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Nach der Rettung Terras und der Thanagog kann Ren Dhark es kaum abwarten, endlich herauszufinden, was es mit dem mysteriösen Wegweiser auf sich hat, den Arjun Chatterjee aus ERRON 3 mitgenommen hat. Auf Acheron drei hat sich Jos Aachten van Haag gerade in Madame Friedels Organisation eingeschleust, da droht seine Tarnung aufzufliegen. Er muss sich entscheiden: Soll er fliehen oder bleiben? In Orn setzt Lee Prewitt alles daran, Frederic Huxley und die anderen neun Besatzungsmitglieder der CHARR zu retten, die sich nach wie vor an einem unbekannten Ort befinden. Prewitt fliegt nach Newing, wo er Nagg’nagg von einem Handel überzeugen will. Gisol begleitet ihn, und in seinem Besitz befindet sich ein besonderes Geschenk… Hendrik M. Bekker, Jan Gardemann und Jessica Keppler schrieben diesen spannungsgeladenen SF-Roman nach dem Exposé von Anton Wollnik.
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Seitenzahl: 383
Ren Dhark
Weg ins Weltall
Band 105
Ein besonderes Geschenk
von
Jan Gardemann
(Kapitel 1 bis 7)
Jessica Keppler
(Kapitel 8 bis 13)
Hendrik M. Bekker
(Kapitel 14 bis 21)
und
Anton Wollnik
(Exposé)
Inhalt
Titelseite
Prolog
1.
2.
3.
4.
5.
6.
7.
8.
9.
10.
11.
12.
13.
14.
15.
16.
17.
18.
19.
20.
21.
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Impressum
Prolog
Am 21. Mai 2051 startet die GALAXIS von Terra aus zu einer schicksalhaften Reise in den Weltraum. Durch eine Fehlfunktion des »Time«-Effekts, eines noch weitgehend unerforschten Überlichtantriebs der Terraner, springt das Raumschiff über beispiellose 4.300 Lichtjahre. Genau einen Monat später erreicht es das Col-System, wo es auf dem Planeten Hope landet. Weil ein Weg nach Hause unmöglich erscheint, beschließen die Raumfahrer, auf dem Planeten zu siedeln, und gründen die Stadt Cattan.
Rico Rocco schwingt sich zum Diktator auf und lässt sämtliche Kritiker verfolgen und auf den Inselkontinent Deluge verbannen. Dieses Schicksal trifft auch den zweiundzwanzigjährigen Ren Dhark, seinen besten Freund Dan Riker sowie eine Reihe weiterer Terraner. Doch damit endet die Geschichte nicht. In einer Höhle entdecken die Verbannten nicht nur Artefakte einer mysteriösen fremden Hochkultur, sondern auch ein unvollendetes Raumschiff, das eine prägnante Ringform aufweist.
Nachdem Rico Rocco bei einem Angriff der Amphi umgekommen ist, wird Ren Dhark zum neuen Stadtpräsidenten Cattans gewählt. Er lässt den Ringraumer reparieren, welcher später von Pjetr Wonzeff auf den Namen POINT OF INTERROGATION, kurz POINT OF, getauft wird. Im April 2052 bricht der Ringraumer unter Dharks Kommando zu seinem Jungfernflug zur Erde auf. Damit beginnt ein neues Kapitel in der terranischen Raumfahrt. Nicht zuletzt dank Dharks Forscherdrang entdecken die Menschen weitere Hinterlassenschaften der Mysterious, die es ihnen ermöglichen, neue Ringraumer zu bauen und immer weiter in die Tiefen des Weltraums vorzudringen. Die POINT OF jedoch bleibt trotz allem einzigartig, was nicht zuletzt am Checkmaster liegt, dem eigenwilligen Bordgehirn dieses Raumschiffes.
Ren Dhark bleibt der Kommandant der POINT OF und erforscht mit seiner Mannschaft in den folgenden Jahren nicht nur das Weltall, sondern rettet auch immer wieder die Menschheit und sogar ganze Galaxien. Im Mai 2074 lässt sich der unvermutet aktivierte Schutzschirm um Terra nicht mehr abschalten. Die Erde ist damit vom Rest des Universums isoliert. Niemand ahnt, dass es sich in Wahrheit um einen von den Thanagog installierten Zweitschirm handelt, um Ren Dhark zu einer Reise nach ERRON-3 zu bewegen. Dort wollen sie in den Besitz des Schebekaisen gelangen, eines Artefakts, das mutmaßlich von den Balduren stammt. Ihr Plan geht auf. Doch auch andere Expeditionsteilnehmer bedienen sich zu Dharks Leidwesen fleißig im zentralen Wissensarchiv der Worgun, allen voran Terence Wallis’ Sicherheitsberater Arjun Chatterjee.
Zurück in der Milchstraße zeigen die Thanagog ihr wahres Gesicht: Dabei kommt nicht nur die Wahrheit über den angeblich entarteten Schutzschirm um Terra heraus, sondern auch, dass die transitierende Sonne eigentlich das Mutterschiff der Schemenhaften ist. Bei dem Versuch, das Artefakt der Balduren von den Thanagog zurückzuholen, wird Ren Dhark Zeuge davon, wie die Wächter den Kern des Sonnenschiffes und damit die Lebensgrundlage eines ganzen Sternenvolkes zerstören. Shamol, der Herrscher der Thanagog, vernichtet das Schebekaisen und wendet sich in seiner Verzweiflung an Dhark. Er habe das alles nur getan, um sein Volk vor der buchstäblichen Auflösung zu bewahren. Weil die Erde nicht mehr in Gefahr schwebt, willigen der Commander und seine Experten ein zu helfen. Die Thanagog können gerettet werden, indem sie zu einem Megawesen verschmelzen, und verschwinden in den Weiten des Weltraums.
Froh, dass dieses Abenteuer endlich vorbei ist, beschließt Ren Dhark, nach Terra zu fliegen, wo er seiner Mannschaft und sich Landurlaub gönnen möchte, während die POINT OF in einer der Raumschiffwerften repariert und gewartet werden soll. Däumchen drehen ist allerdings nicht angesagt, denn er hat bereits ein neues Abenteuer im Blick: Arjun Chatterjee hat aus ERRON-3 einen Wegweiser mitgenommen, der sehr wahrscheinlich zu einem weiteren großen Geheimnis der Mysterious führt …
1.
Regina Saam hockte am Boden und verzog angewidert das Gesicht. Mit festem Griff umklammerte sie den Schreibstift, von dessen Spitze ein Büschel schwarzer, drahtiger Haare herabhing. Eine milchige, zähe Flüssigkeit tropfte aus dem triefend nassen Strang. Die sämigen Tropfen fielen mit verhaltenem Schmatzen in die Pfütze zu Füßen der Schweizer Biologin. Die Substanz ähnelte verschütteter, sauer gewordener Milch und roch auch so ähnlich.
»Was meinst du damit, diese Haare würden dich an jemanden erinnern, George?«, fragte Regina Saam und schaute zu dem Wissenschaftler auf, dessen kräftige, kantige Statur an die eines kanadischen Holzfällers erinnerte. Allerdings trug George Lautrec weder ein kariertes Hemd noch eine Kordhose, sondern die steingraue, funktionale Kluft, die alle in der experimentellen Raumschiffswerft tätigen Wissenschaftler zu tragen angehalten waren.
Er winkte ab. »Vergiss es«, sagte er. »Das war nur eine unbedachte Bemerkung. Ich habe wohl einfach zu viel Zeit mit einem gewissen nervigen Sicherheitsberater verbracht. Dieses Büschel erinnert mich an dessen drahtige, wirr vom Kopf abstehende Haare.«
Regina Saam verzog den Mund. »Du sprichst von Arjun Chatterjee«, stellte sie fest.
Ihr Ehemann, Robert Saam, stieß mit der Schuhspitze vorsichtig gegen den aufgeplatzten Mantel des mannsgroßen schwarzen Kokons, aus dem der milchige Brei hervorgequollen war. »Wo mag dieses biologische Konstrukt wohl hergekommen sein?«, fragte er erneut und deutete um sich. »Und wie ist es in diesen abgelegenen Lagerraum gelangt?« Die Stimme des Chefwissenschaftlers der Gruppe Saam klang dumpf, denn in dem nur wenige Quadratmeter großen und schlecht beleuchteten Raum, der mit Antigrav-Paletten voller Ballen aus Kunstleder vollgestellt war, herrschte eine ähnlich matte Akustik wie in der gepolsterten Zelle einer psychiatrischen Einrichtung.
In einer Ecke dieser Kammer hatte Beth Dubois, eine Mitarbeiterin des Sicherheitsdienstes, den Kokon während eines Kontrollgangs entdeckt. Sie hatte dem Gebilde mit ihrem Multifunktionsschlagstock eine Schockwelle verpasst und es dadurch zerstört. Der Schrecken über das Geschehen stand der Uniformierten noch immer ins Gesicht geschrieben. Ihre Lippen bebten heftig, und um die Nase herum war sie auffällig blass geworden.
»Womöglich gibt es auf diesem Mond Leben«, sagte sie und deutete mit dem Schlagstock auf den zerstörten Kokon. »Und das da ist eine Larve, aus der irgendwann ein Mondwesen geschlüpft wäre.«
Regina Saam ließ das Haarbüschel von ihrem Stift gleiten und wischte diesen dann an ihrem Hosenbein ab. »Wie gesagt: Diese Überreste sind eindeutig menschlich«. Mit einem Kopfnicken deutete sie auf das handliche Analysegerät, das sie neben sich auf den Boden gelegt hatte. Das Ergebnis der zuletzt von ihr durchgeführten Untersuchung war noch auf dem Miniaturbildschirm zu sehen: eine Reihe von Formeln und grafisch dargestellten chemischen Verbindungen. »Der Kokon und sein matschiges Inneres bestehen aus einer organischen Kohlenstoff-Wasserstoff-Verbindung mit einer ziemlich ungewöhnlichen Anordnung der Molekülketten. Dennoch scheint die Masse menschlichen Ursprungs zu sein.«
»Außerdem wurde dieser Mond von uns gründlich untersucht, bevor wir die aufgegebene Werft übernommen haben«, fügte Robert Saam hinzu. »Auf diesem Trabanten existieren nicht einmal Mikroben. Organismen von der Größe eines ausgewachsenen Menschen wären uns zwangsläufig aufgefallen.« Er fuhr sich mit den Fingern durch das struppige, blonde Haar. Bändigen ließ es sich dadurch allerdings nicht. »Dieser Kokon muss irgendwann während unseres Aufenthaltes in dieser Werft eingeschleppt worden sein«, schlussfolgerte er.
Dubois klinkte den Schlagstock an ihren Gürtel. »Das wiederum halte ich für ausgeschlossen. Unser Sicherheitskonzept garantiert eine lückenlose Überwachung sämtlicher Vorgänge in dieser Werft. Unser besonderes Augenmerk gilt dabei stets den hier eintreffenden Raumschiffen. Die stehen rund um die Uhr unter Bewachung. Es wäre schier unmöglich, dass ein fremder Organismus unbemerkt in die Station eindringt.«
Regina erhob sich. »Niemand will die Kompetenz Ihrer Sicherheitsabteilung infrage stellen, Miss Dubois. Fakt ist aber nun einmal, dass wir hier einen Fremdorganismus von nicht unerheblicher Größe vor uns haben.« Sie zog eine Sensorantenne aus dem Analysegerät und tunkte deren Ende in die sämige Substanz, mit der der zerrissene Kokon noch teilweise gefüllt war. Per Tastenbefehl ließ sie eine Berechnung durchführen.
»In dem Konstrukt finden noch immer schwache biochemische Prozesse statt«, unterrichtete sie kurz darauf die anderen von dem Ergebnis der Untersuchung.
»Kein Wunder. Vor wenigen Minuten war ja auch noch Leben in diesem Kokon«, erwiderte Robert. »Wir alle haben gesehen, wie es in dieser Larve arbeitete. Als würde sich darin etwas winden.«
Lautrec furchte die Stirn. »Von diesem milchigen Brei und den Rückständen einer biologischen Masse abgesehen hat sich aber nichts in diesem Kokon befunden«, gab er zu bedenken. »Schwer vorstellbar, dass dieses inhomogene Konglomerat in der Lage gewesen war, sich in irgendeiner Form zu regen.«
»Diese Bewegungen sind wahrscheinlich von der Hülle ausgegangen«, überlegte Robert Saam laut. »Das Gewebe weist Strukturen auf, die an Muskelfasern erinnern.«
»Der Kokonmantel hat vermutlich auf äußere Reize reagiert«, bekräftigte seine Frau.
Dubois rieb sich verlegen den Hinterkopf. »Es ist vielleicht ein bisschen unüberlegt von mir gewesen, dieser … dieser fremden Lebensform mit meinem Schlagstock auf den Leib zu rücken.«
Lautrec bestärkte die Selbstkritik der Uniformierten mit einem Kopfnicken. »Der Kokon hat ziemlich heftig auf Ihren Angriff reagiert. Die fadenartigen Auswüchse hätten Sie ernsthaft verletzen können, wenn Sie ihn mit einem Prallfeldschock nicht zum Zerplatzen gebracht hätten.«
Regina Saam steckte das Analysegerät in die Beintasche ihrer Hose. Das hübsche Gesicht der attraktiven, vollbusigen Wissenschaftlerin wirkte ernst und konzentriert. »Es kam mir vor, als wären diese Pseudopodien mathematischen Mustern gefolgt, während sie sich gebildet hatten. Sie zeichneten die Linien von Funktionsgraphen nach, während sie auf Miss Dubois zuschossen. Jedenfalls kam es mir so vor.«
Robert Saam umfasste beide Enden des Schals, den er um den Hals gewickelt hatte. Diese Marotte, stets einen Schal zu tragen, war etwas, woran sich die Menschen, die mit diesem exaltierten Wissenschaftler zusammenarbeiteten, längst gewöhnt hatten. Hielt Robert sich im Freien auf, setzte er sogar eine Mütze auf, unabhängig davon, wie die Witterungsbedingungen auch sein mochten. »Dieser Lagerraum muss hermetisch abgeriegelt werden«, bestimmte er. »Und der Sicherheitsdienst soll die gesamte Werft absuchen. Womöglich ist dieser Kokon nicht der einzige, der uns wie ein Kuckucksei in unser Nest gelegt wurde.«
*
»Was haben Sie hier zu suchen?« Saram Ramoya stemmte die Fäuste in die Hüften. »Es geht mir höllisch auf die Nerven, wenn Sie hier ständig umherwuseln!«
»Mir wurde befohlen, diese Sektion gründlich abzusuchen«, gab die uniformierte Frau gelassen zurück. Etelka Gruberová beugte sich hinab, um unter die Tischkonsole zu schauen, vor der der indonesische Funk- und Ortungsspezialist stand. Aus der Unterseite der provisorischen Steuereinheit ragten zahlreiche Kabel und Glasfaserstränge. Fächerförmig breiteten sie sich über den Boden aus und verschwanden in den umstehenden Maschinenquadern.
Unangenehm berührt trat Ramoya einen Schritt zurück. Diese Frau rückte ihm für seinen Geschmack ein bisschen zu offensiv auf die Pelle. »Glauben Sie mir, sollte in diesem Bereich des Experimentalraumschiffes irgendwo ein schwarzer Kokon von der Größe eines ausgewachsenen Menschen liegen, wäre mir das sicherlich bereits aufgefallen«, erklärte er in herablassendem Tonfall.
Gruberová richtete sich auf. Sie war jetzt nur einen halben Schritt von dem Wissenschaftler entfernt und sah ihn streng an. »Sie sollten eigentlich Wichtigeres zu tun haben, als jeden Winkel Ihrer Wirkungsstätte eigenhändig abzusuchen«, sagte sie. »Es ist kein Geheimnis, dass dieses neue Experimentalraumschiff noch nicht flugtauglich ist. Sie sollten sich also besser ranhalten.«
Ramoya starrte die Frau empört an. »Was erlauben Sie sich eigentlich?«
»Ich erlaube mir, meinen Job zu machen«, gab die Frau unbeeindruckt zurück. Sie drehte sich weg und begann, die Reihe der Module abzuschreiten. »Ich bin zwar im Gegensatz zu Ihnen, Mister Ramoya, kein Mitglied der legendären Gruppe Saam, dennoch nehme ich meine Arbeit ernst und lasse mich nicht davon abhalten, gewissenhaft vorzugehen.«
»Und was glauben Sie, was ich hier mache?«, ereiferte sich der Wissenschaftler.
Gruberová umrundete einen der Quader. »Das kann ich schwerlich beurteilen«, sagte sie. »Von technischen Dingen verstehe ich nämlich rein gar nichts.«
Ramoya glaubte seinen Augen nicht zu trauen, als er sah, wie die Uniformierte sich mit einem Klimmzug an der oberen Kante eines drei Meter hohen Quaders hochzog. Die Kappen ihrer Sicherheitsstiefel scharrten dabei über das Gehäuse und kamen den Kontrolllämpchen gefährlich nahe. Ein falscher Tritt und die transparente Abdeckung würde beschädigt werden!
Die Frau schnaufte, während sie den Blick über den oberen Teil des Moduls schweifen ließ. »Hier oben ist nichts Verdächtiges«, sagte sie gepresst, ließ die Kante los und landete mit einem vernehmlichen Rums wieder auf den Füßen.
Ramoya stöhnte entnervt auf. »Ich werde den Eindruck nicht los, dass Sie hinter einem Herd eventuell besser aufgehoben wären als beim Sicherheitsdienst von Wallis Industries.«
Gruberová nickte wissend, während sie sich einem anderen Maschinenquader zuwandte. »Ich habe schon davon gehört, dass Sie ein Anhänger der klassischen Rollenverteilung von Mann und Frau sind, Mister Ramoya.«
Verärgert wandte sich der Wissenschaftler der Steuerkonsole zu und fuhr damit fort, die neue Testreihe einzuprogrammieren, die für heute vorgesehen war. »Diese Zuordnungen sind gottgewollt«, sagte er in dozierendem Tonfall. »Meiner Meinung nach haben Frauen nichts in der männlichen Berufswelt verloren. Die natürliche Ordnung wird dadurch empfindlich gestört.«
Erneut zog sich Gruberová per Klimmzug an einem Quader hoch. »Was sagt denn Regina Saam zu Ihrer Sichtweise?«, fragte sie wie beiläufig. Sie ließ Ramoya jedoch nicht zu Wort kommen. »Stellen Sie sich vor, Miss Saam würde zu Hause bleiben, um für ihren Mann den Haushalt zu führen! Würde Ihre Forschergruppe in diesem Fall überhaupt noch irgendetwas auf die Reihe kriegen?«
Ramoya erstarrte in der Bewegung. »Ich bin um eine gute berufliche Zusammenarbeit mit Regina Saam bemüht und …« Er stockte, als er gewahr wurde, dass er sich dieser Frau gegenüber zu rechtfertigen begann. Zornesröte stieg ihm ins Gesicht.
»Das ist aber wirklich sehr nobel von Ihnen«, stichelte Gruberová weiter. Der spöttische Unterton in ihrer Stimme war schwerlich zu überhören. Sie kletterte nun gänzlich auf den Quader hinauf und richtete sich zu ihrer vollen Größe auf. Langsam drehte sie sich um die eigene Achse, während sie den Blick kreisen ließ. »Von hier oben habe ich einen guten Überblick«, sagte sie, als hätte Ramoya sie gefragt, was sie da triebe. »Auf Ihren nutzlosen Maschinen hat sich jedenfalls keine fremde Lebensform einquartiert, soviel ist mal sicher.« Sie wandte sich Ramoya zu und grinste. »Hätte mich auch gewundert.«
Der Wissenschaftler war wie vor den Kopf gestoßen. Er konnte sich nicht daran erinnern, wann und ob überhaupt er jemals so sehr brüskiert worden war wie von dieser Uniformierten. Plötzlich dämmerte es ihm, dass sie ihn womöglich absichtlich provozierte. »Sind Sie jetzt endlich fertig?«, fragte er verstimmt.
Wie um Schwung zu holen, ruderte Gruberová mit den Armen und sprang von dem Quader herab. Ohne zu wanken, landete sie standfest auf ihren Füßen. »Lassen Sie sich bei Ihrer Arbeit durch mich bloß nicht stören«, sagte sie vergnügt und setzte die Suche fort.
»Haben Sie keine Angst, dass ich mich bei Ihrem Vorgesetzten über Ihre impertinente Art beschweren werde?«, fragte Ramoya.
»Ich glaube kaum, dass Sie das tun würden«, gab Gruberová zurück. »Sie sind viel zu sehr von sich selbst überzeugt. Es käme einem Eingeständnis von Schwäche gleich, würden Sie wie ein Schulknabe zu meinem Vorgesetzten rennen, um zu petzen, dass ich Sie nicht Ihrem Rang entsprechend behandelt habe.«
»Sie sind eine ziemlich durchtriebene Person«, stellte Ramoya trocken fest. In einer Sache musste er dieser Frau allerdings recht geben: Petzen war tatsächlich ein Zeichen von Schwäche. Er musste schon allein mit ihr fertigwerden, wenn er sich nicht blamieren wollte. »Warum gewinne ich eigentlich zunehmend den Eindruck, mich mit Ihnen in einem Boxring zu befinden?«, fragte er. »Habe ich Sie durch irgendetwas provoziert?«
Gruberová kam hinter dem letzten von ihr noch nicht überprüften Quader hervor. »Ich betrachte es als sportliche Herausforderung, Männern, die so sehr von sich überzeugt sind wie Sie, die Stirn zu bieten – besonders, wenn sie eine so geringe Meinung von Frauen haben.«
Ramoya verschränkte die Arme vor der Brust, eine nur allzu sichtbare Abwehrhaltung, wie ihm zu spät bewusst wurde. »Sie irren sich. Ich schätze Frauen sehr«, korrigierte er sie.
»Sofern sie Ihnen bei Ihrer Arbeit nicht in die Quere kommen«, vervollständigte Gruberová. Schlendernd kam sie auf ihn zu. »Wenn ich gehässig wäre, würde ich jetzt behaupten, dass Sie dieses Experimentalraumschiff nicht zum Laufen kriegen, weil Ihre Überzeugung, dass Frauen in der Berufswelt nichts verloren haben, sich negativ auf Ihr kreatives Denken auswirkt.«
Ramoya lachte. »Das ist Unsinn. Die Probleme, die wir mit diesem Doppelringraumer haben, basieren allein auf der Tatsache, dass die Thanagog uns unvollständige Pläne übermittelt haben. Anscheinend wollten die Schemenhaften auf diese Weise verhindern, dass wir erneut ins blassblaue Universum vorstoßen. Wir Terraner sollen ERRON-3 nicht noch einmal erreichen, um dort das geheime Wissen der Mysterious zu bergen.« Entschlossen ballte er die Fäuste. »Letztendlich wird es uns aber dennoch glücken, den Antrieb der EX-3 zu stabilisieren. Die Gruppe Saam hat schon ganz andere Probleme bewältigt, nicht zuletzt auch dank der hervorragenden Arbeit von Regina Saam.«
Gruberová musterte den Wissenschaftler interessiert. »Sie können ja sogar recht leidenschaftlich für die Arbeit von Frauen einstehen«, bemerkte sie verschmitzt.
Ramoya blinzelte und winkte dann verärgert ab. »Sie sind wirklich ein komischer Kauz.«
Gruberová lächelte zufrieden. »Stellen Sie sich vor, ein Mann hätte Ihren Arbeitsbereich nach eventuell hier versteckten Kokons abgesucht!«, sagte sie. »Das wäre bestimmt wesentlich weniger interessant für Sie abgelaufen. Stattdessen ist Ihr Adrenalinspiegel gestiegen und Sie haben sich einer Herausforderung gestellt.« Sie wandte sich ab und schritt selbstsicher auf den Ausgang zu. »Ihr Arbeitsbereich ist übrigens sauber. Ich wünsche Ihnen bei Ihren Forschungen noch viel Erfolg, Mister Ramoya.«
Geräuschlos glitt die Tür hinter der Uniformierten zu. Ramoya starrte noch einen kurzen Moment lang nachdenklich auf den geschlossenen Durchgang. Dann widmete er sich erneut der Konsole, um die Programmierung der Versuchsreihe zu beenden.
2.
Die EX-3 ließ den Werftmond schnell hinter sich. Nur wenige Minuten verstrichen, bis sie den Rand des Ludwig-Systems erreicht hatte. Die Brennkugel in der Mitte der beiden Unitallringe, die im rechten Winkel aufeinanderstanden, fokussierte sich, indem sie schrumpfte und ihre Energie komprimierte. Infolgedessen nahm die Geschwindigkeit des Raumschiffes zu. Das Tempo potenzierte sich mit eingeschaltetem Sternensog, sodass die Leistungskapazität weit über die eines herkömmlichen Ringraumers hinausreichte. An der Stelle, an der sich die zwei Röhrenringe schnitten, ragte nach außen jeweils ein Zylinder heraus, der denselben Durchmesser aufwies wie die Ringkörper. Der kürzere der beiden Anbauten endete in einer ebenen Fläche, der andere lief spitz nach vorne zu und war in Flugrichtung ausgerichtet.
Der Antrieb schaltete nun auf SLE um. Dieser war bei dem vorliegenden Raumschiffmodell etwa viermal so stark wie bei einem Carborit-Ringraumer.
»Die Beschleunigungswerte sind vielversprechend«, tönte Robert Saams Stimme in der Steuerzentrale der Raumschiffswerft auf. »Ich denke, wir können es riskieren, den feldmodulierten Einsatz von Hy-Kon vorzubereiten.«
»Aus der Antriebssektion treffen seltsame Werte ein«, warnte George Lautrec übergangslos. »Es scheint, als produzierten die Meiler, die das präparierte Tofirit in Energie umwandeln, plötzlich mehr als tatsächlich gebraucht wird. Die Puffer überlasten, und die …«
Er konnte den Satz nicht mehr vollenden, denn die in der Mitte der beiden Ringe wie in einem Käfig gefangene Brennkugel dehnte sich explosionsartig nach allen Seiten aus. Die expandierende Energiekugel flutete mit der kosmischen Urgewalt einer Nova über die Ringe hinweg und verschlang sie. Als wäre der Zusammenhalt der Atome von einem Moment auf den anderen aufgehoben, lösten sich sämtliche Materialien auf, aus denen die EX-3 bestand. Wie ein von einem Windstoß ergriffenes Aerosol riss es die Atome auseinander. Nur kurz zeichneten sich die Umrisse des Schiffes noch nebelhaft in der auseinanderstiebenden Brennkugel ab. Im nächsten Augenblick verwehten sie. Kurz darauf kollabierte die expandierende Brennkugel. Ein paar Energiereste irrlichterten noch einige Sekunden lang in der samtenen Schwärze des Weltalls umher. Dann waren auch sie erloschen. Von ein paar noch schwach messbaren Energiewerten abgesehen deutete nichts mehr auf die erloschene Existenz der EX-3 hin.
*
»Das war’s, Leute«, grollte Robert Saam enttäuscht. »Die Verbesserungen, die wir am Antrieb vorgenommen haben, reichen offenkundig nicht aus, um ihn zu stabilisieren.« Mit einem Ende seines Schals tupfte er sich die Stirn ab. »Wir müssen noch einmal von vorne anfangen.«
»Shamol, dieser arrogante Geheimniskrämer!«, schimpfte Saram Ramoya. »Als Dankeschön, weil wir sein Volk gerettet haben, hätte er uns ruhig die vollständigen Pläne für den Experimentalantrieb zukommen lassen können.«
Weil er es momentan nicht ertragen konnte, sich die Bemerkungen seiner Freunde und Kollegen anzuhören, klinkte sich Robert Saam aus der Diskussion aus. Er stieß sich von der Konsole ab und rollte auf seinem Sessel sitzend mehrere Meter von dem Pult weg. Sein Blick war dabei auf den Holobildschirm gerichtet, auf dem die Simulation dargestellt worden war. Die dreidimensionale schwarze Leere spiegelte sehr gut wider, wie er sich in seinem Innern gerade fühlte. Der neuerliche Fehlschlag frustrierte ihn mehr, als er sich eingestehen wollte.
Robert drehte den Sessel ein wenig, sodass er durch das Panoramafenster hindurch in die Werfthalle sehen konnte. Der Bungalow, in dem er sich mit seinen Kollegen aufhielt, wirkte in der gigantischen Halle wie ein unbedeutender Bestandteil dieser grandiosen, von den Worgun geschaffenen Anlage. In Wahrheit aber stellte das flache Gebäude das Herzstück der Fertigungsanlage dar. Hier bündelten die Hyperkalkulatoren alle für die Weiterentwicklung des Experimentalraumschiffes relevanten Informationen. Die in den verschiedenen Sektionen der EX-3 erhobenen Daten wurden hier zu einer Simulation zusammengefasst. Das Ergebnis war zusätzlich in die bildgebenden Systeme aller Mitarbeiter übertragen worden, die an dem virtuellen Testdurchlauf beteiligt gewesen waren. Wie Robert, so mussten auch diese den erneuten Fehlschlag nun erst einmal verdauen.
Sinnierend betrachtete der Chefwissenschaftler das im Dock ruhende Raumschiff, dessen simulierte Zerstörung er am Bildschirm soeben mit fast schon schmerzhaft zu nennender Realitätsnähe hatte miterleben müssen.
Plötzlich drang ein Pochen an seine Ohren, das ihn erschrocken zusammenzucken ließ.
»Caretti – verdammt!«, rief er, nachdem ihm bewusst geworden war, was es mit diesem besorgniserregenden Lärm auf sich hatte. »Warum in Dreiteufelsnamen können Sie sich nicht angewöhnen, die Klingel zu betätigen?«
Die Tür glitt auf, und ein drahtiger Mann in der Uniform des Sicherheitsdienstes trat ein. Die Embleme auf der Brust des dunkelhaarigen Mannes mit dem schmalen Gesicht und der markanten Nase wiesen ihn als Chef des hiesigen Sicherheitsdienstes aus.
»Ich deute Ihre Worte mal als Aufforderung einzutreten, Mister Saam«, sagte Franco Caretti. Er versuchte dabei gar nicht erst, seinen italienischen Akzent zu unterdrücken. Im Gegenteil: Er kultivierte den Zungenschlag regelrecht, um dem Angloter eine individuelle Färbung zu verleihen. Ebenso wie das Anklopfen per Fingerknöchel betrachtete er seine lokal eingefärbte Aussprache als Reminiszenz an eine Zeit, die ihm weniger gleichmacherisch erschien als das Zeitalter der überlichtschnellen Raumfahrt.
»Was gibt es denn?«, fragte Robert Saam ungehalten.
Caretti nahm Haltung an. »Sie hatten mich gebeten, Ihnen persönlich Bericht zu erstatten, sobald die Durchsuchung der Werftanlage abgeschlossen ist, Sir.«
Der Chefwissenschaftler verzog säuerlich den Mund. »Ich hätte es vorgezogen, wenn Sie mir Ihren Bericht elektronisch übermittelt hätten.«
»Wollen Sie denn jetzt hören, was ich zu sagen habe?«
Saam wedelte mit der Hand. »Nur zu. Ich bin ganz Ohr.«
»Ich kann vermelden, dass die Anlage bis in den kleinsten Winkel hinein von meinen Leuten abgesucht wurde.«
»Mit welchem Ergebnis?«, versuchte Robert die Angelegenheit mit einer Frage zu beschleunigen.
»Es wurden keine weiteren Kokons entdeckt.«
Saam strich mit dem Daumen über seine Oberlippe. »Das macht diese Sache nur noch mysteriöser«, überlegte er laut.
»Außerdem habe ich das kontaminierte Materiallager abschotten und mit einer Schleuse versehen lassen«, fuhr Caretti fort. »Der dort abgestellte Wachtposten wird dafür sorgen, dass nur von Ihnen autorisiertes Personal Zugang zu diesem Bereich erhält.«
Saam nickte. »Danke, Mister Caretti.« Da er erwartete, dass der Chef des Sicherheitsdienstes sich jetzt zurückziehen würde, drehte er sich mit seinem Sessel dem Panoramafenster zu.
Caretti blieb jedoch stehen. »Ich habe mir erlaubt, Sir, die in dem fraglichen Bereich tätigen Wissenschaftler zu fragen, ob ich Ihnen eine Nachricht übermitteln soll.« Er wippte auf seinen Fußsohlen auf und ab. »Weil ich persönlich bei Ihnen vorsprechen sollte, habe ich mir gedacht, ich nutze die Gelegenheit, um Sie bei diesem Anlass mit so viel Informationen zu versorgen wie möglich.«
Saam wusste, dass es zwecklos war, den Mann erneut darauf hinzuweisen, dass dieser persönliche Rapport nicht seine Idee gewesen war. Daher ließ er es bleiben. »Was haben meine Kollegen denn herausgefunden?«, fragte er stattdessen.
»Sie sind sich darin einig, dass in den Überresten des Kokons noch immer biochemische Prozesse ablaufen. Ein Organ scheint das ganze Gebilde mit Energie zu versorgen.«
Diese Information beunruhigte Robert nicht wenig. »Haben sich weitere Vorfälle ereignet?«, fragte er. »Wurden die Wissenschaftler von dem Kokon angegriffen?«
Caretti schüttelte den Kopf. »Sie gehen mit dieser Larve anscheinend behutsamer um, als meine Mitarbeiterin es getan hat.«
»Wozu nicht viel nötig ist«, konnte sich Saam eine Bemerkung nicht verkneifen.
»Beth Dubois ist eine ausgezeichnete …«, setzte Caretti an, seine Mitarbeiterin zu verteidigen, aber Robert brachte ihn mit einer herrischen Geste zum Schweigen.
»Gibt es sonst noch was?«, fragte der Wissenschaftler in einem Tonfall, von dem er hoffte, dieser würde Caretti zu erkennen geben, dass er jetzt allein zu sein wünschte.
»Von meiner Seite gibt es nichts mehr zu berichten, Sir«, verneinte Caretti.
»Dann entschuldigen Sie mich jetzt bitte. Ich habe zu arbeiten.« Saam schob sich mit dem Sessel näher an die Konsole heran.
»Hat es wieder einen Fehlschlag gegeben?«, erkundigte sich der Sicherheitschef neugierig.
Saam drehte sich zu dem Mann um. »Den wird es das nächste Mal sicherlich erneut geben, wenn Sie mich jetzt nicht endlich in Ruhe arbeiten lassen!«
»Ich … wollte Ihnen nur sagen, dass meine Mitarbeiter und ich regen Anteil an dem nehmen, was in dieser Werft stattfindet«, erklärte Caretti. »Wir verrichten hier nicht nur stumpf unseren Job. Wir fiebern mit Ihnen mit und hoffen, dass dieses Projekt am Ende gelingen wird. Es könnte für die Menschheit von immenser Bedeutung sein, erneut zum Wissensarchiv der Mysterious vorzustoßen. Der technologische Fortschritt, den uns das dort gehortete Wissen einbringen wird, wird für Stabilität, Sicherheit und Wohlstand auf unseren Welten nützlich sein.«
Robert Saam betrachtete den Mann nachdenklich. »Es ist beruhigend zu wissen, dass wir auf Sie und Ihre Leute zählen können.« Er lächelte gewinnend. »Dann machen wir uns jetzt wohl besser wieder an die Arbeit, nicht wahr?«
Caretti tippte mit der ausgestreckten Hand gegen sein Schläfenbein, wandte sich zackig ab und verließ den Raum.
Saam zog sich an die Konsole heran. Die Worte des Chefs des Sicherheitsdienstes hatten ihm zu denken gegeben. Welche Hoffnungen und Erwartungen seine Mitmenschen mit dem Bau der EX-3 verbanden, hatte er gar nicht richtig im Blickfeld gehabt. Für ihn hatte nur die Entwicklung des Antriebs im Vordergrund gestanden. Natürlich war er sich über den Zweck des Ganzen im Klaren gewesen. Dennoch überraschte ihn die unmittelbare Anteilnahme dieses doch eher außenstehenden Mannes.
Das Wissen um die Existenz von ERRON-3 hatte eine enorme Strahlkraft, musste Robert Saam erkennen. Die Aussicht darauf, von dem Wissensschatz der Mysterious unmittelbar profitieren zu können, weckte nicht nur in zwielichtigen Individuen, die sich persönlich bereichern und Macht an sich reißen wollten, Begehrlichkeiten. Von dieser Sorte waren in der ehemaligen Sternenbrücke kürzlich Tausende aufgekreuzt, in der Erwartung, das Wissen der Worgun in die Finger zu bekommen.
Nein, es waren auch die »einfachen Leute«, die sich von dem Wissen der Mysterious Vorteile erhofften. Ihnen ging es dabei jedoch um zivile Einsatzmöglichkeiten, die auf mehr Sicherheit und Wohlstand für alle abzielten. Für diese Personen saß Robert im Grunde genommen in diesem Bungalow und arbeitete daran, den experimentellen Antrieb der EX-3 zu perfektionieren.
Dass das in ERRON-3 gesammelte Wissen sowie die in der hiesigen Raumschiffswerft gewonnenen Erkenntnisse zuerst Terence Wallis zugänglich gemacht werden würde, stand dem keineswegs entgegen. Der wohl reichste Mann der Menschheit würde seinen Profit aus den Worgun-Geheimnissen zu ziehen wissen, keine Frage. Allerdings hatte dieser in der Vergangenheit schon mehrfach bewiesen, dass ihm das Wohlergehen der Menschen am Ende doch mehr am Herzen lag als seinen ohnehin schon immensen Reichtum noch zusätzlich zu mehren.
Robert Saam fand, dass es an der Zeit war, mit Terence Wallis, seinem Freund und Auftraggeber, zu reden. Die Entdeckung des Kokons machte es seiner Einschätzung nach nötig, die Arbeitsstrukturen in der Werft zu verbessern, damit die Vollendung des Antriebs schneller voranschritt. Doch diesmal wollte er es wie Franco Caretti halten und Wallis nicht bloß einen Wust von Datensätzen zukommen lassen; diesmal wollte er das persönliche Gespräch mit ihm suchen.
*
Als Chefwissenschaftler der Gruppe Saam stand Robert stets eine Direktverbindung zu Terence Wallis zur Verfügung. Und so dauerte es nur wenige Minuten, bis der verschlüsselte Hyperfunkkanal nach Eden geöffnet war und das Konterfei des Besitzers von Wallis Industries auf dem Holobildschirm erschien.
Das lange, dunkelblonde Haar des sportlich erscheinenden Mannes war im Nacken zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden. Unter seinem konservativ-eleganten Anzug trug er eine rot-schwarz karierte Weste.
Nachdem die beiden Freunde sich begrüßt hatten, berichtete Robert von dem neuen Fehlschlag und dem Fund des rätselhaften Kokons. »Eine genaue Dokumentation des Vorfalls werde ich dir gesondert zukommen lassen«, schloss er. »Allerdings ist es so, dass die Untersuchung dieses Kokons zu viel Zeit in Anspruch nimmt und Personal abzieht, das ich für die Verbesserung des Antriebs dringend benötige.«
Terence Wallis nickte kaum merklich. »Du möchtest, dass ich dein Wissenschaftlerteam aufstocke«, schlussfolgerte er.
»Damit wäre mir sehr geholfen«, bestätigte Robert.
»Kein Problem. Ich werde ein paar ausgewiesene Biologen und einen Experten für außerirdische Lebensformen in die Werft entsenden.«
»Womöglich benötigen wir auch einen Biochemiker«, fügte Robert an. »Es wäre durchaus denkbar, dass dieser Kokon künstlichen Ursprungs ist. Außerdem wird Spezialgerät für eine exakte biochemische Analyse benötigt. Über so etwas verfügen wir hier nämlich nicht.«
Terence tippte mit dem Finger gegen seine Stirn. »Ist alles notiert«, meinte er. »Es wird allerdings ein paar Tage dauern, bis das Raumschiff mit allem im Ludwig-System eintrifft.«
»Ich würde ja die EX-3 nach Eden fliegen lassen, um das Gewünschte abzuholen«, sagte Robert Saam leicht zerknirscht. »Sie würde den Hin- und Rückflug wesentlich schneller bewältigen, als ein Ovoid-Ringraumer allein für eine Strecke benötigt. Aber ich befürchte, das Raumschiff wird unterwegs explodieren und dann …«
Das Schrillen des Alarms schnitt Robert das Wort ab.
»Was ist da los?«, erkundigte sich Terence Wallis beunruhigt.
Robert Saam wollte zu einer Erwiderung ansetzen, aber eine in der gesamten Werftanlage laut auftönende Stimme kam ihm zuvor: »Hiermit werden alle Personen aufgefordert, diese Worgun-Anlage unverzüglich zu verlassen!« Der Alarm, der kurz pausiert hatte, setzte wieder in voller Lautstärke ein, wurde aber für eine weitere Durchsage auf Angloter erneut unterbrochen. »Alle Personen haben sich umgehend in die Raumschiffe zu begeben. Dieser Mond muss evakuiert werden.«
»Wer spricht da?« Wallis, der zuvor bequem gesessen hatte, sprang auf. Die automatische Justierung der ihn filmenden Kamera konnte der Bewegung nicht schnell genug folgen, sodass er für einen kurzen Moment ohne Kopf dastand.
»Ich habe keine Ahnung.« Saam machte sich hektisch an der Konsole zu schaffen. Eigentlich hätte in einem Notfall jetzt eine entsprechende Meldung auf dem Monitor vor ihm erscheinen müssen, aber das war nicht der Fall. Er rief die Sicherheitsprotokolle auf, aber es war keins aktiviert worden.
»Verdammt!«, fluchte Robert verhalten. »Es scheint sich um einen externen Alarm zu handeln. Womöglich eine alte Sicherung der Mysterious, von der wir nichts wissen.«
Terence, dessen Kopf nun wieder zu sehen war, zog die Stirn in Falten. »Ren Dhark und seine Mitstreiter, welche die Anlage vor uns verwendet hatten, haben von einer solchen Vorkehrung auch nichts berichtet.«
»Ich kann es mir auch nicht erklären«, gestand Robert. Die durchdringende Alarmsirene machte ihn extrem nervös.
Erneut tönte die Stimme auf und forderte die Anwesenden auf, die Werft sofort zu verlassen.
Diesmal hörte Robert konzentriert zu. »Wenn mich nicht alles täuscht, ist das eine künstlich erzeugte Stimme«, stellte er fest. Er sah durch das Panoramafenster in die Halle hinein.
Die Mitarbeiter der Fertigung, die zusammen mit den Großserienrobotern an verschiedenen Stellen des Doppelringraumers gearbeitet hatten, standen ratlos da. Viele von ihnen diskutierten lauthals, andere wirkten verunsichert, ja … fast schon verängstigt. Einige wenige hatten sich darangemacht, der Aufforderung nachzukommen. Aber auch sie schienen unschlüssig und näherten sich dem bogenförmigen Haupttor eher zögernd, um die Halle wie aufgefordert Richtung Raumschiffshangar zu verlassen.
Robert presste einen Handballen auf den Taster für die Sprechanlage. Es wurde Zeit, eine Durchsage zu machen. Die Leute sollten Ruhe bewahren, bis geklärt sein würde, was es mit diesem Vorfall auf sich hatte. Wütend schnellte er aus dem Sessel hoch, sodass dieser nach hinten wegrollte und gegen die Wand schlug. »Die Konsole ist blockiert!«, rief er fassungslos aus. »Ich habe keinen Zugriff mehr auf die externen Systeme.«
»Eine feindliche Übernahme vielleicht.« Wallis’ Gesicht wirkte verkniffen. »Für derartige Szenarien müsste der Sicherheitsdienst doch Vorkehrungen getroffen haben!«
Robert schüttelte kaum merklich den Kopf. »Der Hyperfunk ist nicht beeinträchtigt. Ansonsten wäre unsere Verbindung bereits gekappt. Das spricht eigentlich gegen einen Angriff.«
Das Funkgerät, das neben dem Feuerlöscher und einer Axt im Notfallschrank hing, gab ein durchdringendes Fiepen von sich. Der Laut bohrte sich wie eine Nadel durch das nervtötende Sirenengeheul. Robert schlug die Scheibe mit dem Ellenbogen ein und schnappte sich den hektisch blinkenden Apparat.
»Caretti hier!«, drang die Stimme des Chefs des Sicherheitsdienstes aus dem Lautsprecher. »Können Sie mir erklären, was hier los ist, Mister Saam? Mein Suprasensor zeigt mir nicht die geringste Störung an. Offenbar gibt es überhaupt keinen Grund für diesen Alarm.«
Ein kurzes pinkfarbenes Aufflackern lenkte Roberts Aufmerksamkeit auf das Geschehen draußen in der gigantischen Werfthalle. Der Gelenkarm einer der schwenkbaren Arbeitsplattformen war zerstört worden. Das Konstrukt brach mit majestätischer Langsamkeit in sich zusammen. Die Arbeitsbühne krachte zu Boden und begrub einen Teil der heruntergeklappten Rampe der EX-3 unter sich. Zum Glück hatten sich nur Roboter auf der Fläche aufgehalten.
Robert hatte sich von dem Schreck noch nicht erholt, als er erneut ein pinkfarbenes Aufflackern bemerkte. Die Antriebssektion einer Antigrav-Plattform löste sich daraufhin explosionsartig in Energie auf. Der Boden vibrierte. Das mit Materialien beladene Gerät stürzte ab und verschwand aus Roberts Blickfeld.
»Da schießt jemand mit Nadelstrahl um sich!«, schallte Carettis Stimme aus dem Funkgerät.
Inzwischen war Panik unter den Anwesenden in der Werfthalle ausgebrochen. Männer und Frauen rannten in wilder Hast auf den Ausgang zu. Diejenigen, die sich auf den Montageplattformen aufgehalten hatten, beeilten sich, die Treppen und Leitern hinabzusteigen. Sämtliche Antigrav-Lifte waren belegt. Auf der mit Trümmern übersäten Rampe der EX-3 erschienen nun ebenfalls Personen, die es offensichtlich eilig hatten, das Experimentalraumschiff zu verlassen. Sie halfen sich gegenseitig, während sie über die Überreste der Arbeitsplattform hinwegkletterten.
Robert Saam ließ wie betäubt die Arme sinken. Er konnte nicht fassen, was dort draußen vor sich ging. In diesem Moment fiel sein Blick auf eine rötliche, etwa drei Meter große Gestalt, die hinter dem unteren Bogen der EX-3 hervorgekommen war. Die Arme des gesichtslosen humanoiden Kolosses endeten in fingerartigen Abstrahlantennen. Aus diesen schossen jetzt mehrere Bündel der überlichtschnellen pinkfarbenen Kampfstrahlen hervor. Diese bohrten sich in die vollautomatischen Montagekonstruktionen, die aus den Wänden und der Decke ragten.
»Du wirst es nicht glauben, Terence!«, stieß Robert verblüfft aus. »Wir … wir werden von einem Wächter angegriffen.« Er zuckte erschrocken zusammen, während im hinteren Bereich der Halle ebenfalls pinkfarbene Blitze aufschienen. »Nein … warte!«, sagte er. »Es sind mindestens zwei. Zwei Wächter! Und sie scheinen wild entschlossen, die Werftanlage zu zerstören!«
»Habe ich das eben richtig verstanden?«, drang Terence Wallis’ Stimme wie aus der Ferne an Robert Saams Ohren. »Wächter greifen euch an?«
Der Chefwissenschaftler nickte hektisch. »Das sind Wächter, ohne Zweifel.«
»Welche Farbe haben sie?«, wollte Terence wissen.
Robert reckte sich und spähte durch das Panoramafenster. Er wusste, warum sein Freund ihm diese Frage stellte. Die Wächter hatten sich angewöhnt, ihre metallenen Körper verschieden einzufärben, damit sie besser voneinander unterschieden werden konnten. Wächter Arlos Körper war anthrazitfarben, Wächter Simons silbern und Wächter Tekaros stahlblau. Nur Doris hatte ihren Wächterkörper rot belassen. Diese Farbe hatte auch der Wächter, der in der Nähe des Bungalows agierte.
Schließlich geriet auch der zweite Maschinenkörper in Roberts Blickfeld. Unentwegt jagte dieser Nadelstrahlen in die Mechanik der Konstruktionsmodule.
»Rot«, sagte er. »Sie sind beide rot.«
Terence’ Miene verfinsterte sich noch mehr. »Sie wollen uns ihre Identität also nicht preisgeben«, stellte er fest.
»Sie haben ihre drei Meter große Kampfgestalt angenommen«, informierte Robert seinen Freund. »Und ihr Erscheinen wurde nicht rechtzeitig bemerkt, weil sie von irgendwoher in die Werftanlage transitiert sind.«
In diesem Moment fiel einer der Hyperkalkulatoren aus. Offenbar war er dem Angriff des zweiten Wächters zum Opfer gefallen.
Robert schluckte trocken. »Einer der Wächter kommt jetzt direkt auf den Bungalow zu«, berichtete er, wobei er selbst nicht wusste, ob er seine Worte an Wallis oder an Caretti richtete, mit dem er noch immer per Funkgerät verbunden war.
Terence knabberte nervös auf seiner Unterlippe herum. »Versuche, ihn irgendwie zur Vernunft zu bringen, Robert! Die Wächter hatten im Sonnenschiff der Thanagog zuletzt großen Schaden angerichtet und beinahe das Ende jenes Sternenvolkes herbeigeführt. Jetzt haben sie es offenbar auf meine Werft abgesehen …«
»… die ursprünglich den Worgun gehört hat«, vervollständigte Robert. »Den Begründern des Wächterordens. Vielleicht gefällt ihnen nicht, was wir hier tun.«
In diesem Moment stellte sich ein Mann vom Sicherheitsdienst dem sich nähernden Wächter entgegen. Mit gezücktem Multifunktionsschlagstock stand er breitbeinig da, als glaubte er, das metallene Ungetüm damit zu beeindrucken.
Als Robert erkannte, um wen es sich handelte, riss er das Funkgerät hoch. »Caretti!«, rief er. »Was machen Sie da? Verschwinden Sie sofort!«
Der Chef des Sicherheitsdienstes hörte nicht auf den Wissenschaftler. Stattdessen löste er die Prallfeldfunktion des Schlagstocks aus. Die Schockwelle brachte den Wächter jedoch nicht einmal ins Straucheln. Der Metallkoloss stieß Caretti mit einer beiläufig erscheinenden Bewegung beiseite. Der Schlag war nicht allzu heftig ausgefallen, dennoch flog Caretti mehrere Meter durch die Luft und wirbelte noch mehrfach herum, nachdem er zu Boden gegangen war.
»Caretti!«, schrie Robert in das Funkgerät. »Caretti! Sagen Sie doch etwas!«
Der Wachmann regte sich benommen. »Ich bin in Ordnung«, ließ er Robert über Funk wissen. »Bringen Sie sich in Sicherheit, Mister Saam. Diese Wächter meinen es ernst. Sie sollten sich aus der Steuerzentrale zurückziehen.«
»Er hat recht«, schaltete sich Terence ein. »Komm den Wächtern bloß nicht in die Quere!«
Für eine Flucht war es allerdings zu spät. Das rote Ungetüm aus einer Tofirit-Legierung hatte den Bungalow erreicht. Der Wächter fackelte nicht lange. Als wollte er einen Fußball treten, holte er aus und zerschmetterte das Panoramafenster mit einem wuchtigen Tritt.
Robert drehte sich abrupt weg und riss die Arme schützend über den Kopf. Splitter flogen wie Geschosse über ihn hinweg.
Der Wächter streckte seine Arme durch die Öffnung des zerstörten Fensters. Die Hände formten sich zu schaufelähnlichen Platten. Diese drückte er von unten gegen die Raumdecke und wuchtete diese empor. Unter Krachen, Splittern und Bersten riss er das Dach aus der Verankerung und schleuderte es anschließend von sich. So schnell wie sich die Hände umgeformt hatten, wandelten diese sich nun erneut zu Abstrahlantennen um. Augenblicklich schossen pinkfarbene Strahlen hervor – zu schnell, um sie mit den Blicken verfolgen zu können. Sie jagten in die Steuerkonsole, die Bildschirme und den Schrank mit den Speicherkristallen. Die Explosionen, die entstanden, als die Materie in reine Energie umgewandelt wurde, übertönten das Heulen der Sirene. Terence Wallis’ Hologramm löste sich auf. Glutnester und Flammen tauchten das zerstörte Interieur der Steuerzentrale in rötliches, flackerndes Licht.
»Nein!«, brüllte Robert, als der Wächter auf den Hyperkalkulator zielte, der den gesamten rückwärtigen Bereich des Bungalows einnahm und unter anderem die Sicherungsdateien der Konstruktionspläne enthielt. Das um ihn herum herrschende Chaos nahm er kaum noch wahr. »Das darfst du nicht tun!«, schrie er. »Doris, Tekaro, Simon oder wer auch immer in diesem Konstrukt stecken mag: Zerstöre nicht die Früchte meiner Arbeit!«
Wortlos beugte sich der Wächter herab, packte den Wissenschaftler am Kragen, hob ihn hoch und stellte ihn außerhalb des Bungalows wieder auf die Beine. Anschließend fuhr er mit seinem Zerstörungswerk fort.
3.
Die POINT OF flog mit Sternensog dem fernen Sol-System entgegen. Schon bald würde die Mannschaft den langersehnten Landurlaub auf der Heimatwelt der Menschen antreten. Für den altgedienten Ringraumer war eine Generalüberholung in einer Werft des Raumhafens Cent Field in Alamo Gordo vorgesehen – eine Angelegenheit, deren Kosten laut Vertrag von Terence Wallis übernommen werden würden.
Nicht nur aus diesen Gründen sah Ren Dhark dem Aufenthalt auf der Erde mit Freude entgegen. Vor allem war es die Aussicht darauf, seine Lebensgefährtin in Kürze wiederzusehen, die seine Stimmung auf einem hohen Pegel hielt. Die Untersuchungen ihrer bionischen Implantate, die auf dem Planeten Brana von Echri Ezbal durchgeführt werden sollten, müssten bald abgeschlossen sein.
Dass der Leiter der Cyborg-Station Amys Programmgehirn und das Phant-Depot in den ursprünglichen Zustand zurückversetzte, stand für Dhark außer Zweifel. Am Ende würden alle Beeinträchtigungen, mit denen Amy seit dem hinterhältigen Angriff der Tel in ERRON-3 hatte leben müssen, der Vergangenheit angehören.
Ren Dhark setzte sich behaglich in seinem Sessel zurecht und konzentrierte sich auf die letzten Sätze der Reportage, die ihm auf dem Bildschirm eines Hand-Suprasensors angezeigt wurde. Den Text hatte ihm der Star-Reporter Bert Stranger zur Durchsicht übergeben. Dieser saß ihm im Bereitschaftsraum schweigend gegenüber.
Der Rotschopf musterte ihn mit unschuldigem Gesichtsausdruck, bewegte die Augen dabei jedoch unruhig. Die Haare, aus denen links und rechts Segelohren hervorschauten, lagen glatt am kugelrunden Kopf an. Die kurzen Arme hatte der kleine, dicke Mann vor der gewölbten Brust verschränkt, und die nicht weniger kurz erscheinenden Beine waren lässig übereinandergeschlagen. Der in der Luft hängende beschuhte Fuß wippte leicht auf und nieder. Äußerlich wirkte Stranger dabei gelassen und entspannt.
Doch Dhark entging nicht, wie sich die Körperhaltung seines Gegenübers jedes Mal leicht versteifte, wenn er eine Anmerkung zu dem Text in den Suprasensor eingegeben hatte. »Liest sich recht flüssig und flott weg«, lobte er anerkennend und legte das Gerät auf seinem Schoß ab. »Und unterhaltsam ist dieser Bericht ebenfalls.«
Stranger bewegte sich unruhig, als suchte er in seinem Sessel eine bequemere Sitzhaltung. »Sie haben aber anscheinend dennoch einiges zu kritisieren«, stellte er fest und lächelte schüchtern. »Es kam mir jedenfalls so vor, als hätten Sie jeden meiner Sätze mit einer Bemerkung versehen.«
»So viel habe ich gar nicht anzumerken gehabt«, beschwichtigte Dhark. »Davon abgesehen hatten Sie mich doch um meine Meinung gebeten.«
Stranger nickte, wobei die Speckfalte seines Halses rhythmisch vibrierte. »Für Kritik und Anregungen bin ich immer dankbar«, beeilte er sich zu versichern.
Dhark umfasste den mobilen Suprasensor mit beiden Händen. »Mir ist positiv aufgefallen, dass Sie gewisse pikante Details unserer Expedition nach ERRON-3 in Ihrem Bericht unerwähnt gelassen haben.«
Stranger lächelte verhalten. »Ich halte mich zwar stets an die Wahrheit, aber Einzelheiten, die nichts zur eigentlichen Geschichte beitragen, lasse ich dabei gewöhnlich unter den Tisch fallen.«
»Die Dinge, von denen wir hier sprechen, sind aber nicht gerade unwichtig.«
»Für Sie vielleicht, Commander«, hielt der Terra-Press-Reporter dagegen. »Die breite Öffentlichkeit muss davon aber nichts erfahren. Ich weiß wohl am besten, dass Ihnen daran besonders gelegen ist.«
»Sie werden das Weggelassene also nicht zu einem späteren Zeitpunkt in einem anderen Artikel verarbeiten?«, hakte Dhark nach.
Stranger deutete auf den Hand-Suprasensor. »In diesem Artikel habe ich alles eingearbeitet, was ich für erwähnenswert halte: die Misere um den angeblich entarteten globalen Schutzschirm um Terra, die daraufhin erforderlich gewordene Expedition nach ERRON-3 sowie die Rettung der verschollen geglaubten Tel-Soldaten. Zum Abschluss gehe ich dann natürlich noch gebührend auf die Rettung der Menschen auf der Erde ein – und natürlich auch auf die Rettung der Thanagog, die uns einen zweiten Schirm untergejubelt hatten. Damit sind die Leser umfassend über alles Relevante informiert.« Er kicherte. »Für mehr ist in diesem Artikel kein Platz, schon gar nicht für eine löbliche Erwähnung unseres Helden Ren Dhark. Diesmal bin der Protagonist nämlich ich selbst.«
Der Commander zog eine Augenbraue in die Stirn. Der trockene Humor seines Gegenübers befremdete ihn ein wenig. Wahrscheinlich wollte der Terra-Press-Reporter ihm auf diese Weise aber bloß dessen Entgegenkommen signalisieren. »Es war sehr nett von Ihnen, dass ich Ihre Reportage vorab lesen und kommentieren durfte, Mister Stranger«, bekräftigte er noch einmal und überreichte seinem Gegenüber den Hand-Suprasensor. »Und ganz besonders möchte ich mich dafür bedanken, dass Sie mir während Ihres Aufenthaltes in der POINT OF und auch während der Exkursionen nie einen Anlass gegeben haben, mich bereuen zu lassen, dass ich Sie mitgenommen habe.«
Stranger schien dieses Lob ein wenig verlegen zu machen. Flink ließ er das ausgeschaltete Gerät in seiner Jackentasche verschwinden und stand auf. »Ich werde mich gleich an die Sichtung Ihrer Kommentare machen. Falls erforderlich werde ich den Text dann entsprechend anpassen.« Er streckte Dhark zum Abschied die Hand hin. »Meine Reportage sollte schnellstmöglich veröffentlicht werden, ehe ein anderes überwältigendes Thema in den Fokus der Öffentlichkeit rückt.«
»Das wird so schnell hoffentlich nicht geschehen.« Dhark erhob sich ebenfalls, ergriff die Hand des Terra-Press-Reporters und drückte sie freundschaftlich. »Alles Gute, Mister Stranger. Ich denke, wir werden bald wieder voneinander hören.«
»Davon gehe ich fest aus«, erwiderte dieser und lächelte zuversichtlich. »Immerhin sind Sie eine der herausragendsten zeitgenössischen Persönlichkeiten.«
*
Ren Dhark knöpfte seine Uniformjacke auf und streifte die Schuhe von den Füßen. Das Licht in seiner Kabine war gedämpft und stimmte ihn auf einen entspannten Feierabend ein. Er überlegte, ob er eine Verbindung nach Brana herstellen lassen sollte, um noch ein paar Worte mit Amy zu wechseln. Doch in diesem Moment gab die Bordsprechanlage ein Signal von sich. Die Störung verwunderte ihn ein wenig, denn eigentlich war nicht zu erwarten, dass auf diesem Flug ein Notfall eintreten würde, der seine Anwesenheit in der Zentrale zwingend erforderlich machte.
»Ja, was liegt denn an?«, fragte er salopp.
»Walter Brugg hier, Sir«, meldete sich der Dritte Funker. Glenn Morris und Elis Yogan hatten sich, wie die meisten Führungsoffiziere der ersten Riege, zur Nachtruhe begeben. Die Bordzeit der POINT OF orientierte sich momentan an der in Alamo Gordo herrschenden Tageszeit, und dort war es jetzt elf Uhr abends. »Es tut mir leid, dass ich Sie stören muss.«
»Was haben Sie denn für ein Anliegen, Mister Bruggs?«
»Aus dem Corr-System hat uns ein Hyperfunkspruch erreicht«, berichtete Brugg. »Charaua wünscht Sie zu sprechen.« Er räusperte sich. »Es erschien mir unhöflich, den Herrscher der Nogk mit dem Hinweis zu vertrösten, dass Sie bereits Feierabend gemacht haben, Sir.«
»Das wäre in der Tat unpassend gewesen.« Dhark rieb sich mit den Händen das Gesicht, um seine Lebensgeister wieder zu wecken. »Stellen Sie die Verbindung her, Mister Brugg. Ich bin in wenigen Minuten in der Zentrale.«