Maul. Außerdem eine Wolke aus schwefelhaltigen Gasen.
Der Messingkrieger auf dem Riesenraubvogel ging nun seinerseits zum Angriff über.
Er schleuderte sein monströses Schwert mit ungeheurer Kraft in Richtung seines Widersachers.
Die Klinge schoss dabei pfeilschnell durch die Nacht.
Der Schimmer, der schon zuvor von dieser Waffe ausgegangen war, umflorte sie jetzt noch deutlicher und ließ sie förmlich erstrahlen.
Nein, das waren nicht nur Reflexionen des Lichtes der fünf Monde auf dem glatten Metall. Das mussten auch magische Energien sein, mit denen dieses Schwert auf irgendeine Weise aufgeladen worden sein musste.
Der Drache versuchte auszuweichen.
Mit wuchtigen Flügelbewegungen versuchte er, dem drohenden Unheil zu entkommen.
Aber es gelang ihm nicht.
Dazu war er einfach nicht schnell genug.
Er brüllte auf, als die Klinge in seinen Körper ein- und die geschuppte Haut durchdrang.
Ein zischender Laut entstand dabei. Funken sprühten – und Blut floss. Drachenblut regnete vom Himmel.
Branagorn spürte die feinen Tropfen, die bis zu ihm geschleudert wurden.
Der Drache taumelte im Flug. Es sah aus, als würde er abstürzen und irgendwo in einem der benachbarten Hochtäler vielleicht eine äußerst unsanfte Landung hinlegen.
Wenn er den Treffer durch die Klinge überhaupt verwinden konnte …
Der Drache brüllte auf.
Er wand sich im Taumelflug um die eigene Achse. Seine Flügel schlugen wild und irgendwie hilflos um sich, während eine seiner Klauen den Griff des Schwertes zu fassen bekam. Im Fallen zog er sich selbst das Schwert aus dem Körper und schleuderte es von sich.
Die Klinge fiel in die Tiefe.
Ein metallischer Laut war zu hören, als die Waffe gegen eine der Felswände prallte. Es blitzte dabei.
Offenbar war das Schwert immer noch voll mit magischen Energien.
Der Messingkrieger streckte die Hand aus.
Eine Hand mit sechs Fingern, die in einem messingfarbenen Rüstungshandschuh steckten.
Das Schwert kehrte in seine Hand zurück.
Sein Griff schmiegte sich an das messingfarbene Metall seines Handschuhs.
Der Riesenraubvogel krächzte.
“Er sucht ihn, den Drachen …”, stellte Liisho düster fest.
“Um ihn zu töten”, sagte Branagorn.
“Ja.”
“Du willst nichts tun, um das zu verhindern?”
Ayyaam wurde unruhig. Er grollte leicht. Es war ein Laut, so tief, dass Menschen ihn nur in der Magengegend spüren konnten. Branagorn hingegen konnte ihn ganz normal hören.
“Ich bin nicht der Schutzherr aller Drachen”, sagte Liisho.
“Aber versteht sich der Kaiser, dem du dienst, nicht so?”, entgegnete Branagorn. “Wozu trägt er sonst die drei Ringe, mit denen angeblich Barajan die Macht über die Drachen den Menschen übergab.”
“Diesen Messingkrieger jetzt anzugreifen, wäre reine Dummheit”, sagte Liisho.
“Nein, ich fürchte, es jetzt nicht zu tun, wäre reine Dummheit”, widersprach Branagorn.
Der Messingkrieger ließ den Riesenraubvogel erneut einen Bogen fliegen. Er näherte sich nun wieder dem dunklen Tal, in dessen Schatten Branagorn, Liisho und Ayyaam verborgen waren.
Der Vogel krächzte drohend.
Sollten sie jetzt ausharren und darauf hoffen, dass der Messingkrieger sie auch weiterhin nicht bemerkte?
Liisho schien diese Variante zu bevorzugen.
Aber Branagorn hatte längst eine andere Entscheidung getroffen.
“Was dieser Kerl kann, kann ich auch!”, murmelte er. Er griff nach seinem Elbenschwert, riss es heraus und murmelte eine kurze Beschwörung, bevor er es in die Höhe schleuderte.
Es flog keineswegs pfeilartig durch die Luft, wie es bei dem Schwert des Messingkriegers der Fall gewesen war. Stattdessen drehte es sich scheinbar chaotisch um seinen eigenen Schwerpunkt.
Und auch wenn Branagorn seinem Elbenschwert durch etwas Magie zusätzliche Kraft verliehen hatte, war das Ausmaß doch in überhaupt keiner Weise mit jener Kraft zu vergleichen, die der Messingkrieger seiner Klinge hatte verleihen können.
Aber sie reichte aus.
Die Klinge traf den Vogel, drang in dessen Unterseite ein. Allerdings blieb sie dort nicht stecken, sondern fiel in die Tiefe. Blut schoss aus einer Wunde. Der Vogel kreischte und sein Flug bekam nun ebenfalls ein taumelndes Element.
Der Messingkrieger hatte jedenfalls alle Mühe, das riesige geflügelte Geschöpf unter Kontrolle zu halten.
Die Flugbahn des Raubvogels beschrieb einen taumelnden Halbkreis, dann gewann er wieder etwas an Höhe …
… und war im nächsten Augenblick verschwunden.
Es sah aus, als würde der Messingreiter und sein Reitvogel ein unsichtbares Tor passieren, das sich plötzlich vor ihnen gebildet hatte.
Ein schwacher Schimmer blieb davon noch einige Augenblicke zurück und verblasste dann.
Liisho atmete tief durch.
“Du hast ihn offenbar vertrieben”, sagte Liisho.
“Er hat mit dem Angriff offenbar nicht gerechnet”, antwortete Branagorn. “Wenn ich gewartet hätte, bis er seinen magischen Schild gegen uns gerichtet hätte, dann hätte ich die Vogelbestie unmöglich treffen können.”
“Wahrscheinlich hast du recht.”
“Ganz bestimmt habe ich recht. Und abgesehen davon, habe ich dir ein paar Jahrtausende Kampf mit Bestien aller Art voraus, Liisho.”
Branagorn wandte sich dem Drachen Ayyaam zu und begann, die Halteriemen zu packen und dessen Rücken zu erklimmen.
“Was hast du vor, Branagorn?”
“Na was wohl!”, gab Branagorn zurück. “Mein Schwert suchen. So eine Elbenklinge ist wertvoll und in dieser Welt auch unersetzlich, weil es hier keine Elbenschmiede gibt, die mir einen Ersatz schaffen könnten.”
“Eins musst du zugeben, Branagorn.”
Branagorn blickte kurz zurück.
“Was?”, fragte er.
“Dass die Magie des Messingkriegers um einiges stärker ist als deine.”
Branagorn nickte.
“Das habe ich nie bestritten. Ich würde was drum geben, wenn mein Schwert jetzt einfach zu mir zurückkäme, wie es bei unserem Gegner der Fall war.” Branagorn zuckte mit den Schultern. “Elbenmagie ist selbst in dieser Welt eben nicht mehr das, was sie mal war!”
Wenig später hatte Liisho wieder hinter dem Nacken des Drachen Ayyaam Platz genommen und seinen Drachenstab in die charakteristische Vertiefung zwischen den Schuppen eingeführt, um das gewaltige Geschöpf mit seinem Willen lenken zu können.
Ayyaam erhob sich mit ein paar kräftigen Flügelschlägen vom Boden.
Der Aufstieg in die Lüfte war aus einem derartigen Tal nicht einfach. Der Drache hatte keinerlei Unterstützung durch aufsteigende Winde und musste sich also vollkommen auf die eigenen Kräfte verlassen.
“Lass ihn tief fliegen, damit wir das Schwert finden”, lautete Branagorns Anweisung.
“Meinetwegen. Ich hoffe nur, dass du mir etwas genauer sagen kannst, wo wir suchen müssen.”
“Ich gebe dir Anweisungen. Befolge sie so präzise wie möglich, dann werden wir das Schwert gleich zurückhaben”, sagte Branagorn.
Er hatte sich so auf dem Rücken des Drachen Ayyaam platziert, dass er einen guten Blick in die Tiefe hatte.
Mit dem leuchtenden Kristall zwischen Daumen und Zeigefinger hatte er auch genug Licht, um gut sehen zu können, was sich auf der Oberfläche so abspielte.
Hin und wieder gab Branagorn dann Anweisungen und Liisho versuchte, ihnen so genau wie möglich Folge zu leisten.
Schließlich hatte Branagorn jene Stelle gefunden, an der sein Elbenschwert gelandet war.
Liisho ließ Ayyaam dort landen und Branagorn nahm die Waffe wieder an sich und gürtete sie sich über den Rücken.
“Und jetzt sollten wir den abgestürzten Drachen suchen”, schlug der Elb vor, als er sich auf Ayyaams Rücken wieder einen bequemen Platz gesucht hatte. “Ich nehme an, dich interessiert es auch, was aus ihm geworden ist.”
“Natürlich.
“Es ist ein Wilddrache, nicht wahr?”
“Das nehme ich an.”
“Könnte man ihn zähmen?”
“Es ist schwierig.”
“Aber du hast das bei Ayyaam auch geschafft.”
Liisho antwortete darauf nicht sofort.
“Es hängt immer von der Geisteskraft desjenigen ab, der das versucht”, sagte er schließlich ausweichend.
“Nicht vom Blut Barajans, das angeblich in allen Drachenreitern fließt?”
“Das ist eine Legende. Aber eine Legende, die helfen kann, seine Kräfte zu sammeln, wenn man daran glaubt.”
“Und du glaubst nicht daran, Liisho?”
“Du stellst heute viele Fragen auf einmal, Branagorn!”
“Und du warst schon einmal bereitwilliger darin, sie mir zu beantworten.”
“Lass uns erst mal den Drachen suchen”, erklärte Liisho schließlich. “Deine scharfen Elbenaugen sind uns dabei hoffentlich eine Hilfe.”
Die wie an einer Perlenkette aufgereihten Drachenerde-Monde hatten ihren höchsten Stand erreicht und insbesondere der Schneemond wirkte bedrohlich groß. Man hätte glauben können, dass er nicht erst in ferner Zukunft, sondern bereits in den nächsten drei Stunden auf die Drachenerde herabstürzen würde.
Jedenfalls war das Licht für nächtliche Verhältnisse hervorragend. Und da sich zusätzlich kaum Wolken am Himmel zeigten, musste ein so großes Objekt wie der Körper eines Drachen eigentlich zu finden sein.
Es sei denn, der Drache war ebenfalls in eine andere Welt entschwunden, wie es bei dem Messingkrieger auf dem Riesenraubvogel der Fall gewesen sein musste.
Das konnte man natürlich nicht ausschließen.
Aber je länger und erfolgloser Branagorn und Liisho suchten, desto wahrscheinlicher erschien diese Variante.
“Es scheint, als hätten wir ihn verloren”, stellte Liisho schließlich fest, während Branagorn noch immer sehr angestrengt lauschte. Hin und wieder bewegten sich seine spitzen Elbenohren. Und ab und zu hob er die Nase in den Höhenwind wie ein Tier. “Du gibst nicht gerne auf, in dieser Hinsicht sind wir uns gleich”, fügte Liisho noch hinzu, als der Elbenkrieger nicht weiter auf seine Worte reagierte.
“Still”, murmelte dieser nun. Anschließend kamen noch ein paar Worte in elbischer Sprache über seine Lippen. Zweifellos Beschwörungen. Liisho hätte viel darum gegeben zu erfahren, was sie bedeuteten, und welche Kräfte durch diese Worte beschworen werden konnten. Aber Branagorn schien nicht viel Neigung zu verspüren, sein magisches Wissen mit irgendjemandem zu teilen. Zumindest nicht diesen Teil seines Wissens. Das hatte Liisho bereits früh während ihrer Bekanntschaft erfasst. Vielleicht war es auch weniger Geheimniskrämerei, die Branagorn veranlasste, in dieser Hinsicht zurückhaltend zu sein, sondern eher der Gedanke, dass es sich kaum lohnte, einem sterblichen, kurzlebigen Wesen wie Liisho irgendetwas beizubringen. Aus der Sicht Branagorns kam das einer vergeblichen Anstrengung gleich. Und die galt es zu vermeiden.
“Branagorn, deine empfindlichen Sinne erfassen den Drachen nicht mehr. Und selbst Ayyaam scheint seine Anwesenheit nicht zu spüren. Er ist nämlich vollkommen ruhig. Sein Blutfluss ist nur wie ein träge dahinfließender Bach … Sein Herz schlägt gleichmäßig im Takt …”
“Woher willst du das wissen? Du kannst das nicht hören.”
“Nein, kann ich nicht. Aber ich weiß trotzdem, dass es so ist.”
“Durch die geistige Verbindung zu deinem Drachen?”
“Unter anderem. Aber vor allem deshalb, weil ich Ayyaam sehr gut kenne und genau weiß, wie er worauf reagiert.”
“Und ich weiß das nicht!”
“So ist es!”
Branagorn atmete tief und hörbar durch.
Etwas, das selten vorkam.
Elben neigten nicht zu übertrieben häufiger Atmung. Sie waren sogar dazu in der Lage, für eine ganze Weile damit auszusetzen, wenn es sein musste.
“Wenn dieser fremde Drache in eine andere Welt verschwunden ist, werden wir ihm kaum folgen können”, sagte Branagorn dann. “Aber eigentlich kann ich mir nicht vorstellen, dass er weit gekommen sein kann. Der Messingkrieger hatte ihn übel verletzt ...”
“Dem stimme ich zu.”
“Er muss hier in der Nähe sein.”
“Man sollte erkennen, wann eine Suche sinnlos wird”, sagte Liisho.
“Ja, das haben mir schon viele vor Äonen gesagt.”
“So?”
“Die Frage, wann eine Suche sinnlos wird, begleitet mich vom Beginn meines Lebens an”, berichtete Branagorn. “Ich wurde während der großen Seereise geboren. Wir Elben hatten mit unseren Schiffen die alte Heimat Athranor verlassen und waren in das Zeitlose Nebelmeer geraten. Es schien, als hätte sich die Elbenflotte dort auf alle Zeiten verirrt und als würden wir dazu verdammt sein, niemals jene Küste zu erreichen, von der wir hofften, dass es die Gestade der Erfüllten Hoffnung wären.”
“Aber wie ich deinen früheren Erzählungen darüber entnommen habe, Branagorn, seid ihr eines Tages an einer Küste angekommen!”
“Eine Küste, die nicht das war, was sie zunächst zu versprechen schien. Und zuvor erreichten wir eine vorgelagerte Insel mit furchtbaren Kreaturen, die wir besiegen mussten. So mancher hat sich damals gefragt, ob man die Suche nicht viel früher hätte aufgeben sollen.”
“Du auch?”
“Nein, niemals. Aber viele andere. So wie meine geliebte Cherenwen, die dem Lebensüberdruss erlag und deren Seele ich seitdem wiederzufinden hoffe. Auch diese Suche habe ich niemals aufgegeben. So wie ich auch meine Suche nach einer Möglichkeit, diese Welt zu verlassen, niemals aufgeben werde. Und wenn sie noch so lange dauern mag …”
“So ist das ein Charakterzug von dir, niemals aufzugeben.”
“Das könnte man sagen, Liisho.”
“Ein Charakterzug, den sich vor allem derjenige zu leisten vermag, dem genug Zeit gegeben ist, und der deshalb endlos weitersuchen kann, selbst wenn es keine Erfolgsaussichten gibt.“
“Nun …”
“Sterbliche Wesen können sich diese Verschwendung von Zeit nicht leisten, fürchte ich.”
Branagorn schwieg eine Weile.
Ob er schwieg, weil er über Liishos Worte nachdachte, oder weil er gerade besonders intensiv in die Dunkelheit der Nacht hineinlauschte, wusste wohl nur er selbst.
Jedenfalls kam er fürs Erste auf dieses Thema nicht mehr zu sprechen.
Als sie eine letzte Runde über das Gebiet drehten, um dann eigentlich weiter Richtung Vayakor zu fliegen, fiel Branagorn plötzlich etwas auf.
“Da ist ein Feuer”, sagte er.
“Ein Feuer?”, wunderte sich Liisho.
“Jemand hat ein Feuer angezündet, um sich zu wärmen und wilde Tiere abzuhalten.” Der Elbenkrieger streckte den Arm aus. “Lenke Ayyaam in diese Richtung. Ich bin überzeugt, du wirst es auch bald sehen.”
“Das wird irgendein Wanderer sein”, meinte Liisho. “Oder denkst du, dass der abgestürzte Drache so dumm, war, ein Feuer zu legen?”
“Nein, das denke ich nicht. Aber ausgeschlossen ist es auch nicht.”
“Es wird irgendein Wanderer sein, der hier oben herumzieht.”
“Ja, das glaube ich auch.”
Liisho machte eine wegwerfende Handbewegung. “Was sollen wir uns mit so jemandem aufhalten? Wahrscheinlich bringt uns das ohnehin nur Ärger.”
“Wieso?”
“Wer wandert denn hier oben in den Bergen herum? Banditen. Gesetzlose. Schmuggler. Man darf nie vergessen, dass die Grenze zum Luftreich Tajima nicht weit ist!”
“Wer immer hier auch herumwandern mag, er muss den Drachen und den Raubvogel mit dem Messingkrieger bemerkt haben”, sagte Branagorn.
“Du setzt voraus, dass es sich um jemanden handeln, dessen Augen mit deinen vergleichbar sind.”
“Nun …”
“Aber es ist unwahrscheinlich, dass das zutrifft, Branagorn. Denn nach allem, was mir bekannt ist, bist du derzeit der Einzige deiner Art auf unserer Welt!”
“Ich schlage vor, wir statten diesem Lagerfeuer ganz einfach einen Besuch ab”, sagte Branagorn. “Und wer auch immer sich dort wärmen oder eine Mahlzeit zubereiten mag – wir werden ihn einfach fragen, was er eventuell gesehen haben mag.”
“Vielleicht wäre es wichtiger, so schnell wie möglich Vayakor zu erreichen.”
“Aber offenbar sind die eigenartigen, und wie ich zugeben muss, zutiefst beunruhigenden Erscheinungen, von denen du mir anfangs berichtet hast, nicht in der Gegend von Vayakor zu finden, sondern auch hier”, gab Branagorn zu bedenken. “Es dürfte daher genauso gut hier möglich sein, dem Geheimnis näher zu kommen.”
“Gut, dann landen wir bei diesem Lagerfeuer.”
“Das ist eine gute Entscheidung.”
“Wir werden sehen, was dabei herauskommt, Branagorn.”
Als sich Ayyaam dem Lagerfeuer weiter näherte, konnte auch Liisho es schließlich sehen.
Der Drache setzte zum Landeanflug an.