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Die Sammlung enthält frühe Gedichte des Lyrikers Rainer Maria Rilke, unter anderem Nachdrucke von Larenopfer, Traumgekrönt und Advent. Sie sind Zeugnisse der noch stark gefühlsbetonten Dichtung ekstatischer Subjektivität und Innerlichkeit, die später abgelöst wurde von einer objektiveren Sprache der Dinggedichte. Rilke gilt als einer der bedeutendsten Dichter der literarischen Moderne.
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Seitenzahl: 71
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LUNATA
Erste Gedichte
© 1913 Rainer Maria Rilke
Umschlagbild Herman Kruyder
© Lunata Berlin 2020
Larenopfer
Traumgekrönt
Lieben
Advent
Gaben an verschiedene Freunde
Fahrten
Funde
Mütter
Im alten Hause; vor mir frei
seh ich ganz Prag in weiter Runde;
tief unten geht die Dämmerstunde
mit lautlos leisem Schritt vorbei.
Die Stadt verschwimmt wie hinter Glas.
Nur hoch, wie ein behelmter Hüne,
ragt klar vor mir die grünspangrüne
Turmkuppel von Sankt Nikolas.
Schon blinzelt da und dort ein Licht
fern auf im schwülen Stadtgebrause.—
Mir ist, daß in dem alten Hause
jetzt eine Stimme »Amen« spricht.
Alte Häuser, steilgegiebelt,
hohe Türme voll Gebimmel,—
in die engen Höfe liebelt
nur ein winzig Stückchen Himmel.
Und auf jedem Treppenpflocke
müde lächelnd—Amoretten;
hoch am Dache um barocke
Vasen rieseln Rosenketten.
Spinnverwoben ist die Pforte
dort. Verstohlen liest die Sonne
die geheimnisvollen Worte
unter einer Steinmadonne.
Das Adelshaus mit seiner breiten Rampe:
wie schön will mir sein grau er Glast erscheinen.
Der Gangsteig mit den schlechten Pflastersteinen
und dort, am Eck, die trübe, fette Lampe.
Auf einer Fensterbrüstung nickt ein Tauber,
als wollt er durch den Stoff des Vorhangs gucken;
und Schwalben wohnen in des Torgangs Luken:
das nenn ich Stimmung, ja, das nenn ich—Zauber.
Schau so gerne die verwetterte
Stirn der alten Hofburg an;
schon der Blick des Kindes kletterte
dort hinan.
Und es grüßen selbst die eiligen
Moldauwellen den Hradschin,
von der Brücke sehn die Heiligen
ernst auf ihn.
Und die Türme schaun, die neueren,
alle zu des Veitsturms Knauf
wie die Kinderschar zum teueren
Vater auf.
Gern steh ich vor dem alten Dom;
wie Moder weht es dort, wie Fäule,
und jedes Fenster, jede Säule
spricht noch ihr eignes Idiom.
Da hockt ein reich geschnörkelt Haus
und lächelt Rokoko-Erotik,
und hart daneben streckt die Gotik
die dürren Hände betend aus.
Jetzt wird mir klar der casus rei;
ein Gleichnis ists aus alten Zeiten:
der Herr Abbé hier—ihm zuseiten
die Dame des roi soleil.
Wie von Steinen rings, von Erzen
weit der Wände Wölbung funkelt,
eine Heilge, braungedunkelt,
dämmert hinter trüben Kerzen.
Von der Decke, rundgemauert,
schwebt ob eines Engels Kopfe
hell ein weißer Silbertropfe,
drin ein ewig Lichtlein kauert.
Und im Eck, wo Goldgeglaste
niederhangt in staubgen Klumpen,
steht in Schmutz gehüllt und Lumpen
still ein Kind der Bettlerkaste.
Von dem ganzen Glänze floß ihm
in die Brust kein Fünkchen Segen....
Zitternd, matt, streckts mir entgegen
seine Hand mit leisem: »Prosim!«
Alle Wände in der Halle
voll des Prachtgesteins; wer wüßte
sie zu nennen: Bergkristalle,
Rauchtopase, Amethyste.
Zauberhell wie ein Mirakel
glänzt der Raum im Lichtgetänzel,
unterm goldnen Tabernakel
ruht der Staub des heilgen Wenzel.
Ganz von Leuchten bis zum Scheitel
ist die Kuppel voll, die hohle;
und der Goldglast sieht sich eitel
in die gelben Karneole.
Dort, seh ich Türme, kuppig bald wie Eicheln
und jene wieder spitz wie schlanke Birnen;
dort liegt die Stadt; an ihre tausend Stirnen
schmiegt sich der Abend schon mit leisem Schmeicheln.
Weit streckt sie ihren schwarzen Leib. Ganz hinten
sieh St. Mariens Doppeltürme blitzen.
Ists nicht: Sie saugte durch zwei Fühlerspitzen
in sich des Himmels violette Tinten!
(1)
Die moderne Bauschablone
will mir wahrlich gar nicht passen.
Hier, dies alte Haus darf fassen
reiche, weite Steinterrassen,
kleine, heimliche Balkone.
Und die weitgewölbten Decken,
die so günstig sind den Lauten,
Nischen rings, die eingebauten,
draus die Arme sich der trauten
Dämmrung dir entgegenstrecken.
Alle Mauern breiter, stärker
und aus echten Quaderkernen;—
traun, das Gruseln könnt ich lernen,
seh ich auf die Zinskasernen
aus dem kleinen, Stillen Erker.
(2)
Traut ists, wenn verstohlen heulen
im Kamine wilde Winde
in der Stube; ganz gelinde
tickt auf dem barocken Spinde
fort die Stockuhr mit den Säulen.
Dort, die kleine Silhouette
zeigt die alte Tracht der Locken,
tief im Fenster steht ein Rocken,
und vergeßne Töne stocken
im verlassenen Spinette.
Immer noch hegt die Postille,
daß an ihrem Geist erfrische
jung und alt sich, auf dem Tische,
und der Spruch ob jener Nische
lautet: »Es gescheh Dein Wille....«
(3)
Oft seh ich die heimliche Stube belebt,
so lebhaft erzählen die Wände;
ein liebliches Mädchen, halb Kind noch, hebt
dort zu der Madonna die Hände.
Ein tüchtiger Junge beim Vater steht,
der viel zu des Hauses Gewinn tat.
An huben sie flüsternd das Abendgebet,
und Mutter läßt ruhen das Spinnrad.
Da deucht mich, es wird wohl das Auge naß
sogar der Madonna im Rahmen.
Ich lausche:—Laut von des Vaters Baß
ertönt das versöhnende: »Amen«.
(4)
Naht der Sohn mit schwerem Schritt
seinem Vater. Schwer die Zunge....
»Wirklich, was, ein Bräutchen, junge?!
Vorwärts, nur herein damit!«
Und da steht zum erstenmal
jetzt das Mädchen rot und stille;
und der Vater putzt die Brille:
»Teufel! Gut war deine Wahl!«
Und er streckt die Arme aus,
und das Bräutchen nimmt verlegen
seinen Kuß und seinen Segen....
Davon weiß das alte Haus.
(5)
Auch dem blonden Kinde kam es
In sein Herz, sein waldseereines,
wie das dunkle Ahnen eines
großen Glückes oder Grames.
Und die Mutter ließ das Rädchen
stocken.—»Kind, was macht dich leiden?«
Stürmisch schluchzend schwieg das Mädchen:
doch verstanden sich die beiden.
Kurz darauf: Am Pförtchen pochte
junger Herr.—»Wollt ihr euch?«—Pause.—
Ob!—Wer da noch fragen mochte!?—
So geschahs im alten Hause.
(6)
Still heut die Stube.—Weiß wie Kalk
ist Frauchens Antlitz. Müd und lustlos
ihr feuchtes Auge; halb bewußtlos
lehnt sie bei Vaters Katafalk.
Zuseiten ihr der Gatte kann
sie trösten mehr in keiner Weise;
nun faßt er ihre Hände leise
und sieht sie ernst und bittend an.
»Mein Mütterchen, nimm diesen Strauß!«
tönt türher hell das Wort des Kleinen;
da glimmt ein Lächeln durch ihr Weinen,
und Trost geht durch das alte Haus.
(7)
Nicht zu sehn das Alltagstreiben,
flieh ich—wie wenn ich ein Strauß war,—
in das alte, alte Haus her;
lang dann seh ich nicht hinaus mehr
durch die breit verbleiten Scheiben.
Schlichtheit war der Väter Aussaat,
Glück die Frucht, die sie gefunden;
sitz so träumend manche Stunden
dort im Polsterstuhl, im runden,
mitten in Urväterhausrat.
Alter Herbst vermag den Tag zu knebeln,
seine tausend Jubelstimmen schweigen;
hoch vom Domturm wimmern gar so eigen
Sterbeglocken in Novembernebeln.
Auf den nassen Dächern liegt verschlafen
weißes Dunstlicht; und mit kalten Händen
greift der Sturm in des Kamines Wänden
eines Totenkarmens Schlußoktaven.
Bei St. Loretto da brennt ein Licht
vorm Bilde im Straßenkapellchen;
und um das Wandbild schmiegen sich dicht
Blechblumen mit farbigen Kelchen.
Die Heiligen machen ein übel Gesicht;
denn der Sturmwind, der hastige Knab, hat
nicht Achtung für sie; bei Loretto das Licht
schaut fromm in den dämmernden Sabbat.
Im Dämmerdustgeschwel
ist schon die Stadt zerronnen
hoch steht das Haus der Nonnen
des Ordens von Carmel.
Der Abend hüpft hangab
vorbei mit Feuergarben
und windet tausend Farben
um jeden Fensterstab.
Er schmückt das düstre Haus
umsonst mit Lichtgeglänze;
So sehen frische Kränze
auf Leichensteinen aus.
Es hat der Pater Guardian
vom Klosterschnaps mir angeboten;
ich kenn ihn schon, den dunkelroten,
der alle Toten wecken kann.
Der Pater sucht den Schlüssel, klein,
dort, wo des Sacktuchs Zipfe blauten,
und holt den Schatz, den selbstgebrauten,
hervor aus dem Reliquienschrein.
Und wie er einschenkt, lacht er feist
und spricht: »Zu Staub sind die Gebeine,
die einstens ruhten in dem Schreine,
doch uns erhalten blieb——der Geist!«
Einsam hinterm letzten Haus
geht die rote Sonne schlafen,
und in ernste Schlußoktaven
klingt des Tages Jubel aus.
Lose Lichter haschen spät
noch sich auf den Dächerkanten,
wenn die Nacht schon Diamanten
in die blauen Fernen sät.
Ich lehn im Armstuhl, im bequemen,
wo oft ich Ungemach vergaß,
müd nicken krause Chrysanthemen
im hohen Venezianergläs.
Ich las in einem Band Gedichte
gar lange; wie die Zeit entschwand!
Jetzt erst im Abenddämmerlicbte
leg ich sie selig aus der Hand.
Mir ist, von göttlichen Problemen
hätt ich die Lösung jetzt erlauscht,—
hat mich der Hauch der Chrysanthemen,
hat mich Vrchlickýs Buch berauscht?
Still ist es in dem Kreuzgang, in dem alten,
wo über krausen Säulenarabesken
herniederschaun aus halb verwischten Fresken
geheimnisvolle Heiligengestalten.
Wo eine Wachsmadonna, die man zeiht
so manchen gnadenvollen Heilmirakels,
prangt hinterm grauen Glas des Tabernakels
im silberübersäten Seidenkleid.
Spannt über Blättergold Spätsommerhaar
sich draußen auch im Klosterhof Lorettos,—
vor einem Bild im Stile Tintorettos