Erste Gedichte - Rainer Maria Rilke - E-Book

Erste Gedichte E-Book

Rainer Maria Rilke

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Beschreibung

Die Sammlung enthält frühe Gedichte des Lyrikers Rainer Maria Rilke, unter anderem Nachdrucke von Larenopfer, Traumgekrönt und Advent. Sie sind Zeugnisse der noch stark gefühlsbetonten Dichtung ekstatischer Subjektivität und Innerlichkeit, die später abgelöst wurde von einer objektiveren Sprache der Dinggedichte. Rilke gilt als einer der bedeutendsten Dichter der literarischen Moderne.

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LUNATA

Erste Gedichte

Rainer Maria Rilke

Erste Gedichte

© 1913 Rainer Maria Rilke

Umschlagbild Herman Kruyder

© Lunata Berlin 2020

Inhalt

Larenopfer

Traumgekrönt

Lieben

Advent

Gaben an verschiedene Freunde

Fahrten

Funde

Mütter

Larenopfer

(1896)

IM ALTEN HAUSE

Im alten Hause; vor mir frei

seh ich ganz Prag in weiter Runde;

tief unten geht die Dämmerstunde

mit lautlos leisem Schritt vorbei.

Die Stadt verschwimmt wie hinter Glas.

Nur hoch, wie ein behelmter Hüne,

ragt klar vor mir die grünspangrüne

Turmkuppel von Sankt Nikolas.

Schon blinzelt da und dort ein Licht

fern auf im schwülen Stadtgebrause.—

Mir ist, daß in dem alten Hause

jetzt eine Stimme »Amen« spricht.

AUF DER KLEINSEITE

Alte Häuser, steilgegiebelt,

hohe Türme voll Gebimmel,—

in die engen Höfe liebelt

nur ein winzig Stückchen Himmel.

Und auf jedem Treppenpflocke

müde lächelnd—Amoretten;

hoch am Dache um barocke

Vasen rieseln Rosenketten.

Spinnverwoben ist die Pforte

dort. Verstohlen liest die Sonne

die geheimnisvollen Worte

unter einer Steinmadonne.

EIN ADELSHAUS

Das Adelshaus mit seiner breiten Rampe:

wie schön will mir sein grau er Glast erscheinen.

Der Gangsteig mit den schlechten Pflastersteinen

und dort, am Eck, die trübe, fette Lampe.

Auf einer Fensterbrüstung nickt ein Tauber,

als wollt er durch den Stoff des Vorhangs gucken;

und Schwalben wohnen in des Torgangs Luken:

das nenn ich Stimmung, ja, das nenn ich—Zauber.

DER HRADSCHIN

Schau so gerne die verwetterte

Stirn der alten Hofburg an;

schon der Blick des Kindes kletterte

dort hinan.

Und es grüßen selbst die eiligen

Moldauwellen den Hradschin,

von der Brücke sehn die Heiligen

ernst auf ihn.

Und die Türme schaun, die neueren,

alle zu des Veitsturms Knauf

wie die Kinderschar zum teueren

Vater auf.

BEI ST. VEIT

Gern steh ich vor dem alten Dom;

wie Moder weht es dort, wie Fäule,

und jedes Fenster, jede Säule

spricht noch ihr eignes Idiom.

Da hockt ein reich geschnörkelt Haus

und lächelt Rokoko-Erotik,

und hart daneben streckt die Gotik

die dürren Hände betend aus.

Jetzt wird mir klar der casus rei;

ein Gleichnis ists aus alten Zeiten:

der Herr Abbé hier—ihm zuseiten

die Dame des roi soleil.

IM DOME

Wie von Steinen rings, von Erzen

weit der Wände Wölbung funkelt,

eine Heilge, braungedunkelt,

dämmert hinter trüben Kerzen.

Von der Decke, rundgemauert,

schwebt ob eines Engels Kopfe

hell ein weißer Silbertropfe,

drin ein ewig Lichtlein kauert.

Und im Eck, wo Goldgeglaste

niederhangt in staubgen Klumpen,

steht in Schmutz gehüllt und Lumpen

still ein Kind der Bettlerkaste.

Von dem ganzen Glänze floß ihm

in die Brust kein Fünkchen Segen....

Zitternd, matt, streckts mir entgegen

seine Hand mit leisem: »Prosim!«

IN DER KAPELLE ST. WENZELS

Alle Wände in der Halle

voll des Prachtgesteins; wer wüßte

sie zu nennen: Bergkristalle,

Rauchtopase, Amethyste.

Zauberhell wie ein Mirakel

glänzt der Raum im Lichtgetänzel,

unterm goldnen Tabernakel

ruht der Staub des heilgen Wenzel.

Ganz von Leuchten bis zum Scheitel

ist die Kuppel voll, die hohle;

und der Goldglast sieht sich eitel

in die gelben Karneole.

VOM LUGAUS

Dort, seh ich Türme, kuppig bald wie Eicheln

und jene wieder spitz wie schlanke Birnen;

dort liegt die Stadt; an ihre tausend Stirnen

schmiegt sich der Abend schon mit leisem Schmeicheln.

Weit streckt sie ihren schwarzen Leib. Ganz hinten

sieh St. Mariens Doppeltürme blitzen.

Ists nicht: Sie saugte durch zwei Fühlerspitzen

in sich des Himmels violette Tinten!

DER BAU

(1)

Die moderne Bauschablone

will mir wahrlich gar nicht passen.

Hier, dies alte Haus darf fassen

reiche, weite Steinterrassen,

kleine, heimliche Balkone.

Und die weitgewölbten Decken,

die so günstig sind den Lauten,

Nischen rings, die eingebauten,

draus die Arme sich der trauten

Dämmrung dir entgegenstrecken.

Alle Mauern breiter, stärker

und aus echten Quaderkernen;—

traun, das Gruseln könnt ich lernen,

seh ich auf die Zinskasernen

aus dem kleinen, Stillen Erker.

IM STÜBCHEN

(2)

Traut ists, wenn verstohlen heulen

im Kamine wilde Winde

in der Stube; ganz gelinde

tickt auf dem barocken Spinde

fort die Stockuhr mit den Säulen.

Dort, die kleine Silhouette

zeigt die alte Tracht der Locken,

tief im Fenster steht ein Rocken,

und vergeßne Töne stocken

im verlassenen Spinette.

Immer noch hegt die Postille,

daß an ihrem Geist erfrische

jung und alt sich, auf dem Tische,

und der Spruch ob jener Nische

lautet: »Es gescheh Dein Wille....«

ZAUBER

(3)

Oft seh ich die heimliche Stube belebt,

so lebhaft erzählen die Wände;

ein liebliches Mädchen, halb Kind noch, hebt

dort zu der Madonna die Hände.

Ein tüchtiger Junge beim Vater steht,

der viel zu des Hauses Gewinn tat.

An huben sie flüsternd das Abendgebet,

und Mutter läßt ruhen das Spinnrad.

Da deucht mich, es wird wohl das Auge naß

sogar der Madonna im Rahmen.

Ich lausche:—Laut von des Vaters Baß

ertönt das versöhnende: »Amen«.

EIN ANDERES

(4)

Naht der Sohn mit schwerem Schritt

seinem Vater. Schwer die Zunge....

»Wirklich, was, ein Bräutchen, junge?!

Vorwärts, nur herein damit!«

Und da steht zum erstenmal

jetzt das Mädchen rot und stille;

und der Vater putzt die Brille:

»Teufel! Gut war deine Wahl!«

Und er streckt die Arme aus,

und das Bräutchen nimmt verlegen

seinen Kuß und seinen Segen....

Davon weiß das alte Haus.

NOCH EINES

(5)

Auch dem blonden Kinde kam es

In sein Herz, sein waldseereines,

wie das dunkle Ahnen eines

großen Glückes oder Grames.

Und die Mutter ließ das Rädchen

stocken.—»Kind, was macht dich leiden?«

Stürmisch schluchzend schwieg das Mädchen:

doch verstanden sich die beiden.

Kurz darauf: Am Pförtchen pochte

junger Herr.—»Wollt ihr euch?«—Pause.—

Ob!—Wer da noch fragen mochte!?—

So geschahs im alten Hause.

UND DAS LETZTE

(6)

Still heut die Stube.—Weiß wie Kalk

ist Frauchens Antlitz. Müd und lustlos

ihr feuchtes Auge; halb bewußtlos

lehnt sie bei Vaters Katafalk.

Zuseiten ihr der Gatte kann

sie trösten mehr in keiner Weise;

nun faßt er ihre Hände leise

und sieht sie ernst und bittend an.

»Mein Mütterchen, nimm diesen Strauß!«

tönt türher hell das Wort des Kleinen;

da glimmt ein Lächeln durch ihr Weinen,

und Trost geht durch das alte Haus.

IM ERKERSTÜBCHEN

(7)

Nicht zu sehn das Alltagstreiben,

flieh ich—wie wenn ich ein Strauß war,—

in das alte, alte Haus her;

lang dann seh ich nicht hinaus mehr

durch die breit verbleiten Scheiben.

Schlichtheit war der Väter Aussaat,

Glück die Frucht, die sie gefunden;

sitz so träumend manche Stunden

dort im Polsterstuhl, im runden,

mitten in Urväterhausrat.

DER NÖVEMBERTAG

Alter Herbst vermag den Tag zu knebeln,

seine tausend Jubelstimmen schweigen;

hoch vom Domturm wimmern gar so eigen

Sterbeglocken in Novembernebeln.

Auf den nassen Dächern liegt verschlafen

weißes Dunstlicht; und mit kalten Händen

greift der Sturm in des Kamines Wänden

eines Totenkarmens Schlußoktaven.

IM STRASSEN KAPELLCHEN

Bei St. Loretto da brennt ein Licht

vorm Bilde im Straßenkapellchen;

und um das Wandbild schmiegen sich dicht

Blechblumen mit farbigen Kelchen.

Die Heiligen machen ein übel Gesicht;

denn der Sturmwind, der hastige Knab, hat

nicht Achtung für sie; bei Loretto das Licht

schaut fromm in den dämmernden Sabbat.

DAS KLOSTER

Im Dämmerdustgeschwel

ist schon die Stadt zerronnen

hoch steht das Haus der Nonnen

des Ordens von Carmel.

Der Abend hüpft hangab

vorbei mit Feuergarben

und windet tausend Farben

um jeden Fensterstab.

Er schmückt das düstre Haus

umsonst mit Lichtgeglänze;

So sehen frische Kränze

auf Leichensteinen aus.

BEI DEN KAPUZINERN

Es hat der Pater Guardian

vom Klosterschnaps mir angeboten;

ich kenn ihn schon, den dunkelroten,

der alle Toten wecken kann.

Der Pater sucht den Schlüssel, klein,

dort, wo des Sacktuchs Zipfe blauten,

und holt den Schatz, den selbstgebrauten,

hervor aus dem Reliquienschrein.

Und wie er einschenkt, lacht er feist

und spricht: »Zu Staub sind die Gebeine,

die einstens ruhten in dem Schreine,

doch uns erhalten blieb——der Geist!«

ABEND

Einsam hinterm letzten Haus

geht die rote Sonne schlafen,

und in ernste Schlußoktaven

klingt des Tages Jubel aus.

Lose Lichter haschen spät

noch sich auf den Dächerkanten,

wenn die Nacht schon Diamanten

in die blauen Fernen sät.

JAR. VRCHLICKÝ

Ich lehn im Armstuhl, im bequemen,

wo oft ich Ungemach vergaß,

müd nicken krause Chrysanthemen

im hohen Venezianergläs.

Ich las in einem Band Gedichte

gar lange; wie die Zeit entschwand!

Jetzt erst im Abenddämmerlicbte

leg ich sie selig aus der Hand.

Mir ist, von göttlichen Problemen

hätt ich die Lösung jetzt erlauscht,—

hat mich der Hauch der Chrysanthemen,

hat mich Vrchlickýs Buch berauscht?

IM KREUZGANG VON LORETTO

Still ist es in dem Kreuzgang, in dem alten,

wo über krausen Säulenarabesken

herniederschaun aus halb verwischten Fresken

geheimnisvolle Heiligengestalten.

Wo eine Wachsmadonna, die man zeiht

so manchen gnadenvollen Heilmirakels,

prangt hinterm grauen Glas des Tabernakels

im silberübersäten Seidenkleid.

Spannt über Blättergold Spätsommerhaar

sich draußen auch im Klosterhof Lorettos,—

vor einem Bild im Stile Tintorettos